Polen und Israelis uneinig über neue Gedenkstätte.
Neuste Ausgrabungsarbeiten haben viele bisher unbekannte Tatsachen und Umstände über das ehem. deutsche Vernichtungslager Sobibór ans Tageslicht gebracht. Ein Lenkungs-Komitee, berufen von den Regierungen Israels, der Niederlande, der Slowakei und Polens, der Staaten also aus denen die meisten Opfer stammten, soll den Bau einer neuen Gedenkstätte überwachen. Der Entwurf gewann 2013 einen internationalen Wettbewerb.
In der letzten Zeit kam es innerhalb des Gremiums zu Meinungsverschiedenheiten. Während die polnische Seite für einen raschen Beginn der Bauarbeiten plädiert, um die Gedenkstätte möglichst noch in Anwesenheit der letzten Überlebenden einzuweihen, bestehen Yoram Haimi, der israelische Chefarchäologe vor Ort und die Gedenkstätte Yad Vashem darauf erst einmal weiter zu graben.
Gaskammer und Himmelfahrtstrasse
Der wichtigste Fund waren die Überreste des Gaskammern-Gebäudes, entdeckt im Sommer 2014. Sie befanden sich unter einer ursprünglich asphaltierten Fläche auf der das 1965 aufgestellte Denkmal für die Opfer stand. Um die Arbeiten zu ermöglichen, wurde das Denkmal vorläufig demontiert. Die Deutschen sprengten das Gaskammern-Gebäude als sie das Lager im Sommer 1943 dem Erdboden gleich gemacht haben.
„Bei den Ausgrabungsarbeiten wurden Ziegelfundamente freigelegt und in ihnen Fragmente von vier Gaskammern, jede vier mal fünf Meter groβ. Zudem glauben wir den Platz entdeckt zu haben auf dem der Panzermotor stand, mit dessen Abgasen Menschen umgebracht wurden“, sagte der Polnischen Presseagentur PAP Wojciech Mazurek, der leitende polnische Archäologe vor Ort.
Es gelang auch genau den Verlauf des Zugangsweges, auf dem die Opfer von der Rampe in die Gaskammern getrieben wurden, zu rekonstruieren. Die Nazis nannten ihn zynisch die „Himmelfahrtstrasse“.
Vor allem dank den Nachforschungen des polnischen Historikers Robert Kuwałek (1966-2014) wissen wir, daβ das Gaskammern-Gebäude als „Baderaum“ getarnt war. In den einzelnen Gaskammern, wo bis zu 1200 Opfer gleichzeitig eingesperrt werden konnten, hingen Duschköpfe unter der Decke, durch die die tödlichen Abgase geleitet wurden. Das Töten von etwa 500 Menschen dauerte nicht länger als eine halbe Stunde. Die Leichen wurden auf Schmalspurbahnwaggons zu riesigen Gruben gebracht und dort hineingeworfen. Ende 1942 entstanden aus Eisenbahnschienen gebaute Roste, auf denen die Toten verbrannt wurden. Alle Häftlinge, die zum Bedienen der Gaskammern und zum Verbrennen der Leichen gezwungen wurden, sind bei der Auflösung des Lagers ermordet worden.
Probevergasung für Himmler
Das Vernichtungslager Sobibor entstand 1942 im Rahmen der sog. Aktion Reinhardt im heutigen Länderdreieck Polen-Weiβrussland-Ukraine. Es war der Tarnname für die systematische Ermordung, zwischen Mai 1942 und Oktober 1943, aller Juden und Roma im Generalgouvernement (deutsch besetztes Polen) und in der Ukraine. Ermordet wurden über zwei Millionen Juden sowie rund 50.000 Roma. Zu diesem Zweck entstanden die Vernichtungslager Bełżec, Sobibór und Treblinka. An abgelegenen Orten, inmitten von Wäldern gelegen, mit einer eigens gebauten Gleisabzweigung versehen, dienten sie ausschlieβlich dem Morden. Die Menschen wurden direkt von der Rampe in die Gaskammern getrieben oder gelockt.
In Sobibór wurden zum ersten Mal Mitte April 1942 etwa 250 Juden aus einem nahegelegenen Arbeitslager bei einer „Probevergasung“ umgebracht. Himmler besuchte das Lager am 12. Februar 1943. Da gerade kein Transportzug erwartet wurde, brachte man 100 Frauen aus Lublin, um Himmler den Vernichtungsvorgang zu demonstrieren.
Eine genaue Bestimmung der Zahlen ist nicht möglich, da alle schriftlichen Unterlagen vernichtet wurden. Aussagen von polnischen Eisenbahnern und einzelne Zuglaufpläne erlauben grobe Schätzungen. Die Gesamtzahl der Ermordeten im Lager Sobibór wird auf 150.000 bis 250.000 Menschen geschätzt. Bis zum Frühsommer 1943 waren die Deportationen polnischer Juden aus dem Generalgouvernement so gut wie abgeschlossen. Später waren es auch Juden aus Holland, Deutschland, Frankreich, Tschechien, der Slowakei und Juden – gefangengenommene Soldaten der Roten Armee. Auch etwa eintausend Polen fanden in Sobibór den Gastod.
Aufstand, Mahnmal, Museum
Am 14. Oktober 1943 kam es in Sobibór zu einem Aufstand. 365 Gefangene konnten aus dem Lager fliehen, davon erreichten etwa 200 den naheliegenden Wald. Bis zum Ende des Krieges konnten nur 47 Flüchtlinge des Lagers untertauchen und haben überlebt. Die SS ermordete danach die zurückgebliebenen Lagergefangenen, die nicht hatten fliehen können. Das Lager wurde dem Erdboden gleichgemacht. Es blieben nur ein unverdächtig aussehender Bauernhof und ein speziell aufgeforsteter Jungwald zurück.
Im Jahr 1961 ließ der polnische Staat ein Mahnmal auf dem Aschefeld errichten. 1993 wurde zum Jahrestag des Aufstandes ein kleines Museum eingerichtet und 2006 eine Gedenkallee mit Bäumen gepflanzt. Sie folgt in etwa der „Himmelfahrtstrasse“ auf der die Gefangenen von der Rampe der Eisenbahn bis zu den Gaskammern gehen mussten.
Die Arbeit der Gedenkstätte und die Pflege der Anlagen wurde von einigen wenigen polnischen Mitarbeitern und Historikern getragen, und von privaten Initiativen aus den Niederlanden, Israel und Deutschland unterstützt. Im Juni 2011 musste die Gedenkstätte wegen Geldmangels des Landkreises vorläufig schließen. Inzwischen funktioniert sie als eine Filiale des Staatlichen Museums Majdanek.
Die polnische Seite weist daraufhin, daβ man bereits die wichtigsten neuentdeckten Elemente im Bauplan der neuen Gedenkstätte berücksichtigt habe. Die Israelis sind der Meinung, die Veränderungen gehen nicht weit genug. Ein Kompromiss sei aber in Sicht, heiβt es.
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