Neue Angaben, alte Probleme.
Jedes Jahr, seit 1984, stehen an einem Sonntag im Oktober vor sämtlichen Kirchen in Polen Priester und erfassen nach der heiligen Messe mit mechanischen Handzählern, per Klick, jeden Gottesdienstbesucher. Bei der Zählung am 16. Oktober 2016 gab es wieder einmal etwas weniger Klicks als im Vorjahr.
Es soll stets ein gewöhnlicher Sonntag des Kirchenjahres sein, an dem die Erfassung durchgeführt wird, keiner der hohen kirchlichen Feiertage, an denen üblicherweise wesentlich mehr Menschen in die Gotteshäuser strömen.
Die Ergebnisse vom 16. Oktober 2016 wurden im Januar 2018 veröffentlicht. Gut ein Jahr benötigt das Statistische Institut der Katholischen Kirche (Instytut Statystyki Kościoła Katolickiego – ISKK) jedes Mal um diese und viele weitere Angaben aus allen 10.339 polnischen Pfarreien zu sammeln und zu verarbeiten. Das Ergebnis ist ein etwa sechzigseitiges „Statistisches Jahrbuch der Kirche in Polen“ („Annuarium Statisticum Ecclesiae in Polonia“).
Die Bilanz der letzten Zählung, die am 15. Oktober 2017 stattgefunden hat, wird dementsprechend erst im Januar 2019 bekannt gegeben.
Am Sonntag, dem 16.Okroiber 2016, für den die statistische Auswertung nun vorliegt, wurden im ganzen Land 47.979 heilige Messen gefeiert. Die Untersuchung bestätigte den bisherigen Trend. Die Zahl der Sonntagsmesse-Besucher (dominicantes) nimmt von Jahr zu Jahr langsam aber stetig ab. Im Vergleich zu 2015 kamen 2016 um die 3,1 Prozent weniger Leute zur Sonntagsmesse. Die Zahl derer, die die Kommunion empfingen (communicantes) sank um 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
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Während 1980 bis zu 51 Prozent der Gläubigen jeden Sonntag zur Messe erschienen, waren es 2003 noch 46 Prozent, 2013 noch 39,1 Prozent und 2016 genau 36,7 Prozent. Dennoch belegt Polen in dieser Hinsicht weiterhin, zusammen mit Malta, den ersten Platz in Europa. Zum Vergleich: in Deutschland liegt die Anzahl bei 10 Prozent, in Spanien bei 12 Prozent. In Irland, Portugal und Italien bewegen sich die Zahlen jeweils knapp unter 20 Prozent.
Trotz des Rückgangs 2016 kann man bei den leicht sinkenden Zahlen derer, die zur Kommunion gingen immer noch nicht von einer Tendenz sprechen. 1980 handelte es sich nur um 7,8 Prozent, 2016 waren es immerhin 16 Prozent der Kirchgänger.
Die Zählung bestätigte weiterhin, dass der Südosten Polens deutlich frommer ist als der Rest des Landes. Auch 2016 gab es die meisten Sonntagmesse-Besucher in den Diözesen Tarnów (66,9 Prozent), Rzeszów (60,5 Prozent) und Przemyśl (56,4 Prozent), in diesen Diözesen konnte sogar ein Anstieg um einige Prozentpunkte verzeichnet werden.
Etwas über dem Durchschnitt liegt Ostpolen mit den Diözesen Siedlce (46 Prozent), Drohiczyn (45,8 Prozent), Zamość-Lubaczów (45 Prozent) und Białystok (44,2 Prozent).
Am unteren Ende der Skala befinden sich die Diözesen im Westen und Nordwesten des Landes: Szczecin-Kamieniec (Stettin-Kamenz 22,7 Prozent), Koszalin-Kołobrzeg (Köslin-Kolberg 24,4 Prozent), Zielona Góra-Gorzów Wielkopolski (Grünberg-Landsberg a. d. Warthe 28,3 Prozent) und die zentralpolnische Diözese Łódź (Lodsch 23,4 Prozent).
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Knapp 80 Prozent der sonntäglichen Kirchgänger finden sich immer noch am Vormittag, zu den Messen zwischen 8 und 11 Uhr ein. Langsam wächst jedoch die Zahl derer, die die Gottesdienste ab 14.30 Uhr besuchen. Vor zehn Jahren waren es 13,5 Prozent, jetzt sind es 15 Prozent. Für gewöhnlich werden in den groβstädtischen Gemeinden Polens an Sonntagen bis zu zehn, an Arbeitstagen fünf Messen zelebriert. In kleineren Orten sind es weniger.
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Die meisten Kommunionempfänger (communicantes) wurden in den Diözesen Tarnów (22,7 Prozent), Opole (Oppeln 21,1 Prozent) und Zamość-Lubaczów (20,1 Prozent) gezählt. Die wenigsten in den Diözesen Sosnowiec (Sosnowitz 10,3 Prozent), Szczecin-Kamieniec (Stettin-Kamenz 10,5 Prozent) und Koszalin-Kołobrzeg (Köslin-Kolberg 10,5 Prozent).
Im Jahr 2016 ließen sich knapp 137.000 Paare katholisch trauen. Knapp 375.000 Kinder wurden getauft (ein Plus von 5.000 gegenüber dem Vorjahr). Getauft werden in Polen zwischen 95 und 97 Prozent aller Neugeborenen. Seit Jahrzehnten ändert sich nichts an dieser Tatsache.
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Die Erstkommunion erhielten knapp 285.000 Kinder (gut 10.000 mehr als in 2015), die Firmung 299.000 (gut 5.000 weniger als in 2015). Etwas mehr als 75 Prozent aller Getauften lassen sich ebenfalls firmen.
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Polen ist in 41 Diözesen aufgeteilt. Die bevölkerungsreichsten unter ihnen sind: Katowice (Kattowitz 1,7 Millionen Einwohner), Warschau 1,7 Millionen (diese Diözese umfasst nur die Stadt auf dem westlichen Ufer der Weichsel sowie deren Vororte, der östliche Stadtteil mit Vororten bildet die Diözese Warschau-Praga) und Kraków (Krakau 1,6 Millionen Einwohner). Die geringste Bevölkerungszahl haben die Diözesen Drohiczyn (246.000), Białystok (452.000) und Ełk (Lyck 459.000).
Den Hirtendienst versahen 2016 in Polen insgesamt 25.016 Priester. Die meisten von ihnen sind in den Diözesen Tarnów (1.559), Kraków (1.182) und Katowice (1.071) tätig. Die geringste Anzahl an Priestern gibt es in den Diözesen Drohiczyn (183), Elbląg (Elbing 273) und Ełk (Lyck 274).
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An Diözesan-und Ordenspriesterseminaren studierten 2016 insgesamt 3.399 angehende Priester.
In 2.218 Klöstern lebten 18.197 Schwestern, die einem der 104 in Polen tätigen Frauenorden angehören. Die gröβten Frauenorden in Polen sind: die Dienerinnen der Unbefleckt Gezeugten Heiligen Jungfrau Maria (888 Nonnen), die Schwestern von der heiliegen Elisabeth (858) und die Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul (762).
Die Zahl der Männerorden betrug 58. Ihnen gehörten 11.942 Mönche an, von denen 3.252 im Ausland tätig waren. Die gröβten männlichen Ordensgemeinschaften in Polen sind die Franziskaner (1.303 Mitglieder), die Salesianer (1.058) und die Pallottiner (953).
Was ist davon zu halten
Die neueste Erhebung wurde in Polen vielfach gedeutet und kommentiert. Die Kommentare aus dem linken Spektrum waren vorhersehbar. So dreht sich nun mal das Rad der Geschichte, hieβ es. Schuld seien der Zölibat, die Weigerung Frauen zum Priesteramt zuzulassen, die Ablehnung der „Homoehe“ usw., usf.
Wie reagierten die Betroffenen? Hier die Äuβerungen von zwei führenden katholischen Publizisten des Landes.
»Wir machen weiter«
Pfarrer Marek Gancarczyk, bis Mitte Januar 2018 Chefredakteur des auflagenstärksten Wochenmagazins Polens, des katholischen „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“).
Wird eine Zeit kommen, in der die Zahl der sonntäglichen Kirchgänger wieder steigt? Bis jetzt gibt es keinen Grund zur Freude. Seit beinahe vierzig Jahren fällt die Zahl der Teilnehmer an der sonntäglichen Eucharistie kontinuierlich. Es gab in diesem Zeitraum auch einige Zuwächse, wie in den Jahren 1997/1998 sowie 2006/2007, aber die langfristige Tendenz ist stabil – wir in Polen gehen seltener in die Kirche.
Ja, gewiss. Die gewaltige Auswanderung auf der Suche nach Arbeit in den letzten zwei Jahrzehnten tat das ihre, ebenso die verbreitete Sonntagsarbeit. Es stimmt auch, dass alle soziologischen Untersuchungen ergeben, dass die meisten Polen, auch wenn sie seltener in die Kirche gehen, der christlichen Tradition verbunden bleiben, den katholischen Glauben als einen wichtigen Bestandteil der polnischen Identität betrachten.
Des Weiteren stimmt es, dass die Kirchen bei uns immer noch so voll sind, wie nirgendwo sonst in Europa. Das gemeinsame Rosenkranzbeten an den Grenzen im Herbst 2017. Die riesigen Dreikönigsumzüge im ganzen Land. Die Kirche in Polen legt immer noch eine erstaunliche Vitalität an den Tag.
Ja, fast alle polnischen Säuglinge werden getauft. Gleichzeitig gibt es seit knapp dreiβig Jahren wieder Religionsunterricht in den Schulen. Und?
Das alles, was ich gerade als Ermunterung erwähnt habe, ist nur ein schwacher Trost. Wenn es so weiter geht, werden auch wir eines Tages auf dem Niveau
Deutschlands, Frankreichs oder Dänemarks landen. Hinter den neuesten trockenen Statistikzahlen stehen konkrete Entscheidungen von Millionen von Menschen für und gegen den Glauben.
Manchmal überkommt mich der Eindruck, dass sich auch bei uns hie und da eine Art Einsicht in eine angebliche historische Unvermeidlichkeit breit macht. Überall gibt es eine Abwendung von der Kirche, auf Dauer kann man sich dem auch bei uns nicht entziehen. Doch, man kann und man muss. Wir müssen. Wir machen weiter. Die weiβe Fahne wird nicht aus dem Fenster gehängt, so Gancarczyk.
»Nichtgläubige Katholiken, gläubige Atheisten«
Tomasz P. Terlikowski legte seine Sichtweise der Dinge in der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) dar.
Den Jubelruf, schreibt Terlikowski, der aus den Kehlen weltlicher Kommentatoren drang, nachdem die Kirche zugegeben hatte, dass die Zahl regelmäβig praktizierender Katholiken zurückgeht, konnte man wahrscheinlich noch in Tibet hören. Sofort traten Fachleute auf den Plan, die versicherten, dass die gesunden, reichen und glücklichen EU-Polen keinen Gott mehr brauchen. (…)
Nichts Neues
Dabei sind die Ergebnisse der Untersuchung, seiner Meinung nach, keineswegs überraschend. Die Jahre atheistischer und laizistischer kommunistischer Propaganda, der Konsum der nachkommunistischen Zeit haben das ihre getan.
Zudem sind die nichtgläubigen Protest-Kirchgänger, von denen wir so viele in der kommunistischen Zeit hatten, endlich zu der Überzeugung gekommen, dass die Teilnahme an der Messe, wenn man weder an die Wiederauferstehung Jesu Christi noch an den Heiligen Geist glaubt, schlicht und einfach hirnrissig ist. Genauso gut, ja sogar viel besser, kann man diese Zeit beim Einkaufen oder beim Training verbringen.
Terlikowski erinnert in diesem Kontext an Untersuchungen aus dem Jahr 2013, aus denen hervorging, dass an die Auferstehung Christi lediglich 47 Prozent der Polen glauben, an den Heiligen Geist als dritte Person der göttlichen Trinität 40 Prozent, an die Unsterblichkeit der Seele 39 Prozent, an die unbefleckte Empfängnis 38 Prozent.
Diese Untersuchung belegt, dass in etwa 39 bis 40 Prozent der Polen Katholiken sind. Der Rest bekennt sich zu einer eigenen Religion, die mit dem Christentum (und ganz sicher mit dem Katholizismus) wenig gemein hat. „Das bitte ist keinesfalls die Meinung eines religiösen Fanatikers, sondern eine schlichte Tatsachenfeststellung“, schreibt der Autor.
Christentum ohne Wiederauferstehung ist wie alkoholfreier Wodka
„Stellen wir uns einen Atheisten vor, der versichert, dass er an Gott glaubt. Was würden wir über ihn sagen? Die Antwort ist einfach: wir würden sagen, er sei kein Atheist. Genauso ist es mit „Katholiken“, die weder an die Auferstehung noch an die unbefleckte Empfängnis glauben. Sie sind wie die Atheisten, die an Gott glauben oder wie diejenigen, die sich zum alkoholfreien Wodka bekennen (das Christentum ohne Wiederauferstehung macht genauso viel Sinn wie der alkoholfreie Wodka).
Diese Menschen, egal wie sie sich selbst bezeichnen, sind keine wirklichen Katholiken und es ist gut so, dass sich das in der Teilnahme an den heiligen Messen widerzuspiegeln beginnt. Dank dessen, beginnen die Gläubigen zu verstehen, dass der Wunschtraum von einem Land, das das Evangelium von Jesus Christus nach auβen trägt und selbst keine Evangelisation braucht, ins Reich der Märchen gehört.
Die Kirche muss sich dessen dringend bewusst werden und Schlüsse daraus ziehen. Diese Schlüsse indes sind offensichtlich: man muss das ganze Evangelium verkünden, ohne es zu „verdünnen“ oder an den jeweiligen Bedarf „anzupassen“. Man kann nämlich nicht teilweise Katholik sein, genauso wie man schlecht halbwegs schwanger sein kann“, beschlieβt Terlikowski seinen Text.
RdP