1.08.2022. Führungsmacht Deutschland sollte sich schonen

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Jahrzehntelang haben sich Frankreich und Deutschland als die natürlichen Führer der europäischen Integration betrachtet. Um diese Stellung zu behaupten, haben sie sich oft einer Politik bedient, die die Mitsprache und Mitwirkung der Vereinigten Staaten in europäischen Belangen in Frage stellte, und es wurden enge wirtschaftliche Allianzen mit Russland und China geschmiedet.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist der Glaubwürdigkeitsverlust der beiden Staaten zu einem wichtigen Bestandteil der europäischen Politik geworden. Sie haben, unbekümmert um die russsische Gefahr, nach 2008, also seit dem russischen Angriff auf Georgien, die EU-Sicherheits- und Energiepolitik geprägt. Die Folgen sind, wie wir es gerade erleben, katastrophal: für Europa und für die beiden Staaten selbst.

Wie wird das heute in Berlin wahrgenommen? Von echter Demut ist kaum eine Spur erkennbar. Man übt sich in Selbstmitleid, behauptet stets das Beste gewollt zu haben, gibt sich bemitleidenswert ahnungslos und hintergangen und flüchtet sich in liebgewonnene, aufgewärmte Wunschträume, will das Ruder nicht aus der Hand geben.

So Bundeskanzler Olaf Scholz in seinem kürzlich erschienenen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Nach der bewährten deutschen „kohl-merkelschen“ Methode: Einsicht vortäuschen, im Kern hart bleiben, aussitzen und möglichst weitermachen wie bisher, tut Scholz so, als wäre nichts gewesen.

Er will die EU „festigen, effizienter machen“. Doch die Gedanken an eine strategische Souveränität der EU, an Sicherheitsgarantien aus Paris und Berlin oder der Vorschlag, die Einstimmigkeit in der europäischen Sicherheitspolitik durch Mehrheitsentscheidungen zu ersetzen und so das französisch-deutsche Entscheidungsmonopol zu stählen, klingen heute aus dem Munde eines deutschen Politikers wie ein schlechter Scherz. Niemand in Polen und in ganz Mittel- und Osteuropa sollte sich davon täuschen lassen.

Ohne Glaubwürdigkeit gibt es keine echte Führung. Und es dauert Jahre, bis die verlorene Glaubwürdigkeit wiederhergestellt ist.

Deutschland steht diesbezüglich heute ein langer Weg bevor. Mindestens drei Dinge sind dafür notwendig: Erstens eine ehrliche Analyse der eigenen Fehler, allen voran des Nord Stream-Projektes. Zweitens der Wiederaufbau der eigenen militärischen Fähigkeiten. Eine schlagfertige Bundeswehr muss ein fester Bestandteil der Verteidigung der Ostflanke der NATO sein und den Verdacht ausräumen, im Ernstfall den Russen lieber eine gemeinsame Therapie in „Konfliktmanagement und Deeskalation“ anzubieten. Drittens, eine echte Wende in der Energieabhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Russland. Ohne diese Voraussetzungen kann man nicht von der Glaubwürdigkeit der deutschen Politik in Europa sprechen.

Ein vierter Punkt kommt inzwischen hinzu. Die Schwankungen der deutschen Politik im Ukraine-Krieg zwischen bombastischen Versprechungen („Zeitenwende“) und einer Wirklichkeit, die von mehr als schleppenden Waffenlieferungen, geplatzten „Ringtauschen“, Scholz-Putin Telefonaten und mit aller Konsequenz durchgesetzten Sanktionsaufweichungen zu Gunsten Russlands (Beispiel: Transit nach Kaliningrad) geprägt wird, untergraben diese Glaubwürdigkeit noch weiter.

Und leider kann man mit jedem weiteren, raren, Medienauftritt von Altkanzlerin Angela Merkel sehen, wie die Chancen deutscher Politiker, die Fehler in den Beziehungen zu Russland ehrlich aufzuarbeiten, schwinden.

Wir in Polen können das nur zur Kenntnis nehmen und versuchen daraus unsere Schlüsse zu ziehen. Der wichtigste ist: Es ist an der Zeit, das paternalistische Modell der EU, die französisch-deutsche Bevormundung, auch „Führung“ genannt, die, europäisch verpackt, vor allem der Pflege eigener Interessen dient, abzulegen. Sein Fortbestehen wäre fatal.

Der Niedergang dieser Art von Führung, den wir gerade erleben, wird unweigerlich zu einem neuen Kräftemessen zwischen den Mitgliedstaaten der EU führen. Eine demokratischere EU der Nationalstaaten sollte das Resultat sein.

RdP