IT-Fachleute in Polen.
Der polnische Arbeitsmarkt besteht aus einigen ziemlich weit voneinander entfernten Welten, die sich alle hinter der Fassade des statistischen Durchschnittsgehaltes von 4.330 Zloty brutto (ca. 1.000 Euro, November 2016) verbergen. Knapp 70 Prozent der Polen verdienen weniger. Zu den Glücklichen, die eindeutig über dem polnischen Einkommensdurchschnitt liegen, gehören Informatiker.
Die Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Republik“) hat am 29. November 2016 einen umfangreichen Bericht über den IT-Arbeitsmarkt in Polen veröffentlicht. Nachfolgend eine Besprechung.
Die Nachfrage nach ihnen ist groβ. Doch genauso wie bei Ärzten kommt es bei Informatikern auf die Spezialisierung an. Es gibt Dutzende von Ausrichtungen innerhalb dieses Berufes und dementsprechend weit spannt sich der Gehaltsbogen: zwischen 2.800 Zloty (knapp 650 Euro) und 20.000 Zloty (ca. 4.600 Euro) Brutto im Monat.
Fachwissen, Englisch, Motivation
Allein auf Pracuj.pl (arbeite.pl), dem gröβten polnischen Stellenanzeigenportal, standen im Verlauf des Jahres 2016 etwa sechzigtausend Angebote für Informatiker zur Auswahl. Ein Teil der Firmen stellt ihre Suchanzeigen nach IT-Fachleuten erst gar nicht ins Internet. Stattdessen durchforsten eigene Mitarbeiter Fachforen- und Portale, und erhalten bei gelungener Anwerbung „Kopfprämien“.
IT-Firmen und Rekrutierungsagenturen behaupten einhellig, dass auch in Polen in diesem Bereich bereits seit langer Zeit die Arbeitnehmer das Sagen haben. Es heiβt sogar, im Land fehlten in etwa fünfzigtausend Informatiker, obwohl jedes Jahr rund dreizehntausend Berufsanfänger mit abgeschlossenem Informatikstudium neu auf den Arbeitsmarkt kommen. Geschätzt umfasst der IT-Sektor in Polen etwa 250.000 Arbeitsplätze. Tendenz steigend.
Seit einigen Jahren nämlich lassen sich an der Weichsel viele IT-Servicefirmen aus Westeuropa und den USA nieder. Die im Vergleich mit den Heimatländern immer noch niedrigeren Arbeitskosten, gutes Fachwissen gepaart mit allgemein soliden Englischkenntnissen, eine hohe Arbeitsmotivation der polnischen Informatiker geben, wie es heiβt, hierbei den Ausschlag. Den Boom erzeugen internationale Firmen, die ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen (R&D), bzw. ihre Auslieferungs- und Technologiezentren in Polen errichten. Dicht auf den Fersen folgen ihnen internationale Softwarehäuser, die Computerprogramme entwickeln.
Weiterbildung ist Trumpf
Den gröβten Bedarf an Informatikern vermelden IT-Firmen, Telekommunikationsunternehmen, Banken und Versicherungen. Als Könige des Arbeitsmarktes gelten im Augenblick Programmierer, die Java, Javascript, SQL, PL/SQL, C++, PHP, C#, .NET, HTML und Ruby beherrschen. Immer mehr Nachfragen gibt es nach Fachleuten für Cyber-Sicherheit, Datenanalyse und Datenaustausch, Big Data.
Ein Einsteiger, z.B. als Junior Java-Entwickler, mit guten Englischkenntnissen erhielt um die Jahreswende 2016/2017 bis zu 8.000 Zloty brutto (knapp 1.900 Euro).
Sein Kollege mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung (Senior Java- Entwickler) brachte es Anfang 2017 auf bis zu 20.000 Zloty brutto (ca. 4.600 Euro). Das sind um die 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Dabei handelt es sich um Spitzengehälter, die jedoch nur auf der Grundlage von Zeitverträgen gezahlt werden, an Programmierer die ein Gewerbe angemeldet haben und Englisch so gut in Wort und Schrift beherrschen, dass sie selbständig und direkt mit ausländischen Kunden arbeiten können. Ebenfalls müssen sie die neuste Version, Java-8 beherrschen. Wer bei Java-6 stehen geblieben ist, kann schon nicht mehr auf die höchste Gehaltsklasse hoffen.
Generell gilt, Weiterbildung ist alles. Big Data-Fachleute müssen den ETL-Prozess beherrschen. Bei der Verwaltung von Datensystemen sind Kenntnisse über UNIX (AIX), Linux (RedHat, SUSE) und Windows unabdingbar, genauso wie die der Datenbankmanagementsysteme Oracle, Informix, MySQUL, MsSQUL.
Doch der Markt ist launisch. Noch bis Mitte 2016 gab es in Polen eine rege Nachfrage nach Programmierern mit guten Python-Kenntnissen. Gehaltsangebote von 15.000 bis 18.000 Zloty (ca. 3.500 bis 4.200 Euro) waren keine Seltenheit. Inzwischen ist der Bedarf gedeckt, mehr als 9.000 Zloty (ca. 2.000 Euro) monatlich werden bei Neueinstellungen inzwischen nicht mehr gezahlt.
Bei Arbeitsplätzen ohne besondere Anforderungen, sind auch im IT-Bereich die Löhne mager. Wer lediglich Netz-Hosting und laufende Wartungen zu erledigen hat, bekommt nicht mehr als 5.100 Zloty brutto (ca. 1.200 Euro), so die die Untersuchungen der führenden polnischen Arbeitsmarkt– und Lohnforschungsagentur Sedlak & Sedlak.
Die Unternehmen aus der Informationstechnologie und Telekommunikation müssen sich inzwischen viel einfallen lassen, damit sie gut ausgebildete Informatiker gewinnen. Vor allem eines ist dem IT-Nachwuchs wichtig: flexible Arbeitszeiten, damit die Work-Life-Balance funktioniert. Mehr als jeder zweite angehende Informatiker gibt an, wenigstens teilweise von zu Hause aus arbeiten zu wollen.
Groβe IT-Firmen schieben auch noch üppige Bonus-Pakete nach: günstiges Auto-Leasing, kostenlose Teilnahme an Fachkonferenzen und Weiterbildungen, Umzugskostenerstattung, und ganz wichtig in Polen – private Medicare-Leistungen für den Mitarbeiter, seine Ehefrau und die Kinder.
Anstatt langer Warteschlangen und Terminen bei Fachärzten im öffentlichen Gesundheitswesen, wird man auf Firmenkosten in Privaten Polikliniken schnell versorgt, und bei Zahnarztbesuchen gibt es meistens 50 Prozent Ermäβigung. Es ist ein gern angenommenes Privileg, denn eine öffentliche zahnmedizinische Versorgung gibt es in Polen praktisch nicht mehr, und die Kosten für private Zahnarztbesuche werden vom Staat nicht erstattet.
Ins Ausland wollen sie nicht
Kein Wunder also, dass zwar etwa ein Drittel der polnischen IT-Fachleute einräumt irgendwann mal auβerhalb Polens gearbeitet zu haben, doch im Augenblick verdingen sich nur neun Prozent von ihnen im Ausland. Zwar sind die Löhne in der Branche in Westeuropa und in den USA um bis zu fünfzehn Prozent höher als in Polen, doch das geht einher mit bis zu zwanzig Prozent höheren Lebenshaltungskosten.
Will man also einen polnischen Programmierer in den Westen locken, so muss man ihm ein Lohnangebot machen, das um 35 Prozent höher liegt als zu Hause, dies geht aus der Untersuchung von Sedlak & Sedlak hervor. 61 Prozent der polnischen IT-Fachkräfte geben zu Protokoll, sie seien mit ihren jetzigen Lohn- und Arbeitsbedingungen vollauf zufrieden. Auch ein deutlich höheres Einkommen irgendwo in der weiten Welt ist für sie nicht Grund genug Heimat, Familie und Freunde aufzugeben.
RdP