4.01.2023. Was uns in Polen an Joseph Ratzinger so sehr gefiel

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Da reibt man sich die Augen und traut seinen Ohren nicht, aber offensichtlich geht es doch. Dieselben deutschsprachigen Medien, die den verstorbenen Papst Benedikt XVI. zu Lebzeiten auf das Gröbste in Verruf gebracht haben, üben sich jetzt in ihren Nachrufen in Zurückhaltung. Auch wenn sie ihm weiterhin ablehnend gegenüberstehen wägen sie ab, versuchen sein Denken und Handeln für ihre Abnehmer nachvollziehbar zu machen. Immerhin, sie haben die rhetorischen Knüppel und Keulen beisetegelegt.

Wo die Gründe für dieses späte Bemühen um elementare Fairness zu suchen sind, ob in den schlechten Gewissen oder in der späten Einsicht, dass es trotz allem einen herausragenden Deutschen zu verabschieden gilt, sei hier dahingestellt.

Denn Ratzinger war ein brillanter Denker, auch wenn sein Gedankengut heutzutage wenig Applaus finden mag. Es hat ihm dennoch viele Ehrungen, Auszeichnungen, Ehrendoktorwürden und Mitgliedschaften eingebracht. Der nach seinem eigenen Bekunden „religiös unmusikalische“ Philosoph Jürgen Habermas, setzte sich eingehend mit Ratzingers Denken auseinander. Im Jahr 2005 veröffentlichten die beiden gemeinsam das Buch „Dialektik der Säkularisierung“, das nach den vorpolitischen, ethischen Grundlagen des modernen Rechtstaates und seiner Macht fragt.

Nach seinem Tod tut man so, als wäre nichts gewesen, dabei war Joseph Ratzinger jahrzehntelang, gerade in Deutschland, Opfer einer medialen Lynchjustiz die ihresgleichen sucht.

Es sind sehr oft dieselben Redakteure, die ihn heute immerhin einen „herausragenden Theologen“ nennen, „einen Meister des geschriebenen Wortes“, dessen Tod „ein langes wie denkwürdiges Kapitel katholischer Kirchengeschichte beschließt“ usw., usf., und sich vorher im Ausdenken von brutal einprägsamen Spott- und Schmähnamen geradezu überboten: „Hardliner“, „Panzerkardinal“, „Großinquisitor“, „Spielball finsterer Mächte im Vatikanstaat“, reaktionär, weltfremd. Er sollte in der Öffentlichkeit als dogmatischer Finsterling erscheinen, als fundamentalistischer Gegner des Fortschritts, der den Menschen von heute nichts zu sagen hat.

Im Zusammenhang mit einem Missbrauchsfalll aus seiner Zeit als Erzbischof von München (1977-1982) sprachen ihn die Medien jüngst, knapp vierzig Jahre später, wegen Lüge und Vertuschung schuldig, ohne einen einzigen glaubwürdigen Beweis und ohne Gerichtsverfahren, nur anhand eines Gutachtens einer Rechtsanwalskanzlei. In Wahrheit führte Benedikt XVI. den Kampf gegen Missbrauch in der Kirche so rigoros und systematisch wie kein Papst vor ihm.

Im Kern ging es bei den Kampagnen gegen seine Person um den Versuch, seinen Charakter öffentlich hinzurichten. Man wollte sein theologisches Werk dauerhaft beschädigen und künftigen Generationen verleiden. Sein Denken wurde diffamiert, weil er nicht dazu bereit gewesen ist, das Wesen des katholischen Glaubens den wechselnden Moden einer postchristlichen Wohlstandsgesellschaft zu unterwerfen, so fortschrittlich sich diese auch geben mochte.

Ging es um philosophische oder wissenschaftliche Fragen, vertrat er die Überzeugung, dass Vernunft und Offenbarung zusammengehören, so, wie das Erforschen der Welt und das Vertrauen in die Schöpfung. Die reine Vernunft ohne Glauben werde kalt und herzlos, wie umgekehrt der Glaube ohne Vernunft blind und fanatisch werde. „Wenn es nicht das Maß des wahren Gottes gibt, zerstört sich der Mensch selbst.“

Der Theologe Ratzinger gewichtete ein hörendes Herz in Richtung Gott und ein demütiges Mitgehen mit der katholischen Tradition stets höher als weltliche Sinnangebote, die Weisheit der Bibel und der Kirchenväter höher als Technik und Wissenschaft, Sanftmut und Gebet höher als politische Programme.

Er hat weder an die Kraft eines atheistischen Humanismus noch an eine sittlich verbesserte Menschheit durch Technik und Wissenschaft geglaubt. Er setzte die Anwesenheit des Heiligen ganz selbstverständlich voraus und weigerte sich, das menschliche Dasein aufgehen zu lassen in der Banalität von Leistung, Konsum und Karriere. Die Sakramente der Kirche waren für ihn unverrückbar.

Ratzinger sah die Kirche als die einzige wirkliche Gegenkraft zu der immer weiter um sich greifenden Zivilisation des Todes, die „das Recht“ auf Euthanasie und „das Recht“ auf Abtötung des ungeborenen menschlichen Lebens auf ihren Fahnen trägt, und als die Gegenkraft zu den neuen Formen der modernen Tyrannei, die im Gewand des radikalen Genderismus, Ökologismus und vieler anderer utopischer „Ismen“ daherkommen.

Bescheiden und liebenswürdig im Umgang, blieb er unnachgiebig in der Sache. Seit 1981, als Präfekt der Glaubenskongregation, hatte er eine ganze Kette sehr schwieriger Auseinandersetzungen geführt, was ihm den Vorwurf der Intoleranz und des Mangels an geistigem Denkhorizont eingebracht hat. Er scheute keine Konflikte mit Hans Küng, Ernesto Cardenal, Leonardo Boff, Eugen Drewermann, Gotthold Hasenhuttl und anderen bekannten „Reformtheologen“.

Hinter Ratzinger stand der engagierte, aus den Sakramenten lebende, von der Tradition gestärkte Katholizismus, stand die Ordnung in der Lehre, der Liturgie und die Kirchendisziplin, die er aufrechterhielt, um den Zerfall und das Herüberwechseln der katholischen Kirche ins Protestantische zu verhindern. Die tiefe Krise des Protestantismus, der alle von der katholischen Kirche geforderten Reformen längst umgesetzt hat, gab ihm zusätzlich recht.

Theologen, gegen deren Lehren die Glaubenskongregation Einwände erhob, unternahmen alles, um die Medien und die öffentliche Meinung gegen den Präfekten aufzubringen. Fast jedes Mal versuchte die Presse zu beweisen, dass die Aktivitäten des von Kardinal Ratzinger geleiteten Amtes unter den Katholiken in der ganzen Welt angeblich kritische Stimmen provozieren würden.

Sie schrieben über den im Vatikan herrschenden „Geist der Arroganz“ und die „Diktatur Ratzingers“. Der schmächtige Kardinal und spätere Papst erinnerte daraufhin immer wieder daran, dass „die Freiheit der Theologie sich nicht in der Fantasie über Gott ausdrückt, sondern innerhalb des großen Rahmens bleiben muss, den das Wort Gottes vorgibt“.

Das alles machte Benedikt XVI. zu einem „Ärgernis“. Umso mehr, als er sich nicht beeindrucken ließ vom öffentlichen Druck gegen seine Person, vom Liebesentzug einer Gesellschaft, die als obersten Maßstab nur sich selber anerkennt.

Die Polen haben ihn in ihre Herzen geschlossen. Einen Deutschen, den mit dem polnischen Papst eine tiefe Freundschaft verband. Einen Deutschen der sich noch im hohen Alter die Mühe machte Polnisch zu lernen, um die Gläubigen bei seinem Besuch in Polen im Mai 2006 und bei den Generalaudienzen in Rom direkt ansprechen zu können. Einen Deutschen, der ihrem Gottvetrauen stets höchsten Respekt zollte. Einen Deutschen, den man einfach uneingeschränkt gern haben konnte. Uns wird er sehr fehlen.

RdP