Am Jahrestag des Ghettoaufstandes in Warschau, wird auch der Polen gedacht, die Juden vor dem Holocaust retteten.
Vor dem Krieg war Józef Ulma ein angesehener und allseits beliebter Bauer in seinem Dorf Markowa bei Łańcut, im heutigen Südostpolen. Als Erster gründete er eine Gärtnerei für Obstsetzlinge. Er brachte den Leuten vor Ort die neusten Methoden der Apfelbaumveredelung bei, züchtete Seidenspinnerraupen und Bienen, bekam Auszeichnungen auf regionalen Landwirtschaftsausstellungen. Seine Leidenschaft galt ebenfalls der Fotografie. Ob Hochzeit, Taufe, eine Beerdigung oder nur für ein Passfoto, Józef Ulma war immer zur Stelle, wenn es darum ging Bilder zu machen. Und das zum Selbstkostenpreis. Mit seiner Frau Wiktoria hatte er sechs Kinder. Im Frühjahr 1944 erwartete sie ihr Siebentes.
Während der deutschen Besatzung versteckten die Ulmas, seit Mitte 1942, in ihrem bescheidenen Haus acht Juden. Als sie sie aufnahmen, wussten sie was sie riskierten. Vor ihren Augen hatten deutsche Gendarmen kurz zuvor die meisten der 120 Juden aus Markowa ermordet. Das Haus der Ulmas stand abseits, doch es gelang nicht ihr Geheimnis zu bewahren.
Der Denunziant, Włodzimerz Leś, war ein Ukrainer, der bei der polnischen Polizei in Łańcut diente. Leś war vor dem Krieg mit der jüdischen Familie Schall befreundet. Er gewährte ihnen sogar, gegen Bezahlung, eine Zeitlang Unterschlupf bei sich zu Hause. Als die Deutschen jedoch begannen diejenigen, die Juden versteckten, bei Entdeckung an Ort und Stelle gemeinsam mit ihren Schützlingen zu ermorden, jagte Leś die Schalls fort, jedoch nicht ohne ihr ganzes Vermögen zu behalten. Die Schalls fanden Unterschlupf bei den Ulmas, klopften aber einige Male nachts bei Leś an und forderten ihren Besitz zurück. Das wurde ihnen, der Familie Goldmann, die ebenfalls von den Ulmas versteckt wurde, und den Helfern selbst, zum Verhängnis.
Am 23. März 1944 bekamen vier polnische Fuhrleute die Anweisung mit ihren Pferdewagen um Mitternacht vor der Gendarmeriewache in Łańcut zu sein. Die Aktion leitete der Gendarmeriekommandant von Łańcut, der deutsche Hauptmann Eilert Dieken persönlich. Bei Tagesanbruch des 24. März 1944 rückte der Trupp im Haus der Ulmas an. Die Fuhrleute wurden angewiesen, mit ihren Wagen in einiger Entfernung zu warten.
Bald darauf fielen die ersten Schüsse. Zuerst wurden die beiden Brüder Goldmann und ihre Schwester Golda ermordet. Danach riefen die Gendarmen die Fuhrleute heran, sie sollten bei dem Massaker zusehen. Auf diese Weise sollten weitere Polen vom Verstecken von Juden abgeschreckt werden. Als nächster fand einer der Brüder Schall den Tod, dann dessen Frau Lea mit der kleinen Tochter sowie zwei weitere Angehörige der Familie Schall. Anschlieβend kamen der 44-jährige Józef Ulma und seine zwölf Jahre jüngere, hochschwangere Frau Wiktoria an die Reihe, am Ende ihre schreienden und wimmernden Kinder: Stanisława (Stasia), Barbara (Basia), Włodzimierz (Władek), Franciszek (Franek), Antoni (Antos) und Maria (Marysia).
Nun herrschte Stille. Sechzehn Leichen lagen im und vor dem Haus. Die Gendarmen riefen den Dorfschulzen von Markowa, Teofil Kielar herbei, damit er für das Verscharren der Toten sorge, und widmeten sich selbst dem Plündern. Im Licht der Taschenlampen wurden die Opfer durchsucht. Dieken und sein Stellvertreter Joseph Kokott teilten sich die gefundenen Schmuckstücke. Eine der jüdischen Frauen trug eine Schachtel mit Juwelen bei sich. Die übrigen Gendarmen plünderten das Haus. Truhen, Betten, Geschirr, Vorräte türmten sich auf den Fuhrwerken.
Derweil mussten die zwischenzeitlich herbeigerufenen Dorfbewohner eine tiefe Grube ausheben. Als einer von ihnen einen der Gendarmen bat, die Polen und die Juden separat beerdigen zu dürfen, schoss der Gendarm auf ihn, verfehlte jedoch den Mann, der Schütze war schon zu betrunken. Letztendlich willigten die Gendarmen doch noch ein und es wurden zwei Gruben ausgehoben.
Derweil ging Dieken zur Wache der polnischen Polizei des Dorfes und drohte den Kommandanten zu erschieβen, wenn er weiterhin das Verstecken von Juden auf seinem Gebiet toleriere. Die Aktion endete unweit des Tatortes mit einem Besäufnis der Täter, denen der Dorfschulze drei Liter Wodka bringen musste.
Fünf Tage nach dem Mord gruben Nachbarn nachts die Leichen der Ulmas aus und bestatteten sie auf dem Dorffriedhof. Die ermordeten Juden hat man 1947 auf dem Friedhof für Kriegsopfer im benachbarten Ort Jagiele beigesetzt.
Im Jahr 1995 wurden Józef und Wiktoria Ulma posthum mit dem israelischen Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ geehrt, vergeben an Menschen, die ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten. Von den 24.811 Personen, die ihn bis Ende 2013 zugesprochen bekamen, kommen die meisten (6.454) aus Polen.
Am 24. März 2004, dem 60. Jahrestag des Geschehens, wurde in Markowa ein kleines Denkmal zu Ehren der Familie Ulma und ihrer Schützlinge enthüllt. Ein Museum das an diejenigen Polen erinnert, die Juden während des Zweiten Weltkrieges retteten, soll den Namen der Familie Ulma tragen. Seine Einweihung wird im März 2016 in Markowa stattfinden.
Den Denunzianten Włodzimierz Leś hat ein Standgericht der polnischen Heimatarmee für sein Verbrechen im Namen der Republik Polen zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde auf offener Straße in Łańcut im September 1944 vollstreckt. Den Gendarmen Joseph Kokott verurteilte ein polnisches Gericht 1958, nach der Überstellung aus der Tschechoslowakei, zum Tode. Die Strafe wurde auf dem Gnadenwege in Lebenslänglich umgewandelt. Kokott starb 1980 in einem polnischen Gefängnis. Hauptmann Eilert Dieken versah nach dem Krieg den Dienst als Kriminalkommissar in Esens. Gegen ihn wurde wegen seiner Verbrechen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, doch ohne Folgen. Dieken starb ohne jemals gerichtlich belangt zu werden.
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„Die halbe Wahrheit ist nicht die Wahrheit“
und
„Defiance – jüdischer Widerstand, polnische Debatte“
@ RdP