4.06.2022. Der Günstling geht von Bord. Donald Tusk verlässt Europa

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Die farblose Amtszeit von Donald Tusk als Chef der Europäischen Volkspartei geht zu Ende. Zwei Jahre vor dem Ablauf seiner Wahlperiode übergab Tusk auf dem EVP-Kongress in Rotterdam das Steuer an den CSU-Mann Manfred Weber. Ein deutscher Politiker beerbt einen deutschen Politiker ohne deutschen Pass.

Donald Tusk verdankte seine EU-Ratspräsidentschaft (2014-2019) und den anschließenden dreijährigen EVP-Vorsitz Angela Merkel. Ihre Gunst erwirkte er in seiner Zeit als polnischer Ministerpräsident zwischen 2007 und 2014 durch seine bis an die Selbstverleugnung gehende Deutschlandergebenheit.

Putin hofieren und die Ukraine ignorieren, Polen in die Energieabhängigkeit von Russland treiben, Nord Stream 2 gutheißen, die Amerikaner mit ihren Raketenschutzschild-Plänen aus Polen fortscheuchen. Für Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel und andere treue deutsche Russland-Partner war Tusk, „der Pflegeleichte“, wie ihn Der Spiegel seinerzeit beschrieb, ein nicht zu unterschätzender Handlanger, der im Gegenzug in der EU hoch hinaus wollte.

Tusk hatte sich die Verwirklichung seines Wunschtraums redlich erdient, ehe er 2014 nach Brüssel aufbrechen durfte. Das ohnehin schmale Fundament seiner europäischen Karriere begann 2021, nach dem Abgang der deutschen Gönnerin, sofort zu bröckeln. Deutschlandergebenheit ist seine größte politische Stärke, aber bei aller Anstrengung konnte er darin den macht- und postenhungrigen Manfred Weber aus dem bayerischen Niederhatzkofen fürwahr nicht überbieten.

Ohne Angela Merkel war es ein Leichtes, Tusk loszuwerden. Als EU-Ratsvorsitzender und als Chef der Europäischen Volkspartei hat er sich in der internationalen Politik keinen Namen gemacht. Stets erweckte er den Eindruck, am Nebentisch zu sitzen, ein Anhängsel des realen politischen Weltgeschehens zu sein. Er wurde wenig beachtet und kaum ernst genommen, genoss dafür im Stillen das Luxusleben eines Spitzenpolitikers mit etwa 25.000 Euro Monatsgehalt, saftigen Zulagen, drei Butlern, vier Fahrern und einem 30-köpfigen Sekretariat. Knapp zwei Millionen Euro soll Donald Tusk steuerfrei in Brüssel verdient haben.

Leer sind dagegen die Schubladen, die er als EU-Ratspräsident und EVP-Vorsitzender hinterlässt. Wie soll die heutige EU der 27 in der Zukunft funktionieren? Die EU-Erweiterung und ihr Tempo? Die EU-Einwanderungs- und Asylpolitik? Energiepolitik, Klimapolitik, Ostpolitik, usw.? Rien, wie Edith Piaf sang, mit anderen Worten: Nichts. Für das Vordenken und Machen war Angela Merkel zuständig. Ihr politischer Ziehsohn war in Brüssel in beiden Positionen schmerzlich vorhersehbar: Er tat nichts. So sollte es wohl auch sein.

Dafür war er geradezu hektisch aktiv auf Twitter, wo der eigentlich zur Neutralität verpflichtete oberste EU-Beamte durch seine bitterbösen Kommentare den innenpolitischen Konflikt in Polen kräftig aufmischte. Ab und zu tat er es auch vor Ort. Dafür war er seiner Patronin gut. Als ihm die polnische Regierung deswegen beim Antritt für die zweite Halbzeit als EU-Ratschef ihre Unterstützung verweigerte, warf sich Deutschland energisch ins Zeug und stellte eine breite Mehrheit für seine Wiederwahl auf die Beine.

Inzwischen hat Tusk seine Schuldigkeit getan. Er ist gut versorgt und soll gehen. Eine Verwendung auf EU-Spitzenposten-Niveau gibt es für ihn nicht mehr. Andere wollen schließlich auch mal.

Doch der durchtrainierte 65-Jährige hat keine Lust aufs Rentnerdasein. Nach etlichen verlorenen Wahlen seiner Partei seit 2015 will er es nun seinem Erzfeind Jarosław Kaczyński so richtig zeigen. Mit diesem Auftrag verlässt er auch den Brüsseler Olymp. Ursula von der Leyen gab ihn in diesen Tagen, per Twitter, Tusk noch einmal mit auf den Heimweg: „Lieber Donald, Du verkörperst unsere Werte. Nun kehrst Du in Dein Land zurück, um sie zu verteidigen.“

Seit knapp einem Jahr steht Tusk wieder an der Spitze seiner Partei, der Bürgerplattform. Der innenpolitische Blitzsieg nach der Rückkehr, den er sich erhofft hatte, blieb ihm versagt. Mühsam versucht er nun die Opposition in einem Block unter seiner Führung zu bündeln und den regierenden Nationalkonservativen ihren hohen Umfragevorsprung streitig zu machen. Beides bisher vergeblich.

Tusks radikale „Kaczyński muss weg“-Rhetorik, ohne auch nur den Ansatz eines überzeugenden, positiven politischen Programms, zieht nicht so recht. Die Pannen, Fehler und Unterlassungen aus seiner Regierungszeit werden hervorgeholt und untergraben seine Glaubwürdigkeit, ebenso wie seine Wutausbrüche auf Twitter.

Angela Merkel genießt, so gut es geht, ihren Ruhestand. Ihr einstiger Protegé, jetzt ganz auf sich gestellt, versucht sein Comeback und scheint dabei manchmal ziemlich überfordert zu sein. Der Ausgang der Parlamentswahlen im Herbst 2023 wird sein politisches Schicksal besiegeln. Ein schmerzhafter Absturz ist nicht ausgeschlossen.

RdP