Ekel Jerzy

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Am 3. Oktober 2022 starb Jerzy Urban.

Der Leitfaden all seines Denkens und Tuns war der „Panschweinismus“. Gute Menschen geben nur vor, anständig zu sein, und sind in Wirklichkeit nichts als Meister der perfekten Tarnung. Die Welt bevölkern nämlich ausnahmslos Zyniker, die sich von den primitivsten Trieben leiten lassen. Jerzy Urban verwandte sein Leben darauf, das zu beweisen.

Sein Zynismus, seine Menschenverachtung, die überdurchschnittliche Intelligenz, sein Scharfsinn, die ausgeprägte Beobachtungsgabe und die Leichtigkeit des Schreibstils hatten aus ihm einen brandgefährlichen kommunistischen Rattenfänger gemacht.

Schlammschleuder mit Ladehemmungen

Er war besessen davon, Skandale zu provozieren: moralische, religiöse, politische und soziale. Doch es war, als würde er pausenlos Granaten in Jauchegruben werfen, beseelt von dem Gedanken, dass dadurch auch an den edelsten Menschen, Ideen und Taten dauerhaft Dreck haften bleibt. Er bediente sich der übelsten Gossensprache, wollte schlechthin der Verkünder des Bösen sein, und das ist ihm gelungen.

Polen und die Polen demütigen. Urban mit der polnischen Fahne mit dem „Anker“, dem Symbol des Untergrundkampfes gegen die deutsche Besatzung.

Urban lechzte zudem geradezu danach, Polen und den Polen das alles zu nehmen, worauf sie stolz sein können, was sie positiv verbindet, Vertrauen schafft und sie ermutigt, ihr eigenes und das gemeinschaftliche Leben zu verbessern. In seinem letzten großen Interview für die „Gazeta Wyborcza“ verkündete er: „Ich bin für Vandalismus und Schändung. Mehr Radikalismus. Drescht auf die Katholiken ein! Macht die Weiß-Roten platt!“.

Erniedrigen und verletzen. Urban mimt den zoophilen katholischen Priester.

Keiner schaffte es, den „Meister“ zu überbieten, aber er hat nicht wenige Nachahmer gefunden. Der Neuheitseffekt nutzte sich jedoch ab. Die lange Zeit schockierte Öffentlichkeit ist in den letzten Jahren reifer geworden und reagierte kaum mehr auf seine Eskapaden. Der Name Urban befreite von der Notwendigkeit, Richtigstellungen zu verlangen, zu prozessieren oder auch nur zu polemisieren. So rückte er immer mehr vom Rampenlicht in den Schatten. Am Rande der öffentlichen Debatte zu stehen, hat ihm wehgetan.

Urban gibt den Jesus.

Sein letztes Vorhaben, die ebenso skurrilen wie geschmacklosen Filmchen auf Youtube, in denen er den perversen Opa gab, hatten zwar viele Zuschauer, aber das erwartete große Echo blieb aus. Wenn zündende Ideen rar werden, bekommt auch die leistungsfähigste Schlammschleuder Ladehemmungen.

Bis er im Alter von 89 Jahren starb, war der kleine, kugelrunde Mann mit den großen abstehenden Ohren erst Journalist, dann von 1981 bis 1989 kommunistischer Regierungssprecher, 1989 Chef des Staatsfernsehens, zwischen 1990 und 2022 Begründer und Chefredakteur der Wochenzeitung NIE („Nein“), Autor von 21 Büchern, drei Drehbüchern, Youtuber, Provokateur und Propagandist des Kriegsrechts.

„Mein Judentum baumelt mir zwischen den Beinen“

Alles nahm seinen Anfang 1933 in Łódź, wo Jerzy Urban – eigentlich Jerzy Urbach als Sohn von Jan Urbach, einem Mitglied der damals traditions- und einflussreichen Polnischen Sozialistischen Partei (PPS), geboren wurde. Der Vater war Miteigentümer und Chefredakteur der Tageszeitung „Głos Poranny“ („Morgenstimme“).

Jurek wuchs in einer wohlhabenden, assimilierten jüdischen Familie auf, und zugleich in einem sehr spezifischen Milieu, das er Jahre später so beschrieb: „Es waren vom Judentum entwurzelte Juden, die sich aber von der polnischen Gesellschaft tunlichst fernhielten und als etwas Besseres verstanden. Mit den Polen hatte man nur geschäftlichen Umgang. Ich kannte keine gebürtigen Polen und auch niemanden, der zum Christentum konvertiert wäre. Alle heirateten und feierten innerhalb dieser postjüdischen Gruppe […]. Sie sagten nicht „wir sind Juden“, sondern sie sprachen von den Katholiken als „Polen“. Auf diese Weise grenzten sie sich ab, betonten ihre elitäre Eigenart, obwohl sie sich im Sinne der Kultur, der Sprache, der politischen Interessen, der Wahrnehmung der Literatur oder des Films als Polen fühlten. Sie lasen keine jiddische Presse, sie gingen nicht ins jüdische Theater – sie kannten die Sprache nicht, es war eine Welt, die sie verachtet und verlassen hatten“.

Urban und der Holocaust. Die Zigarette (Zitat) „brennt wie Opa“.

Daher: „Mein Judentum baumelt mir zwischen den Beinen wie ein schrumpeliger Wurm, der keinen Fisch zu locken vermag, geschweige denn eine Frau“, mokierte sich Urban später über seine Herkunft. Es war eine für ihn typische Sottise, mit der er sich als Jude und Antisemit zugleich zu erkennen gab.

Im politisch sehr bewegten Herbst 1956, der das Ende des Stalinismus in Polen markierte, durfte der gerade einmal 23-jährige Journalist Jerzy Urban eine Reportagereise nach Israel unternehmen. Das führte damals Krieg gegen Ägypten. Nach seiner Rückkehr überraschte er mit einem sehr kritischen Bericht, in dem er den Chauvinismus der Zionisten und die antipolnischen Vorurteile der Bewohner des neuen Staates hervorhob. Der Text schockierte viele. Kollegen mit jüdischen Wurzeln fühlten sich durch die Verhöhnung des Zionismus beleidigt, andere mokierten sich über die Darstellung Israels als einer amerikanischen Kolonie im Nahen Osten. Urban schloss sein Leben lang keinen Frieden mit Israel.

Ausgeprägte emotionale Grobheit

Er war gerade einmal sechs Jahre alt, als der Krieg ausbrach. Die Familie floh, kurz bevor deutsche Truppen am 9. September 1939 Łódź eroberten, und gelangte in das gut 400 Kilometer entfernte Lwów (Lemberg, heute Lviv in der Ukraine). Ihren Zufluchtsort haben am 22. September 1939, nach heftigen Kämpfen, die Sowjets besetzt. Die ersten beiden Kriegsjahre verbrachten die Urbachs im sowjetischen Lwów, wo der Vater als Stadtplaner eine ziemlich wichtige Position innehatte. Beide Eltern nahmen die sowjetische Staatsbürgerschaft an.

Jerzy Urban. Foto aus der Kriegszeit.

Später erinnerte sich Urban: „Dadurch wurden wir nicht nach Sibirien deportiert, und wir konnten sogar die Evakuierung nutzen, bevor die Deutschen einmarschierten. Wir schafften es jedoch nicht mehr rechtzeitig zur Abfahrt des Lkws und blieben daher in Lwów, das Ende Juni 1941 von den Deutschen eingenommen wurde.“ Die Familie versteckte sich in der Stadt außerhalb des Ghettos, ging dann in die Provinz. Sie konnten sich falsche, sogenannte arische Papiere beschaffen. Von nun an waren die Urbachs katholische Polen und hießen Urban.

Die enormen Opfer und Nerven, mit denen seine Eltern die langen Jahre des sich Versteckens und Verstellens im Krieg bezahlen mussten waren ihm Jahrzehnte später, nur einen knappen, abschätzigen Kommentar wert: „Mein Vater hat sich nie vom Trauma des Krieges erholt. Meine Eltern waren beklagenswerte, nervenaufreibende Lebenskastraten, die nie wieder den Lebensstandard erreichten, den sie vor dem Krieg genossen hatten.“ Und er schob nach: „Ich war davon nicht betroffen. Ich empfand die Besatzungszeit als interessant, voller Abenteuer, Farben und Abwechslung“. Diese ausgeprägte Fähigkeit zur emotionalen Grobheit sagt viel darüber aus, auf welch fatale Weise der Krieg seine Wahrnehmung beeinflusst hat.

Aber waren das nur die Kriegserlebnisse? Oder nahm er so Rache für seine Herkunft, sein Aussehen, seine Komplexe?

„Ich mag es, nicht gemocht zu werden“, sagte er einmal in einem Interview. Das abnorme Vergnügen, ein allseits Gehasster zu sein, verband Urban mit einem auffällig ruhigen Auftreten. „Ich schreibe aggressiv. Deshalb bin ich im Umgang mit Menschen nicht emphatisch, ruhig, höflich, kann mich an Umgebungen und Arbeitsplätze anpassen. Erst am Schreibtisch, vor einem Mikrophon oder vor einer Kamera falle ich über Menschen und politische Richtungen her, die mir nicht passen.“ Der Vergleich mit einem Raubtier liegt hier durchaus nahe.

Lange vor seiner Zeit als kommunistischer Regierungssprecher, in den 1970er Jahren, schrieb Urban regelmäßig Kolumnen, kleine, literarisch versiert verfasste Kriminalgeschichten. Sie erschienen in der viel gelesenen Wochenzeitschrift „Kulisy“ („Hintergründe“). Ihr gemeinsamer Nenner war eine subtile, gekonnt eingeflößte Freude an menschlicher Erniedrigung. Ob es um eine Frau ging, die auf der Bürotoilette von einer Ratte in den Hintern gebissen wurde, oder um einen Ehemann, der seine schwangere Frau ermordete und vergrub, Urban schöpfte eine trotzige Genugtuung daraus, andere in ihrem Unglück bloßzustellen.

Einige Jahre später bedurfte es keiner literarischen Subtilität mehr. Jerzy Urban, nun Jaruzelskis Regierungssprecher, konnte, den gesamten kommunistischen Gewaltapparat im Rücken, die Opfer des Systems, mit einem außerordentlichen persönlichen Engagement, nach Lust und Laune verhöhnen, schmähen, rhetorisch anrempeln. Dass viele von den so Traktierten in Internierungslagern oder Gefängnissen saßen, machte ihm nichts aus.

Pornograf, einst Sittenprediger

Urbans Weg auf den kommunistischen Olymp war lang, aber vor allem sehr untypisch. Er erklomm keine einzige Stufe auf der Karriereleiter eines Parteiapparatschiks. Er war nicht einmal Parteimitglied.

Anfang Februar 1945 kehrten die Urbans nach Łódź zurück. Der eigensinnige Jurek, der sich ständig mit Lehrern anlegte, wurde wie eine heiße Kartoffel von einer Schule in die nächste verlegt. Das Abitur bestand er mit Mühe und Not Anfang der 1950er Jahre in Warschau, wohin die Eltern 1950 gezogen waren.

Im dortigen Gymnasium engagierte er sich im kommunistischen Verband der Polnischen Jugend (ZMP). „Dort wurde ich nicht nur in den Strudel der politischen Arbeit hineingezogen. Ich war fünfzehn und ich übernahm Verantwortung, erhielt Macht, kam in Berührung mit der Propagandamaschinerie und sehr schnell, gleich nach dem Abitur, habe ich angefangen, bei der Presse zu arbeiten. Jetzt war ich in meinem Element“.

Sein Journalistikstudium an der Warschauer Universität hängte er schnell an den Nagel, denn das Geschehen ringsumher war viel aufregender. Urban landete 1955 in der Redaktion der heute legendären Wochenzeitung „Po Prostu“ („Ohne Umschweife“). Das ursprünglich öde Propagandablatt für Studenten verwandelte sich in jener Zeit in ein publizistisches Banner des immer schneller um sich greifenden politischen Tauwetters.

„Po Prostu“. Titelseite.

Stalin starb im März 1953. Nach einem Jahr der Verschärfung der Repressalien (u.a. wurde im September 1953 der Primas von Polen Kardinal Wyszyński verhaftet) verbreiteten sich dann, Nikita Chruschtschow hatte den verdeckten Machtkampf um die Stalinnachfolge gewonnen, ganz allmählich von Moskau ausgehende politische Veränderungen. Kein Halten mehr gab es schließlich nach dem 20. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 und Chruschtschows schnell publik gewordener Geheimrede, in der er mit den Verbrechen des Stalinismus abgerechnet hatte.

Hoffnungsträger Władysław Gomułka im Oktober 1956. Polen lag ihm zu Füβen.

Polens Hoffnungsträger in dieser Zeit hieß Władysław Gomułka. Dem Stalinismus abgeneigt, Ende der Vierzigerjahre aller Ämter enthoben, verhaftet und nur knapp einem Schauprozess entkommen, sollte er nun einen „polengerechten“ Sozialismus schaffen: ohne Kollektivierung der Landwirtschaft, nationalpatriotisch, mit einer ausgeprägten Arbeiterselbstverwaltung, statt wirtschaftlicher Zentralplanung, mit Kunst- und Medienfreiheit.

Letztere praktizierte „Po Prostu“ ausgiebig. Mit 150.000 Exemplaren verkaufter Auflage viel gelesen und beachtet, entwickelte sich das Blatt zunehmend zu einem wichtigen politischen Machtfaktor im Kampf um Reformen.

Urban war auch im Nachhinein sehr stolz auf diesen Lebensabschnitt, eine Zeit „des Kampfes für den wahren Sozialismus »ohne Entstellungen«“. In seinen Texten entlarvte er das kriminelle Tun von Cliquen und Seilschaften der Parteibonzen in der Provinz, spottete über die Tonnenideologie und andere Absurditäten der kommunistischen Wirtschaftsplanung, spielte aber auch den Sittenprediger.

„Po Prostu“-Redaktion.

In einem seiner Artikel griff Urban z. B. das unmoralische Verhalten der Studenten in einem der Warschauer Wohnheime an, bezeichnete die wechselnden sexuellen Begegnungen drastisch als Orgien und äußerte sich verwundert darüber, dass solche Dinge in einem sozialistischen Studentenheim passierten. Er schrieb, dass sich die Studenten an amerikanischen Universitäten vielleicht so verhalten, weil sie ihr Glück auf diese Weise suchen, weil es bei ihnen keinen Sozialismus gibt, aber die Unanständigkeit sozialistischer Studenten sei unannehmbar.

Nach Jahrzehnten auf diese „Jugendsünde“ angesprochen, geriet der spätere hemmungslose Pornograf, dessen Zeitschrift NIE u. a. Qualitätssiegel für detailliert aufgeführte Bordell-Dienstleistungen vergab, in große Verlegenheit und das Einzige, was er von sich gab, war ein unsicheres: „Daran kann ich mich nicht erinnern“. Die Rolle des Hüters der studentischen Moral war ihm im Nachhinein offensichtlich sehr peinlich.

Das Enfant terrible geben, aber politisch stillhalten

Gomułka, der im Oktober 1956, getragen von einer Woge der Begeisterung, an die Spitze der Partei trat, begann sehr schnell damit, alle Reformbestrebungen und auch „Po Prostu“ auszubremsen. Im Oktober 1957, begleitet von heftigen und brutal auseinandergetriebenen studentischen Straβenprotesten, wurde die Zeitschrift auf Geheiβ der Partei eingestellt. Die schwer erkämpften Freiräume schrumpften schnell. Die „Normalisierung“ hielt Einzug.

Nach der Auflösung von „Po Prostu“ erhielten Urban und einige andere Journalisten des Blattes Schreibverbot. Doch Urban war intelligent und geschickt genug, um schnell herauszufinden, wie man dieses Verbot umgehen konnte. „Zuerst lebte ich sehr bescheiden, aber innerhalb kürzester Zeit ging es mir prächtig. Ich habe unter Pseudonym geschrieben oder für andere. In einer Regionalzeitschrift in Łódź erschien zum Beispiel meine wöchentliche Kolumne. Darunter stand der Name des Chefredakteurs. Er heimste den Ruhm ein, ein begnadeter Glossenschreiber zu sein, und ich hatte das Geld“.

Jerzy Urban 1962.

Er konnte packend schreiben, also wurden seine Texte hie und da gerne „unter der Hand“ genommen. „Das gab mir ein Gefühl der Unabhängigkeit. Jetzt wusste ich, dass ich immer zurechtkommen würde. Es ist eine Zeit gewesen, in der ich völlig unabhängig von den Behörden war und trotzdem materiell gut dastand. Ich habe sie ausgetrickst.“ In Wirklichkeit wusste die Staatssicherheit natürlich bestens Bescheid, aber die zuständigen Parteibehörden ließen ihn gewähren, drückten beide Augen zu, wohlwissend, dass er zwar skurril, aber beileibe kein „antisozialistisches Element“ war.

Der junge Schreiber wurde damals in den von Künstlern, Wissenschaftlern und sozialistischen Arme-Leute-Bohemiens bevölkerten Salons Warschaus bekannt. Er belebte die Partys, wurde für seinen bösartigen, räuberischen Humor geschätzt. Zudem umgab ihn die Aura eines schikanierten Dissidenten.

Derweil hatte Urban keineswegs vor, in die damals, Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre, noch sehr kleine Gruppe von authentischen Oppositionellen vorzudringen. Aus der Auflösung von „Po Prostu“ zog er für sich eine wichtige Schlussfolgerung: Das Enfant terrible zu geben ist das Eine, aber man sollte sich lieber nicht mit den kommunistischen Behörden anlegen, denn sie können schmerzhafte Vergeltungsmaßnahmen ergreifen. Auch die Erinnerung an die Kriegsjahre sagte ihm, es sei besser, politisch stillzuhalten.

Paradiesgarten „Polityka“

Ende der 1950er Jahre wurde Mieczysław Rakowski, der Chefredakteur der damals sehr einflussreichen Wochenzeitung „Polityka“, auf Urban aufmerksam. Rakowski gelang es, die Parteioberen zu überreden, das Veröffentlichungsverbot für Urban aufzuheben. Der dem „Reformflügel“ in der Partei zugerechnete Rakowski, der sich aktiv an den Machtspielen hinter den Kulissen beteiligte und in der Partei hoch hinauswollte, war fortan Urbans Gönner.

Mieczysław Rakowski.

„Polityka“ war das liberale Feigenblatt des Regimes. Ein politisches Ventil, das durch etwas mehr erlaubte Kritik, vages Ansprechen von einigen Tabu-Themen, halbwegs kontrovers geführten Debatten, den Druck des Unmuts unter den Intellektuellen abmildern sollte. Sie war im Partei-Establishment angemessen positioniert und gleichzeitig, soweit ihr das erlaubt wurde, liberal und prowestlich. Aus der damaligen Sicht erschien „Polityka“ ihren Lesern geradezu als ein geistiger Paradiesgarten inmitten der öden kommunistischen Presselandschaft.

„Polityka“-Titelseite vom 5. Oktober 1968.

Urban war begeistert. Jahre später schrieb er: „Für die übrige Presse waren wir beneidenswerte Leute, weil wir relativ gesehen am freiesten waren. Wir galten als die beste Zeitschrift im ganzen Ostblock, hatten weltweite Kontakte, waren angesehen und genossen einen hervorragenden materiellen und beruflichen Status. Sie nannten uns Rakowskis Bande. Wir waren ein starkes Team“.

Die schöne Zeit bei „Polityka“. Jerzy Urban mit seinem Redaktionskollegen Daniel Passent und der Dichterin Agnieszka Osiecka 1978 bei einer Party im Warschauer Haus des ARD-Hörfunkkorrespondenten Ludwig Zimmerer.

Doch im Sommer 1980 begann der politische Zwist das starke Team zu zersetzen. Nicht wenige „Polityka“-Redakteure zeigten sich von der damaligen polnischen Arbeiterrevolte tief beeindruckt. Urban hingegen war entsetzt. Er sah in ihr einen Ausbruch des „polnischen Nationalismus“ und „Klerikalismus“. Die weitverbreitete Volksfrömmigkeit, die mit den Massenstreiks wieder einmal zum Vorschein kam, die Verehrung für Johannes Paul II., die gewaltige Unterstützung für Solidarność waren ihm ein Gräuel. Er empfand sie als eine persönliche Beleidigung. Der ansonsten lässig auftretende Spötter und hartgesottene Zyniker kochte plötzlich über vor Wut.

Kein Wunder. Die Glückseligkeit in der „Polityka“-Redaktion war zu Ende. Das journalistische Dream-Team brach auseinander. Urban schrieb vehement gegen die neue Entwicklung, den „schnauzbärtigen Affen“, wie er Lech Wałęsa nannte, und den „Mob“, der jetzt, seiner Meinung nach, das Sagen hatte, an. Doch er war in der Redaktion, die eine tiefe Sinnkrise erlebte, eher isoliert. Zudem brauchte keiner mehr so recht das „Polityka“-Ventil mit der Partei-Lizenz für Anspielungen und Halbwahrheiten, wo man doch jetzt, in den unzähligen hektografierten Flugblättern und Schriften der regionalen und betrieblichen Solidarność-Komitees, endlich lesen konnte, was Sache ist.

Taktik des brutalen Realismus

Als General Wojciech Jaruzelski im Februar 1981 an die Spitze von Partei und Staat trat, und Mieczysław Rakowski sich ihm als stellvertretender Ministerpräsident zur Seite stellte, eilte Urban dem neuen Team zu Hilfe. Er zwinkerte den abgehalfterten Provinz-Parteisekretären und den tumben Generälen zu: „Wir wollen doch dasselbe, eine Welt bewahren, in der wir die privilegierte Elite sind. Hinter euch steht die Macht der Geheimpolizei und des Militärs, und ich weiß, wie man die Menschen durcheinanderbringt, die Gesellschaft in die Depression treibt“.

Regierungssprecher Jerzy Urban.

Seine Feuertaufe als politischer Macher hatte Urban im August 1981. Zum ersten Mal, damals noch als Berater des Premierministers, nahm er an einer der Verhandlungsrunden der Regierung und der Gewerkschaft Solidarność teil. Spät in der Nacht, als die Gespräche ergebnislos zu Ende gegangen waren und die Gewerkschaftsvertreter es versäumt hatten, ein gemeinsam ausgearbeitetes Kommuniqué zu unterzeichnen, gingen beide Seiten müde ins Bett. Derweil bearbeitete Urban Rakowski, den stellvertretenden Premierminister. Es sei erforderlich noch in derselben Nacht, eine Erklärung abzugeben, dass es Solidarność war, die die Gespräche abgebrochen hatte. Eine entsprechende Verlautbarung wurde ab sechs Uhr morgens stündlich im Radio verlesen. Der Sprecher der Solidarność bestritt das, doch es war zu spät.

Jahre später prahlte Urban mit dieser Lüge: „Die Idee war, Solidarność in die Defensive zu drängen. Das ganze Land hat erfahren, dass die Regierung eine Einigung anstrebte, und Solidarność bricht die Gespräche ab. Das war natürlich eine Manipulation, aber ich bin sehr zufrieden mit ihr […]. Diese Verlautbarung war von großer Bedeutung für den Parteiapparat im ganzen Land. Sie rüttelte die Funktionäre, die bis jetzt in dieser Auseinandersetzung ständig verloren hatten, auf“.

Urban war damals ein Hardliner, der die Parteispitze in ihrem Willen bestärkte, Solidarność zu besiegen und zu beseitigen. Er riet Jaruzelski, die Gewerkschaft in Dutzende von Konflikten zu verwickeln, um sie so zu zermürben. Hinzu kam die dramatische Verschlechterung der Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten, Benzin. Menschen, die immer länger vor leeren Läden anstanden und warteten, dass irgendetwas Essbares angeliefert wurde, resignierten und verbitterten, das idealistische Klima des Freiheitsrausches vom Streiksommer 1980 verflog zunehmend.

Polen 1980-1981. Schlangestehen und nichts zu kaufen.

Je weitverbreiteter die Entmutigung und Resignation, so der Plan, umso schwächer der Widerstand gegen das Kriegsrecht, dessen Verhängung, unter strengster Geheimhaltung, von langer Hand vorbereitet wurde. Die Rechnung ging weitgehend auf. Als dann am 13. Dezember 1981 die Panzer und die Verhaftungswellen rollten, waren Proteste und Gegenwehr schnell gebrochen.

Urban, obwohl eigentlich nur Regierungssprecher, gehörte damals schon zum innersten Kreis der Macht. Die Rolle, die er zu spielen hatte, war gut durchdacht, was er später selbst zugab. Jaruzelski sollte der gute Polizist sein und er der böse. Er erinnerte sich: „Ich bin ein Kämpfer und an dieser Front, in dieser Armee, zu der ich mich gemeldet hatte, wurden die Waffen entsprechend zugewiesen. Jaruzelski war für gutes Zureden zuständig, ich für das rhetorische Einprügeln. Diese Rolle passte zu mir, weil ich das gerne tue“.

Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981. Straßenszene in Warschau.

Urban wählte die Taktik des brutalen Realismus. Er verfuhr nach dem Motto: „Ich will euch nicht davon überzeugen, dass wir Engel sind. Ich will nicht, dass ihr uns liebt. Ihr sollt uns fürchten.“ Daher auch seine berühmten Worte, gleich nach der Verhängung des Kriegsrechts, dass, komme was wolle, die Regierung sich auf jeden Fall „selbst ernähren kann“. Sie trugen eine einfache Botschaft: „Entweder ihr fügt euch oder ihr werdet verhungern“.

Jeden Dienstag um zwölf hielt Jerzy Urban Hof: Pressekonferenz im Club der halbamtlichen Nachrichtenagentur Interpress. Auf der Rückseite des Warschauer Großen Theaters versammelten sich ausländische Journalisten. Zigaretten qualmten; die Luft war heiß und trocken. Oft lieferten sich dort Urban und die westlichen Pressevertreter heftige Wortgefechte, denn lange Zeit schien Urban es als eine seiner vornehmsten Aufgaben zu betrachten, das Vertrauen der Polen in die kommunistischen polnischen Medien dadurch wiederherzustellen, dass er ihr Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Westmedien zu untergraben versuchte. Immer wieder unterstellte er ihnen in ihrer Polen-Berichterstattung Falschmeldungen und Halbwahrheiten zu verbreiten, was die im Publikum versammelten Westjournalisten nicht auf sich sitzen lassen wollten.

Diese Konferenzen wurden zeitversetzt, am Abend, im staatlichen Fernsehen übertragen. Es waren bizarre Shows und sie zogen die Aufmerksamkeit vieler Polen auf sich. Viele Zuschauer „schluckten“ unbewusst die vergiftete Botschaft des Medienluzifers. Urban hat viel dazu beigetragen, dass das Land Mitte der 1980er Jahre in Apathie und Resignation versank. Unübersehbar war das stille Abfallen von der Untergrund-Solidarność. Es häuften sich die Entscheidungen angesehener, repressalienmüder, lokaler Funktionäre, das Angebot der Staatssicherheit anzunehmen und ins Ausland zu gehen. Die Zahl derjenigen, die Gewerkschaftsbeiträge zahlten, sank, viele Mitglieder zogen sich ins innere Exil zurück.

Für die kommunistischen Behörden, die große Protestwellen befürchteten, war eine solche Beruhigung hochwillkommen. Doch sie löste die Probleme des Landes nicht. Gegen westliche Sanktionen, die riesige Auslandsverschuldung, die ruinierte Wirtschaft, die enormen Versorgungsengpässe, die galoppierenden Preise, den tristgrauen Alltag, den kommunistischen Schlendrian konnte auch Urban nichts ausrichten.

Gipfel der Niederträchtigkeit

Parallel zu seinen Pressekonferenzen führte Urban publizistische Kreuzzüge gegen Oppositionelle, die das Regime als besonders bedrohlich ansah. Er schrieb zu diesem Zweck, unter seinem „amtlichen“ Pseudonym Jan Rem, Kolumnen, von denen jeder wusste, dass es seine Texte sind. Diese Leidenschaft, die oft bereits überwachten, verfolgten oder sogar eingesperrten Gegner zu verhöhnen und zu demütigen, war eine der widerlichsten Erscheinungsformen seines Tuns.

Der Abiturient Grzegorz Przemyk. Im Hintergrund die Polizeiwache in der Warschauer Altstadt, in der er am 14. Mai 1983 zu Tode geprügelt wurde.

Den Gipfel der Niederträchtigkeit erklomm Urban, als er die Dichterin Barbara Sadowska, Mutter des 1983 auf einer Warschauer Polizeiwache zu Tode geprügelten Gymnasiasten Grzegorz Przemyk, verunglimpfte. Und ein zweites Mal, als er 1984 eine Kampagne gegen Pater Jerzy Popiełuszko lostrat. Er beschimpfte ihn als „verbohrten Fanatiker des Antikommunismus“ und als Verbreiter „politischer Tollwut“. 1984 brachten Angehörige der polnischen Stasi den mutigen Priester um. Einer der Täter verteidigte sich nach seiner Verhaftung damit, sein Hass gegen den Kirchenmann sei durch Urban angeheizt worden.

Die Dichterin Barbara Sadowska bei der Beerdigung ihres Sohnes. Rechts von ihr i. B. Pfarrer Jerzy Popiełuszko. Er wird gut ein Jahr später ermordet.

Urban konnte gnadenlos austeilen, aber, entgegen seinen Beteuerungen, dass er es mag, nicht gemocht zu werden, einstecken konnte er nicht. Das musste der Schriftsteller Bohdan Wrocławski schmerzlich erfahren, der im Keller des Kulturhauses der Warschauer Eisenbahner einen „Literaturkeller“ gegründet hatte.

Wrocławski erinnert sich: „Die Vorstellungen begannen, die Karten waren sechs Monate im Voraus ausverkauft, aber zu einem der Auftritte kam Jerzy Urban“. Einer der Sketche war eine Parodie auf Urbans Pressekonferenzen. Nach der Vorstellung fragte Wrocławski Urban, ob er sich durch den Sketch beleidigt fühle. „Überhaupt nicht, das ist doch nur Spaß“, antwortete Urban. Zwei Tage später wurde der „Literaturkeller“ auf Anordnung der Behörden geschlossen.

Die letzten Rückzugsintrigen

Als im Verlauf des Jahres 1988 klar wurde, dass die herrschenden Umstände bald nicht mehr haltbar sein würden und die Kommunisten die Flucht nach vorn, in die Verhandlungen am Runden Tisch antraten, war Urban nicht nur als der gewohnte Polterer, sondern auch emsig als Souffleur hinter den Kulissen der Macht am Werk. Aus Sicht der Kommunisten galt es, das politische Kunststück zu vollbringen: Solidarność zu legalisieren und zugleich möglichst tief in das marode Wirtschafts- und Politikgefüge des dahinsiechenden kommunistischen Polens einzubinden, sie in die Mitverantwortung zu ziehen und am Ende so in den Augen der Bevölkerung in Misskredit zu bringen.

Der Souffleur. Jerzy Urban im Frühjahr 1989, während der Beratungen am Runden Tisch, mit dem Chef der Polizei und der Geheimdienste, General und Innenminister Czesław Kiszczak

Urban war einer der Vordenker dieser Strategie. Er verfasste interne Denkschriften für Jaruzelski, Rakowski und den mächtigen Chef der Polizei und der Geheimdienste, General und Innenminister Czesław Kiszczak. Er begleitete beratend die Vorgehensweise der staatlichen Delegation am Runden Tisch, gab Tipps und Anregungen. Doch es war die Zeit des großen Umbruchs in Polen und in ganz Osteuropa. Das Intrigenschmieden und die politische Fallenstellerei, wie sie Urban und seinen Auftraggebern vorschwebten, erwiesen sich als realitätsferne Wolkenschiebereien.

Nachdem im April 1989 die Gespräche am Runden Tisch beendet waren, Solidarność wieder legal agieren konnte und das Land sich bald im Fieber des Wahlkampfes vor den für den 4. Juni angesetzten halbfreien Wahlen wiederfand, war die Reizfigur Urban als Regierungssprecher nicht mehr vorzeigbar. Bis zum Amtsantritt des ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten im September 1989 Tadeusz Mazowiecki wechselte er noch auf den Chefsessel des Staatsfernsehens. Danach war Urban nur noch Privatier.

Die Triebfedern seines Tuns blieben dieselben. Da war zum einen die tiefe Abneigung gegen Solidarność und Lech Wałęsa, der im Dezember 1990 zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Zum anderen war es die Kirche und das Christentum im weiteren Sinne, die Urban schon immer gehasst hatte.

Zufriedene Pensionäre: General Wojciech Jaruzelski und sein einstiger Regierungssprecher Jerzy Urban Mitte der 1990er Jahre.

In einem Interview sagte er: „Zwei Dinge im Bereich der Gefühle anderer Menschen verstehe ich nicht und das ist nicht im Geringsten vorgetäuscht, nämlich Religiosität und Sport. Vielleicht kam daher meine völlige Gefühllosigkeit gegenüber Johannes Paul II. und dem, was in Polen um ihn herum geschah. Ich habe diese Emotionen überhaupt nicht gespürt und kann sie bis heute nicht verstehen. Ich konnte weder Größe noch Charisma an ihm entdecken“. Publizistisch umgesetzt hat er seine Abneigung so, wie zum Beispiel 2002, als der polnische Papst zum letzten Mal in seine Heimat pilgerte: „Ein seniles Idol, ein verblassender alter Mann, der Breschnew des Vatikans und ein lebender Leichnam“.

Urban konnte also das fortsetzen, was er seit dem Sommer 1981 als Regierungssprecher zu seiner Hauptmission gemacht hatte. Jetzt aber, unter den Bedingungen der Meinungsfreiheit, noch viel brutaler und ungezügelter. Zudem machte er daraus ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Jahrelang hatte er gegen den Systemwechsel gekämpft, und nun kam er im Kapitalismus zu enormem Reichtum. Eine solch ironische Pointe der Geschichte hätte sich der Zyniker Urban nicht besser ausdenken können.

Millionär Jerzy Urban in seinem Haus, bewacht von Leibwächtern. Uund in seiner Luxuslimousine.

Es bereitete ihm eine diebische Freude, seinen Reichtum zur Schau zu stellen. Er fuhr einen Jaguar, trug handgeschneiderte italienische Anzüge, trank Whisky und Champagner und ließ seine Villa mit Swimmingpool im Warschauer Nobelvorort Konstancin von Leibwächtern bewachen. Er liebe nun mal den Luxus und ein ausschweifendes Leben, „vor allem weil sich meine Gegner so herrlich grün und blau darüber ärgern“.

„Urbans Alphabet“.

Das Startkapital für diesen Luxus hatte Urban gleich nach der Wende mit einem schmalen Buch verdient, „Urbans Alphabet“, einer Sammlung oft schlüpfriger und stets böswilliger Tratschgeschichten über Politiker und Künstler von A bis Z, vor allem aus dem Lager der Solidarność. Es wurde ein Bestseller, in kurzer Zeit gingen 750.000 Exemplare über den Ladentisch, und Urban hatte 120.000 Dollar verdient – ein beachtliches Vermögen in Polen.

Bald danach konnte er vergnügt vermelden, etwa tausendmal so viel zu verdienen wie in seiner Funktion als Regierungssprecher im Ministerrang. Die Quelle dieser wunderbaren Einkommensvermehrung sprudelte in der Redaktion eines Wochenblattes, das er 1990 aus dem Nichts schuf: NIE. Auf dem Gipfel der Popularität betrug die verkaufte Auflage der Zeitschrift 780.000 Exemplare.

Urban ging es darin einzig und allein um Aufsehen, Provokation und Krawall, wenn er mit pubertärer Schadenfreude die Soutanen katholischer Priester lüpfte oder behauptete Nebenverdienste von Solidarność-Politikern offenlegte. Zumeist jedoch verbreitete NIE juristisch schwer angreifbare Gerüchte und Erfindungen. Das Blatt deutete seinerzeit etwa an, der polnische Primas habe eine bisher verheimlichte Adoptivtochter.

NIE-Titelseite vom 21. Mai 2020.

Wichtig war die pornografische Komponente: zotige Anekdoten, anzügliche Karikaturen, viel Fäkalsprache, die Dienstleistungen von Hurenhäusern und Schwulenbordellen mit genauen Adressen und fachkundigen Beschreibungen der geprüften Dienstleistungen, bewertet mit erigierten Gliedern – von einem bis vier. Urbans Blatt war ein verlässlicher Führer durch die Abgründe des Rotlichtmilieus.

Extreme antiklerikale Tendenzen gab es im katholischen Polen schon immer. Die heftigen Angriffe des Urban-Blattes auf Solidarność gefielen vor allem der großen Schar von Nutznießern des Kommunismus, die die abgeschaffte Volksrepublik Polen schmerzhaft vermissten: Stasi-Leute, Militärs, hohe, mittlere und ganz kleine Chargen parteitreuer Beamter, Lehrer, Richter, Diplomaten, Wissenschaftler, Künstler, Manager der kommunistischen Misswirtschaft und deren Familien. Ihre Zahl ging in Hunderttausende.

Jerzy Urban feiert 1993 den Wahlsieg der Postkommunisten.

Urban war ihr Sprecher. Und in ihrem Namen erschien er am Abend des 19. September 1993 auf der Wahlparty der Postkommunisten, die gerade die Parlamentswahlen haushoch gewonnen hatten und nur vier Jahre nach ihrer Absetzung wieder die Macht in Polen übernehmen sollten. Das Foto, auf dem Urban mit weit herausgestreckter Zunge und einer riesigen Champagner-Flasche in der Hand die Abwahl des Solidarność-Lagers feierte, hatte für alle, die im antikommunistischen Kampf vor 1989 ihren Kopf hingehalten hatten, etwas Gespenstisches und zutiefst Erniedrigendes.

Zu Urbans Klientel zählte auch die riesige Zahl der Opfer des Balcerowicz-Plans, einer ökonomischen Schocktherapie, der Polen unterzogen wurde. Ganze Regionen versanken seinerzeit in Armut und Stillstand. Seriöse Beobachter rieben sich die Augen, dass Menschen, die sich immer noch nicht von dem durch das kommunistische Regime verursachten Elend erholt hatten, in vielen Fällen zu begeisterten Lesern der Urban-Zeitschrift wurden.

Aber Urban, der Zyniker, scherte sich nicht im Geringsten um seine Leser aus den stillgelegten Staatsgütern auf dem Lande und den rostbefallenen Fabrikruinen. Sein Ziel war es, in die neue Machtelite aufgenommen zu werden.

Adam Michnik und Jerzy Urban 1990.

Den Weg dorthin bahnte ihm Adam Michnik. Der einstige unverbrüchliche Gegner der Kommunisten verwandelte sich nach deren Niederlage in den wichtigsten Befürworter eines Schulterschlusses eines Teils der Solidarność-Eliten, links angehaucht, auch als „rosarot“ umschrieben, mit den „vernünftigen“, „kompromissbereiten“ Kommunisten. Michnik war damals geradezu von der irrationalen Angst besessen, die Solidarność-Massen würden der Macht der Kirche und einem ungezügelten Nationalismus erliegen. Das rosarot-rote Bündnis sollte das verhindern.

Michnik, der nun einflussreiche Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“, zählte jetzt General Jaruzelski (den man bitte „in Ruhe lassen“ sollte) und den einstigen Polizei- und Geheimdienstchef General Kiszczak (einen „Mann der Ehre“, wie ihn Michnik beschrieb) zu seinen Verbündeten. Jeden Versuch, die beiden und deren engste Mitarbeiter für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen, werteten Michnik und seine damals in der polnischen Politik meinungsführende Umgebung als unannehmbare Versuche, „Revanche“ zu nehmen.

Dank Michnik wurde auch Jerzy Urban, der einst verhasste kommunistische Propagandist, wieder salonfähig. Die beiden verband nun eine intensive Bekanntschaft. Dass Michnik Urban, Jaruzelski, Kiszczak und ihren Helfern vergeben hatte, musste genügen. Wer das nicht gutheißen konnte oder wollte, war ein rachsüchtiger Populist, „Hassprediger“, „Steinzeit-Antikommunist“.

Doch die Postkommunisten, die Urban und sein Schmuddelblatt nach Kräften unterstützten, haben sich durch Korruption, Arroganz und innere Zerwürfnisse bis zum Jahr 2005 ins politische Abseits manövriert, wo sie bis heute verharren. Und wie der Kommunismus, dem er treu diente, erwies sich auch Jerzy Urban als nicht reformierbar.

Jerzy Urban, der altersmüde Medienluzifer.

Er tat unentwegt das Einzige, was er wirklich konnte: andere zu verhöhnen, sie gegeneinander auszuspielen, das Gute zu besudeln, die Menschen davon zu überzeugen, dass das Böse gewinnt. Zu seinen Propagandafeldzügen gegen die Kirche kamen Propagandaschlachten gegen die regierenden Nationalkonservativen hinzu, in denen die Unterstellung Jarosław Kaczyński sei ein Homosexueller, noch zu den „mildesten“ Argumenten gehörte.

Aber die Zahl derjenigen, die sich das alles antun wollten, verringerte sich zunehmend. Irgendwann war es zu viel „des Guten“. Das Bösartige, Negative, Vergiftete erwies sich letztendlich als kein tragfähiges Fundament.

Auch Urban selbst schien in den letzten Jahren die Begeisterung für seine Kreuzzüge zu verlieren. Er wurde ein gelangweilter Satanist, dessen Gesundheit zu leiden begann. Bis zuletzt bewahrte er Haltung, aber die letzten Jahre seines Lebens waren nicht gerade von Erfolgen gekrönt. NIE ist heute ein Nischenblatt. Dass die Nationalkonservativen seit sieben Jahren an der Macht sind, machte ihn wütend, aber trotz aller Anstrengungen konnte er nichts dagegen ausrichten. Und auch die Kirchen stehen in Polen nicht leer.

Doch Leute, die es ihm gleichmachen wollen, gibt es in Polen weiß Gott genug. Leider hat der Drache zeit seines Lebens viele Eier gelegt.

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