Am 3. März 2020 starb Stanisław Kania.
Berühmt wurde Stanisław Kania dank dem, was er nicht getan hat. Dass er sich 1981 bis zuletzt gegen die Einführung des Kriegsrechts in Polen gesträubt hat, wird ihm, sehr zu recht, in den polnischen Geschichtsbüchern zugutegehalten.
Er stand nur ein Jahr lang, von September 1980 bis Oktober 1981, im Rampenlicht der großen Politik als Erster Sekretär des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP). Es waren dramatische zwölf Monate des Tauziehens um eine friedliche oder gewaltsame Lösung der polnischen Krise.
Die freie Gewerkschaft Solidarność stand damals im Zenit ihrer Macht. Die Sowjets drohten mit dem Einmarsch. „Befreundete“ kommunistische Scharfmacher wie Honecker, der Tschechoslowake Husak oder der Bulgare Schiwkow, aber auch heimische Hardliner, forderten ein unbarmherziges Durchgreifen. Das hochverschuldete Land war bankrott. Vor leeren Läden harrten hunderttausende von Menschen aus, warteten darauf, dass irgendetwas geliefert wurde. Die Preise wuchsen schnell, die Inflation fraß Löhne und Erspartes auf. Polen glich einem Pulverfass. In einer solchen Lage kommunistischer Parteichef zu sein, war wahrlich kein Vergnügen.
Ochsentour zum Olymp
Bis Kania nach dem Zepter auf dem roten Olymp der Macht greifen konnte, durchlief er die Ochsentour eines Apparatschiks, wie sie im kommunistischen Bilderbuch steht. Unscheinbar, zäh, linientreu, bauernschlau, gewieft und schnell geübt in den Diadochenkämpfen um Einfluss, Macht, Karrieresprünge, arbeitete sich Kania fünfunddreißig Jahre lang hoch. So mancher Konkurrent, der ihm im Wege stand und auf die Aura der Gutmütigkeit, die Kania umgab hereinfiel, musste schmerzhaft erfahren, dass der Gutherzige nie ohne Dolch im Gewande in den Labyrinthen der Macht unterwegs war. Schließlich brachte er zwei seiner Vorgänger, Władysław Gomułka und Edward Gierek, als sie politisch ins Taumeln gerieten, mit zu Fall.
Beim Dorfschmied in der Lehre
Auf die Welt kam er 1927 im Dorf Wrocanka, im heutigen äußersten Südosten Polens. Damals verlief die Grenze zur Sowjet-Ukraine zweihundert Kilometer weiter östlich als heute, bis die Sowjets sie dann im September 1939 überschritten, um Polen gemeinsam mit Hitler aufzuteilen.
Die Eltern hatten einen Bauernhof von gerade einmal eineinhalb Hektar Fläche. Stanisław wuchs als Einzelkind auf. Bruder und Schwester starben noch als Säuglinge. Vater Józef, begabt im Selbststudium, brachte es immerhin zum Gemeindesekretär.
Im Ersten Weltkrieg, als diese Gegend des dreigeteilten Polens zu Österreich gehörte, wurde der Vater in die K.-u.-k.-Armee eingezogen, kämpfte an der italienischen Front, geriet in Gefangenschaft. Aus einem norditalienischen Kriegsgefangenenlager wurde er, gemeinsam mit Tausenden anderer Polen, durch die Behörden in Richtung Frankreich entlassen. Dort konnten sie sich 1917 einer kurz zuvor aufgestellten polnischen Armee anschließen. Mit ihr kam Kanias Vater 1919 ins gerade wiedererstandene Polen und kämpfte im polnisch-sowjetischen Krieg. Polen gewann ihn im Herbst 1920 und konnte so seine 1918, nach 123 Jahren der Teilungen, gerade wiedergewonnene Unabhängigkeit retten.
Dass sich ausgerechnet sein Sohn, knapp dreißig Jahre später, als Kommunist in den Dienst der Sowjets stellte und ihnen bei der Unterdrückung Polens zur Hand ging, musste der Vater nicht mitansehen. Er starb 1931, als Stanisław vier Jahre alt war.
Der Junge absolvierte nur die örtliche Vier-Klassen-Elementarschule, ging beim Dorfschmied in die Lehre und verrichtete, gemeinsam mit Mutter Katarzyna, alle Arbeiten auf dem ärmlichen Hof. Als im September 1939 der Krieg ausbrach, war er zwölf. Mit siebzehn trat er 1944 dem örtlichen Untergrund bei, half beim Drucken von Flugblättern, überbrachte als Kurier Nachrichten.
Den Sowjets zu Diensten
Im Herbst 1944 durchlebte die Gegend eine schwere Zeit. Die Sowjets stoppten im August 1944 ihre Sommeroffensive. Wrocanka lag nun auf der deutschen Seite im Frontbereich. Wehrmacht und SS begannen die Bevölkerung zu vertreiben. Dörfer wurden zuerst planmäßig ausgeplündert, damit ausgebombte Deutsche im Reich wieder zu Hausrat und Kleidung kamen, und anschließend dem Erdboden gleichgemacht.
Wrocanka entging diesem Schicksal nur knapp. Mitte Januar 1945 begannen die Sowjets ihren letzten großen Vorstoß, der im Mai 1945 in Berlin zum Stehen kommen sollte. Am 19. Januar 1945 rollten Sowjetpanzer durch Kanias Heimatdorf.
In ihrem Tross rückten bald darauf sowjetische Sicherheitsbehörden und ihre polnischen Helfer an. Örtliche Kommunisten und ihre Mitläufer, oft der Bodensatz der Gesellschaft, der nun als das „Proletariat“ zu Amt und Würden kam, entfalteten schnell ihre Terrorherrschaft.
Aus dem Mitläufer Stanisław Kania wurde alsbald ein heißsporniger Aktivist. Schon im März 1945, gerade achtzehn geworden, trat er der kommunistischen Partei bei und tat sich in Wrocanka und Umgebung bei allen landesweiten rücksichtslosen kommunistischen Aktionen hervor. Bei der brutalen Einschüchterung der Opposition. Bei der Fälschung des Volksreferendums im Juni 1946 und der Parlamentswahlen im Januar 1947. Bei der 1948 einsetzenden, gewaltsamen Kollektivierung der Landwirtschaft. Die Folterkeller der politischen Polizei UB im ganzen Land, so auch in Wrocankas Kreisstadt Jasło, konnten die Opfer kaum fassen.
Im Dezember 1948 wurde dem Jugendaktivisten und kleinem Apparatschik aus der tiefen Provinz eine besondere Ehre zuteil. Er war Delegierter beim (Zwangs)Vereinigungsparteitag der polnischen Sozialisten und Kommunisten und durfte dabei sein, in der Halle der Warschauer Technischen Hochschule, als die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) aus der Taufe gehoben wurde.
Knapp zwei Jahre später, im September 1950, schaffte Kania den erträumten Sprung nach Warschau, den einzigen Ort, an dem an eine landesweite Karriere zu denken war. Zuerst landete er für zwei Jahre auf der Parteischule des Zentralkomitees der PVAP. Dort bekam er den ideologischen Schliff, unabdingbar für höhere Weihen. Im Abschlusszeugnis wurden ihm „politische Schärfe“, ein „starkes Klassenbewusstsein“ und „sehr gute Entwicklungsperspektiven“ bescheinigt. Das Abitur hatte er an einem Warschauer Lyzeum für Berufstätige 1958 nachgeholt.
Jetzt konnte und durfte Kania die Laufbahn des Berufsfunktionärs einschlagen. Sie führte ihn, über verschiedene Funktionen in der Warschauer Zentrale des kommunistischen Jugendverbands und im Parteiapparat der Hauptstadt, im November 1968 in die wichtigste Parteibehörde, das Zentralkomitee. Dass er dort gleich einen Schlüsselposten bekam sagt viel aus darüber, wie gut vernetzt er schon damals sein musste.
Parteiaufseher der Agenten und Uniformträger
Die einem Nicht-Kenner nichts sagende „ZK-Abteilung für Verwaltung“, der er nun vorstand, war in Wahrheit eine der wichtigsten Schaltstellen im kommunistischen Polen. Sie übte die Parteikontrolle über Armee, Polizei, Geheimpolizei, auch die Justiz und den Strafvollzug aus, war ebenfalls zuständig für die katholische Kirche. Auf Kanias Schreibtisch landeten die geheimsten Geheimakten des Regimes.
Wer, wie Kania, nicht nur ein beliebig auswechselbarer „Parteibeamter“ sein wollte, sondern ein gewichtiger Parteipolitiker, der musste unbedingt Mitglied sein in dem wichtigsten Parteigremium zwischen den Parteitagen, dem Zentralkomitee (ZK; nicht zu verwechseln mit dem ZK-Apparat wo Kania die „Abteilung Verwaltung“ leitete).
Das Gremium zählte (die Zahl schwankte) zwischen 100 und 150 Vollmitglieder und etwa einhundert Kandidaten. Das ZK wurde auf dem Parteitag gewählt. Es selbst wiederum wählte dann den Parteichef (den Ersten Sekretär) und das meistens zehn- bis zwölfköpfige Politbüro. Die Mitgliedschaft im ZK-Gremium und ein hoher Posten im ZK-Apparat waren eine solide Basis für den Sprung ins Politbüro, das eigentliche Machtzentrum der Partei.
Kania wurde auf dem IV. Parteitag der PVAP im Juni 1964 Kandidat und auf dem V. Parteitag 1968 Vollmitglied des ZK.
Damals begann der Stern des Parteichefs Władysław Gomułka zu sinken. Gomułka war im Oktober 1956 an die Macht gekommen. Er war umgeben vom Nimbus des Märtyrers, der von den polnischen Stalinisten auf Geheiβ Moskaus drei Jahre lang (1951-1954) eingesperrt war, und des Nationalkommunisten, der einen eigenen, polnischen Weg zum Sozialismus einschlagen würde.
Der Stalinismus war endlich vorbei und Polen lag im Oktober 1956 Gomułka zu Füβen, doch dieser wollte der Liberalisierung und Demokratisierung schnell enge Grenzen setzten. So naiv, wie Gorbatschow dreiβig Jahre später, war er nicht. Die „führende Rolle der Partei“ anzutasten, wäre der Beginn einer Entwicklung gewesen, an deren Ende das Ende der Parteidiktatur gestanden hätte. Demokratie und Sozialismus, das war ein unlösbarer Widerspruch. Entweder das eine oder das andere, das wusste der Machtmensch Gomułka sehr gut.
Es gelang ihm, die im Oktober 1956 entfesselten Geister (freizügigere Medien, Arbeiterselbstverwaltung, die wieder millionenfach zur Schau gestellte Kirchentreue der Polen u. e. m.) nach und nach wieder in die Flasche zu bekommen. Der ehrgeizige Kania war einer derjenigen im Parteiapparat, die Gomułka dabei gern behilflich waren.
Es folgten die Sechzigerjahre, die Zeit der Stagnation, der Resignation und der wachsenden Wirtschaftsprobleme in Polen.
Dezember 1970. An der Küste wird geschossen
Am Sonnabend, dem 12. Dezember 1970 verkündeten Rundfunk und Fernsehen, dass am Montag eine drastische Lebensmittelpreiserhöhung in Kraft treten werde. Die Staatskasse war leer und der zunehmend sklerotische Gomułka, der längst den Bezug zur Realität verloren hatte, wollte sie durch eine radikale Kürzung der staatlichen Subventionierung der Lebensmittelpreise kurz vor Weihnachten wieder auffüllen.
Am Montag, dem 14. Dezember 1970 kam es daraufhin in Gdańsk und in dem nahegelegenen Gdynia zu ersten Arbeitsniederlegungen. Arbeiter zogen friedlich vor die Danziger Parteizentrale und forderten Verhandlungen, doch niemand wagte sich zu ihnen hinaus. Am Nachmittag kam es dann zu ersten Straβenschlachten mit der Miliz. Die Lawine kam ins Rollen.
Beschleunigt hat sie eine folgenschwere Entscheidung, die am Dienstag, dem 15. Dezember 1970 gefallen war. In einem Konferenzraum im Warschauer ZK-Gebäude versammelte sich um neun Uhr der engste Machtzirkel des kommunistischen Polen: Parteichef Gomulka, der Staatsratsvorsitzende (Staatspräsident) Spychalski, Ministerpräsident Cyrankiewicz, die drei einflussreichsten Politbüromitglieder: Jaszczuk, Moczar und Strzelecki, Verteidigungsminister General Jaruzelski, Innenminister Świtała, Polizeichef General Pietrzak. Dass Kania hinzugebeten wurde, zeigt wie bedeutend schon damals seine Stellung im kommunistischen Machtapparat war.
Der übernächtigte und gereizte Gomułka äußerte gleich zu Beginn, dass die Ordnungskräfte Schießbefehl bekommen sollen. Niemand in der Runde widersprach. Auch nicht, als Gomułka die Verlegung von zwei Panzer-Divisionen von Koszalin/Köslin und Elbląg/Elbing nach Gdańsk anordnete.
Am selben Tag und am Tag darauf töteten Polizei und Armee in Gdańsk, Gdynia, Szczecin und Elbląg insgesamt 41 Menschen. In Gdańsk und Szczecin gingen die örtlichen Parteizentralen in Flammen auf. Zu einem regelrechten Massaker kam es am 16 Dezember 1970 an der S-Bahn-Haltestelle „Gdynia-Werft“, wo die Armee direkt in eine Menschenmenge schoss, die zur Arbeit gefahren kam.
Kanias erster „Tyrannenmord“
Es roch nach Bürgerkrieg, die Lage drohte außer Kontrolle zu geraten. Nicht auszudenken, wenn der Funke der Revolte nach Oberschlesien überspringen würde. So mancher nüchtern denkende Apparatschik in Warschau bekam es mit der Angst zu tun. Mit Gewalt war der Krise nicht mehr beizukommen. Nur der politische „Tyrannenmord“ und ein Entgegenkommen gegenüber den aufgebrachten Arbeitern, zu dem der altersstarrsinnige Gomułka nicht fähig war, konnte sie beenden.
Eine Ermunterung zum Handeln war ein vertraulicher Brief der sowjetischen Führung an das polnische Politbüro , den der sowjetische Botschafter in Warschau spät abends am Freitag, dem 18. Dezember 1970 überreichte. Erst 1991 öffentlich geworden, enthielt das Schreiben eine vielsagende Schlusspassage: „Welche politischen und ökonomischen Maßnahmen in der bestehenden Lage unternommen werden sollten, das muss allein die PVAP entscheiden. Wichtig ist, dass das schnell geschieht.“
In dem Brief fiel der Name Gomułka kein einziges Mal. Im Klartext: die Sowjets signalisierten, dass sie an ihm nicht festhielten.
Spätestens seit Mittwoch, dem 16. Dezember 1970 begann sich hinter dem Rücken Gomułkas ein Komplott gegen ihn herauszukristallisieren. Zuerst nur hinter vorgehaltener Hand, in Andeutungen und Halbsätzen, dann immer offener, denn die Zeit drängte, das Blut floss, die Revolte dauerte an, sprachen die Verschwörer von der Notwendigkeit Gomułka und die kleine Gruppe seiner letzten Getreuen abzusetzen. Allen war dabei klar, dass nur einer den guten Ruf, die Machtbasis und das Händchen dazu hatte, die dramatische Lage zu meistern: der oberschlesische regionale Parteichef Edward Gierek.
Gierek genoss den Ruf eines Technokraten und Modernisierers, dem ein Gulasch-Kommunismus vorschwebt, wie ihn die Ungarn damals einzuführen begannen. Er verstand es die oberschlesischen Bergleute, Stahlkocher, Chemiearbeiter, Maschinenbauer, aber auch die vielen Techniker und Ingenieure, die in der Region den Ton angaben, mit mehr Neubauwohnungen, einer besseren Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern, auf die das übrige Polen mit Neid blickte, bei Laune zu halten.
Gierek, der in seiner Jugend im belgischen Bergbau gearbeitet hatte und Französisch sprach, wurde nachgesagt, er wünsche jeden Morgen die aktuelle Ausgabe der Zeitung „Le Monde“ auf seinem Kattowitzer Schreibtisch vorzufinden. Dieser Mann sollte das Ruder übernehmen, dem Arme-Leute-Sozialismus Gomulkas ein Ende setzen, das Land erneuern.
Als der sowjetische Botschafter den Brief aus Moskau Ministerpräsident Cyrankiewicz am Freitag, dem 18. Dezember 1970 übereichte, da Gomułka, schwer erkältet und erschöpft, ihn nicht empfangen konnte, brachen Stanisław Kania und noch einer der Verschwörer in einem Mercedes aus dem Fuhrpark des ZK mit Chauffeur von Warschau in das knapp dreihundert Kilometer entfernte Katowice auf.
Kurz nach Mitternacht vom 18. auf den 19. Dezember 1970 begannen in Giereks Kattowitzer Villa die alles entscheidenden Gespräche. Am Ende konnten die beiden Emissäre froh sein. Der Gastgeber, den vorher schon einige Parteigrößen telefonisch aus Warschau sondiert und ihm gut zugeredet hatten, willigte nach anfänglichem Zögern und Zaudern ein.
Am Sonntag, dem 20. Dezember 1970 versammelten sich in Warschau die etwa zweihundert Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees. Nachdem die Sowjets dezent ihr O.K. signalisiert hatten, wurde der kranke Gomułka in Abwesenheit abgewählt. Edward Gierek trat seine Nachfolge an.
Böses Erwachen aus süßen Träumen
Ein Aufatmen ging durch das Land, auf dem die zunehmend sklerotische Gomułka-Herrschaft wie Blei gelastet hatte. Der neue, knapp fünfzehn Jahre jüngere Parteichef, schneidig im Auftreten, nicht allzu dogmatisch, dialogbereit und einnehmend, wie es schien, zog die Polen in seinen Bann. Eine Woge der Zuversicht hob die Stimmung im Land. Polen lag Gierek zu Füßen, beinahe genauso wie 1956, als es Gomułka, dem nun verjagten Hoffnungsträger von damals, den Weg zur Macht mit Blumenteppichen schmückte.
Bis Mitte der 1970er Jahre versank Polen in einem süβen Konsumtraum, verkörpert durch Coca-Cola, Marlboro-Zigaretten und dem „polnischen Volkswagen“, dem kleinen Fiat 126, finanziert von der Gierek-Mannschaft mit westlichen Krediten. Gewaltige Investitionen in der Industrie und in der Infrastruktur wurden zudem getätigt, westliche Technologien und Maschinen im großen Stil gekauft.
Doch unter den starren Bedingungen der kommunistischen Planwirtschaft, endete das ehrgeizige Vorhaben in einer Katastrophe. Die im Westen geliehenen Devisen waren ausgegeben worden für eine Modernisierung, die kaum hochwertige Produkte hervorgebracht hatte, mit denen man eigentlich die Schulden zurückzahlen wollte.
Kania und seinem engen politischen Verbündeten General Wojciech Jaruzelski, Politbüromitglied und Verteidigungsminister, gefiel die wachsende Abhängigkeit des kommunistischen Polen vom Westen ganz und gar nicht. Dass sie damit recht behielten, dürfte sie im Nachhinein kaum gefreut haben.
Etwa 1975 nämlich war der Traum vorbei, die Volksrepublik Polen zahlungsunfähig und die Arbeiterschaft wieder auf den Straβen, wie in der Stadt Radom im Juni 1976, wo eine Arbeiterrevolte eine erneute landesweite drastische Lebensmittelpreiserhöhung verhinderte. Parteichef Gierek wollte sie durchsetzen um, wie sein Vorgänger Gomułka im Dezember 1970, die ruinös hohe Subventionierung von Grundnahrungsprodukten einzuschränken.
Giereks Vorhaben wurde nach einem Tag zurückgenommen. Die Rache dafür waren Massenverhaftungen und „Gesundheitspfade“ auf den überfüllten Polizeistationen und in den Gefängnissen. Immer wieder wurden die Opfer durch lange Gassen knüppelschwingender Beamter gejagt. Schauprozesse folgten. Entlassungen und andere Schikanen trieben Hunderte eingeschüchterter Opfer von Radom in Armut und Verzweiflung.
Das rief in Warschau oppositionelle Anwälte, Wissenschaftler, Kulturschaffende, Studenten, Priester auf den Plan, die Geld sammelten, für Rechtsbeistand sorgten und vor allem das Ausland informierten. Das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) entstand.
So nahm im Sommer und Herbst 1976 eine für das Regime hochgefährliche Entwicklung ihren Lauf. Die zumeist vom Land stammende, entwurzelte Arbeiterschaft der ersten Generation, kam plötzlich mit freiheitlichem, oppositionellem Gedankengut in Berührung.
Und es reifte die Einsicht, dass von Verzweiflung befeuerte Straßenunruhen ein ums andere Mal verpuffen würden.
Es ist der Gewaltverzicht. Es sind Streiks auf dem Betriebsgelände, wo sich die Arbeiterschaft regelrecht verschanzen muss, und nicht das Steinewerfen auf Panzer. Es sind Streikkomitees mit klar formulierten Forderungen. Nur das ebnet den Weg zu freien Gewerkschaften, ohne die alle durch Proteste abgetrotzten Zugeständnisse und Freiheiten am Ende von den Kommunisten mit Gewalt, List, Lug und Trug nach und nach erstickt werden. Diese Strategie sollte vier Jahre später Solidarność, die erste freie Gewerkschaft im Ostblock hervorbringen,
Stanisław Kania stieg derweil weiter auf in der Parteihierarchie. Im April 1971 verließ er den ZK-Abteilungsleiterposten und wurde ZK-Sekretär. Im Dezember 1971, auf dem VI. Parteitag der PVAP, zusätzlich Kandidat des Politbüros. Im Dezember 1975, auf dem VII. Parteitag, gelangte er endlich auf den Olymp, wurde Vollmitglied des Politbüros.
„Nicht schießen!“
Kania war jetzt ein mächtiger Parteiboss, aber nach außen blieb er wenig bekannt, denn er zog es vor, wie seine Klientel, im Hintergrund zu bleiben. Sein Aufgabenbereich blieb seit 1968 nämlich unverändert: Parteiaufsicht über Armee, Polizei, Geheimdienste, Justiz- und Justizvollzug, Religionspolitik.
Er hatte dafür zu sorgen, dass sich der Gewaltapparat nicht etwa verselbständigt, dass er wachsam bleibt, als „Schwert und Schild der Partei“ jederzeit in der Lage, gegen „Klassenfeinde“ und „Konterrevolution“ vorzugehen. So war er über die Polizei-Exzesse in Radom bestens informiert. Er hat sie nicht unterbunden.
Wehrlose „Feinde des Sozialismus“ zusammenknüppeln, das hielt Stanisław Kania für richtig und für gerechtfertigt. Andere Repressalien auch. Was er kategorisch ablehnte, war das Schießen. Als die ersten Nachrichten von den Unruhen in Radom am 25. Juni 1976 in Warschau eintrafen, gab Parteiaufseher Kania dem Innenminister und dem Polizeichef die Anweisung: Ordnungskräfte tragen in Radom keine Schusswaffen.
Das Blutvergießen in den polnischen Küstenstädten im Dezember 1970 hatte ihn nämlich zutiefst schockiert. Entsetzt erzählte er im kleinen Kreis, dass damals mehr Panzer und gepanzerte Fahrzeuge im Einsatz waren, als bei den Sowjets in der größten Panzerschlacht des Zweiten Weltkrieges am Kursker Bogen im Sommer 1943. Wird erst einmal das Feuer auf Demonstranten eröffnet, entgleitet der Politik die Kontrolle über die Ereignisse, so Kania. Blutverschmierte Fahnen oder Kleidungsstücke werden schnell zu Ikonen des Widerstandes, Hysterie und Verbissenheit nehmen überhand.
Ab dem Sommer 1980 hatte er ein zweites Mal die Gelegenheit, seine Überzeugung unter Beweis zu stellen. Giereks erneuter Versuch, die Lebensmittelpreise anzuheben, war der Funke, der das Pulverfass der Unzufriedenheit in Polen zur Explosion brachte.
Von Lublin, im Südosten des Landes, wo sie Mitte Juli 1980 aufkam, gelangte die Streikwelle Anfang August nach Warschau. Am 14. August 1980 erreichte sie, mit dem Ausstand in der Lenin-Werft in Gdańsk, die Ostseeküste. Kurz darauf ergoss sie sich auf etwa 200 Betriebe in der Stadt und Umgebung.
Die Tragödie des Dezember 1970 noch gut im Gedächtnis, dachten die Streikenden nicht daran, auf die Straße zu gehen. In den besetzten Fabriken wähnten sie sich sicher. Das überregionale Streikkomitee in Gdańsk, mit Sitz in der Lenin-Werft, übernahm faktisch die Macht in der Region. Dort wurde entschieden, ob die Straßenbahnen und Busse fahren sollen oder nicht. Ob Alkohol verkauft werden darf. Welche lebenswichtigen Betriebe weiterarbeiten müssen u. e. m.
Wie einst sein Vorgänger Władysław Gomułka, zog sich der zunehmend depressive und ratlose Parteichef Edward Gierek immer mehr aus dem laufenden Geschehen zurück. Bei Kania derweil, zum „Koordinator des Vorgehens der Partei und der Verwaltung in Anbetracht der sozialen Unruhen“ ernannt, liefen alle Fäden des Krisenmanagements zusammen. Er hatte den Überblick, er traf die wichtigsten Entscheidungen und wuchs so mit jedem Tag mehr in die Rolle des faktischen Parteichefs. Doch zaubern konnte auch er nicht.
Ende August 1980 war Polens kommunistische Parteiführung schachmatt gesetzt. Die Streiks weiteten sich inzwischen auf Oberschlesien, das industrielle Herz Polens, aus. Das Land befand sich in einem Generalstreik. Die Arbeiterschaft, von führenden oppositionellen Intellektuellen beraten, verlangte die Zulassung freier Gewerkschaften und ließ sich von dieser Forderung auch durch großzügige materielle Zugeständnisse nicht abbringen. Ihre Entschlossenheit war enorm, eine Ermüdung nicht in Sicht. Parteipropaganda war wirkungslos. Gewaltanwendung kam nicht in Frage.
Was blieb, war die Einsicht in die Notwendigkeit und Kania stellte sich an die Spitze der Einsichtigen.
Am 30. August 1980 trat das Zentralkomitee der PVAP in Warschau zusammen und folgte mehrheitlich der Empfehlung des Politbüros, die Kania vor dem Gremium vortrug. Der Forderung der Streikenden nach freien Gewerkschaften solle stattgegeben werden. Die Niederlage hat Kania als einen historischen, wegweisenden nationalen Kompromiss ausgegeben. Jedem, der die eiserne Machtlogik der Kommunisten kannte, war jedoch klar, dass es sich hier nur um ein vorläufiges Zugeständnis handelte, das bei der ersten sich bietenden Gelegenheit rückgängig gemacht würde.
Noch am 30. August 1980 wurden die Vereinbarungen mit den Streikenden in Szczecin unterzeichnet. Am Tag darauf in Gdańsk trugen jubelnde Arbeiter Lech Wałęsa auf den Schultern ans Werktor. Den Riesenkugelschreiber, darauf das Konterfei des Papstes, mit dem er die Vereinbarungen unterschrieben hatte, in der Luft schwingend, sollte er den dort versammelten Massen den Sieg verkünden. Am 3. September folgte das Abkommen in Oberschlesien.
Zwischen allen Stühlen
Am 5. September 1980, spät in der Nacht, trat wieder das gut zweihundertköpfige Zentralkomitee zusammen. Der schwer herzkranke Parteichef Edward Gierek war nicht zugegen, als es Stanisław Kania zu dessen Nachfolger wählte.
Kania stand in den folgenden zwölf Monaten an der Spitze der Partei. Es war die wohl stürmischste Zeit in der polnischen Nachkriegsgeschichte. Auf kurze Perioden der Entspannung folgten dramatische Zuspitzungen und Krisen. Das Land balancierte am Abgrund einer politischen und wirtschaftlichen Katastrophe.
Drei Kraftzentren prallten immer wieder heftig aufeinander.
Da war die Gewerkschaft Solidarność, die sich mit ihren etwa zehn Millionen Mitgliedern, real gesehen, in eine landesweite, antikommunistische, basisdemokratische, friedliche Volksbewegung verwandelte. Sie umfasste alle politischen Strömungen: von den Sozialismus-Verbesserern bis zu den Nationalkonservativen, was zu immer heftigeren Richtungskämpfen führte.
Da war die kommunistische Partei, die PVAP, die zunehmend an Einfluss verlor. Von ursprünglich drei Millionen Mitgliedern sind 1980 und 1981 knapp eine Million ausgetreten. Einem mit der Zeit immer schwächeren Reformflügel, dem die Umwandlung der PVAP in eine sozialdemokratische Partei vorschwebte, stand ein immer stärkerer Flügel von Hardlinern gegenüber. Er rekrutierte sich aus dem Parteiapparat, intellektuellen Parteidogmatikern, aus Armee, Polizei, Staatssicherheit. Sie forderten und schürten durch gezielte Provokationen eine gewaltsame Beseitigung der Solidarność.
Zu schwach, um sich durchzusetzen, setzten die Hardliner auf den dritten mächtigen Faktor, das kommunistische Ausland. In den Afghanistankrieg verwickelt, wollten die Sowjets eine Intervention in Polen zwar, wenn möglich, vermeiden, wohlwissend, dass dies blutige Kämpfe in Polen und schwere Wirtschaftssanktionen des Westens nach sich ziehen würde. Sie hielten sich aber diese Option offen. Da waren zudem die entsetzen kleinen kommunistischen Machthaber, wie Honecker in der DDR und Husak in der Tschechoslowakei, die nicht müde wurden, Moskau von der Notwendigkeit eines Einmarsches in Polen zu überzeugen.
Hinzu kam die dramatische Versorgungslage. Gut dreißig Jahre nach dem Krieg wurden in Polen Lebensmittelmarken und Bezugsscheine auf Wodka und Schuhe eingeführt. Zudem kam eines der strengst gehüteten Geheimnisse des Regimes ans Tageslicht. Polen stand im Westen mit dreißig Milliarden Dollar in der Kreide. Es war ein unvorstellbar hoher Schuldenberg in Anbetracht der Tatsache, dass der ganze polnische Export damals einen Wert von knapp zwei Milliarden Dollar pro Jahr hatte.
Charakterstärke
Auf diesem Minenfeld bewegte sich Stanisław Kania und bewies Charakterstärke. Seine Position: keine Maßnahmen, die ein Blutvergießen nach sich ziehen würden. Kein Ausnahmezustand also und kein Einmarsch der Sowjets und ihrer Helfer in Polen. Solidarność muss mit politischen Mitteln in die Schranken der kommunistischen Staatsordnung gewiesen werden.
Der gewaltige Druck, dem Kania widerstehen musste, ist nur schwer vorstellbar. Anfang Dezember 1980 etwa waren die Vorbereitungen zu einem Einmarsch in Polen praktisch abgeschlossen. Sowjetunion, Tschechoslowakei und die DDR konzentrierten um Polen herum eine gewaltige Streitmacht, die unter dem Vorwand einer Militärübung nur noch auf den Marschbefehl wartete.
Kania und Jaruzelski wurden derweil für den 5. Dezember 1980 nach Moskau einbestellt, um an einer Beratung der Warschauer-Pakt-Staaten teilzunehmen. Die Vorwürfe, die sie sich dort anhören mussten, konnten aus der Sicht der kommunistischen reinen Lehre kaum schwerwiegender sein. Sie hätten vor der Konterrevolution kapituliert, durch ihre Untätigkeit den Sozialismus verraten, dem Imperialismus Vorschub geleistet.
In einem Vier-Augen-Gespräch gelang es dann Kania, den gesundheitlich schon schwer angeschlagenen Sowjetführer Breschnew von dem Einmarsch abzubringen. Plastisch schilderte er ihm, was sich in Polen danach abspielen und welchen Schaden das dem Prestige der UdSSR zufügen würde. „Ein Meer von Blut wird fließen.“ „Gut“, sagte Breschnew laut Gesprächsprotokoll. „Wir werden nicht einmarschieren. Wenn sich jedoch die Lage verkompliziert, dann kommen wir, aber nicht ohne Deine Zustimmung.“
In den nächsten Monaten sollten weitere Gespräche dieser Art folgen. Breschnew rief immer wieder an und drohte unverhohlen. Im April 1981 zog erneut die Gefahr einer „Militärübung“ herauf, die als Vorwand zum Einmarsch dienen sollte. Wieder kam es zu dramatischen Gesprächen mit der Sowjetführung, dieses Mal in einem Sonderzug, mit dem das altersschwache sowjetische Politbüro aus Moskau nach Brest an der polnischen Grenze anreiste.
Derweil wurde die Lage im Lande immer desolater. Die Läden leergefegt, kilometerlange Autoschlangen vor den Tankstellen, das Geld von Tag zu Tag wertloser. Die Hardliner provozierten zudem Dutzende von Konflikten, um ja keine Ruhe im Lande aufkommen zu lassen. Solidarność antwortete mit Streiks und Protestaktionen.
Unter diesen Umständen trat in Warschau Mitte Juli 1981 der IX. Außerordentliche Parteitag der PVAP zusammen. Es war zum ersten Mal keine feierliche Zeremonie mit langatmigen Reden, Jubelrufen und rhythmischem Klatschen, wo alles im Vorfeld geregelt ist und per Handzeichen aller Delegierten abgesegnet wird.
Ein scharfer politischer Kampf zwischen Reformern und Hardlinern beherrschte vom ersten Tag an das Geschehen. Die Diskussionen waren heftig, eine Kampfabstimmung jagte die andere, nichts war vorhersehbar. Am Ende siegte das Zentrum und mit ihm Kania. Die Radikalen beider Seiten hatten das Nachsehen.
Stanisław Kania war der erste Parteichef, der in einer Geheimabstimmung auf einem kommunistischen Parteitag den Sieg davontrug. Er gewann als der Befürworter des Dialogs und des Ausgleichs, auf den damals noch viele in Polen hofften.
Doch die Entwicklung ging in die entgegengesetzte Richtung. Solidarność gab sich auf ihrem ersten Kongress im September 1981 sehr kämpferisch. Die dort verabschiedete Botschaft an die Arbeiter Osteuropas, in der ihr Recht auf freie Gewerkschaften angemahnt wurde, reizte die Sowjets bis zur Weißglut. Der polnische Bazillus musste endlich beseitigt werden. Sie waren Kanias Beteuerungen vom Dialog und einer politischen Lösung leid und ignorierten ihn zunehmend.
Derweil erschien General Wojciech Jaruzelski immer mehr auf dem Plan. Der Verteidigungsminister war seit Februar 1981 auch Ministerpräsident. Jaruzelski war die letzte Hoffnung der Russen, dass es ohne ihren Einmarsch gelingt, die Lage in Polen in den Griff zu bekommen. Der General wollte sie nicht enttäuschen und opferte dafür, ohne Bedenken, die langjährige, gedeihliche politische Zusammenarbeit mit Kania.
Unter Jaruzelskis Regie arbeiteten insgeheim bereits verschiedene Dienststellen an den Plänen zur Einführung des Kriegsrechts. Es sollte schlagartig ausgerufen werden. Massenverhaftungen von Solidarność-Aktivisten, Lahmlegung des Telefonnetzes, nächtliche Ausgangssperre, Schließung der Grenzen, eine massive Präsenz von Armee und Polizei auf den Straßen, Brechen jeglichen Ungehorsams mit Waffengewalt und etliche weitere Maßnahmen sollten den Widerstand im Keim ersticken und eine Rückkehr zur kommunistischen „Normalität“ einleiten. All das geschah am 13. Dezember 1981.
Stanisław Kania unterschrieb sein politisches Todesurteil am 13. September 1981. Die engste Führungsriege von Armee, Staatssicherheit, Partei und Regierung versammelte sich an diesem Tag in Warschau, um die endgültigen Pläne zur Einführung des Kriegsrechts zu begutachten und zu akzeptieren. Kania war der der einzige, der sich dagegen aussprach.
So schnell hatte der politische Wind gedreht. Nur knapp drei Monate, nachdem er als Mann des Dialogs an die Spitze der Partei gewählt worden war, stand Kania mit seinen Überzeugungen allein da. Konfrontation war angesagt. Am 17. Oktober 1981 wählte ihn das Zentralkomitee ab. General Jaruzelski, Verteidigungsminister und Ministerpräsident, konnte seine Ämterkollektion um den Posten des Parteichefs erweitern.
Sechs Jahre auf der Anklagebank
Kania war 54 Jahre alt, als er aufs Altenteil abgeschoben wurde und schnell in Vergessenheit geriet. Zwei Mal trat er wieder in Erscheinung. Im Jahr 1991, kurz nach dem Ende des Kommunismus, erschien sein Buch „Die Konfrontation aufhalten“, in dem er seinen politischen Werdegang und seine Sicht des politischen Geschehens in Polen 1980 und 1981 darlegt.
Im April 2007 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen neun ehemalige führende kommunistische Politiker wegen „widerrechtlicher Einführung des Kriegsrechts zwecks Beseitigung der Gewerkschaft Solidarność“. Darunter waren die Generäle Jaruzelski, Kiszczak, Milewski, Siwicki und Tuczapski, deren Teilnahme an der Vorbereitung und Einführung des Kriegsrechts keinem Zweifel unterlag. Dass sich jedoch ausgerechnet Kania unter den Angeklagten wiederfand, versetzte die Öffentlichkeit in Staunen.
Der Prozess ging durch zwei Instanzen und dauerte bis Mai 2013. Als das endgültige Urteil gesprochen wurde, waren acht Angeklagte entweder verstorben oder man hatte die Anklage gegen sie wegen Prozessunfähigkeit fallengelassen. Auf der Anklagebank saß nur noch Stanisław Kania. Er wurde im Januar 2012 freigesprochen. Erst ab dann konnte er das Rentnerleben ungestört genießen.
Er war ein überzeugter Kommunist, Verfechter einer verbrecherischen Ideologie, die ohne rücksichtslose Anwendung von Gewalt nicht denkbar ist. Er glaubte, dass dem nicht so sein muss, und wurde gnadenlos eines Besseren belehrt.
Stanisław Kania ist auf dem Warschauer Powązki-Friedhof bestattet. Sein Grabnachbar ist General Jaruzelski.
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