Mit der Kohleknappheit ist nicht zu spaßen.
Drei Jahrzehnte lang hat Polen seine Steinkohleförderung fortlaufend verringert. So lange, bis der heimische Bergbau zwar noch den Bedarf der Energiewirtschaft deckte, aber es nicht mehr genug Kohle für die privaten Haushalte gab. Sie mussten ihre Wohnungen und Häuser mit russischer Importkohle heizen. Seit Beginn des Ukraine-Krieges fordert das seinen Tribut.
Der Krieg hat die Energiepreise durch die Decke schießen lassen. Das wichtigste Hinweiszeichen für eine Treibstoffkrise ist in der Regel der Ölpreis. Heute kostet ein Barrel der Sorte Brent annährend 90 Dollar, während er vor fünf Jahren noch halb so viel gekostet hat.
Viel gefährlicher sind jedoch im kommenden Winter die Preissteigerungen beim Erdgas, das aufgrund der selbstmörderischen Abhängigkeit Europas von russischen Lieferungen um mehrere hundert Prozent pro Megawattstunde gestiegen ist. Im August vor einem Jahr wurden an der polnischen Strombörse für eine Megawattstunde knapp über 200 Zloty (ca. 43 Euro) gezahlt, während sich der Gaspreis Mitte Juli 2022 auf 800 Zloty (ca. 170 Euro) zubewegte. Das zeigt, mit welchen Herausforderungen Polen konfrontiert werden wird, wenn draußen die Temperatur unter Null sinkt.
Glücklicherweise dürfte es in Polen nicht an Gas mangeln, vor allem dank der fast zu einhundert Prozent gefüllten Speicher und der geplanten Inbetriebnahme der Baltic Pipe-Pipeline im Herbst.
Die Regierung hat zudem bereits verschiedene Sicherheitspolster in Form von Steuerbefreiungen und Verbrauchssteuersenkungen vorbereitet, aber mit niedrigen Preisen ist definitiv nicht zu rechnen. In diesem Winter könnten sich die Energie- und Heizkosten für viele Menschen als erhebliche finanzielle Belastungen erweisen.
Vor lauter Sorge um die steigenden Gas- und Ölpreise wurde lange Zeit außer Acht gelassen, was zeitgleich mit der Kohle geschah, insbesondere mit der Steinkohle, die von drei Millionen polnischen Haushalten zum Heizen verwendet wird. Deren Preis ist ebenfalls stark angestiegen, und außerdem wurde bald deutlich, dass es einen Engpass geben wird. Der Hauptgrund dafür ist das Embargo für Kohleimporte aus Russland und Weißrussland vom April 2022, das Polen als Reaktion auf die russische Aggression gegen die Ukraine verhängt hat.
Es schien, dass diese politisch korrekte Entscheidung die polnische Energiesicherheit nicht gefährden würde. Schließlich ist Polen der größte Produzent von Steinkohle in der Europäischen Union, und somit sollte es uns daran nicht mangeln. Das Gegenteil ist jedoch der Fall.
Vergeudete Zeit
Das Angebot an Steinkohle in Polen nimmt stetig ab, was nicht verwundert, da die Kohleförderung seit Jahren rückläufig ist: 1979 wurden in Polen 200 Millionen Tonnen Kohle gefördert, 1989 waren es 177 Millionen Tonnen, 2008 nur noch 84 Millionen Tonnen. Danach noch weniger. Im Jahr 2021 belief sich die Steinkohleförderung auf rund 55 Millionen Tonnen, wovon der größte Teil an die Industrie ging: an Stahlwerke, Kraftwerke und Heizkraftwerke. Einige dieser Anlagen verwenden auch Braunkohle, deren Verfügbarkeit, nach der Rettung der Grube Turów im Dreiländereck Polen-Tschechien-Deutschland, kein großes Problem darstellt.
Der Rückgang des Kohlebergbaus steht in direktem Zusammenhang mit der europäischen Politik der Dekarbonisierung, die nach dem EU-Beitritt Polens beschleunigt wurde und nun zu einer Schlüsselstrategie der EU geworden ist. Polnische Bergwerke wurden geschlossen, weil die Kohle durch andere, umweltfreundlichere Energiequellen ersetzt werden sollte.
Daraus ist nicht viel geworden. Obwohl die Verpflichtung zur Dekarbonisierung seit langem bekannt war, verging viel Zeit, in der keine nennenswerten Schritte unternommen wurden, um eine Alternative zur Kohle zu schaffen. Im Jahr 2013 kündigte die Regierung Donald Tusk an, dass Polens erstes Kernkraftwerk 2024 in Betrieb genommen werden soll. Doch die deutschen Atomphobien führten schnell dazu, dass der berlinhörige Donald Tusk, der sich ohne Angela Merkels Unterstützung seinen Traum, EU-Ratspräsident zu werden, hätte abschminken müssen, den Bau des AKWs auf Eis legte.
Erst nach 2015, unter der Regierung von Recht und Gerechtigkeit, wurde ernsthaft an konkreten Plänen zum Einsatz der Kernenergie gearbeitet. Die unter Tusk verschwendete Zeit und das anderweitig ausgegebene Geld konnten nun jedoch nicht mehr zurückgeholt werden. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis Polen sein erstes AKW ans Netz anschließen kann.
Auch bei der Entwicklung erneuerbarer Energien (EE) war die Vorgängerregierung nicht besonders eifrig. Im Jahr 2015, zu dem Zeitpunkt, als sie die Macht abgab, betrug die Gesamtkapazität aller erneuerbaren Energien 6.970 MWh, während sie Ende 2020 bei 9.978 MW lag. Und obwohl, wie diese Zahlen zeigen, die Nationalkonservativen entgegen der landläufigen Meinung erneuerbare Energien entwickelt haben, können diese beim derzeitigen Stand der Technik nur eine Ergänzung und nicht die Grundlage des polnischen Energiemixes sein.
Zur polnischen Energieversorgung gehört auch Erdgas, auf das die Deutschen eine starke Wette abgeschlossen hatten, deren Ergebnis heute bekannt ist. Glücklicherweise ist es der Tusk-Regierung seinerzeit nicht gelungen, Polen in ähnlicher Weise von russischen Lieferanten abhängig zu machen, obwohl es Bemühungen gab, den Vertrag mit Gazprom bis 2037 zu verlängern. Dessen Laufzeit wurde schließlich, auf Betreiben der EU, auf 2022 begrenzt und ist, statt im Oktober, aufgrund der Embargo-Bestimmungen bereits im April ausgelaufen. Die Fertigstellung des Flüssiggashafens in Świnoujście/Swinemünde und der forcierte Bau der Ostseepipeline von Norwegen über Dänemark nach Polen haben das Land vor der russischen Erpressung durch Einschränkung der Gaslieferungen bewahrt.
Die Energiewende der Regierung Tusk beschränkte sich also hauptsächlich auf den Ausstieg aus der Kohle, im Einklang mit den EU-Richtlinien, aber gleichzeitig wurden keine konkreten Maßnahmen ergriffen, um die Kohle zu ersetzen.
Die noch in Betrieb befindlichen Bergwerke in Schlesien und der Region Lublin sind gegenüber ausländischen Importen nicht wettbewerbsfähig. Der Abbau ist teuer, die Kohle befindet sich in großer Tiefe und vielerorts unter städtischen Gebieten. Fast überall besteht auch ein hohes Risiko von Methangasexplosionen. Es ist kein Wunder, dass der polnische Bergbau gegenüber dem kostengünstiger zu betreibenden, ausländischen Tagebau ins Hintertreffen geraten ist. Es ist unmöglich, die Produktion ohne großen finanziellen Aufwand zu steigern. Aber warum sollte man sie auch steigern, wenn, wie geplant, alle Bergwerke bis 2049 geschlossen werden sollen?
Kohle-Odyssee
Gegenwärtig deckt die polnische Steinkohle vor allem den Bedarf der heimischen Industrie und der Stromerzeugung. Hier besteht keine Gefahr, dass es zu einem Versorgungsengpass kommen wird, obschon der Preis für die aus dieser Kohle gewonnene Energie natürlich steigen wird. Zum einen aufgrund der von der EU erhobenen Gebühren für Kohlendioxid-Emissionen, zum anderen aufgrund des weltweiten Preisanstiegs infolge der Energiekrise und der gestiegenen weltweiten Nachfrage nach Kohle.
Die derzeitigen Probleme mit der Verfügbarkeit von Kohle in Polen betreffen daher vor allem verschiedene lokale Heizwerke und private Verbraucher, die ihre Wohnungen und Häuser mit Kohleöfen heizen. Dabei handelt es sich zumeist um bedürftige Menschen, die bisher die billigere und leichter zugängliche importierte Kohle kauften. Nach Ansicht von Fachleuten ist diese auch kalorienreicher und außerdem weniger mit Schwefel verunreinigt als polnische Kohle.
Die sozialen, ökonomischen und politischen Ausmaße des Problems sind daran erkennbar, dass 87 Prozent der in der gesamten EU in privaten Haushalten verfeuerten Steinkohle auf Polen entfallen. Etwa 5 Millionen Gebäude werden in Polen mit Steinkohle beheizt.
Kohleimporte haben sich in den letzten Jahren zu einem sehr lukrativen Geschäft entwickelt. Nach offiziellen Angaben wurden im Jahr 2021 insgesamt 12,55 Millionen Tonnen Steinkohle nach Polen eingeführt. Im Rekordjahr 2018 – sogar 19,3 Millionen Tonnen (gegenüber 3,4 Millionen Tonnen im Jahr 2005). Gleichzeitig fanden nur zwei Prozent der importierten Kohle industrielle Abnehmer wie Kraftwerke und Wärmekraftwerke. Fast die gesamte Importkohle ging in die privaten Haushalte.
Den verfügbaren Daten zufolge verbrauchen sie in Polen jährlich 15 Millionen Tonnen Kohle. Auf diese Weise entstanden zwei parallele Kohlekreisläufe: Die aus dem heimischen Bergbau stammende Förderung ging an die Industrie, während die importierte Kohle die Haushalte versorgte, die schließlich fast vollständig von ihr abhängig geworden sind.
Der größte Teil der importierten Kohle kam aus Russland, mit insgesamt 38 Millionen Tonnen zwischen 2016 und 2019. Das entsprach mehr als 60 Prozent der Importe. Weitere Lieferungen in dieser Zeit kamen aus den USA, Kolumbien, Kasachstan, Tschechien, Mosambik und Australien. Der klare Vorteil der russischen Kohle lag darin, dass sie Polen auf dem Schienenweg erreichte, was viel billiger war als die Lieferungen auf dem Seeweg. Gleichzeitig war, nach Ansicht von Experten, eine bessere Qualität des Rohstoffs garantiert. In den Laderäumen der Schiffe zerbröckelt Kohle angeblich leichter und verliert an Wert.
Es überrascht also nicht, dass das Embargo für russische Kohlelieferungen im April 2022 für Aufregung im Markt sorgte. Im Mai 2022, d.h. nachdem das Embargo bereits in Kraft war, wurden noch 640.000 Tonnen Kohle nach Polen importiert, ein Jahr zuvor hingegen waren es 1,5 Millionen Tonnen. Inzwischen gibt es keinen Kohleimport aus Russland mehr. Das bedeutet, dass der relativ billige Rohstoff plötzlich verschwunden ist und nicht mehr genügend Kohle zur Verfügung stand. Haushalte sahen sich plötzlich mit einem ernsten Problem konfrontiert, weil ihnen für den Winter der Brennstoff, den sie sich oft bereits im Frühjahr und Sommer beschaffen, fehlte.
Die Regierung ließ wissen, dass die Lieferung von 8 Millionen Tonnen Steinkohle aus anderen Rohstoffgebieten bereits sichergestellt sei, aber die Auswirkungen dieser Bemühungen werden noch auf sich warten lassen. Das gilt umso mehr, als die Einfuhr von Kohle auf dem Seeweg einen höheren Aufwand erfordert. In erster Linie ist der Transportweg länger. Auch handelt es sich um Lieferungen mit großen Tonnagen, die nicht in jedem polnischen Hafen gelöscht werden können. Anschließend muss die Kohle auf Züge umgeladen werden.
Hinzu kommt, dass die Eisenbahn heute nicht mehr in der Lage ist, Kohle in jeden Winkel Polens zu befördern, vor allem, nachdem unter der Tusk-Regierung mehrere Tausend Kilometer Gleise stillgelegt wurden. Daher muss die Kohle erneut umgeladen, dieses Mal auf Lastwagen, und anschließend verpackt werden. Erst dann kann man sie zum Verkauf anbieten. Dieses Beispiel verdeutlicht im Übrigen, wie schädlich die Politik der Demontage der polnischen Eisenbahninfrastruktur war.
Jede Etappe dieser Kohle-Odyssee ist mit zusätzlichen Kosten verbunden, die sich natürlich auf den Endpreis auswirken. Heute muss man für eine Tonne Importkohle fast 1.500 Zloty (ca. 320 Euro) bezahlen (vor einem Jahr waren es etwa 300 Zloty, also ca. 64 Euro). Das Problem liegt jedoch nicht nur darin, dass Kohle teuer geworden ist, sondern auch darin, dass der einzelne Kunde sie phasenweise nirgendwo kaufen kann. Denn es gibt immer noch nicht genug davon.
Kampf um die Zukunft
Um die Knappheit zu beheben, hat die Regierung versucht, den Verkauf von Kohle aus polnischen Bergwerken für den Eigenverbrauch zu erhöhen, was aber bisher nicht viel gebracht hat. Obwohl die Minen einen kleinen Teil ihrer Produktion zum freien Verkauf angeboten haben, ist der Rohstoff schnell verschwunden. Medienberichten zufolge wird die Kohle von Spekulanten gekauft, die sie dann zu einem viel höheren Preis weiterverkaufen. Deren Gewinnspanne, so wird geschätzt, könnte dreimal so hoch liegen.
Die von der Regierung vorgeschlagene Kompensation für diejenigen Kohlelager, die den Rohstoff zu einem Höchstpreis von 996 Zloty (ca. 210 Euro) pro Tonne für einen Haushalt verkaufen, scheiterte ebenfalls, da sie sich für viele Händler als unrentabel erwies. Schließlich wurde die sogenannte Kohlebeihilfe in Höhe von 3.000 Zloty (ca. 640 Euro) beschlossen, die als einmalige Leistung an Haushalte ausgezahlt wird, deren Hauptheizquelle ein Festbrennstoffherd (Steinkohle, Briketts usw.) ist. Berechnungen zufolge werden die Subventionen den Staatshaushalt mit insgesamt 11,5 Milliarden Zloty (ca. 2,5 Milliarden Euro) belasten.
Wenn alles gut läuft, könnte das entsprechende Gesetz bald vom Sejm verabschiedet werden, d.h. wenn die Kohlekrise, die für die Opposition ein willkommenes politisches Reizthema ist, die Ausarbeitung der Pläne für die geplanten Subventionen nicht lähmt. Die postkommunistische Linke hat bereits angekündigt, dass sie gegen das Gesetz stimmen wird, weil die Vorschläge der Regierung nicht nur keine Preiserhöhungen verhindern, sondern auch Haushalte, die mit anderen Wärmequellen beheizt werden, benachteiligen würden.
Viele Nutzer von Kohleöfen sind bereit, dem zuzustimmen, denn bei ständig steigenden Preisen sind Subventionen keine Garantie für niedrigere Heizkosten. In der Wintersaison werden durchschnittlich fünf Tonnen Kohle benötigt, um ein Haus zu beheizen, vor allem, wenn das Haus nicht richtig isoliert ist. Solange eine Tonne Kohle 300 Zloty kostete, musste man für den ganzen Winter 1.500 Zloty bezahlen. Inzwischen sind dies die Kosten für eine Tonne Kohle. Wenn die Preise weiter steigen, könnte die Situation für viele Menschen, trotz Subventionen, im Winter sehr schwierig werden.
Das ist eine große Herausforderung für die Regierung, zumal die Krise die Geringverdiener am härtesten trifft, also vor allem die Wählerschaft von Recht und Gerechtigkeit. Es ist zu erwarten, dass die Opposition versuchen wird, die gegenwärtigen Schwierigkeiten für ihren Kampf um die Macht im Lande zu nutzen, auch wenn viele dieser Probleme das Ergebnis früherer Versäumnisse während der eigenen Regierungszeit sind. In diesem Sinne ist der Kampf um die Kohle auch ein weiterer Teil des politischen Kampfes um die Zukunft Polens.
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