Als Monogenese bezeichnet man eine ungeschlechtliche Vermehrung, bei der die Nachkommen als identische Kopien der Vorfahren entstehen. Laut Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich Wladimir Putin diese Fortpflanzungsmethode im gigantischen Ausmaß zu eigen gemacht. Zehntausende von Putins rauben, morden, stürmen und sterben seitdem in der Ukraine. Es ist ja, so Scholz, „ein Krieg Putins und nicht des russischen Volkes“. Folglich gibt es keinen Grund, den Russen die Freude am Bummeln durch das Berliner KaDeWe und am Geldverprassen an den Spieltischen von Baden-Baden zu verderben.
Deutschland ist dagegen, russischen Touristen fortan keine (Schengen) Einreise-Visa in die EU auszustellen. Angesichts der Tatsache, dass in Russland bisher größere Proteste gegen den Krieg ausgeblieben sind und man die spontane Unterstützung für die Aggression auf Schritt und Tritt erleben kann, ist die Behauptung von „Putins Krieg“ mehr als gewagt.
Das zweite deutsche Argument, man wolle Dissidenten und Fluchtwilligen die Ausreise nicht erschweren, wirkt überdies mehr als gekünstelt. Niemand schlägt vor, das Asylrecht ausgerechnet für Russen außer Kraft zu setzen. Wer an der Außengrenze der EU um Asyl bittet, hat ein Recht auf Einreise; dazu braucht er kein Touristenvisum.
Nach dem Eiertanz um Waffenlieferungen, geplatzen Ringtauschen, dem Veto Berlins Warenlieferungen von Russland in die Enklave Kaliningrad über EU-Gebiet (Litauen) zu unterbinden, lässt die deutsche Politik wieder einmal Umsicht im Umgang mit dem Aggressor walten. Argumente, wie das des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba, lässt sie nicht gelten. „Die Russen unterstützen mit überwältigender Mehrheit den Krieg gegen die Ukraine. Ihnen muss das Recht genommen werden, internationale Grenzen zu überschreiten, bis sie lernen, sie zu achten.“
Seitdem die Luftverbindungen zwischen Europa und Russland im Rahmen der Sanktionen größtenteils gekappt sind, führt der Weg nach Westen für russische Reisende größtenteils über die Landgrenzen Russlands zur EU, also über Finnland, Lettland oder Estland. Es sind nur in den allerwenigsten Fällen Menschen, die Probleme mit Putin haben. Sie kommen, um sich mit Waren einzudecken, die sie aufgrund westlicher Boykottmaßnahmen in Russland nicht mehr kaufen können.
Die betroffenen Staaten wollen das nicht länger hinnehmen. Estland stellt vom 18. August an keine Schengen-Visa für russische Staatsbürger mehr aus. Lettland und Litauen wollen sich anschließen. Finnland kündigte an, die Zahl seiner Touristenvisa für Russen auf zehn Prozent zu drosseln.
Russen jedoch, die an der estnischen Grenze das Schengen-Visum (Gebühr 35 Euro) eines anderen EU-Landes vorweisen, etwa ein von Deutschland ausgestelltes, dürfen nicht abgewiesen werden. Darum drängen die Staaten mit einer Landgrenze zu Russland, unterstützt von Polen und Dänemark, auf europäische Solidarität. Sollte es keinen verbindlichen Beschluss europäischer Gremien geben, so die Vorpreschenden, müssten sich so viele einzelne Mitgliedsländer wie möglich dem Boykott anschließen.
Polen hat seine Grenze zur russischen Enklave Kaliningrad bis auf wenige Ausnahmen komplett geschlossen. Zudem gehört das Land zu den wenigen, die seit dem russischen Überfall auf die Ukraine keine Touristenvisa für Russen ausstellen. Trotzdem sind zwischen dem 24. Februar und Mitte August knapp 65.000 russische Staatsbürger nach Polen eingereist. Etwa ein Drittel von ihnen besaß ein nichtpolnisches EU-Schengen-Visum.
Gewiss, eine im Vergleich zur russischen Gesamtbevölkerung sehr kleine Gruppe hat sich in der Vergangenheit Demonstrationen und Protesten gegen Putin angeschlossen oder diese unterstützt und befindet sich seither in einer Art fortwährender innerer Emigration.
Doch die meisten haben ihren Frieden mit einem Regime gemacht, das Ordnung schuf, sie ihre Geschäfte machen ließ, Löhne und Renten pünktlich zahlte und im Gegenzug lediglich politische Enthaltsamkeit verlangte. Diejenigen, die es sich leisten können, frequentieren gern Luxusläden in Berlin, Paris und London oder mondäne Ski- und Badeorte im Westen, den sie gleichzeitig zumeist als naiv, dekadent, käuflich und russlandfremd verachten.
Es liegt auf der Hand, dass es sinnvoll wäre, sie spüren zu lassen, dass die Loyalität zu Putin ihren Preis hat. Erst wenn die Einkaufstour auf der Kö in Düsseldorf oder, weniger fein, in den gut bestückten Supermärkten an der finnisch-russischen Grenze nicht mehr möglich ist, könnte sich bei dem einen oder anderen Putin-Freund die Frage regen, ob der Preis für den Ukraine-Krieg nicht doch zu hoch ist.
In Deutschland sieht man das anders.
RdP