Polens Justizreform. Eine Richterin spricht Klartext

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Beeinflussen die Veränderungen die richterliche Unabhängigkeit?

Barbara Piwnik gehört zu den bekanntesten Richtern des Landes. Ihre öffentlichen Äuβerungen in Sachen Justizwesen, stets sehr praxisbezogen, haben Gewicht und werden in der Öffentlichkeit mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. So auch ihre Meinung zur polnischen Justizreform.

Barbara Piwnik (Jahrgang 1955) studierte Jura an der Warschauer Universität und wurde 1982 ins Richteramt berufen. Zwischen 1987 und 2001 war sie Richterin am Woiwodschaftsgericht Warschau. Sie erwarb sich groβe Anerkennung und Respekt durch die professionelle und souveräne Art, mit der sie einige groβe Strafverfahren bewältigte. Es waren spektakuläre Prozesse im Kampf gegen Mitglieder von landesweit agierenden gefährlichen kriminellen Banden und gegen die mutmaßliche Täter  aufsehenerregender Morde.

Richterin Barbara Piwnik verfolgt im Gerichtssaal die Vorführung von Videoaufnahmen von einem Lokaltermin während eines der groβen Strafprozesse, den sie führte.

Der postkommunistische Ministerpräsident Leszek Miller berief sie im Oktober 2001 in das Amt des Justizministers und Generalstaatsanwalts. Das politische Beamtendasein lag ihr eindeutig nicht und sie reichte bereits im Juli 2002 ihren Rücktritt ein. Seitdem arbeitet sie wieder als Strafrichterin am Warschauer Distriktgericht.

Das Interview mit Barbara Piwnik erschien im Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Der Sonntagsgast“) vom 14.Januar 2018.

Fühlen Sie sich nach der Einführung der Justizreform als Richterin weniger unabhängig?

In meinem Richterdasein verändert die Reform rein gar nichts.

Das modifizierte Gerichtsverfassungsgesetz überträgt dem Justizminister die Dienstaufsicht über die Gerichte, er darf die Gerichtspräsidenten berufen. Ein Teil der Richterschaft protestiert dagegen lauthals, sieht darin einen Anschlag auf die richterliche Unabhängigkeit.

Diese Proteste veranschaulichen nur das fehlende Verständnis dafür, was die richterliche Unabhängigkeit tatsächlich ausmacht.

Und was macht sie tatsächlich aus?

Wenn ich meinen richterlichen Pflichten gewissenhaft nachgehe, kann niemand, und zwar in keiner Weise, meine Entscheidungen beeinflussen. So steht es in der Verfassung und in den Gesetzten, und so ist es auch.

Die Protestierenden behaupten, dass der Justizminister mit Hilfe der von ihm ernannten Gerichtspräsidenten Druck auf die Richter ausüben wird, damit sie ihm genehme Urteile fällen.

Wenn ich als Richterin rechtzeitig meine Urteilsbegründungen fertig habe, pünktlich die Verhandlungen eröffne, jeden Tag an meinem Arbeitsplatz bin, meine Verfahren sich nicht in alle Ewigkeit hinziehen und ich allen anderen Pflichten nachkomme, dann kann mich der Gerichtspräsident höchstens auf eine Tasse Kaffee einladen.

Das habe ich vor kurzem öffentlich gesagt. An meinem Gericht gibt es einen neuen Präsidenten und neue Stellvertreter, die Justizminister Zbigniewe Ziobro entsprechend dem neuen Gerichtsverfassungsgesetz berufen hat. Nachdem der neue Gerichtspräsident diese Feststellung von mir gelesen hatte, hat er mich, im Vorbeigehen auf dem Gerichtskorridor, zu einer Tasse Kaffee eingeladen.

Wenn ein Richter seine Dienstpflichten erfüllt und seinem Eid treu bleibt, dann kann ihm der Gerichtspräsident gar nichts. Im Rahmen der Dienstaufsicht kann und muss er aber dem Richter eine ordnungswidrige Ausführung der Dienstgeschäfte vorhalten und deren Änderung anmahnen.

Sie sind seit knapp vierzig Jahren Richterin. Hat man jemals versucht Druck auf Sie auszuüben um ihr künftiges Urteil zu beeinflussen?

Ich lege meine Hand aufs Herz: niemals.

Herrscht unter den Richtern Angst, dass die Regierenden ihre Unabhängigkeit untergraben werden, vor allem bei politischen Prozessen?

Die Richter, mit denen ich es zu tun habe, hegen solche Befürchtungen nicht. Wir sind lange genug im Beruf, um zu wissen was den Unterschied zwischen der richterlichen Unabhängigkeit und der Dienstaufsicht ausmacht. Unsere richterliche Unabhängigkeit stellt uns nicht von einer Dienstaufsicht frei. Wir unterliegen der Dienstaufsicht, soweit unsere richterliche Unabhängigkeit nicht betroffen ist.

Barbara Piwnik mit Ministerpräsident Leszek Miller bei der Berufung zur Justizministerin am 19. Oktober 2001.

Die Protestierenden verwechseln das?

Lassen Sie es mich etwas milder formulieren: vielleicht haben sie eine geringere Berufserfahrung? Die jüngeren Kollegen setzen heute etwas andere Prioritäten. Auch Richter sind ganz die Kinder ihrer Gesellschaft, und dort herrscht ein Drang zum Karrieremachen. Ein Teil der Richter betrachtet das Erklimmen der Karriereleiter, das Ansammeln von Posten, z. B. der des Gerichtspräsidenten, von Titeln, als ein Beleg für den beruflichen Erfolg.

Aufgrund der Reform entscheidet der Justizminister nun über die Postenvergabe und das bedeutet, dass er in ihren Augen die wichtigste Domäne ihres Berufslebens betreten hat. Daher die Proteste.

Für mich und andere normale, hart arbeitende Richter ist das Maβ für den Berufserfolg die bestmögliche Erfüllung unserer Pflichten. Das Einnehmen von Verwaltungsposten im Justizwesen kann nicht das Berufsziel eines Richters sein.

Die Richtervereinigungen rufen dazu auf, die auf Geheiβ des Justizministers frei gewordenen Posten der entlassenen Gerichtspräsidenten nicht einzunehmen und nicht für den neuen Landesjustizrat zu kandidieren.

Schade, dass sie dabei nicht merken, wie sie sich selbst durch solche Appelle in Widersprüche verwickeln. Sie behaupten, ihr Ziel sei es die richterliche Unabhängigkeit zu verteidigen, dass niemand auf die Richter Einfluss nimmt. Wie soll man dann aber die Aufforderung verstehen: Richter nehmt die Angebote des Justizministers nicht an! Das ist doch ein eklatanter Versuch der Einflussnahme von Auβen. Deswegen kann ich nur an diese Kollegen appellieren, überdenkt was ihr da macht.

Jene behaupten, sie setzen sich für die Rechtstaatlichkeit und die Einhaltung der Verfassung ein.

Wie sie die Rechtstaatlichkeit wahren und die Verfassung achten, das können Richter am besten anhand ihrer tagtäglichen Arbeit demonstrieren. Es fällt heute leicht, dies und das über die Medien zu verkünden. Ich befürchte jedoch, dass mit diesen Worten, oft genug, nicht der Nachweis einer konzentrierten tagtäglichen, normalen Arbeit im Gericht einhergeht.

Richterin Barbara Piwnik betritt den Gerichtssaal.

Würden Sie den Posten eines Gerichtspräsidenten einnehmen? In den Medien spekuliert man, dass Sie sogar an die Spitze des neuen Landesjustizrates gestellt werden sollen.

Meinem neuen, jungen Gerichtspräsidenten und seinen Stellvertretern habe ich zugesagt, dass ich mit meiner Berufserfahrung jeder Zeit bereit bin ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. In diesem Moment meines Berufslebens ist das das Richtigste was ich tun kann und dabei bleibe ich vorerst.

Ein Teil der Juristen meint, die Wahl der Richter in den Landesjustizrat durch das Parlament vernichte die Unabhängigkeit der dritten Gewalt. Begibt sich in diesem Fall die Justiz tatsächlich in eine Abhängigkeit von der gesetzgebenden Gewalt?

Solche Behauptungen können nur diejenigen beeindrucken, die keine Ahnung davon haben worin die Tätigkeit des Landesjustizrates besteht. Die Befugnisse des LJR sind im Gesetz festgelegt und erstrecken sich in keiner Weise auf das Gebiet der Rechtsprechung. Der LJR kann mir nichts, rein gar nichts in Bezug auf meine richterliche Tätigkeit vorschreiben. Die Entscheidungen des LJR haben keinerlei Einfluss auf die Hunderttausende von Verfahren, die wir Richter in Polen jedes Jahr durchführen.

Kritisiert wird auch die Bildung einer Disziplinarkammer am Obersten Gericht. Sie werde ein Instrument zur Maßregelung von Richtern sein, die Urteile gegen die Anweisungen der Regierung fällen. Besteht eine solche Gefahr?

Richter werden in Polen auf Lebenszeit ernannt und auch die entlassenen Gerichtspräsidenten bleiben weiterhin Richter. Wenn ein Richter unabhängig ist, dann kann man ihn zu nichts zwingen. Das Verfahren vor der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts bildet den Abschluss eines Verfahrens, das vorher gegen einen Richter eingeleitet wurde. Das Verfahren wird auf Antrag des Disziplinarbeauftragen des jeweiligen Gerichtes eröffnet, die Vorwürfe gegen ihn werden formuliert und erst dann an die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtes geleitet. Dass die dortigen Richter andere Kollegen, entgegen aller Beweise, zum Bespiel aus dem Dienst entfernen, kann ich mir selbst in meinen dunkelsten Träumen nicht vorstellen. Solche Richter gibt es in Polen nicht.

Die Europäische Kommission behauptet, die Justizreform gefährde die Rechtstaatlichkeit in Polen. Zurecht?

Die hitzigen Diskussionen darüber, sowohl bei uns, wie auch im Ausland, werden immer abgehobener. Verfahren mit einer politischen Einfärbung machen nicht einmal 1 Promille der Prozesse aus, die jedes Jahr an polnischen Gerichten verhandelt werden. Kein Justizminister, kein Gerichtspräsident hat die Möglichkeit in diesen Verfahren und in allen anderen Druck auf einen Richter auszuüben, der seiner Unabhängigkeit treu ist. Zudem werden aufgrund der Reform die Verfahren nicht mehr vom Gerichtspräsidenten den Richtern zugeteilt, sondern diesen durch einen Zentralcomputer nach einem Zufallsprinzip zugewiesen.

Sie sind also nicht gegen die Justizreform?

Die Reformen bewegen sich bis jetzt auf der höchsten Ebene des polnischen Justizwesens. Sie sind und können nur der notwendige Ausgangspunkt sein zu weiteren Veränderungen im polnischen Justizwesen, die dem Normalbürger zu seinem Recht verhelfen und uns, den Richtern, das Arbeiten erleichtern. Der Bürger muss die Gewissheit haben, dass vor ihm ein Richter sitzt, der genügend Zeit hatte um sich gut auf das Verfahren vorzubereiten, der es zügig und gerecht zum Abschluss bringt.

Lesen Sie unsere weiteren Beiträge über die polnische Justizreform, um sich ein Bild zu machen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz.

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter.

RdP