Familie Ulma? Falscher Mythos. Schämt euch, ihr Polen!

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Offenbar darf man nicht einfach so der polnischen Judenretter gedenken.

Am 17. März 2016 hat Staastpräsident Andrzej Duda das Museum der Polen, die während des Zweiten Weltkriegs Juden gerettet haben, in Markowa eröffnet. Es trägt den Namen der Familie Ulma und soll jene Polen würdigen, die während des Zweiten Weltkriegs, unter deutscher Besatzung  Juden zu retten versucht bzw. gerettet haben.

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Woiwodschaft Karpatenvorland.

Im Dorf Markowa (Karpatenvorland), haben deutsche Gendarmen am 24. März 1944 acht Juden aus den Familien Szall und Goldman ermordet. Mit ihnen wurde die gesamte Familie Ulma, bei der diese acht Menschen versteckt

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waren, umgebracht: Józef Ulma und seine hochschwangere Frau Wiktoria sowie die sechs Kinder der Familie, darunter auch die älteste, achtjährige Tochter Stasia.

Ausführlich  über das Schicksal der Familie Ulma hier.

Staatspräsident Duda erinnerte in seiner Rede daran, dass allein im Dorf Markowa, in dem vor dem Krieg 4.500 Polen und 120 Juden lebten, zwanzig Juden, dank ihrer polnischen Nachbarn, die deutsche Besatzung überleben konnten.

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Familie Ulma kurz vor ihrer Ermordung.

Duda sagte auch, dass „jeder, der Hass zwischen den Völkern säe, Antisemitismus verbreite, das Grab der Familie Ulma schände. Er schände alles, wofür die Ulmas als Polen ihr Leben gegeben haben: Würde, Redlichkeit, Freiheit, Gerechtigkeit und eine elementare Wertschätzung, die jedem Menschen gebührt.“

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Staatspräsident Andrzej Duda besichtigt das Museum in Markowa am Tag seiner Eröfnung, dem 17. März 2016.

Im Museum wurde auf einer Ausstellungsfläche von 500 Quadratmetern das Haus der Ulmas rekonstruiert. Zu sehen ist auch die von vielen Geschossen durchschlagene Haustür der Markower Familie Baranek, die ebenso wie die Familie Ulma gemeinsam mit den von ihr versteckten Juden ermordet wurde. Weitere Exponate und Schautafeln dokumentieren das dramatische Schicksal vieler polnischer Retter und derjenigen Juden, die sie vor dem Tod bewahren wollten.

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Das neue Museum in Markowa.

Bereits während der Bauphase erfreute sich das Museum eines regen Interesses. Allein 2015 kamen u. a. etwa fünftausend israelische Jugendliche um sich über das Vorhaben und das Ausstellungsthema zu informieren. Junge Israelis reisen seit knapp dreiβig Jahren im Rahmen eines Holocaust-Gedenkprogramms der israelischen Regierung nach Polen.
Im neuen Museum ist ein Tagungssaal mit Multimediaausstattung für Musemuspädagogik, Fimvorführungen und Tagungen vorgesehen. Zwei wissenschaftliche Mitarbeiter kümmern sich um die Ausstellung und das Archiv.

Chuzpe und Unsinn

Während die Errichtung eines Museums für den deutschen Oskar Schindler in Kraków im Jahre 2010 bis heute keinerlei negative Kommentare hervorrief, stieβ das Vorhaben, ein erstes Mal, 72 Jahre nach dem Krieg, sich derjenigen Polen zu erinnern und zu gedenken, die ebenfalls Juden gerettet haben, sowohl auf jüdischer als auch auf deutscher Seite sofort auf Kritik.

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Piotr Kadlčik (rechts) mit dem Oberrabiner Polens Michael Schudrich (Mitte) und Staastpräsident Lech Kaczyński am 21. Dezember 2008 in der Warschauer Synagoge am Beginn des Chanukkafestes. Im Dezember 2009 zeichnete Staastpräsident Kaczyński Kadlčik mit dem Komturskreuz des Ordens der Wiedegeburt Polens (Polonia Rastituta) aus, einer der höchsten  Auszeichnungen, die Polen zu vergeben hat.

Zu Wort meldete sich Piotr Kadlčik (Jahrgang 1962), zwischen 2001 und 2014 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Warschau und von 2003 bis 2014 zugleich Vorsitzender des Verbandes der jüdischen Gemeinden in Polen.

Kadlčik schrieb am 17. März 2016 im linken Internetportal „NaTemat“ („ZumThema“), er hoffe, dass sich in der Ausstellung in Markowa auch Platz findet für die Darstellung aller polnischen Helfer, Zuträger und Erpresser, die „wie die Deutschen dabei mitwirkten, dass die Gefahr von den Besatzern getötet zu werden, so eine hohe Wahrscheinlichkeit annehmen konnte“.

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Publizist Rafał Ziemkiewicz.

Sehr entschlossen antwortete darauf der konservative Publizist und Kommentator Rafał A. Ziemkiewicz am 4. April 2016 im Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“):

„Kadlčik … gedachte zwar in seinem Kommentar der Gerechten, denen auch seine Familie das Überleben verdankt, aber nur um … zu fordern, dass man im Museum zu Ehren dieser Gerechten, unbedingt auch an die Kollaborateure erinnern sollte.

Um sich die Chuzpe und den Unsinn dieser Worte zu vergegenwärtigen“, schreibt Ziemkiewicz, „sollte man sich vorstellen, dass jemand, vielleicht Piotr Kadlčik selbst, dem Washingtoner Holocaust-Museum vorschlägt, dort, neben der jüdischen Opfer, auch der jüdischen Kollaborateure zu gedenken. Solcher, wie sie Hannah Arend in ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“ ausführlich schildert.

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Jüdische Polizisten im Warschauer Ghetto.

Gab es sie nicht? Es gab sie zuhauf. Soll sich doch in jeder Schoah-Gedenkstätte Platz finden für den Lodzer Ghetto-Chef Chaim Rumkowski.“ Für die verbrecherischen „Ghetto-Könige“ von Sosnowiec – Moses Meryn, von Białystok – Efraim Barsz, von Wilno – Jakub Gens, von Lwow – Józef Parmas.
Für die Warschauer Gestapo-Zuträger und tausendfache Judenmörder Abraham Gancweich, Dawid Sternfeld, Leon Skosowski und Dutzende ihresgleichen. Für den Krakauer Gestapo-Mitarbeiter und obersten jüdischen Judenjäger Józef Diamand. Für den Lubliner Judenerpresser Szama Grajer, der an der Spitze seiner Bande Hunderte eigener Landsleute zuerst ausgenommen und dann den Deutschen zur Ermordung ausgeliefert hat.

„Für die verbrecherischen Ghetto-Judenräte und Hunderte jüdischer Ghetto-Polizisten in deutschen Diensten, die ihre eigenen Landsleute erbarmungslos in die Todestransporte geprügelt haben“, schreibt Ziemkiewicz.

Und ewig rechtfertigt sich der Pole

Unmittelbar nach diesem rhetorischen Schlagabtausch in Polen meldete sich am 9. April 2016 die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zu Wort mit einem Beitrag des jüdischen Autors Joseph Croitrou. Demnach hatte auch bei der Errichtung des Museums in Markowa, wie könnte es anders sein, Jarosław Kaczyński, der anscheinend dämonenhafte Schöpfergott allen polnischen Übels, seine Finger mit im Spiel.

Croitrou unterstellt Staatspräsident Andrzej Duda, er sprach „in seiner emphatischen Eröffnungsrede von „Hunderttausenden Polen“ die Juden geholfen hätten“, was zur angeblichen Enstehung eines „falschen Mythos“ beitragen solle. In Wahrheit sprach Duda von „Tausenden“ (siehe nachfolgend den Text von Dudas Ansprache).

Auf Croitrous Text antwortete am 16. April 2016 in der „FAZ“ Dr. Łukasz Kamiński, Präsident des Instituts für Nationales Gedenken in Warschau (polnische Gauck-Behörde).

Diese Erwiderung war notwendig, doch zugleich fügt sie sich in ein Szenario ein, das viele deutsche Medien, Wissenschaftler, manchmal auch Politiker stets aufs Neue gerne beleben und auskosten. Man selbst habe ja längst alles penibel und vorbildlich aufgearbeitet, überwunden, aufgeklärt, betrauert, bedauert und entschädigt. Nun ist es an der Zeit, dass sich andere, und dabei ganz besonders die Polen, vor dem strengen, teilweise moralisch erhabenem deutschen Publikum, bitte sehr, in Sachen Holocaust rechtfertigen.

Auslöser hierfür können sein ein Film, wie die ZDF-Produktion „Unsere Mütter, unsere Väter“ oder einer jener Presseartikel, die zu diesem Thema immer wieder mal auftauchen.

Nachstehend dokumentieren wir:

den Text von Joseph Croitrou,

die Erwiderung von Dr. Łukasz Kamiński

und

die bewegende Ansprache von Staatspräsident Andrzej Duda.

War die heldenhafte Familie Ulma etwa typisch?
Von JOSEPH CROITORU

Ulmowie 2 Joseph Croitoru fot.In Polen ist in dem Dorf Markowa in der südöstlichen Woiwodschaft Karpatenvorland ein neues Museum eröffnet worden. Es hat den umständlichen Namen „Museum für die Polen, die während des Zweiten Weltkriegs Juden gerettet haben, benannt nach der Familie Ulma in Markowa“. Der Verwaltungsbezirk, den seit den Lokalwahlen von 2006 die heutige Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) mit großer Mehrheit dominiert, hatte bereits 2008 die Museumsgründung beschlossen. Ihr Wahlsieg im vergangenen Herbst ermöglichte es der PiS, das Projekt, dem sie höchste volkserzieherische Bedeutung beimisst, rasch zu verwirklichen, ganz im Sinne ihres Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski.

Die geschichtspolitische Mission seiner Partei hatte Kaczynski bereits in seiner Rede vor dem Sejm nach der Regierungserklärung im November vorgegeben. Er beklagte, sein Land sei einer Diffamierungskampagne ausgesetzt, auf die es antworten müsse: „Die Polen, die Nation, die sich als erste mit der Waffe in der Hand zum Kampf gegen Nazideutschland erhoben hat, wird heute im Grunde als Verbündeter Hitlers behandelt. Wir haben es mit einer Internalisierung der Verantwortung für den Holocaust mit besonderer Berücksichtigung der Polen zu tun. Dem müssen wir uns entschlossen entgegenstellen.“

Wahrheit oder Stilisierung?

Den polnischen Nationalkonservativen sind all jene, die sich um eine differenzierte Betrachtung der polnisch-jüdischen Beziehungen während des Holocausts bemühen – wobei die Polen häufig in einem nicht sehr positiven Licht erscheinen – ein Dorn im Auge.

Zu ihnen gehört der in Ottawa lebende polnische Historiker Jan Grabowski, dessen 2011 in Warschau erschienenes, zwei Jahre später ins Englische übersetzte Buch „Judenjagd“ (Hunt for the Jews) in Polen eine heftige Debatte über den Umgang von Polen mit Juden unter der deutschen Besatzung entfachte. Der Verfasser erhielt Beschimpfungen und sogar Morddrohungen.

Grabowski dokumentierte nicht nur zahlreiche Fälle von Denunziationen, er räumte auch mit dem Mythos auf, den die PiS mit dem Museum in Markowa etablieren will: Viele Polen hätten aus Mitmenschlichkeit und unter Lebensgefahr Tausende von Juden versteckt.

Grabowski, Mitbegründer des Warschauer „Zentrums für die Forschung der Judenvernichtung“ an der polnischen Akademie der Wissenschaften, wies nach, dass man Juden nicht immer nur aus Menschenliebe half, sondern sich dafür auch oft gut bezahlen ließ. Grabowski hält dem polnischen „Institut für Nationales Gedenken“ (IPN) vor, es versuche, immer mehr Polen ausfindig zu machen, die Juden gerettet hätten, um die polnische Opferrolle zu zementieren. Diese Sichtweise könnte sich auch bei der Gestaltung des Ulma-Museums in Markowa durchsetzen, warnte der Historiker.

„Gerechte unter den Völkern“

In seinem Buch weist er auf die Forschungen des IPN-Historikers Mateusz Szpytma hin, der in Markowa Museumsdirektor wurde. Szpytka hatte in zwei Studien, die 2004 auf Polnisch und 2009 auf Englisch erschienen, die tragischen Ereignisse im Ort zu rekonstruieren versucht.

Nachdem die meisten jüdischen Bewohner nicht nur des Dorfes, sondern auch seiner Umgebung von den deutschen Besatzern erschossen worden waren, suchten einige Überlebende auf dem Hof des polnischen Landwirts Józef Ulma in Markowa Zuflucht. Der Pole versteckte sie, was er und seine schwangere Frau wie auch die sechs Kinder am Ende mit dem Leben bezahlten: Nachdem deutsche Gestapo-Angehörige und polnische Polizisten die acht versteckten Juden am 24. März 1944 entdeckt und auf der Stelle getötet hatten, erschossen sie auch ihre polnischen Beschützer.

Grabowski kritisierte, Szpytma habe die Frage offengelassen, wer die Ulmas denunzierte, obwohl er den an der Razzia beteiligten polnischen Polizisten Wlodzimierz Les verdächtigte. Die jüdische Familie Szall, die zu den Opfern gehörte, hatte Les zuvor ihren Besitz anvertraut. Dass dieser ihn hätte zurückgegeben müssen, könnte ein Motiv für eine Denunziation gewesen sein. Der Polizist Les wurde später von polnischen Widerstandskämpfern getötet. Die Familie Ulma wurde 1995 von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt – diesen Titel erhielten bislang 6620 Polen. 2014 bekam Jan Grabowski von der Jerusalemer Gedenkstätte einen Preis für seine Studie „Judenjagd“.

1600 Polen halfen beim Verstecken

Die Eröffnung des Museums in Markowa ist für die Initiatoren nur ein erster Schritt zu einer umfassenden Dokumentation der Schicksale all jener Polen, die Juden geholfen hatten. Die Schau in dem einer Scheune nachempfundenen Museumsbau konzentriert sich derzeit noch auf die Vorfälle in der Region. Fotos aus dem Besitz der Familie Ulma haben in der Ausstellung auch deshalb einen prominenten Platz, weil Józef Ulma Hobbyfotograf war und viele der von ihm gemachten Aufnahmen erhalten sind. Eine davon, die seine jüdischen Nachbarn zeigt, ist mit Blut der jüdischen Opfer befleckt.

Spuren der Gewalt weisen auch die von Einschüssen gezeichneten Türen auf, die aus dem Haus der fünfköpfigen Familie Baranek aus Siedliska stammen: Weil sie vier Juden aufgenommen hatten, wurden die Baraneks im März 1943 hingerichtet.

An der Mauer auf dem Platz vor dem Museum erinnern Schrifttafeln solcher polnischen Opfer. Die Liste der Namen soll ergänzt werden, Schätzungen zufolge waren es rund 1600 Polen, die allein in der Vorkarpaten-Region etwa 2900 Juden versteckt hatten. Zweihundert von ihnen bezahlten das mit ihrem Leben.

Zum Museum in Markowa gehört auch ein Konferenzraum, in dem Zeitzeugen zu Wort kommen, Filme gezeigt werden, Tagungen und Jugendtreffen stattfinden sollen. Man denkt besonders auch an israelische Schüler, die auf Klassenfahrten nach Polen in den letzten Jahren auch in Markowa Station machen, wo schon seit 2004 ein kleines Ehrenmal an das Schicksal der Familie Ulma erinnert.

Ambivalente Reaktion aus Israel

In Israel erzeugt die Museumseröffnung freilich auch Skepsis. Dass der polnische Präsident Duda in seiner emphatischen Eröffnungsrede von „Hunderttausenden Polen“ sprach, die Juden geholfen hätten, dürfte in Jerusalem den Verdacht erhärten, man wolle den tragischen – und in der Holocaust-Forschung keineswegs als typisch geltenden – Fall der Familie Ulma benutzen, um das Verhalten der Polen während des Holocausts zu beschönigen.

Dass Duda stolz darauf verwiesen hatte, die Polen bildeten die größte Gruppe unter den von Yad Vashem gewürdigten Nichtjuden, schien das zu bestätigen. Irena Steinfeldt, die Leiterin der Abteilung der „Gerechten unter den Völkern“ in Yad Vashem, erklärte gegenüber der israelischen Zeitung „Haaretz“, die Zahl der hilfsbereiten Polen sei zwar im Vergleich zu anderen Ländern am höchsten. Halte man sich jedoch die drei Millionen polnisch-jüdischen Opfer vor Augen, erscheine sie freilich eher niedrig.

„Die Zahl der polnischen ,Gerechten’“, sagt Steinfeldt, „sagt nichts über den Charakter des Volkes aus, sondern nur über den von Individuen.“ Sie kritisiert vehement Versuche, die Zahl der polnischen Helfer aufzublähen, schließlich handle es sich dabei um eine Minderheit. Von dieser auf die Allgemeinheit zu schließen, was man in Polen neuerdings manchmal tue, sei nicht nur empörend, sondern mindere auch die Heldenhaftigkeit der „Gerechten unter den Völkern“.

In Yad Vashem, wo jährlich fünfzig bis siebzig neue Namen von Polen hinzukämen, sehe man sich nach wie vor in der Pflicht, all diejenigen zu würdigen, die ihr Leben riskierten, um Juden zu helfen. „Aber Verallgemeinerungen lehnen wir entschieden ab“, betont Steinfeldt. Das ändert nichts daran, dass Yad Vashem auf der polnischsprachigen Seite seiner „Internationalen Schule für Holocaust-Studien“ den Fall der Familie Ulma als ein pädagogisch besonders geeignetes Beispiel dafür anführt, Jugendliche über die Schoa in Polen aufzuklären.

Steinfeldts Kritik ist den polnischen Medien nicht entgangen. Die katholische polnische Wochenzeitschrift „Tygodnik Powszechny“ fragte jetzt Museumsdirektor Szpytma, ob das Hochschrauben der Zahl angeblicher polnischer Judenretter politische Zwecke verfolge. Szpytma blieb eine direkte Antwort schuldig. Niemand kenne die genauen Zahlen, sagte der Direktor, deshalb betrachte er es als seine Aufgabe, sie durch weitere Forschungen zu ermitteln. Manipulationen auf rechter wie auf linker Seite kämen vor; beide Lager versuchten, die Geschichte politisch zu instrumentalisieren. Doch das dürfe man nicht den Historikern anlasten.

Quelle: F.A.Z.

Finger weg von unseren Helden!
Von ŁUKASZ KAMIŃSKI
Ulmowie 2 Łukasz Kamiński fotVergangenen Monat nahm ich an der ergreifenden Eröffnungsfeier eines Museums in Markowa, in Südostpolen, teil. Es ist den Polen gewidmet, die während der deutschen Okkupation Juden gerettet haben, und nach der Familie Ulma benannt, die zusammen mit den von ihr versteckten Juden im März 1944 von deutschen Polizisten ermordet wurde.

Über dieses Ereignis wurde in vielen Medien berichtet, Vertreter höchster staatlicher Organe nahmen daran teil. Außer dem polnischen Präsidenten ergriff das Wort auch die Botschafterin Israels, eine aufgezeichnete Botschaft eines in Markowa geretteten Juden wurde präsentiert.

Die meisten Polen hörten zum ersten Mal die Geschichte von Józef und Wiktoria Ulma und ihren Kindern Stanisław, Basia, Władzia, Franek, Antek, Marysia sowie des siebten Kindes, dessen Geburt während der Exekution begann. Das älteste war damals acht Jahre alt. Zum ersten Mal wurden auch die Namen der Geretteten genannt: Saul Goldmann und seine vier Söhne (genannt die Szalls), Golda Grünfeld und ihre Schwester Lea Didner mit ihrer kleinen Tochter.

In Dutzenden von Kommentaren wurde das Heldentum der Familie Ulma gewürdigt, man wies auf Werte wie Nächstenliebe und Opferbereitschaft hin. Man sprach über die Bedeutung der Wahrheit und darüber, dass die Geschichte des Holocausts Mahnung für die heutige sowie für zukünftige Generationen sein solle. Man erinnerte an die Tatsache, dass in der Bibel im Haus der Ulmas die Geschichte vom barmherzigen Samariter angestrichen war, und man zitierte die Worte Christi: „Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“

Absurd oder rhetorisch

Der Leser des Artikels von Joseph Croitoru „War die heldenhafte Familien Ulma etwa typisch?“ konnte hingegen erfahren, dass wir es in Wirklichkeit mit einer Parteiveranstaltung der neuen polnischen Regierung zu tun hatten, die „eine historische Debatte entfacht“ habe. Entgegen den Behauptungen des Autors wurde die Fertigstellung des Museums nicht durch das Ergebnis der letzten Wahlen beschleunigt, sondern durch eine Entscheidung der Kulturministerin der vorherigen Regierung, die der Initiative finanzielle und organisatorische Unterstützung angedeihen ließ.

Ich habe die Kommentare in Presse und Internet aufmerksam verfolgt, konnte jedoch keine „Entfachung“ der seit Jahren anhaltenden Debatte über die polnisch-jüdischen Beziehungen während des Krieges entdecken. Es gibt viele Fragen, die das heutige Polen spalten; aber mit Sicherheit gehört dazu nicht das Bedürfnis, an die Helden zu erinnern, die Juden gerettet haben.

Die in der Überschrift des Artikels von Croitoru enthaltene Frage kann man entweder als absurd oder als rhetorisch betrachten. Es ist offensichtlich, dass die Haltung der Ulmas, die für die Rettung von Juden ihr Leben ließen, nicht typisch war. Heroische Haltungen sind nie typisch!

Todesstrafe für Helfer

Ebenso wenig war auch die Tätigkeit Irena Sendlers typisch, die zweieinhalbtausend jüdische Kinder vor den deutschen Mördern rettete, indem sie sie hauptsächlich in polnischen Familien und katholischen Klöstern unterbrachte. Ebenfalls nicht typisch war das Schicksal des Kuriers der polnischen Untergrundregierung Jan Karski, der die Tragödie der polnischen Juden 1943 unter anderem Präsident Roosevelt darlegte, was leider keine wirkliche Reaktion auslöste.

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Irena Sendlerowa (oben während des Krieges, unten an ihren 100. Geburtstag) rettete  während der deutschen Besatzung 2500 jüdischen Kindern das Leben.

Die Haltung der Ulmas und Tausender ähnlicher Familien war nicht typisch, wie man auch die Haltung derer nicht als typisch betrachten kann, die versteckte Juden und ihnen helfende Polen erpressten und den Deutschen auslieferten. Auf diese Tat stand nach dem Recht des polnischen Untergrundstaats seit 1943 die Todesstrafe. Dieses Urteil vollstreckte der polnische Untergrund auch an dem Polizisten, der die Ulmas denunziert hatte.

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Jan Karski, der aus dem besetzten Polen in den Westen gelangte Kurier der polnischen Untergrundregierung, schilderte die Tragödie der polnischen Juden 1943 u. a. Präsident Roosevelt sowie den führenden Vertretern der amerikanischen Juden, und stieβ auf taube Ohren.

Typisch war etwas anderes

Das Museum in Markowa ist nicht ins Leben gerufen worden, um zu suggerieren, die Haltung der Ulmas sei typisch gewesen. Ganz im Gegenteil – es soll darauf hinweisen, welche Ausnahme ihr Opfer darstellte, unter anderem auch, um die Ulmas und ähnlich handelnde Menschen als Vorbild für unsere Zeitgenossen und zukünftige Generationen zu zeigen. Ich bin überzeugt davon, dass der Besuch des Museums für diejenigen, die es aufsuchen, unabhängig von ihrer Nationalität vor allem grundlegende Fragen über die Natur des Menschen und über das Wesen von Gut und Böse aufwerfen wird.

Typisch war im von den Deutschen besetzten Polen etwas anderes. Schon in den ersten Wochen wurden Massenexekutionen typisch, vor allem an den Vertretern der polnischen Eliten. Im Februar 1940 sagte Generalgouverneur Hans Frank in einem Interview mit einer deutschen Zeitung: „In Prag waren große rote Plakate angeschlagen, auf denen zu lesen war, dass heute sieben Tschechen erschossen worden sind. Da sagte ich mir: Wenn ich für je sieben erschossene Polen ein Plakat aushängen lassen wollte, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen, das Papier herzustellen für solche Plakate.“

„Endlösung“ auf polnischem Boden

Typisch war in den dem Dritten Reich einverleibten Gebieten die Aussiedlung der polnischen Bevölkerung, die mehr als 800.000 Personen betraf. Typisch waren Razzien auf den Straßen, von denen aus die Festgenommenen ins Gefängnis oder ins Konzentrationslager kamen und im besten Fall zur Zwangsarbeit geschickt wurden. Typisch war die Zerstörung von Dörfern, bei denen die Häuser abgebrannt und die Bewohner ermordet wurden. In der Gegend von Zamość wurde nicht nur die Aussiedlung der Polen typisch, sondern auch der Raub polnischer Kinder zum Zweck der Germanisierung.

Typisch waren die Zerstörung des gesamten Bildungssystems, Raub und Vernichtung kultureller Werke, die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes. Und typisch war schließlich auch die Bestrafung derer, die den Juden halfen, für die die Deutschen die komplette Ausrottung vorgesehen hatten, wobei sie sich als Ort für die „Endlösung“ die polnische Erde ausgesucht hatten. Nach den Anordnungen der Besatzungsmacht stand auf die Unterstützung von Juden durch Polen die Todesstrafe.

Unsere Verpflichtung

All diese Phänomene waren typisch, weil sie nach den Richtlinien Hitlers ausgeführt wurden. Noch vor dem Überfall auf Polen kündigte er den auf dem Obersalzberg versammelten Generälen an, das Ziel der Invasion sei nicht „das Erreichen einer bestimmten Linie“, sondern „die physische Vernichtung des Gegners“, und er erklärte, er habe, vorläufig erst im Osten, Totenkopfverbände rekrutiert und befohlen, ohne jedes Mitleid Männer, Frauen und Kinder polnischer Herkunft und polnischer Sprache zu töten, da nur auf diese Art und Weise der Lebensraum erobert werden könne, den die Deutschen bräuchten.

Dass die Polen Opfer der deutschen (und auch der sowjetischen) Besatzung waren, ist eine historische Tatsache. Und es sind keine besonderen Untersuchungen nötig, um „die polnische Opferrolle zu zementieren“, wie in dem erwähnten Artikel ein Historiker suggeriert. Die Leidensgeschichte der Polen schmälert nicht den Holocaust und das Leiden der Juden.

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Nicht nur auf das Verstecken, auf jede den Juden erwiesene Hilfeleistung stand im besetzten Polen die Todesstrafe. Deutsche Bekanntmachungen.

Das Institut für Nationales Gedenken (IPN) und viele andere Institutionen in Polen untersuchen die Schicksale der Polen, die Juden gerettet haben, nicht um irgendeinen ideologischen Bedarf zu decken. Wir sind der Meinung, dass dies unsere grundlegende Verpflichtung ist gegenüber den Helden, die ihr Leben riskiert und es daher verdient haben, dass ihre Namen im Gedächtnis der Nachfahren erhalten bleiben.

Ungeschehen lässt sich nichts machen

Die Polen sind stolz auf ihre Geschichte, darauf, dass sie sich als Erste Hitler entgegengestellt und bis zum letzten Kriegstag gegen die Deutschen gekämpft haben, was enorme Opfer kostete. Wir erinnern uns daran, dass wir als Einzige im besetzten Europa einen Untergrundstaat geschaffen haben. Er verfügte nicht nur über militärische Strukturen, sondern auch über eine zivile Verwaltung, der auch der Rat für die Unterstützung der Juden, die Źegota, unterstellt war.

Das heißt nicht, dass keine Diskussion über die schwierigen Aspekte dieser Zeit geführt wird, vor allem über die polnisch-jüdischen Beziehungen. Diese Diskussion wurde erst nach dem Fall des kommunistischen Systems möglich. Leider wird sie immer mehr von Radikalen dominiert, was einen echten Dialog erschwert. Die Erinnerung an die Polen, die Juden retteten, macht die Beispiele von Verrat und sogar Verbrechen nicht ungeschehen, genau wie umgekehrt das schändliche Verhalten mancher Polen das Heldentum anderer nicht ungeschehen macht.

Sie haben es verdient

Die Behauptung, man hätte mehr Juden retten können, ist ebenso richtig wie diejenige, die darauf hinweist, dass man von niemandem verlangen kann, das Leben der eigenen Familie zu riskieren. Diese Art der Diskussion trägt nicht nur wenig dazu bei, die Vergangenheit zu verstehen, sondern sie entfernt uns auch von dem, was in dieser Debatte das Wichtigste ist: die fundamentalen Fragen nach dem Verhalten der Menschen in schwerster Zeit.

Es gibt in Polen Streit darüber, wie viele Polen während des Krieges sich für die Hilfe für Juden engagiert haben. Dieser Streit rührt daher, dass während der Besatzung niemand solche Statistiken geführt hat und dieses Thema danach viele Jahre lang nicht untersucht wurde. Unabhängig von dieser Diskussion, ist jedoch eines sicher: Es waren entschieden mehr als die Mitglieder der deutschen Opposition gegen Hitler, über deren Geschichte man in vielen Museen und Gedenkstätten etwas erfahren kann.

Die polnischen Helden, die das eigene Leben aufs Spiel gesetzt haben, um ihre Nächsten zu retten, haben es verdient, dass man an sie erinnert. Statt den Sinn des ihnen gewidmeten Museums in Frage zu stellen, sollte man lieber darüber nachdenken, warum es erst so spät entstanden ist.

Łukasz Kamiński war bis Juli 2016 Präsident des Instituts für Nationales Gedenken in Warschau.
Quelle: F.A.Z.

Rede Staatsprpräsident Andrzej Dudas bei der Eröffnung des Museums in Markowa am 17. März 2016

Ulmowie 2 Andrzej Duda fot.2Es passierte in der Nacht… Sie fuhren hierher auf Umwegen aus Łańcut, hieß es in einer späteren Aussage eines jungen Fuhrmanns, eines Bauern aus einem der Dörfer des Karpatenvorlandes. Deutsche Gendarmen und dunkelblaue Polizisten. Darunter befand sich wahrscheinlich auch derjenige, der, wie man später ermitteln konnte, die Familie Ulma und die bei ihnen wohnenden Goldmans denunziert hatte.

Auf dem Weg sind sie stehen geblieben. Das Haus stand am Dorfrand, daneben befanden sich keine anderen Gebäude. Die Gendarmen und die Polizisten gingen zum Haus Ulmas. Dann hörte man Schüsse. Darauf riefen sie die Fuhrleute und befahlen ihnen, zuzuschauen. Zunächst töteten sie die Söhne von Chaim Goldman und dann ihn selbst. Später töteten sie Józef und Wiktoria Ulma. Einer der Deutschen sagte zu den Fuhrleuten: „Da, seht zu, so sterben polnische Schweine, die Juden helfen.“

Und später wussten sie nicht, was sie mit den Kindern tun sollen, den sechs Kindern von Józef und Wiktoria. Und dann sagte der Kommandant der Gendarmen: „Ihr werdet wohl im Dorfe keine Probleme haben wollen“. Und tötete sie alle, der Reihe nach. Der Mann, der das aussagte, berichtete: „ Zu hören waren Schüsse, Schreie und Wehklagen. Es war erschütternd“.

Warum beschlossen Józef Ulma und seine Frau sich so zu verhalten? Warum entschieden sie sich, unter ihr Dach die Familie Goldman aufzunehmen? Den fast achtzigjährigen Familienvater Chaim, einen Kaufmann aus dem nahe gelegenen Łańcut, seine erwachsenen Söhne, die Töchter und die Enkelin. Warum taten sie das? War es der Appell der Heeresführung des polnischen Untergrundstaates, dass angesichts der Shoah, es eine moralische Pflicht der Polen sei, unseren jüdischen Mitbürgern, Mitbürgern der Rzeczpospolita, der Republik Polen, zu helfen?

Oder war es, weil sie Chaim Goldman und die ganze Familie kannten? Denn in einer solchen lokalen Dorfgemeinschaft kannten sich doch alle. Oder lag es vielleicht am biblischen Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das von jemandem im Text jener Bibel unterstrichen wurde, die man später im Haus Ulmas gefunden hatte? Wir wissen es nicht… Keiner weiß die Antwort.

Eines ist sicher. Józef Ulma war ein einfacher Bauer aus dem Karpatenvorland, ein Landwirt. Er war aufgeklärt und intelligent. Er absolvierte vier Klassen Grundschule und dann noch eine landwirtschaftliche Fachschule. Den anderen war er ein Vorbild. Seine Leidenschaft galt der Imkerei, er züchtete Seidenraupen.

Heute würden wir sagen, er war ein lokaler Meinungsbildner. Das war er ganz sicher. Die Menschen holten sich bei ihm Rat. Er machte Fotografien und dokumentierte somit das Leben der dörflichen Gemeinschaft und das seiner Familie. Dem ist es unter anderem zu verdanken, dass dieses Museum so lebhaft und beeindruckend ist. Denn es ist voll von Aufnahmen, die Józef gemacht hatte, auch von Fotos seiner jüdischen Nachbarn und Gäste, die er bei sich aufgenommen hat und mit denen er starb.

Dies hier ist ein sehr bewegendes Museum. Ich bin zutiefst dankbar und im Namen der Republik, im Namen aller meiner Landsleute danke ich all jenen, die zur Entstehung dieser Einrichtung beigetragen haben. Ich danke allen, die dazu beigetragen haben, dass die Familie Ulma, ihre Angehörigen, und alle anderen verewigt wurden, die ihren Schwestern und Brüdern, Mitbürgern jüdischer Abstammung, geholfen haben zu überleben, in einer Zeit des Massakers an ihrem Volk, das während des Zweiten Weltkriegs von den Nazideutschen ausgelöscht werden sollte. Danke, dass dieses Museum ein Denkmal für sie alle sein kann. Danke, denn Polen und die geschichtliche Gerechtigkeit haben ein solches Mahnmal nur allzu dringend benötigt.

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Zum Denkmal der Familie Ulma 1000 m.

Unsere beiden Völker, die Polen und die Juden, lebten tausend Jahre lang auf diesem Boden. Diese tausend Jahre gemeinsamer Geschichte erlebten eine furchtbare Zäsur: Den Holocaust, in dem von Deutschen besetzten Polen. Die Todeslager, ein schwarzes Blatt in der Geschichte des jüdischen Volkes.

Viele Menschen besuchen Polen, um das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau sowie andere Zeugnisse der großen Vernichtung zu besichtigen, die der ganzen Welt als Mahnung dienen sollen, was Hass und kranke Ideologien anstellen können, und wozu ein von ihnen besessener Mensch fähig ist. Aber es entstehen bei uns in den letzten Jahren zum Glück auch andere Orte, jene, die das zeigen, was gut und was schön war in der Geschichte, auch der tragischsten. Zu ihnen gehört mit Sicherheit dieses Museum, ein Museum der Brüderlichkeit, der Barmherzigkeit und der Gemeinschaft. Einer Gemeinschaft von Ort, Heimat, und oft auch des Zusammenhaltens.

Vielleicht hat Józef Ulma die Familie Goldman deshalb bei sich aufgenommen, weil ihr Sohn, genauso wie er, 1939 für die Verteidigung Polens gekämpft hatte. Vielleicht weil es tausende von polnischen Staatsbürgern jüdischer Abstammung waren, die für Polen 1918, 1919, 1920, 1939 und auch später gekämpft haben? Sie kämpften, denn Polen war unsere gemeinsame Heimat, wo sie geboren wurden, wo sie heranwuchsen und lebten.

Und es war zum Glück ein Land, in dem während der schrecklichen Tragödie des Holocausts und beim Versuch „der endgültigen Lösung der jüdischen Frage“, wie es die Führung von Hitlerdeutschland zynisch formulierte, tausende von Polen den Mut aufbrachten, um wahre Mitmenschen und Mitbürger zu sein, um barmherzig zu sein, um jener Lehre zu folgen, die sich für uns alle aus dem christlichen Glauben ergibt, der Nächstenliebe.

Zum Glück gab es auch Menschen, denen es an dieser christlichen Nächstenliebe nicht fehlte, trotz des großen Risikos, trotz des drohenden Todes. Denn im besetzten Polen drohte für Juden erwiesene Hilfe, wie nirgendwo anders in der Welt, die Todesstrafe, die auch ohne jegliche Rücksichtnahme vollstreckt wurde. So wie hier. Es waren ja nicht nur Józef und Wiktoria Ulma sowie ihre Kinder, die so ihr Leben verloren. Es gab dutzende, hunderte von solchen Familien, tausende von Menschen, die dafür, dass sie ihren jüdischen Schwestern und Brüdern, ihren Mitbürgern, geholfen haben, ihr Leben opfern mussten.

Und wenn wir heute an diese dramatische Zeit und an die tausend Jahre gemeinsamer Geschichte zurückdenken, so mögen uns zu einem Wegweiser auf der Wanderung durch diese Zeit all jene Orte werden, die wir heute in einem freien und unabhängigen Polen, dass sich seiner Geschichte bewusst ist, besichtigen können: Das Museum der Geschichte der polnischen Juden POLIN in Warschau, wo sowohl die schönen als auch die traurigen Kapitel gezeigt werden, das nazideutsche Konzentrationslager Auschwitz, aber auch das Museum in Markowa, so wichtig auf dem Weg der gemeinsamen Geschichte.

Ein Museum, das zwar ein tragisches Kapitel zeigt, aber zugleich auch das wichtigste Merkmal der Rzeczpospolita przyjaciół, der Republik der Freunde, veranschaulicht, wo man bereit war das Leben zu opfern für seinen Freund, seinen Bruder und einen Mitmenschen. Möge das, was wir heute bereits gehört haben, all dies bezeugen. Auch die Tatsache, dass der Mord an der Familie Ulma und der bei ihnen versteckten Goldmans, dieses Beispiel der deutschen Greueltaten, andere Einwohner von Markowa, die ja auch Familien hatten und die auch überleben wollten, nicht dazu gebracht hat, Juden auszuliefern, die sie bei sich aufgenommen haben. Denn trotz dieser Tragödie, konnten die Dorfbewohner bis zum Kriegsende 21 Juden bei sich verstecken.

Es ist dies ein ganz bedeutender Ort für die Republik Polen, denn hier wird es uns ganz besonders bewusst, dass wir als Polen Würde empfinden können. Unter uns lebten nämlich solche Menschen, die mehr als nur anständig waren. Sie waren wahre Helden, und als solche sind sie jenen gleichzusetzen, die unter Einsatz von Waffen für die Freiheit Polens gekämpft haben und dabei gefallen sind.

Es gibt da keinen Unterschied. Sowohl die einen wie auch die anderen opferten ihr Leben für andere und für Freiheit. Denn Freiheit bedeutet Würde. Dass sie ihre Nachbarn, Bekannte und manchmal auch zufällige Menschen bei sich versteckten, war eine Absage an Grausamkeit, Verachtung und Hass, und einen Antisemitismus, mit dem sie sich nicht abfinden konnten und mit dem sie sich bis an ihr Lebensende nicht abgefunden haben. Eine Absage an all das, was die Nazideutschen auf polnischen Boden mitgebracht gebracht hatten.

Und als Präsident der Republik Polen möchte ich es heute ganz klar und deutlich sagen: Jeder, der Hass unter Völkern verbreitet, jeder der antisemitische Parolen verkündet, der Antisemitismus verbreitet und ihn schürt, tritt mit Füssen das Grab der Familie Ulma, tritt mit Füssen die Erinnerung an sie, und auch das alles, was sie als Polen verloren haben, indem sie ihr Leben opferten. Es war dies ein Opfer für Würde, Aufrichtigkeit, für Gerechtigkeit und die einem jeden Menschen gebührende elementare Achtung.

Möge dieses Museum, neben anderen Gedenkstätten auch, für alle zu einem großen Zeugnis einer tragischen, aber guten Erinnerung werden sowie zu einer Mahnung, was Hass und Verachtung aus Menschen machen kann.

Und es ist auch gut, dass in all dem die Führung des polnischen Untergrundstaates Härte gezeigt hat. Denn derjenige, der die Ulmas und ihre Gäste, die jüdischen Nachbarn, höchstwahrscheinlich ausgeliefert hatte, lebte nicht mehr lange. Sie starben in der Nacht vom 23. auf den 24. März, und der polnische Untergrundstaat vollstreckte sein Urteil an dem Kollaborateur am 10. September desselben Jahres 1944.

Später ist es noch gelungen, einen der Mörder zu fassen, der auf mindestens drei der Kinder geschossen hatte. Für seine Tat hat er eine Gefängnisstrafe verbüßt. Allerdings wurde zunächst von einem polnischen Gericht die Todesstrafe verhängt. Das Urteil wurde dann zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe umgewandelt und schließlich zu einer 25-jährigen Haft. Der Täter starb im Gefängnis in Bytom.

Es ist gut, dass der polnische Staat ein Urteil im Mordfall fällen konnte und das somit elementare Gerechtigkeit geschehen konnte. So wie jeder Mörder elementare Gerechtigkeit erfahren muss. Dies geschieht in jedem aufrichtigen Rechtsstaat. Und es darf auch kein aufrichtiger Rechtsstaat Volkshetze, nationale Phobien sowie Fremdenhass tolerieren. Und ich glaube fest daran, dass Polen das nie tolerieren wird. Und so wie jetzt der Staat Israel und seine Gründer, belehrt durch die dramatischen Erfahrungen des Holocausts, beschlossen haben, nie einen eigenen Staatsbürger alleinzulassen, und die Sicherheit eines jeden Juden um jeden Preis zu verteidigen, so sollten auch wir, die Polen, und der polnische Staat, das gleiche tun.

Möge die Tragödie des Zweiten Weltkriegs sowohl für das jüdische als auch für das polnische Volk eine dramatische Lektion sein, aus der wir und aus der diejenigen, die nach uns kommen, entsprechende Schlüsse ziehen, und aus der wir den nachkommenden Generationen die Wahrheit darüber vermitteln müssen, was passiert ist, die Wahrheit über den Holocaust, das Heldentum, aber auch manchmal die traurige Wahrheit über das Abscheuliche im Menschen.

Denn Wahrheit baut Brüderlichkeit zwischen Völkern und erlaubt es, freundschaftliche Beziehungen zu entwickeln. Denn eine gute Zukunft kann nur auf Wahrheit aufbauen.

Quelle: Amtliche Übersetzung ins Deutsche, entnommen der offiziellen Internerseite Prezydent.pl