Ein Jude, der Polen liebte

image_pdfimage_print

Am 22. September 2022 starb Edward Mosberg.

Das polnische Verdienstkreuz am Band trug er mit aufrichtigem Stolz bei jedem öffentlichen Auftritt. Edward Mosberg war Jude, Holocaustüberlebender, amerikanischer Geschäftsmann und ein unverbrüchlicher polnischer Patriot. 

Unverbrüchlich heißt nicht, unkritisch. Im Januar 2018 verabschiedete der Sejm eine Novelle zum Gesetz über das Institut des Nationalen Gedenkens (IPN, in etwa vergleichbar mit der deutschen Gauck-Behörde). Die Novelle sah sinngemäß vor, dass jeder, der öffentlich und faktenwidrig unterstellt, die deutschen Naziverbrechen seien vom polnischen Staat oder Volk begangen worden, zu einer Geld- oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt werden kann.

Edward Mosberg beim Marsch der Lebenden im ehemaligen Stammlager Auschwitz im Mai 2019.

Nie um ein deutliches Wort verlegen

Dazu ein Fragment eines Interviews mit Mosberg im polnischen Wochenmagazin „Sieci“ („Netzwerk“) im Frühjahr 2018:

„Letzte Woche haben Sie sich mit Premierminister Mateusz Morawiecki getroffen.

Es war ein sehr angenehmes Treffen. Er ist ein sehr netter Mann. Ich erzählte ihm mein Leben, meine Geschichte. Ich habe ihm auch meine Meinung über das IPN-Gesetz mitgeteilt. Ich habe gesagt, dass mit diesem Gesetz Spannungen zwischen Polen und der ganzen Welt aufgebaut wurden. Es sollte geändert werden, damit Frieden herrscht.

Mit diesem Gesetz wollte Polen gegen das ständige Gerede von „polnischen Todeslagern“ vorgehen. Das war das wichtigste und im Grunde einzige Ziel.

Es gab keine „polnischen Todeslager“, es waren alles deutsche! Trotz des Geredes war dieses Gesetz nicht zwingend notwendig.

Wie hat der Premierminister auf Ihre Worte reagiert?

Er hat sie zur Kenntnis genommen. Er hat mehr Zeit mit mir verbracht, als geplant war. Ich habe dem Premierminister erklärt, dass es notwendig ist, aus der Sache herauszukommen und etwas zu unternehmen.“

Mosbergs geliebtes Polen nahm Schaden, also musste er unbedingt etwas dagegen unternehmen. Das Gesetz war nicht sinnvoll und wurde letztendlich aufgehoben, wozu auch er seinen kleinen Beitrag geleistet hat.

Doch auch darüber hinaus gab es für ihn viel Anlass, offen zu sagen, was Sache ist. So unter anderem im Februar 2019. Damals hatte sich der israelische Außenminister Israel Katz dazu verstiegen, die Worte des israelischen Premierministers Yitzhak Shamir aus dem Jahr 1989 öffentlich zu zitieren, die Polen hätten „den Antisemitismus mit der Muttermilch aufgesogen“. Mosbergs Kommentar dazu in der „Times of Israel“: Katz sei ein „dummer Idiot“, weil er Polen beleidigt. „Leider“, so Mosberg, „gibt es gegen Dummheit keine Medizin“.

Der Entschluss Warschaus, daraufhin alle offiziellen Kontakte mit Israel einzufrieren, war in seinen Augen das einzig Richtige, was die Polen tun konnten. „Das soll andauern, bis Katz sich entschuldigt oder aus der Regierung geworfen wird“. Jetzt ist Mosberg gestorben und das mühsame Aufräumen des vielen damals zerschlagenen politischen Porzellans in den israelisch-polnischen Beziehungen ist lange noch nicht beendet.

Edeks Martyrium

Edward Mosbergs Geburtsstadt war Kraków, wo er 1926 in einer vermögenden, weitgehend polonisierten jüdischen Kaufmannsfamilie zur Welt kam. Edwards Eltern betrieben ein Kaufhaus. Die sorgenfreie, glückliche Kindheit in der ehrwürdigen polnischen Königsstadt prägte ihn bis an sein Lebensende. Polen war seine Heimat, die polnische Kultur und Tradition sein Milieu.

Familie Mosberg vor dem Krieg in Kraków. Nur Edek (l.i.B) hat überlebt.

Nach dem deutschen Einmarsch begann auch für den 13-jährigen Edek das Martyrium. Der gesamte Familienbesitz ging an einen deutschen „Treuhänder“ über. Vater Mosberg wurde eines Tages auf offener Straße aus nichtigem Grund von einem uniformierten Deutschen ermordet. Die übrige Familie, darunter die Großeltern, die Mutter und zwei Schwestern, musste im September 1941 ins Krakauer Ghetto. Während der stufenweisen brutalen Auflösung des „Jüdischen Wohnbezirks“ wurde die Familie durch Deportationen auseinandergerissen. „Außer mir“, so Mosberg, „wurden alle Übrigen von den Deutschen in den deutschen Todeslagern ermordet. Meine Großeltern in Bełżec, meine Mutter in Auschwitz, die Schwestern in Stutthof“.

Er selbst kam ins Konzentrationslager Plaszow vor den Toren Krakaus. Es war vor allem eine Durchgangsstation für Juden aus Krakau und Kleinpolen zur weiteren Deportation, deren Ziel meist Auschwitz-Birkenau war. „Ich habe in Plaszow im Büro des Lagerkommandanten, des SS-Hauptsturmführers Amon Göth, gearbeitet“, berichtete Mosberg. „Ich kann von großem Glück sprechen, dass ich überlebt habe, denn vor der Bestie Göth war niemand sicher“.

Das Konzentrationslager Plaszow 1942.

Das heute wenig bekannte Lager umfasste 80 Hektar und beherbergte zeitweise zwanzigtausend Häftlinge. Etwa einhundertachtzig Baracken waren von einem Stacheldrahtzaun umgeben. Ungefähr 8.000 Menschen wurden in diesem Lager ermordet, die überwiegende Mehrheit von ihnen Juden, aber auch eine kleine Gruppe von Polen.

Göth wohnte in einer Villa auf dem Gelände des Lagers. Er hatte mehrere Pferde und Autos. Mosberg berichtete, wie Göth es genoss, durch das Lager zu reiten, oder wie er mit seinem BMW rasend schnell durch die Gegend fuhr. Seinen beiden Hunden hatte er beigebracht, auf Kommando nach Menschen zu schnappen. Göth verwaltete nicht nur das Lager, er ermordete selbst auf grausame Weise Häftlinge und nutzte jede Situation, um Menschen zu töten.

Mosberg sah wie er eine ausgehungerte Gefangene erschoss, als er bemerkte, dass sie Kartoffeln aus dem Schweinefutter herauslas. Es sind Fälle bekannt, in denen Göth die Hinrichtung ganzer Arbeitskommandos anordnete, nur weil man bei ihnen Essen von außerhalb des Lagers fand. Mosberg war Zeuge, wie Göth seine Schießkünste vervollkommnete, indem er aus dem Autofenster oder vom Balkon seiner Villa auf Gefangene schoss. Er brachte eigenhändig mindestens 500 Menschen um.

Plaszow-Lagerkommandant Amon Göth mit seinem „Jagdgewehr“.

Anfang 1944 wurde Mosberg nach Österreich verlegt und arbeitete als Zwangsarbeiter im KZ Mauthausen-Gusen und in den Hermann-Göring-Stahlwerken in Linz. Während seiner Inhaftierung trug er die Lagernummer 85454. Beim dortigen Kriegsende, am 5. Mai 1945, brachte man ihn mit einigen Hundert anderen Häftlingen in eine Höhle, die durch Dynamitladungen gesprengt werden sollte, was jedoch nicht geschah.

Mosberg kehrte zurück nach Krakau. Der einzige Mensch aus dem jüdischen Milieu, den er aus der Vorkriegszeit kannte und den er dort traf, war die junge Cesia Storch, die mit Edeks Schwestern nach Stutthof deportiert worden war. Auch sie hatte alle Angehörigen verloren. Die beiden heirateten und blieben ein Ehepaar bis zu ihrem Tod im Jahr 2020. 

Flucht vor dem Kommunismus

Das Nachkriegselend, die Vereinsamung und der von den Sowjets nach Polen gebrachte und immer weiter um sich greifende kommunistische Terror bewegten das Paar zur Ausreise. Mosberg hatte wegen seiner „bürgerlich-kapitalistischen“ Herkunft, als ein „klassenfremdes Element“, ohnehin keine guten Chancen in der neuen, sozialistischen Gesellschaft Fuß zu fassen. Zudem wollte er Geschäftsmann werden, was in der kommunistischen Planwirtschaft, die keine „Privatinitiative“ duldete, nicht zu verwirklichen war.

Edward Mosberg mit Ehefrau Cesia (später Cecile).

Die beiden entschlossen sich auszureisen. Noch hatte sich der Eiserne Vorhang nicht endgültig über Osteuropa gesenkt, noch wurde die Tätigkeit verschiedener jüdischer „Auswandererkommitees“ mit Verbindungen nach Westeuropa und in die USA toleriert. Die Mosbergs gelangten 1947 nach Belgien. 1951 machten die kommunistischen Behörden die Grenzen endgültig dicht.

Mit zehn Dollar in der Tasche gingen die Mosbergs im selben Jahr in den USA an Land. Dort ließen sie sich zuerst in Harlem, New York, nieder und dann in Union County, New Jersey. Sie bekamen drei Töchter. In den USA arbeitete Edward Mosberg in verschiedenen Berufen, hatte schließlich in der Immobilienbranche Erfolg und wurde wohlhabend. Er besaß die polnische und die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

Die Großfamilie Mosberg in den USA. Edward hatte drei Töchter, sechs Enkelkinder und vier Urenkel.

„Ich weiß wie es war“ 

Die letzten etwa dreißig Jahre seines Lebens widmete der pensionierte Unternehmer dem Gedenken an den Holocaust. Seine starke Persönlichkeit und eine geradezu eiserne Kondition trugen wesentlich dazu bei, dass seine Stimme gut hörbar war. Seine ungebrochene Bereitschaft Polen und die Polen vor ungerechten, verallgemeinernden Anschuldigungen in Bezug auf den Holocaust, die in der jüdischen Diaspora in den USA, in Israel und in Deutschland erhoben wurden, in Schutz zu nehmen, machten ihn in Polen bekannt, sorgten für Respekt und Anerkennung.

Staatpräsident Andrzej Duda begleitet Edward Mosberg beim Marsch der Lebenden im April 2022. Hier im Innenhof des Todesblocks von Auschwitz, wo Massenerschießungen stattfanden.

„Ich habe vor dem Krieg in Polen gelebt, ich habe den Krieg in Polen erlebt, ich weiß wie es war. Es war so…“. So begannen meistens seine Klarstellungen, Kommentare und Appelle, die er vor den Medien, stets an seiner Jacke und Mütze als Holocaustüberlebender zu erkennen, preisgab. Glaubwürdigkeit konnte man ihm nicht absprechen.

Edward Mosberg war ein großer polnischer Patriot. Ich kenne keine andere Person aus der Gemeinschaft der Holocaustüberlebenden, die die Polen und Polen mit solcher Entschlossenheit verteidigen würde. Trotz der Tatsache, dass er Angriffen aus verschiedenen Kreisen ausgesetzt war, hat er sich immer für Polen eingesetzt, davor habe ich den größten Respekt“, sagte Staatspräsident Andrzej Duda, als ihn die Nachricht von Mosbergs Tod in New York, während er an der UN-Vollversammlung teilnahm, erreichte.

Edward Mosberg und Staatspräsident Andrzej Duda pflegten einen sehr herzlichen Umgang. Hier beim Treffen im Präsidentenpalast im September 2021.

Andrzej Duda und seine Ehefrau Agata unterbrachen ihr offizielles Programm in New York und fuhren nach New Jersey, um an den Trauerfeierlichkeiten teilzunehmen. Dort gab Duda bekannt, Mosberg posthum das Großkreuz des Verdienstordens der Republik Polen verliehen zu haben. Das Kommandeurskreuz desselben Ordens hatte er bereits 2019 erhalten.

„Die Türen des Präsidentenpalastes“, so Duda am Sarg des Verstorbenen, „standen Edward Mosberg immer offen.“ Er erinnerte daran, dass er Mosberg 2022, bei seinem letzten Marsch der Lebenden in Auschwitz begleitet hatte. „Er bat mich Anfang dieses Jahres, mit ihm am Marsch der Lebenden in Auschwitz teilzunehmen. Ich habe sofort zugesagt, weil ich befürchtete, dass das sein letzter Marsch der Lebenden sein könnte.“

Er habe geplant, so Duda weiter, Mosberg während seines Besuchs in den USA zu treffen. „Wir waren im polnischen Generalkonsulat in New York verabredet, wir hatten einen Termin. Leider hat ihn die Verschlechterung seines Gesundheitszustands daran gehindert zu kommen. (…) Seine letzten Worte, die er vor zwei Tagen mit sehr schwacher Stimme am Telefon an uns richtete, waren: »Ich liebe Polen«“.

© RdP