Ausländer staunen, Gläubige raunen.
„Was wir Katholiken unbedingt bei den Protestanten abgucken sollten, ist ihre Art den Karfreitag zu begehen. In den meisten protestantisch geprägten Ländern ruht die Arbeit. Nicht so in Polen, wo an einem der zwei wichtigsten Tage in der Menschheitsgeschichte, des Kreuzestodes Jesu Christi, gearbeitet, eingekauft, gekocht und geputzt wird was das Zeug hält“,
schreibt Polens gröβtes Wochenmagazin, der katholische „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 25. März 2018, das sich des Themas Karfreitag in Polen angenommen hat.
Dass der Karfreitag im katholischen Polen kein gesetzlicher Feiertag ist, verwundert Ausländer, vor allem jene aus evangelisch geprägten Staaten und Regionen, immer wieder aufs Neue. Die Auferstehung, so die gängige Antwort, stehe nun Mal höher in ihrer religiösen Bedeutung als die Geburt und der Kreuzestod Jesu. Die besondere Hervorhebung des Karfreitages sei eine eher protestantische Tradition.
Das Martyrium und der Tod Christi sind nicht zweitrangig
Das alles stimmt, doch ist es nicht an der Zeit in Polen ernsthaft die Frage zu stellen, ob der jetzige Zustand noch haltbar ist? Der Karfreitag war auch im Vorkriegspolen zwischen 1918 und 1939 nicht arbeitsfrei. Dennoch wurde sein Ernst, ebenfalls noch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, in einer Zeit ohne Fernsehen, Internet, Handy, Massenkultur und Shoppingwahn, gewahrt. Heute ist das nicht mehr so.
Wenn ein naher Angehöriger stirbt, bekommt man zwei Tage frei, um sich um die Beerdigung kümmern zu können. So sieht es das polnische Arbeitsrecht vor. Und hier stirbt Christus, unser Erlöser. Es ist das wichtigste Ereignis in der Menschheitsgeschichte. Er opferte sein Leben für uns, und die Menschen laufen in die Supermärkte, putzen, kochen, backen.
Polnische Protestanten, Methodisten, Pfingstler und Baptisten bekommen, laut Gesetz, an Karfreitag auf Anfrage, arbeitsfrei. Dass Katholiken nicht zu dieser Gruppe gehören erweckt den Anschein, das Martyrium und der Tod Christi sei für sie zweitrangig. Dem ist nicht so.
In der Karwoche erscheinen in polnischen Zeitungen hie und da privat aufgegebene Todesanzeigen wie diese:
»Nach einsamem und langem Beten im Garten am Ölberg, nach einem blutigen und grausamen Kreuzweg, und nachdem er am Kreuz umgebracht wurde, ist
Jesus von Nazareth
ins Haus des Vaters gegangen.
Mutter Maria mit den Nächsten und den Jüngern. Wir bitten von Beileidsbekundungen Abstand zu nehmen, da wir an die Auferstehung glauben«.
Ein Tag tiefster Trauer
Der Karfreitag, auch »Stiller« oder »Hoher Feiertag« genannt, ist in der katholischen Kirche eine strenge Fasten- und Abstinenzzeit. Unter Einbeziehung des Gründonnerstagsgebetes beginnt am Karfreitag die österliche Dreitagesfeier (Triduum Sacrum), die ab Gründonnerstagabend bis Ostermontag in der Frühe an den Kreuzestod und die Auferstehung erinnert.
Wie in allen katholischen Kirchen der Welt, ist der Karfreitag auch in Polen ein Tag tiefster Trauer. Schmucklos der Altar, ohne Kerzen und Altartücher. Die Kreuze verhüllt, geschlossene Flügelaltäre. Das ewige Licht gelöscht, Kerzen brennen nur am provisorischen Aufbewahrungsort des Allerheiligsten. Kein Weihrauch duftet. Orgel und Kirchenglocken verstummen. Es gilt die liturgische Farbe Rot, symbolisch für das im Leiden und Sterben Jesu vergossene Blut.
Ganz wichtig am Tag des Kreuzestodes ist die Kreuzverehrung (Adoratio crucis). Das üblicherweise seit dem Passionssonntag verhüllte Kruzifix wird erhoben gezeigt und der Ruf ertönt: »Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt«.
All das steht in Polen am Karfreitag in einem krassen Widerspruch zu dem Geschehen auβerhalb der Kirchen, geprägt von Eile, Hektik, Geschäftigkeit. So gesehen, ist das katholische Polen im christlich geprägten Teil der Welt eine Ausnahme. Am Tag des Kreuzestodes Christi ruhen Arbeit und Handel in Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Groβbritannien, Irland, Island, Lettland, Malta, Mazedonien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Serbien, Slowakei, Spanien, Tschechien (seit 2016), Ungarn (seit 2017), Zypern. Auβerdem in Australien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Ecuador, Kanada, Kuba, Peru, auf den Philippinen, in Venezuela sowie in dreizehn US-Staaten.
Gerade in Polen sollte er arbeitsfrei sein
Paradoxerweise ist in den meisten dieser Staaten der Anteil der praktizierenden Gläubigen unvergleichbar geringer als in Polen. Die meisten Bewohner dieser Länder gehen nicht in die Kirchen, nutzen oft den arbeitsfreien Karfreitag als einen zusätzlichen Tag eines langen Wochenendes um zu verreisen.
Doch das ist kein Argument gegen einen arbeitsfreien Karfreitag in Polen, wo die Kirchen am Nachmittag, wenn zwischen fünfzehn und spätestens achtzehn Uhr der Gottesdienst beginnt, prallvoll sind. Gläubige Menschen sollen den ganzen Karfreitag, einen Tag der Trauer, des Gebetes, des Insichgehens, bewusst so erleben dürfen. Wichtig ist den Gläubigen auch die Durchführung und die Teilnahme an Passionsspielen, die inzwischen in ganz Polen weit mehr als hundertfach an Karfreitag inszeniert werden.
Umfragen ergaben, dass bis zu sechzig Prozent der Polen diese Auffassungen teilen. Wird es also auch in Polen bald einen arbeitsfreien Karfreitag geben?
Liberale Ökonomen, oft geradezu vom Fetisch des Zuwachses beim Bruttoinlandsprodukt besessen, wie der Guru des ungezügelten Kapitalismus und erster Wirtschaftsreformer nach 1989, Prof. Leszek Balcerowicz, warnen davor. Schon jetzt arbeiten die Polen nicht, so ihr Argument, an Sonntagen und dazu auch noch an dreizehn weiteren Tagen im Jahr. Der EU-Durchschnitt beträgt 12,6 arbeitsfreie Tage.
Befürworter weisen darauf hin, dass das BIP in Polen pro Kopf von 1990 bis 2017 fast um das Achtfache gestiegen ist: von gut 1.700 auf mehr als 13.000 US-Dollar. Die Arbeitsproduktivität wuchs in derselben Zeit um durchschnittlich knapp vier Prozent pro Jahr. Das war EU-weit das zweitbeste Ergebnis.
Auch die Wiedereinführung eines arbeitsfreien Dreikönigsfestes 2011 hat daran nichts geändert. Hierbei handelte es sich um eine Rückkehr nach fünfzig Jahren.
Öffentlicher Druck ist vonnöten
Die Kommunisten hatten im Zuge ihres oft gnadenlosen Zwangs die Existenz Gottes zu verleugnen das Dreikönigsfest 1961 in einen Arbeitstag umgewandelt. Das geschah in einem Zug mit der Abschaffung des Festes der Darstellung des Herrn (volkstümlich Mariä Lichtmess, am 2. Februar), mit Christi Himmelfahrt (am 40sten Tag nach Ostern), dem Pfingstmontag, dem Hochfest Peter und Paul (am 29. Juni), Mariä Himmelfahrt (am 15. August) und dem Hochfest Mariä Empfängnis (am 8. Dezember).
Nach den Jahren des Kommunismus war 1990 nur das Fest Mariä Himmelfahrt (am 15. August) als gesetzlicher Feiertag zurückgekehrt.
Im Jahr 2011 kam dann noch das Dreikönigsfest hinzu, als Ergebnis langer Bestrebungen katholischer Bürgerinitiativen. Zwei Mal, im Oktober 2008 und im Juli 2009, hat Donald Tusks damals regierende Bürgerplattform, gemeinsam mit den Postkommunisten, im Sejm diesbezügliche
Bürgergesetzesinitiativen abgeschmettert. Die erste wurde damals von siebenhunderttausend, die zweite von knapp 1,3 Millionen Polen unterschrieben.
Inzwischen werden an jedem 6. Januar in ganz Polen mehr als sechshundert Dreikönigsumzüge veranstaltet. 2018 haben an ihnen 1,2 Millionen Menschen teilgenommen.
Mittlerweile formiert sich eine Bürgerbewegung zugunsten des Karfreitags. Polens katholische Laien haben eine neue Gelegenheit wieder einmal ihr Durchsetzungsvermögen unter Beweis zu stellen, umso mehr, als auch die jetzt amtierende nationalkonservative Regierung von dem Vorhaben nicht gerade begeistert ist.
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@ RdP