29.05.2023. Deutschlands Geld und die Versöhnung

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In öffentlichen Debatten über Reparationen, die Deutschland Polen für Kriegsschäden schuldet, wird jenseits der Oder oft das folgende Argument angeführt: Da eine Versöhnung zwischen unseren Nationen stattgefunden hat, ist es nicht angebracht, Ansprüche aus der Vergangenheit zu stellen. Manchmal wird in diesem Zusammenhang sogar der berühmte Brief der polnischen  an die deutschen Bischöfe aus dem Jahr 1965 mit den denkwürdigen Worten „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ zitiert. Als  hätte der Episkopat im Namen des polnischen Staates auf Reparationen verzichtet.

Dies ist eine klassische Verwechslung zweier Perspektiven: der moralischen und der rechtlich-politischen, wo symbolische Gesten finanzielle Verpflichtungen angeblich aufheben. Interessanterweise misst die deutsche Politik dieselbe Angelegenheit mit zweierlei Maß, abhängig davon, ob es sich um west- oder osteuropäische Staaten handelt, von Israel ganz zu schweigen.

Es gab einige bedeutende Versöhnungsgesten deutscher und französischer Staatsoberhäupter und Regierungschefs. Erinnern wir an Konrad Adenauers und General de Gaulles Teilnahme an der Versöhnungsmesse in der Kathedrale von Reims im Juli 1962 und an die Umarmung der beiden anlässlich der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages im Januar 1963. Viele haben bis heute vor Augen, wie Helmut Kohl und François Mitterrand im September 1984 Hand in Hand auf dem Schlachtfeld von Verdun stehen.

Von Geld war anlässlich dieser symbolträchtigen Zeremonien nie die Rede. Ob Reims oder Verdun, wie selbstverständlich zahlte die Bundesrepublik Reparationen aus dem Ersten Weltkrieg an Frankreich weiter. Die letzte Tranche von 70 Millionen Euro hat die Bundesbank im Jahr 2010 nach Paris überwiesen.

Dass Berlin auch ein anderes Maß anwenden kann, das haben die Tschechen schmerzlich erfahren müssen. Es lohnt sich, daran zu erinnern, denn es kann eine wichtige Lehre für andere sein.

Nach der Samtenen Revolution und dem Sturz des Kommunismus wurde Václav Havel Präsident der Tschechoslowakei und war entschlossen, eine Aussöhnung mit Deutschland herbeizuführen. Das lag zum einen an seiner Überzeugung, dass der Weg in den Westen über Deutschland führte, und zum anderen an der zutiefst moralischen Perspektive, die er der politischen Realität zugrunde legte. Es ist daher nicht verwunderlich, dass er bei seinem ersten Auslandsbesuch am 2. Januar 1990 in Bonn bei einem Treffen mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker das Prinzip der kollektiven Verantwortung und die Gewalt verurteilte, die die Sudetendeutschen während der 1945 durchgeführten Vertreibung aus der Tschechoslowakei auf der Grundlage der Beneš-Dekrete erfahren hatten.

Václav Havel verstand seine Worte als eine großzügige Geste des guten Willens, die den Weg zur Versöhnung öffnete. Er wollte durch einen symbolischen Akt, der seiner Meinung nach die historische Gerechtigkeit widerspiegelt, die Hand zur Aussöhnung reichen. Die Deutschen hingegen sahen darin ein Zeichen der Schwäche und einen Beweis für die Legitimität der von ihren Landsleuten erhobenen Ansprüche. Sie zogen politische Konsequenzen aus dem moralischen Akt und begannen, unter Berufung auf Havels Worte, die Rückgabe ihres in der Tschechoslowakei verbliebenen Eigentums zu fordern.

Dabei ignorierten sie völlig die Gründe, warum die Deutschen nach dem Krieg aus dem tschechischen Sudetenland vertrieben wurden. Sie hatten in der Zwischenkriegszeit eine fünfte Kolonne gebildet, die auf Hitlers Befehl zur Liquidierung des tschechoslowakischen Staates wesentlich beitrug. Prag wollte nicht, dass sich eine ähnliche Situation in Zukunft wiederholen würde.

Die deutschen Ansprüche an die Tschechische Republik wurden in den Folgejahren zu einem Zankapfel zwischen den beiden Staaten. Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher weigerten sich entschieden, den deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrag zu unterzeichnen, solange dieser eine Bestimmung über die rechtliche Absicherung des Eigentums der Tschechen im ehemaligen Sudetenland nach der Wende enthielt. Die Verhandlungen zogen sich aufgrund der unnachgiebigen Haltung Berlins in die Länge, aber Prag war hartnäckiger und setzte sich schließlich durch. Das Dokument wurde erst 1996 unterzeichnet, während ein ähnlicher Vertrag zwischen Polen und Deutschland bereits 1991 unterschrieben und ratifiziert wurde.

Die Haltung der Deutschen war die größte Enttäuschung Havels in seiner Außenpolitik. Berlin hatte die moralische Geste eines Idealisten und Romantikers auf das Feld der kalten und rücksichtslosen Realpolitik überführt.

Jetzt erleben wir ein ähnliches Verhalten in der Frage der Kriegsreparationen, die Polen geschuldet werden: Der erwähnte Brief der Bischöfe oder die Umarmung zwischen Kohl und Mazowiecki im niederschlesischen Krzyżowa/Kreisau im November 1989 werden auf die finanzielle Dimension reduziert, als ob symbolische Gesten die fälligen Reparationen aufheben würden. Frankreich hatte es da besser.

RdP