23.02.2023. Joe Bidens klare Warschauer Ansagen. Auch an Deutschland

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Neuigkeiten brachte Joe Biden nach Warschau nicht mit. Doch wer die Rede des US-Präsidenten vom 21. Februar 2023 in den Gärten des Warschauer Schlosses mit der geringschätzigen Bemerkung abtut, Biden habe „mit viel Pathos nichts Neues verkündet“, der verkennt nicht nur die enorme Bedeutung der Botschaft, die die Ansprache enthielt, sondern auch den Ernst der Lage, in der Biden das Wort ergriff.

Die Rede des US-Präsidenten fiel nicht nur in die Woche des Jahrestages des russischen Überfalls auf die Ukraine, sondern auch in eine schwierige Phase des Krieges. Den Verteidigern gehen Munition und Männer aus, während Putin immer neue Truppen an die Front wirft. Auch wenn die Frühjahrsoffensive der Russen noch keine Erfolge zeigte, so kommen doch bange Fragen und nagende Zweifel auf: Wie lange hält die Ukraine noch durch? Bekommt sie weiterhin die erforderliche Unterstützung? Spekuliert man im Kreml zu Recht darauf, dass sich Kriegsmüdigkeit im Westen breitmacht und die Ukraine ihrem Schicksal überlassen wird?

All dem musste und wollte Biden entgegentreten, und hielt sich dabei an die antike Erkenntnis „Repetitio est mater sapientiae“, dass „die Wiederholung die Mutter der Weisheit“ sei. Er trug seine Warschauer Rede mit typisch amerikanischem Pathos vor und fand einfache und klare Worte, mit denen er die Haltung Amerikas mit Nachdruck bekräftigte. Falls jemand Zweifel an der Entschlossenheit der USA gehabt haben sollte, der Ukraine weiterhin zu helfen, nach Bidens Warschauer Rede dürften sie zerstreut sein.

Die Ansprache hatte mehrere Adressaten, denen sie unmissverständlich klarmachen sollte, wie Amerika denkt und wie es zu verfahren gedenkt.

Zum einen die Ukraine. Das wichtigste Signal in diese Richtung hatte Biden bereits am Vortag mit seinem unerwarteten Kurzbesuch in Kiew gegeben. In Warschau verkündete er dann ausdrücklich, dass die USA an der Seite der Ukraine bleiben werden, „solange es nötig ist“. „Die Ukraine wird niemals zu einem Sieg für Russland. Niemals“, rief der Präsident. „Es sollte keine Zweifel geben: Unsere Unterstützung für die Ukraine wird nicht nachlassen“.

Zum anderen Russland. Putin erlebe nun etwas, das er nicht für möglich gehalten hätte. Er habe den Westen auf die Probe gestellt mit der Frage, ob sein Angriff unbeantwortet bleibe. „Als er seine Panzer in die Ukraine beorderte, dachte er, wir würden wegschauen“, doch der Westen habe nicht weggeschaut. „Wir waren stark.“ Nun sei klar, dass die Antwort laute: „Russland wird in der Ukraine niemals siegen“.

Der US-Präsident wandte sich auch an die Menschen in Russland: „Die Vereinigten Staaten und die europäischen Nationen wollen Russland nicht kontrollieren oder zerstören“. Der Westen habe vor Kriegsbeginn nicht vorgehabt, Russland anzugreifen, wie Putin behauptet. „Jeder Tag, an dem der Krieg weitergeht, ist seine Entscheidung. Er könnte den Krieg mit einem Wort beenden. Es ist ganz einfach.“

Adressaten waren auch das Gastgeberland Polen und weitere acht Staaten der „Bukarest Neun“, die osteuropäischen Nato-Länder von Estland bis Bulgarien, mit deren Staats- und Regierungschefs sich Biden am Tag darauf in Warschau getroffen hatte. Diese Länder stellen die vorderste Front der kollektiven Verteidigung.

Biden sagte das, was von ihm erwartet wurde. Er bekannte sich unmissverständlich zu Artikel 5 des Nato-Vertrages, der gegenseitigen Beistandsverpflichtung. „Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle“, rief er der Menge zu. Jeder Zentimeter des Bündnis-Territoriums werde verteidigt. Das sei ein „heiliger Eid“. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen, doch gerade im östlichen Mitteleuropa kann dieses Bekenntnis nicht oft genug beteuert werden.

Mit seinem zweiten Besuch in Warschau innerhalb eines Jahres unterstrich Biden unmissverständlich, dass er Polens Schlüsselrolle und seine enormen Anstrengungen, der Ukraine zu helfen, zu würdigen weiß. An das Leid der Flüchtlinge erinnernd, lobte er die Polen für ihre „außerordentliche Großzügigkeit“ in deren dunkelster Stunde. Der polnischen Präsidentengattin rief er gar „I love you“ zu, nachdem er ihren Einsatz für Flüchtlinge gewürdigt hatte.

Polen mit seiner knapp 500 Kilometer langen Grenze zur Ukraine hat fast zwei Millionen Ukrainer aufgenommen und inzwischen weitgehend integriert, ohne sie in Flüchtlingslager oder Sammelunterkünfte zu stecken. Es liefert in großem Ausmaß Munition, Waffen, darunter gut dreihundert Panzer, Kampfausrüstung jeglicher Art, repariert unter Hochdruck beschädigtes Kriegsgerät, trainiert ununterbrochen ukrainische Soldaten und fungiert als Drehscheibe für fast alle ausländischen Waffenlieferungen, die die Ukraine auf dem Landweg erreichen.Gleichzeitig finanziert es zu einem bedeutsamen Teil die Stationierung von knapp 11.000 amerikanischen Soldaten auf seinem Territorium.

Warschau preschte auch wiederholt mit Initiativen zur militärischen Unterstützung für Kiew vor, es fordert ständig neue Sanktionen, mobilisiert andere hilfswillige Staaten und wird nicht müde, Nachzügler zu brandmarken. Russland, so die Warschauer Sicht, muss möglichst dauerhaft angriffsunfähig gemacht werden. Genauso denkt man in Washington.

Dass Biden zum zweiten Mal seit März 2022 nach Polen flog, ohne in Berlin zwischenzulanden, gibt zu denken. Man darf davon ausgehen, dass seine klaren Warschauer Botschaften auch an die unzähligen deutschen Bedenkenträger, Zauderer, Bremser, Russlandversteher und Russlandeinbinder, Kreml-Dialogbeschwörer, Putins Telefonpartner und Friedensstifter auf Kosten der Ukraine gerichtet waren. Haltungen, deren Konsequenzen die Ukraine tragen muss.

Es ist nicht vorstellbar, dass Joe Biden seine klaren Botschaften vor dem Berliner Schloss, am Lustgarten, hätte verkünden können, ohne wütende Proteste und gellende Pfeifkonzerte zu ernten. In der Frontstadt Westberlin war John F. Kennedy noch „ein Berliner“. Im Frontstaat Polen ist Joe Biden ein Warschauer. So ändern sich die Zeiten.

RdP