14.04.2022. Fehl am Platze. Steinmeier in Kiew

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Mit ausgesprochener Herzlichkeit begrüßte Wolodymyr Selenskyj die Staatspräsidenten Polens und der drei baltischen Staaten in Kiew. Lachende Gesichter, Umarmungen und fünf miteinander verflochtene Hände ergaben symbolträchtige Medienbilder mit einer eindeutigen Aussage. „Die Ukraine fühlt sich von euch stark und zuverlässig unterstützt. Mit Partnern wie euch werden wir siegen“, sagte Selenskyj.

Auch der deutsche Bundespräsident wollte mit von der Partie sein. Doch offensichtlich war er, nach Meinung des Gastgebers, in dieser Runde fehl am Platze und wurde ausgeladen. Dieser Affront empört viele Deutsche. Deutschland wurde brüskiert und gekränkt, heißt es in den Medien.

Bei so viel Verbitterung könnte der Versuch, sich in die Lage der Ukrainer zu versetzen, heilsam wirken. Seit Wochen bitten, betteln, schimpfen Selenskyj und sein Botschafter in Berlin, Melnyk, Deutschland möge seiner von Kanzler Scholz im Bundestag mit feierlicher Ergriffenheit verkündeten Zeitenwende endlich Taten folgen lassen: schwere Waffen liefern, Sanktionen gegen Russland verschärfen. Vergeblich.

Deswegen sollte dringend der deutsche Kanzler nach Kiew reisen, und zwar mit konkreten Zusagen. Herr Scholz telefoniert jedoch offensichtlich lieber mit Putin.

Fahren wollte Frank-Walter Steinmeier, der jedoch, erstens, nichts von dem mitbringen konnte, was die Ukraine gerade braucht, stattdessen sollte es einen warmen Händedruck geben, der vor allem ihn selbst gut aussehen ließe. Und der, zweitens, wie kaum ein anderer, als ehemaliger Chef des Bundeskanzleramtes und Außenminister, für die verfehlte deutsche Russlandpolitik der vergangenen Jahre steht.

Und hierin besteht der Affront aus ukrainischer Sicht. Nicht die Absage an Steinmeier belastet die ukrainischen Beziehungen mit Deutschland, sondern die über Jahre falsche und heute ungenügende Ukraine-Politik Deutschlands. Statt endlich seinen Solidaritätsversprechen gerecht zu werden, schickt Deutschland ausgerechnet den einstigen Lawrow-Vertrauten und Putin-Versteher Steinmeier, damit der seine symbolische Läuterung vor der Kulisse der Kiewer Kriegslandschaft und mit dem ukrainischen Präsidenten als Nebendarsteller inszenieren kann. Ein netter Händedruck der beiden hätte das falsche Signal gesendet, dass schon alles in Ordnung ist und sich gar nicht mehr so viel ändern muss. Dass Selenskyj dabei nicht mitmachen wollte, leuchtet ein. 

Noch mehr Deutsche werden jetzt der Meinung sein, dass sich die Ukrainer Deutschland gegenüber unverschämt benehmen. Dass sie allmählich auch einmal dankbar sein könnten. Dass ihr Botschafter zu heftig vom Leder zieht, ihr Präsident immer nur ermahnt und fordert. Dass das ganze Land lieber weiterkämpft und dafür Waffen haben will, statt endlich einzusehen, dass man Wladimir Putin einen gesichtswahrenden Ausweg bieten muss und es mit Waffen keinen Frieden geben kann.

Traurig stimmt die selbstgewisse Überheblichkeit, mit der nicht wenige in Deutschland, nach zwanzig Jahren verfehlter Russland- und Ukraine-Politik, den Ukrainern jetzt schon wieder erklären wollen, was für ihr Land das Beste ist. Diese verfehlte Politik beinhaltete auch die Nichtbeachtung der Sorgen und Ängste der Staaten Ostmitteleuropas, das Ignorieren der eigenen Nato-Verpflichtungen, die sträfliche Vernachlässigung der Bundeswehr.

Jetzt steht den Ukrainern das Wasser bis zum Hals. Es geht um alles, um Sein oder Nichtsein. Der Ertrinkende ruft nach Hilfe, aber er soll, bitte schön, auf die Befindlichkeiten der Deutschen Rücksicht nehmen, damit sie, wie kleine Kinder, bloß nicht bockig werden.

Steinmeier-Eklat? Entscheidend ist nicht, wer, wem, wo die Hände schüttelt, sondern ob es der Ukraine gelingt, ihre Freiheit zu bewahren. Die Zeit drängt. Praktische Solidarität mit den Opfern tut not. Sie ist tausendmal wichtiger als ein protokollarischer Affront, über den Deutschland einfach hinwegsehen sollte.

RdP