Noch nie hat man so viele Sanktionen verhängt und ein angegriffenes Land so sehr unterstützt, wie jetzt die Ukraine. Aber das ist nicht genug.
Die Russen morden weiter, zerstören Städte, vertreiben Millionen von Menschen, viele wahrscheinlich für immer. Und sie geben uns unverhohlen zu verstehen, dass sie noch nukleare, chemische und biologische Waffen im Köcher haben.
Der Krieg um die Ukraine dauert bereits sechs Wochen. Für den Westen sind eineinhalb Monate der Aufopferung für ein Land, das außerhalb des Westens liegt, obwohl es unbedingt dazugehören möchte, etwas Außergewöhnliches. Wir sind besser, als man es erwarten konnte.
Aber, das reicht nicht aus. Ständig werden neue Sanktionen angekündigt, weitere Russen auf schwarze Listen gesetzt, weitere Unternehmen ziehen sich unter dem Einfluss der öffentlichen Meinung vom russischen Markt zurück.
Doch irgendetwas funktioniert trotzdem nicht. Dem Rubel geht es gut. Gestern, am 4. April 2022, musste man 83 Rubel für einen Dollar zahlen. In der zweiten Märzwoche, als er am schwächsten war, lag der Kurs bei mehr als 150 Rubel. Die Moskauer Börse funktioniert wieder und ist im Wachstum begriffen. Die russische Zentralbank lockert die Beschränkungen für Finanztransfers ins Ausland. Gazprom verzeichnet Rekordgewinne aus dem Verkauf von Rohstoffen und nimmt täglich mehr als 900 Millionen Euro ein.
Der Handel zwischen Russland und dem Westen wurde bisher lediglich eingeschränkt. Russische Handelsschiffe werden in allen Häfen der Welt gelöscht und beladen. Tausende russischer und weißrussischer LKWs rollen durch Polen bis nach Lettland und Estland, wo sie ihre Ladungen über die Grenze nach Russland bringen. Die EU-Kommission, die als einzige in Sachen Handelspolitik das Sagen hat, lässt es geschehen.
Haben die bisherigen Sanktionen, noch, nicht gewirkt? Das ist die optimistische Auslegung. Oder, so die pessimistische Version, es existieren so viele Ausnahmen, dass die Russen mit ihnen leben können und sich in aller Ruhe auf die Siegesparade am 9. Mai auf dem Roten Platz vorbereiten?
Vor allem einige tonangebende Staaten Westeuropas, wie Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich, aber auch Ungarn sollten sich einer Gewissensprüfung unterziehen. Dort wehrt man sich dagegen, der russischen Wirtschaft mit einem Handelsboykott und dem Erdöl- und Erdgasembargo den K.o.-Schlag zu versetzen. Man ist empört, entsetzt und voller Mitgefühl ob des russischen Vorgehens, beschützt aber unnachgiebig eigene Unternehmen, Arbeitsmärkte und die künftigen Beziehungen zum Kreml, ohne sich groß darum zu scheren, wie die Zukunft der Ukraine und der ihr am nächsten liegenden Länder aussehen wird. Die Sorge um die nächste Tankfüllung und Nebenkostenabrechnung überwiegt.
Die neueste makabre Pointe in diesem Katz-und-Maus-Spiel lautet: Die Russen morden in Butscha, Deutschland „bestraft“ daraufhin Russland, indem es 40 russische Diplomaten des Landes verweist, pumpt aber weiterhin Milliarden in Putins Kassen und verweigert den Ukrainern die Lieferung von einhundert Marder-Schützenpanzern.
Je länger das Stopfen von Löchern bei den Sanktionen und das Sich-Durchringen zu etwas größeren Opfern dauert, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnt und Russland, mit seinem Köcher voller Massenvernichtungswaffen, sich in eine noch größere Bedrohung verwandelt.
RdP