Frau Szydłos neues Kindergeld

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Soziale Maβnahme mit groβen Folgen.

Knapp einhundert Tage nach ihrem Amtsantritt hat Polens neue Regierung eines der wichtigsten sozialen Vorhaben der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf den Weg gebracht. Ab dem 1. April 2016 wird der Staat für jedes zweite und alle weiteren Kinder in der Familie ein monatliches Kindergeld von je 500 Zloty (ca. 115 Euro) zahlen.

Aus westeuropäischer Sicht kaum der Rede wert, in Anbetracht der Höhe der dortigen Sozialleistungen, für Polen jedoch in vielfacher Hinsicht eine Revolution. Die soziale und politische Tragweite dieser Maβnahme sehr wohl erkennend, haben die Gegner der neuen Regierung im Lande und die ihnen nahestehenden Medien in den letzten Wochen viel Kraft aufgebracht, um das Projekt in Misskredit zu bringen.

Wieder einmal kam dabei die abgrundtiefe Verachtung zum Vorschein, mit der die selbsternannte „moderne“, „europäische“, „aufgeklärte“ Oberschicht dem gemeinen Volk im Lande begegnet.

Verkommenheit darf sich nicht vermehren

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Schriftsteller Wojciech Kuczok: „Wodkaflaschen als Belohnung für Fortpflanzungseifer.“

Schriftsteller Wojciech Kuczok (44, laut »Spiegel« „ein Star der jungen polnischen Literatur“) verkündete in der linken „Gazeta Wyborcza“ (01.12.2015): „Recht und Gerechtigkeit hat die Proleten auf dem kürzesten Weg erreicht. Sie hat ihnen jeden Monat fünf Hunderter auf die Hand versprochen für weitere Wodkaflaschen als Belohnung für ihren Fortpflanzungseifer.“

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Radikalfeministin Magdalena Środa: „Das Geld wird versoffen.“

Die führende Radikalfeministin des Landes, Prof. Magdalena Środa urteilte im Organ der polnischen Neomarxisten „Krytyka Polityczna“ (15.02.2016): „Das Geld wird in den Taschen der Ehemänner landen. Es wird versoffen. Es gibt viele, die für fünfhundert Zloty Kinder zeugen werden. Recht und Gerechtigkeit bedeuten aus irgendwelchen Gründen solche Familien und solche Kinder viel.“

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Arbeitgeber-Chef Jeremi Mordasewicz. Arme-Leute-Kinder? Lieber nicht.

Arbeitgeber-Chef Jeremi Mordasewicz gab im „Gazeta Wyborcza“-Radio TOK FM (04.02.2016) zum Besten: „Wollen wir, dass Kinder in Familien mit einem starken Arbeitsethos auf die Welt kommen, in der sie eine anständige Erziehung genießen, oder wollen wir, dass überhaupt Kinder geboren werden.“ „Überhaupt-Kinder“ armer Leute seien dem Interesse des Landes keinesfalls dienlich.

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Kapitalismus-Guru Leszek Balcerowicz: „Geldverschwendung“.

Auch Prof. Leszek Balcerowicz, Guru des ungezügelten Kapitalismus hatte keine Zweifel (Fernsehsender TVN am 03.02.2016): „Nichts als Geldverschwendung“.

Während die Feministin Środa vor der Kinderflut in Säuferfamilien warnte, prophezeite das Wochenmagazin der postkommunistischen Linken „Polityka“ (03.02.2016) das neue Kindergeld werde niemanden zur Fortpflanzung stimulieren. „Zu teuer, ungerecht, schlecht durchdacht, unwirksam“, punktete das Blatt.

Zusammenfassend kann man die Gegenargumente der „aufgeklärten“ Oberschicht, deren wichtigstes mediales Organ die „Gazeta Wyborcza“ ist, in zwei Punkten bündeln:

1. Ärmere Frauen werden Kinder gebären anstatt zu arbeiten. Eine groβe Gruppe von „Brutkasten-Müttern“ wird entstehen, deren Leben sich auf das Kinderbekommen und das Kindererziehen beschränken wird, was der Frauenemanzipation widerspricht und auf keinen Fall hingenommen werden sollte.

2. Das Geld werde Suff sowie armutsbedingte Passivität verfestigen und fördern, und das, obwohl sich die Verkommenheit doch nicht vermehren darf.

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Die „Aufgekärten“ wissen bescheid. Das neue Kindergeld werde noch mehr Suff und Verwahrlosung produzueren.

Soweit die Einwände der „Aufgeklärten“, denen die Journalistin Joanna Woleńska-Operacz, Mutter von drei Kindern, in der katholischen Wochenzeitung „Niedziela‘ („Der Sonntag“) vom 28.02.2016 entgegenhielt:

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Journalistin Joanna Woleńska-Operacz

„Wieviel Wodka kann man für eintausend Zloty kaufen? Ich habe beschlossen das nachzurechnen, denn als ein verkommenes, sich ungezügelt vermehrendes Element werde ich schon bald jeden Monat eben diese Summe bekommen, und wie man weiβ, werde ich sie für Wodka ausgeben. Ich habe ganze Ewigkeiten keinen Wodka mehr gekauft. Bin deswegen extra in einen Schnapsladen gegangen, und weiβ jetzt beschied. Der billigste halbe Liter kostet 17,99 Zloty. Ich und mein Mann werden also im Monat gut 55 Flaschen Wodka trinken, nicht ganz zwei am Tag. Das wird hart, aber es führt kein Weg dran vorbei, denn es gilt Erwartungen nicht zu enttäuschen.“

Netto auf die Hand

Die offizielle Bezeichnung des Vorhabens lautet „Program Rodzina 500 Plus“ („Familienprogramm 500 Plus“). Es ist das erste allgemeingültige, auf Dauer angelegte System der Familienunterstützung in Polen seit 1989. Es soll 2,7 Mio. Familien und 3,8 Mio. Kindern zugutekommen.

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500 Zloty fürs Kind. Lerne die Bestimmungen kennen. Plakat.

Gezahlt wird für das zweite und jedes weitere Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, unabhängig davon wie hoch das Familieneinkommen ist. Familien mit einem Pro-Kopf-Einkommen von unter 800 Zloty (ca. 160 Euro) erhalten das Geld schon ab dem ersten Kind. Ebenso Familien mit einem behinderten Kind und einem Pro-Kopf-Einkommen von unter 1.200 Zloty (ca. 250 Euro).

Die 500 Zloty gibt es netto auf die Hand, also unversteuert. Das neue Kindergeld wird nicht in das Familieneinkommen mit einberechnet. Andere Leistungen, die nach dem Familien-pro-Kopf-Einkommen bemessen werden (u.a. Unterhaltszahlungen und die in Polen winzigen sozialen Zuweisungen für die ärmsten der Armen mit einem Pro-Kopf-Familieneinkommen von umgerechnet unter 120 Euro) sollen durch das neue Kindergeld nicht verloren gehen.

Um die neue Leistung zu bekommen, muss man einen Antrag bei der Kommune stellen, in der man seinen Wohnsitz hat. Das Geld wird in bar oder aufs Konto des Antragstellers ausgezahlt. Das Programm startet am 1. April 2016. Wer den Antrag bis Ende Juni 2016 stellt, erhält das Kindergeld rückwirkend zum 1. April 2016. Wer sich später meldet, dem wird die Leistung ab dem Ersten des Monats gewährt, in dem er seinen Antrag eingereicht hat. Der Antrag auf Kindergeld muss jedes Jahr neu gestellt werden.

Das Geld erhalten die biologischen Eltern, unabhängig davon ob sie verheiratet sind oder nicht (bei geschiedenen Eltern werden die 500 Zloty entsprechend den Betreuungstagen aufgeteilt), Adoptiveltern, Betreuer von Rechts wegen (Ersatzfamilien), Patchwork-Familien, kurzum: alle die Kinder in ihrer Obhut haben.

Särge günstiger als Kinderwagen

Polens aktuelle Bevölkerungssituation gestaltet sich geradezu dramatisch. Die Massenauswanderung vorwiegend junger Leute auf der Suche nach Arbeit (seit 1989 gut 2,5 Mio. Menschen) und der radikale Geburtenrückgang auf etwa 1,23 Kinder pro gebärfähige Frau, entvölkern das Land. Seit Jahren übersteigt die Sterberate die Geburtenrate regelmäβig um dreiβig- vierzigtausend Personen per annum.

Andererseits belegen Untersuchungen seit langem, dass der Kinderwunsch ganz oben auf der Prioritätenliste junger Polen steht. Dass die hierzu Befragten die Wahrheit sagen, zeigen Angaben aus Groβbritannien, wo ausgewanderte Polinnen in etwa so viele Kinder zur Welt bringen wie die dort lebenden Türkinnen und Pakistanerinnen. Der Grund sind die britischen Sozialleistungen, die eine verlässliche Konstante bei der Familiengründung darstellen, von der dieselben Frauen sowie ihre arbeitenden und Steuern zahlenden Männer in Polen nur träumen können.

Die Löhne an der Weichsel sind niedrig. Die meisten arbeitenden Polen verdienen um die 2.500 Zloty (ca. 550 Euro). Hunderttausende, vor allem junger Menschen, müssen sich mit Zeit- und Werkverträgen zufrieden geben. Es wird geheuert und gefeuert. Der Verzicht auf Kinder oder die Entscheidung nur ein Kind zu haben, ist die logische Folge. Irgendwann geben die jungen Paare auf und gehen für immer ins Ausland.

500 Zloty für das zweite und alle weiteren Kinder sind, vor allem in der polnischen Provinz, nicht wenig. Dieser Betrag soll garantiert Monat für Monat ausgezahlt werden. Das ist ein für polnische Verhältnisse sehr groβer Schritt in Richtung gewünschte Lebensstabilität. Wird er dem Land mehr Kinder bescheren? Jeder stete Geburtenanstieg wäre ein Erfolg. Nicht zu unterschätzen ist der psychologische Aspekt, das Gefühl: „Endlich kümmert sich der Staat um uns, lässt uns mit unseren Problemen nicht allein, behandelt unsere Kinder nicht als Kostenfaktor und Bürde.“

Das war bis vor kurzem noch ganz anders. Gut zwei Jahrzehnte lang, seit dem Ende des Kommunismus, haben die Balcerowiczs und Tusks ununterbrochen, mal mehr mal weniger deutlich den Polen die vulgärliberale Botschaft verkündet, dass jeder seines Glückes oder Unglückes Schmied sei. Der Staat sei dazu da das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, in dem er die Standortvorteile hegt und pflegt: niedrige Lohnkosten, ausgedehnte Arbeitszeiten, Sonntagsarbeit (hier zu lesen) , niedrige Steuern für ausländische Investoren, (hier zu lesen), Einschränkung der Gewerkschaften, garantierte, uneingeschränkte Gewinnausfuhr ins Ausland (hier zu lesen), usw. usf.

Gleichzeitig schaffte die Regierung Tusk, die zwischen 2007 und 2015 das Land verwaltete, das von der Vorgängerregierung Kaczyński (2005-2007) eingeführte allgemeine einmalige Wiegengeld von 1.000 Zloty praktisch ab. Die Mehrwertsteuer für Kinderbekleidung- und Ausstattung wurde von 5 auf 23% angehoben.

Medienwirksam verkündete Maβnahmen der Familienpolitik, wie die Schaffung von mehr Kindergärten, standen oft nur auf dem Papier. Steuererleichterungen für kinderreiche Familien kamen den allermeisten von ihnen nicht zugute, weil sie wegen ihrer niedrigen Einkommen keine Steuern zahlten, von denen man hätte etwas absetzen können. Der Mutterschaftsurlaub wurde zwar von sechs auf zwölf Monate verlängert, aber nur für Frauen mit festen Arbeitsverträgen und mit 80% Lohnfortzahlung. Die Halbherzigkeit dieser Maβnahmen stach ins Auge.

Im März 2012 rutschten Donald Tusk, in einem Anflug von Ehrlichkeit, die Worte heraus: „Eine Familie ohne Kinder ist billiger für den Staat.“ Die in Tusk-Polen mit 23% Mehrwertsteuer belegten Kinderwagen und die mit nur 8% Mehrwertsteuer belegten Särge signalisierten ohnehin nur allzu deutlich, wohin die Reise ging.

Teuer aber bezahlbar

Das neue Programm der Regierung Beata Szydłos soll 2016 etwa 17 Mrd. Zloty (ca. 3,7 Mrd. Euro) kosten. Es ist ein gewaltiger, neuer Posten, der etwa 5% aller Staatsausgaben verschlingen soll. Dennoch gelang es dem neuen Finanzminister Paweł Szłamacha das Haushaltsdefizit bei 2,8% abzubremsen. Sogar Marek Belka, Chef der Nationalbank und der neuen Regierung alles andere als wohlgesonnen, musste zugeben, dass man an den Haushaltseckdaten nichts aussetzten kann: „Alles gleicht sich aus“. Ob es in den nächsten Jahren so gut klappt, bleibt abzuwarten.

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Sozialministerin Elżbieta Rafalska und Finanzminister Paweł Szałamacha. Verantwortlich für die organisatorische Umsetzung und die Finanzierung von „500 Plus“.

Die neue Regierung sieht in dem „500 Plus“-Vorhaben auch ein Konjunkturprogramm. Das Geld wird kaum auf den Sparkonten landen, sondern in den Ladenkassen, und somit das Wirtschaftswachstum ankurbeln und das Steueraufkommen erhöhen.

Ein politischer K. o.-Schlag

Bleibt noch die politische Wirkung, und die ist enorm. „500 Plus“ hat die Opposition vor groβe Probleme gestellt. Ihre wichtigsten Säulen sind die im Oktober 2015 abgewählte Tusk-Kopacz-Partei Bürgerplattform und ihr radikalliberaler (Marginalisierung der Gewerkschaften, niedrige Linearsteuern, geringe Sozialausgaben) und zugleich linksradikaler (Homoehe, Tötung ungeborener Kinder auf Wunsch, Verbannung der Kirche aus dem öffentlichen Leben usw.) Ableger mit dem Namen Nowoczesna PL („Modernes Polen“). Ihr politischer Übervater ist der Groβmeister und Barde der freien Marktwirtschaft Leszek Balcerowicz.

Beide Parteien prophezeiten im Wahlkampf, „500 Plus“ werde Polen in den Ruin treiben und in ein zweites Griechenland verwandeln. Kurz vor der Verabschiedung der Maβnahme im Parlament schwenkten die „Wahrer der Staatsfinanzen“ plötzlich um und forderten, es solle 500 Zloty auch für das erste Kind geben, nach dem Motto: Polen ist zu arm um für das zweite und jedes weitere Kind zu zahlen, aber reich genug um auch noch für jedes erste Kind aufzukommen. „Recht und Gerechtigkeit unterteile polnische Kinder in gute und schlechte“, hieβ es. Die mediale „Begleitmusik“ wurde eingangs dargestellt.

Die bis zu vierzigprozentige Unterstützung, die die Regierungspartei in den Umfragen vom Januar-Februar 2016 vorweisen konnte, veranschaulicht jedoch das Scheitern der Anti-„500 Plus“-Kampagne.

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Kommentator Stanisław Janecki. „500 Plus“: wirksam, einfach, direkt.

Stanisław Janecki, einer der führenden konservativen politischen Beobachter und Kommentatoren des Landes brachte die politische Bedeutung und Wirkung des „500 Plus“-Programms aus seiner Sicht auf den Punkt, als er am 11.02.2016 im Internetportal „wPolityce.pl“ (“inderPolitik.pl“) schrieb:

„Politisch gesehen ist das »500 Plus«-Programm ein K.o.-Schlag, nach dem sich der politische Gegner nur schwer erholen kann. Dieses Vorhaben erfüllt alle Anforderungen einer tauglichen und allgemein befürworteten Politik. Wirksame Politik muss für die Allgemeinheit nachvollziehbar sein. Man muss einfache, allgemeinverständliche Maβnahmen ergreifen, die für diejenigen, für die sie bestimmt sind auf Anhieb von Vorteil sind. »500 Plus« beinhaltet genau das, was diese zwei Worte bedeuten: Hilfe ohne Umwege. Steuerliche Absetzbarkeit, Erleichterungen, Nachlässe haben diese Wirkung nicht, weil sie für die meisten viel zu kompliziert sind, auch wenn sie am Ende dieselben Vorteile bringen würden.“, schildert Janecki.

Sein Fazit: „Für die Gegner von Recht und Gerechtigkeit ist das »500 Plus«-Programm so problematisch, weil es sofort zu Beginn der Amtszeit umgesetzt wird und es wird der Regierungspartei in den nächsten Jahren viel politischen Profit bringen. Das bringt die Opposition in Rage und erzeugt Ratlosigkeit, weil man eine solche Maβnahme nur schwer wirksam anzweifeln oder in Verruf bringen kann.“

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