Deutsche Jugendämter, polnische Klagen

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Und weg ist das Kind.

Im Dezember 2018 veröffentlichte RdP einen umfangreichen, seinerzeit viel gelesenen und kommentierten Beitrag über den Umgang deutscher Jugendämter mit polnischen Kindern und deren Eltern. (Den Link zu diesem Bericht  finden Sie am Ende dieses Beitrags). In den letzten fünf Jahren hat sich an den Verhältnissen, die, wie es sich zeigt, nicht nur in Deutschland lebende Polen betreffen, leider nichts geändert. Deswegen greifen wir das Thema erneut auf.

Gespräch mit Kosma Złotowski, Mitglied des Europäischen Parlaments.

Kosma Złotowski, geboren 1964. Politiker der Partei Recht und Gerechtigkeit. 1990 bis 1994 Journalist. 1994 bis1995 Stadtpräsident von Bydgoszcz/Bromberg, 1997 bis 2001 und 2011 bis 2014 Abgeordneter des Sejm. 2004 bis 2010 Mitglied des Senats (obere Parlamentskammer). Seit 2014 MdEP.

Der Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments (PETI) hat im Anschluss an eine Reise nach Deutschland, bei der er die Tätigkeit der Jugendämter unter die Lupe genommen hat, einen Bericht angenommen, den Sie mitverfasst haben.

Seit Jahren erhält der Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments Informationen und Gesuche von verzweifelten Eltern, denen die deutschen Jugendämter und Familiengerichte Unrecht angetan haben. Die Zahl und die Gewichtigkeit der Klagen ist so groß, dass beschlossen wurde, eine Mission des PETI-Ausschusses nach Deutschland zu schicken, um die Situation vor Ort zu erkunden und die uns zugegangenen Informationen, zu überprüfen.

Die Mission hatte es leider nicht einfach. Deutsche Behörden, bei denen wir vorgesprochen haben, zeigten sich völlig ahnungslos, behaupteten, sie wüssten nichts von den Entgleisungen der Jugendämter und hätten keine Kenntnis von den Fällen, die wir ihnen vorlegten. Das lähmte von Anfang an unsere Arbeit, weil wir, ohne die Position der deutschen Behörden zu kennen, die in der Kritik stehenden Maßnahmen nicht überprüfen und nicht beurteilen konnten.

Auf der einen Seite sind die Eltern, die uns erschütternde Geschichten erzählten. Sie verglichen die Art und Weise, wie ihnen ihre Kinder weggenommen wurden, mit Entführungen. Kinder, die ohne Bedenken von ihren Eltern hätten erzogen werden können, landeten bei Fremden.  Auf der anderen Seite hatten wir die deutschen Behörden, die uns offensichtlich auf die Schnelle abspeisen wollten, sich offenbar nicht einmal die Mühe gemacht hatten, sich ausreichend auf unsere Gespräche vorzubereiten.

Diskriminieren deutsche Behörden und Gerichte Kinder ausländischer Herkunft und deren Eltern?

Das geht aus allen Beschwerden hervor, die beim Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments eingegangen sind. Auch in Polen ist dieses Problem nicht unbekannt. Wir wissen, dass die Familiengerichte in Deutschland sich praktisch in allen Fällen auf die Seite der Jugendämter stellen. Die Eltern haben vor den Gerichten das Nachsehen, vor allem, wenn sie Ausländer sind. Dabei spielt die Nationalität eigentlich keine Rolle. Ob  Rumänen, Polen oder Franzosen, allen werden fast schon obligatorisch die Kinder weggenommen. Wer kein Deutscher ist und Kinder hat, der sollte sich vor den Jugendämtern und Familiengerichten sehr in acht nehmen.

Wie viele Beschwerden gehen bei Ihnen ein?

Das ist kein Thema, das erst in letzter Zeit aufgetaucht ist. Seit gut zwanzig Jahren gehen in jeder Legislaturperiode des Europäischen Parlaments Dutzende, wenn nicht Hunderte von Beschwerden ein. Schon in der letzten Legislaturperiode des EP wurde eine Parlamentariermission nach Deutschland geschickt, um die Situation zu untersuchen. Da sich seither nichts geändert hat, wurde jetzt eine weitere Mission erforderlich.

Wie erklären die Deutschen ihr Vorgehen?

Sie verstecken sich immer hinter den in ihrem Land geltenden Gesetzen. Sie sagen, dass diese nie übertreten werden, und dass die Kindesentnahmen von Gerichten überwacht werden. Rein formell gesehen ist das alles richtig. Nur sind die diesbezüglichen deutschen Gesetze und Vorgehensweisen eindeutig familienfeindlich. Die Praxis weist zudem eindeutig auf eine unterschiedliche Behandlung von rein deutschen gegenüber ausländischen Familien, beziehungsweise solchen mit einem ausländischen Elternteil, hin.

Haben sich die dortigen Beamten wirklich nichts vorzuwerfen?

Nein, denn für sie zählt nur, dass sie sich an das geltende Recht halten, und das erlaubt ihnen oft, sehr willkürlich einzuschreiten. Sie sagen, sie tragen Sorge für das Wohl des Kindes und das sei ja auch der Hauptzweck der Arbeit der Jugendämter. Dieses Kindeswohl ist jedoch so definiert, dass es dem Kind grundsätzlich in einem Waisenhaus oder bei einer Pflegefamilie viel besser geht, als bei seinen Eltern.

Der Begriff des Kindeswohls ist offensichtlich zu weit gefasst. Gibt es Empfehlungen, Hinweise an die Deutschen, ihre Gesetze anders zu fassen?

Im Anschluss an die neueste Mission in Deutschland, hat der Petitionsausschuss einen Bericht zu dem Thema angenommen. Er enthält eine Reihe von Empfehlungen, aber leider fand sich in dem Dokument kein Platz für eine eindeutige Forderung an Deutschland, die natürlichen Rechte der Familie zu achten. Es wurden zwar Forderungsvorschläge zu diesem Thema gemacht, aber es fand sich keine Mehrheit, um sie in den Bericht einzubringen.

Der deutsche Druck hinter den Kulissen war sehr wirksam und hat das verhindert. Generell kann man sagen, dass deutsche Abgeordnete aller Couleur im Europäischen Parlament an vorderster Front stehen, wenn es darum geht, die moralische Keule zu schwingen, Resolutionen gegen andere Länder zu verfassen und zu verabschieden. Wir in Polen, können ein Lied davon singen. Die Abgeordneten halten sich aber strikt an Anweisungen aus Berlin, die sie diskret über die einzelnen Parteischienen erreichen. So muss es auch in diesem Fall gewesen sein. Und die Möglichkeiten mit Versprechungen oder angedeutetem Liebesentzug Mehrheiten aufzubauen, sind angesichts der deutschen Dominanz in Europa groß.

Aus der Sicht des Petitionsausschusses ist also alles in Ordnung. Wir sind hingefahren, wir haben einen Bericht verfasst, der aber Deutschland in dieser Hinsicht nicht wehtut. Und ich bin sicher, dass bald neue Klagen und Beschwerden eingehen werden, in denen weitere schockierende Fälle über die Zerstörung von Familien beschrieben werden. Dann wird es eine weitere PETI-Mission geben, und die Deutschen werden uns wieder sagen, dass sie zu den von uns vorgelegten Fällen nicht Stellung nehmen können, weil sie sich nicht darauf vorbereitet haben und die Fälle nicht kennen. Und der Kreis wird sich wiederum schließen, so wie er sich nach den ersten beiden Missionen geschlossen hat.

Kann das Europäische Parlament in dieser Frage wirklich nichts mehr tun?

Es kann, aber das ist, wie ich gerade geschildert habe, sehr schwierig.  Deshalb sollte jeder, der die Möglichkeit dazu hat, das Thema lautstark ansprechen. Nur ein massiver internationaler Druck kann zu Veränderungen führen.

Seit Jahren berichten Eltern massenhaft, dass die Beamten der Jugendämter ihren Kindern nicht erlauben, in ihrer Muttersprache Kontakt zu den Eltern aufzunehmen. Hat sich in dieser Hinsicht etwas geändert?

Nichts hat sich geändert. Das ist ein weiteres Beispiel für die unerbittliche deutsche Hartnäckigkeit. Das Gesetz garantiert, dass ein Kind mit seinen Eltern in der Sprache sprechen kann, in der es kommunizieren möchte: Rumänisch, Französisch, Polnisch, Ungarisch und so weiter. Hier ist gesetzlich eine vollständige Freiheit gesetzlich garantiert. Andere Bestimmungen im Gesetz besagen jedoch, dass der Beamte, der bei diesem Gespräch verpflichtend anwesend ist, unbedingt den Inhalt kennen  muss. Dadurch sind die Eltern gezwungen, mit ihrem Kind  Deutsch zu sprechen, da das oft die einzige Sprache ist, die der Beamte versteht.

Kommen die Klagen, die Sie erreichen, auch von in Deutschland lebenden Polen?

Nicht nur von ihnen, sondern auch von Deutschen polnischer Herkunft. Auch die Rumänen haben sehr viele Probleme mit den örtlichen Behörden. Des Weiteren gibt es nicht wenige Petitionen von Franzosen. Keine Nationalität ist vor den Aktionen des Jugendamtes sicher.

Wenn es dem Europäischen Parlament nicht gelingt ihnen zu helfen, dann muss es anderswo geschehen. Ich zähle sehr auf die Unterstützung der Medien. Sie konnten den Europäern erschreckende Beispiele für die Wegnahme von Kindern präsentieren.

Könnten Sie einen dieser Fälle schildern?

Es ging um eine rumänische Familie. Ein Kind hatte einen Unfall. Die Mutter brachte es in ein Krankenhaus. Das Krankenhaus stellte aber fest, dass der Unfall ohne die Nachlässigkeit der Eltern nicht passiert wäre. Sofort wurden Mitarbeiter des Jugendamtes hinzugezogen, die die Auffassung der Ärzte teilten.

Die Beamten nahmen die beiden Kinder sofort mit und brachten sie bei zwei Pflegefamilien unter. Sie erklärten, dass die Pflegefamilie, die eines der Kinder aufgenommen hatte, sich bereits um andere Kinder kümmere und nicht in der Lage sei, zwei Kinder aufzunehmen. Das war der Grund, weshalb die Geschwister getrennt wurden. Sie wurden nicht nur aus ihrem Zuhause gerissen, sondern es wurde ihnen auch das Recht verweigert, zusammenzuleben. Das Gericht ignorierte die Erklärungen der Eltern zu den Umständen des Unfalls völlig. Als ob es im Leben nie Situationen gäbe, die sich unserer Kontrolle entziehen. Aus solch scheinbar trivialen Angelegenheiten entstehen Familientragödien.

Lesenswert auch: „Deutsche Jugendämter, polnisches Leid“

RdP

Das Interview erschien in der Tageszeitung „Nasz Dziennik” („Unser Tagblatt”) vom 2. Mai 2023.