Ein bekanntes Sprichwort sagt: „Es gibt nichts Schlimmes, was nicht gut ausgehen kann“. Das klappt nicht immer, aber manchmal zum Glück eben doch. Es kann also durchaus sein, dass es am Ende des gerade ausgebrochenen polnisch-israelischen Streits um die Wiederaufnahme israelischer Klassenfahrten nach Polen gelingt, eine neue Form für diese Reisen zu finden. Die bisherige ist aus polnischer Sicht unhaltbar.
Seit etwa 1988 bis zum Beginn der Corona-Pandemie kamen Jahr für Jahr Tausende israelischer Jugendlicher, um die Holocaust-Stätten in Polen zu besuchen. Sie kamen, besichtigten, was im Programm vorgesehen war, nahmen oft am Marsch der Lebenden in Auschwitz teil und reisten mit der Überzeugung ab, das „Land der Mörder“ besucht zu haben.
Auschwitz-Birkenau, Bełżec, Kulmhof, Majdanek, Płaszów, Sobibór, Stutthof, Treblinka und viele andere ehemalige deutsche Todeslager befinden sich auf polnischem Gebiet. Die Deutschen verwandelten das verkehrsgünstig gelegene, besetzte Polen in ein millionenfaches menschliches Schlachthaus. Sie karrten Juden aus Deutschland, Griechenland, Ungarn, Holland und weiß Gott woher heran, um sie im okkupierten Polen industriell umzubringen. Heutige Teenager, auch israelische, tun sich schwer mit solchen „Details“ wie der Tatsache, dass Polen besetzt war und seine Bewohner ebenfalls massenhaft ermordet wurden, unter anderem deswegen, weil sie Juden versteckt hielten, worauf nur im besetzten Polen automatisch die Todesstrafe stand.
Die jungen Besucher aus Israel sahen die Menschen, die heute rings um die Holocaust-Stätten leben, und an sie und ihre Vorfahren richteten sie ihre Vorwürfe. Sie sahen in ihnen die Täter oder zumindest wohlwollende passive Zuschauer des Holocaust.
Das war umso leichter, als sich die israelischen Ausbilder in Yad Vashem und die begleitenden Lehrer nicht sonderlich bemühten, den Kontext des Holocaust zu erläutern; mitunter entstand sogar der Eindruck, dass sie nichts dagegen hatten, dass die deutsche Täterschaft verdrängt oder verwischt wurde, während sie stillschweigend akzeptierten, dass die Polen als die Schuldigen hingestellt wurden. Umfragen jedenfalls, die unter den jungen israelischen Polen-Besuchern nach deren Rückkehr gemacht wurden, förderten teilweise Haarsträubendes zu Tage.
Verstärkt wurde diese Erscheinung durch die Besonderheit der Fahrten: Die Jugendlichen wurden von Agenten des israelischen Geheimdienstes geschützt. Die Busse waren streng bewacht, während der Fahrten durch Polen blieben die Gardinen zugezogen. In Zivil, jedoch mit Uzi-Maschinenpistolen bewaffnet und mit Diplomatenpässen ausgestattet, schritten die Bewacher sehr rüde ein. Sobald sie nur den geringsten Verdacht schöpften, waren sie mit Schlagstöcken, Handschellen oder gar mit der Waffe zur Hand. Schüsse fielen zum Glück nicht, aber zu Handgreiflichkeiten und teilweise erheblichen Körperverletzungen kam es immer wieder. Opfer waren ausnahmslos, so die polnischen Polizeiberichte, nicht etwa tätlich gewordene Antisemiten, sondern ahnungslose Passanten und Besucher von Gedenkstätten.
Es gibt einen Film, der auf YouTube zu sehen ist: „Defamation“. Der Regisseur, Yoaw Shamir, ist Jude und israelischer Staatsbürger; der Film selbst wurde auf Festivals mit vielen Preisen ausgezeichnet. Ein Teil dieses Werks ist einer israelischen Schülerreise nach Polen gewidmet. Shamir gelang es, seinen Kameramann mit versteckter Kamera als Betreuer mit auf die Fahrt zu schicken.
Wir beobachten also eine Gruppe von Kindern, die in einem Gefühl paranoider Bedrohung gehalten werden. Sie befinden sich in Polen in einem Land von Mördern, die ihre Vorfahren umgebracht haben, und sie wollen auch sie ermorden. „Entfernt euch nicht von der Gruppe, geht nicht außerhalb des Kreises der bewaffneten Wachen, verkehrt nicht mit den Einheimischen. Lasst auf keinen Fall zu, dass sie euch etwas geben, sie werden versuchen, euch zu vergiften.“
Die Jugendlichen wurden bereits in Israel vor jeglichen Kontakten mit der polnischen Außenwelt dringend gewarnt. Die Ausbilderin in Yad Vashem gibt in dem Film den Schülern folgenden Hinweis mit auf den Weg nach Polen: „Es werden Leute vom Sicherheitsdienst bei euch sein, damit ihr keine Berührung mit der einheimischen Bevölkerung habt. Ihr werdet auf Menschen treffen, die euch nicht mögen. Ihr werdet sehen, dass sie euch nicht mögen. Sogar heute mögen sie euch nicht.“
Frustriert verbrachten die jungen Israelis ihre Abende eingesperrt in Hotels, die sie nicht selten demolierten. Es entstand eine enorme, für zwölf- bis fünfzehnjährige Schüler geradezu unzumutbare emotionale Belastung, denn im Hintergrund wirkten die Bilder von Gaskammern, Krematorien und die Berichte von unsäglichen Grausamkeiten. Unter solchen Umständen kann man Polen nur hassen lernen.
Nach der Pandemie weigerte sich Warschau, die Reisen in ihrer alten Form fortzuführen, und bot den Israelis Verhandlungen an, die derzeit stattfinden.
Die polnische Position umschrieb unlängst der stellvertretende Außenminister Paweł Jabłoński.
Erstens: „Dass die Touren von schwer bewaffneten Wachen begleitet werden, vermittelt den Teilnehmern den falschen Eindruck, dass Polen ein gefährlicher Ort ist. Diese Behauptung entspricht in keinster Weise den Tatsachen.“
Zweitens: „Es ist nicht die Absicht Polens, Besuche israelischer Jugendlicher zu verhindern. Sie müssen jedoch zur Verbesserung der polnisch-israelischen Beziehungen beitragen und nicht, wie jetzt, zu deren Verschlechterung.“
Drittens: „Das Wissen um das tausendjährige, oft sehr gedeihliche polnisch-jüdische Mit- und Nebeneinander muss ein Teil des Besuchsprogramms sein. Polnische Reiseleiter und Einrichtungen, die sich um das jüdische Kulturerbe in Polen kümmern, müssen zur Vorbereitung und Durchführung der Fahrten herangezogen werden“.
Viertens: „Das Aufenthaltsprogramm muss Begegnungen mit polnischen Jugendlichen beinhalten.“
Es liegt an den Israelis, ob die Klassenfahrten zu den Holocaust-Gedenkstätten in Polen wieder aufgenommen werden. Und zwar ohne vorgehaltene Maschinenpistolen.
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RdP