Das Wichtigste aus Polen 11. – 24. März 2018. EU, Deutschland, Russland. Aussenpolitik auf dem Prüfstand

 

Kommentator Prof. Marek Cichocki und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦  Polens neuer Auβenminister Jacek Czaputowicz im Sejm zum Stand der Auβenpolitik ♦ EU der Vaterländer Polens erklärtes Ziel, ♦ EU-Sanktionen gegen Polen wegen angeblich fehlender Rechtsstaatlichkeit wird es nicht geben. ♦ Maas und Merkel in Warschau. Polen-Deutschland: alte Streitpunkte bleiben, neue Sachlichkeit im Dialog kommt. ♦ Polen-Russland: keine Annäherung in Sicht. ♦ Trumps neue Zölle und wie Polen darauf reagieren sollte.




Nix frei. An Karfreitag arbeiten die Polen

Ausländer staunen, Gläubige raunen.

„Was wir Katholiken unbedingt bei den Protestanten abgucken sollten, ist ihre Art den Karfreitag zu begehen. In den meisten protestantisch geprägten Ländern ruht die Arbeit. Nicht so in Polen, wo an einem der zwei wichtigsten Tage in der Menschheitsgeschichte, des Kreuzestodes Jesu Christi, gearbeitet, eingekauft, gekocht und geputzt wird was das Zeug hält“,

schreibt Polens gröβtes Wochenmagazin, der katholische „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 25. März 2018, das sich des Themas Karfreitag in Polen angenommen hat.

Jesus betet im Garten am Ölberg.

Dass der Karfreitag im katholischen Polen kein gesetzlicher Feiertag ist, verwundert Ausländer, vor allem jene aus evangelisch geprägten Staaten und Regionen, immer wieder aufs Neue. Die Auferstehung, so die gängige Antwort, stehe nun Mal höher in ihrer religiösen Bedeutung als die Geburt und der Kreuzestod Jesu. Die besondere Hervorhebung des Karfreitages sei eine eher protestantische Tradition.

Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern.

Das Martyrium und der Tod Christi sind nicht zweitrangig

Maria mit dem Leichnam des vom Kreuz genommenen Jesus Christus.

Das alles stimmt, doch ist es nicht an der Zeit in Polen ernsthaft die Frage zu stellen, ob der jetzige Zustand noch haltbar ist? Der Karfreitag war auch im Vorkriegspolen zwischen 1918 und 1939 nicht arbeitsfrei. Dennoch wurde sein Ernst, ebenfalls noch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, in einer Zeit ohne Fernsehen, Internet, Handy, Massenkultur und Shoppingwahn, gewahrt. Heute ist das nicht mehr so.

Jesus hat den Tod bezwungen. Osterbriefmarken der Polnischen Post von 1999.

Wenn ein naher Angehöriger stirbt, bekommt man zwei Tage frei, um sich um die Beerdigung kümmern zu können. So sieht es das polnische Arbeitsrecht vor. Und hier stirbt Christus, unser Erlöser. Es ist das wichtigste Ereignis in der Menschheitsgeschichte. Er opferte sein Leben für uns, und die Menschen laufen in die Supermärkte, putzen, kochen, backen.

Polnische Protestanten, Methodisten, Pfingstler und Baptisten bekommen, laut Gesetz, an Karfreitag auf Anfrage, arbeitsfrei. Dass Katholiken nicht zu dieser Gruppe gehören erweckt den Anschein, das Martyrium und der Tod Christi sei für sie zweitrangig. Dem ist nicht so.

In der Karwoche erscheinen in polnischen Zeitungen hie und da privat aufgegebene Todesanzeigen wie diese:

»Nach einsamem und langem Beten im Garten am Ölberg, nach einem blutigen und grausamen Kreuzweg, und nachdem er am Kreuz umgebracht wurde, ist

Jesus von Nazareth

ins Haus des Vaters gegangen.

Mutter Maria mit den Nächsten und den Jüngern. Wir bitten von Beileidsbekundungen Abstand zu nehmen, da wir an die Auferstehung glauben«.

Ein Tag tiefster Trauer

Der Karfreitag, auch »Stiller« oder »Hoher Feiertag« genannt, ist in der katholischen Kirche eine strenge Fasten- und Abstinenzzeit. Unter Einbeziehung des Gründonnerstagsgebetes beginnt am Karfreitag die österliche Dreitagesfeier (Triduum Sacrum), die ab  Gründonnerstagabend bis Ostermontag in der Frühe an den Kreuzestod und die Auferstehung erinnert.

Kreuzverehrung an Karfreitag.

Wie in allen katholischen Kirchen der Welt, ist der Karfreitag auch in Polen ein Tag tiefster Trauer. Schmucklos der Altar, ohne Kerzen und Altartücher. Die Kreuze verhüllt, geschlossene Flügelaltäre. Das ewige Licht gelöscht, Kerzen brennen nur am provisorischen Aufbewahrungsort des Allerheiligsten. Kein Weihrauch duftet. Orgel und Kirchenglocken verstummen. Es gilt die liturgische Farbe Rot, symbolisch für das im Leiden und Sterben Jesu vergossene Blut.

Der Leichnam Christi im Grabe.

Ganz wichtig am Tag des Kreuzestodes ist die Kreuzverehrung (Adoratio crucis). Das üblicherweise seit dem Passionssonntag verhüllte Kruzifix wird erhoben gezeigt und der Ruf ertönt: »Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt«.

Christus der Auferstandene. Osterbriefmarken der Polnischen Post aus dem Jahr 2000.

All das steht in Polen am Karfreitag in einem krassen Widerspruch zu dem Geschehen auβerhalb der Kirchen, geprägt von Eile, Hektik, Geschäftigkeit. So gesehen, ist das katholische Polen im christlich geprägten Teil der Welt eine Ausnahme. Am Tag des Kreuzestodes Christi ruhen Arbeit und Handel in Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Groβbritannien, Irland, Island, Lettland, Malta, Mazedonien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Serbien, Slowakei, Spanien, Tschechien (seit 2016), Ungarn (seit 2017), Zypern. Auβerdem in Australien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Ecuador, Kanada, Kuba, Peru, auf den Philippinen, in Venezuela sowie in dreizehn US-Staaten.

Frauen am leeren Grab.

Gerade in Polen sollte er arbeitsfrei sein

Paradoxerweise ist in den meisten dieser Staaten der Anteil der praktizierenden Gläubigen unvergleichbar geringer als in Polen. Die meisten Bewohner dieser Länder gehen nicht in die Kirchen, nutzen oft den arbeitsfreien Karfreitag als einen zusätzlichen Tag eines langen Wochenendes um zu verreisen.

Erscheinung des auferstandenen Christus im Kreise der Apostel. Osterbriefmarken der Polnischen Post von 2001.

Doch das ist kein Argument gegen einen arbeitsfreien Karfreitag in Polen, wo die Kirchen am Nachmittag, wenn zwischen fünfzehn und spätestens achtzehn Uhr der Gottesdienst beginnt, prallvoll sind. Gläubige Menschen sollen den ganzen Karfreitag, einen Tag der Trauer, des Gebetes, des Insichgehens, bewusst so erleben dürfen. Wichtig ist den Gläubigen auch die Durchführung und die Teilnahme an Passionsspielen, die inzwischen in ganz Polen weit mehr als hundertfach an Karfreitag inszeniert werden.

Polens berühmteste Passionsspiele finden im Wallfahrtsort Kaklwaria Zebrzydowska bei Kraków statt.

Umfragen ergaben, dass bis zu sechzig Prozent der Polen diese Auffassungen teilen. Wird es also auch in Polen bald einen arbeitsfreien Karfreitag geben?

Betrübter Christus.

Liberale Ökonomen, oft geradezu vom Fetisch des Zuwachses beim Bruttoinlandsprodukt besessen, wie der Guru des ungezügelten Kapitalismus und erster Wirtschaftsreformer nach 1989, Prof. Leszek Balcerowicz, warnen davor. Schon jetzt arbeiten die Polen nicht, so ihr Argument, an Sonntagen und dazu auch noch an dreizehn weiteren Tagen im Jahr. Der EU-Durchschnitt beträgt 12,6 arbeitsfreie Tage.

Christus ist Sieger. Volkstümliche Darstellungen. Osterbriefmarken der Polnischen Post von 2003.

Befürworter weisen darauf hin, dass das BIP in Polen pro Kopf von 1990 bis 2017 fast um das Achtfache gestiegen ist: von gut 1.700 auf mehr als 13.000 US-Dollar. Die Arbeitsproduktivität wuchs in derselben Zeit um durchschnittlich knapp vier Prozent pro Jahr. Das war EU-weit das zweitbeste Ergebnis.

Auch die Wiedereinführung eines arbeitsfreien Dreikönigsfestes 2011 hat daran nichts geändert. Hierbei handelte es sich um eine Rückkehr nach fünfzig Jahren.

Öffentlicher Druck ist vonnöten

Die Kommunisten hatten im Zuge ihres oft gnadenlosen Zwangs die Existenz Gottes zu verleugnen das Dreikönigsfest 1961 in einen Arbeitstag umgewandelt. Das geschah in einem Zug mit der Abschaffung des Festes der Darstellung des Herrn (volkstümlich Mariä Lichtmess, am 2. Februar), mit Christi Himmelfahrt (am 40sten Tag nach Ostern), dem Pfingstmontag, dem Hochfest Peter und Paul (am 29. Juni), Mariä Himmelfahrt (am 15. August) und dem Hochfest Mariä Empfängnis (am 8. Dezember).

Nach den Jahren des Kommunismus war 1990 nur das Fest Mariä Himmelfahrt (am 15. August) als gesetzlicher Feiertag zurückgekehrt.

Christus ist auferstanden.

Im Jahr 2011 kam dann noch das Dreikönigsfest hinzu, als Ergebnis langer Bestrebungen katholischer Bürgerinitiativen. Zwei Mal, im Oktober 2008 und im Juli 2009, hat Donald Tusks damals regierende Bürgerplattform, gemeinsam mit den Postkommunisten, im Sejm diesbezügliche

Grablegung Christi. Osterbriefmarken der Polnischen Post von 2009.

Bürgergesetzesinitiativen abgeschmettert. Die erste wurde damals von siebenhunderttausend, die zweite von knapp 1,3 Millionen Polen unterschrieben.

Inzwischen werden an jedem 6. Januar in ganz Polen mehr als sechshundert Dreikönigsumzüge veranstaltet. 2018 haben an ihnen 1,2 Millionen Menschen teilgenommen.

Dreikönigsumzug in Warschau.

Mittlerweile formiert sich eine Bürgerbewegung zugunsten des Karfreitags. Polens katholische Laien haben eine neue Gelegenheit wieder einmal ihr Durchsetzungsvermögen unter Beweis zu stellen, umso mehr, als auch die jetzt amtierende nationalkonservative Regierung von dem Vorhaben nicht gerade begeistert ist.

Lesenswert auch: „Ostern in Polen“

@ RdP




Junge Juden schauen auf Polen…

… oder: was israelische Schülerreisen an die Orte deutscher Verbrechen anrichten.

Zehntausende junge Israelis begeben sich jedes Jahr auf die Spuren des Holocaust. Die „Reise nach Polen“ („Journey to Poland“) dauert eine Woche lang, führt durch mehrere Vernichtungslager, ehemalige Ghettogelände, beinhaltet zahlreiche Gedenkzeremonien. Polnische Verantwortliche und kritische israelische Soziologen warnen seit langem: die Reisen zu den Orten deutscher Verbrechen erzeugen und schüren eine tiefe Feindseligkeit zu Polen. Bis jetzt ist dies ein Rufen in der Wüste.

Die ersten zweihundert israelischen Schüler kamen 1988, fast am Ende der kommunistischen Ära. Gut zwei Jahrzehnte lang herrschte zwischen den Ländern des Ostblocks und Israel Funkstille. Die diplomatischen Beziehungen waren seit dem Sechstagekrieg von 1967, auf Geheiβ der Sowjets, abgebrochen. Nun begann sich eine Normalisierung einzustellen.

Was im Jaruzelski-Polen der späten Achtziger als ein Rinnsal begann, verwandelte sich nach 1989 in einen reiβenden Besucherstrom. Für 2018 werden in Polen gut vierzigtausend junge Israelis erwartet. Kommt nichts Unvorhergesehenes dazwischen, dürften es 2020 mehr als fünfzigtausend sein. Bis Anfang 2018 haben gut vierhunderttausend junge Israelis Polen besucht, die meisten von ihnen felsenfest davon überzeugt, sie seien im Feindesland gewesen.

Israelische Jugendliche am Eisenbahngleis in Birkenau.

Nationalpolitische Pilgerfahrten

Der Soziologe, Prof. Jackie Feldman von der israelischen Ben-Gurion-Universität hat bereits 2008 eine Studie dazu verfasst: „Above the Death Pits, Beneath the Flag: Youth Voyages to Poland and the Performance of Israeli National Identity“ („Über den Totengruben, unter der Flagge: Jugendreisen nach Polen und die Darstellung der israelischen nationalen Identität“).

Prof. Jackie Feldman.

Die israelischen Schülerfahrten nach Polen, so Feldman, begannen Ende der achtziger Jahre als die bisherigen wichtigsten Autoritäten der israelischen Gesellschaft, die Kämpfer für die Gründung Israels aus den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts und die ersten Siedler (Kibbuznikim) nach und nach verstarben. Im Zeitalter des Wohlstandes und einer immer hemmungsloser um sich greifenden Massenkultur begann das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl in der jungen Generation zu bröckeln.

„In Israel ist eine gehisste israelische Fahne für mich ein Symbol der Rechten. In Polen hingegen ist sie am richtigen Ort und sie vereint uns wirklich.“

Oded Cohen, ein hoher Beamter im israelischen Bildungsministerium, hatte damals die rettende Idee. „Auch wenn wir in sozialen, nationalen, ideologischen Angelegenheiten gespalten sind, in Auschwitz, Treblinka, Majdanek geht diese Spaltung unter. Dort sind wir ein Volk, das Volk der Ermordeten!“

Diese Strategie ist ganz und gar aufgegangen. Gut ein Vierteljahrhundert nach den ersten „Reisen nach Polen“ zitiert Jackie Feldman in seiner Untersuchung eine junge Israelin, es ist eine Stimme von Tausenden: „In Israel ist eine gehisste israelische Fahne für mich ein Symbol der Rechten. In Polen hingegen ist sie am richtigen Ort und sie vereint uns wirklich. Das, worüber wir zu Hause streiten, erscheint hier völlig zweitrangig. Das Wichtigste ist, dass wir den Krieg gewonnen haben, dass wir leben, dass wir ein eigenes freies Land besitzen.“

Der israelische Journalist Joseph Croitoru schreibt, dass man mittlerweile von einem Massenphänomen sprechen kann, „der Begriff nationalpolitische Pilgerfahrt wäre nicht unangebracht; die Vernichtungslager sind längst zum Ort kollektiver Identitätsfindung geworden.“

Vor der Reise nach Polen. Das Grauen der Vernichtungslager. Dokumentarfilm-Vorführung in Yad Vashem.

Die „Journeys to Poland“ sind mittlerweile fester Bestandteil des Unterrichtprogramms an israelischen Schulen und werden vom Staat bezuschusst. Trotzdem beträgt der Eigenanteil am Reisepreis pro Schüler immer noch etwa 1.400 US-Dollar. Es fahren also überwiegend Kinder aus besser situierten Familien mit, die später meistens in die gebildete Schicht des Landes aufrücken. Auch das vernimmt man in Polen mit Sorge.

Warum, das zeigt der Film „Defamation“ („Diffamierung“) des israelischen Dokumentarfilmers Yoav Shamir von 2009. Shamir hatte eine Gruppe israelischer Jugendlicher auf ihrer Reise nach Polen begleitet.

(Den Link zu dem Film „Defamation“, mit englischen und polnischen Untertiteln, finden Sie am Ende dieses Beitrags.)

Bevor sie sich nach Polen aufmachen, werden die Schüler in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem auf die Reise vorbereitet. Dies geschieht, wie es auch Joseph Croitoru beschreibt: „Die Schüler (…) bekommen eingeschärft, dass für Juden Israel der einzig sichere Ort auf der Welt sei und dass der Antisemitismus“ auf der ganzen Welt geradezu wüte. „Die Bewohner einer von Feinden umzingelten Enklave sollen in dem Glauben gefestigt werden, auf einen einsamen Planeten, Israel, zu leben“, so Jackie Feldman.

Alle diese noch halben Kinder, Mädchen ebenso wie Jungs, werden schon bald zum Wehrdienst eingezogen. „Der Antisemitismus existiert weiter. (…) Auch ihr als Juden, die nächste Generation, die in die Armee eingezogen wird, werdet diesem Aspekt eures Lebens die Stirn bieten müssen“, sagt im Film die Instrukteurin in Yad Vashem.

Die Kampfmoral der zukünftigen Soldaten zu festigen, ist ein erklärtes Ziel der „Journeys to Poland“. Prof. Adi Ophir von der Universität in Tel Aviv spricht von eindeutig zielorientierten Reisen mit einem quasi-religiösen Charakter. Die israelische Soziologin Hava Schechter stellte eine deutliche Radikalisierung der jugendlichen Teilnehmer nach der Rückkehr aus Polen fest.

Unmittelbar vor dem Abflug nach Polen sprechen die Schüler in Shamirs Dokumentation in die Kamera:

„Wir werden in dem Geist erzogen zu wissen, dass wir verhasst sind.“

„Alle wissen, dass die Juden verhasst sind. Wir werden so erzogen.“

Die Reise „wird mich als Israelin, als Zionistin, als Jüdin stärken. Ich hege keine Zweifel daran.“

Ihr werdet sehen, die Polen mögen euch nicht

Die Ausbilderin in Yad Vashem gibt in dem Film den Jugendlichen folgenden Hinweis mit auf den Weg nach Polen: „Es werden Leute vom Sicherheitsdienst bei euch sein, damit ihr keine Berührung mit der einheimischen Bevölkerung habt. Ihr werdet auf Menschen treffen, die euch nicht mögen. Ihr werdet sehen, dass sie euch nicht mögen. Sogar heute mögen sie euch nicht.“

„Die Israelis“, so Croitoru, „lernen, dass die Polen Antisemiten seien; ja Polen sei irgendwie für den Holocaust mitverantwortlich.“ Der israelische Historiker, Prof. Moshe Zimmermann meinte dazu: „Sie setzen das Gebiet, auf dem während des Zweiten Weltkrieges die Deutschen einige Millionen Juden ermordet haben, mit seinen Bewohnern und dem polnischen Staat gleich. So verwandeln sich die Polen und ihr Land in ihren Augen in Täter, die nicht minder schuldig sind als die Deutschen.“

Im Jahr 2008 führte Zimmermann eine breit angelegte Umfrage unter israelischen Gymnasialschülern durch. Gut ein Drittel von ihnen stand zu der Aussage: „Die Polen waren während des Zweiten Weltkrieges die Haupttäter. Die deutschen haben nur die Eisenbahnwaggons gestellt.“

Auf der Reise werden die Jugendlichen immer wieder dringend darauf hingewiesen, sie seien in einem für sie gefährlichen Land unterwegs. Diese Warnungen und das bis an die Grenze des Erträglichen mit Terminen überfrachtete Programm helfen sehr, die oft gerade pubertierenden Schüler im Zaum zu halten.

Israelischer Sicherheitsbeamter, Schützlinge in Lublin. Szene aus der Dokumentation „Defamation“.

Im feindlichen Polen. Szene 1.

Wie sich die Warnungen vor den Polen auswirken, wird im Film deutlich.

In Lublin geht eines der Mädchen auf drei auf der Bank sitzende ältere Männer zu. Sie verstehen ihre höfliche Anrede „How are you“ nicht. Einer der Männer sagt: „Israel? Dann sage, dass Du aus Israel bist und rede nicht mit uns auf Chinesisch“. Er ging offensichtlich davon aus, dass, wie einst in Polen, alle Juden Polnisch sprechen oder wenigstens verstehen. Das Mädchen und ihre Freundin verstehen ihn wiederum nicht und gehen, wie selbstverständlich, davon aus, der Mann rede schlecht über Israel, habe sie gar als „Nutten“ beschimpft. Der Sicherheitsbeamte eilt herbei und bringt die beiden zurück zur Gruppe.

Kurz darauf, auf dem Lagergelände von Majdanek, spricht der Filmemacher Shamir eines der beiden Mädchen an und zeigt auf einen mitlaufenden Mann:

„Weiβt Du wer das ist?“

„Es ist ein Mann vom Sicherheitsdienst.“

„Was macht er hier?“

„Er beschützt uns vor Antisemitismus, damit uns niemand etwas antut.“

„Könnte so etwas passieren“, fragt der Reporter.

„Ja, heute früh haben wir drei alte Männer auf einer Bank gesehen. Als sie hörten, dass wir aus Israel kommen, haben sie dumm geguckt. Sie haben uns „Affen“ und „Esel“ geschimpft. Fast hätten wir uns mit ihnen geprügelt.“

„Sie haben nichts dergleichen gesagt“, erwidert der Journalist.

„Nein?“, „Nein!“, „Doch.“, „Nein!“

„Das ist zu unserer Sicherheit. Wir dürfen nicht rausgehen.“ Abends im Hotelzimmer in Lublin. Szene aus der Dokumentation „Defamation“.

Im feindlichen Polen. Szene 2

Abends im Lubliner Hotel besuchte Shamir zwei junge Israelis auf ihrem Zimmer.

Shamir: „Warum geht ihr nirgendwo hin?“

Der Junge: „Wir sind müde.“

Das Mädchen: „Ich bin nicht müde. Ich würde gerne ausgehen. In Polen gibt es Neonazis. Sie sind eine Bedrohung. Wir sind in Gefahr. Sie könnten an unsere Tür klopfen, uns irgendetwas durchs Fenster ins Zimmer reinwerfen.“

Der Junge: „Das haben sie uns beim Mittagessen gesagt, sie warnten uns, wir seien in keinem freundlich gestimmten Land. Wir sind in einem verhältnismäβig feindseligen Land. Es gibt hier Demonstrationen. Sie könnten uns mit Steinen bewerfen. Vor zwei Wochen sind betrunkene Neonazis eingedrungen. Sie hämmerten gegen die Türen, suchten nach Juden. Das sagte man uns beim Mittagessen.“

Shamir: „Wer hat das gesagt?“

Der Junge: „Der Mann von Sicherheitsdienst. Er ist wahnsinnig! Wir haben gegessen, als er plötzlich verkündete, er habe uns etwas zu sagen und begann von Neonazis zu reden. Wir waren nicht fähig weiter zu essen.“

Das Mädchen: „Das ist zu unserer Sicherheit. Wir dürfen nicht rausgehen. Gleich nach dem Abendessen sollen wir auf unsere Zimmer gehen.“

Shamir: „Warum?“

Das Mädchen: „Weil sie Antisemiten sind.“

Der Junge; „Sie mögen uns nicht.“

Das Mädchen: „Eben.“

Der Junge: „Die Soldaten am Flughafen laufen wie Nazis, steif. Sie haben einen bedrohlichen Gesichtsausdruck. Diejenigen, die unsere Pässe abgestempelt haben, sahen wie SS-Offiziere aus.“

In Wirklichkeit gab es weder 2009 in Lublin, als der Film gedreht wurde, noch vorher oder nachher irgendwo in Polen einen Überfall auf ein von israelischen Jugendlichen bewohntes Hotel.

Die Bewacher schreiten sehr rüde ein

Orthodoxe Juden in Kraków.

Abgesehen von der polnischen Verkehrspolizei, gibt es keine besonderen Sicherheitsmaβnahmen wenn Abertausende von orthodoxen Juden aus der ganzen Welt jedes Jahr nach Leżajsk (200 Kilometer östlich von Kraków) und Lelów (am Nordrand Oberschlesiens) pilgern, um an den Grabstätten der chassidischen Zaddikim Elimelech bzw. Dawid Biderman ihre ekstatischen, inbrünstigen Gebete zu zelebrieren.

Orthodoxe Juden in Lelów.

Bärtig, mit langen Schläfenlocken, bekleidet mit weiβen Strümpfen, schwarzen Kaftanen, exotischen Fellhüten, nutzen sie die letzten Stunden vor dem Rückflug nach Tel Aviv oder New York, um durch die Straβen der Krakauer Altstadt oder des ehemaligen jüdischen Stadtteils Kazimierz zu schlendern. Zwischenfälle gibt es so gut wie nie.

Die israelischen Schülergruppen hingegen kommen mit einem, manchmal zwei Sicherheitsbeamten pro Bus. Sie, nicht die mitreisenden Lehrer, bestimmen das Geschehen. Sie sitzen vorne, geben immer wieder Sicherheitshinweise durchs Mikrophon, entscheiden wo angehalten wird. Überall in Polen lauern angeblich Gefahren, die künstlich erzeugte Atmosphäre der permanenten Bedrohung lastet wie Blei auf den Reisen.

In Zivil, jedoch schwer bewaffnet und mit Diplomatenpässen ausgestattet, schreiten die Bewacher sehr rüde ein, wenn sie nur den geringsten Verdacht schöpfen, sind schnell mit der Waffe zur Hand. Schüsse sind bis jetzt zum Glück noch nicht gefallen, zu Handgreiflichkeiten jedoch kommt es immer wieder.

Mike Urbaniak, Redakteur beim Internetportal „Forum der Polnischen Juden“, war Zeuge, wie die Sicherheitsleute einen jungen polnischen Juden zusammenschlugen, als er in der Remu-Synagoge im Krakauer Stadtteil Kazimierz am Sabbat beten wollte und fragte, warum er nicht rein darf.

Beata W., einer Angestellten, die in Kazimierz wohnt, entrissen Sicherheitskräfte die Handtasche und durchwühlten sie.

Der Italiener Roberto L., mit einer Polin verheiratet, ging in Kazimierz verärgert zu einem Bus, der unter seinen Fenstern parkte, und bat den Fahrer endlich den Motor abzustellen. Die Bodyguards legten ihm Handschellen an, traktierten ihn mit Fuβtritten und lieβen ihn so zurück, bis die Polizei ihn von den Handschellen befreite.

Bei der Aufklärung des Falls hieβ es, die Busfahrer müssten den Motor laufen lassen, um eine eventuell erforderliche Flucht zu beschleunigen. Auβerdem müsse die Kaffeemaschine an bleiben, damit die Jugendlichen jederzeit heiβen Kaffee bekommen könnten. Zwar gibt es in Kazimierz viele Lokale, aber dort dürfen sie aus Sicherheitsgründen nicht reingehen.

Die israelische Botschaft in Warschau äuβert nach jedem solchen Vorfall ihr Bedauern, aber es ändert sich nichts, denn, so wollen es die israelischen Behörden und vor allem, so heiβt es immer wieder, die Eltern.

Maciej Kozłowski, ehemaliger polnischer Botschafter in Tel Aviv, später Bevollmächtigter des polnischen Auβenministeriums für die Kontakte mit Israel, kennt das Thema gut:

„Wir haben darüber viele Male mit den Israelis gesprochen und vorgeschlagen stufenweise die israelischen Sicherheitsbeamten durch polnische zu ersetzen. Die Israelis blieben unnachgiebig. Das geschah eindeutig auf Druck der mächtigen Sicherheits- und Wachdienstlobby. Sie verdienen an den ausgiebigen Sicherheitsmaβnahmen bei den Reisen nach Polen viel Geld“, so Kozłowski.

Allein die mitreisenden Aufpasser bekommen gut zweihundert Dollar pro Tag plus Spesen.

„Wir erreichen Majdanek“

„Die Reise führt durch zwei Parallelwelten”, so Prof. Jackie Feldman. „Die innere Welt ist ein Stück Israel fern von daheim, umschrieben mit Begriffen wie »Sicherheit«, »Ablenkung«, »Herumtollen«, »israelische Musik«, »wir«, »Israel«. Im Bus, wo oft die Vorhänge während der Fahrt zugezogen sind, passiert alles, was zu einem Schulausflug heutzutage gehört. Es dröhnt die Musik, es wird gesungen, gegrölt, geschmust, geschlafen, Chips gegessen, Cola getrunken“

Ausgelassene israelische Jugendliche auf dem Weg nach Majdanek. Szene aus der Dokumentation „Defamation“.

Im Filmbericht von Yoav Shamir tanzen und singen die Schüler im Bus bis der Begleiter zum Mikrophon greift: “Ich spreche zu euch! Schaut mich an! Ich will den Ernst in euren Augen sehen. Wir sind an der nächsten Etappe angekommen und ich will, dass ihr ernst seid. Wir erreichen Majdanek.“

Prof. Jackie Feldman weiter: „Die jungen Leute verwandeln sich sofort in ernste Vertreter Israels, sobald sie die äuβere Welt, die sich auβerhalb des Busses und des Hotels erstreckt, beschreiten. Sie wird umschrieben mit Begriffen, wie »Fremdheit im fremden Land«, »ekelhaftes polnisches Essen«, »keine Musik«, »Bedrohung«, »Trauer«, »Tod«, »Israel repräsentieren«, »sie, die Fremden«.“ Polen verkörpert nur Negatives.

Druck macht sich Luft

„Wir fahren nach Polen, nur um an den Gräbern unserer Zaddikim zu beten, Todeslager und Ruinen der Synagogen zu besuchen. Das Programm sieht keine Freizeit vor für Geldverschwendung und Shopping“, heiβt es in einer Anleitung für Teilnehmer. Genauer gesagt, es gibt überhaupt keine Freizeit.

Herumtobende junge Israelis im Hotel in Lublin. Szene aus der Dokumentation „Defamation“.

Von früh bis spät dem Grauen ausgesetzt, ermuntert dazu in Rollenspielen Szenen aus dem Holocaust nachzustellen, werden die Jugendlichen einem enormen psychischen Druck ausgesetzt, der sich vor Ort oft in Weinkrämpfen entlädt.

Aggressionen werden abends immer wieder an Hoteleinrichtungen abreagiert. Die Zerstörungswut mancher Gruppen ist sehr groβ. Da sich die Veranstalter zumeist nicht zuständig fühlten und einfach abreisten, verlangen die Hotels seit geraumer Zeit hohe Kautionen für die Behebung eventuell entstandener Schäden oder sie geben vor ausgebucht zu sein.

Irgendwo aber müssen sich die Jugendlichen austoben. Beruhigungsversuche des Hotelpersonals und der israelischen Begleiter sind meistens vergebens. Im Film von Yoav Shamir versucht es der polnische Portier. Sein Argument, andere Hotelgäste werden am nächsten Morgen ihr Geld zurückverlangen, weil sie nicht schlafen können, und das Scheuchen der Jugendlichen in ihre Zimmer wirken meistens nur für wenige Minuten. Dann geht das Toben aufs Neue los bis spät in die Nacht. Aber, seien wir ehrlich, wäre es anders wenn man zwei, drei Busladungen polnischer oder deutscher Jugendlicher in einem Hotel einsperren würde?

Leere Kulissen und der wahre Holocaust

Auf der Reise durch Polen fahren die Gruppen Orte an, die von der tausendjährigen Anwesenheit der Juden in Polen zeugen. Die meisten von ihnen haben und brauchten sich nicht zu assimilieren. Sie lebten in ihrer zumeist orthodoxen jüdischen Welt der Schtetl, der Synagogen und Friedhöfe. Es sind Zeugnisse eines zumeist friedlichen, was nicht heiβt immer konfliktlosen, jahrhundertelangen Neben- und Miteinanders von Juden und Polen, doch das ist bei den Reisen kein Thema.

Junge Israelis auf einem jüdischen Friedhof in Polen,

In keinem Land der Welt war die Zahl der Juden so groβ wie in Polen. Sie machten 1938 zehn Prozent der Bevölkerung aus (in Deutschland knapp 0,8 Prozent).

Zu Hause befinden sich die israelischen Behörden in einem Dauerkonflikt mit den streng orthodoxen Charedim, die die zionistische Weltanschauung und teilweise sogar den Staat Israel als solchen ablehnen, den Militärdienst verweigern. „In Polen“, so Prof. Jackie Feldman, „sind sie keine Gefahr für die zionistische Staatsideologie, weil sie nicht mehr unter den Lebenden weilen.“

Den meisten Jugendlichen, das erwähnen die israelischen Forscher, kommen die materiellen Zeugnisse der kulturellen Blüte des jüdischen Lebens in Polen, wie leere Filmkulissen vor. Umso mehr, als das streng orthodoxe Judentum auch zu Hause nicht ihre Welt ist.

In Polen würde man gerne diesen Aspekt gleichwertig mit dem Holocaust in den Mittelpunkt der Reisen gestellt sehen, hofft auf die verbindende Botschaft, die davon ausgeht: Polen Jahrhunderte lang ein Zuhause für Juden, wo ihre Gemeinden eine Autonomie genossen, wie sie woanders in Europa undenkbar gewesen wäre. Es bedurfte einer langen Zeit, um zu begreifen, dass das erklärte Ziel der Reisen ein ganz anderes ist.

Im ehemaligen Vernichtungslager Majdanek angekommen, gibt eines der Mädchen in Yoav Shamirs Film fast schon erwartungsvoll von sich: „Jetzt erst beginnt die richtige Reise. Jetzt werden wir die wahren Dinge sehen. Bis jetzt haben wir Synagogen und solche Dinge angeguckt. Jetzt werden wir sehen, wie sie vernichtet wurden. Die Krematorien. Alles. Das wird schwierig sein.“

Lesenswert auch:

„Kaczyński und die Juden“ , „Das Schicksal der Familie Ulma“ , „Familie Ulma. Falscher Mythos. Schämt euch ihr Polen“ , „Holocaust. Polen. Historische Wahrheit. Bewegende Ansprache  von MP Mateusz Morawiecki. Video auf Englisch“.

 Israelische Jugendliche unterwegs in Polen. Film „Defamation“ ,    Teil 1 (ca. 10 Minuten). 

Israelische Jugendliche unterwegs in Polen. Film „Defamation“ ,    Teil 2  (ca. 10 Minuten). 

© RdP




Das Wichtigste aus Polen 25. Februar – 10. März 2018

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Der Holocaust, das Strafrecht und die historische Wahrheit. Polen und Israel reden miteinander, Amerika schaut aufmerksam zu.  ♦ Neue deutsche Regierung, alte polnische Bedenken: Nord Stream 2 und die französisch-deutschen Versuche alle Gewalt in der EU an sich zu reiβen.  ♦ Polnische Kinder, deutsche Jugendämter. Erste polnisch-deutsche Gespräche über ein wundes Problem. ♦ Degradierung oder Dienstgradherabsetzung. General Jaruzelski und seinen Komplizen wird dder Generalsrang aberkannt. Eine späte Genugtuung für ihre Opfer.




Smog, Energiearmut und was Polen dagegen tut

Kohle soll sein. Macht gute Sozialpolitik die Luft rein?

Die Winterluft ist in der letzten Zeit oft schlecht in Polen. Noch schlechter sind die Schlagzeilen, mit denen deutsche Medien das Land bedenken: „Smog-Hölle Polen!“ (www.nachrichten.de), „Luftverschmutzung durch Kohle. Polens schwarzer Fluch“ (Rheinische Post) usw. Das aber ist nur ein Teil des Problems. Der andere heiβt Energiearmut, aber die erwähnen die Autoren der Skandal-Schlagzeilen so gut wie nie. Doch nur wenn man sich beider Herausforderungen gleichzeitig annimmt, kann es besser werden. Das ist mühsam und vor allem teuer.

Ende Februar 2018 fällte der Europäische Gerichtshof ein Urteil, in dem er Polen Strafen in Millionenhöhe androht. Polen, so heiβt es, unternehme zu wenig gegen die Luftverschmutzung und bräche damit EU-Recht. Die erlaubten Konzentrationen von Feinstaub seien zwischen 2007 bis 2015 in fünfunddreiβig Gebieten tageweise überschritten worden. In neun Gebieten wurden die Jahresgrenzwerte regelmäßig nicht eingehalten.

Smog in Warschau.

Eine Durchschrift des Urteils hätte der EuGH direkt an den amtierenden EU-Ratsvorsitzenden schicken sollen. Schlieβlich war Donald Tusk genau in der Zeit polnischer Ministerpräsident. Luftverschmutzung und Energiearmut waren zu seiner Zeit kein oder kaum ein Thema. Den Karren aus dem Dreck ziehen, und das sehr schnell, müssen seine Nachfolger.

Morawiecki ist nicht dumm

Das trauen die deutschsprachigen Medien den heute Regierenden jedoch eindeutig nicht zu. Ebenfalls in dieser Hinsicht unterstellen sie ihnen, den „Populisten“, die niedrigsten Beweggründe und die bösesten Absichten.

So auch der Kommentator der „Salzburger Nachrichten“ (12. Februar 2018). Er schrieb, der polnische Smog sei immerhin „patriotisch“, und fuhr fort: „»Kohle ist die Basis unseres Energiesektors. Wir können und wollen sie nicht aufgeben«, betonte der im Dezember neu ins Amt beförderte Premier Mateusz Morawiecki und kündigte die Eröffnung von zwei neuen Kohlenminen an. Noch dümmer ist nur noch Amerikas Präsident Donald Trump“, so der kluge österreichische Kommentator.

Derweil widmete Polens Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung vom 12. Dezember 2017, auf die sich der Autor bezog, die er aber allem Anschein nach nie gelesen hat, dem Smogproblem auβergewöhnlich viel Aufmerksamkeit. Morawiecki sagte:

„In vielen Gegenden Polens, vor allem in Kleinpolen (Region um Krakau – Anm. RdP), in Oberschlesien, aber auch in Masowien (Region um Warschau – Anm. RdP) habe ich Landschaften gesehen, die in dichten, beiβenden Nebel gehüllt waren und Kinder, die auf dem Rückweg von der Schule einen Mundschutz trugen. Saubere Luft ist eine zivilisatorische Herausforderung und das Maβ dessen, ob Polen tatsächlich ein entwickeltes Land ist.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki verliest seine Regierungserklärung im Sejm am 12. Dezember 2017.

Luft, Wasser, der Boden gehören nicht nur uns, sondern auch den künftigen Generationen und der Zustand, in dem wir sie ihnen überlassen, stellt uns ein Zeugnis aus“, so Morawiecki, und weiter:
„Infolge des Smogs sterben jedes Jahr achtundvierzigtausend Polen vorzeitig und der Rauch, der durch die Verbrennung von Müll in Privathaushalten entsteht, steigt nicht nur gen Himmel. Er gelangt in unsere Lungen und in die Lungen unserer Kinder.

Das Smogbekämpfungsprogramm ist zugleich ein Vorhaben zur Unterstützung der Ärmsten, die sich keine Wärmedämmung, keine neuen Fenster und Türen, keine sauberen Brennstoffe leisten können. Nur wenn wir die Energiearmut beseitigen, werden wir die Lebensqualität aller Polen verbessern.

Ich möchte mich auch an dieser Stelle bei allen Vorkämpfern für saubere Luft bedanken. Bei den Nichtregierungsorganisationen, den städtischen Organisationen, die seit einigen Jahren sehr gute Arbeit leisten.

Sehr wichtig ist hier auch die Arbeit der Kommunen. Sie stehen an vorderster Front. Eine gute Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den Kommunen ist in diesem Fall von herausragender Bedeutung.“, sagte Morawiecki.

Damit umschrieb der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung in vollem Umfang das Problem und die angedachte Lösung.

Not verheizt alles

Auf Energiearmut ist man in Polen erst um das Jahr 2015 aufmerksam geworden. Es war ganz am Ende der Ära Tusk, in der Polen, laut der offiziellen Selbstdarstellung, als ein aufstrebendes, dynamisches, sich schnell modernisierendes und EU-begeistertes Land zu gelten hatte. Diese Darstellung wurde von den regierungsnahen Medien äußerst intensiv verbreitet, und von den deutschsprachigen Medien gern übernommen.

Die Millionenschar der Verlierer rücksichtsloser Abwicklungen und zwielichtiger Privatisierungen verschwand dabei fast völlig im Dunklen. Ganz im Geiste des damals salonfähig gewordenen „Lumpenliberalismus“, hieβ es, da kann man nichts tun. Diese Menschen seien selbst schuld an ihrem Schicksal, weil zu unbeholfen, zu faul, trunksüchtig, nicht anpassungsfähig, kinderreich, zu provinziell um ins Ausland auf Arbeitssuche zu gehen usw., usf.

Armut in Polen. Selber schuld?

Die Ergebnisse der ersten beiden Untersuchungen zur Energiearmut in Polen, veröffentlicht Ende 2015, gerade nach dem Regierungswechsel in Warschau, ergaben ein besorgniserregendes Bild. In den Jahren 2000 bis 2014 stiegen die Erdgaspreise in Polen im Durchschnitt um 6 Prozent und die Strompreise um 4 Prozent pro Jahr. Die Kohlepreise, lange Jahre stabil, zogen zwischen 2015 und 2017 um bis zu 30 Prozent an.

Im Jahr 2013 mussten knapp 15 Prozent der Polen, knapp  6 Millionen Menschen, oft drastisch ihren Energieverbrauch einschränken oder ganz und gar auf ihn verzichten. Ihre monatlichen Energieausgaben überstiegen oft bei Weitem 13 Prozent ihres Einkommens und damit die international geltende Grenze zur Energiearmut.

Energiearmut in Polen. Kein Warmwasser, kein Licht, keine Waschmaschine,

Im Jahr 2017 waren hiervon 12 Prozent der Bevölkerung betroffen, somit knapp neunhunderttausend weniger. Fachleute führen das auf die gute Wirtschaftslage und eine neue Sozialleistung zurück: das Kindergeld von monatlich 500 Zloty (ca. 125 Euro) für jedes zweite und weitere in der Familie lebende Kind bis 18 Jahre.

Energiearmut bedeutet: kaum oder nicht beheizte, feuchte Wohnräume, in denen vor allem Kinder und alte Menschen krank werden. Kein Geld um ausstehende Strom- und Gasrechnungen, Reparaturen an Heizung oder Stromleitungen in der Wohnung zu bezahlen. Im Extremfall, dauerhaft gesperrte Energiezulieferung. Kein Warmwasser, kein Licht, keine Möglichkeit den Kühlschrank, die Waschmaschine, den Herd, Rundfunk, Fernsehen, das Internet zu nutzen.

Letzteres war 2013 das Schicksal von etwa sechshunderttausend Menschen in Polen, heute leiden darunter immer noch knapp eine halbe Million Bürger. Der Rest der von Energiearmut Betroffenen muss seinen Energieverbrauch drastisch einschränken. Sie leben bei schlechter Beleuchtung, an kalten Tagen oft nur in einem beheizten Raum, sind gezwungen dickere Straβenkleidung auch zu Hause zu tragen.

Betroffen von diesen Missständen waren im Jahr 2017: 48 Prozent der Einpersonenhaushalte in Polen, 51 Prozent der Rentnerhaushalte, 47 Prozent der Haushalte auf dem Land, 43 Prozent der Haushalte mit Einfamilienhäusern, 51 Prozent der Haushalte in Gebäuden, die bis 1960 errichtet wurden, 23 Prozent aller Haushalte mit vier und mehr Kindern.

All diese Angaben bleiben leider unerwähnt, wenn sich Berichterstatter, wie z. B. die Korrespondentin des österreichischen „Standard“ (am 1. Dezember 2015), darüber mokieren, dass in Polen „viele alles in den Ofen stecken, was irgendwie brennt: Haushaltsabfälle, Lumpen, alte Möbel, leere Plastikflaschen“. Dass hier einem Umweltproblem ein groβes soziales Problem zugrunde liegt, die Armut, erfahren die Leser solcher Berichte nicht.

Umwelt schonen, sozialen Frieden wahren

Es ist ein schnelles und zugleich sehr bedachtes Handeln erforderlich, und manches wird noch lange so bleiben wie es ist. Beispiel Warschau.

Die Stadt wird seit einigen Jahren im Winter immer wieder von einer Smogglocke umhüllt, was deutsche Korrespondenten stets zum Anlass nehmen gegen ihren Feind Nummer Eins zu wettern – die polnische Steinkohle.

Derweil gibt es in der Stadt kaum Hausbrand, gut 95 Prozent der Haushalte sind an die Fernwärme angeschlossen. Es gibt nur wenige Kohleöfen, viele Haushalte  ohne Fernwärme heizen mit Gas oder Strom, was im Winter monatlich pro Haushalt mit bis zu 2.000 Zloty (ca. 500 Euro) zu Buche schlägt. Ein für polnische Verhältnisse enormer Betrag, weswegen die etwa fünfzigtausend betroffenen Warschauer nicht müde werden lauthals den Anschluss an die Fernwärme zu fordern.

Autoverkehr in Warschau.

Smogverursacher in Warschau sind Auspuffabgase. Sie hängen über der Stadt, weil die Verwaltung der seit 2006 regierenden Stadtpräsidentin, und bis vor kurzem noch stellvertretenden Vorsitzenden der Tusk-Partei Bürgerplattform, Hanna Gronkiewicz-Waltz, massenweise Baugenehmigungen vergeben hat für Gebiete, die zuvor als Durchlüftungsschneisen dienten. Früher brachten Winde durch diese Schneisen frische Luft in die Stadt, jetzt prallen sie an der Hochhausbebauung ab.

Alte Autos überwiegen. Neuere sind den meisten Polen zu teuer.

Anfang 2018 waren in Polen knapp 22 Millionen Personenkraftwagen zugelassen. Ihr Durchschnittsalter betrug 15 Jahre (in Deutschland 9 Jahre). In ärmeren Gegenden lag der Prozentsatz noch höher: Woiwodschaft Westpommern mit Stettin knapp 18 Jahre, Woiwodschaften Ermland-Masuren und Lublin gut 16 Jahre.

Bei der in Polen geltenden Einkommenssituation (siehe „Wieviel verdienen die Polen“) können sich die meisten kein Auto leisten, das mehr als umgerechnet 2.500 bis 3.000 Euro kostet und das oft auch nur auf Kredit. Dabei ist ein eigener Wagen längst kein Luxusgut mehr in Polen, sondern ein unabdingbares, überlebenswichtiges Hilfsmittel.

Die Wege zur Arbeit sind länger geworden. Nur mit dem Auto kommt man, sowohl in den Groβstädten, wie in der Provinz, in die billigen Supermärkte, auf die Millionen von Kleinverdienern angewiesen sind. Ein sofortiges Einfuhr- oder Fahrverbot für alte Pkw, und darunter sind viele Dieselautos, würde diesen Menschen den Boden ihrer Existenz unter den Füβen (Rädern) wegziehen und den Weg frei machen für soziale Unruhen, denen keine Regierung gewachsen wäre.

Pauschale Verbote kommen also nicht in Frage. Der einzige Weg in diesem Fall, so die Regierung, führt über technische Kontrollen. Vor allem soll jenen das Handwerk gelegt werden, die, um zu sparen, in ihren Dieselfahrzeugen kaputte Partikelfilter ausbauen ohne sie durch neue zu ersetzen. Das soll in Polen endlich geahndet werden, wie in Deutschland oder Österreich, wo für das Fahren ohne Partikelfilter Geldbuβen von 1.000 bzw. 3.500 Euro drohen.

Womit heizen die Polen?

Auβerhalb Warschaus jedoch verpestet zweifelsohne der Hausbrand die Luft am meisten. Von den 14,2 Millionen polnischen Haushalten wurden 2018 immer noch etwa 5,5 Millionen Haushalte mit Kohleöfen beheizt. Lediglich ungefähr einhunderttausend von ihnen entsprachen den verschärften Emissionsgrenzwerten, die beispielsweise seit 2010 in Deutschland gelten. Der Austausch der verbliebenen Kohleöfen dürfte um die 80 Milliarden Zloty (ca. 20 Milliarden Euro) kosten. Dies entspricht einem Fünftel der jährlichen polnischen Staatsausgaben.

Es wird also eine Weile dauern. Deswegen dürfen, bei begründetem Verdacht, Polizeibeamte und Beamte des städtischen Ordnungsamtes Ofenanlagen in den Haushalten kontrollieren. Auf die Verbrennung von Müll steht eine Geldstrafe von 500 Zloty (ca. 125 Euro). Kommt es zu einer Anzeige, kann sich die Strafe verzehnfachen.

Ofenkontrolle.

Allein in Kraków gab es im November 2017 gut dreitausend solcher Kontrollen. Es wurden 25 Buβgelder wegen Müllverbrennung verhängt.

In Katowice ist eine „Riechdrohne“ regelmäβig über den Dächern unterwegs. Konstruiert von Wissenschaftlern der dortigen Technischen Universität

„Riechdrohne“ im Einsatz. Katowice im Winter 2017/2018.

„inhaliert“ sie den Rauch aus dem Schornstein und übermittelt die Daten an einen im Polizeiauto installierten Computer. Die Beamten verhängen umgehend Buβgelder.

Auβerdem gilt ab dem 1. September 2017 ein Verkaufs- und Verbrennungsverbot für Kohleschlamm und Ballastkohle, schwefelhaltige Abfall- bzw. Nebenprodukte der Steinkohleförderung. Weil sich weite Transportwege nicht lohnten, wurden sie nur in der Bergbauregion Oberschlesien für billiges Geld (100 bis 300 Zloty pro Tonne, ca. 25 bis 75 Euro) verkauft und verpesteten die dortige Luft ungemein.

Mit Kohleschlamm wird nicht mehr geheizt.

Zum Vergleich (Preise vom Februar 2018): 1 Tonne Kohlengrus kostete 560 bis 650 Zloty pro Tonne (ca. 140 bis 160 Euro), Erbsenkohle bis zu 1.100 Zloty pro Tonne (ca. 270 Euro), Koks 1.300 Zloty pro Tonne (ca. 320 Euro), Steinkohlebriketts 700 Zloty pro Tonne (ca. 170 Euro). Mit Kohle heizen 70 Prozent aller Haushalte, die nicht an die Fernwärme angeschlossen sind.

Plakat: „Ich achte meine Nachbarn. Ich verbrenne keine Abfälle“.

Plakat: „Müllverbrennen tötet“.

Holzpellets bis zu 1.000 Zloty pro Tonne (ca. 250 Euro). Mit ihnen heizen 4 Prozent der Haushalte ohne Fernwärme.

Ein Kubikmeter Erdgas kostete den Haushalt 2 Zloty (ca. 0,50 Euro). Mit Gas heizen 13 Prozent der Haushalte ohne Fernwärme.

Plakat: „Müllverbrennen im häuslichen Ofen vergiftet und ruiniert“.

 

 

 

Heizöl spielt in Polen bei der Beheizung von Privathaushalten eine geringe Rolle, weil es die teuerste Variante von allen ist, beginnend mit dem Kauf und Einbau der Anlage. Ein Liter Heizöl kostete im Februar 2018 um die 3,30 Zloty pro Liter (ca. 0,80 Euro) und war um etwa 0,20 Euro teuer als in Deutschland.

Plakat: „Der Ofen ist kein Mülleimer“.

Nur knapp 2 Prozent der Haushalte ohne Fernwärme heizen elektrisch. Auch hier sind die Kosten hoch. Um sie zu senken und die Abnehmer zu einem Umstieg auf Elektrowärme zu ermuntern, haben, auf Geheiβ der Regierung, polnische Stromanbieter im Winter 2017 auf 2018 den Antismog-Tarif eingeführt. Zwischen 22 und 6 Uhr ist der Strom für diese Kunden um bis zu 90 Prozent billiger.

Plakat: „Verbrenne keinen Müll, wenn du Kinder liebst“.

Die Stromanbieter hoffen, dadurch die Nachtauslastung der Kraftwerke, die heruntergefahren werden müssen, zu erhöhen und so Kosten zu sparen.

Die Umrüstung hat begonnen

Im Oktober 2017 ist eine wichtige Verordnung in Kraft getreten. Ab dem 1. Juli 2018 dürfen nur noch modernste Öfen, die maximal bis zu 60 Milligramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft ausstoβen, verkauft und montiert werden. Zum Vergleich: die im Volksmund „kopciuch“ („Stinker“) genannten einfachen Heizöfen produzieren bis zu 1.000 Milligramm Feinstaub pro Kubikmeter und bis zu fünfzig Mal mehr CO2. Bis 2026 müssen alle „Stinker“ beseitigt sein.

Ein typischer „kopciuch“, „Stinker“.

Seit Januar 2016 dürfen Woiwodschaftsparlamente in den einzelnen Provinzen Einschränkungen bei der Verbrennung von Heizmaterial verhängen. In Kleinpolen (Krakau), Oberschlesien und in der Woiwodschaft Opole (Oppeln) wurden solche Beschränkungen inzwischen eingeführt. Sie sehen vor allem die Beseitigung aller „Stinker“ bis 2022 vor.

Die Städte Kraków, Gdańsk und Warschau bezuschussen inzwischen die Umstellung mit 50 bis 90 Prozent der Kosten, die sich auf bis zu 15.000 Zloty (ca. 3.700 Euro) belaufen: den Kaufpreis eines neuen Ofens, den Abbau des alten und den Umbau des Schornsteins.

Muss alle „Stinker“ ersetzen. Ein moderner, emissionsarmer Kohleofen der sogenannten fünften Generation.

Gleichzeitig läuft das staatliche Umstellungsprogramm auf moderne Öfen „Kawka“ („Dohle“). In zwei Jahren (2016 und 2017) verschwanden in sechzig Städten für knapp 700 Millionen Zloty nicht ganz 35.000 „Stinker“.

Wer soll das bezahlen?

Am 22. Februar 2018, kurz nachdem der Europäische Gerichtshof sein Urteil in Sachen Smogbekämpfung in Polen gesprochen hatte, stellte sich Ministerpräsident Morawiecki in Warschau vor die Medien:

„Ich habe nicht vor“, sagte Morawiecki, „das Smogproblem so anzugehen, dass es im Herbst aufkommt, im Winter hochkocht und dann bis zum nächsten Spätherbst in Vergessenheit gerät“.

Danach stellte er das Nationale Smogbekämpfungsprogramm vor, welches vierzehn Maβnahmen umfasst. Vom erwähnten Ofenaustausch bis 2026, über neue Kohle-Qualitätsnormen, erhebliche Wärmedämmungszuschüsse bis hin zu einem umfangreichen Vorhabenkatalog in Sachen Elektroautos- und Busse (Elektromobilität).

Das Antismog-Projekt soll überwiegend aus der Plastiktütenabgabe finanziert werden.

Allein für 2018 und 2019 sind hierfür 1,5 Milliarden Zloty (ca. 370 Mlo. Euro) vorgesehen. Finanzieren will Morawiecki das Antismog-Projekt überwiegend aus der Plastiktütenabgabe. Ab dem 1. Januar 2018 zahlen Kunden in Polen für Tüten, die sie im Supermarkt an der Kasse oder im Geschäft an der Theke bekommen, mindestens 0,2, maximal 1 Zloty, wovon der Staat 0,2 Zloty (ca. 0,04 Euro) an sogenannter Recyclingabgabe kassiert.

Polen macht also ernst mit der Smogbekämpfung. Die Zeit drängt.

Die Sache mit der Steinkohle

Modernste Verbrennungstechnologien erlauben heute eine beinahe emissionsfreie Verstromung der Steinkohle. Diesen Weg will und wird Polen gehen. Steinkohle ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil der polnischen Energie- aber auch Wirtschafts- und Sozialpolitik. Worum es im groβen und ganzen geht, das legte Ministerpräsident Morawiecki in seiner Regierungserklärung dar:

„Die Kohle ist heute die Grundlage unserer Energiewirtschaft. Wir können und wir wollen auf Kohle nicht verzichten. Das sind wichtige, beruhigende Feststellungen für Oberschlesien und das Dombrowaer Kohlenbecken, aber auch für ganz Polen.

„Die Kohle ist heute die Grundlage unserer Energiewirtschaft“.

Wir planen sehr langfristig einen Umbau in diesen beiden benachbarten Regionen. Modernste, umweltschonende Kohletechnologien gepaart mit einer Ansiedlung anderer moderner Hochtechnologien. Ich bin sehr froh darüber, dass die wichtigsten Gewerkschaftsgremien der beiden Regionen unser Programm akzeptiert haben.

Wir müssen uns aber gleichzeitig um erneuerbare Energiequellen in Polen kümmern. Doch das ideologische Denken in dieser Angelegenheit lehnen wir rundweg ab. Die Rechnung muss stimmen. Mehr Nutzen, nicht mehr Kosten für die Menschen.

Mehr Nutzen bedeutet auch mehr Energiesicherheit für unser Land. Recht und Gerechtigkeit lag und liegt die Energiesicherheit Polens sehr am Herzen. Das ist die Bedingung für unsere Unabhängigkeit.

Wir sind ihr ein groβes Stück näher gekommen, dank dem Flüssiggas-Terminal in Świnoujście (Swinemünde – Anm. RdP). Er wäre nicht entstanden, ohne den hartnäckigen politischen Einsatz von Staatspräsident Lech Kaczyńskis. Unsere Abhängigkeit von Gaseinfuhren aus Russland verringert sich, und wir können davon ausgehen, dass es sie nach 2022 überhaupt nicht mehr geben wird.

Wir bauen unsere Gasinfrastruktur aus, um Polen in ein Drehkreuz der Gasversorgung in unserer Region zu verwandeln. Deswegen bauen wir an der Gasverbindung aus Norwegen, über Dänemark, zu uns, an der sogenannten Baltic Pipe.

Unsere Aufgabe ist es, diese Vorhaben erfolgreich zu Ende zu bringen, und so die Energieunabhängigkeit Polens zu gewährleisten bei niedrigen CO2-Emissionen. Daher rührt unsere positive Einstellung zur Atomenergie. (Polen hat bis jetzt kein einziges AKW – Anm. RdP).“

Lesenswert: „Blaue Kohle Chance für Polen. Neuer Brennstoff soll Armen und dem Bergbau helfen“.

 

© RdP




Das Wichtigste aus Polen 4. – 24. Februar 2018. Polen-Israel, Polen-Deutschland. Es stürmt

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Empörung, Proteste, Provokationen: Israel kämpft im Holocaust-Streit mit den härtesten Bandagen. Ministerpräsident Morawiecki am Pranger. Polen steht zu seinen Argumenten und behält die Ruhe. War das alles notwendig und wie geht es weiter?  ♦ Ministerpräsident Morawiecki in Berlin. Frau Merkel reicht Polen das Zuckerbrot (Aussicht im GroKo-Vertrag auf Partnerschaft wie mit Frankreich) und schwingt die Peitsche (EU-Gelder abhängig von der Migrantenverteilung).  Groβ sind die Erfolgsaussichten der Dompteurin nicht.




Polens Justizreform. Eine Richterin spricht Klartext

Beeinflussen die Veränderungen die richterliche Unabhängigkeit?

Barbara Piwnik gehört zu den bekanntesten Richtern des Landes. Ihre öffentlichen Äuβerungen in Sachen Justizwesen, stets sehr praxisbezogen, haben Gewicht und werden in der Öffentlichkeit mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. So auch ihre Meinung zur polnischen Justizreform.

Barbara Piwnik (Jahrgang 1955) studierte Jura an der Warschauer Universität und wurde 1982 ins Richteramt berufen. Zwischen 1987 und 2001 war sie Richterin am Woiwodschaftsgericht Warschau. Sie erwarb sich groβe Anerkennung und Respekt durch die professionelle und souveräne Art, mit der sie einige groβe Strafverfahren bewältigte. Es waren spektakuläre Prozesse im Kampf gegen Mitglieder von landesweit agierenden gefährlichen kriminellen Banden und gegen die mutmaßliche Täter  aufsehenerregender Morde.

Richterin Barbara Piwnik verfolgt im Gerichtssaal die Vorführung von Videoaufnahmen von einem Lokaltermin während eines der groβen Strafprozesse, den sie führte.

Der postkommunistische Ministerpräsident Leszek Miller berief sie im Oktober 2001 in das Amt des Justizministers und Generalstaatsanwalts. Das politische Beamtendasein lag ihr eindeutig nicht und sie reichte bereits im Juli 2002 ihren Rücktritt ein. Seitdem arbeitet sie wieder als Strafrichterin am Warschauer Distriktgericht.

Das Interview mit Barbara Piwnik erschien im Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Der Sonntagsgast“) vom 14.Januar 2018.

Fühlen Sie sich nach der Einführung der Justizreform als Richterin weniger unabhängig?

In meinem Richterdasein verändert die Reform rein gar nichts.

Das modifizierte Gerichtsverfassungsgesetz überträgt dem Justizminister die Dienstaufsicht über die Gerichte, er darf die Gerichtspräsidenten berufen. Ein Teil der Richterschaft protestiert dagegen lauthals, sieht darin einen Anschlag auf die richterliche Unabhängigkeit.

Diese Proteste veranschaulichen nur das fehlende Verständnis dafür, was die richterliche Unabhängigkeit tatsächlich ausmacht.

Und was macht sie tatsächlich aus?

Wenn ich meinen richterlichen Pflichten gewissenhaft nachgehe, kann niemand, und zwar in keiner Weise, meine Entscheidungen beeinflussen. So steht es in der Verfassung und in den Gesetzten, und so ist es auch.

Die Protestierenden behaupten, dass der Justizminister mit Hilfe der von ihm ernannten Gerichtspräsidenten Druck auf die Richter ausüben wird, damit sie ihm genehme Urteile fällen.

Wenn ich als Richterin rechtzeitig meine Urteilsbegründungen fertig habe, pünktlich die Verhandlungen eröffne, jeden Tag an meinem Arbeitsplatz bin, meine Verfahren sich nicht in alle Ewigkeit hinziehen und ich allen anderen Pflichten nachkomme, dann kann mich der Gerichtspräsident höchstens auf eine Tasse Kaffee einladen.

Das habe ich vor kurzem öffentlich gesagt. An meinem Gericht gibt es einen neuen Präsidenten und neue Stellvertreter, die Justizminister Zbigniewe Ziobro entsprechend dem neuen Gerichtsverfassungsgesetz berufen hat. Nachdem der neue Gerichtspräsident diese Feststellung von mir gelesen hatte, hat er mich, im Vorbeigehen auf dem Gerichtskorridor, zu einer Tasse Kaffee eingeladen.

Wenn ein Richter seine Dienstpflichten erfüllt und seinem Eid treu bleibt, dann kann ihm der Gerichtspräsident gar nichts. Im Rahmen der Dienstaufsicht kann und muss er aber dem Richter eine ordnungswidrige Ausführung der Dienstgeschäfte vorhalten und deren Änderung anmahnen.

Sie sind seit knapp vierzig Jahren Richterin. Hat man jemals versucht Druck auf Sie auszuüben um ihr künftiges Urteil zu beeinflussen?

Ich lege meine Hand aufs Herz: niemals.

Herrscht unter den Richtern Angst, dass die Regierenden ihre Unabhängigkeit untergraben werden, vor allem bei politischen Prozessen?

Die Richter, mit denen ich es zu tun habe, hegen solche Befürchtungen nicht. Wir sind lange genug im Beruf, um zu wissen was den Unterschied zwischen der richterlichen Unabhängigkeit und der Dienstaufsicht ausmacht. Unsere richterliche Unabhängigkeit stellt uns nicht von einer Dienstaufsicht frei. Wir unterliegen der Dienstaufsicht, soweit unsere richterliche Unabhängigkeit nicht betroffen ist.

Barbara Piwnik mit Ministerpräsident Leszek Miller bei der Berufung zur Justizministerin am 19. Oktober 2001.

Die Protestierenden verwechseln das?

Lassen Sie es mich etwas milder formulieren: vielleicht haben sie eine geringere Berufserfahrung? Die jüngeren Kollegen setzen heute etwas andere Prioritäten. Auch Richter sind ganz die Kinder ihrer Gesellschaft, und dort herrscht ein Drang zum Karrieremachen. Ein Teil der Richter betrachtet das Erklimmen der Karriereleiter, das Ansammeln von Posten, z. B. der des Gerichtspräsidenten, von Titeln, als ein Beleg für den beruflichen Erfolg.

Aufgrund der Reform entscheidet der Justizminister nun über die Postenvergabe und das bedeutet, dass er in ihren Augen die wichtigste Domäne ihres Berufslebens betreten hat. Daher die Proteste.

Für mich und andere normale, hart arbeitende Richter ist das Maβ für den Berufserfolg die bestmögliche Erfüllung unserer Pflichten. Das Einnehmen von Verwaltungsposten im Justizwesen kann nicht das Berufsziel eines Richters sein.

Die Richtervereinigungen rufen dazu auf, die auf Geheiβ des Justizministers frei gewordenen Posten der entlassenen Gerichtspräsidenten nicht einzunehmen und nicht für den neuen Landesjustizrat zu kandidieren.

Schade, dass sie dabei nicht merken, wie sie sich selbst durch solche Appelle in Widersprüche verwickeln. Sie behaupten, ihr Ziel sei es die richterliche Unabhängigkeit zu verteidigen, dass niemand auf die Richter Einfluss nimmt. Wie soll man dann aber die Aufforderung verstehen: Richter nehmt die Angebote des Justizministers nicht an! Das ist doch ein eklatanter Versuch der Einflussnahme von Auβen. Deswegen kann ich nur an diese Kollegen appellieren, überdenkt was ihr da macht.

Jene behaupten, sie setzen sich für die Rechtstaatlichkeit und die Einhaltung der Verfassung ein.

Wie sie die Rechtstaatlichkeit wahren und die Verfassung achten, das können Richter am besten anhand ihrer tagtäglichen Arbeit demonstrieren. Es fällt heute leicht, dies und das über die Medien zu verkünden. Ich befürchte jedoch, dass mit diesen Worten, oft genug, nicht der Nachweis einer konzentrierten tagtäglichen, normalen Arbeit im Gericht einhergeht.

Richterin Barbara Piwnik betritt den Gerichtssaal.

Würden Sie den Posten eines Gerichtspräsidenten einnehmen? In den Medien spekuliert man, dass Sie sogar an die Spitze des neuen Landesjustizrates gestellt werden sollen.

Meinem neuen, jungen Gerichtspräsidenten und seinen Stellvertretern habe ich zugesagt, dass ich mit meiner Berufserfahrung jeder Zeit bereit bin ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. In diesem Moment meines Berufslebens ist das das Richtigste was ich tun kann und dabei bleibe ich vorerst.

Ein Teil der Juristen meint, die Wahl der Richter in den Landesjustizrat durch das Parlament vernichte die Unabhängigkeit der dritten Gewalt. Begibt sich in diesem Fall die Justiz tatsächlich in eine Abhängigkeit von der gesetzgebenden Gewalt?

Solche Behauptungen können nur diejenigen beeindrucken, die keine Ahnung davon haben worin die Tätigkeit des Landesjustizrates besteht. Die Befugnisse des LJR sind im Gesetz festgelegt und erstrecken sich in keiner Weise auf das Gebiet der Rechtsprechung. Der LJR kann mir nichts, rein gar nichts in Bezug auf meine richterliche Tätigkeit vorschreiben. Die Entscheidungen des LJR haben keinerlei Einfluss auf die Hunderttausende von Verfahren, die wir Richter in Polen jedes Jahr durchführen.

Kritisiert wird auch die Bildung einer Disziplinarkammer am Obersten Gericht. Sie werde ein Instrument zur Maßregelung von Richtern sein, die Urteile gegen die Anweisungen der Regierung fällen. Besteht eine solche Gefahr?

Richter werden in Polen auf Lebenszeit ernannt und auch die entlassenen Gerichtspräsidenten bleiben weiterhin Richter. Wenn ein Richter unabhängig ist, dann kann man ihn zu nichts zwingen. Das Verfahren vor der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts bildet den Abschluss eines Verfahrens, das vorher gegen einen Richter eingeleitet wurde. Das Verfahren wird auf Antrag des Disziplinarbeauftragen des jeweiligen Gerichtes eröffnet, die Vorwürfe gegen ihn werden formuliert und erst dann an die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtes geleitet. Dass die dortigen Richter andere Kollegen, entgegen aller Beweise, zum Bespiel aus dem Dienst entfernen, kann ich mir selbst in meinen dunkelsten Träumen nicht vorstellen. Solche Richter gibt es in Polen nicht.

Die Europäische Kommission behauptet, die Justizreform gefährde die Rechtstaatlichkeit in Polen. Zurecht?

Die hitzigen Diskussionen darüber, sowohl bei uns, wie auch im Ausland, werden immer abgehobener. Verfahren mit einer politischen Einfärbung machen nicht einmal 1 Promille der Prozesse aus, die jedes Jahr an polnischen Gerichten verhandelt werden. Kein Justizminister, kein Gerichtspräsident hat die Möglichkeit in diesen Verfahren und in allen anderen Druck auf einen Richter auszuüben, der seiner Unabhängigkeit treu ist. Zudem werden aufgrund der Reform die Verfahren nicht mehr vom Gerichtspräsidenten den Richtern zugeteilt, sondern diesen durch einen Zentralcomputer nach einem Zufallsprinzip zugewiesen.

Sie sind also nicht gegen die Justizreform?

Die Reformen bewegen sich bis jetzt auf der höchsten Ebene des polnischen Justizwesens. Sie sind und können nur der notwendige Ausgangspunkt sein zu weiteren Veränderungen im polnischen Justizwesen, die dem Normalbürger zu seinem Recht verhelfen und uns, den Richtern, das Arbeiten erleichtern. Der Bürger muss die Gewissheit haben, dass vor ihm ein Richter sitzt, der genügend Zeit hatte um sich gut auf das Verfahren vorzubereiten, der es zügig und gerecht zum Abschluss bringt.

Lesen Sie unsere weiteren Beiträge über die polnische Justizreform, um sich ein Bild zu machen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz.

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter.

RdP




Das Wichtigste aus Polen 24. Januar – 3. Februar 2018. U.a. Die »Todeslager-Krise«

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Israelische Überreaktion – polnische Beharrlichkeit.  Polnische Argumente und Beweggründe. Wie es, trotz Vorab-Konsultationen mit Israel, zu der „Todeslager-Krise“ kam. Und was nun? ♦ US-Auβenminister Rex Tillerson in Warschau. Kopfschmerzen in Moskau und Berlin. Polen – USA: in der Energie- und Sicherheitspolitik auf einer Linie. ♦ Kompetent und schlagfertig in flieβendem Englisch. Beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos war Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in seinem Element. ♦ Gewerkschaft Solidarność am Ziel. Schritt für Schritt: auch die Angestellten im Handel sollen am Sonntag frei haben.




Holocaust. Polen. Historische Wahrheit. Bewegende Ansprache von MP Mateusz Morawiecki. Video Auf Englisch

 

Am Donnerstag, dem 1. Februar 2018, hielt der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (hier bei den Feierlichkeiten zum 73. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz am 28. Januar 2018) im Polnischen Fernsehen eine Ansprache im Zuge der politischen „Todeslager-Krise“ . Seit Sonntag, dem 4. Februar 2018, ist ebenfalls eine überarbeitete englische Version verfügbar.  Hier zu sehen. 




Migranten aufnehmen? Bedenken aus Polen zum Lesen empfohlen

Sicherheit für das Land. Hilfe vor Ort. Aus den Fehlern anderer lernen.

Der Reporter und Publizist Witold Gadowski gilt als einer der besten polnischen Kenner des Nahen Ostens auf der konservativen Seite des politischen Spektrums. Ob man sie nun teilt oder nicht, es ist aufschlussreich seine Beobachtungen und Einschätzungen kennenzulernen, denn sie machen die Einstellung der meisten Polen nachvollziehbar und bilden zugleich die Grundlage für die offizielle Haltung Warschaus in dieser Frage.

Das Gespräch erschien im Wochenmagazin „Sieci“ („Netzwerk““) vom 14.01.2018.

Wissen wir inzwischen warum 2015 mehr als eine Million Migranten nach Europa reingelassen wurden? War das Zufall, eine Regung der Menschlichkeit, ein gut durchdachter Plan?

Witold Gadowski.

Der Streit darüber dauert an, ein Ende ist nicht abzusehen. Einerseits haben wir da die Ideologie der naiven Zuversicht. Der arabische Frühling war eine wunderbare Erscheinung. Die arabischen Gesellschaften sind endlich erwacht.

Die groβe Völkerwanderung war eine Folge des Zusammenbruchs von Willkürregimen im Nahen Osten und Nordafrika. Europa wird nun durch Menschen anderer Kulturen bereichert. Engstirnige nationale Eigenbefindlichkeiten werden zerschlagen. Europa öffnet sich einer neuen, lichten Zukunft, in der die heutigen Völker sich wie in einem Schmelztiegel endlich auflösen werden.

Alle Völker? Keine Inseln, die die Aufnahme von Migranten verweigern?

Keine Ausnahmen. Die Verfechter der naiven Zuversicht sind nicht so naiv um nicht zu wissen, dass Völker mit einem starken nationalen Zusammenhalt ihrer Vorstellung vom Umbau Europas gefährlich werden könnten. Der Patriotismus dieser Völker, den sie mutwillig mit Nationalismus gleichsetzten oder unwissentlich damit verwechseln, könnte das Feuer unter ihrem Schmelztiegel auspusten.

Verfechter der naiven Zuversicht. Parole „No borders, no nations, stop deportations“.

Wer ist der Erfinder der Ideologie der naiven Zuversicht?

Schwer zu sagen. Einer der ganz groβen Verfechter ist George Soros, ein allseits bekannter Schirmherr und groβzügiger Gönner des Kultes um die sogenannte offene Gesellschaft.

Und die andere Sichtweise?

Sie ist unromantisch und lebensecht. Es gab flächendeckend keinen spontanen arabischen Frühling. Dahinter verbargen sich nicht selten die ziemlich kurzlebigen Interessen anderer Staaten, standen oftmals der amerikanische, französische, britische, israelische oder russische Geheimdienst.

Der Schutzwall Europas wurde immer dünner bis er brach. Gaddafis Regime in Libyen war sein wichtigster Bestandteil. Auch das ägyptische Einfallstor wurde weit aufgerissen. Hinzu kamen die Zerschlagung des Irak und der Zusammenbruch Syriens. Bis dahin war das Durchqueren dieser Staaten schwierig. Die Diktaturen mit ihren funktionierenden Sicherheitskräften blockierten den Weg.

Die Völkerwanderung ist ausgebrochen.

Doch es waren zugleich sehr brutale Regime.

Ja, aber welche dienlichen Ergebnisse brachte deren Zerschlagung? Wir haben jetzt mehrere gescheiterte Staaten. In Libyen gibt es drei Machtzentren die sich bekämpfen. Der Lebensstandard ist im Vergleich zu Gaddafis Zeiten dramatisch gesunken. Ägypten ist in den Strudel einer noch schwerwiegenderen Wirtschaftskrise geraten als jemals zuvor und wird vom Militär regiert. In Syrien kehrt Assad blutig an die Macht zurück. Der Irak besteht heute aus drei voneinander losgelösten Gebieten. Es herrscht Chaos.

Keine Staaten, keine Grenzen.

Eine Völkerwanderung ist ausgebrochen und der Krieg heizt sie noch an, denn unter den Menschen, die nach Europa wollen sind auch Kriegsflüchtlinge. Die meisten Kriegsflüchtlinge jedoch sitzen fest in Lagern ihrer benachbarten Staaten und haben keine Chance von dort wegzukommen. Das Ergebnis: nach Europa strömen überwiegend diejenigen, die die Schlepper teuer bezahlen. Diese Menschen sind oft sehr fordernd und stehen der europäischen Kultur ablehnend gegenüber. Das schafft eine Verfeindung, die sich vertiefen wird.

Glaubwürdige Untersuchungen, wie die des Pew Research Center, gehen davon aus, dass in Schweden im Jahr 2050 Moslems gut dreiβig Prozent der Bevölkerung ausmachen werden. Das ist ein Anteil, der eine Machtübernahme auf demokratischem Weg möglich machen würde.

Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“. Polnische Ausgabe.

Michel Houellebecq hat in seinem Roman „Unterwerfung“ ein solches Szenario bereits vorhegesagt. Er beschreibt, wie eine Moslem-Partei in Frankreich legal an die Macht kommt. In Schweden ist so etwas denkbar. Es ist ein Land mit einer zahlenmäβig sehr überschaubaren Bevölkerung und dementsprechend treten dort Veränderungen schneller ein.

Spöttelnd könnte man sagen, das Kalifat Malmö gibt es bereits. Man braucht ja nur die dort wohnenden Schweden zu fragen. Der Bürgermeister von London ist ein Moslem, der zwar unaufhörlich seinen Liberalismus zur Schau stellt, was man als eine Zwischenetappe betrachten kann.

Labour-Wahlveranstaltung in Birmingham 2015.

In der britischen Presse erschien 2015 ein Foto von der Wahlveranstaltung eines Labour-Kandidaten in einem muslimischen Viertel von Birmingham. Frauen und Männer sitzen streng voneinander getrennt.

Ja. Die auf Frauenrechte so fixierte Linke übergeht und überhört geflissentlich, wie Frauen in den muslimischen Gesellschaften in Europa behandelt werden. Viele Polen, die in Groβbritannien leben haben mir berichtet, auf welche Probe sie gestellt werden, wenn sie durch die Wand oder durch die Decke hören wie muslimische Ehemänner oder Väter Frauen misshandeln.

Was tun, wenn man in England durch die Wand hört wie muslimische Ehemänner oder Väter Frauen misshandeln? Am besten nichts, sonst gibt’s Schwierigkeiten.

Manche waren unvorsichtig genug einzuschreiten und haben sich dadurch selbst in Schwierigkeiten gebracht. Die Gewalt ging nämlich weiter, während sie ins Visier der Polizei und der Sozialbehörde gerieten. Sie mussten sich rechtfertigen, sie zahlten Strafen wegen Hausfriedensbruchs, wurden von ihren muslimischen Nachbarn verklagt und mussten rasch ihren Wohnort wechseln.

Das ist schwer zu glauben.

Solche und ähnliche Geschichten höre ich von unseren Landsleuten jedes Mal wenn ich in Groβbritannien bin.

Moslems genieβen mehr Schutz in europäischen Staaten als Europäer?

Im (polnischen privaten – Anm. RdP) Fernsehsender TVN (am 27. Mai 2017 – Anm. RdP) sagte eine Dame (die Mitarbeiterin der „Gazeta Wyborcza“, Anna Pamula – Anm. RdP), dass, wenn Polen, wie von der EU gefordert, siebentausend Migranten aufnimmt und einer von ihnen eine Bombe zündet, die zehn Polen tötet, wir dann immer noch 6.999 Leben gerettet haben.

Als ich das hörte, wurde mit bewusst, dass ich dieses Denken von anderswoher kenne. Ich habe seinerzeit Isabelle Coutant-Peyre interviewt, die jetzige Ehefrau des internationalen Terroristen Carlos. Ich habe zu ihr gesagt, dass ihr Mann unschuldige Menschen umgebracht hat, indem er Bomben in Hochgeschwindigkeitszügen und Restaurants zündete. „Das ist die Ökonomie der menschlichen Leben“, antwortete sie darauf. Das heiβt, wenn man eine Revolution machen will, dann muss es Opfer geben. Das sagte eine gefragte Pariser Anwältin!

Wenn wir uns dem Massenzustrom von Migranten widersetzen, hören wir: „Was sollen wir tun? Die Boote nach Afrika zurückschleppen, auf Leute, die die Grenzen stürmen schieβen? Würdest Du schieβen?“

Die Migration ist eng verwoben mit der Stimmung in Europa. Wenn hier eine wohlwollende Einstellung vorherrscht oder sogar Enthusiasmus, dann wird dieses Signal in den betroffenen Gebieten sofort wahrgenommen über Internet, iPhones, Satelliten-TV. Die Menschen dort sehen, dass sie in Europa mit Blumen empfangen werden, wie es ja zu Beginn war, und dass sie „Dschizya“ bekommen, die den Ungläubigen auferlegte Steuer.

Sie meinen Sozialhilfe?

Ja. Europäer glauben, sie zeigen sich so von der groβzügigen Seite und erwarten Dankbarkeit. Doch es wird keine Dankbarkeit geben, denn die Ankömmlinge sind überzeugt, Allah beschere ihnen dieses Geld und die „ungläubigen Hunde“ versuchen die Auszahlung hinauszuzögern und möglichst niedrig zu halten.

Der anfängliche Enthusiasmus der Europäer, das „Refugees welcome“ hat das die Migration angekurbelt?

Selbstverständlich! Doch das ist vorbei. Meine deutschen Bekannten wohnen auf Sylt. Anfänglich wollten alle dort den Ankömmlingen helfen. Als dann aber zweihundert Leute ankamen, als im November 2015 der erste Mord geschah, als reitende Frauen grob belästigt wurden, bekamen die Menschen Angst. Heute wollen sie niemanden mehr aufnehmen, aber die alte Idylle ist Vergangenheit.

Der anfängliche Willkommens-Enthusiasmus ist vorbei, Demonstration in Wien, November 2016.

Dieser Umschwung müsste eigentlich den Politikern erlauben, endlich die Grenzen zu sichern.

Der anfängliche Willkommens-Enthusiasmus ist zwar vorbei, aber eine eindeutige Verteidigungsbereitschaft ist auch nicht zu erkennen. Der Westen passt sich langsam den neuen Gegebenheiten an. Einige Dutzend abgebrannte Autos in der letzten Silvesternacht in Deutschland, eine brutal zusammengeschlagene Polizistin in Frankreich. LKW-Fahrer, die durch Calais nach Groβbritannien fahren, werden von dunkelhäutigen Banden überfallen.

Alle sehen wie die Zustände sind, aber kaum jemand mag durchgreifen. In Berlin habe ich eine Demonstration von Arabern beobachtet. Nicht wenige Polizisten, die sie begleiteten waren derselben Abstammung. Man sah ihnen förmlich ihr Desinteresse an, einige hatten zu Zöpfen zusammengeflochtene Bärtchen. So eine Polizei weckt keinen Respekt.

Was werden die Politiker tun, wenn eine neue Migranten-Welle aufkommt? Wer von ihnen wird die Grenzen verteidigen wollen? Die Migranten wissen, dass so etwas nicht passieren wird.

Hier stellt sich die Frage: will Brüssel, will der Westen die Migrationswelle aufhalten oder einen Einsaug-Mechanismus schaffen?

Viktor Orban hat sich in Ungarn zu entschiedenen Maβnahmen durchgerungen. Er hat einen doppelten Grenzzaun bauen und scharf bewachen lassen.

Ungarischer Stacheldrahtzaun an der serbischen Grenze. Orban hat sich viel Ärger eingehandelt.

Und die Bulgaren gucken weg, wenn Mafia-Banden an der Grenze Jagd auf Migranten machen. Die Kunde hat sich schnell verbreitet, dass man Bulgarien unbedingt meiden sollte. Komischerweise hat der Westen hier, bis auf einige Medienberichte, weggeschaut. Orban hingegen hat zu legalen, administrativen Maβnahmen gegriffen und handelte sich dadurch viel Ärger ein.

Bulgarische Schlägertrupps auf der Jagd nach Migranten.

Der Westen zaudert, gibt sich weitgehend lustlos und handlungsunfähig. Die Staaten unserer Region, Polen, Ungarn, die Slowakei und sogar das vom Atheismus durch und durch geprägte Tschechien leisten Widerstand.

Es sind Staaten, die durch Fremdherrschaft und fremde Willkür schwer geprüft wurden. Staaten, ohne jegliche koloniale und imperiale Vergangenheit. Es sind weitgehend gewachsene Nationalstaaten, was dort als ein Vorteil angesehen wird. Nach langer Fremdherrschaft sind sie dabei ihre nationale Staatlichkeit einzurichten. Eine nicht endende Umverteilung von Migranten, wie sie anfänglich von der EU gefordert wurde, würde ihre innere Stabilität zugrunde richten.

Wir sehen was in Schweden, Frankreich, Deutschland, Belgien, Italien passiert. Alle diese Länder hatten „ihre“ islamistischen Terrorattentate, verübt mit Bomben, Maschinenpistolen, Messern, Lkw. Man sagt den Bürgern dort, sie müssen sich nun mal daran gewöhnen, am besten so tun als wäre nichts gewesen usw. Polen hat „sein“ islamistisches Terrorattentat bis jetzt noch nicht gehabt, und das soll so bleiben. Wir wollen nicht aus dem Schaden lernen, sondern vor dem Schaden klug handeln.

Man kann sich auch leicht vorstellen, wie diese Umverteilung aussehen würde. Im Westen bleiben die Ärzte, Ingenieure, Facharbeiter. Hirten, Arbeitslose und Ungelernte werden in den Osten „gegangen“. Aus fremder Haut ist gut Riemen schneiden.

Als die Vorgängerregierung von Frau Kopacz im Frühherbst 2015, kurz vor den Parlamentswahlen, der Aufnahme von siebentausend Migranten zustimmte, da wurde Polen ein EU-Zuschuss von 6.000 Euro pro Person in Aussicht gestellt. Als sich die Nachfolgeregierung weigerte die Leute aufzunehmen, hieβ es plötzlich, ein Land kann sich „freikaufen“ wenn es 250.000 Euro pro nicht aufgenommenen Migranten zahlt. Das alles ist unglaublich!

Wir hören immer wieder den guten Rat: nehmt doch die siebentausend Migranten aus Italien und Griechenland auf, dann lässt euch die EU in Ruhe. Siebentausend, das ist doch nicht viel.

Sie würde uns nicht in Ruhe lassen.

Wenn wir die Tür einen Spaltbreit öffnen, kriegen wir sie nie wieder zu?

Nein. Die EU ist wie der Zauberlehrling. Sie hat etwas entfesselt, sich auf etwas eingelassen, was sie nicht beherrscht. Sie würde immer wieder die Umverteilung in Gang setzen. Deswegen darf man sich nicht darauf einlassen. Anschlieβend käme die Familienzusammenführung.

Groβbritannien und Dänemark wurden aus diesem System von vorneherein ausgenommen. Brüssel weiβ, dass die Regierungen dieser Länder auf ihre Wähler hören müssen. Es ist an der Zeit Brüssel daran zu gewöhnen, dass die jetzige polnische Regierung das auch tun muss.

Refugees-Welcome-Kundgebung in Kraków, September 2015.

Inwieweit hat die strikte Weigerung von Recht und Gerechtigkeit Migranten aufzunehmen zu ihrem Wahlsieg 2015 beigetragen?

Wesentlich. Die meisten Polen spüren instinktiv, dass hier eine Utopie verwirklicht werden soll, die Multikulti-Gesellschaft.

Anti-Migranten-Happening in Lublin, September 2015.

Würden diese Menschen an unsere Küsten angespült, natürlich würden wir uns um sie vor Ort kümmern. Doch sie legen oft Tausende von Kilometern zurück durch sichere Drittstaaten, um nach Europa zu kommen. Sie wollen nach Deutschland, Schweden, Frankreich, Belgien gelangen.

Dort sind oft schon ihre Verwandten, existieren ganze Netzwerke, die sie auffangen: Moscheen, Koranschulen, Läden, kulturbedingte Dienstleistungen, eigene Stadtbezirke oder Straβenzüge, ausgedehnte Integrationsmaβnahmen, eine einigermaβen anständige Sozialhilfe.

Straβenszene im Londoner Stadtteil Tower Hamlets.

Niemand von diesen Leuten will nach Polen, Ungarn, Slowenien oder Lettland gehen, Polnisch, Ungarisch, Slowenisch oder Lettisch lernen.

Die Umverteilung wäre also eine reine Zwangsmaβnahme. Die meisten würden alles tun, um von uns aus wieder in den Westen Europas zu gelangen. Sollen wir sie in bewachte Lager stecken? Ihnen an der Grenze Handschellen anlegen, wenn sie uns von den deutschen Behörden nach der Flucht zwangsüberstellt werden? Denn so war es vorgesehen. Wer „umverteilt“ wurde, der müsste an Ort und Stelle bleiben.

Das Hereinlassen einer groβen Zahl von Menschen aus einem fernen Kulturkreis schafft eine groβe Verantwortung.

Anfang der neunziger Jahre halfen meine Kollegen von der Solidarność dem Kinderheim in Beiuş, in Rumänien, wo schreckliche Zustände herrschten. Sie haben einige der Waisen nach Polen geholt. Am Anfang war alles wunderbar, aber nach einiger Zeit schwand das Interesse für sie. Es gab niemanden, der sich intensiv um die Erziehung dieser Jungs gekümmert hätte. Bis es zu einer brutalen Vergewaltigung in einem Freibad in Kraków kam. Die Täter waren die Jungs aus Beiuş.

So geschieht es auch mit den Migranten.

Im Nahen Osten, in Nordafrika sind sie unter der Aufsicht ihrer Gemeinschaft, ihrer Familien. In Europa sind sie meistens auf sich gestellt. Aus einer Welt, wo Frauen wie das Eigentum von Männern behandelt werden, wo man dem Vater für die künftige Ehefrau zahlen muss, gelangen sie in eine Welt, wo Sexualität offen ausgelebt, zur Schau getragen wird. Das nimmt in ihrem Fall oft ein böses Ende.

Das dauerhafte Zusammenleben mit einer Vielzahl von Menschen, die einer anderen Kultur entstammen und sich häufig nicht integrieren können und oft auch nicht wollen, gestaltet sich schwierig.

Stellen sie sich eine Kleinstadt in Polen vor. Nach der Sonntagsandacht kommen die Leute aus der Kirche. Auf der Straβe geht eine Migrantenfamilie, der Mann verliert die Geduld, schlägt seine Frau. Einige Männer versuchen ihn daran zu hindern. Was werden die Medien berichten? Polnische Rassisten haben einen Migranten zusammengeschlagen. Migranten üben Vergeltung. Die Polen auch. Die Hölle öffnet sich.

Die Antwort darauf lautet: auch in Polen gibt es Gewalt.

Aber natürlich, wie überall. Aber von unserer eigenen Gewalt haben wir mehr als genug, weitere brauchen wir  nicht noch zusätzlich zu importieren.

Junge Moslems aus gewissen Kreisen erachten Frauenbelästigung als einen aufregenden Zeitvertreib. Wollen wir das auch bei uns? Es gibt zudem eine Erscheinung, die als „Gangasta-Islam“ umschrieben wird. Aus ihrer Gemeinschaft herausgelöste junge Moslems rotten sich zu kriminellen Banden zusammen, terrorisieren im Geiste des Islam ihre Umgebung, islamisieren die Gefängnisse. Es entsteht eine Parallelwelt, aus der die Einheimischen flüchten und wo die Polizei am liebsten wegschaut.

Wie das funktioniert habe ich vor Kurzem im dänischen Aarhus gesehen, wo sich der einst lichte, moderne Stadtteil Brabrand in einen Slum verwandelt hat. In Betonschachteln, die auf einer schlammigen Wiese stehen, leben ein paar Tausend Menschen auf engem Raum: Palästinenser, Libanesen, Syrer, Sudanesen, Jemeniten, Somalier, Algerier, Ägypter, Nigerianer. Dänen sieht man dort nicht.

Trotz aller Integrationsanstrengungen.

Ja. In allen Ländern, von denen wir hier reden wurden in etlichen Anläufen aufwendige Integrationsprogramme aufgelegt, wie z.B. in Frankreich: kleine Sportzentren, Jugendhäuser, Kultureinrichtungen, Sozialarbeiter. Das alles ist gescheitert.

Moslems protestieren in London gegen einen Auftritt des rechten holländischen Politikers Geert Wilders, Oktober 2009.

Entstanden sind in allen französischen Groβstädten Territorien, wo die Sitten, der Handel, die Kleidung, der gesellschaftliche Umgang (Frauen sind weder in den Cafés noch auf den Straßen zu sehen) muslimisch sind, wo Salafisten das französische Gesetz durch die Scharia ersetzt haben. Hinzu kommen eine hohe Kriminalität, Drogenhandel, unkontrollierte Einwanderung, überforderte Schulen.

Und linke Gutmenschen, die behaupten die christliche Tradition provoziere die Migranten.

Es gibt drei Phasen. In der ersten Phase, in der es nur wenige Migranten gibt, sind die Ankömmlinge friedlich und höflich. In der zweiten Phase stellen sie Forderungen. Sie sind in den Kommunen vertreten, erzwingen Halal-Fleisch in den Schulkantinen, die Schlieβung von Pubs, das Abnehmen der Kreuze. Dann kommt die dritte Phase, in der sie das Sagen haben, auf einem eigenen Territorium.

Scharia-Polizei in Wuppertal.

Papst Franziskus ruft ständig dazu auf Migranten aufzunehmen.

Papst Franziskus wusch und küsste die Füβe von Moslems in der Gründonnerstagsmesse 2016. Er holte Moslemfamilien von der Insel Lesbos. Das sind eindrucksvolle christliche Gesten. Nur sollten solche Gesten an jene gerichtet sein, die sie im christlichen Sinne verstehen. Das ist genauso wie mit dem Hinhalten der anderen Wange. Halten wir sie einem Dummkopf hin, dann wird er dadurch noch dreister.

Papst Franziskus wäscht und küsst die Füβe von Moslems, April 2016.

Die Gesten des Papstes, vor denen ich mich verneige, werden in der Welt des Islam durchgehend als Unterwerfungsgesten Roms gegenüber dem Propheten ausgelegt. Das stärkt nur den kriegerischen Islam. Wir müssen besonnen handeln. Der katholische Glaube ist kein dumpfer Glaube.

Oder vielleicht doch? Einer unserer führenden katholischen Publizisten, Tomasz Terlikowski hat neulich über den in Polen vor kurzem begangenen „Tag des Islams in der katholischen Kirche“ eine kurze, sehr treffende Glosse geschrieben.

„Es gab Begegnungen, Vorträge, alle gewidmet »der Sorge um das gemeinsame Haus«“, schreibt Terlikowski. „Im Dialog gelang es festzustellen, dass Katholiken und Moslems die Natur lieben. Es wurde gemeinsam aus der Bibel und aus dem Koran gelesen.
In derselben Zeit sterben aus der Hand von Moslems Tausende von Christen. Ihre Kirchen werden niedergebrannt. Christinnen werden entführt, zum Übertritt zum Islam gezwungen, in Harems gesteckt, brutal miβbraucht.“, so Terlikowski

„Das geschieht nicht gegen den Koran, sondern unter ausdrücklicher Berufung auf ihn und auf das Beispiel Mohammeds. Sie tun dasselbe, was er getan hat. Mohammed ist Vorbild für sie, so wie er tötete, betrog, sich kleine Mädchen als Frauen nahm.

Doch das scheint bei diesem Dialog niemanden zu stören. Dialog und politische Korrektheit sind wichtiger“, schreibt Terlikowski.

Ja, das ist schon sehr bedrückend.

„Du liebst Christus, du wirst sterben wie Christus“. Vom IS ermordete Christen, Syrien August 2015.

Es heiβt, die Polen wollen den Kriegsopfern nicht helfen.

Das stimmt nicht. Man muss nur zwischen tatsächlicher Hilfe und der Umsetzung einer gefährlichen politischen Multikulti-Utopie unterscheiden. Polen hilft vor Ort und sollte auch Kriegsopfer aufnehmen, aber nur zu unseren Bedingungen.

Wen im Einzelnen?

Wir haben einen wichtigen Trumpf, das sind die hervorragenden Ortskenntnisse unserer kirchlichen Hilfsorganisationen, die vor Ort tätig sind. Sie kennen die Orte, wo es Christen gibt, die wirklich nicht mehr weiterwissen. Sie sollten wir aufnehmen.

Wie viele?

Einige Hundert Familien. Generell wollen die Christen Syrien nicht verlassen und wir sollten alles tun, um sie darin mit unserer Hilfe vor Ort zu bestärken. Es gibt aber leider auch solche, für die es kein Zurück gibt, weil sie Gefahr laufen von ihren muslimischen Nachbarn ermordet zu werden.

Um wen geht es konkret?

Es sind überwiegend Assyrer, Menschen einer uralten Kultur, mit einer in der ganzen Welt weitverbreiteten Diaspora. Hervorragende Geschäftsleute. Sie sind fleiβig, umsichtig, gebildet.

Wie können wir vor Ort, in Nahost helfen?

Viele Hilfsorganisationen betreiben im Grunde ein Geschäft und verbrauchen bis zu dreiβig Prozent der Hilfsmittel selbst. Banden vor Ort stehlen ein weiteres Drittel. So darf man es nicht machen.

Das zerstörte Karakosch.

Sondern wie?

Man muss die Notleidenden vor Ort ausfindig machen und ihnen helfen. Zusammen mit einigen Kollegen von der Stiftung Orla Straż (Adlerwache – Anm. RdP) helfen wir der altertümlichen christlichen Stadt Karakosch im Irak. Dort lebten einst 55.000 Menschen, davon waren neunzig Prozent Christen.

Sie wurden vom IS vertrieben. Jetzt kommen sie in die verminten Ruinen zurück. Es gibt keine Schulen, Krankenhäuser, Läden. Ich habe in meinen Fernsehsendungen um Spenden gebeten. Es sind 500.000 Zloty (ca. 120.000 Euro – Anm. RdP) zusammengekommen.
Von diesem Geld haben wir eine Schlosserei wiederaufgebaut, eine Schweiβerei ausgestattet, Druckmaschinen für Schulbücher gekauft, einem Laden das Startkapital gegeben. Jetzt helfen wir beim Wiederaufbau des Gesundheitszentrums und wir haben eine Weihnachtsfeier für Kinder unterstützt.

Das Geld bekommen Leute, die wir kennen. Für diese halbe Million Zloty konnte man dort fünfmal so viel erreichen wie bei uns, wenn man hier Migranten aufnähme.

Lesen Sie dazu: Syrien,  Irak, Libanon. Polen Hilft vor Ort. 

RdP




Syrien, Irak, Libanon. Polen hilft vor Ort

Die andere Facette der polnischen Migrationspolitik.

Polen verfolgt eine klare Politik: keine Migranten ins Land lassen, dafür Kriegsopfern und Flüchtlingen im Mittleren Osten direkt helfen. Über den vehementen polnischen Widerstand gegen die EU-Zwangsumverteilung von Migranten gab und gibt es in den deutschsprachigen Medien unzählige kritische Berichte. Über die humanitäre polnische Hilfe vor Ort vernimmt man so gut wie nichts.

Dabei lassen sich die Zahlen durchaus sehen. Die polnische Regierung hat 2017 umgerechnet knapp 88 Millionen Euro an verschiedene Stellen und Organisationen überwiesen, die das Leid der Menschen im Irak, in Syrien und dem Libanon lindern sollen.

Beata Kempa, die Koordinatorin der polnischen humanitären Hilfe, zu Besuch in Zaatari, dem gröβten jordanischen Lager für syrische Flüchtlinge, Januar 2018. Polen wird dort eine Krankenstation errichten und betreiben.

Koordiniert werden die mannigfaltigen polnischen staatlichen und privaten humanitären Vorhaben im Ausland neuerdings von einer eigens im Dezember 2017 hierfür geschaffenen Dienststelle. Sie ist angesiedelt im Amt des Ministerpräsidenten (entspricht dem deutschen Bundeskanzleramt). Als erste Koordinatorin der polnischen humanitären Hilfe ist seither Beata Kempa tätig, Sejm-Abgeordnete und namhafte Politikerin der seit 2015 regierenden Vereinigten Rechten.

Geld aus Warschau

Der gröβte Teil der 88 Millionen Euro, nämlich 50 Millionen Euro, flossen 2017 von Warschau an die Europäische Investitionsbank (EIB) in einen neugegründeten Fonds, der den betroffenen Regionen zu Gute kommen soll. Polen ist hier der gröβte Geldgeber vor Italien (45 Millionen Euro), Slowakei (2 Millionen Euro), Slowenien (0,5 Millionen Euro) und Luxemburg (0,4 Millionen Euro).

Etwa 25 Millionen Euro gingen 2017 an den EU-Spezialfonds für Flüchtlinge, die in der Türkei Aufnahme gefunden haben. Der polnische Gesamtanteil an diesem Fonds beträgt 57 Millionen Euro. Die zweite Tranche soll 2018 überwiesen werden.

Etwa 5 Millionen Euro aus Warschau bekamen  das Internationale Rote Kreuz und die Behörde des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge.

Knapp 8 Millionen Euro betrug 2017 die staatliche Unterstützung für die fünf polnischen Hilfsorganisationen, die im Mittleren Osten tätig sind. Diese Organisationen wiederum haben 2017 zusätzlich etwa 12 Millionen Euro polnischer Spendengelder im Mittleren Osten ausgegeben.

Von Familien in Polen zu Familien in Syrien

Die mit Abstand meisten Spenden für den Mittleren Osten, knapp 8 Millionen Euro, sammelte 2017 Caritas Polska, die Wohlfahrtsorganisation der katholischen Kirche. Führend war hier deren Hilfsprogramm „Rodzina rodzinie“ („Von Familie zu Familie“).

Spendenaufruf der Caritas Polska für das Hilfsprogramm „Von Familie zu Familie“.

Etwa sechzehntausend Einzelpersonen, Familien, Firmen, Pfarrgemeinden, Orden folgten dem Aufruf von Caritas Polska und verpflichteten sich, allein oder im Verein mit anderen, jeweils eine syrische Familie aus Aleppo regelmäβig mit monatlichen Spenden zu unterstützen.

Das Programm sieht vor, ein halbes Jahr lang jeden Monat umgerechnet ca. 120 Euro zu überweisen. Im zerstörten Aleppo kann eine Familie davon ihre elementarsten Bedürfnisse finanzieren. In derselben Zeit können Spender auch einen beliebigen, kleineren Betrag einzahlen, der zusammen mit anderen Kleinspenden zu einem „Familienpaket“ von 120 Euro gebündelt wird.

Jeden Monat erhalten knapp neuntausend Familien in Aleppo diesen Betrag von der Caritas Polska ausgezahlt. In der vollkommen zerstörten Stadt, in der es keine Energie- und keine Wasserversorgung mehr gibt, können sie dafür Trinkwasser und die teure Elektrizität aus privaten Stromgeneratoren zum Betreiben wenigstens einer Glühbirne und der Kochstelle kaufen. Dazu noch die einfachsten Lebensmittel.

Geld für Studenten, Wintersachen für Kinder

Mitte 2017 hat Caritas Polska ein weiteres halbjähriges Vorhaben in Aleppo begonnen. Achthundert Studenten aus den ärmsten Familien bekommen pro Monat 46 US-Dollar Beihilfe für Lehrbücher, Fotokopie-Kosten, Internetzugang, alles Dinge, die für dortige Verhältnisse sehr teuer sind. Zum Vergleich: wer in Aleppo Arbeit hat verdient zwischen 30 und 65 US-Dollar im Monat.

Die dritte gegenwärtige Maβnahme ist die Versorgung der Kinder mit Wintersachen. Sehr viele von ihnen laufen drauβen bei drei bis vier Grad über Null in leichten Flip-Flops herum, haben keinen Anorak.
Ende 2017 ist in Aleppo, dank Caritas Polska, die erste mobile Krankenstation aus Polen eingetroffen. Kosten, ungefähr 200.000 Euro.

Seit 2012 hat Caritas Polska im Mittleren Osten insgesamt neunzehn groβe Vorhaben durchgeführt. Darunter die mehrjährige Bezuschussung eines Krankenhauses in Damaskus, die Aktion „Milch für Kurdistan“, die Finanzierung der Arbeit von mehreren mobilen Krankenstationen im Nordirak, letzteres gemeinsam mit der Medizinischen Hochschule Hl. Elisabeth in Bratislava in der Slowakei (dieses Projekt läuft derzeit noch), ebenso wurden mehrere Weihnachtspaket-Aktionen für Kinder in Flüchtlingslagern in der Türkei organisiert.

Milch für Aleppo

„Kościół w Potrzebie“ (fonetisch „Kostsiul w Potschebie“), der polnische Ableger des internationalen katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ bezuschusste mit 250.000 Euro an polnischen Spendengeldern den Wiederaufbau des Hl. Ludwig-Krankenhauses in Aleppo. Mit umgerechnet 300.000 Euro finanziert die Organisation das laufende Vorhaben „Milch für Aleppo“. Es kommt regelmäβig 2.800 Kindern zugute von der Geburt an bis zum 10. Lebensjahr.

Die damalige Ministerpräsidentin Beata Szydło bei der Eröffnung des Hilfsprogramms „Milch für Aleppo“, März 2017 in Warschau.

Seit November 2017 werden Spenden für den Wiederaufbau einer Schule im syrischen Homs für 1.500 Kinder gesammelt. Zusammen mit der ungarischen Botschaft in Warschau finanzierte und verschickte die Organisation im November letzten Jahres 1.300 Weihnachtspakete für Kinder eines Flüchtlingslagers im kurdischen Erbil im Irak.

Wasser für Flüchtlinge

Polska Akcja Humanitarna (Polnische Humanitäre Aktion), das gröβte nichtkirchliche Hilfswerk Polens, ist seit 2012 in Syrien, in den Provinzen Idlib und Aleppo tätig. Die PAH beliefert 53 Flüchtlingslager mit frischem Wasser in Tankwagen, kümmert sich um die Leerung von Fäkaliengruben, besorgt die Müllabfuhr, baut Pumpstationen, Latrinen und dazugehörige Waschstellen. Verteilt Hygieneartikel. Beliefert Backstuben mit Mehl und Hefe. In türkischen Flüchtlingslagern finanziert die PAH Schulbusse, die Kinder zum Unterricht und wieder nach Hause bringen.

Flüchtlingslager in Syrien. Polska Akcja Humanitarna liefert Trinkwasser.

Wärme im Winter

Das Polskie Centrum Pomocy Międzynarodowej (fonetisch Mendsinarodowei – PCPM) – Polnisches Zentrum für Internationale Hilfe, ebenfalls eine nichtkirchliche Organisation, ist in den syrischen Flüchtlingslagern im Libanon tätig. Zwischen Oktober und Dezember 2017 zahlte es monatliche Beihilfen von 147 US-Dollar an 1.100 Flüchtlingsfamilien in der Provinz Akkar aus.

Polnischer Mitarbeiter von PCPM sammelt Anträge auf Winterhilfe von syrischen Flüchtlingen im Libanon.

Die Menschen konnten so ihre provisorischen Unterkünfte abdichten, Wintersachen und Brennstoffe kaufen. Bei Temperaturen, die sich um null Grad bewegen eine lebensrettende Maβnahme. Sie wurde vom polnischen Auβenministerium bezahlt.

Alle geschilderten Aktivitäten sollen 2018 fortgesetzt werden.

Das PCPM betreibt in Akkar auch eine Grundschule für Flüchtlingskinder.  In diese Schule fuhr am 13. Februar 2018, während seines zweitägigen Besuches im Libanon, Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, um sich mit den polnischen Helfern zu treffen. Dort gab er auch bekannt, Polen werde 10 Millionen US-Dollar für den Bau von Feritighäusern für syrische Flüchtlinge in Akkar bis Mitte 2018  bereitstellen.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im Gespräch mit polnischen Helfern in Akkar am 13.02.2018.

Den Straβenkindern von Akleppo helfen

Groβes haben der Franziskanerorden, der bereits in Aleppo einige Hilfsprojekte betreibt, und die Stadt Katowice vor. Das Vorhaben heiβt „Śląskie dzieciom z Aleppo“ („Die Woiwodschaft Schlesien den Kindern von Aleppo“) und sieht den Bau eines Waisenzentrums in der zerstörten Stadt vor.

Dort leben, oft auf der Straβe, bis zu dreiβigtausend Kinder, die ihre Eltern und nicht selten auch weitere Verwandte verloren haben. Für sie soll ein Tagesaufenthaltszentrum entstehen mit psychologischer Betreuung, Bildungsangeboten, vollwertiger Ernährung, ebenso sind ein  Sportplatz und ein Schwimmbad geplant.

Kosten: etwa vier Millionen Zloty (knapp eine Million Euro). Die Spendenaktion läuft seit Januar 2018, getragen vom Franziskanerorden, der Stadt und der Diözese Katowice. Die ganze Summe dürfte bis Ende 2018 zusammenkommen. Gleichzeitig laufen die Planungsarbeiten. Die Bauarbeiten in Aleppo sollen Anfang 2019 beginnen.

© RdP




Das Wichtigste aus Polen 24. Dezember 2017 – 23. Januar 2018

Kommentator Prof. Grzegorz Kucharczyk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Pragmatiker ersetzten Vorkämpfer. Regierungsumbildung abgeschlossen: Einschätzungen, Deutungen, Prognosen. ♦ Zwei Bürgergesetzinitiativen: für und gegen die Tötung ungeborener Kinder. Debatte und Abstimmung im Sejm. Parlamentarische Opposition versetzt sich selbst einen vernichtenden K O-Schlag.  ♦ Welche Gefahren gehen für Polen von der deutschen GroKo aus?