Stiefkind Kriegsmarine. Polens Verwundbarkeit an der Ostsee

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Windparks, die Baltic Pipe, Öl- und Gastanker, Handelsrouten und Häfen stehen auf dem Spiel.

Von Russland abgekoppelt, hat sich Polens  Energieversorgung in den letzten Jahren zu einem beachtlichen Teil auf die Ostsee verlagert. Auch wenn das Baltische Meer durch den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens zu einer (beinahe) Nato-See geworden ist, gibt die Verwundbarkeit der polnischen Energieanlagen in und an der Ostsee Anlass zur Sorge, vor allem wenn man seinen Blick auf die Schwäche der polnischen Marine richtet.

Die Sabotage-Sprengungen an den Erdgasleitungen Nord Stream 1 und 2 Ende September 2022 haben die bis dahin in der Ostsee herrschende Ruhe empfindlich gestört und die polnische Freude über die mit viel Aufwand betriebene energiepolitische Loslösung von Russland gedämpft.

Gemeinsamer Nenner

Erdölterminal im Nordhafen von Gdańsk.

Erreicht wurde dieses Ziel durch den Ausbau des Ölterminals in Gdańsk/Danzig, der pro Jahr bis zu 36 Millionen Tonnen Erdöl aufnehmen kann. Dadurch wird der polnische Erdölverbrauch von rund 30 Millionen Tonnen pro Jahr vollständig abgedeckt. Die noch verbleibende Menge kann für den Export verwendet werden, auch für Lieferungen an Raffinerien in Deutschland.

LNG-Terminal Lech Kaczyński in Świnoujście/Swinemünde.

Eine weitere, weitaus größere, teurere und aufwendigere Maßnahme war die vollständige Loslösung Polens vom russischen Erdgas. Um das zu erreichen, wurde zunächst der Bau des 2016 in Betrieb genommenen LNG-Terminals Lech Kaczyński in Świnoujście/Swinemünde in Angriff genommen. Im Oktober 2022 kam die Erdgasleitung Baltic Pipe hinzu, die die Gasvorkommen auf dem norwegischen Schelf mit Polen verbindet. Inzwischen laufen die Vorbereitungen für die Errichtung eines schwimmenden LNG-Terminals in der Danziger Bucht auf Hochtouren.

Erdgasleitung Baltic Pipe.

In jüngster Zeit sind große Steinkohleeinfuhren aus Übersee, etwa 10 Millionen Tonnen, hinzugekommen. Durch die EU-Klimapolitik gezwungen, den eigenen Steinkohlebergbau zu reduzieren, importierte Polen in den vergangenen zehn Jahren auf der Schiene eine ständig wachsende Menge Steinkohle aus Russland. Im Jahr 2021 waren es gut 10 Millionen Tonnen, die ausschließlich in Privathaushalten und in der kommunalen Fernwärmeversorgung verfeuert wurden. Die gesamte polnische Steinkohleförderung (ca. 55 Millionen Tonnen) ging an die großen Kraftwerke.

Kohleterminal im Hafen von Gdynia.

Mit der Verhängung von Sanktionen gegen Russland, zu denen auch ein Kohle-Importstopp gehört, musste sich das Land innerhalb kürzester Zeit, vor Beginn des Winters, auf Kohleimporte aus Asien, Afrika und Australien umstellen. Die Versorgung der Privathaushalte mit genügend Kohle musste gesichert sein. Dieses gigantische Vorhaben wird ausschließlich über die polnischen Ostseehäfen abgewickelt.

Bauarbeiten am Windpark in der Ostsee.

Spätestens in zehn Jahren werden, dank des gerade beginnenden Baus von Offshore-Windparks in der Ostsee, mehr als 25 Prozent der in Polen verbrauchten Energie von dort kommen. Auch diese Anlagen müssen geschützt werden.

Getreideterminal im Hafen von Gdańsk.

Seit Neuestem, fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, die vor allem auf die von Russland genehmigte Transportroute zwischen Odessa und der türkischen Schwarzmeerenge schaut, läuft der Abtransport des sich angestauten ukrainischen Weizens auch über die polnischen Ostseehäfen. Bis Ende 2022 sollen auf diesem Weg etwa eine Million Tonnen umgeschlagen werden. Der gemeinsame Nenner all dieses Tuns ist die Ostsee.

Zudem wird der größte Teil des polnischen Außenhandels über polnische Häfen abgewickelt. Auch ist die Endstation für den Seetransport von Waren aus Asien nach Osteuropa nicht mehr, wie früher, ausschließlich Hamburg, wo das Löschgut auf kleinere Schiffe, die Bahn und LKWs umgeladen wurden, um nach Polen zu gelangen. Die größten Containerschiffe der Welt, die in die Ostsee einfahren können, beenden heute immer öfter ihre Fahrt in Polen. Die drei führenden Häfen Gdańsk, Gdynia und Szczecin-Swinoujście haben im Jahr 2021 mehr als 114 Millionen Tonnen Fracht umgeschlagen und dem Staat umgerechnet etwa 11 Milliarden Euro an unterschiedlichen Steuereinnahmen gebracht.

Ein erschüttertes Gefühl der Sicherheit

All das bedeutet, dass Polen durch seine Unabhängigkeit von Russland abhängig geworden ist… von der Ostsee. Russland ist sich dessen bewusst, und man kann sicher sein, dass Putin und der russische Staatsapparat keine Gelegenheit auslassen werden, um Polen auch hier Probleme zu bereiten.

Dabei geht es keineswegs allein um direkte Angriffe. Um die Gefahr zu steigern, müsste nicht gleich Sabotage an Energie- und Hafeninfrastruktur verübt werden. Da könnte eine vor Jahren auf einem versunkenen Schiff zurückgelassene Seemine in die Luft gehen. Es können auf dem Grund des Bornholmer Beckens liegende Behälter aus dem Zweiten Weltkrieg mit chemischen Waffen entsiegelt werden. Man kann auch die Ladung des seit dem Zweiten Weltkrieg in der Danziger Bucht liegenden deutschen Tankers „Franken“ zum Auslaufen bringen.

In der Ostsee vor der polnischen Küste versenkte Giftgasbehälter aus dem Zweiten Weltkrieg.

Jede dieser Maßnahmen würde das Gefühl der Sicherheit erschüttern. Und Russland ist dazu in der Lage. Es hat „Forschungsschiffe“, Miniatur-U-Boote, Tauchboote, unbemannte Fahrzeuge oder speziell ausgebildete Taucher. Solche Angriffe könnten das tägliche Funktionieren der polnischen Wirtschaft nachhaltig beeinträchtigen und die Ostsee in den Augen der Energie-, Schifffahrts- und Versicherungsunternehmen zu einem gefährlichen Gewässer machen. Eine sich anschließende Erhöhung der Versicherungsprämien für den Transport von LNG oder Öl würde den Preis für diese Rohstoffe anziehen lassen.

 

Wir brauchen Schiffe

Deshalb muss das polnische Sicherheitskonzept für die Offshore-Energieinfrastruktur, die Baltic Pipe, die Hafenanlagen angemessene Schutzmaßnahmen vorsehen. Vor allem eine tiefgreifende Modernisierung der polnischen Marine tut not. Seit 1990 hat sie kein einziges neu produziertes Kampfschiff erhalten. Zwei gebraucht erworbene amerikanische Fregatten (Baujahr 1978 und 1979) sowie norwegische U-Boote der Kobben-Klasse sind in den letzten Jahren am Limit ihrer Einsatzfähigkeit angelangt, mussten ausgemustert werden oder stehen kurz davor. Das einzige sich noch im Dienst befindliche U-Boot dient im Grunde nur noch zu Ausbildungszwecken, damit qualifiziertes Personal bereitsteht, wenn neue U-Boote angeschafft werden. Doch wann das passieren wird, ist nicht bekannt. Die erste der drei in Zusammenarbeit mit den Briten gebauten Fregatten soll erst 2028 in Dienst gehen.

Polen braucht keine Hochseeflotte mit Zerstörern oder gar Kreuzern. Gefragt sind maßgeschneiderte Schiffe, die Windparks auf hoher See, Pipelines, Containerterminals, Gas- und Ölhäfen, sowie in der Zukunft auch das erste polnische Kernkraftwerk und die Nachschubrouten in der Ostsee schützen.

Anders als die Luftwaffe und das Heer, die in der letzten Zeit durch massive Einkäufe amerikanischen und südkoreanischen Geräts erheblich verstärkt und modernisiert werden, bleibt die Marine ein Stiefkind des nachkommunistischen Polens. Alle reden darüber, aber Taten lassen bis jetzt auf sich warten. Das kann böse Folgen haben.

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