Zwei Leben für den Glauben

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Polnische Märtyrer selig gesprochen.

Es dauerte drei Tage bis die Nachricht von ihrer Ermordung aus der tiefsten peruanischen Provinz nach Europa durchdrang. Pater Jarosław Wysoczański erfuhr davon am 12. August 1991 in Kraków aus dem Fernsehen. Drei polnische Franziskaner waren auf Mission in Pariacoto. Nach drei Jahren sollten sie nacheinander den Heimaturlaub antreten. Pater Jarosław fuhr als erster. Die Hochzeit seiner jüngsten Schwester stand bevor. Sie hatte ihn gebeten, die Trauung vorzunehmen und rettete ihm damit das Leben.

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Pater Jarosław Wysoczański koordiniert seit seinem schweren Autounfall in Uganda, in Rom weltweit die Missionsarbeit der Franziskaner, und legt Zeugnis ab von der Arbeit seiner beiden Mitbrüder in Pariacoto.

Am folgenden Tag landete Johannes Paul II. auf dem Flughafen von Kraków zu seinem vierten Polen-Besuch. Eine seiner ersten Stationen war die Franziskanerkirche und das angrenzende Franziskanerkloster. Er wollte dort am Grab von Aniela Salwa beten, die er kurz zuvor, während einer Messe auf dem Krakauer Hauptmarkt, selig gesprochen hatte. Pater Jarosław durfte am Grab der soeben Seliggesprochenen Fotos der beiden ermordeten Mitmissionare anbringen, deren Eltern ebenfalls anwesend waren. Als sich der Papst von den Knien erhob, stellte ihm sein Sekretär, Bischof Dziwsz Pater Jarosław vor.

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Kraków, 13. August 1991. Johannes Paul II. betet am Grab von Aniela Salwa, an dem Pater Jarosław Wysoczański Fotos der in Pariacoto ermordeten Missionare angebracht hat.

„Johannes Paul selbst war bis zu diesem Zeitpunkt zweimal in Peru gewesen. Im Februar 1985, in Ayacucho, der Wiege des marxistischen Terrorismus, rief er während seiner Predigt, sichtlich erschüttert vom Ausmaβ der dort geschehenen Morde, mit bebender Stimme die Peruaner auf endlich Frieden zu schlieβen. Er kannte die Lage. Am Ende unseres kurzen, im Flüsterton geführten Gesprächs, sagte er zu mir: »Bleib tapfer. Wir haben zwei neue Märtyrer für den Glauben.« Er umarmte mich, segnete die verzweifelten Eltern und ging, umgeben von einem Pulk von Offiziellen und Begleitern.“, erinnert sich Pater Jarosław.

Zwei Geschichten werden eins

Im Jahr 1970 gründete Abimael Guzmán, Philosophieprofessor an der Universität in Ayacucho, eine radikale marxistische Organisation. Es sei an der Zeit, so Guzmán, dass das arme peruanische Volk die Macht übernehme und eine Kulturrevolution nach chinesischem Vorbild das Land erfasse. Mitte der 70er Jahre ging Guzmán in den Untergrund und wurde Anführer der Guerilla-Bewegung „Leuchtender Pfad“ (Sendero Luminoso). In der zweiten Hälfte der 80er und Anfang der 90er kontrollierte sie große Teile des Landes und hinterlieβ eine blutige Spur. Exzesse, wie das Massaker von Lucanamarca, bei dem die Kommunisten im April 1983 insgesamt 69 Bauern mit Macheten ermordeten, darunter 20 Kinder, waren keine Ausnahme. Etwa 70.000 Menschen haben ihr Leben verloren bis Guzmán im September 1992 gefasst und zu lebenslänglicher Haft verurteilt werden konnte.

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Terroristenführer Abimael Guzmán als Angeklagter vor Gericht in Lima im September 1992.

Die zweite Geschichte begann ebenfalls 1970, im Mai, in Pariacoto, einer Dreitausendseelen-Siedlung, gelegen in einem von den Anden umgebenen Talkessel. Ein gewaltiges Erdbeben verwüstete damals diese Gegend, knapp 70.000 Menschen kamen ums Leben. Monate vergingen bis Rettungsmannschaften in die letzten Winkel des Erdbebengebietes vorgedrungen waren.

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Opfer des kommmunistsichen Massakers von Lucanamarca vom April 1983 werden zu Grabe getragen.

Auch das ärmliche Pariacoto wurde schwer verwüstet. Peruanische Bischöfe schickten einige Nonnen, mit deren Hilfe die Siedlung nach und nach notdürftig wieder hergerichtet wurde. Die Seelsorgerinnen betreuten, und so ist es auch heute, weitere siebzig kleine, in den bis zu 5.000 m hohen Bergen verstreute Dörfer. Der Ritt in die entferntesten von ihnen dauerte zwei Tage. Es gab weder Wasser, noch Strom. Ein Wanderarzt kam alle drei bis vier Wochen auf dem Esel vorbei um nach seinen Patienten zu sehen.

Die zweite Heimat

Im Jahr 1988 kamen die drei polnischen Missionare: Jarosław Wysoczański (27 Jahre alt), Zbigniew Strzałkowski (phonetisch Stschalkowski) (30 Jahre), Michał Tomaszek (31 Jahre alt).

Als erstes kümmerten sie sich um die Wasserversorgung, holten Ingenieure in die Siedlung, die wussten wie man Wasser findet und es für die Versorgung speichert. In den Anden entspringt das Nass in den puquio, kleinen unterirdischen Quellen, die durch die ständig auftretenden kleineren Beben ihre Lage verändern. Deswegen war es so wichtig, dass sich alle Einwohner in das Vorhaben einbringen. „Es war erhebend zu sehen, wie eine Frau, die früher stundenlang das Wasser in Eimern kilometerweit herbeigeschleppt hatte, jetzt den Wasserhahn vor ihrem Haus aufdrehte um ihre Blumen zu gieβen. Die Wüste wurde zur Oase“, berichtet Pater Jarosław.

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Es galt auch die Seelsorge von Pariacoto aus in siebzig kleine Bergdörfer hoch in den Anden zu bringen.

Sie waren nur mit dem gekommen, womit sie vor den Andenbewohnern standen. Im Rucksack die Bibel, die Kutte, ein Paar Habseligkeiten. Ihre Bescheidenheit war der Passierschein in die Herzen der Indios. Sie arbeiteten Hand in Hand mit ihnen beim Bau der Wasserleitung, beim Ausbau der Kirche, beim Ausbessern der Straβe, beim Aufstellen der Masten, damit die Siedlung wenigstens zwei Stunden am Tag Strom aus Aggregaten nutzen konnte. Sie schufteten im Staub und kauten, wie die Einheimischen, Kokablätter, um in der dünnen Andenluft körperlich mithalten zu können. Sie organisierten Medikamente und brachten Kranke den viele Stunden dauernden Weg ins Hospital.

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Der Ritt in die entlegendsten Andendörfer dauerte bis zu zwei Tage.

Pater Zbigniew hat mir so das Bein gerettet. Es war von Wundbrand befallen. Bewusstlos hat er mich auf dem Esel einen ganzen Tag lang bis ins Krankenhaus transportiert“, berichtete Monate nach dem Mord einer der Indios dem überlebenden Pater Jarosław.

Pater Michał klapperte alle Häuser in der Siedlung ab, um die Eltern dazu zu bewegen die Kinder zweimal in der Woche, am Nachmittag, zum Religionsunterricht in die Kirche zu schicken. Das gab es vorher nicht. Als sein Leben zu Ende ging, war die Kirche stets voller Kinder, denen er die Bibel vorlas und erklärte, denen er das Singen beigebracht hat.

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Bescheidenheit und schwere Arbeit waren ihr Passierschein in die Herzen der Indios.

Die erste Heimat

Alle Drei stammten aus Kleinstädten in Südostpolen, der einzigen Gegend des Landes, wo der Zweite Weltkrieg zwar gewütet hatte, die sozialen Strukturen davon aber weitgehend unberührt geblieben waren. Ostpolen, seit 1945 zum Gebiet der damaligen Sowjetunion gehörend, das völlig zerstörte und entvölkerte Warschau, Groβpolen mit Poznań, die ehemaligen deutschen Ostgebiete, überall hatten Deutsche und Sowjets Hunderttausende von Polen ermordet, um- und ausgesiedelt.

Die südöstliche Ecke des nach 1945 auf der Europakarte völlig neu geformten Landes blieb jedoch so, wie sie vom Ursprung her war: kleinbäuerlich, tiefgläubig, nationalbewusst. Sogar die Kommunisten bissen sich daran letztendlich die Zähne aus. Die Kollektivierung der Landwirtschaft scheiterte. Trotz Verfolgung und Behinderung des Glaubens war junger Nachwuchs an Nonnen, Mönchen und Priestern, gerade in dieser Gegend, immer besonders zahlreich.

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Die späteren Missionare Michał Tomaszek (links) und Zbigniew Strzałkowski am Anfang ihre Noviziats bei den Franzisaknern in Kraków 1980.

Die drei jungen Männer lernten sich 1980 während des Noviziats bei den Franziskanern in Kraków kennen. Polen befand sich zu dieser Zeit in Aufruhr. In den letzten Augusttagen endeten die groβen Streiks an der Küste und in Oberschlesien. Solidarność, die erste freie Gewerkschaft im kommunistischen Machtbereich, entstand. Das Land streikte, debattierte, demonstrierte, kostete die Freiheit aus, die die in die Defensive gedrängten regierenden Kommunisten erst einmal nicht einzudämmen vermochten.

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Studentenpfarrer, Mystiker und Graf Joachim Badeni.

Wenn sie konnten, rannten die Drei in die Jagiellonen Universität, wo es nur so brodelte von Diskussionen, Flugblättern, Happenings. An Sonntagen galt es rechtzeitig in der Dominikanerkirche zu sein, bevor sie randvoll mit Menschen gefüllt war, die wie gebannt den Predigten des legendären Studentenpfarrers, Mystikers und Grafen Joachim Badeni oder des berühmten Priesters, Philosophen und Solidarność-Theologen Józef Tischner lauschten.

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Philosoph und Solidarność-Theologe, Pfarrer Józef Tischner.

Das am 13. Dezember 1981 ausgerufene Kriegsrecht setzte fast all dem ein Ende, nur die Kirchen blieben als Freiräume erhalten. Schauspieler, Musiker, Schriftsteller, die aus Protest massenhaft das Staatsfernsehen- und den Rundfunk boykottierten, gaben Lesungen, Konzerte und Vorstellungen unter dem Dach der Kirche. Bei den Krakauer Franziskanern, unter den atemberaubenden Glasmalereien Wyspiańskis, gerieten diese Auftritte zu Mysterien der Freiheit. Das alles formte die drei jungen Männer aus der Provinz, festigte ihre Charaktere, machte sie unempfänglich für die lateinamerikanische Befreiungstheologie, die marxistische Gewaltideen mit dem Christentum vermischte.

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In der Zeit des Kriegsrechts gerieten die Auftritte oppositioneler Künstler bei den Krakauer Franziskanern, unter den atemberaubenden Glasmalereien Wyspiańskis (hier „Gott Vater – Werde“), zu Mysterien der Freiheit.

Der Tod schleicht um Pariacoto

Im Jahr 1991 schließlich trafen beide Handlungen aufeinander. Die Terroristen wollten, dass die Welt sie wahrnimmt.
„Bis dahin wurden Kirchenleute in Ruhe gelassen“, berichtet Pater Jarosław. „Als erste haben sie die australische Herzjesu-Schwester Irene McCormac ermordet.“ Eine Terroristin richtete sie am 21. Mai 1991 in der Stadt Huashuasi mit einem Kopfschuss hin.

„Der Leuchtende Pfad wollte siebzehn Kilometer weiter, im Nachbardorf Yaután ein Schulungszentrum einrichten, um seine Ideologie zu verbreiten. Zuerst brachte die Guerilla bei einem nächtlichen Überfall die beiden Polizisten, den Anwalt und einen Fuhrunternehmer um. Wir sind dort hingefahren, um die Menschen zu trösten. Die Guerilleros haben daraufhin unsere Telefonleitung vernichtet. Dann flohen der Bürgermeister von Pariacoto, die Gemeindevorsteher und alle Polizisten aus den umliegenden Dörfern. Der Leuchtende Pfad wollte keine Vertreter der Verwaltung und keine Respektspersonen in der Gegend haben. Wir waren die letzten“, erzählt Pater Jarosław.

Mord auf dem Friedhof

Er ist überzeugt, dass die Terroristen seine Mitbrüder wegen der Propagandawirkung umgebracht haben. Johannes Paul II. sollte in wenigen Tagen seine Heimat besuchen. Der Tod zweier polnischer Missionare würde umso mehr für Aufsehen sorgen.

Als sie spätabends am 9. August 1991 in das kleine Kloster eindrangen, wollten sie auch die drei jungen peruanischen Postulanten mitnehmen. Pater Michał hat sie ihnen entrissen und in die Kapelle gebracht. Eigentlich planten die Terroristen in Pariacoto, wie sie es meistens zu tun pflegten, ein „Volkstribunal“ zu veranstalten. Doch die Einwohner wollten nicht kommen.

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Die peruanische Nonne, Schwester Berta Hernandez. Eine mutige Frau, die bis zuletzt von der Seite der Missionare nicht weichen wollte.

„Anklage“ wurde auf ihrem Pickup erhoben. Sie hätten den Menschen die Bibel nahegebracht, die Religion aber sei das „Opium fürs Volk“. Sie hätten Armen zu essen gegeben, so etwas schläfert den revolutionären Geist ein. Zeugin war die peruanische Nonne, Schwester Berta Hernandez, eine mutige Frau, die bis zuletzt von der Seite der Missionare nicht weichen wollte. Pater Zbigniew schwieg. Pater Michał sagte nur: „Wenn wir uns geirrt haben, dann sagt uns worin.“

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Das Todesurtei an den Rücken gepinnt: „So enden Lakaien des Imperialismus“.

Das Auto fuhr los, Schwester Berta blieb zurück. Auf dem Friedhof streckten zwei Kopfschüsse die Opfer nieder. Am Rücken von Pater Zbigniew heftete ein blutverschmierter Zettel „So enden Lakaien des Imperialismus“. Zwei Wochen später starb in der Ortschaft Vinzos der italienische Missionar, Pfarrer Alessandro Dordi auf dieselbe Weise.

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5. Dezember 2015. Während der Seligsprechungs-Feierlichkeiten im Fuβballstadion der westperuanischen Stadt Chimbote
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Briefmarke der Polnischen Post vom Dezember 2015, anlässlich der Seligsprechung der beiden Missionare.

Alle drei wurden knapp ein Vierteljahrhundert später, am 5. Dezember 2015, während der Feierlichkeiten im Fuβballstadion der westperuanischen Stadt Chimbote selig gesprochen.

PaterJarosław Wysoczański ging als Missionar nach Uganda. Nach einem schweren Autounfall wurde er nach Rom versetzt, von wo aus er die Missionsarbeit der Franziskaner weltweit koordiniert.

Die polnischen Franziskaner sind in Pariacoto geblieben. Heute setzt dort Pater Jacek Lisowski die Arbeit der Märtyrer fort.

© RdP