Am Gute-Deutsche-Pranger stehen die Polen als Hitlers Handlanger

image_pdfimage_print

Gerichtsprozesse stellen historische Wahrheit wieder her.

„Polnische Vernichtungslager“, „polnische Todeslager“, die polnische Heimatarmee (AK) im Untergrund als ein Haufen bitterböser Judenhasser. Deutsche Medien, die einen versehentlich, andere absichtlich, waren lange Zeit nicht zimperlich wenn es darum ging das deutsche Wüten im besetzten Polen zu relativieren. Bis Opfer und Betroffene vor Gericht gingen.

Einen interessanten Bericht hierzu veröffentlichte das Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“) vom 20. Oktober 2019.

Er wollte ein Exempel statuieren. Zbigniew Osewski, Enkelsohn eines Häftlings des Vernichtungslagers Stutthof, verklagte den deutschen Springer-Konzern, weil die Tageszeitung „Die Welt“ schrieb, Majdanek sei ein ehemaliges polnisches Konzentrationslager.

Neun Jahre lang dauerten die Verfahren gegen Springer vor polnischen Gerichten. Am Ende hat der Verlag den Prozess gewonnen, aber allein schon seine im Folgenden noch zu beschreibende Haltung lässt hoffen, dass sich das Blatt zum Besseren wendet.

Zbigniew Osewski.

Seit vielen Jahren mehrten sich in den deutschen und internationalen Medien Berichte, Kommentare, Reportagen, in denen zu lesen war, Nazis hätten Juden in polnische Vernichtungs- oder Todeslager deportiert. Die Nationalität der Täter (Nazis) wurde dabei zumeist nicht erwähnt, die Lager aber waren ausdrücklich „polnisch“.

Auch wenn es im Nachhinein entschuldigend hieβ, diese Beschreibung beziehe sich ja nur auf die Geografie, denn die Lager befanden sich nun mal auf besetztem polnischem Gebiet, war die Zusammenstellung „polnische Todeslager“, „polish death camps“ geradezu fatal.

Zudem: je öfter sie verwendet wurde, umso gröβer war die Gefahr, sie werde wörtlich genommen und würde sich in den Köpfen von Millionen von Menschen einnisten. Von „polnischen Todeslagern“ sprach schlieβlich öffentlich, im Mai 2012, bei einer Ansprache im Weiβen Haus, kein Geringerer als US-Präsident Obama.

Obama entschuldigte sich. Polnische Botschaften auf der ganzen Welt bekamen die Anweisung bei Redaktionen und Verlagen zu intervenieren und auf einer Änderung der unseligen Formulierung von den „polnischen Todeslagern“ zu bestehen. Im Jahr 2018 geschah dies knapp eintausend Mal.

Ein Teilsieg

Am 24. November 2007 erschien in der Tageszeitung „Die Welt“ ein Bericht mit dem Titel „Asaf wird ermordet – und reist um die Welt”. Der israelische Jugendliche starb bei einem Bombenattentat. Sein Vater veröffentlichte Asafs Bild im Internet und bat Menschen in aller Welt es auf ihre Reisen mitzunehmen.

Das Ergebnis war eine Flut von Fotos von Leuten, die sich an unzähligen Orten der Welt mit dem Konterfei Asafs ablichten lieβen. So auch, wie „Die Welt“ in dem Bericht schrieb, im „ehemaligen polnischen Konzentrationslager Majdanek“

Zbigniew Osewski forderte in seiner Klage, dass der Springer-Verlag sich bei ihm und bei allen Polen mit einer Anzeige in den Zeitungen „Gazeta Wyborcza“ und „Rzeczpospolita“ entschuldigt. Des Weiteren sollte der Verlag versichern, dass eine solche Situation sich nicht wiederholen werde, ebenfalls solle er eine Million Zloty (ca. 240.000 Euro) an ein Erziehungsheim in Świnoujście/Swinemünde zahlen.

Der „Welt“-Chefredakteur Thomas Schmid entschuldigte sich zwei Tage später für die Formulierung. Das Blatt veröffentlichte Schmids Bedauern sowohl in der Druck- wie auch in der Internetausgabe, in der die Entschuldigung auch auf Polnisch erschien. Der Beitrag wurde geändert und mit einer diesbezüglichen Information versehen.

Osewskis Klage wurde vor dem Kreisgericht Warschau verhandelt und abgewiesen. Die Richterin Eliza Kurkowska hielt zwar in der Urteilsbegründung fest, die Formulierung müsse die Empörung eines jeden, der die Geschichte kennt hervorrufen, insbesondere der Polen. Die Formulierung in Bezug auf Majdanek beträfe jedoch nicht persönlich den Kläger.

Das Appellationsgericht bestätigte in 2. Instanz das Urteil, auch wenn die Richterin Ewa Kaniok feststellte, dass ein Teil der Argumente des Klägers als durchaus legitim zu betrachten seien. Im Februar 2017 erklärte das Oberste Gericht Osewskis anschließende Kassationsklage für unzulässig.

(Durch die Kassationsklage soll erreicht werden, dass ein bereits entschiedener Fall zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen wird. Dies ist möglich, wenn Verfahrensfehler nachgewiesen werden. Das Kassationsgericht trifft keine Entscheidungen zu Sachfragen des betreffenden Prozesses. – Anm. RdP).

Das Medienecho jedoch, das die Verfahren hervorriefen, machte die Öffentlichkeit auf das polnische Anliegen aufmerksam und stieβ auf viel Verständnis. So gesehen haben Osewski und sein Anliegen durchaus einen Teilsieg errungen.

Spiel auf Zeit

Osewski wurde vorgehalten, er selbst sei kein Opfer des Krieges.
Karol Tendera war Auschwitz-Häftling und als solcher verklagte er 2013 das ZDF, da es in der Ankündigung eines Beitrags auf seiner Internetseite Auschwitz und Majdanek als „polnische Vernichtungslager“ bezeichnete.

Osewskis Klage wurde insgesamt neun Jahre lang verhandelt. Ehemalige KZ-Häftlinge wie Tendera haben naturgegeben nicht mehr so viel Zeit. Daher nutzen verklagte Medien oft den kompletten Instanzenweg aus, in der Hoffnung, das Problem werde sich mit dem Tod des Klägers von alleine lösen.

Das ZDF ging sogar so weit, dass es das letztinstanzliche Urteil des polnischen Appellationsgerichts in Kraków, das Tendera recht gab, vor deutschen Gerichten, zuerst in Mainz und in zweiter Instanz in Koblenz, einklagte. Eigentlich ist so etwas innerhalb der EU nicht möglich, aber beide deutsche Gerichte nahmen sich der Sache an und bestätigten das polnische Urteil. Das ZDF habe sich bei Karol Tendera zu entschuldigen.

Doch das ZDF gab nicht auf, ging vor den Bundesgerichtshof und bekam dort recht. Ein allgemein gehaltenes Bedauern reiche aus, Karol Tendera verdiene keine Entschuldigung, lautete das Urteil der höchsten deutschen Richter.

Karol Tendera.

Karol Tenedera, geboren 1921, wurde von den Deutschen im März 1940 in Kraków mit allen anderen Schülern der dortigen Schlosser-Berufsschule während des Unterrichts verhaftet und zur Zwangsarbeit nach Hannover, in die Max Mueller Rüstungswerke, verschleppt. Nach zwei Jahren gelang Tendera die Flucht, doch im Januar 1943 geriet er in Kraków in eine Gestapo-Razzia.

Nach schweren Misshandlungen im Krakauer Gestapo-Gefängnis in der Montelupichstrasse, in deren Folge er auf einem Ohr taub wurde, lieferte man ihn bereits Anfang Februar 1943 ins KZ Auschwitz ein. Tendera bekam die Häftlingsnummer 100430 und diente eine Zeit lang dem berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele bei seinen verbrecherischen Experimenten als Versuchskaninchen. Er überlebte sie als einer der wenigen aus seiner „Versuchsgruppe“.

Er überlebte auch den etwa fünfhundert Kilometer langen Todesmarsch aus dem Lager Auschwitz, dem sich im Januar 1945 die Rote Armee näherte, in das KZ Leitmeritz unweit von Prag, wo ihn die Sowjets im Mai 1945 befreiten.

Nach dem Krieg arbeitete sich Tendera im Baugewerbe hoch und leitete zuletzt ein groβes Bauunternehmen. Er arbeitete jahrzehntelang eng mit der Gedenkstätte Auschwitz zusammen und schrieb das Buch „Polen und Juden in Auschwitz“.

Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs war die Sache nicht ausgestanden, denn das ZDF wollte auch in Polen einen Persilschein erlangen und reichte eine Kassationsklage beim Obersten Gericht in Warschau ein.

Karol Tendera wartete seit 2013 auf das endgültige Ende seiner Auseinandersetzung mit dem unnachgiebigen deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDF und seiner mächtigen Rechtsmaschinerie. Sehr spät merkte die deutsche Politik, dass ein eventueller juristischer Endsieg des Senders über den betagten und leidgeprüften Auschwitz-Häftling einer schweren moralischen Niederlage gleichkäme.

Erst auf Druck aus Berlin hin, so heiβt es inoffiziell, zog das ZDF seine Kassationsklage beim polnischen Obersten Gericht am 20. September 2019 zurück. Das zweitinstanzliche Urteil des Krakauer Appellationsgerichts wurde somit rechtskräftig. Die Nachricht, dass sich das ZDF bei ihm, widerwillig zwar, aber dennoch, entschuldigen werde, erreichte Karol Tendera auf dem Sterbebett. Er verschied am 1. Oktober 2019.

Widerliche Polen + das Leid der Täter = „Unsere Mütter, unsere Väter“

Einen Erfolg im Gerichtssaal erlebte hingegen im Dezember 2018 der 95-jährige Hauptmann der Heimatarmee Zbigniew Radłowski. Das Krakauer Kreisgericht gab ihm in erster Instanz recht. Das ZDF solle sich im Fernsehen und im Internet für den auf Polen bezogenen Inhalt der Filmproduktion „Unsere Mütter, unsere Väter“ entschuldigen und zugleich eine Klarstellung veröffentlichen.

Zbigniew Radłowski.

Voll von pathetischem Selbstmitleid versucht der 2013 im ZDF gesendete Dreiteiler zu erklären, wie aus guten Deutschen böse Deutsche wurden, die plötzlich keine Skrupel mehr kannten, und zeigt zugleich, dass die Täter es beileibe nicht leicht hatten. Es ist ein Film über die deutsche Schuld, doch er dient als Mittel der Entschuldigung. Denn es ist ja der Krieg, der „macht“ und „entmenscht“.

Und so lautet seine Botschaft: brecht nicht leichtfertig den Stab über die Täter, denn ihre Schuld luden sie sich unter besonderen Umständen auf. Umstände werden gemacht. Vom Krieg. Der böse Krieg war’s.

Doch der Krieg macht nicht, er wird gemacht, von Menschen. Und es waren nicht alle Menschen, die sich „entmenschten“, sondern nur ein Teil von ihnen. Der Holocaust und der Vernichtungskrieg der Deutschen in Osteuropa waren geplante und vorab festgelegte Kriegsziele. In diesem Rahmen fand die massenweise, routinierte „Entmenschung“ statt. Da rutschte nicht irgendwann jemandem mitten im Kriegsgetümmel die Hand aus. Die „Entmenschung“ war Methode.

Die pauschale Botschaft des Films lautet „Nie wieder Krieg“ aber sie klärt nichts auf, sie verschleiert sogar. Denn diese Moral ist die einfachste Art, darüber hinwegzusehen, dass es auch im Krieg mitunter eine Seite geben kann, die völlig zu Recht Krieg führt oder besser gesagt: führen muss, um zu überleben.

Im Film sind die Polen im Grunde weit schlimmer als die Deutschen, die ihr Land überfallen und durch die Verlegung der industriellen Massentötung nach Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Majdanek, Stutthof usw. in ein Schlachthaus verwandelt haben. Die Heimatarmee (Armia Krajowa), die der Exilregierung in London unterstehende polnische Armee im Untergrund, ist in dem Film nur von einem Instinkt beseelt: einem dumpfen, alles durchdringenden Judenhass.

Die Deutschen Hauptfiguren im Film morden zwar, aber leiden darunter, haben Zweifel, gehen an ihren eigenen Untaten zugrunde. Die Polen sind reine Judenhass-Maschinen. Angewidert lassen die Partisanen einen mit zum Tode geweihten Juden vollgepferchten Güterzug, den sie erobert haben, ungeöffnet im freien Feld stehen. Sollen die Juden verrecken, sie „sind ja schlimmer als Kommunisten“.

Die primitiven Zivilisten, die den AK-Soldaten Proviant geben wollen, stellen vorher sicher, dass es in der Abteilung keine Juden gibt.

Der einzige Gerechte unter den Partisanen ist der deutsche Jude Viktor. Er konnte aus einem KZ-Transport fliehen und sich einer Gruppe von ihnen anschlieβen, aber nur weil er seine jüdische Herkunft verschwieg. Jetzt öffnet er die Waggons, wird als Jude enttarnt und aus der Gruppe verjagt.

Viktor kann von groβem Glück reden, dass ihn der polnische Partisanen-Kommandeur, ein pathologischer Judenhasser wie man ihm wohl ansonsten nur bei den SS-Totenkopf-Verbänden begegnete, nicht auf der Stelle erschießt.

Der ZDF-Film wurde in unzählige Länder verkauft und diese zutiefst diffamierenden Bilder gehen seitdem um den Globus. Hat Deutschland seine Vergangenheit inzwischen so sehr bewältigt, dass es meint selbst seine früheren Opfer derart arrogant verunglimpfen zu können?

Der betagte AK-Hauptmann Zbigniew Radłowski empfand diese Darstellung als so unerträglich, dass er vor Gericht ging. Doch kann man gegen einen Spielfilm vorgehen, dessen Handlung fiktiv ist, auch wenn sie in einem wahren geschichtlichen Rahmen stattfindet?

Entscheidend für das Krakauer Gericht war das Gutachten eines Sachverständigen, des Filmwissenschaftlers Kamil Grzesik (fonetisch Gschesick). „Die Filmemacher wollten beim Zuschauer, der zumeist diese Zeit nicht miterlebt hat, den Eindruck erwecken, dass der Film eine wahre Geschichte vor dem Hintergrund authentischer historischer Ereignisse erzähle, und der Zuschauer erliegt diesem Eindruck.“ Das Gericht folgte dem Sachverständigen, der zudem darauf hinwies, dass Ausschnitte aus authentischen Wochenschauberichten in die Handlung eingeflochten wurden.

„Das Gericht wendet keinesfalls Zensur an und verbietet nicht die Diskussion über eine eventuelle antisemitische Haltung einzelner AK-Soldaten. Es geht jedoch um das Ausmaβ, die Einseitigkeit und die Reichweite der Darstellung, die als zutiefst ehrenrührig und als ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers, eines unbescholtenen Soldaten der Heimatarmee, gewertet werden können.“

Es bringt etwas

Obwohl die Verfahren jahrelang dauern erweisen sie sich als wirksam. Mittlerweile sind deutsche Medien in den allermeisten Fällen bereit eine Richtigstellung zu veröffentlichen und ihr Bedauern zu äuβern. Schwieriger gestaltet es sich in Frankreich und den USA, wo die Sensibilisierung für dieses Thema geringer ist.

RdP