Polens Regierungschefin Beata Szydło zieht nach zwei Jahren im Amt Zwischenbilanz. Ein Interview.
Beata Szydło, 54 Jahre alt, wurde am 16. November 2015 als Ministerpräsidentin vereidigt. Sie war sieben Jahre lang Bürgermeisterin der kleinpolnischen Zwölftausendseelen-Gemeinde Brzeszcze (phonetisch: Bscheschtsche) ehe sie 2005 Sejm-Abgeordnete und 2010 stellvertretende Vorsitzende von Recht und Gerechtigkeit (PiS) wurde. Frau Szydło ist studierte Ethnografin und Volkswirtin. Sie ist verheiratet, hat zwei Söhne, einer von ihnen ist katholischer Priester. Das Interview mit ihr erschien im Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 22. Oktober 2017.
Gehören Sie in der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit zu den Falken oder zu den Tauben?
Ich hoffe, ich gehöre einer Gruppe von besonnenen und sachlichen Politikern an, die den Ausgleich suchen. Die politische Dynamik hat es jedoch an sich, dass manchmal sehr entschiedene Reaktionen und deutliche Worte notwendig sind, um sich Gehör zu verschaffen.
Waren die Gesetzentwürfe zur Justizreform, die Recht und Gerechtigkeit im Sejm eingebracht und gegen die Staatspräsident Andrzej Duda (am 24. Juli 2017 – Anm. RdP) sein Veto eingelegt hat, gut?
In Sachen Justizreform bin ich eindeutig eine Falkin. Das waren gute Gesetzentwürfe, auch wenn sie in manchen Kreisen, vor allem in den juristischen, als umstritten galten. Wenn man das Justizwesen grundlegend erneuern will, dann helfen da keine halben Sachen. Es muss ein dezidierter Schnitt gemacht werden. Das war das Ziel dieser Gesetzentwürfe.
Und Sie hatten keine Bedenken, dass der Justizminister und Generalstaatsanwalt in einer Person über die Zusammensetzung des Obersten Gerichts entscheiden sollte?
Auch ein Minister und Regierungsmitglied wird unmittelbar vom Wahlvolk kontrolliert. Er setzt doch ein Programm um, für das sich die Wähler mehrheitlich an den Wahlurnen ausgesprochen haben.
Der Staatspräsident hat seine Vorschläge gemacht. Die Richter, die den Landesjustizrat bilden sollen nicht mit einer einfachen sondern mit einer Dreifünftel-Mehrheit vom Parlament gewählt werden. Zudem soll nicht der Justizminister über die Zusammensetzung des Obersten Gerichtes entscheiden (Letzteres sollte keine dauerhafte, sondern eine einmalige Maβnahme, bei der geplanten Neustrukturierung des Obersten Gerichtes sein. – Anm. RdP). Wird es bei der Justizreform einen Kompromiss zwischen dem Staatsoberhaupt und der Regierungspartei geben?
Ja. In die Diskussion um die Justizreform haben sich zu viele unnötige Emotionen eingeschlichen. Diese Reform ist die wohl schwierigste die wir vorhaben und zugleich diejenige, die von den Menschen in Polen am häufigsten verlangt wird.
Nach dem Doppelveto des Staatspräsidenten zu den Gesetzentwürfen über die Neustrukturierung des Landesjustizrates und des Obersten Gerichtes ist die Umsetzung der Justizreform noch schwieriger geworden. Diejenigen, die alles beim Alten belassen wollen und die uns bekämpfende, wie sie sich selbst nennt, „totale Opposition“, wollen natürlich die Meinungsunterschiede in unseren Reihen nutzen, um uns zu spalten.
Kann die Auseinandersetzung mit dem Staatspräsidenten zu einem Bruch bei der Vereinigten Rechten führen? (Faktisch regiert in Polen eine Koalition, die erwähnte Vereinigte Rechte, aus drei Parteien: der dominierenden Recht und Gerechtigkeit und den kleinen Solidarna Polska (Solidarisches Polen) unter Justizminister Zbigniew Ziobro, sowie Porozumienie (Verständigung) unter Bildungsminister Jarosław Gowin – Anm. RdP).
Szydło: Ich vertraue auf die Vernunft aller Beteiligten. Wenn wir uns spalten lassen, dann verlieren wir. Wir sind eine gemeinsame politische Bewegung und wir müssen uns gegenseitig unterstützen. Dass wir diskutieren, verschiedene Lösungen bevorzugen, ist nichts ungewöhnliches, aber die Diskussionen dürfen nicht mittels der Medien geführt werden, sondern in der Abgeschiedenheit der Arbeitszimmer.
Wer ist heute der Kandidat von Recht und Gerechtigkeit in den künftigen (2020 – Anm. RdP) Präsidentschaftswahlen?
Ich sehe keinen anderen Kandidaten als Andrzej Duda, und ich sehe auch keinen Grund warum wir ihn nicht unterstützen sollten. Ich bin auch sicher, dass er gewinnen wird.
Es wird Ihnen nachgesagt, sie werden vom Recht-und-Gerechtigkeit-Chef Jarosław Kaczyński gesteuert. Hand aufs Herz, wer regiert heute Polen wirklich?
Recht und Gerechtigkeit mit ihren Koalitionspartnern innerhalb der Vereinigten Rechten. Wir haben eine stabile Regierung geschaffen. Die Leitfigur der parlamentarischen Basis der Regierung ist Jarosław Kaczyński. Ich habe nie verheimlicht, dass ich mich mit ihm abspreche. Das ist doch selbstverständlich. Ohne eine feste Beziehung zu ihrer politischen Basis kann auf Dauer keine Regierung funktionieren. Wir haben unsere Aufgaben, es gibt eine Rollenteilung, jeder macht das was in seine Kompetenz fällt und deswegen haben wir eine so groβe Unterstützung. (Seit Sommer 2017 verbucht die Regierungspartei bei Meinungsumfragen einen Zuspruch von bis zu 47 Prozent – Anm. RdP).
Die Opposition behauptet, Polen werde von einem einfachen Abgeordneten regiert.
In demokratischen Wahlen haben die Polen mehrheitlich Recht und Gerechtigkeit und ihren Koalitionspartnern das Mandat zum Regieren gegeben. Ich habe im Wahlkampf offiziell für das Amt des Ministerpräsidenten kandidiert. Mit dem Wahlsieg unserer Partei hat Jarosław Kaczyński seine Führungsqualitäten unter Beweis gestellt und ich bin sicher, dass wir dank ihm eine weitere Legislaturperiode lang regieren werden.
Mögen sie weiterhin James-Bond-Filme sehen?
Ja.
Es wird darüber nachgedacht, die Bond-Rolle an eine Frau zu vergeben, z.B. an Gillian Anderson von der „Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI“ oder an Emilia Clarke von „Game of Thrones“.
Und wie würde dann der Agent 007 heiβen? Jane? (lacht). Eine interessante Idee, aber ich bin auch in dieser Hinsicht konservativ. Das wäre dann nicht mehr James Bond. Den gibt es nur einmal. Aber es käme vielleicht ein guter Film zustande über eine starke Frau in ungewöhnlichen Missionen.
Feministinnen wären mit Ihrer Antwort nicht zufrieden. Sie werfen der Regierung von Recht und Gerechtigkeit vor, sie schränke die Rechte der Frauen ein, dadurch dass sie keine kostenlosen Verhütungsmittel einführt und keinen Anleitungsunterricht zum Sex an den Schulen will.
Ich war und bin keine Feministin. Oft hilft dieses Milieu uns Frauen durch seine Parolen und Kampagnen nicht. Obwohl ich in der politischen Auseinandersetzung sehr hart, oft geradezu brutal angegriffen werde, hat sich niemals auch nur eine Feministin vor mich gestellt. Das enttäuscht. Wer sich eine Feministin nennt, sollte allen auf solche Weise angegriffenen Frauen zur Seite stehen und nicht nur denen, mit denen man übereinstimmt.
Was hat Ihre Regierung für die Frauen getan?
Unsere Regierung ist sehr frauenfreundlich, aber ich mag lieber darüber sprechen, was wir für die Polinnen und Polen gemacht haben, weil ich in diesem Fall die Unterscheidung nach Geschlechtern falsch finde.
Wir haben bereits, oder sind noch dabei, viele soziale und familienfreundliche Neuerungen einzuführen.
● So haben wir die von unseren Vorgängern eingeführte Zwangseinschulung von Sechsjährigen, gegen die es einen breiten Widerstand der Eltern gab, abgeschafft. Ob das Kind mit sechs oder mit sieben Jahren in die Schule geht entscheiden die Eltern. ● Die verbreitete Praxis, dass Kinder nur aufgrund von Armut den Familien weggenommen werden haben wir auch abgeschafft. ● Es gibt jetzt jeden Monat fünfhundert Zloty (ca. 120 Euro – Anm. RdP) für jedes zweite und weitere Kind bis zum achtzehnten Lebensjahr. Die ärmsten Familien erhalten diese Zuwendung bereits ab dem ersten Kind. ● Ein gewaltiges Programm des sozialen Wohnungsbaus läuft gerade an. ● Die Arbeitslosigkeit ist auf einen Rekordtiefstand von etwa sechs Prozent gesunken. Das nützt Frauen wie Männern.
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Polen ist heute ein Land, in dem die Beschäftigungszahl von Frauen in den Führungsetagen eine der höchsten in der EU ist. (Grant-Thornton-Untersuchung „Women in Business 2017”: Frauen besetzten 40 Prozent aller Führungspositionen in der Wirtschaft in Polen, in Deutschland 18 Prozent, im EU-Durchschnitt 25 Prozent – Anm. RdP).
Auch die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern sind bei uns mit die geringsten in der EU. (Eurostat 2016: Polen 6,4 Prozent, Deutschland 21,6 Prozent, EU-Durchschnitt 16,4 Prozent – Anm. RdP).
Was ist für Sie wichtiger: die Justizreform oder das Verbot ungeborene Kinder wegen des Verdachts auf Krankheit zu töten?
So eine Hierarchie gibt es bei mir nicht.
Dennoch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Ihre Regierung und Ihre Partei solche heiklen Probleme meiden, wie z.B. das Verbot der Tötung ungeborenen Lebens, die Änderung des katastrophalen Gesetzes zur künstlichen Befruchtung aus der Tusk-Zeit oder etwa die Rücknahme der polnischen Unterschrift unter der Istanbulkonvention zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, weil diese Konvention die Gender-Ideologie in das polnische Recht einfließen lässt. Das beunruhigt die katholische Öffentlichkeit in Polen.
(● RdP-Anmerkung 1. Abtreibung: im Herbst 2016 wurde im Parlament eine Gesetzesinitiative über ein generelles Abtreibungsverbot in Polen diskutiert. Es handelte sich dabei um keine Regierungs-, sondern eine Bürgerinitiative, unterzeichnet von knapp fünfhunderttausend Menschen. In Anbetracht heftiger Proteste wurde sie auf Initiative von Jarosław Kaczyński abgelehnt.
Kurz darauf hat man das sogenannte „Gesetz für das Leben“ verabschiedet, das Frauen, die ein dauerhaft geschädigtes Kind zur Welt bringen, ein Wiegengeld von viertausend Zloty (knapp eintausend Euro) und viele Vergünstigungen bei Pflege und Therapie des Kindes zugesteht.
In Polen gibt es zurzeit drei Ausnahmen von einem generellen Abtreibungsverbot: Vergewaltigung, Bedrohung des Lebens der Mutter, dauerhafte Schädigung des ungeborenen Kindes.
● RdP-Anmerkung 2. Künstliche Befruchtung: das Gesetz wurde im Juni 2015 verabschiedet. Es formuliert zwar Verbote, setzt aber durch Zulassung von etlichen Ausnahmen letztendlich der Produktion, dem Einfrieren, der Selektion „nach Eignung“ und der Vernichtung von menschlichen Embryos keine Grenzen. Die Samenspender genieβen zudem eine uneingeschränkte Anonymität. Trotz vollmundiger Ankündigungen während ihrer Zeit in der Opposition, hat die seit November 2015 regierende Recht und Gerechtigkeit diese Zustände nicht geändert.
● RdP-Anmerkung 3. Istanbulkonvention: „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ von 2011. Das Übereinkommen verpflichtet die Unterzeichnerstaaten ausdrücklich die Gender-Ideologie auf allen Gebieten zu fördern und zu übernehmen. Es bezeichnet die Familie und die Tradition als eine Quelle der Gewalt gegen Frauen. Alle in der Konvention aufgezählten Straftatbestände werden ohnedies ausnahmslos nach polnischem Recht geahndet. Auch in diesem Fall hat Recht und Gerechtigkeit ihr Versprechen aus der Oppositionszeit, aus der Konvention auszutreten, bis jetzt nicht gehalten).
Szydło: Gesetzesänderungen, die schwierige Probleme moralischer Natur berühren, müssen gut vorbereitet sein und überlegt eingeführt werden. Erinnern Sie sich bitte, wie heftig vor einem Jahr die Bürgerinitiative für ein Abtreibungsverbot angegriffen wurde. Die Vereinigte Rechte fühlt sich der katholischen Soziallehre eng verbunden. Viele unserer Politiker sind Katholiken, das verbergen wir auch nicht. Um jedoch mit unreifen Vorhaben nicht mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu erzielen, müssen wir vorsichtig vorgehen und pragmatisch denken.
In anderen Angelegenheiten jedoch, z.B. der Justizreform, hat Ihre Regierung keine Angst gehabt die Macht aufgrund der Straβenproteste zu verlieren und durch den Konflikt mit der Opposition, der sich sogar auf die EU ausweitete. Ihr Kabinett setzt also schon Prioritäten.
Das Gewicht dieser Proteste war viel geringer als in der Abtreibungsfrage. Wir regieren erst das zweite Jahr und alles was wir bisher geleistet haben dient der Festigung der grundlegenden Veränderungen, die wir anstreben. Es kommt auch die Zeit für die ethischen Probleme. Wir haben bereits das „Gesetz für das Leben“ verabschiedet. Das ist der Anfang.
Im Augenblick werden Unterschriften gesammelt zu der Bürger-Gesetzinitiative „Stoppe die Abtreibung“, die die sogenannte eugenische Abtreibung, also die Tötung von kranken ungeborenen Kindern unmöglich machen soll. Wenn dieser Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht wird, werden Sie für ihn stimmen?
Dieser Gesetzentwurf wird in unserer Fraktion eine breite Unterstützung erfahren. Ich werde selbstverständlich mit „Ja“ stimmen.
Im Parlament findet gerade die Debatte über die arbeitsfreien Sonntage im Handel statt. Der parlamentarische Sonderausschuss hat sich für nur zwei arbeitsfreie Sonntage im Handel ausgesprochen. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Es ist eine Bürger-Gesetzinitiative der Gewerkschaft Solidarność. Etwa vierhunderttausend Menschen haben sie unterschrieben. Die Regierung hat sie mit einer positiven Empfehlung versehen. Ich bin generell für einen arbeitsfreien Sonntag im Handel, doch die Meinungen in unseren Reihen sind gespalten. Ich werde alles tun, um andere für meine Meinung zu gewinnen. Das Ergebnis dieser Debatte ist noch offen.
Im November 2017 sind Sie zwei Jahre im Amt. Alle Umfragen ergeben, dass die Unterstützung für Sie als Regierungschefin, für Ihr Kabinett und die Regierungspartei ständig wächst.
Wir haben uns in den acht schweren Jahren in der Opposition gut auf das Regieren vorbereitet und sind zu den Wahlen im Oktober 2015 mit einem ganzheitlichen Reformprogramm angetreten. Jarosław Kaczyński hat dazu den entscheidenden Beitrag geleistet.
Die Sozialreformen, die ich bereits geschildert habe. Dazu die Bildungsreform. Die erfolgreiche Bekämpfung der ganz groβen Fälle von Korruption. Die Erfolge der Staatsunternehmen, wie der Fluggesellschaft LOT, der Staatsbahn oder des Bergbaus, die inzwischen alle groβe schwarze Zahlen schreiben, während sie in der Zeit unserer Vorgänger dem Ruin und der Korruption preisgegeben wurden. Die Revitalisierung der dahinsiechenden Armee. Das Gefühl in einem sicheren Land zu leben, und das, in einer Zeit der allgegenwärtigen terroristischen Mordanschläge. Das alles honorieren die Bürger.
So viele Erfolge können schnell zu Selbstzufriedenheit und Selbstüberschätzung führen.
Ich habe das WM-Fuβball-Qualifikationsspiel Polen gegen Montenegro (am 8. Oktober 2017 im Warschauer Nationalstadion, Polen gewann 4:2 und qualifizierte sich für die WM in Russland – Anm. RdP) im Fernsehen verfolgt. Als unsere Mannschaft mit 2 : 0 vorne lag, hatte ich den Eindruck, dass sie sich, vom schnellen Erfolg geblendet, bereits nach Russland verabschiedet hatte. Kurz darauf stand es 2 : 2.
Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Deswegen wiederhole ich fast in jeder Kabinettssitzung: nur harte Arbeit und Demut bringen dauerhaften Erfolg.
RdP