Polen oder die Freiheit, mit Bargeld zu zahlen

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Bis jetzt wird sie erfolgreich verteidigt.

Unter den vielen Gedenk- und Aktionstagen, die es auch in Polen gibt, wird am 16. August der Tag des Bargeldes begangen. Im Jahr 1794 wurden an diesem Datum die ersten polnischen Banknoten in Umlauf gebracht.

Die Umstände waren, wie so oft in der polnischen Geschichte, dramatisch.  Seit Mitte März 1794 kämpfte das russisch besetzte Restpolen um seine Existenz. Unter der Führung von General Tadeusz Kościuszko stellte sich das gemeine Stadt- und Landvolk an der Seite der wenigen regulären Truppen gegen die preußische, russische und österreichische Übermacht. Vorausgegangen war die zweifache (1772 und 1793) Zerstückelung Polens durch Preußen, Russland und Ӧsterreich (1.Teilung) sowie Preußen und Russland (2. Teilung).

Unter den ersten polnischen Banknoten war auch ein Einzlotyschein

Nach einigen wenigen gewonnenen Schlachten geriet der Aufstand immer mehr in die Defensive. Mitte Juli 1794 begann die zweimonatige, vorerst erfolgreich abgewehrte preußisch-russische Belagerung Warschaus. Weil es in der Stadt kein Gold und Silber mehr gab, um Münzen zu prägen, ließ der Oberste Nationale Rat Banknoten im Wert von 5 und 10 Groszy sowie 5, 10, 25, 50, 100, 500 und 1000 Zloty drucken. Insgesamt waren damals knapp elf Millionen Papierzloty, „gedeckt durch nationale Güter”, wie es hieß, in Umlauf und gewährleisteten so den Zahlungsverkehr.

Den ersten polnischen Banknoten war nur ein kurzes Dasein beschieden.  Auf die Niederlage und Kapitulation des Aufstandes im November 1794 folgte im Januar 1795 die dritte Teilung und damit das staatsrechtliche Ende Polens für 123 Jahre.

Die zum Portemonnaie greifende Minderheit und ihre Rechte

Am Tag des Bargeldes gibt es keine Feierlichkeiten, aber er bietet bargeldfreundlichen Politikern und Medien die Gelegenheit, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, möglichst alle Münzen und Scheine in vollem Umfang beizubehalten. Das ist erforderlich, denn auch in Polen gibt es immer wieder viel diskutierte Überlegungen und Vorstöße gegen das Bargeld.

Im Jahr 2022 wurden in Polen 52,9 Prozent aller Zahlungen im Einzelhandel mit Karte und 46,4 Prozent bar getätigt. Somit befindet sich die elektronische Zahlungsweise eindeutig auf dem Vormarsch, umso mehr aber pocht die vorzugsweise zum Portemonnaie greifende Minderheit auf ihre Rechte.

Bargeldverteidigung. Plakat

Aus ihrer Sicht wird mit jeder Bargeldreduzierung dem Bürger die Möglichkeit geraubt, sich staatlicher Kontrolle zu entziehen. Bargeldtransaktionen schützen die Privatsphäre. Banknoten und Münzen sind außerdem die einzigen Geldformen, die ohne einen Vermittler gehalten werden können. Mit ihnen bezahlt man nicht nur in Echtzeit, sondern hat auch ständig die Kontrolle darüber, wie viel Geld ausgegeben wird. Es gibt keine bessere Art, finanzielle Disziplin zu üben, als zu sehen, wie die Geldbörse immer dünner wird.

Bargeldverteidigung. Buch. Titel: „Bargeld ist Freiheit“ Darunter: „Warum lohnt es sich, mit Bargeld zu bezahlen und elektronisches Zahlen einzuschränken?“. Autor: Rafał Ganowski.

An eine völlige Abschaffung des Bargeldes wird in Polen zwar nicht gedacht, sehr wohl gibt es aber immer wieder amtliche und privatwirtschaftliche Ideen, die zu einer schleichenden teilweisen Verdrängung des Bargelds führen würden.

Die Kleingelddebatte

Bereits 2009 und 2013, zu Zeiten der Tusk-Regierung, erwog die damalige Leitung der Polnischen Nationalbank (NBP), die Ein-, Zwei- und Fünfgroszymünzen aus dem Umlauf zu nehmen. Die Herstellungskosten überstiegen ihren Nominalwert. Den Menschen seien sie angeblich nur lästig, zu Hause wurden sie in Gläsern, Dosen, Kästchen und Schachteln gehortet. Die kleinen Münzen verschwinden zudem massenhaft auf Nimmerwiedersehen in Ritzen, Schlitzen, Fugen und Spalten von Möbeln, Autos und Gehwegen.

Angesichts der vielen „krummen Preise” bemängelt der Einzelhandel jedoch immer wieder das Fehlen des Kleingeldes. Allein im Jahr 2022 hat die Nationalbank 319 Millionen Eingroszy-, 42 Millionen Zweigroszy- und 109 Millionen Fünfgroszymünzen nachgeliefert. Geschätzt müssten allein 5,5 Milliarden Eingroszymünzen im Umlauf sein, doch ein beachtlicher Teil davon schlummert dauerhaft in den Haushalten und in der Natur vor sich hin.

In der damaligen Kleingelddebatte wurde auch auf die Beispiele Tschechiens, der Slowakei (noch vor der Einführung des Euro) und Ungarns verwiesen. Die Tschechen rangierten zwischen 2003 und 2007 ihre Zehn-, Zwanzig- und  Fünfzighellermünzen aus, die Slowaken die ersten beiden und die Ungarn alle Filler- sowie die Ein- und Zweiforintmünzen.

Letztendlich überwog in Polen die Angst davor, der Handel würde massenweise die Preise aufrunden und so die Inflation befeuern. Um Kosten zu sparen, ersetzt die Nationalbank seit März 2014 bei der Herstellung des kleinsten Hartgeldes das teure Manganmessing durch messingbeschichteten Stahl, ohne das Aussehen der Münzen zu verändern.

Wer bar bezahlte, sollte Schuldgefühle haben

Bis Ende 2015 wurde von offizieller Seite der bargeldlose Zahlungsverkehr eindeutig bevorzugt. Vorhaben des Handels, der Banken und verschiedener Dienstleister, durch Einschränkungen und Nachteile die „uneinsichtige” Bargeldkundschaft von ihrem „leidigen” Hang abzubringen, wurden von staatlicher Seite wohlwollend hingenommen, obwohl heute noch knapp 60 Prozent aller über sechzigjährigen Polen keine Kreditkarten benutzen.

Bargeldverteidigung. Plakat. Oben: „Lasst uns das Bargeld verteidigen“. Darunter (1. Handyzeile): „Bank Deiner Zukunft“, links unten „Konto gesperrt“, rechts unten Name des Inhabers: „Jan Sklave“

Unter diesem Trend zu leiden hatten vor allem ältere, arme, weniger gebildete Menschen, die zum Beispiel nicht mehr wie früher ihre Mieten, Gas- und Stromrechnungen direkt und ohne Provision an den Schaltern der Wohnungsgenossenschaften bezahlen konnten. Diese Schalter wurden geschlossen und wer online zahlte, bekam einen Rabatt. Kunden ohne Karte und Homebanking konnten sich an den Postschaltern anstellen, wo für jede Überweisung hohe Gebühren kassiert werden. Hier und da gab es Geschäfte, die Kartenzahlern kleine Rabatte einräumten, und solche, die sie am Eingang ausdrücklich willkommen hießen. Wer bar bezahlte, war lästig, sollte womöglich Schuldgefühle haben.

Die Bargeldbefürworter und ihre Erfolge

Die Lage änderte sich nach dem Wahlsieg der Nationalkonservativen im Herbst 2015 und der Wahl ihres Kandidaten, Prof. Adam Glapiński im Juni 2016 zum Präsidenten der Polnischen Nationalbank. Glapiński ist ein eindeutiger Bargeldbefürworter. Während die Europäische Zentralbank den Fünfhunderteuroschein aus dem Verkehr zog, brachte Glapiński Anfang 2017 den Fünfhundertzlotyschein in Umlauf. Immer wieder sprach er sich auch gegen die Benachteiligung von Bargeldzahlern aus.

Nationalbankpräsident Adam Glapiński

Gekrönt wurde Glapińskis Engagement durch eine von ihm angeregte Novelle zum Finanzdienstleistungsgesetz (Ustawa o usługach płatniczych), die der Sejm im August 2021 verabschiedete.

Sie besagt:

  1. Der Verkauf von Waren und Dienstleistungen darf nicht von einer bargeldlosen Zahlung abhängig gemacht werden.
  2. Die Annahme einer Barzahlung bis zu 5.400 Zloty (ca. 1.200 Euro – Anm. RdP) darf nicht verweigert werden.
  3. Es dürfen keine Gebühren auf Barzahlungen erhoben und keine Preisunterschiede zwischen Bar- und Kartenzahlungen gemacht werden.

Ausnahmen sind: Geschäfte im Internet, Orte, an denen ein Verkauf ohne Personal stattfindet, Massenveranstaltungen, bei denen vorher auf die Ausschließlichkeit bargeldloser Zahlungen hingewiesen wurde.

Einen weiteren Sieg konnten die Bargeldbefürworter Mitte Juni 2023 davontragen. Im umfangreichen Regelwerk zu einem Wirtschaftsförderungsprogramm brachten Beamte des Finanzministeriums Ende 2022 diskret zwei Bestimmungen unter, die die Verwendung von Bargeld deutlich eingeschränkt hätten.

Justizminister Zbigniew Ziobro setzt sich für das Bargeld ein

Zum einen sollte das Limit für Bargeldgeschäfte von 15.000 Zloty (ca. 3.300 Euro) auf 8.000 Zloty (ca. 1.800 Euro) gesenkt werden. Zum anderen war geplant, bei Geschäften, deren Gesamtwert 20.000 Zloty (ca. 4.400 Euro) übersteigt, auch wenn die Zahlungen regelmäßig unbefristet getätigt werden (z.B. beim Mieten von Wohnungen), nur das Zahlen per Überweisung, Dauerauftrag oder Einzugsermächtigung zu erlauben.

Das Vorhaben rief Justizminister Zbigniew Ziobro auf den Plan. Auf sein Betreiben wurden beide Bestimmungen bei der Verabschiedung des Förderprogramms durch den Sejm verworfen. Die alten Limits blieben in Kraft.

Plakat. „Verteidige das Bargeld“.

Auch in Polen erheben sich zahlreiche Stimmen, das Recht auf Bargeldzahlungen in der Verfassung zu verbriefen und so dem Beispiel der benachbarten Slowakei zu folgen, die den Euro seit 2009 als Zahlungsmittel verwendet. Das Land macht sich Sorgen, die geplante Einführung des digitalen Euro könnte der Anfang vom Ende des Bargeldes sein. Doch beim genaueren Hinschauen erweist sich das slowakische Vorbild als sehr fraglich. Denn es wurde dort eine Verfassungsbestimmung geschaffen, die sich selbst widerspricht. Während das Recht des Käufers auf Barzahlung geschützt wird, wird zugleich dem Verkäufer die Möglichkeit eingeräumt, die Annahme von Bargeld aus legitimen Gründen, die sich sehr weit auslegen lassen, zu verweigern.

Ob Ӧsterreich und die Schweiz, wo es ähnliche Absichten gibt, es besser machen werden? In Polen jedenfalls ist an eine Verfassungsänderung vorerst nicht zu denken. Die „totale” Opposition, wie sie sich selbst nennt, die aus Prinzip wahl- und ausnahmslos alles, was die nationalkonservative Regierung tut, ablehnt, würde auch in diesem Fall die Zusammenarbeit verweigern. Und für eine Verfassungsänderung braucht es auch in Polen eine Zweidrittelmehrheit.

Tatsache bleibt, dass die Freiheit, mit Bargeld zu bezahlen, ein kostbares Gut ist, das man wachsam im Auge behalten muss. Wie zum Beispiel in Polen.

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