Polens Sonderweg in die gottlose Zukunft…

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…ist nicht vorgezeichnet.

Eintritt, Abkehr, Rückkehr, Rituale – die junge Generation und der Glaube ● Familie, Schule, Kirche und wo die Großmütter bleiben ● Angriffe auf Geistliche, Kirchengebäude und das jähe Ende des Frauenstreiks ● Vom Widerstand der Gläubigen und der Zwangsläufigkeit, die nicht sein muss.

Ein Gespräch mit Prof. Mirosława Grabowska, Polens führender Politik- und Religionssoziologin, Leiterin des staatlichen Zentrums für Meinungsforschung (CBOS).

Prof. Mirosława Grabowska.

Anfang März 2021, bei der Vorstellung des Berichtes der Katholischen Nachrichtenagentur KAI „Kirche in Polen“, haben Sie gesagt, dass sich die Abkehr der polnischen Jugendlichen von der Kirche beschleunigt hat. Wie ist das zu verstehen?

Immer weniger Jugendliche üben den Glauben regelmäßig aus. Gemeint ist damit eine Lebensgestaltung, die mit Gebet, mit der Teilnahme am Gottesdienst und mit der Beachtung christlicher Grundwerte die Hinwendung zu Gott verdeutlicht. Die Bindung an die Kirche lockert sich zunehmend, beschränkt sich auf ein gelegentliches Zusammentreffen. Das gilt für etwa 45 Prozent aller 18- bis 27-Jährigen.

Zudem ist der Anteil der Jugendlichen, die überhaupt nicht mehr zur Kirche gehen, auf etwa 20 Prozent angestiegen. Ihre Begegnung mit der Kirche beschränkt sich auf Taufen, Trauungen, Beerdigungen, manchmal den Gang zur Christmette.

Das sind auch immer noch die Gelegenheiten, bei denen vielen, die sich ganz und gar von der Kirche abgewandt haben, der kirchliche Rahmen wichtig ist. Tradition, Gewohnheit, die Erwartungen der Familie, aber auch die Angst vor einer geistigen und rituellen Leere, die ein wichtiges Ereignis im Leben umgeben könnte, spielen hier eine Rolle.

Damit kommen wir auf etwa 65 Prozent der Jugendlichen, die keinen großen Bezug zur Kirche haben. Kann man das schlechthin mit einer allgemeinen Abkehr vom Glauben gleichsetzen?

Die Abkehr, von der wir reden, hat viele Schattierungen. Einen erklärten, feindseligen Atheismus, der das Christentum als solches rigoros ablehnt, pflegen vielleicht zwei bis drei Prozent der 18- bis 27-Jährigen.

Der Rest bekundet, sich von der Kirche als solcher entfernt oder abgewandt zu haben. Sie behaupten aber gleichzeitig, dem katholischen Glauben „privat“, „mehr“, „weniger“ oder „ein wenig“ verbunden geblieben zu sein. Dieser selbst abgesteckte Verbleib ist möglich, weil sie sich die moralischen Vorgaben des Katholizismus derart zurechtgebogen haben, dass sie ihren „modernen“ Lebenswandel nicht behindern.

Ein bezeichnendes Indiz dafür ist das sehr weitverbreitete Festhalten am religiösen Brauchtum. Nicht wenige Kirchenleute spielen das herunter. Es seien Rituale, ohne einen wahrhaftigen religiösen Inhalt, sagen sie. Ich sehe das anders.

Diese Rituale sind der Gang zur Kirche am Karsamstag, um die Speisen segnen zu lassen. Das Anfertigen oder Erwerben von Osterpalmen. Das Teilen der Oblaten miteinander vor dem Festmahl und das zusätzliche Gedeck auf dem Tisch an Heiligabend. Das gemeinsame Singen von Weihnachtsliedern. Die Teilnahme an der Christmette.

Acht von zehn Jugendlichen, die zu den „abgekehrten“ 65 Prozent gehören, geben an, diesen Bräuchen zugetan zu sein.

Wovon zeugt das?

Davon, dass bei den polnischen Jugendlichen, die sich abgewandt haben, in den meisten Fällen längst nicht alle Brücken zum Glauben und zur Kirche gekappt wurden. Zudem weiß man bei jungen Menschen nie, wie viel purer Trotz, Lust am Protest, an der Provokation ihr Handeln beeinflussen. Das war schon immer ein Privileg des Jungseins.

Die Vorbereitungen auf Erstkommunion und Firmung, der Religionsunterricht in der Schule, auch wenn an ihm vieles bemängelt wird, gehören zu den Erfahrungen der meisten polnischen Jugendlichen. Auch wenn, zumeist nach der Firmung, viele junge Menschen mit 15 bis 18 Jahren von der Kirche, oft aus purer Bequemlichkeit, wegdriften, steht ihnen der Weg der Rückkehr jederzeit offen. Man kennt sich, sozusagen.

Eine große Anzahl derjenigen, die in ihrer Jugend Gott und der Kirche gekündigt haben, gingen und gehen diesen Weg zurück, wenn sie gereift sind, manchmal erst im Alter.

Ich will damit sagen, dass die Tradition, die immer noch sehr lebendig ist, sowie die rege, mit Leben erfüllte Berührung mit der Religion im Kindesalter die polnische Jugend prägen. Daraus ergeben sich viele Brücken und Anknüpfungspunkte. Das gibt Hoffnung, was nicht heißen soll, dass wir uns keine ernsthaften Sorgen machen sollen.

Der Unterschied fällt besonders krass ins Auge, wenn wir unseren unmittelbaren Nachbarn Ostdeutschland betrachten. Dort haben die Nazis und die Kommunisten in mehr als einem halben Jahrhundert beim religiösen Kahlschlag ganze Arbeit geleistet. Die Bevölkerung ist in ihrer Masse gänzlich vom Glauben und von der Kirche separiert. Wo die Jugendweihe die Firmung dauerhaft besiegt hat, da kann man an nichts mehr anknüpfen.

Aber zurück zu uns. Viele Geistliche sagen, dass die Feinde der Kirche schuld sind am Rückgang der Religiosität bei den Jugendlichen.

Dass es solche Feinde der Kirche gibt, das kann man nicht von der Hand weisen. Die Kirche ist im heutigen Polen sehr heftigen Attacken rabiater, linksradikaler Rowdys ausgesetzt: Verunglimpfungen, tätliche Angriffe auf Priester, das Stören von Gottesdiensten, mutwillige Beschädigungen von Kirchengebäuden, aber auch Hasskampagnen in den sozialen Medien. Das ist rohe physische und pure geistige Gewalt.

Doch hier handelt es sich mehr um eine Folge als um eine Ursache. Nicht deswegen entziehen sich Jugendliche der Kirche und dem Glauben, sondern weil drei Institutionen zunehmend versagen: Familie, Schule und die Kirche selbst.

Den Eltern liegt weniger daran, den Glauben weiterzugeben, ihre Kinder in der Kirche zu sehen. Im Jahr 1996 sagten gut 50 Prozent der Jugendlichen, ihren Eltern sei das wichtig. Jetzt sagen das nur noch 30 Prozent.

Warum ist das so?

Das konsumorientierte Denken greift auch bei uns um sich. Die Arbeit verlangt den Eltern immer mehr Kraft und Engagement ab. Die Kinder sollen lernen, einen guten Beruf haben, materiell erfolgreich sein. Ein Teil von ihnen driftet ganz und gar in die sozialen Medien ab, weg von den Eltern. Die Liste der Gründe ließe sich fortsetzen.

Und wo bleiben die Großmütter?

Viele von ihnen sind heute berufstätig oder wohnen woanders, sehen ihre Enkelkinder nur ab und an. Die Mehrgenerationenfamilie, die zusammen wohnt, ist bei uns längst nicht ausgestorben, aber sie ist doch ein langsam auslaufendes Modell.

Hat sich der Religionsunterricht nicht bewährt?

Die Kommunisten haben nach 1945 den Religionsunterricht eingeschränkt und behindert, aber sie brauchten sechzehn Jahre, bis sie es wagten, ihn 1961 aus dem Schulwesen gänzlich zu verbannen.

Ab dann durfte er nur noch an Nachmittagen in den Pfarreien stattfinden. Das freiwillige „chodzenie na religię“, „hingehen zum Religionsunterricht“ einmal in der Woche, bedurfte seitens der Kinder und Jugendlichen eines zusätzlichen Zeit- und Kraftaufwandes.

Es war in der Zeit der kommunistischen Kirchenverfolgungen zugleich zwangsläufig ein eindeutiges Bekenntnis der Eltern zur Kirche. Wer seine Kinder zum Religionsunterricht schickte, musste nicht mit Repressalien, aber sehr wohl mit Nachteilen, zum Beispiel am Arbeitsplatz, rechnen.

Seit September 1989 gibt es wieder Religionsunterricht an den Schulen. Die Erwartung, ihn flächendeckend ausgesprochen attraktiv, außergewöhnlich zu gestalten, ist natürlich unrealistisch. Es gibt durchaus begnadete Katecheten, aber meistens ist das ein Unterricht wie jeder andere. Über die Teilnahme bestimmen die Eltern, volljährige Schüler entscheiden selbst.

Die Zahlen sind rückläufig. Im Augenblick nehmen zwei Drittel der Schüler am Religionsunterricht teil. Vor zehn Jahren noch waren es neunzig Prozent.

Sie sagen: Die Familie versagt, die Schule versagt, und die Kirche selbst?

Wer nicht regelmäßig zur Messe geht, der kommt nicht in Berührung mit der Kirche. Wenn die Eltern nicht hingehen, tun es auch die Kinder nicht. Hinzu kommen die bereits erwähnten Faktoren, wie das Internet, die sozialen Medien, in denen es von Kirchenschmähungen nur so wimmelt, und einiges mehr, das sie davon abbringt. Diejenigen, die nicht zu ihr kommen, kann die Kirche nicht gewinnen.

Sollte die Kirche nicht nach neuen Wegen suchen, Kinder und Jugendliche zu erreichen?

Das geschieht vielerorts, auch unter Anwendung der neuen Medien. Aber machen wir uns nichts vor, es gibt Grenzen, hinter denen sich nur noch Infantilisierung und Anbiederung erstrecken. Die sollte man lieber nicht überschreiten. Es gibt Priester, die berufene Erzieher sind, aber die meisten Geistlichen können sich nur Mühe geben, und das reicht bei den heutigen, auf Events und Action eingestellten Jugendlichen oft nicht aus.

Wir reden bis jetzt nur von Problemen und Niederlagen, malen ein durch und durch düsteres Bild. Es gibt aber auch die Kehrseite der Medaille. In den heiligen Messen, egal wo man in Polen in die Kirchen hineinschaut, sind beileibe nicht nur alte Mütterchen zu sehen. Kinder und Jugendliche bevölkern sie immer noch reichlich. An den knapp fünfhundert von der Kirche getragenen katholischen Schulen lernen etwa 75.000 Schüler. Das eine Drittel der sich nicht von der Kirche abgewendeten jungen Menschen lebt den Glauben und engagiert sich sehr stark.

Ja, das ist immer noch ein sehr starkes Fundament. Die Frage ist, ob es sich festigen und ausbauen lässt oder ob es weiterhin bröckelt.

Die Verweltlichung nimmt auch in Polen immer radikalere Formen an. Hat Sie das Ausmaß der Aggression, mit der Protestteilnehmer nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zum besseren Schutz des ungeborenen Lebens im Herbst letzten Jahres gegen Geistliche und Kirchengebäude vorgingen, überrascht?

Das geschah überwiegend in den Großstädten. Die Proteste waren nicht klein, aber im Gesamtmaßstab umfassten sie nur einige wenige Prozent der Gesellschaft. Die Veranstalter behaupteten im Namen „der Frauen“ aufzutreten. In Wirklichkeit vertraten sie zwar eine gehörige Anzahl von ihnen, aber es war eine Minderheit.

Dabei wurde ein Tabu, das in Polen gesellschaftsübergreifend galt, auf eine früher unvorstellbar brutale Art gebrochen. Der Trend selbst hat mich nicht verwundert, aber die Brutalität des Vorgehens tat es durchaus. Das Eindringen in Kirchen, um die Heilige Messe zu stören, das konnte ich mir bis dahin nicht vorstellen. Jetzt kann ich es.

Nach wenigen Wochen sind die Proteste versiegt. Zu dem vorläufig letzten Versuch, Warschau am 8. März 2021, dem sogenannten Internationalen Frauentag, lahmzulegen, sind mehr Polizeibeamte und Journalisten als Demonstranten erschienen. Wo sehen Sie die Gründe für das Scheitern des sogenannten Frauenstreiks?

Erstens. Die Jugendlichen, die massenweise zu den ersten Protesten im Oktober 2020, unmittelbar nach dem Spruch des Verfassungsgerichts, kamen, haben diese Protestaktionen zumeist als ein Happening aufgefasst. Es war, in der Corona-Zeit, vor allem ein Entkommen aus dem Eingesperrtsein zu Hause, ohne Schule, ohne Disco, ohne Geselligkeiten. Diese Ventilfunktion jedoch hat sich bald abgenutzt. Das fast tagtägliche Protestieren wurde ihnen schnell langweilig.

Zweitens. Die Veranstalter sind sehr rasch von der Forderung, die Abtreibung auf Wunsch zuzulassen, dazu übergegangen, einen Machtwechsel ohne Wahlen in Polen zu fordern, den Sturz der Regierung anzustreben, gar eine Revolution zu verkünden. Der Regierung wurden allen Ernstes acht Tage eingeräumt, um zurückzutreten. Es war grotesk und es ging den meisten viel zu weit. Das waren nicht ihre Anliegen. Sie fühlten sich hintergangen und sind zu Hause geblieben.

Drittens. Nach der anfänglichen Begeisterung kam die Ernüchterung. Die brutale Hass- und Gossensprache, derer sich die Anführerinnen der Frauenstreiks bedienten, dazu die erwähnten Attacken auf Geistliche und Kirchengebäude, erzeugten die Frage: Wo und womit soll das enden?

Zwischen der Ablehnung der Kirche und dem Demolieren von Kirchen liegen in Polen immer noch Lichtjahre. Das haben die selbsternannten, inzwischen ziemlich vereinsamten Führerinnen des Frauenstreiks schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen.

Kindesmissbrauch durch Geistliche hat im katholischen Irland die Kirche in eine schwere Krise gestürzt. Ist das auch in Polen eine wichtige Ursache dafür, dass Jugendliche der Kirche den Rücken kehren?

Sicherlich spielt das eine Rolle, aber wie groß sie ist, das kann ich nicht sagen. Dazu bedürfte es sehr eingehender Untersuchungen. Tatsache ist, dass das Vertrauen in die Kirche schwindet. Das zeigen alle Umfragen. Aber auch hier sollten wir eine polnische Besonderheit nicht außer Acht lassen.

Ein wichtiges Erbe des Zweiten Weltkrieges und des an ihn unmittelbar anschließenden Kommunismus in Polen war das außerordentlich große Vertrauen in die Kirche. Ob Massenmorde im Krieg oder Repressalien im Kommunismus, die Kirche teilte das Schicksal der Nation. Sie war und ist immer noch ihre tragende Säule. Gegen sie richtete sich deswegen die Wucht des deutschen, des sowjetischen und des eigenen kommunistischen Terrors.

Die polnische Kirche hat mit ihrem Widerstand wichtiges Zeugnis abgelegt. Zwei Namen: Pater Maksymilian Kolbe und Pfarrer Jerzy Popiełuszko stehen stellvertretend für die im Krieg etwa 3.000 ermordeten polnischen Geistlichen und einige Dutzend, die nach dem Krieg getötet wurden. Die Kirche litt mit der Nation, sie spendete zugleich Trost, gab seelischen Rückhalt, erhob die Stimme des Protestes, war ein Zufluchtsort, an dem man sich dem totalitären Herrschaftsanspruch und der allgegenwärtigen, dumpfen kommunistischen Propaganda entziehen konnte.

Der kommunistische Staat und die Kirche, das war jahrzehntelang der von den anormalen politischen Umständen hervorgebrachte, eigenartige polnische Pluralismus. Daher rührte die Autorität der Kirche und die Zustimmung von gut 90 Prozent, die sie um 1990 genoss. Mehr ging nicht.

Zweierlei war zudem klar. In einer pluralistischen Gesellschaft werden andere einen Teil der bisherigen, politisch-gesellschaftlichen Funktionen der Kirche übernehmen, die diese im Kommunismus notgedrungen ausüben musste. Außerdem werden ihr, auf dem neu entstandenen „freien Basar der Ideen“, schnell vielfältige heftige Winde entgegenwehen. Dass unter diesen Umständen heute, dreißig Jahre nach dem Ende des Kommunismus, immer noch um die 50 Prozent der polnischen Gesellschaft der Kirche ihr Vertrauen aussprechen, ist durchaus bemerkenswert.

Und die Parallele zu Irland?

Dort hat nicht ausschließlich die Pädophilie die Kirche in die Krise gestürzt. In der einst armen britischen Kolonie überstieg innerhalb einer Generation das Pro-Kopf-Einkommen das in Großbritannien. Es war ein geradezu kometenhafter Aufschwung. Das ist ungefähr so, als würden wir in Polen innerhalb von zwanzig Jahren reicher werden als die Deutschen. Dieser plötzliche Wechsel zog atemberaubende soziale Veränderungen nach sich, die den Verweltlichungsprozess einer bisher sehr traditionellen Gesellschaft erheblich beschleunigten.

Das heißt: Je reicher wir sind, umso mehr lässt unsere Religiosität nach?

So eine Abhängigkeit weisen alle internationalen Untersuchungen auf. Wachsender Wohlstand, mehr soziale Sicherheit bewirken nicht, dass wir gleich den Glauben verlieren, aber wir werden zunehmend abgelenkt, unser Lebensstil ändert sich.

Der Kirche in Polen wird vorgeworfen, sie mischt in der Politik mit und begünstigt die regierenden Nationalkonservativen. Die Linke sieht darin einen wichtigen Grund für eine fortschreitende Laizisierung der Gesellschaft.

In aller Welt beeinflusst die Religiosität die politischen Präferenzen, auch in Polen. Überall geben gläubige Menschen bevorzugt konservativen Parteien ihre Stimme. Bei uns ist das Niveau der Religiosität immer noch viel höher als anderswo im Ausland. Das verknüpft sich mit anderen Merkmalen: höherem Alter, dem Wohnen in traditionell geprägten Regionen.

Auch den Vorwurf des Mitmischens in der Politik muss man redlich angehen. Die Gegner der Kirche bezeichnen auf diese abschätzig klingende Weise Stellungnahmen der Bischöfe zu Fragen der Ethik, der Moral, der Sozialpolitik. Der Schutz des ungeborenen Lebens gegen Abtreibung. Das Recht, am Sonntag nicht an der Kasse eines Discounters sitzen zu müssen. Die Festigung der traditionellen Familie. All das und vieles mehr sind zugleich hochbrisante politische Themen, die die Gesellschaft spalten. Dennoch kann und darf die Kirche nicht dazu schweigen.

Dieselben Linken und Liberalen, die das Engagement der Kirche in diesen Fragen als „Einmischung in die Politik“ bemängeln, erwarten und fordern gar, dass sich die Kirche zu denselben Themen in ihrem Sinn äußern soll. Das ist dann nicht „Einmischung“, sondern „Engagement“.

Wenn man die Entwicklung in den noch vor nicht langer Zeit sehr katholischen Ländern wie Irland, Spanien oder Italien beobachtet, drängt sich die Frage auf: Welchen Weg hin zur Laizisierung wird Polen einschlagen?

Soziologen sind keine Zukunftsforscher, sie erkunden den Ist-Zustand der Gesellschaft. Das zum einen. Zum anderen schwingt in Ihrer Frage die zwingende historische Vorbestimmung mit, an die die Marxisten felsenfest glauben. Die unausweichliche historische Gesetzmäßigkeit hat die Frage nach dem „Ob“ längst entschieden. Was angeblich lediglich noch übrigbleibt, ist die Frage nach dem „Wie“ zu beantworten.

Derweil ist die Kirche in Polen, anders als seinerzeit in den von Ihnen erwähnten Ländern, nicht sich selbst überlassen. Vorgewarnt durch das, was dort passiert ist, stellen sich Polens Katholiken dem Zeitgeist in den Weg.

Eine breite Pro-Life-Bewegung hat sich etabliert. Elterninitiativen widersetzen sich erfolgreich den Versuchen, in den Schulen einen zügellosen Sexualanleitungs-Unterricht einzuführen. Tausende stellten sich im Herbst vor die Kirchen, um sie vor Zerstörungen zu bewahren. Eine große Schar von katholischen Journalisten, Ärzten, Wissenschaftlern, Gewerkschaftlern, Unternehmern scheut keine Debatten, auch nicht mit den rabiatesten Verfechtern der Gegenseite. In Deutschland z. B. würde niemand auf die Idee kommen, diese Leute gleichberechtigt an öffentlichen Debatten teilnehmen zu lassen. Sie wurden dort längst in Nischen und Reservate verbannt.

Zahlreiche katholische und konservative Medien, die in den letzten Jahren entstanden sind, bieten den immer noch weit einflussreicheren linksliberalen Medien die Stirn. Anzeigen- und Plakatkampagnen bringen pointiert, deutlich und publikumswirksam die katholischen Argumente zum Ausdruck. Das Spendenaufkommen für all diese Zwecke ist groß.

Mit einem Wort, die breite katholische Öffentlichkeit in Polen ist sehr wachsam geworden. Das verlangsamt die Laizisierung deutlich und es kann sie durchaus auf verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens aufhalten.

In Irland und Spanien verlief der Laizisierungsprozess schnell und heftig. In Italien hingegen ist er auch sehr weit fortgeschritten, verläuft jedoch langsam, schleppend. Das beobachten wir auch in Polen.

RdP

Das Gespräch, das wir, mit freundlicher Genehmigung, wiedergeben, erschien in dem katholischen Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 21. März 2021.