Polen – Volk ohne Waffen

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Lieber Schutzpatronen als Patronen.

Es war nicht der erste Vorstoβ dieser Art seit dem Ende des Kommunismus in Polen: „Lasst uns das Waffengesetz lockern. Wer möchte und dazu geeignet ist, soll Waffen legal kaufen können“. Dieses Mal war es die Kukiz-Bewegung, eine politische Protestgruppierung, die bei den letzten Parlamentswahlen 33  Mandate errang, die diese Idee wieder aufgriff, um sich mit dem Ruf nach mehr privater Aufrüstung in Szene zu setzten. Doch die Polen wollen nicht.

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Wollte u. a. der Waffenfabrik in Radom mehr Absatz bescheren. Paweł Kukiz beim Besuch in Polens gröβter Waffenschmiede am 11.04.2016.

Knapp 80 Prozent der Befragten in einer Erhebung, die die Zeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) Anfang Dezember 2016 in Auftrag gab, sprachen sich gegen die Liberalisierung des Schusswaffengesetzes aus. Der entsprechende Gesetzesvorschlag der Kukiz-Bewegung (der Rock-Musiker Paweł Kukiz war 2015 ihr Begründer und Namensgeber) wurde inzwischen im Parlament auf die lange Bank geschoben, mit wenig Chancen auf Verabschiedung.

Kaczyński ist kein Waffennarr

Die mit absoluter Mehrheit regierende Partei Recht und Gerechtigkeit sieht keinen Bedarf für eine Liberalisierung. Ihr Vorsitzender Jarosław Kaczyński (auf dem Titelbild von 2006 als Ministerpräsident zu Besuch in der Waffenfabrik „Łucznik“ in Radom, ein Fabrikat testend) soll selbst einen Waffenschein besitzen und wird stets von zwei Leibwächtern begleitet. Angesichts der Morddrohungen, die er bekommt, handelt es sich dabei um durchaus verständliche Maβnahmen.

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Ministerpräsident Donald Tusk zu Besuch in der Radom-Waffenfabrik am 05.03.2014.

Sein späterer politischer Erzfeind Donald Tusk kolportiert seit 2007, er sei 1991 mit Kaczyński in einem Fahrstuhl gefahren. Kaczyński soll während der Fahrt mit einer Pistole hantiert und gesagt haben: „Dich umzubringen wäre für mich so leicht wie einmal spucken“. Der Betroffene bestreitet den Vorfall. Zeugen gibt es nicht. Weitere Zwischenfälle, die Kaczyński als einen Waffennarren entlarven würden, sind nicht bekannt. Dafür ist seine öffentliche Ablehnung (u. a. in Gdańsk am 15.01.2017) der Lockerung des aktuell in Polen geltenden Waffenrechts eine Tatsache.

Ohne Pistole im Hosenbund

Damit dürften die Polen weiterhin, was die privaten Haushalte angeht, eine der am schwächsten bewaffneten Nationen der Welt bleiben. Nach Angaben von 2016 entfielen auf einhundert Einwohner 1,3 legale Waffen in Privatbesitz. In Deutschland waren es 30, in der Schweiz – etwa 45, in den USA – 90 Waffen pro einhundert Einwohner. Hinter den Polen liegen in der Waffenstatistik nur noch die Südkoreaner und Japaner.

Insgesamt besaßen im Jahr 2016 gut 192.000 Personen einen Waffenschein und insgesamt 390.000 Waffen befanden sich legal in Privatbesitz. 283.000 davon waren Jagdwaffen. Jedes Jahr kommen um die 5.000 neue Waffenscheine hinzu, während etwa 3.000 verfallen oder eingezogen werden. Um die 12.000 Waffen gehen in dieser Zeit legal über den Ladentisch, in Deutschland sind es zehnmal so viel.

Warum wollen sich die Polen nicht bewaffnen? Im Kommentar zu ihrer Umfrage, schrieb die „Rzeczpospolita“ (am 06.12.2016):

„Zum einen ist das Land weitgehend sicher. Die Zeiten mit hohen Kriminalitätsraten zwischen 1990 bis etwa 2005, mit Auftragsmorden, Bandenkriegen, massenhaftem Autodiebstahl, riesigem Alkohol- und Drogenschmuggel sind, Gott sei Dank, vorbei. Die Notwendigkeit mit der Pistole im Hosenbund herumzulaufen gibt es nicht.

Zum anderen, zweifeln die Leute offensichtlich ernsthaft daran, ob ein leichterer Zugang zu Waffen tatsächlich ihre Sicherheit erhöhen würde. Aktuell gibt es in Polen wenig Verbrechen mit Schusswaffengebrauch. Dagegen steht ein hoher Alkoholkonsum und eine Vielzahl damit verbundener Straftaten. Daher würden mehr Waffen in der Öffentlichkeit das Risiko von Tragödien stark erhöhen.  Ein guter Grund, weshalb die Politik in diesem Fall Volkes Stimme uneingeschränkt folgen sollte.“ Was sie, wie man sieht, ja auch tut.

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Die Waffen der Frau. Ministerpräsidentin Ewa Kopacz inspiziert die Radom-Waffenfabrik am 15.12.2014.

Die Statistik: 2015 wurden in Polen 836 Straftaten mit Schusswaffen verübt, darunter auch mit Gas- und Luftdruckwaffen. Ein Jahr später, 2016, waren es nur noch 526.

Ein Erbe des Kommunismus

Die Befürworter eines leichteren Zugangs zu Schusswaffen sehen in der heutigen in Polen geltenden rigorosen Beschränkungspraxis ein Erbe des Kommunismus. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten die zu dieser Zeit zuständigen polnischen Landratsämter durchaus groβzügig Waffenscheine ausgestellt. Die Strafen für illegalen Besitz waren nicht hoch (bis zu drei Monaten Haft; heute sind es bis zu acht Jahre).

Unmittelbar nach dem Krieg, als sich vor allem zwischen 1945 und 1948 der antikommunistische Untergrund den Sowjets und den polnischen Kommunisten heftig widersetze, stand auf illegalen Waffenbesitz die Todesstrafe. Bis Mitte der fünfziger Jahre wurden etwa ein Drittel aller Todesstrafen im kommunistischen Polen wegen dieser Straftat verhängt und zumeist auch vollstreckt.

Jäger, Sammler, Nachinszenierer

Erst 2011 wurde das auch in nachkommunistischer Zeit weiterhin strenge, Recht auf Waffenbesitz gelockert. Seither muss die Polizei  einen entsprechenden Waffenschein ausstellen und zwar allen, die:

● einen gültigen Jagdschein vorweisen, ● eine Sportschützenlizenz haben, ● registrierte Sammler historischer Waffen sind, ● oder einem Reenactment-Verein angehören (Neuinszenierung historischer Ereignisse, zumeist von Schlachten, in möglichst authentischer Weise).

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Reenactment auf Polnisch. Am 01.08.2015 Nachinszenierung der ersten Stunden des Warschauer Aufstandes, der am 1. August 1944 ausgebrochen war. Anders als damals wurde jetzt nur mit Platzpatronen geschossen.

Im letzteren Fall gibt es eine Erlaubnis nur für platzpatronentaugliche Schuss- und Kriegswaffen. Sammler wiederum müssen ihre Waffen „dauerhaft schiessunfähig“ machen.

Eine interessante Kategorie stellen Waffen dar, die man geschenkt bekommen oder geerbt hat. Wenn z. B. der Ehemann seiner Frau zu Weihnachten seine legal gekaufte 44er Magnum schenkt, dann bleibt der Polizei nichts anderes übrig, als der Dame einen entsprechenden Waffenschein auszustellen.

Alle diese Leute müssen sich jedoch vorher einer psychologischen und psychiatrischen Überprüfung unterziehen. Wer sie nicht besteht, verwirkt das automatische Anrecht auf den Waffenschein.

Eine Erlaubnis wird ebenfalls nicht erteilt an Personen, die: ● wegen vorsätzlicher Straftaten oder wegen fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung verurteilt wurden, ● einen Urteilsspruch wegen Trunkenheit oder Drogen am Steuer erhalten haben, ● Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder minderjährig sind. Ebenso erhalten Ausländer keinen Waffenschein.

Nach dem Gesetz ist man in Polen zwar mit achtzehn Jahren volljährig, aber, so die gängige Praxis, wer nicht mindestens 21 Jahre alt ist, erhält keinen Waffenschein .

Muss es die Polizei sein?

Anders als den Jägern, Sportschützen, Sammlern usw. ergeht es allen, deren „Leben, Gesundheit oder Eigentum einer ständigen, realen und überdurchschnittlichen Bedrohung ausgesetzt ist“. Ob die Bedrohung wirklich gegeben ist, darüber befindet die Behörde, die den Waffenschein ausstellt – die Polizei.

In den Augen der Befürworter einer Lockerung des Waffenrechts dürfte das nicht sein. Warum? Weil die Polizei zugleich Waffenscheine ausstellt und Waffenbesitzer kontrolliert. Je weniger Waffenscheine, umso weniger Arbeit durch vorgeschriebene Kontrollen.

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„»Dirty Radek«. Radosław Sikorski (51 Jahre) hat eine Kanone wie der berühmte Draufgänger“. Abbildung aus der Boulevardzeitung „Super Express“ vom 06.08.2014.

Der erhebliche Ermessenspielraum, den die Polizei augenblicklich hat, treibt manchmal seltsame Blüten. Der Auβenminister in der Tusk-Regierung, Radosław Sikorski berief sich darauf, dass sich drei Kilometer entfernt von seiner Sommerresidenz eine Strafvollzugsanstalt befindet und bekam den Waffenschein. Ein überfallener Wechselstubenbesitzer bekam ihn nicht.

Zum persönlichen Schutz sind in Polen Pistolen und Revolver mit einem Kaliber von bis zu 12 Millimetern erlaubt.

Wer eine solche Waffe haben will, muss zuerst Schießen lernen. Das kann man in einer Schieβanlage.

  • Das billigste Basispaket für Einsteiger in Warschau umfasst: 1,5 Stunden, 50 Stück Munition, Betreuung durch einen Instrukteur, Vermittlung von Grundkenntnissen: Sicherheit, Bauweise und Funktionsprinzip der Waffe, richtige Körperhaltung. Preis 400 Zloty (ca.95 Euro).
  • Das teuerste Paket (Stufe 3) in Warschau beinhaltet: 4 Stunden, 200 Stück Munition, Betreuung durch einen Instrukteur, Beibringen von Fähigkeiten, wie Schieβen mit einer Hand, schnelles Wechseln von Haltung und Position, Schieβen aus dem Laufen u. e. m. Preis 1.000 Zloty (ca. 280 Euro).

Am Ende steht die Prüfung

Erst nach einem Lehrgang empfiehlt es sich den Antrag auf einen Waffenschein in der zuständigen Woiwodschafts-Kommandantur der Polizei (es gibt sechzehn davon im Land) zu stellen.

Erforderliche Dokumente: ● ein allgemeinärztliches und ein psychiatrisches Tauglichkeitsgutachten. ● Nachweise (wie Jagdschein, Sportlizenz, Mitgliedschaft im Sammlerverein usw., bzw. die Begründung dafür weshalb eine Waffe zum eigenen Schutz gebraucht wird, inklusive der Bestätigung der „Gefahrenlage“ durch die örtliche Polizei oder eine andere Behörde vor Ort). ● Zwei Passfotos.

Gebühr: 250 Zloty (ca. 60 Euro). Bearbeitungsdauer: bis zu 60 Tage.

Abgesehen von Jägern, Sportschützen und Antragstellern, die im Berufsleben ständigen Umgang mit Waffen haben (Soldaten, Polizisten u. ä.) werden alle anderen von der Polizei zur Prüfung vorgeladen.

Zuerst gilt es einen Test mit zehn Fragen zu bestehen. Dieser ist nicht einfach, weil alle Fragen richtig beantwortet werden müssen und zwar mit dem genauen Wortlaut des Waffengesetzes. Beispiel: „Sind nur Schusswaffenpatronen Munition oder umfasst der Begriff Munition Schusswaffen- und Gaswaffenpatronen?“ In Polen ist die erste Antwort richtig.

Der praktische Teil: Fragen nach Sicherheitsbestimmungen, Aufbewahrungsregeln und das Zerlegen und Zusammenbauen einer Pistole. Zur Auswahl stehen meistens eine Glock 17, eine P-64 oder eine P-83 (bei den beiden letzten Modellen handelt es sich um polnische Konstruktionen). Die beiden wichtigsten Regeln: als erstes das Magazin entfernen und niemals den Lauf auf andere richten.

Die Ablehnungsquote lag in den letzten Jahren bei etwa 10 Prozent.

Illegale Waffen

Wer diese Prozeduren umgeht und sich illegal eine Waffe beschafft, riskiert bis zu acht Jahren Freiheitsentzug. Im Jahr 2016 beschlagnahmte die Polizei im ganzen Land 552 illegale Waffen und ca. 45.000 Stück Munition. Das ist nicht sehr viel, aber darunter befanden sich so gefährliche Tötungswerkzeuge, wie Skorpion- und Kalaschnikow-Maschinenpistolen.

Die größte „Ausbeute“ brachte eine groβangelegte Razzia in Oberschlesien, wo nicht nur knapp einhundert Waffen sichergestellt wurden, sondern auch eine gut ausgestattete Büchsenmacherwerkstatt mit u.a. knapp 50 hervorragend nachgebauten Schalldämpfern.

Davon, dass die Justiz in Polen keinen Spaβ in Sachen illegale Waffen versteht, zeugt der bedauerliche Vorfall aus dem 20.000-Einwohner-Ort Końskie unweit von Kielce in Mittelpolen.

Der 87-jährige Rentner Feliks Przyborowski (fonetisch: Pschiborowski) kämpfte während der deutschen Besatzung in einer Partisaneneinheit der Heimatarmee (AK) und weitere zwei Jahre lang nach dem Krieg gegen die Kommunisten. Als die Lage aussichtslos wurde, gelang es ihm sich ins zivile Leben abzusetzen. Vorher versteckte er seine britische Sten-Maschinenpistole, die die Royal Air Force bei ihren Versorgungsflügen für die Heimatarmee während des Krieges über dem besetzten Polen abgeworfen hatte.

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Feliks Przyborowskis patriotische Geschenkidee handelte ihm eine Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes ein.

Erst Mitte 2016 barg der Rentner seine Waffe aus dem Versteck und wollte sie  dem örtlichen Heimatmuseum zur Verfügung stellen. Der dortige Leiter war verpflichtet die Polizei zu informieren, was er auch tat. Das wiederum handelte Herrn Przyborowski von Amtswegen eine Anzeige wegen unerlaubten Waffenbesitzes ein. Die Boulevardpresse brachte den Fall an die Öffentlichkeit mit der Alarmmeldung, dem Veteranen des Freiheitskampfes drohe auf seine alten Tage Haft.

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Przyborowskis britische Sten-Maschinenpistole.

Justizminister Zbigniew Ziobro, der seit Anfang 2016, aufgrund der Rückkehr zu der bis 2010 geltenden Regelung, wieder das Amt des Justizministers und das des Generalstaatsanwaltes in Personalunion ausübt und somit die Aufsicht über die Staatsanwaltschaft inne hat, wies die zuständige Anklagebehörde an das Verfahren einzustellen.

Der vielbemühte Spruch, eine Waffe sei ein Feind, selbst für ihren Besitzer, hat sich wieder einmal (fast) bewahrheitet.

© RdP