Beten und bewegen im Land menschenleerer Kirchen

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Leid und Erfolg eines polnischen Pfarrers in Frankreich.

Waren Sie oft soweit, dass Sie nur noch Ihre Koffer packen und weg wollten?

Ja, viele Male, und viele Male habe ich innerlich gerufen: „Herr, hier kann man nichts mehr ausrichten. Ich habe keine Ideen mehr.“
Schon der Anfang war schwierig. Die Sprachbarriere: ein Priester aus Oberschlesien soll sich mit in Cannes geborenen Franzosen verständigen. Ich fühlte mich sehr klein und auch die Leute haben es mich manchmal schmerzlich spüren lassen. In meinem Kopf hämmerte ständig die Frage: war das eine gute Entscheidung? Wenn jemand Zdzisław Brzezinka (fonetisch: Szislaw Bschesinka – Anm. RdP) heiβt, dann hat er in Frankreich keine guten Karten.

Für einen Franzosen unaussprechlich.

Sie fragten, ob es einen entsprechenden französischen Vornamen gibt. Gibt es nicht. Ich habe meinen Pfarrgemeindemitgliedern gesagt: „Ihr könnt Schislaf sagen“, aber dabei dachte jeder an „Ich habe Durst“ (Jʼai soif). In einer Regionalzeitung schrieben sie: „In seinem Namen und Vornamen kommt das „z“ viermal vor!“

ks. Zdzisław Brzezinka fot.
Pfarrrer Zdzisław Brzezinka.

Zuerst war ich in Cannes. Das ging noch. Viele Rentner, die regelmäβig zur Kirche gingen. Es war die Zeit der Gewöhnung an die neue Umgebung, des Erlernens der Sprache, der Kultur.

Die wahren Lehrstunden der Demut begannen, als ich eine Pfarrei übernehmen musste, die man unweit von Nizza aus fünf Kleinstädten zusammengelegt hat.

Wie wurden Sie empfangen?

Zur offiziellen Begrüβung des neuen Pfarrers und um die kleinen Kirchengemeinden in den einzelnen Orten vorzustellen, kamen nicht einmal dreiβig Leute. Und das aus einer Pfarrgemeinde, die zehneinhalbtausend Einwohner zählte. Hätte man sie nicht ausdrücklich darum gebeten, wären sie gar nicht gekommen. Sie hatten kleine Modelle ihrer Kirchen dabei und lasen das was sie sagen wollten vom Blatt ab. Sie redeten mich mit dem Vornamen meines Vorvorgängers an. Man sah, dass sie jeglichen Kontakt zur Kirche verloren hatten. Es war zum Heulen.

Doch der neue Gemeindepfarrer krempelte die Ärmel hoch und…

Es war ein verzweifeltes Anrennen gegen die Widrigkeiten, krampfhafte Versuche Anschluss zu finden. Ich bin zu allen möglichen Treffen gegangen, ich habe Nachbarn beim Umzug geholfen, ich habe mit Kindern Fuβball gespielt und mich ständig gefragt, was dieses Rumkaspern eigentlich mit Seelsorge zu tun hat?

Die Kirchen waren nur bei Beerdigungen voll, Anlässen die dort einen mehr gesellschaftlichen als religiösen Charakter haben. Ich habe versucht sie zu nutzen, um das Evangelium weiterzugeben, eine geistige Verbindung herzustellen. Es hat nichts gebracht. Wie oft habe ich damals in meinen Gebeten den Satz wiederholt: „Herr, ich weiβ nicht, was ich tun soll.“

Warum sind die Kirchen im Westen menschenleer geworden?

Es gibt viele Erklärungen dafür, aber ich habe keine schlüssige Antwort auf diese Frage und will auch nicht verallgemeinern. Die Suche nach den Ursachen endet meistens in Schuldzuweisungen an diese Menschen. Ich weiβ nicht warum die Kirchen verwaist sind, aber ich weiβ, dass Gott über allem seine schützende Hand hält.
Kardinal Jean-Marie Lustiger (1926-2007, Erzbischof von Paris – Anm. RdP), mit den Vorwurf konfrontiert, dass die katholische Kirche in Frankreich von Irrglauben und Irrlehren zersetzt wird, antwortete: „Das stimmt, aber wir waren die ersten, die angefangen haben nach einer Therapie gegen diese Krankheit zu suchen.“ Andere zu beschuldigen ist ein Ausdruck des Hochmuts. Ich habe das begriffen, als ich selbst glaubte in eine ausweglose Lage geraten zu sein.

Was hat das Fass zum Überlaufen gebracht?

Ich bin zu den Treffen der Equipes Notre-Dame gegangen, der einzigen geistlichen Gemeinschaft (von Ehepaaren – Anm. RdP), die es in unserer Pfarrgemeinde gab. Es war toll. Kaffeetrinken, Gelächter, nette Gespräche. Alles, auβer Gott. Irgendwann habe ich ihnen gesagt: „Entschuldigt bitte, aber ihr seid keine religiöse, geistliche Gemeinschaft“. Sie haben es mir sehr übel genommen. Ich ging nach Hause. Mir wurde bewusst: „Jetzt hast du die einzige Laiengruppe in deiner Gemeinde auseinandergejagt“. Das war keine einfache Zeit. Ich bekam Briefe. Ein Gemeindemitglied schrieb mir: „Welcher Satan hat Sie, Herr Pfarrer zu uns geschickt?“

Hat es weh getan?

Sehr. Ich fand keinen Schlaf mehr. Aber gerade diese Gemeinschaft schuf den Ansatz für die Erneuerung. Es war sehr schwer ihnen den lebendigen Glauben zu vermitteln. Der „Widerstand der Materie“ war am Anfang enorm. Doch die meisten dieser Leute, alle zwischen fünfunddreißig und fünfzig Jahre alt, erwiesen sich als musikalisch sehr begabt. Ich habe vorgeschlagen, dass sie in der Messe spielen und singen. Das kam sehr gut an! Es entstand eine Gruppe, die andere zum gemeinsamen Proben zu überreden begann. Nach und nach bekam ich in der Kirche neue Gesichter zu sehen.

Wie ging es weiter?

Ich habe mich auf den Alpha-Kurs besonnen (Näheres dazu hier – Anm. RdP). Ich kannte ihn von früher, aber erst in Frankreich habe ich erlebt, welch enorme Wirkung er hat. Am Anfang haben wir ihn für eine kleine Gruppe von „Eingeweihten“ gemacht. Ich beobachtete, wie er den Glauben, der in ihnen fast schon abgestorben war zum Aufblühen brachte.

Wie belebt man also eine Pfarrgemeinde, die dahinscheidet?

Ich habe alles getan, um die Menschen dort abzuholen wo sie standen, auch wenn das sehr weit weg von Gott gewesen ist. Ich habe mir aber auch geschworen, ich werde mich niemals verstellen, mich anbiedern, so tun, als sei ich kein katholischer Pfarrer. Ich habe nie die Soutane abgelegt, bin niemals in „zivil“ aufgetreten. Und auch wenn es manchmal sehr fehl am Platze zu sein scheint, du musst den Mut haben zum Wort Gottes zu stehen und es zu den Menschen zu tragen.

Wichtig war auch das Gefühl der völligen Ratlosigkeit, das mich immer wieder beschlich. In einer Umgebung, die dich entweder ablehnt oder der du gänzlich egal bist, bist du ja völlig allein. Du hast dann nur zwei Möglichkeiten: entweder du fasst Mut oder du packst deine Sachen und gehst. Mut fassen bedeutet, sich niemals verkriechen, von Unfreundlichkeiten abschrecken lassen. Auf die Menschen zugehen und reden.

Ich kann mich gut erinnern an meine erste Begegnung mit dem Bürgermeister des Städtchens, in dem ich wohnte. Er war ein eingefleischter Kommunist. Ich kam um die Ecke und stieβ beinahe mit ihm zusammen. Er wusste wer ich bin und sagte: „Seit acht Monaten hat es nicht geregnet. Diese Trockenheit wird uns vernichten. Könnten Sie, Herr Pfarrer, mit dem Chef darüber reden?“ „Mal sehen was sich machen lässt“, habe ich ihm geantwortet und ging meinen Weg. Am Abend begann es zu regnen und es goss die nächsten zwei Wochen lang in Strömen. Ich traf ihn etwa zehn Tage später. „Herr Pfarrer, es reicht!“, rief er mir von der anderen Straβenseite aus zu.

Sie haben versucht so viele persönliche Kontakte wie möglich zu knüpfen.

Ja, denn sonst hast du ein Amt und keine Pfarrgemeinde. Zu dem oberen Teil der Stadt führte eine lange Treppe. Dreihundert Stufen rauf und dreihundert Stufen runter, manchmal einige Male am Tag. Ich weiβ nicht, wie ich das überstanden habe.

Eines Tages war endlich der von allen langersehnte Fahrstuhl fertig. Nur, dass er ständig kaputt ging. Ich habe dem Bürgermeister vorgeschlagen, ich werde ihn weihen. „Das ist verboten!“, entgegnete er. „Trennung zwischen Kirche und Staat.“

Ich bin regelmäβig zu den Sitzungen des Stadtrates gegangen, denn oft wurden dort Dinge besprochen, die auch die Pfarrgemeinde betrafen. Sie waren sichtlich verunsichert durch meine Anwesenheit, haben sehr aufgepasst was sie sagten. Der Bürgermeister fragte mich manchmal nach meiner Meinung und grinste dabei verschmitzt. Es war wie bei Don Camillo und Peppone.

Im September fand die feierliche offizielle Einweihung des Fahrstuhls statt. Er wurde mit republikanischem Pomp (Hissen der Tricolore, Marseillaise, gespielt von der Feuerwehrkapelle, Ehrenformation mit vier Dorfgendarmen usw.) seiner Nutzung übergeben. Der Lift fuhr los, blieb aber in der Mitte seines Weges stehen und wollte nicht weiter. Ich habe mir jeden Kommentar verkniffen.

Im Oktober habe ich eine Prozession geführt. Es war eine der vielen Prozessionen, die das besondere Kolorit vieler französischer Kleinstädte ausmachen, aber eigentlich kaum etwas mit dem Glauben zu tun haben. Es ist nur noch Tradition, festliche Folklore, wenn man so will, eine touristischer Attraktion, bei der Atheisten die Figur der Muttergottes herumtragen, hinter der der kommunistische Bürgermeister mit aufgeblähter Brust und Schärpe herschreitet.

Ich ging voran, hinter mir die Menge. Plötzlich bin ich von der vorgegebenen Route abgebogen. „Was machen Sie, Herr Pfarrer!?“, der Bürgermeister war sehr beunruhigt. Ich bin direkt auf den Fahrstuhl zumarschiert. „Wenn ich das Städtchen segnen soll, dann werde ich auch dieses Wunderwerk der Technik weihen.“ Der Bürgermeister war sprachlos und ich habe Thérèse von Lisieux (Näheres dazu hier – Anm. RdP) zitiert, die gesagt hat, dass sie von einem Fahrstuhl träumt, der sie direkt in den Himmel bringt. Das kam bei den Franzosen sehr gut an.

Dann habe ich den Fahrstuhl geweiht und laut gesagt: „Na? Seht ihr wie wunderbar er jetzt funktioniert?“ Wie sie sich alle darauf gestürzt haben, um es zu überprüfen! Ich habe mich innerlich vor Lachen geschüttelt. Übrigens hat der Bürgermeister mir gegenüber unter vier Augen zugegeben, dass der Fahrstuhl seither problemlos funktioniert. „Gott hält über allem seine schützende Hand“, habe ich ihm darauf geantwortet. Er gab sich nachdenklich.

Wurden Sie tätlich angegriffen?

Eine Zeit lang kam eine Gruppe von Jugendlichen in die Nähe der Kirche, um Fuβball zu spielen. Immer wieder kickten sie den Ball gegen die Kirchenmauer, die Glasfenster waren in Gefahr. „Könnt ihr aufhören?“ „Wir sind keine Katholiken, wir sind Moslems.“ „Und was wäre, wenn ich den Ball gegen die Mauer eurer Moschee kicken würde?“ Ein Junge fuhr mit der Hand über die Kehle.

Ich habe seinen Vater getroffen. Wir haben uns in aller Ruhe unterhalten. „Sehen Sie, dass ist ein wichtiges Gebäude für uns, unser Heim. Wir leben in Frieden miteinander. Wozu das aufs Spiel setzen?“ Seitdem hörte das Kicken des Balls gegen die Kirchenwand auf, die Jungs grüβten mich mit „bonjour“.

Es ist glimpflich ausgegangen, aber wir sind auch zu der Kirche gefahren, in der Pfarrer Jacques Hamel ermordet wurde (Näheres dazu hier – Anm. RdP). Die Kirche ist von Blumen und Gittern umgeben. Blumen und Gitter, das ist das Janusgesicht der heutigen Lage vielerorts in Frankreich. Pfarrer Hamel war doch mit dem dortigen Imam befreundet, kannte viele moslemische Familien und wurde von zwei Fundamentalisten ermordet.

Bei einem meiner ersten Gespräche mit jungen Moslems im Städtchen habe ich gesagt „Je suis un Polonais“ und sie ratterten daraufhin die Namen und Vornamen aller polnischen Fuβballer bei den Weltmeisterschaften 1974 herunter! Ich war perplex. Oft habe ich von Moslems gehört; „Gut, dass Sie hier sind, Herr Pfarrer.“

Sie haben am Anfang dreiβig Kirchgänger vorgefunden. Wie viele waren es nach sieben Jahren?

Siebenhundert. Im August 2014 ging es dann zurück nach Polen. Ich bin um halb zwei in der Nacht mit dem Auto aufgebrochen. Leise, ohne viel Aufhebens. Der letzte Kreisel in meiner Pfarrgemeinde war voll von Menschen. Sie kamen um mich zu verabschieden. Ich hatte feuchte Augen.

Wie wird die französische Gemeinde ohne Sie zurechtkommen?

Man soll die Menschen an Gott binden, niemals an sich selbst.

Das Gespräch erschien im katholischen Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 19.02.2017.

RdP