Als Polengetreuer nach Dachau

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Am 2. Juni 2016 starb Pfarrer Hermann Scheipers.

Bis zuletzt besuchte er deutsche Schulen, um von seinem Leben und Leiden unter den Nazis und den Kommunisten zu berichten. Gutmütig lächelnd beantwortete er Fragen der Schüler und jedes Mal erwähnte er die Namen seiner Mithäftlinge, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Stets brachte er auch einen Fetzen seines längsgestreiften Häftlingsanzugs mit, an dem das Zwangskennzeichen, ein rotes Dreieck angenäht war.

Über dem roten Winkel, mit dem politische Häftlinge gekennzeichnet wurden, prangte seine Lagernummer 24255. Dabei mied Scheipers von jeher tunlichst die Politik. Er widmete sich ganz und gar der Seelsorge, doch unter den Bedingungen der braunen und roten Diktaturen, die das Christentum ausrotten wollten, war genau das eine hochpolitische Angelegenheit.

Priester im Dritten Reich

Wie verstand er seine Berufung? Scheipers weigerte sich z. B. ins Priesterseminar im tiefkatholischen Münster einzutreten. „Dort gab es genug Geistliche. Ich wollte dorthin, wo Priester fehlten“. So ging Scheipers, im Jahr 1913 im münsterländischen Ochtrup geboren, ins Priesterseminar im sächsischen Meiβen, in eine Gegend, in der es nur 4 Prozent Katholiken und viel zu wenige Priester gab.

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Bischof Petrus Legge (1882-1951).

Geweiht wurde Hermann Scheipers 1937 von Bischof Petrus Legge, der kurz zuvor in seine Diözese zurückkehren durfte. Die Nazis hatten den „Volksschädling“ Legge 1935 wegen „fahrlässiger Devisengeschäfte“ zu einer hohen Geldstrafe verurteilt und zwei Jahre lang an der Ausübung seines Bischofsamtes gehindert.

Schnell wurden die braunen Dienststellen auf den jungen Pfarrer aufmerksam. Seine erste Pfarrei war in Wermsdorf in Sachsen. Sie umfasste etwa 150 Dörfer, in denen verstreut einzelne Katholiken lebten. Scheipers fuhr zu ihnen mit einem Wagen, den man ihm im Herbst 1939 beschlagnahmte, weil Scheipers diesen “zur Verbreitung einer dem Nationalsozialismus feindlich gesinnten Weltanschauung“ benutze.

1938 organisierte Scheipers in Wermsdorf ein illegales Treffen des katholischen Quickborn-Jugendverbandes, das von der Gestapo aufgelöst wurde. Ab diesem Zeitpunkt wurde eine Akte über ihn angelegt, Spitzel überwachten ihn auf Schritt und Tritt.

Keine Untermenschen

Schon bald nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 wurden polnische Zwangsarbeiter in die Gegend von Wermsdorf gebracht. „Sie waren schlecht untergebracht, bekamen sehr schlechtes Essen, wurden schlecht behandelt, mussten von früh bis spät schufteten, durften ihr Barackenlager in Mahles nicht verlassen, auch nicht am Sonntag, zur heiligen Messe“, berichtete Scheipers in einem Interview.

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Polnische Zwangsarbeiter. Schlecht untergebracht, schlecht verpflegt, schlecht behandelt.

„Ich habe mir damals gesagt: das sind keine Untermenschen, sie sind genauso Gotteskinder, wie die Deutschen. Wenn sie nicht zu mir dürfen, dann gehe ich eben zu ihnen, um den Gottesdienst zu feiern. Ich sprach kein Polnisch, aber ich hatte dort einen guten Übersetzer.“

Sein Mut wurde ihm zum Verhängnis. Am 4. Oktober 1940 kam die Gestapo. In der Begründung des Haftbefehls hieβ es: „Scheipers gefährdet die Sicherheit von Staat und Volk durch seinen freundlichen Umgang mit Vertretern einer feindlichen Nation“.

Das Grauen von Dachau

“Beim ersten Lagerappell in Dachau“, erinnerte sich Scheipers später, „wollte der SS-Mann wissen, warum ich hier sei. Ich habe geantwortet: »Wegen freundschaftlichen Umgangs mit Polen.« Daraufhin fragte der Wachmann: »Und wie alt war das Mädchen?«“

Priester wurden überwiegend in das Konzentrationslager im bayerischen Dachau eingewiesen. Im sogenannten Priesterblock waren 2720 katholische, evangelische und orthodoxe Geistliche aus ganz Europa untergebracht. 1780 von ihnen waren Polen. 1034 Geistliche überlebten Dachau nicht, davon stammten 868 aus Polen. Mehr dazu lesen Sie bitte hier.

Scheipers blieb in Dachau bis Ende April 1945, als es ihm gelang im Durcheinander der letzten Kriegstage zu flüchten. Seitdem legte er unermüdlich Zeugnis ab vom Grauen, das er selbst erlebt hatte und das er mitansehen musste.

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Pfarrer Alois Anditzki (1914-1943).

Anfang 1943 lag er zusammen mit dem sorbischen Priester Alois Andritzki in der Baracke für Typhuskranke. Im Sterben liegend, bat Andritzki einen Häftlingspfleger, ihm einen Priester zum Spenden der Heiligen Kommunion zu rufen und wurde von diesem mit den Worten: „Christus will er? Eine Spritze kriegt er!“ durch eine Giftinjektion getötet. Das berichtete Scheipers bei dem im Juli 1998 eröffneten Seligsprechungsprozess Andritzkis.

Den Roten ein Dorn im Auge

Nach dem Krieg kehrte Scheipers umgehend nach Sachsen zurück und wurde Gemeindepfarrer in Wilsdruff. Dort gelang es ihm 1953 tatsächlich bei den Behörden die Baugenehmigung für eine neue Kirche zu erwirken, die den Namen des Hl. Papstes Pius X. trägt. Es war das erste neu errichtete katholische Gotteshaus in der DDR und für lange Jahre auch das letzte.

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Kirche in Wilsdruff.

Vor allem die Jugendarbeit des rührigen Pfarrers war den roten Behörden, wie Jahre zuvor bereits den braunen, ein Dorn im Auge. Als er Anfang der 90er Jahre in seine Stasiakte einsah, erfuhr er, dass man ihm in den 60er Jahren den Prozess wegen „staatsfeindlicher Betätigung“ machen wollte. Fünfzehn Stasi-IMs wurden angesetzt, um ihn auszuhorchen.

In Anerkennung seiner Verdienste für Polen zeichnete ihn 2013 Staatspräsident Bronisław Komorowski mit dem Kavalierskreuz des Verdienstordens der Republik Polen aus.

Hermann Scheipers starb im Alter von 102 Jahren als letzter lebender Priesterhäftling von Dachau. Er war dorthin gelangt, weil er als deutscher Pfarrer seinen polnischen Glaubensbrüdern als Seelsorger dienen wollte.

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