Ein Mord entsetzt das Land und harrt der Aufklärung.
Er brachte eine Studentin um und zog ihr die Haut ab, um sich einen Mantel daraus zu nähen. Nach knapp zwanzig Jahren konnte eines der fürchterlichsten Verbrechen in der polnischen Kriminalgeschichte aufgeklärt werden. Oder doch nicht?
Das Triebwerk des Bugsierschleppers „Łoś” („Elch”) heulte zuerst auf, dann fiel die Drehzahl rapide ab. Das gerade einmal zwanzig Meter lange Schiff kann mit seinem Dreihundert-PS-Motor schwere Lastkähne problemlos an das Ufer heranschieben. Mit einem solchen Manöver war der Schlepper am 6. Januar 1999 gerade auf der Weichsel in Kraków/ Krakau beschäftigt, als plötzlich nichts mehr ging. Es war kurz nach vier Uhr nachmittags, die Dunkelheit brach an. „Morgen früh werden wir die Blockierung beheben“, entschied der Kapitän.
Es war menschliche Haut
Es war nichts Ungewöhnliches. Fast jeden Tag holte die dreiköpfige Besatzung Baumwurzeln, Plastikplanen, Autoreifen, die sich in der Schiffsschraube verfangen hatten aus dem Wasser. Doch dieses Mal war es etwas anderes, schwer definierbares. „Erst als ich ein durchstochenes Ohrläppchen sah wurde mir klar: es ist menschliche Haut“, berichtete der Kapitän der Regionalzeitung „Gazeta Krakowska“.
Die Beamten der Wasserschutzpolizei waren auf den ersten Blick der Meinung, entweder sei jemand ertrunken oder als Leiche ins Wasser geworfen worden und dann in die Schiffsschraube geraten. Kurz darauf, als man den Fund an Deck holte und ausgebreitete, wurde jedoch das ganze Ausmaß des Grauens offenbar. „Es war ein Mantel“, so der Kapitän. Keine Knochen, keine Eingeweide, nur Haut, hier und da zerfetzt und zerrissen. Keine Schiffsschraube konnte einen Menschen dermaβen präzise enthäuten. So etwas hatten die Männer noch nie gesehen.
Verschlossen und kontaktscheu
Katarzyna Z. studierte Religionswissenschaften. Das war schon ihre dritte Fakultät. Nach dem Abitur schaffte sie es einen Platz im sehr begehrten Fach Psychologie zu ergattern, aber nach dem ersten Semester brach sie ab. Sie legte eine halbjährige Pause ein, bevor sie Geschichte zu studieren begann, hielt es aber nicht lange durch. Auch das dritte Studium wurde ihr schnell langweilig. Nachher stellte sich heraus, sie hatte während der letzten zwei Wochen ihres freien Lebens die Wohnung am Morgen regelmäβig verlassen, erschien aber kein einziges Mal zu einer Vorlesung.
„Ich habe sie nur einmal gesehen, beim ersten Seminar. Danach nie mehr. Sie hatte aufgehelltes, lockiges Haar, trug einen dunklen, weiten Pullover. Sie setzte sich in die letzte Bank, machte einen sehr verschlossenen Eindruck. Wahrscheinlich kann ich mich deswegen an sie erinnern“, gab die Religionsethnologin Dominika Bernasik zu Protokoll.
Am 12. November 1998 nachmittags wollte Katarzyna zusammen mit ihrer Mutter einen Arzttermin wahrnehmen. Sie kam nicht, blieb seither verschwunden und würde wahrscheinlich bis heute als „vermisst“ gelten, wäre da nicht der grausame Fund in der Weichsel gewesen.
Die Feststellung um wen es sich handelte gestaltete sich zu Anfang schwierig. Die Haut hatte lange im Wasser gelegen, ihre Zersetzung war fortgeschritten. Doch eine Woche später entdeckte jemand ein am Knie abgetrenntes menschliches Bein am Ufer. Die Einschnitte am Bein und an der Haut passten genau zueinander. Anhand der Hosenbeinreste konnte Katarzyna identifiziert werden. Der DNA-Befund brachte drei Monate später die Bestätigung.
Hannibal Lecter als Vorbild?
Knapp fünfzehn Jahre vor dem Mord schrieb der amerikanische Thriller-Autor Thomas Harris seinen Beststeller „Das Schweigen der Lämmer“. Der Psychopath Hannibal Lecter entführt und ermordet grausam Frauen im amerikanischen Mittleren Westen. Aus ihren Hautfetzen näht er sich ein Kostüm. Im Jahr 1991 wurde der Roman verfilmt. Der Streifen mit Jodie Foster und Anthony Hopkins in den Hauptrollen gilt als einer der furchterregendsten Filme in der Kinogeschichte und wurde mit fünf Oscars ausgezeichnet.
Hatte sich der Täter von dem Film inspirieren lassen? FBI-Fachleute, von den Krakauer Fahndern um Unterstützung gebeten, waren davon überzeugt.
Katarzyna Z. galt als sehr verschlossen und kontaktscheu. Sie war dabei, als ihr Vater bei einer Bergwanderung in der Hohen Tatra in die Tiefe stürzte. Der Unfall und der qualvolle Tod des Vaters im Krankenhaus hatten ihr sehr zugesetzt. Sie litt an Depressionen.
Sogar der Mutter fiel es schwer zu sagen, wofür sie sich interessierte. Sie hatte kein Hobby. Die beiden einzigen Freundinnen, mit denen sie Umgang hatte, sagten, ihre einzige Leidenschaft sei die Musik der US-Psychedelic-Rockband „Greatful Dead“ gewesen. Eine Woche vor ihrem Tod hatte sie weitere Cassetten der Gruppe in einem Studentenclub bestellt, diese aber nicht mehr abgeholt. Wochenlang durchforsteten die Fahnder das abstruse Psychedelic-Fanmilieu nach Verbindungen und Spuren. Vergeblich.
Im Mai 1999 glaubte die Polizei den Fall gelöst zu haben. In dem Krakauer Vorort Mogiliany wurde eine zerstückelte Leiche gefunden. Die vom Gesicht abgezogene Haut lag zusammengenäht daneben. Ein Sohn hatte seinen Vater ermordet und stülpte sich die Hautmaske über den Kopf, um dem Groβvater den Vater vorzutäuschen.
Zudem studierte der Täter, der Russe Wladimir W., Psychologie an der Jagiellonen Universität. Dort könnte er Katarzyna kennengelernt haben. Doch ein Zusammenhang zwischen den beiden makabren Morden war nicht nachzuweisen. Wladimir W. wurde zu fünfundzwanzig Jahren Haft verurteilt. Inzwischen sitzt er die Strafe in Russland ab.
Das was von Katarzyna Z. geborgen werden konnte, wurde im Juli 1999 beigesetzt. Die restlichen Leichenteile blieben verschwunden.
Dank pathologischen Untersuchungen konnte Katarzynas Todesdatum mit einiger Genauigkeit auf die erste Dezemberhälfte 1998 festgelegt werden. Jedes Jahr um diese Zeit erschien Robert J. an ihrem Grab. Beim Verhör gab er zu Protokoll aus Zeitungen von dem Mord erfahren zu haben und groβes Mitleid mit dem Opfer zu empfinden.
Ein Meister im Häuten
Die Fahnder waren von Anfang an davon ausgegangen, der Täter sei ein Serienmörder. Doch es vergingen Jahre und es ereignete sich kein zweites solches Verbrechen. Man begann zu spekulieren, der Täter sei inzwischen tot oder säße wegen einer anderen Straftat im Gefängnis. Oder hatte der Mörder vielleicht weitere als vermisst geltende Frauen genauso grausam umgebracht und ihre Leichen sehr gut versteckt?
Eines war von vornherein klar: der Täter war ein Meister im Häuten. Einem Menschen die Ganze Haut in einem Stück vom Leib abzuziehen ist sehr schwer. War der Täter ein Kürschner oder ein Metzger, ein Jäger, geübt im Abziehen von Fellen oder gar ein Chirurg? Und war derjenige, der Katarzynas Haut so meisterhaft präpariert hatte auch ihr Mörder oder hatte er lediglich ihre Leiche gefunden und die Gelegenheit genutzt, um seine abartige Neigung auszuleben?
Ein weltweit führender portugiesischer Experte, der Folterspuren an menschlichen Körpern untersucht, wurde hinzugezogen. Er hatte keine Zweifel: Katarzyna war schwer miβhandelt worden. Im Medizinischen Gerichtsinstitut in Wrocław/ Breslau gelang es mit Hilfe der 3D-Technik das Martyrium der jungen Frau, die schweren Hiebe und Tritte, mit denen sie traktiert worden war, zu rekonstruieren. Sportmediziner, die sich bestens mit Kampfsportverletzungen auskannten, bestätigten die Befunde.
Der Peiniger hatte seinem Opfer Anästhetika verabreicht, die eine Schmerz- und Bewusstseinsausschaltung verursachen. Erst nach etwa drei Wochen setzte er ihrem Leben ein Ende.
Zudem gelang es an dem Hosenbein winzige Partikel von Pflanzen auszumachen, die nur an wenigen Orten in Kraków und Umgebung vorkommen.
Viele Indizien, keine Beweise
Nach und nach verdichteten sich die Indizien, die auf Robert J. als den Täter hindeuteten. Der heute 52-Jährige wohnte mit seiner Mutter im Krakauer Stadtteil Kazimierz, unweit der Weichsel. Sein auffälliges Benehmen war bekannt: der Hang zu Frauenunterwäsche, das Beobachten der Frauen im Haus gegenüber durch ein Fernglas.
Robert J. hatte einige Jahre vor dem Mord in einem der Krakauer Krankenhäuser eine Zeit lang als Aushilfe im Seziersaal gearbeitet. Später jobbte er im Zoologischen Institut der Jagiellonen Universität, wo er die Häutung von Tieren beobachtet haben könnte. Eines Tages hatte Robert J. aus heiterem Himmel alle Versuchstiere getötet und wurde daraufhin kurzerhand rausgeschmissen.
Die in Kraków eher seltenen Pflanzen wuchsen in der Nähe des hölzernen Sommerhauses, dass Robert J. gehörte. Dort, so die Fahnder, habe er sein Opfer gefoltert und umgebracht. Das Haus brannte jedoch kurz nach dem Mord ab.
Nach der Festnahme auf offener Straβe im Stadtteil Kazimierz am 4. Oktober 2017
durchsuchten Fachleute tagelang seine Wohnung. Sogar die Fliesen im Bad, die er kurz nach dem Mord verlegt haben soll, wurden von den Wänden abgeschlagen.
Seit gut zwölf Jahren befindet sich Robert J. in psychiatrischer Behandlung. Diagnose: paranoide Schizophrenie, eine Erkrankung, so die Fahnder, die ein intelligenter und durchtriebener Täter gekonnt vortäuschen kann. Jedenfalls erschien Robert J. viele Jahre lang regelmäβig mit Rezepten eines Psychiaters in seiner Apotheke. Ob er die Medikamente tatsächlich einnahm oder sich auf diese Weise nur eine Legende für den Fall seiner Verhaftung aufbaute? Als ihm bei der Festnahme die Handschellen angelegt wurden, sagte er zu den Beamten, er sei unzurechnungsfähig.
Es heiβt, Robert J. befinde sich zur Beobachtung auf der psychiatrischen Station im Untersuchungsgefängnis in Kraków.
Wie es scheint, hofft die Staatsanwaltschaft, dass sich durch Vernehmungen die Indizien, die gegen gegen Robert J. sprechen, in feste Beweise wandeln werden. Ob diese Rechnung aufgehen wird bleibt vorerst offen. Mord verjährt in Polen nach dreiβig Jahren, neunzehn sind bereits vergangen.
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