25.08.2023. Referendum. Was Polen dürfen, dürfen Deutsche nicht

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Mit wachsendem Erstaunen liest man die deutschen Kommentare zu dem Referendum, das zusammen mit den polnischen Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 abgehalten werden soll. Dass die deutschen Medien ungefähr zweimal pro Woche das Ende der Demokratie in Polen ausrufen, daran hat man sich gewöhnt. Seit dem ersten, 2019 wiederholten,  Wahlsieg der Nationalkonservativen im Herbst 2015 sind schließlich acht Jahre vergangen.

Dass die deutsche mediale Einheitsfront, ob ARD, ZDF, FAZ oder TAZ, ausschließlich das weitergibt, was ihr Polens totale Opposition, wie sie sich selbst bezeichnet, in die Notizblöcke diktiert, ist auch nichts Neues. Doch die Idee, dass eine Volksbefragung sich gegen die Demokratie richtet und ein Boykott die Demokratie stärkt, bleibt für das Erste sehr  gewöhnungsbedürftig.

Schließlich gibt es kaum eine demokratischere Form der Willensbekundung durch den Souverän. Alle Bürger können über wichtige Fragen zur Zukunft des Landes und des politischen Systems bestimmen. Haben am Referendum mehr als fünfzig Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen, so die polnische Verfassung, ist das Ergebnis für die amtierenden und künftigen Regierungen und Parlamente bindend.

Die Fragen lauten:

1. Unterstützen Sie den Ausverkauf von Staatsvermögen an ausländische Unternehmen, der zu einem Verlust der Kontrolle der Polinnen und Polen über strategische Wirtschaftsbereiche führt?

2. Unterstützen Sie eine Anhebung des Rentenalters, einschließlich der Wiedereinführung eines höheren Renteneintrittsalters von 67 Jahren für Frauen und Männer?

3. Unterstützen Sie die Beseitigung der Barriere an der Grenze zwischen der Republik Polen und der Republik Weißrussland?

4. Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika gemäß dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Zwangsumsiedlungsmechanismus?

Alle diese hochbrisanten Themen bilden die Hauptachse, um die sich die politische Auseinandersetzung in Polen dreht. Die Bürger sind aufgerufen zu entscheiden, wie sie es haben wollen.

Privatisierung. In den acht Jahren der Tusk-Regierung zwischen 2007 und 2015 wurden etwa 1.200 Staatsbetriebe und Banken verkauft, viele unter dubiosen Umständen. Der Gesamterlös von 57 Milliarden Zloty (ca. 13 Milliarden Euro) verflüchtigte sich in den laufenden Staatsausgaben. Die verbliebenen Staatsunternehmen, wie die Fluglinie LOT, der Kupfergigant KGHM, der Energiekonzern Orlen, die einzige noch bestehende größere polnische Bank PKO BP u. e. m. dümpelten vor sich hin und harrten der Privatisierung.

Heute erwirtschaften sie für den Staatshaushalt satte Gewinne (Orlen 2022 nach Steuern knapp 4,5 Milliarden Euro, KGHM gut 1 Milliarde Euro, PKO BP 750 Millionen Euro), expandieren im In- und Ausland, waren und sind in Zeiten der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges wichtige Instrumente des Staates zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen dieser beiden Heimsuchungen.

Die Donald-Tusk-Partei Bürgerplattform (BP) hat kein Programm für Polen vorgelegt und will es auch nicht tun. Sie setzt ausschließlich auf das Hochkochen von Emotionen: „Kaczyński hat Polen in eine Hölle auf Erden verwandelt! Kaczyński muss weg! Er gehört eingesperrt! Auch Ministerpräsident Morawiecki, seine Vorgängerin Frau Szydło, Staatspräsident Duda, Justizminister Ziobro und viele andere sollen sich auf Jahre hinter Gittern gefasst machen!” Und ansonsten? Nach dem Wahlsieg sehen wir weiter. Das muss als Programm genügen.

Offiziell hütet sich Tusk, zu eventuellen Privatisierungen etwas zu sagen, doch die Stimmen aus seinem Umfeld lassen keinen Zweifel daran aufkommen: Die großen Staatsunternehmen, aber auch alle Häfen, Flughäfen, die Eisenbahn muss man „dringend” „verkaufen”, „zerschlagen”, „privatisieren”.

Renten. Tusk verspricht, das Renteneintrittsalter, das die jetzt Regierenden wieder auf das alte Niveau von 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer gebracht haben, nicht zu erhöhen. Doch das hat er auch im Wahlkampf 2007 hoch und heilig versprochen. Nach seinem damaligen Wahlsieg erhöhte er es schlagartig auf 67 Jahre für beide Geschlechter. Für die Frauen war es ein Anstieg um sieben Jahre. Wird er es wieder tun?

Grenzbarriere. Als der weißrussische Diktator Lukaschenka ab Juli 2021 massenweise gut zahlende Migranten aus dem Mittleren Osten und Afrika in sein Land holte, um sie über die Grenze nach Polen zu treiben und das Land so zu destabilisieren, stimmte die Tusk-Partei im Sejm gegen den Bau des fünf Meter hohen elektronikgestützten Metallzauns entlang der Grenze. BP-Politiker, auch Tusk selbst, sprachen sich vehement gegen die Anlage aus, forderten ihren Abriss.

Zwangsverteilung von Migranten. Im Herbst 2015, während der großen „Wir schaffen das”-Migrantenkrise, als Tusk bereits nach Brüssel abgereist war, um EU-Ratspräsident zu werden, stimmte seine Nachfolgerin Ewa Kopacz der zwangsweisen Umverteilung von Migranten zu. Der Wahlsieg der Nationalkonservativen hat das verhindert. Tusk drohte daraufhin aus Brüssel seinem Land mit Sanktionen und finanziellen Strafen. Es ist davon auszugehen, dass er nach seinem eventuellen Wahlsieg diesem Dauermechanismus zustimmt.

Es sei denn, die Ergebnisse des Referendums hindern ihn daran.

Ein weiterer deutscher Vorwurf lautet: Die Volksbefragung verfolgt einen politischen Zweck. Gewiss, aber welches Referendum tut das nicht? Es heißt auch, es handelt sich um eine Manipulation. Doch was um alles in der Welt soll denn hier manipuliert werden? Schließlich steht es jedem frei, die Antwort zu geben, die er für richtig hält, oder gar keine.

Doch der waghalsigste Drahtseilakt, den deutsche Medien in diesem Fall vollbringen müssen, ist, dem Durchschnittsdeutschen, der selbst gerne eine Volksbefragung über die Einwanderung hätte, zu erklären, dass das Referendum in Polen ein demokratiefeindliches Vorhaben und das Nichtabhalten einer solchen Bürgerbefragung in Deutschland ein löblicher Akt der Demokratie ist.

RdP