Kaja Godek. Polens führende Pro-Life-Aktivistin im Portrait und im Gespräch.
Eine hübsche, weiche Schale umgibt einen granitharten Kern, in dem es keinen Platz gibt für Kompromisse, wenn es um das Lebensrecht ungeborener Kinder geht. Kaja Godek, Jahrgang 1982, Warschauerin und studierte Anglistin, ist die wohl bekannteste Gestalt der polnischen Pro-Life-Bewegung.
Kommt der heftige Abtreibungskonflikt in Polen zur Sprache, werden in den deutschsprachigen Medien ausnahmslos Befürworter der Tötung ungeborener Kinder mit viel bejahendem Engagement der Autoren portraitiert. Wer sich in Polen für das Leben einsetzt, das bleibt in diesen Berichten im Dunkeln. Es genügt ja, diese Gruppe allgemein als „katholische Extremisten“, „frauenfeindliche Eiferer“ oder gar als „Lebensfanatiker“ (!) in einem Nebensatz zu umschreiben. Dass „Fanatiker“ nicht wissen, was sie tun, und aus niedrigen Beweggründen agieren, versteht sich von selbst. Damit ist der Ausgewogenheit der Berichterstattung Genüge getan.
Darüber, ob Kaja Godek in dieses Schema passt, kann sich der Leser des nachfolgenden Gespräches mit ihr selbst eine Meinung bilden.
Wider die eugenische Abtreibung
Die Mutter von drei Kindern engagierte sich in der Pro-Life-Bewegung erstmals 2012, als sie zum zweiten Mal ein Kind erwartete. In Polen galt zu dieser Zeit, seit 1993, der sogenannte „Abtreibungskompromiss“.
Die Soziale Indikation, also im Grunde Abtreibung auf Wunsch, war ausgeschlossen. Ein ungeborenes Kind jedoch durfte getötet werden, wenn das Leben der Mutter bedroht sei, wenn es durch eine Vergewaltigung gezeugt wurde oder wenn es schwere Behinderungen aufwies.
Vor allem der dritte Abtreibungsgrund stieß bei Lebensschützern auf heftigen Widerspruch. Ein großer Teil der in Polen jedes Jahr zwischen 1000 und 1200 legal durchgeführten Abtreibungen nahm ungeborenen Kindern mit dem Down- und Turner-Syndrom das Leben. Behinderungen, mit denen man leben kann, wurden zum legalen Tötungsgrund.
Der Begriff „eugenische Abtreibung“ machte zunehmend die Runde, und mit Schaudern blickten viele in Polen auf Länder wie Dänemark, die sich dessen rühmen, dass bei ihnen bis zu 99 Prozent aller ungeborenen Kinder mit dem Down-Syndrom „rechtzeitig eliminiert“ werden. Die „Selektion“ ist beinahe perfekt.
Kaja Godek wusste sehr gut, wogegen sie protestierte. Eines ihrer Kinder hat das Down-Syndrom. Sie schloss sich zuerst einer der größten polnischen Pro-Life-Organisationen an: „Pro – Prawo do Życia“ („Pro – Recht auf Leben“). An ihrer Spitze steht Mariusz Dzierżawski (fonetisch Dserschawski), eine weitere herausragende Persönlichkeit unter den polnischen Lebensschützern.
Gemeinsam stellten sie 2013 vor dem Sejm eine Pyramide aus Kartons auf, darin 600.000 Unterschriften unter einer Bürger-Gesetzesinitiative. Ihre Gegner sprachen vom Abtreibungsverbot, das sie anstreben. Sie selbst sprachen vom Schutz des ungeborenen Lebens, das anderen hilflos ausgeliefert sei. Staat und Gesetz müssen ihm beistehen in einer Zeit, in der das Töten ungeborener Kinder sogar in der UNO immer öfter zu einem neuen „Menschenrecht“ erhoben wird, so ihre Argumentation.
Feuerprobe im Tollhaus
Werden mindestens 100.000 Unterschriften unter einer Bürger-Gesetzesinitiative gesammelt, muss das Parlament nach einer Debatte (erste Lesung) abstimmen, ob es die Initiative ablehnt oder an dem Gesetzentwurf in den Ausschüssen weiterarbeiten möchte.
Die bisher kaum bekannte Kaja Godek hielt am 23. September 2013, im Namen der Antragsteller, eine fulminante Rede im Sejm-Plenum, das mit jedem Satz, den sie aussprach, zunehmend einem Tollhaus glich. Sie ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, weder durch Fußstampfen, laute Buh-, Schmäh- und gehässige Zwischenrufe, durch das Poltern beim Verlassen des Saales unter Protest durch die Linke noch durch die ständigen Ermahnungen der Parlamentspräsidentin, sie möge nicht vom „Töten ungeborener Kinder“, sondern von „der Abtreibung“ sprechen.
Die Initiative wurde damals mit fünf Stimmen Mehrheit abgelehnt, aber ein selbstgeborenes rhetorisches und politisches Talent hatte die öffentliche Bühne betreten. Kaja Godek hat noch zweimal, im Juli 2016 (500.000 Unterschriften) und im November 2017 (830.000 Unterschriften in knapp drei Monaten zusammengetragen), Bürger-Gesetzesinitiativen gegen die Abtreibung im Sejm eingebracht.
Bittere Lehrstunden
Die Abgeordneten der seit 2015 regierenden Nationalkonservativen, die Godeks Rede von den Oppositionsbänken aus 2013 mit Standing Ovations honorierten, lehnten die beiden letzten Initiativen ab (2016) beziehungsweise bugsierten sie (2017) auf das tote Gleis eines parlamentarischen Sonderausschusses. Jetzt, da er an der Macht war, ging Jarosław Kaczyński die ganze Angelegenheit zu weit, war ihm politisch zu riskant.
Erst das Verfassungsgericht hat (nachdem es die Eingabe vier Jahre lang unbearbeitet ließ) auf Antrag von knapp einhundert Recht-und-Gerechtigkeit-Abgeordneten die eugenische Abtreibung am 22. Oktober 2020 aus dem „Abtreibungskompromiss“ von 1993 entfernt. Die nachfolgenden heftigen Proteste dagegen ebbten nach einigen Tagen ab.
Kaja Godek nahm auf diese Weise ihre bitteren Lehrstunden in Sachen Realpolitik. Auch als sie sich 2019, vor den Europawahlen, der nationalradikalen Partei Konfederacja (elf Abgeordnete) anschloss, in der Hoffnung, ihre Überzeugung ins Europäische Parlament tragen zu können. Ihre neuen politischen Freunde hatten aber nur ihre Popularität im Sinn. Godeks Überzeugungen waren ihnen eher ein Ballast. Man trennte sich schnell.
Ihre scharfe Zunge, ihre Schlagfertigkeit und mediale Gewandtheit, zugleich aber auch die Aura von Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit, die sie als Mutter eines Kindes mit dem Down-Syndrom umgibt, sind die Pfunde, mit denen sie wirkungsvoll wuchert.
Der Preis des Erfolgs
Seit 2016 leitet sie ihre eigene Pro-Life-Initiative, die Stiftung „Rodzina i Życie“ („Familie und Leben“). An Volontären fehlt es nicht und mit dem beachtlichen Spendenaufkommen aus dem großen konservativen Teil der polnischen Gesellschaft lassen sich spektakuläre Aktionen finanzieren. Gemeinsames Rosenkranzbeten und Mahnwachen vor Krankenhäusern, in denen Abtreibungen vorgenommen werden. Gezeigt werden dabei plakatwandgroße, farbige Transparente, auf denen makabre Fotos von zerstückelten Kinderleibern zu sehen sind, die aus dem Mutterschoß herausgerissen wurden. Immer wieder landesweite Unterschriftensammlungen, Flugblattaktionen, Medienkampagnen.
In ihrer Verteidigung der traditionellen Familie lehnt sich Kaja Godek, gerade in der Zeit der um sich greifenden politischen Korrektheit, immer wieder sehr weit aus dem Fenster. Als am 30. Mai 2018 während einer heftigen Fernsehdebatte im TV-Sender Polsat Plus, in Bezug auf die Homosexualität, aus ihrem Mund das Wort „Abartigkeit“ fiel, wurde sie von sechzehn Homosexuellen wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte verklagt. Da die Kläger jedoch nicht nachweisen konnten, dass sich Godeks Aussage auf sie persönlich bezog, hat das Warschauer Kreisgericht am 12. Januar 2021 die Klage abgewiesen.
Das LGBT-Milieu zahlt es ihr mit gleicher Münze heim. Wirkungsvoll in dem, was sie tut und was sie vertritt, ist Kaja Godek in ihren Augen ein schwer bezwingbarer Gegner, der seinen Weg geht und sich nicht einschüchtern lässt. Unermesslich sind daher der Hohn, Spott, sind die Schmähungen, mit denen sie in den sozialen Medien überzogen wird. „Jeder Erfolg hat seinen Preis“, so ihr Kommentar dazu.
„Es gibt nichts zu entscheiden.“ Kaja Godek im Gespräch
Was ging in Ihnen vor, als Sie erfuhren, dass Sie höchstwahrscheinlich ein Kind mit dem Down-Syndrom zur Welt bringen werden?
Ich habe eine Überweisung zu einem Screening bekommen und war weit davon entfernt anzunehmen, dass es irgendwelche Defekte meines Kindes aufdecken wird. Das war für mich eine weitere Routineuntersuchung, die während der Schwangerschaft gemacht wird. Das Ergebnis hat leider den Verdacht auf einen Defekt zutage gebracht.
Schon während der Überprüfung habe ich gespürt, dass es Probleme gibt. Der Arzt war sehr zugeknöpft. Als er anschließend das Resultat mit mir besprach, sagte er, dass man zur Sicherheit eine invasive Untersuchung machen könne, um alle Zweifel zu zerstreuen.
Ich und mein Mann, wir waren damals in einer Situation, in der wir uns überhaupt nicht vorstellen konnten, ein behindertes Kind großzuziehen.
Warum?
Wir waren ein junges Ehepaar, das früh geheiratet hat, noch während des Studiums. Als ich schwanger wurde, schrieb mein Mann gerade seine Magisterarbeit. Wir hatten nichts. Null Lebensstabilität. Die Schwangerschaft betrachteten wir als ein großes Glück, aber wir wussten auch, dass es nicht einfach sein würde. Ein behindertes Kind kam also überhaupt nicht infrage. Mein Kopf war voll mit Denkschablonen von einer lebenslangen Versklavung und davon, dass ich daran zugrunde gehen würde.
Sie hatten Angst um ihre Familie und sich selbst.
Ja. Ich bewundere Mütter, die behaupten, sie hätten sich damit sofort abgefunden. Ich war entsetzt. Es hat mich belastet. Ich konnte mich in dieser Situation nicht zurechtfinden.
Als wir davon erfuhren, haben mein Mann und ich angefangen abzuwägen, ob es sich lohnt, eine invasive Untersuchung zu riskieren, die ja mit einer Fehlgeburt enden kann. Zum Schluss sagten wir uns, dass ein halbes Jahr der Belastung und des Rätselns, ob ein gesundes Kind zur Welt kommt, dem Kind noch mehr schaden wird. Ich habe mir gesagt: „Du gehst zu dieser Untersuchung. Ganz sicher wird sich herausstellen, dass es falscher Alarm war und die Sache ist ausgestanden“.
Es war kein falscher Alarm.
Als endgültig feststand, dass ich ein Kind mit dem Down-Syndrom gebären werde, war ich fünfundzwanzig Jahre alt und meine Welt brach ganz und gar zusammen. Ich war überzeugt, dass ich diese Last nicht stemmen werde. Ich war weit entfernt davon zu denken, es geschieht etwas Grandioses, etwas Wunderbares, und ich werde dieses Kreuz heldenhaft schultern, werde mich diesem einzigartigen Kind widmen, es allen und vor allem mir selbst beweisen, was für eine außergewöhnliche Mutter ich sei.
Ich hatte nicht im Entferntesten solche Gedanken. Deswegen verstehe ich Frauen, die in einer solchen Lage in Verwirrung und Aufregung geraten. Ich kenne das sehr gut.
Was dachten Sie vor der Schwangerschaft über die Abtreibung?
Ich war immer dagegen. Der Mensch entsteht im Augenblick der Zeugung. Ich habe nie daran gezweifelt, dass man ungeborene Kinder niemals töten darf.
Und das unabhängig vom Glauben?
Ja. Der Widerspruch gegen das Töten ungeborener Kinder war für mich ein Gebot der Vernunft, der Moral und eine logische Schlussfolgerung. Was nichts daran änderte, dass ich, als ich von der Behinderung meines Kindes erfuhr, es Gott sehr übel nahm.
Ich habe mit Ihm nicht mehr geredet. Ich habe betont geschwiegen, als es bei der Heiligen Messe galt, dem Priester laut nachzusprechen. Ich stand auf, wenn alle aufstanden, ich setzte mich, wenn alle sich setzten, um keine Verwirrung zu stiften, aber ich habe geschwiegen. Ich habe Gott gesagt: „Du hast es mir angetan. Deswegen werde ich nicht mit Dir reden“.
Und was hat Gott dazu gesagt?
Er gab mir mein Kind und der Unfug war vorbei.
Haben die Ärzte versucht, Sie zur Abtreibung zu überreden?
Als Erstes fiel mir die Veränderung der Sprache auf, die sie verwendeten. Am Anfang der Schwangerschaft bekam ich zu hören, mein Kind sei schon fünf Millimeter groß, dann fünf Zentimeter. Als aber feststand, dass es das Down-Syndrom haben werde, dann war es nur noch ein Fötus. Es war nicht krank, es hatte einen „anomalen Karyotyp“. Sie sagten nicht, ich werde einen Jungen zur Welt bringen, sondern „einen Fötus mit einem männlichen Karyotyp“.
Sie haben Ihr Kind sprachlich entmenschlicht.
Ich glaube, sie wollten mich so auf die Abtreibung vorbereiten. Also haben sie aufgehört, Begriffe zu verwenden, die eine gefühlvolle Bindung an das Kind stärken könnten.
Als ich die Down-Syndrom-Diagnose bekam, war ich am Ende des vierten Monats schwanger. Die Ärzte sagten mir, dass die Situation nicht die schlechteste sei, weil man noch abtreiben könne. Ich sei noch jung, die Diagnose kam früh genug, „wir können Sie noch retten“. Als ich den Kopf schüttelte, sagten sie: „Ja, das ist schwierig, aber manchmal muss man eben ganz einfach eine Schwangerschaft beenden. Sie sollten sich an diesen Gedanken gewöhnen.“
Wie haben Sie reagiert?
Abtreibung kam für mich schlichtweg nicht infrage. Ich habe sofort abgelehnt. Es hat mich aufgebracht, dass sie mir überhaupt so etwas vorgeschlagen haben, aber ich war nicht in der Lage, mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich war psychisch am Ende. Obwohl ich abgelehnt hatte, haben die Ärzte ständig Andeutungen gemacht, dass man solche Schwangerschaften abbrechen sollte, und wenn jemand das nicht tun wolle, dann sei das eine Laune.
So war es bis zum Schluss, sogar als ich mit Geburtswehen ins Krankenhaus kam. Die Hebamme schaute in die Unterlagen und fragte verwundert: „Haben Sie nicht gewusst, dass man das hätte anders handhaben können?“
In einem Augenblick, wenn Du gleich ein krankes Kind zur Welt bringen sollst, von dem man nicht weiß, in welchem Zustand es sein wird, stellt sie so eine Frage. Es war eine Dreistigkeit ohnegleichen. Aber was soll man von einer Person erwarten, die mal einer Geburt, mal einer Abtreibung beiwohnt? Für sie ist es das Normalste von der Welt, ein Kind töten.
Was hat Sie an der Aussicht, ein Kind mit dem Down-Syndrom großzuziehen, am meisten erschreckt?
In meinem Kopf schwirrten die verschiedensten Gedanken. Ich hatte Angst, dass das Geld knapp werden könnte, dass wir das tagtägliche Leben nicht auf die Reihe bekommen werden, dass alle mit dem Finger auf mein Kind zeigen und sagen werden: „Was für ein hässliches Kind“. Wenn ich draußen jemanden mit dem Down-Syndrom sah, habe ich die Straßenseite gewechselt. Ich konnte mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass ich ein solches Kind unter meinem Herzen trage.
Hatten Sie Augenblicke der Schwäche und haben die Abtreibung doch in Erwägung gezogen?
Nein, niemals. Hier gab es nichts zu entscheiden. Das Ergebnis einer Schwangerschaft ist die Geburt eines Kindes.
Ich habe es sehr übel genommen, dass man mich ständig darauf ansprach. Ich musste gerade mit einer sehr schweren Situation fertig werden, und die erzählten mir ständig etwas von ihrer Abtreibung.
Es verging die achtzehnte, neunzehnte, zwanzigste Woche. Das Kind bewegte sich. Ich habe es gespürt. Mein Mann und ich haben uns angeguckt und konnten es nicht fassen, dass man es immer noch ganz legal töten konnte.
Was hat Ihnen in dieser Situation die Kraft zum Durchhalten verliehen?
Ein Durchbruch war das Treffen mit einer Frau, die ein Kind mit dem Down-Syndrom adoptiert hatte. Ich habe den Jungen in die Arme genommen und er lächelte mich an. Es kam mir vor, als gäbe mir mein Kind so zu verstehen: „Mutti, ich lächle Dich an“.
Ich war sehr überrascht, als Wojtek zur Welt kam. Ich hatte ein Aussehen, ein Verhalten erwartet, die man mit dem Down-Syndrom verbindet. Indessen geschah etwas Unerwartetes. Ich sah, dass mein Kind die Augen vom Papa hat, dass seine Gesichtshaut sehr zart ist. Kurzum, ich habe all die Einzelheiten gesehen, die eine Mutter an ihrem Kind gleich nach seiner Geburt entdeckt.
Ja, es gab viele Probleme. Es war mein erstes Kind, zudem eines, das einer ganz besonderen Fürsorge bedurfte. Vieles habe ich nicht gewusst, nicht gekonnt und ich habe Fehler gemacht. Doch die Liebe zum Kind hat mir den Rücken gestärkt. Es gab nie einen Augenblick, an dem ich wollte, dass es ihn nicht gibt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er nicht da sein könnte.
Außer Wojtek haben Sie noch zwei Töchter.
Unsere Kinder sind emotional sehr miteinander verbunden. Wenn eins nicht da ist, sagen die anderen beiden, sie haben Sehnsucht. Aus der heutigen Perspektive denke ich mir, dass heute ein wichtiger Bestandteil unserer Familie fehlen würde, wenn ich so dumm gewesen wäre abzutreiben. Eine Lücke würde klaffen.
Wie ist es, Mutter eines Kindes mit dem Down-Syndrom zu sein?
Es gibt eine verbreitete, aber von Grund auf falsche Überzeugung, dass eine solche Mutter eine Rolle zu spielen habe. Aber ich bin ich. Ich habe meine Interessen. Ich bin außerhalb der Familie sehr aktiv. Meine Kindererziehung entspricht sicherlich nicht dem Ideal, aber ich erziehe sie so gut ich kann. Ich reife dank ihnen. Durch ihr Dasein bringen sie mir gutes Organisieren bei, die Fähigkeit, viele Aufgaben auf einmal zu bewältigen. Ich lerne durch sie, Situationen schnell und nüchtern einzuschätzen, flexibel zu reagieren. Das kommt mir auch außerhalb der Familie zugute.
Ich habe gelernt einige von Wojteks Problemen zu lösen und damit zu leben, dass ich andere Probleme, die er hat, nie werde lösen können. Ich will nicht behaupten, dass Kinder mit dem Down-Syndrom so sind wie alle anderen Kinder. Sie haben ihre eigenen Verhaltensweisen und Anforderungen, und sie haben ein Recht darauf. Es gibt bei ihnen krankheitsbedingte Entwicklungsgrenzen, die man nicht überwinden kann.
Wie ist Wojtek?
Wir, die Mütter von Kindern mit dem Down-Syndrom, müssen ständig beweisen, dass unsere Sprösslinge okay sind. Die Abtreibungsbefürworter wollen hören, wie sehr wir leiden. Die Befürworter des Lebens wollen hören, wie schön es ist.
Und wie ist Ihre realistische Einschätzung?
Ich bin von Wojtek eingenommen. Er ist super! Man muss aber eine Einschränkung machen. Der Mensch hat ein Recht auf Leben, auch wenn er nicht super ist.
Mein Sohn ist zwölf Jahre alt, aber wegen seiner Krankheit ist er nicht so wie ein gewöhnlicher Zwölfjähriger. Dafür hat er ein großes Bedürfnis der Nähe. Er braucht viel Umgang mit Menschen. Wenn er aus der Schule kommt und mich von Weitem sieht, schreit er lauthals „Mutti, ich liebe dich!“. Wenn er früh aus dem Haus in die Schule geht, dann sagt er, dass er Sehnsucht nach mir haben wird. Ich zeichne ihm daraufhin mit dem Kugelschreiber ein Herz auf die Hand und sage: „Wenn Du traurig bist, schaue auf das Herz von Mutti“.
Er verehrt den Fußball, liest Bücher über Fußballer, trägt Socken in den Farben seines Lieblingsfußballclubs. Er hat auch Launen. Kinder mit dem Down-Syndrom können sehr stur sein, in Rage geraten. Oft jedoch ist er sehr fröhlich, vor allem wenn er mich überreden will, ihm eine Cola bei McDonald’s zu spendieren. Dann ist er sehr schlitzohrig. Er erinnert mich sofort daran, dass er sein Zimmer schön aufgeräumt hat und eine Belohnung verdient. Wenn Probleme auftreten, dann werde ich sofort mit dem Down-Syndrom konfrontiert, aber im Alltag vergessen wir es schnell.
Warum haben Sie sich in der Pro-Life-Bewegung engagiert?
Ich habe Wanda Nowicka gehört, wie sie im Namen von Müttern behinderter Kinder sprach. Wie dramatisch ihr Schicksal sei und dass die Abtreibung, also die Tötung eines behinderten Kindes, die beste Lösung sei.
Konkret ging es um ein ungeborenes Kind, das die Ärzte in Poznań nicht töten wollten. Ein Krankenhaus in Warschau hat es daraufhin getan. Nowicka ging vor die Medien, um das in ihrem Sinne zu kommentieren. Wieso eigentlich? Umso mehr als gerade herauskam, dass sie von Abtreibungsfirmen bezahlt wurde. Einen solchen Anwalt will ich als Mutter eines Kindes mit dem Down-Syndrom nicht.
(Anm. RdP: Wanda Nowicka, Jahrgang 1956, ist eine der führenden Gestalten der polnischen Bewegung der Befürworter der Abtreibung auf Wunsch. Politikerin der postkommunistischen Linken, zwischendurch auch anderer ihr nahestehender Parteien und Bewegungen. Sejm-Abgeordnete 2011-2015 und seit 2019.
Im Jahre 2009 wurde bekannt, dass die von Nowicka geleitete feministische Föderation für Frauen und Familienplanung (Federa) Spenden von ausländischen Herstellern von Abtreibungsbesteck und Abtreibungspillen bekommen habe. Aus diesen Geldern wurden bei der Federa Gehälter gezahlt.
Gerichte urteilten 2011 (erste Instanz) und 2012 (zweite Instanz), dass es rechtens sei zu behaupten, Nowicka handle nicht aus ideellen, sondern aus materiellen Gründen und „stehe auf den Gehaltslisten internationaler Abtreibungskonzerne“ – Anm. RdP).
Kaja Godek (Fortsetzung): Es ging darum, laut zu sagen, dass man, egal welche großen Probleme ein Kind bereitet, es deswegen nicht umbringen darf.
Ja, die Aussicht, ein solches Kind zur Welt zu bringen, verursacht viel Angst, viel Stress, aber am Ende kommt man damit ins Reine. Es passiert oft, dass ich die Kinder von der Schule abhole und wir im Stau stehen. Ich gucke in den Rückspiegel, sehe meine drei in den Kindersitzen, wie sie miteinander herumalbern und hebe buchstäblich ab vor Freude. Alle sind da, niemand fehlt, niemandem wurde Leid angetan. Wir wissen nicht, was uns erwartet, aber wir wissen, dass wir zusammenhalten werden. Wir haben einander.
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RdP
Das Gespräch, das wir, mit freundlicher Genehmigung, leicht gekürzt wiedergeben, erschien im Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“) vom 27. Dezember 2020.