Was tragen die Polen

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Praktisch vor modisch.

Das Erscheinungsbild des Publikums auf den Straβen polnischer Groβstädte unterscheidet sich kaum mehr von dem in Westeuropa. Die Mode ist gleich, aber einige Unterschiede gibt es immer noch.

Das unförmige, graue, in den Kaufhäusern des Ostblocks erhältliche Outfit jedenfalls ist längst Vergangenheit, an die manchmal noch die Kleidung älterer Menschen in der Provinz erinnert.

Löcher stopfen, Löcher machen

Modische Polinnen in Warschau Anfang der Sechziger….

Die Polinnen haben übrigens während der Zeit des Kommunismus trotz aller Widrigkeiten ihr Modebewusstsein sehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Es wurde genäht, gestrickt, gehäkelt, umgeändert und gefärbt was das Zeug hielt. Gab es keine Schnittmuster, mussten Fotos aus westlichen Illustrierten und Modejournalen reichen, die ihren Weg hinter den eisernen Vorhang gefunden hatten. Es gab im kommunistischen Polen häufig Anlass sich nach schicken Mädchen umzudrehen. Besucher aus dem Westen waren ebenfalls sehr angetan.

…und in den Siebzigern.

Heute wissen junge Polen, teilweise auch schon ihre Eltern, gar nicht mehr, wie das Land ohne H&M oder Zara existieren konnte.

Längst verschwunden sind aus dem Straβenbild die kleinen Anlaufpunkte, in denen Laufmaschen in Damenstrümpfen- und Strumpfhosen repariert wurden. Maschenware war teuer und, wie fast alles im Kommunismus, schwer zu bekommen.

Laufmaschenstoppen. Irgendwo in Polen in den sechziger Jahren.

Noch vor fünfzig, sechzig Jahren war der Kauf eines Wintermantels für viele Familien eine wahre finanzielle Herausforderung. Der alte wurde also zu Hause oder in der Änderungsschneiderei aufgetrennt, hie und da aufgearbeitet, umgedreht, zusammengenäht und die jüngeren Kinder trugen ihn noch jahrelang. Die heutigen Winterjacken gibt es günstig im Angebot und umdrehen lassen sie sich auch nicht.

Groβmütter oder Mütter stopften abends Socken. Das ist jetzt nicht mehr so, und nicht nur weil sich die heutigen Socken nur schwer stopfen lassen. Heute machen sich auch polnische Jugendliche Gedanken darüber, wie sie Löcher in Markenjeans hinkriegen, weil zerrissene Jeans im Laden mehr kosten als solche die ganz sind.

Groβer Markt kleiner Geldsäckel

Der uniformlastige Kommunismus ging unter, der Kapitalismus kam und mit ihm die neue Vereinheitlichung des Outfits. Weltumspannende Bekleidungsketten ziehen die Polen genauso an, wie gleichaltrige Tschechen, Ungarn, Belgier, Deutsche. Knapp siebzig Prozent der Polen geben an dort Stammkunden zu sein.

Reserved-Filiale in Gdańsk.

Ein groβes Netz von Geschäften unterhalten auch Reserved, Cropp, House, Sinsay, Mohito. Hinter diesen ausgesprochen westlich klingenden Namen verbirgt sich das polnische Groβunternehmen LPP mit Sitz in Gdańsk. Es unterhält knapp zweitausend Filialen in Europa und Nahost, davon dreiβig in Deutschland unter dem Label Reserved. Der Umsatz beträgt inzwischen knapp 1,5 Milliarden Euro.

Jeder dritte Pole räumt ein, wenigstens einmal im Monat etwas zum Anziehen zu kaufen. Jeder elfte tut das seltener als einmal im Jahr. Für Kleidung geben die Polen im Durchschnitt umgerechnet 310 Euro pro Jahr aus, genauso viel wie Tschechen und Slowaken, und etwas mehr als die Ungarn, Serben und Bulgaren. Der EU-Durchschnitt liegt bei 800 Euro.

Dabei sind die Preise bei H&M, Zara oder P&C in Polen dieselben wie in Deutschland oder Skandinavien, manchmal sogar etwas höher. Deutsche oder Schweden geben jedoch, dank ihres deutlich höheren Einkommens, viermal so viel (etwa 1.200 Euro jährlich) für Bekleidung und Schuhe aus wie die Polen.

Knapp 50 Prozent der Polen sagen, dass sie weniger als zehn Prozent ihres Monatseinkommens für eigene Bekleidung ausgeben. Gut 30 Prozent beziffern ihre Ausgaben auf bis zu 25 Prozent des Monatseinkommens. Bei nur 6 Prozent erreicht dieser Anteil 40 Prozent des monatlichen Verdienstes.

Muss der Einzelne beim Shoppen zumeist kleine Brötchen backen, so ist der polnische Bekleidungsmarkt als Ganzes mit seinen etwa achtunddreiβig Millionen Verbrauchern durchaus verlockend. Immerhin wurden 2018 im Land, mit Bekleidung einschlieβlich Schuhen, umgerechnet gut acht Milliarden Euro umgesetzt. Das plaziert Polen an achter Stelle in Europa. Viele, nicht nur die Bekleidungsketten, wollen an diesem Kuchen teilhaben.

Basare, lumpeksy, Louis Vuitton

Jeder fünfte Pole versorgt sich mit Textilien überwiegend auf Märkten, die in Polen „bazar“ heiβen und wie in Nahost und Asien aus dem Straβenbild nicht wegzudenken sind. Zwischen Obst-, Gemüse-, Fleisch,- und Ramschständen gibt es Billiges zum Anziehen aus der Türkei, der Ukraine und aus Asien zu kaufen, fast ausnahmslos bei Vietnamesen.

Basar-Anprobe.

Vor allem die Provinz kleidet sich auf den Basaren ein. Zu Tausenden wiegen sich dort an der frischen Luft Nachahmungen von Modellen aus den groβstädtischen Bekleidungsketten: billige Stoffe, oft lieblos zugeschnitten und nicht gerade sorgfältig verarbeitet, aber preiswert.

Nicht jede Polin ist für Leggins geschaffen.

Bergeweise werden dort auch Leggins verkauft. Es ist die Lieblingskluft des femininen Teils der unteren sozialen Schichten. Und dieser scheint sich zumeist nicht im Geringsten darum zu scheren, wie er von hinten betrachtet aussieht.

Stark im Bekleidungsgeschäft vertreten ist die Second-Hand-Branche. Polens Städte sind sehr gut bestückt mit Läden, in denen im trostlosen Neonlicht zumeist kiloweise gebrauchte Kleidung angeboten wird. Im Volksmund heiβen sie „lumpeks“ (Mehrzahl „lumpeksy“). Leute mit wenig Geld geben sich dort die Klinke mit durchaus gut situierten Schnäppchenjägern in die Hand.

Lumpeks-Kundschaft vor…
…und im Laden.

Die „lumpeksy“ buhlen um Kundschaft, indem sie sich spezialisieren: auf „heiβe Klamotten direkt aus Amerika“, „gute deutsche Ware“ oder „echten französischen Chic“. Alles angeliefert in Groβcontainern von irgendwoher auf Welt.

Andererseits ist man, so ist es zu hören, bei Louis Vuitton in Warschau ebenfalls mit den Umsätzen sehr zufrieden. Ab und zu sollen in dem Verkaufssalon sogar Warteschlangen an der Kasse gesichtet worden sein. Rabattaktionen gibt es bei Louis Vuitton nie, denn offensichtlich gibt es genug Kunden, die bereit sind umgerechnet gut 400 Euro für Plastik-Flip-Flops zu bezahlen. Auch die berühmten Handtaschen verkaufen sich gut.

Fünf Hosen im Schrank

Zugleich brummt das Internet-Geschäft. Allein bei Allegro gehen 2019 in ganz Polen pro Stunde 170 Blusen, 183 Röcke und 39 Sweatshirts über den virtuellen Ladentisch. Ganze 75 Prozent der Käufer räumten ein, innerhalb der letzten sechs Monate vor der Befragung Kleidung im Internet gekauft zu haben. Mehr als die Hälfte von ihnen hat noch niemals auf diesem Wege gekaufte Textilien oder Schuhe zurückgeschickt.

In 63 Prozent der polnischen Kleiderschränke, man staunt, hängen nur bis zu fünf Paar Hosen sowie bis zu fünf Jacken oder Mäntel, stehen maximal fünf Paar Schuhe. Gerademal 14 Prozent der Befragten gaben an, bis zu zwanzig Stück der erwähnten Kleidung beziehungsweise Paar Schuhe zu besitzen.

Die Kleidung soll vor allem bequem, preiswert und geschmackvoll sein. Praktisch geht vor modisch. Nur 21 Prozent kaufen das was aktuell Mode ist. Etwa 18 Prozent erwerben ausschlieβlich beste Qualität, fast genauso viele geben an, mit den gekauften Sachen die Unvollkommenheiten ihrer Figur kaschieren zu wollen. Ausgefallenes mag und kauft jeder zwölfte Pole. Jedem/jeder Fünfzigsten ist es vor allem wichtig mit seinem/ihrem Outfit das andere Geschlecht zu beeindrucken.

Etwa ein Fünftel der Polen sagen von sich, sie seinen modebewusst. Noch vor gut zehn Jahren waren es einige wenige Internetportale und bunte Zeitschriften, in denen sie sich über neue Trends informieren konnten. Inzwischen ist deren Zahl fast schon unüberschaubar geworden, und auch die Trends ändern sich wie in einem Kaleidoskop.

Promis machen Mode

Die meisten Fashion-Fans machen es sich inzwischen leichter, indem sie die Prominenz der Regenbogenmedien nachahmen. Auch polnische Modeportale sind dazu übergegangen vor allem darüber zu berichten, was Promis bei Modeschauen anhatten. Was sich der Modeschöpfer ausgedacht und gezeigt hat, wird nur am Rande oder gar nicht erwähnt.

Promis machen Mode.

Auch die Farbvorlieben sind inzwischen gut erforscht. Die meisten Polen mögen’s nicht so schrill. Bevorzugt werden Sachen in Schwarz, Dunkelblau, Anthrazit, Indigoblau, Violett, Karminrot. Bei Frauen kommt noch Braun in verschiedenen Schattierungen hinzu. Man traut sich eben nicht aufzufallen, so sehen es jedenfalls die polnischen Modefachleute.

Plakat des polnischen Auftritts auf der Berliner Fashion Week 2019.

Natürlich gibt es auch in Polen eine kreative Modeszene, die sich im Januar 2019 auf der Berliner Fashion Week wieder einmal von ihrer besten Seite gezeigt hat. „Wear polish“ hieβ der polnische Auftritt auf der BFW. Im polnischen Pavillon präsentierten führende polnische Marken ihre nachhaltigen und unter ökologischen Gesichtspunkten kreierten Produkte. Orska, Pat Guzik, Nago, Surplus, Szymańska, Wearso.organic sind junge, vielversprechende Designer, die herausragendes Schneiderhandwerk mit Kreativität verbinden und sich zumeist an zeitlosen, minimalistischen Trends orientieren.

Der Einfluss solcher Mode-Künstler auf die allgemeinen Kleidungsgepflogenheiten ist in Polen jedoch genauso gering wie überall sonst auf der Welt. Zudem gibt es, wie überall so auch in Polen, auf dem Bekleidungsmarkt, wie bereits beschrieben, Erscheinungen, die einen auch nur halbwegs der Anmut verpflichteten Menschen die Flucht ergreifen lassen, sobald er ihrer ansichtig wird.

Um wegzurennen braucht man Schuhe und die, so Marktanalysen und Umfragen, sind für jeden vierten Polen ausschlaggebend für sein Aussehen. Sportschuhe befinden sich dabei eindeutig auf dem Vormarsch. Längst werden Nikes, Adidas, Pumas und Convers auch zum Anzug und zum Kleid getragen. Dass sie bei Jugendlichen zu Kultobjekten werden, ist ein ganz anderes Paar Schuhe.

© RdP

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