Andrzej Duda. An Gottes Segen ist ihm gelegen

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Man darf gespannt sein. Am 6. August hat der neue Staatspräsident sein Amt angetreten.

Wieder einmal geht ein Gespenst um in Polen, dieses Mal seitdem Andrzej Duda am 24. Mai 2015 die Präsidentschaftswahlen gewann: es ist das Gespenst des Gottesstaates, einer Herrschaftsform, bei der die Staatsgewalt allein religiös legitimiert und von einer göttlich erwählten Person (gottberufener Prophet, gottbegnadeter König), einer Priesterschaft (z.B. dem katholischen Klerus) oder einer kirchlichen Institution (z. B. der Bischofskonferenz) auf der Grundlage religiöser Prinzipien ausgeübt wird. Sogar Ministerpräsidentin Ewa Kopacz malt schon diesen Teufel (Engel?) an die Wand. Glaubt man den Warnern, driftet Polen, mit Duda am Steuer, in die düstere Finsternis des Mittelalters ab.

Zweifelsohne twitterte der postkommunistische Politiker Tomasz Kalita jedenfalls allen polnischen Kirchengegnern tief aus der Seele, als er Mitte Juli 2015 schrieb: „Nach dem Urlaub beginnt der gewählte Staatspräsident seine Aktivitäten mit der Teilnahme an religiösen Feierlichkeiten. Wurde in Polen vor Kurzem ein Staatsoberhaupt oder ein Kirchenoberhaupt gewählt?“

Antiklerikale in Sorge

Polens Antiklerikale haben wahrlich allen Grund zur Sorge, denn auch vor dem Urlaub verhielt sich Duda keineswegs besser. Schon nach seinem Wahlsieg legte er anderentags auf dem Heimweg von Warschau nach Kraków einen Zwischenstopp in Częstochowa/Tschenstochau ein, um auf dem Hellen Berg „der Muttergottes für die Fürsorge, für die Kraft“, die sie ihm im Wahlkampf angedeihen lieβ, zu danken. Spät abends in Krakau angekommen, suchte er noch in der Wawel-Kathedrale die Reliquien des Hl. Stanislaus auf, um auch dort einen Augenblick lang zu beten.

Andrzej Duda. Am 25. Mai 2015, gleich nach dem Wahlsieg das Gnadenbild der Schwarzen Madonna aufgesucht.
Andrzej Duda. Am 25. Mai 2015, gleich nach dem Wahlsieg, das Gnadenbild der Schwarzen Madonna aufgesucht.

Kurz darauf, am Sonntag, dem 8. Juni 2015 erreichte Dudas religiöses Engagement seinen vorläufigen Höhepunkt. Während einer Freiluftmesse in Warschau gelang es ihm eine Hostie einzufangen, die der Wind vom Altar in den Zuschauerbereich wehte. Der Präsident schoss aus seinem Sitz in der ersten Reihe empor, fing die Hostie und umschloss sie mit den Händen. Nach einer kurzen Zeit des Zögerns wurde er zum Altar geleitet, wo er die Hostie zurückgab.

 

Warschau am 8. Juni 2015. Hostie erfolgreich eingefangen.
Warschau am 8. Juni 2015. Hostie erfolgreich aufgefangen.

Der gewandelten Hostie – als dem wahren Leib Christi – bringt man in der katholischen Kirche höchste Ehrfurcht entgegen. Geweihte Hostien werden im Tabernakel aufbewahrt, vor allem für die Kommunion für Kranke und Sterbende, aber auch zur stillen Anbetung der Gläubigen. Diese ganz besondere Verehrung kommt auch bei der Fronleichnamsprozession zum Ausdruck, bei der ein Priester oder ein Diakon eine geweihte Hostie in der Monstranz zu den Außenaltären trägt. So gesehen, hat sich Duda durch und durch korrekt verhalten. Er bekam dafür viel Lob von den Katholiken und erntete Hohn bei den Antiklerikalen. Als den „Der mit der Hostie tanzt“ schmähten und verspotteten ihn Autoren von Memes und Karikaturen im Internet.

Der Fototermin-Katholizismus von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz entfacht verständlicherweise keine antikerikale Hysterie.
Privataudienz bei Papst Franziskus am 12. Juni 2015. Der Fototermin-Katholizismus von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz entfacht verständlicherweise keine antikerikale Hysterie.

„Es ist schon interessant festzustellen“, so die „Gazeta Polska Codziennie“ („Polnische Zeitung Täglich“) vom 23. Juli 2015, „dass die Kirchenbesuche und Messeteilnahmen des abgewählten Staatspräsidenten Komorowski auf dem Hellen Berg in Częstochowa niemals auch nur den Schatten einer antiklerikalen Hysterie hervorgerufen haben. Genauso wenig, wie die kürzlich, am 12. Juni 2015, absolvierte Privataudienz von Regierungschefin Ewa Kopacz bei Papst Franziskus. Die antiklerikalen Künder wissen sehr wohl zwischen dem Fototermin-Katholizismus der jetzt Regierenden und dem authentischen Glauben Dudas zu unterscheiden.“

Dudas Antwort auf diese Attacken ist denkbar einfach: „Denjenigen, die mich wegen meines Betens und meiner Kirchenbesuche angreifen, möchte ich sagen, dass ich als Staatspräsident niemanden zum Beten zwingen werde. Ich bitte jedoch darum, dass niemand mir das Beten zu verbieten versucht. Ich habe vor dem Wahlkampf gebetet, ich habe im Wahlkampf gebetet, und ich werde auch jetzt beten“.

Ein Mann der konservativen Elite

„Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ Mahatma Gandhis Worte geben sehr gut wieder, was zwischen dem Herbst 2014, als der Präsidentschaftswahlkampf begann, und der Verkündung des Wahlergebnisses am Abend des 24. Mai 2015 in Polen geschah. Zweifelsohne öffnet Dudas Amtsantritt ein grundlegend neues Kapitel in der Geschichte der III. Polnischen Republik, die es seit 1990 gibt, wobei die Tatsache, dass Polen den jüngsten (Jg. 1972) freigewählten Staatspräsidenten der Welt haben wird, eine eher untergeordnete Rolle spielen dürfte.

Andrzej Dudas Eltern, Jan und Janina, er Elektrotechniker, sie Chemikerin, sind Professoren an der renommierten Krakauer Hochschule für Bergbau und Hüttenwesen (AGH). Der Vater seiner Ehefrau Agata, einer Germanistin und Deutschlehrerin am namhaften 2. Krakauer Lyzeum, ist der berühmteste, lebende moderne polnische Dichter Julian Kornhauser.

Die Eltern: Prof. Jan und Prof. Janina Duda.
Die Eltern: Prof. Jan und Prof. Janina Duda.

Duda entstammt einer konservativen Elite, die es weder im kommunistischen, noch in der vom ausufernden, hemdsärmeligen Self-made-Man-Kapitalismus geprägten Folgezeit leicht hatte. Ein Patriotismus kennzeichnet sie, der das eigene Land, das eigene Volk, seine Geschichte und Tradition eindeutig in den Mittelpunkt stellt, aber andere Länder und Völker keineswegs herabsetzt oder gar verachtet, was für den Nationalismus typisch ist.

Bildung, Kultur, Fachwissen und Fleiβ, nicht Ellbogen, sind die Instrumente des Aufstiegs. Man ist und gibt sich in diesen Kreisen aus Überzeugung bescheiden, denn das Fortkommen wurde mühsam erkämpft. Andrzej Dudas Eltern kamen aus Kleinstädten zum Studium nach Krakau, wo sie sich kennengelernt haben. Das Studentenleben fristeten sie in Vier- bzw. Fünfbettzimmern der Uni-Wohnheime. Die erste gemeinsame Wohnung des angehenden Wissenschaftlerehepaares war neun Jahre lang ein neun Quadratmeter groβes Zimmer im Mitarbeiterhotel der AGH-Hochschule, das sie mit ihrem kleinen Sohn Andrzej teilten, bis sie eine Wohnung bekamen.

In der Familie Duda war der Glaube ein fester und natürlicher Bestandteil des Alltags. Menschen dieser Schicht mussten im kommunistischen Polen ein Vielfaches an Leistung und Wissen aufbringen, um beruflich weiterzukommen. Da sie die Parteizugehörigkeit verweigerten, blieben Leitungsfunktionen, Auslandsstipendien und manch andere Privilegien für sie zumeist unerreichbar.

Geld ist in diesen Kreisen zweitrangig, wichtiger ist die Herausforderung der Aufgabe. Nach seinem Jurastudium an der Jagiellonen-Universität lehnte Duda 2005 ein sehr einträgliches Angebot einer groβen Maklerfirma zugunsten der eher brotlosen Assistentenstelle und einer wissenschaftlichen Karriere an der Universität ab. Als Staatspräsident wird Duda sechsmal weniger verdienen als ein Europaabgeordneter, der er seit Mai 2014 und bis noch vor Kurzem war.

Good boy, bad boy

„Polityka“, das Wochenblatt der postkommunistischen Linken, das regelmäβig die besten Sejm-Abgeordneten des Jahres kürt, hegte noch im September 2013 nicht die geringsten Zweifel an Dudas Fachwissen, seiner Dialogfähigkeit, seinen guten Manieren. „Einer der aktivsten Abgeordneten. Seine Reden im Plenarsaal gelten fast ausschlieβlich den Gesetzen und der Gesetzgebung (…). Sachlich, kultiviert, offen für Argumente, zeigt er, dass man diskutieren kann ohne jemanden zu beleidigen. Keine Boshaftigkeit, keine personenbezogenen Attacken, stattdessen Sachargumente.“

Der beste Sejm-Abgeordnere. "Polityka" im September 2013.
Der beste Sejm-Abgeordnere. „Polityka“ im September 2013.

Im September 2014 fand sich Duda unter den besten polnischen Europaabgeordneten, die die „Polityka“ ausgemacht hat. „Diskussionen mit seiner Teilnahme waren stets intelligent, sachlich, manchmal bissig. Er ist ein hervorragender Jurist, der Populismus meidet und sich an die Regeln der politischen Kultur hält, aber auch, wenn es notwendig ist, ein politischer Kämpfer sein kann.“

Der beste polnische Europaabgeordnete. "Polityka" im September 2014.
Der beste polnische Europaabgeordnete. „Polityka“ im September 2014.

Wenige Monate später verwandelte sich der Präsidentschaftskandidat Duda, der einst sachliche, intelligente, kultivierte, dialogorientierte, hervorragende Jurist in derselben „Polityka“ in einen „wenig bekannten Hinterbänkler“, eine „jämmerliche Marionette Kaczyńskis“, einen „kirchenhörigen Fundamentalisten“. Die Zahl einflussreicher Medien, die ihn so darstellen, ist in Polen Legion. Duda wird es genauso schwer haben, wie sein politischer Förderer Lech Kaczyński, der im April 2010 ums Leben gekommene, viel geschmähte polnische Staatspräsident, dessen enger Mitarbeiter er war.

Der beste Feind. "Polityka" im Mai 2015.
Der beste Feind. „Polityka“ im Mai 2015.

 

„Intensiver Katholik“

Jarosław Kaczyński, Lechs Zwillingsbruder und Chef der oppositionellen nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), der Duda zum Kandidieren ausgewählt und bewogen hat, bezeichnete ihn als einen „intensiven Katholiken“. Was heiβt das?

Polens gröβtes Nachrichtenmagazin, der katholische „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 3. Mai 2015 ist dieser Frage nachgegangen und stellt fest:

„Es ist ein Jemand, der den Glauben nicht als ein Beiwerk zum Privatleben betrachtet (schöne Trauung, Taufe, Beerdigung), sondern als etwas, was sein ganzes Leben durchdringt und seine Entscheidungen beeinflusst. Eine solche Haltung schlieβt keineswegs Fehler und Abstürze aus. Ein „intensiver Katholik“ nimmt die göttlichen und kirchlichen Gebote ernst. Er ist kein „selektiver Katholik“, der sich, wie in einem Supermarkt, das aus dem Katholizismus herausnimmt, was ihm gerade passt, und sich seinen eigenen „Glauben“ zurechtbastelt. (…)

Kann ein Politiker ein „intensiver Katholik“ sein? Ja, er kann und er sollte es sogar sein, auch wenn er beschimpft wird als „Fundamentalist“, als „Lakai des Vatikans“ usw. Ein Katholik und Politiker zugleich, hat das Recht sich auf die christliche Moral- und Soziallehre zu berufen. Genauso, wie eine Feministin und Politikerin sich auf den Feminismus und ein Homo-Aktivist und Politiker sich auf die Homo-Ideologie berufen darf“, schreibt das Blatt und fährt fort:

„In der Demokratie muss man Kompromisse schlieβen, um Recht zu schaffen. Ein Katholik kann für ein Gesetz stimmen, das aus der Sicht der katholischen Lehre unvollkommen ist, aber eine Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustand bringt. Er darf das geringere Übel wählen, um ein gröβeres zu vereiteln.
Wenn man hört, wie und was Andrzej Duda sagt, hat man den Eindruck, dass er das alles sehr gut versteht und darauf vorbereitet ist, das höchste Amt im Staate auszuüben ohne von dem eigenen Glauben abzurücken.“

Gottesstaat? Lächerlich

Auch die katholische Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 30. Juli 2015 nahm sich des Themas „Gottesstaat“ an. Das Blatt schreibt:

„Die polnische Verfassung garantiert jedem Bürger die Gewissens- und Religionsfreiheit, und definiert präzise, wie die Beziehungen zwischen dem Staat, den Kirchen und anderen Glaubensgemeinschaften auszusehen haben. Letztere sind ohne Ausnahme vor dem Gesetz gleich. D. h. Polen ist kein Gottesstaat. Um ein solcher zu werden, müsste man die Verfassung und viele andere Gesetzte ändern, so auch das Konkordat mit dem Vatikan. Danach jedoch sieht es nicht aus.

Von allen Kirchen und Glaubensgemeinschaften spielt die katholische Kirche die wichtigste Rolle. Das resultiert nicht aus den Rechtsvorschriften, sondern aus der Geschichte und aus der Zahl ihrer Gläubigen. Darum sollte es wahrlich nicht verwundern, dass Bürger katholischen Glaubens des Öfteren die höchsten Ämter im Staate bekleiden. Ergibt sich aber daraus, dass sich Polen in einen „Gottesstaat“ verwandelt? Sicherlich nicht“, stellt die Zeitung fest, und schreibt weiter:

„Es gibt noch ein Argument. Es geht aus der Lehre Christi hervor. Es war Christus, der befahl: „gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, aber Gott, was Gottes ist.“ Daraus resultiert aus der Sicht der Katholiken die Achtung für die Autonomie und Unabhängigkeit von Kirche und Staat. Deswegen dürfen Geistliche keine Staatsämter innehaben.

Doch die Autonomie bedeutet nicht, dass die Kirche, verstanden als die Geistlichen und die Gläubigen, nicht laut und deutlich ihre Lehre verkünden darf. Das besagt auch das Gesetzbuch des Kirchenrechts der katholischen Kirche (Codex Iuris Canonici): „Der Kirche kommt es zu, immer und überall die sittlichen Grundsätze, auch über die soziale Ordnung, zu verkündigen, wie auch über menschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern“ (Can. 747 – § 2).

Die Frau Ministerpräsidentin (siehe 1. Absatz dieses Textes – Anm. RdP) sollte eigentlich wissen, dass die einzigen gefährlichen Gottesstaaten islamischer und nicht christlicher Provenienz sind. Schade, dass sie mit solch dümmlichen Feststellungen das Ansehen ihres Amtes schädigt“, endet das Blatt.

Andrzej Duda will und wird, bevor er das Amt antritt, seinen Glauben nicht an der Garderobe abgeben. Dialogorientiert wie er ist, will er jedoch, so seine Ankündigung, ein ernsthaftes Gespräch mit allen Bürgern, auch mit seinen ideologischen Gegnern suchen. Man darf gespannt sein auf diese Präsidentschaft.

© RdP