Der Freiherr hatte es schwer. Das Fiasko des deutschen Warschau-Botschafters

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Von Loringhoven war der falsche Mann am falschen Ort.

Nach nur achtzehn Monaten musste der deutsche Botschafter in Warschau seinen Posten räumen. Die Abberufung markierte für Arndt Burchard Ludwig Freiherr Freytag von Loringhoven zweifelsohne einen Tiefpunkt in seiner bisher glanzvollen diplomatischen Karriere. Als gäbe es nicht schon genug Probleme in den polnisch-deutschen Beziehungen, wurde auch noch der deutsche Botschafter von Loringhoven zu einem polnisch-deutschen Problem.

Und so müssen dieser Betrachtung unbedingt zwei Fragen vorangestellt werden: Musste das alles wirklich sein? Mussten sich die Verantwortlichen in Berlin darauf versteifen, ausgerechnet den Freiherrn nach Warschau zu entsenden?

Nach sechs Jahren Amtszeit an der Spitze der deutschen Botschaft in Warschau wurde Ende Juni 2020 der ebenso liebenswürdige wie betuliche Rolf Nikel nach Deutschland abberufen. Zum Abschied bekam er noch mit auf den Heimweg von Staatspräsident Andrzej Duda einen polnischen Orden verliehen.

Deutsche Botschaft in Warschau.

Die Neugier darauf, wer Nikel nachfolgen werde, wich bei den offiziellen Warschauer Stellen bald einem wachsenden Unbehagen. Hie und da war sogar von Bestürzung und Empörung die Rede. Die Bekanntgabe der Kandidatur von Loringhovens warf sofort Fragen auf.

Hätte Berlin es gewagt, jemanden mit seiner Familiengeschichte Israel zuzumuten? Gab es in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern wirklich niemanden, der keine Verbindung zu Hitlers Krieg hat? Hätte Berlin nicht eine Person benennen können, die Polen und die Polen gut kennt, sich für den Dialog einsetzt? Handelte es sich hier um eine eingefädelte Provokation mit dem Ziel, die ungeliebte Warschauer Regierung und den für seine Abneigung gegenüber Deutschland bekannten Jarosław Kaczyński in eine missliche Lage zu bringen?

Das Problem mit dem Baron

Einiges sprach in den Augen der Warschauer Offiziellen für Letzteres. „Einerseits haben sie tatsächlich einen ihrer besten Leute geschickt, und das sollte zeigen, dass sie Polen ernst nehmen“, konnte man damals, im Hochsommer 2020, in Warschau off the record aus manchem berufenen Munde hören.

Tatsächlich ist von Loringhovens Lebenslauf beeindruckend. Geboren 1956, studierte er Geschichte, Philosophie und Chemie in Deutschland und in Oxford. Im Herbst 2019 beendete er seine Tätigkeit als Beigeordneter Generalsekretär der NATO, wo er für den gesamten Nachrichtendienst des Bündnisses zuständig war. Drei Jahrzehnte lang war er in der deutschen Diplomatie tätig, zweimal in Moskau (u.a. als Leiter der politischen Abteilung) sowie in Paris und Prag, wo er als Botschafter fungierte. Zwischendurch war er von 2007 bis 2010 stellvertretender Chef des deutschen Spionagedienstes BND.

Am Ende seiner Kurzmission in Warschau behauptete von Loringhoven in einem Interview: „Zuvor war ich als Diplomat in drei weiteren Nachbarländern Deutschlands tätig: Frankreich, Belgien und der Tschechischen Republik. Aber nirgendwo habe ich eine ähnliche Allgegenwärtigkeit der Geschichte erlebt.“

Angenommen, was eher unwahrscheinlich klingt, er war sich dieser nicht zu übersehenden polnischen Spezifik nicht bewusst, so war sie denjenigen, die von Loringhoven nach Warschau schickten, auf jeden Fall wohlbekannt. Dennoch machten sie ihn zum Botschafter in Warschau und taten anschließend beleidigt, überrascht und ahnungslos, als die braune Familiengeschichte den Baron (so wird der Titel Freiherr in Polen übersetzt) sofort nach seiner Ernennung einholte. Hier beginnt das „Andererseits“.

Sein Vater, Bernd Freytag von Loringhoven trat 1933 in die Reichswehr ein. Im September 1939 war er Stabsoffizier bei der 1. Panzerdivision, die am Überfall auf Polen teilnahm. Sie beteiligte sich unter anderem am Angriff auf Częstochowa/Tschenstochau. Einheiten der 1. PD ermordeten polnische Zivilisten u. a. in den Dörfern Stobiecko Miejskie, Krzyżanów, Siomki und Cekanów. Anschließend nahmen sie an der Erstürmung Warschaus teil. Für seine Leistungen im „Polen-Feldzug“ bekam Bernd von Loringhoven das Eiserne Kreuz zweiter Klasse verliehen. Ein Jahr später das Kreuz Erster Klasse (für den Überfall auf Frankreich) und 1942 das Deutsche Kreuz in Gold (u. a. für die Schlacht um Stalingrad).

Als Adjutant des Generalstabschefs des Heeres Heinz Guderian und anschließend Hans Krebs, war Major von Loringhoven ab Februar 1945 an den täglichen Lagebesprechungen bei Hitler anwesend. Am Tag vor dem Selbstmord des „Führers“ floh er mit dessen Einverständnis aus dem „Führerbunker“. Deswegen wurde er am Ende seines Lebens immer wieder gebeten, von seinen Erlebnissen in Hitlers Betonbau zu berichten, und war an der Vorbereitung des Films „Der Untergang“ beteiligt.

Der neue Botschafter, sein Vater Bernd, der „Führer“. Bebilderung eines der Berichte über den neuen deutschen Botschafter in den polnischen Medien im Sommer 2020.

Natürlich, so seine Behauptung, wusste er nichts vom deutschen Völkermord. Und glaubt man dem Sohn, so hat der Vater „niemals den Nationalsozialismus unterstützt und war zugleich davon überzeugt, dass es seine Pflicht war, für sein Land zu kämpfen“. Später hat der Vater „natürlich“ den Nationalsozialismus verurteilt. All das tat der neue Botschafter im September 2020 in seinem ersten Presseinterview in Polen, kund. Es war kein guter Einstieg.

Es sollte kein Zurück geben

Man mag es akzeptieren oder ablehnen, aber die Verwurzelung des polnischen Denkens in der Geschichte ist nun einmal eine Tatsache und eine wichtige polnische Eigenart. Es würde sich besonders für die deutsche Diplomatie ziemen, das zu respektieren. Wäre die Ernennung von Loringhovens ausgerechnet nach Warschau, und nicht nach Stockholm oder Antananarivo auf Madagaskar, wo kein Hahn nach seinem Vater krähen würde, nur ein Versehen gewesen, man hätte es noch rechtzeitig sang- und klanglos korrigieren können.

In der diplomatischen Praxis wird es so gehandhabt, dass die Kandidatur des neuen Botschafters dem Empfängerstaat diskret mitgeteilt wird. In 99 Prozent der Fälle weltweit gibt es nach kurzer Zeit ein Okay des Gastgeberlandes und die Kandidatur wird publik gemacht.

Wenn das Land, das den Botschafter aufnehmen soll, innerhalb von drei Monaten nicht antwortet, sollte das Entsendeland die Kandidatur überdenken und der Anwärter von sich aus zurücktreten. Dann muss das Gastland nichts erklären. Schweigen ist eine Verneinung. Alle haben das Gesicht gewahrt.

Berlin muss die Ernennung von Loringhovens so wichtig gewesen sein, dass es sich an diese Regel nicht hielt. Vorgänger Nikel hatte seine Koffer in Warschau noch nicht fertiggepackt, da wurde bereits am 29. Mai 2020 der Name des Nachfolgers von Loringhoven öffentlich gemacht. Nicht direkt vom deutschen Auswärtigen Amt, sondern mittels eines kontrollierten Lecks im Internetportal Onet.pl, das dem deutsch-schweizerischen Konzern Ringier Axel Springer gehört.

Geringschätziger ging es kaum: Warschau sollte Berlins Willen aus den Medien erfahren und offensichtlich vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Im ersten Wirrwarr machte zudem die Tatarenmeldung die Runde, der Sohn eines Hitler-Adjutanten soll die Bundesrepublik in Polen vertreten.

Warschau behält die Nerven

Im offiziellen, nationalkonservativen Warschau, das Deutschland ohnehin nicht traut, fühlte man sich in dieser Einstellung voll und ganz bestätigt. Doch was tun?

Die Kandidatur ablehnen konnte man nicht. Die Meinungs- und Interessenunterschiede zwischen Polen und Deutschland sind zwar groß, aber Deutschland ist kein Feindstaat. Und abgesehen von Situationen, die an einen Krieg grenzen, ist es nicht üblich, einem designierten Botschafter öffentlich das Agrément zu verweigern. Tut man das, muss man mit erheblichen Verwerfungen rechnen: Medienkrawall, Einschränkung der offiziellen Kontakte, Megafondiplomatie bestehend aus einem lautstarken Austausch von Vorwürfen, Dementis und Bissigkeiten.

Anders als vielleicht in Berlin gehofft, ließ man sich in Warschau in diese Spirale nicht hineinziehen. Die Antwort auf die deutsche Überrumpelung war, dass man während der gewöhnlicherweise vorgesehenen Frist von maximal drei Monaten die deutsche Seite in der Ungewissheit darüber ließ, ob man von Loringhoven akzeptieren wird oder nicht. Der Kandidat harrte derweil der Dinge in der Botschaft, zutiefst frustriert, wie es hieß, denn ohne das Agrément konnte er nicht seines Amtes walten.

Die ungewöhnliche Verzögerung im Agrément-Verfahren sollte zum Ausdruck bringen, welche Unruhe und Verwerfungen die Ernennung von Loringhovens und die Art, wie sie Warschau unterbreitet wurde, verursacht hatte. Der Botschafter-Anwärter seinerseits gab sich Mühe, Einsicht an den Tag zu legen. Er absolvierte einen ausgedehnten Rundgang durch das Museum des Warschauer Aufstandes und fuhr nach Berlin, um dem dortigen polnischen Pilecki-Institut einen Besuch abzustatten.

Das ersehnte Agrément erhielt von Loringhoven am 31. August 2020. Der 1. September, der Tag des deutschen Überfalls auf Polen vor 81 Jahren, war sein erster offizieller Arbeitstag in Warschau.

Der blockierte Botschafter

Erst hingehalten, dann hingenommen befand sich der Freiherr bei seinem Amtsantritt in einer lähmenden Defensive, die er im Grunde nie verlassen hat.

Die Familiengeschichte ließ sich nicht ausblenden. Immer wieder darauf angesprochen, stand er, was man menschlich gut verstehen kann, zu seinem Vater. Doch mit seinen bereits erwähnten Beteuerungen, dass Wehrmacht-Major von Loringhoven, obwohl er in Hitlers engster Umgebung verkehrte, „niemals den Nationalsozialismus unterstützt hat“, brachte er das polnische Publikum oft in Verlegenheit, manchmal in Rage.

Um zu zeigen, dass er es mit dem Nationalsozialismus genauso hält wie der Vater, widmete sich der Botschafter geradezu hyperaktiv dem Gedenken der Opfer. Glaubt man seinem Twitteraccount, besuchte er im Durchschnitt alle zehn Tage irgendwo in Polen eine Gedenkstätte, ein dem Kriegsgeschehen gewidmetes Museum, legte Kränze und Blumengebinde vor Gedenktafeln und Denkmälern nieder, nahm teil an Feierstunden, hielt Ansprachen und sprach mit Veteranen.

Diese ausgesprochen löbliche Tätigkeit, mit der er vor allem sein familiäres Handicap zu kompensieren suchte, stand im Widerspruch zu seinen ausgesprochen geringen Erfolgen, sich im politischen Warschau als deutscher Botschafter Geltung zu verschaffen.

Die regierenden Nationalkonservativen beschränkten die Kontakte mit ihm auf das protokollarisch korrekte Minimum. Die Art, wie er Warschau aufgedrängt worden war, wirkte nach. Doch noch schwerer wog, dass der Freiherr einen Bundeskanzler in Warschau vertrat, der seinen Drang, ständig mit Putin zu telefonieren, nicht bändigen konnte. Eine Regierung, die der kämpfenden Ukraine große Versprechungen machte, sie aber meistens nicht hielt. Einen friedens-, klima-, öko- und genderbegeisterten Verbündeten, der Polen gegen Putin nicht zur Hilfe kommen würde, mangels Willen und mangels einer funktionierenden Armee. Da gab es mit dem Botschafter nicht viel zu besprechen.

Des Botschafters Stolz. Deutsche Diplomaten auf der Warschauer Schwulenparade 2021.

Frustriert wandte sich von Loringhoven der polnischen „totalen“, wie sie sich selbst nennt, Opposition zu und wurde zunehmend deren Sprachrohr. Dort standen ihm alle Türen offen, dort fand er Trost, Zuspruch und Gehör. Die Politiker, die seit fast acht Jahren erfolglos gegen die Nationalkonservativen ankämpfen, und der ihretwegen ebenso erfolglose deutsche Botschafter verstanden sich auf Anhieb.

Stolz präsentierte der Freiherr auf Twitter Mitarbeiter der Botschaft, die im Mai 2021 in der Warschauer Schwulenparade mitmarschierten, vereint mit allen anderen Teilnehmern unter der gemeinsamen Losung und zudem dem wichtigsten Schlachtruf der totalen Opposition „PiS ficken!“.

Neben Zuspruch Kritik. Einer der vielen kritischen Kommentare auf Twitter: „Wenn der deutsche Botschafter nicht versteht, dass es unangemessen ist, dass deutsche Diplomaten an der Förderung einer Revolution der Sitten in einem benachbarten, kulturell anders gearteten Land teilnehmen, dann ist er entweder ungeeignet für sein Amt oder die Absichten Deutschlands gegenüber Polen sind offen feindlich.“

„Jetzt ist die Opposition komplett!“, lautete der Untertitel in einem Tweet, in dem ein Gruppenbild zu sehen ist mit führenden Politikern der totalen Opposition sowie dem deutschen Botschafter von Loringhoven. Gemacht wurde es, als Tausende von Warschauern Ende März 2022 vor dem Königsschloss auf die Rede des US-Präsidenten Joe Biden warteten.

Wenn der deutsche Botschafter (im Kreis) dabei ist, ist die totale Opposition komplett.

Auch bei seinen Huldigungen für die letzten noch lebenden Veteranen des antideutschen Widerstandes blieb der Freiherr seinen politischen Vorlieben treu. Nicht zufällig war seine wichtigste Ansprechpartnerin in diesem Kreis die hochbetagte Kämpferin im Warschauer Aufstand, Frau Wanda Traczyk-Stawska. Die Dame hat, wie sie sagt, den Deutschen und Deutschland längst vergeben. Niemals vergeben will sie dagegen Jarosław Kaczyński und meidet deswegen keine Gelegenheit, zornige Tiraden an die Adresse des Politikers und seiner Partei öffentlich von sich zu geben.

Nicht mehr zu gebrauchen

Die politischen Kommentare, die er öffentlich von sich gab, waren ein Abbild dessen, was in den Medien der Opposition zu lesen und zu hören war. Kaczyński sei im Grunde ein Verbündeter von Putin. Die Vorbehalte der Nationalkonservativen gegen Deutschland seien völlig unbegründet und dienten nur der Stimmungsmache. Deutsche Investoren, die sich normalerweise um Arbeitslager in China nicht scheren und bis zuletzt in Putins Russland, trotz aller Menschenrechtsverletzungen munter agierten, seien „äußerst besorgt“, so der Freiherr, wegen des Berufungsmodus von Richtern in Polen und erwägten gar, Polen zu verlassen. Man sah, der einst angeblich brillante Analytiker ist inzwischen in die Jahre gekommen und hatte, tief verbittert, nichts außer den sattsam bekannten Anti-PiS-Agit-Prop-Gemeinplätzen zu vermelden.

Menschlich lädiert, beruflich frustriert, vom polnischen Regierungslager isoliert, war der einst mit aller Gewalt der Diplomatie von Berlin forcierte Arndt Burchard Ludwig Freiherr Freytag von Loringhoven als Botschafter in Warschau nicht mehr zu gebrauchen. Wäre dem nicht so, hätte ihm die Berliner Ampel-Regierung die Anstandsfrist von drei Jahren auf seinem dortigen Posten in Warschau gegönnt, auch wenn er zum Nachlass von Angela Merkel gehörte.

Berlin hat mit viel Druck auf Warschau im Sommer 2020 seinen Willen durchgesetzt und einen Sieg errungen. Es sollte ein Pyrrhussieg werden.

RdP