Konservativ, national, modern. Der Plan für Polen

Justizreform, Flaschenpfand, Familie, EU u. v. m. Mateusz Morawieckis Regierungserklärung vom 19. November 2019.

Wie denken und was wollen die regierenden polnischen Nationalkonservativen erreichen? Nachstehend eine aufschluβreiche Lektüre für alle, die sich im Guten oder im Schlechten ein unvoreingenommenes Bild machen wollen. Zwischentitel von RdP.

Die Rede ist hier zu hören und zu sehen.

Herr Staatspräsident! Frau Parlamentspräsidentin! Hohes Haus! Werte Gäste! Werte Landsleute!

Genau vor einem Jahr bezog Czesław Mostek, Deckname „Wilk“ („Wolf“- Anm. RdP) seinen letzten Wachposten. Er kam zur Welt, als es kein Polen auf der Landkarte gab. Er wuchs auf, in der Zweiten Republik (1918-1938 – Anm. RdP). Er war in der Ehreneskorte, die das Herz von Józef Piłsudski nach Wilna brachte.

(Marschall Józef Piłsudski hatte testamentarisch verfügt, dass sein Herz auf dem Na-Rossie-Friedhof im damals polnischen Wilna, seinem Geburtsort, die letzte Ruhe finden sollte. Die Herzbestattung  fand am 12. Mai 1936, ein Jahr nach Piłsudskis Tod statt. Gleichzeitig wurde seine Mutter beigesetzt – Anm. RdP).

Czesław Mostek kämpfte bei der Verteidigung Warschaus (1939 – Anm. RdP) und im Warschauer Aufstand (1.08–2.10.1944 – Anm. RdP). In der Volksrepublik Polen saβ er in einem der Stasi-Folterkerker in  Praga (Warschauer Stadtteil – Anm. RdP). Er erlebte noch (ab 1990 – Anm. RdP) die Dritte Republik, unsere Zeit. Heute verbeugt sich die unabhängige Polnische Republik vor ihm und damit vor allen ihren Helden. Den stillen, namenlosen, ausdauernden, treuen. Vor all denjenigen, ohne die der polnische Weg zur Unabhängigkeit, zur Moderne, zur Normalität nur ein Wunschtraum geblieben wäre.

Ein starkes, demokratisches Mandat

Die Polen haben Recht und Gerechtigkeit die Aufgabe anvertraut, den polnischen Wohlstandsstaat aufzubauen. Einen sicheren und modernen Staat. Einen Staat, von dem jeder mit Stolz sagen kann: Polen das ist mein Zuhause.

Sie haben uns diese Aufgabe anvertraut nach Wahlen (am 13. Oktober 2019 – Anm. RdP) mit der höchsten Beteiligung (61,7% – Anm. RdP) seit dreiβig Jahren. Wir haben von den Polen ein starkes, demokratisches Mandat bekommen. Das geht aus der Rekordzahl (8,05 Mio. – Anm. RdP) der für unsere Partei abgegebenen Stimmen hervor. Die Wahlergebnisse haben gezeigt, dass die Polen den Glauben an den Sinn von Versprechen, an den Sinn der Politik wiedererlangen. Das ist eine groβe Sache. Ich danke für dieses Vertrauen und bitte das Hohe Haus heute, nach der Regierungserklärung, meiner Regierung das Vertrauen auszusprechen.

Die Polen haben uns das Regieren in auβergewöhnlichen Zeiten anvertraut. Wir leben in einer Epoche des Umbruchs. Die Welt rast vorwärts in einem noch nie in der Geschichte da gewesenen Tempo. Alte Gesetze der Wirtschaft entschwinden in die Vergangenheit, neue entstehen erst. Welchen Platz wird Polen in einer Welt einnehmen, die gerade die vierte Industrierevolution durchlebt? Welchen Platz wird unser Vaterland einnehmen im Netzwerk der Verknüpfungen, in einer Welt, die sich auf Wissen und Innovationen stützt? Werden Waren und Entwicklungen „Made in Poland“ in jede Ecke der Welt gelangen? Wie werden sich in dieser Welt unsere Familien zurechtfinden?

Die Politik ist ein Versprechen. Das Versprechen einer besseren Zukunft. Wir wissen noch nicht, wie die Welt in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren aussehen wird, aber wir wissen, dass Polen wieder einmal vor einer historischen Herausforderung und Chance steht. Von unseren Entscheidungen hängt ab, ob Polen sich unter den Staaten befinden wird, die die neue Ordnung gestalten werden, oder ob diese Ordnung für uns festgelegt wird. Deswegen hoffe ich, in Anbetracht der globalen Herausforderungen, auf eine breite Zusammenarbeit aller politischen Kräfte im Interesse Polens. Für Polen, für die Entwicklung, für Normalität.

Unser Ziel ist der polnische Wohlstandsstaat. Deswegen kann den Staat Polen nicht eine zufällige Vektorsumme aus verschiedenen innenpolitischen Kräften ausmachen. Es muss die Summe unserer gemeinsamen Ziele und Bestrebungen sein.

In den letzten dreihundert Jahren der polnischen Geschichte haben wir uns an groβen Herausforderungen gemessen: der Verteidigung der Souveränität, der Wiedererlangung der Unabhängigkeit, diese zu behalten und aus den Trümmern den Wiederaufbau zu gestalten, einen modernen Staat zu errichten, ein normales Land zu schaffen.

Chancen verpasst

Es gibt nicht viele Völker, deren Weg in die Moderne so schwierig war wie der unsere, aber auch wir hatten historische Augenblicke in unserer Geschichte, die wir nur teilweise genutzt haben. So ein Augenblick war zweifelsohne das Jahr 1989. Während der dreiβig Jahre, die seither vergangen sind, gelang es vieles zu bewältigen. Viele Nachwehen des Kommunismus wurden bezwungen. Dafür danke ich allen Regierungen, allen Ministern und Ministerpräsidenten, auch denen, die heute im Sejm anwesend sind.

(Eingeladen, um der Regierungserklärung Morawieckis beizuwohnen, wurden alle Regierungschefs seit 1989. Von den vierzehn noch lebenden, haben nur Jan Krzysztof Bielecki und Leszek Miller die Einladung angenommen. Jarosław Kaczyński, Regierungschef 2006 bis 2007, war als Abgeordneter anwesend – Anm. RdP).

Ganz klar, nicht alles ist in diesen dreiβig Jahren gelungen. Recht und Gerechtigkeit fragt seit Jahren laut und deutlich: waren alle getroffenen Entscheidungen optimal? Haben wir alle Chancen im besten Interesse Polens genutzt? Haben wir möglichst im Interesse der ganzen Gesellschaft gehandelt? War die polnische Gesellschaft der Schöpfer oder nur Gegenstand der Transformation? Die Polen haben auch deswegen zum zweiten Mal Recht und Gerechtigkeit gewählt, weil wir diese Fragen anders und zutreffender beantworten als es andere in den vorangegangenen fünfundzwanzig Jahren taten.

Unsere Pflichten sind polnisch

Józef Piłsudski, als seine Stimme zum ersten Mal (am 5. September 1924 in Wilna – Anm. RdP) mittels eines Phonographen auf einer Schellackplatte aufgezeichnet wurde, sagte, er stehe gerade vor einer komischen Tuba. Wenn auch unsere Zeiten ihm sicherlich noch komischer vorkommen würden, so wäre das Prinzip, das er und alle anderen groβen polnischen Patrioten in ihren Herzen und Köpfen trugen, unverändert geblieben: Wir müssen alles tun, was ein starkes und normales Polen schafft. Weil wir Polen sind, sind unsere Pflichten polnisch.

Kann Mikromanie (Kleinheitswahn – Anm. RdP) Schaffensenergie erzeugen? Nein. Wir brauchen also ein mutiges Polen und eine mutige Vision Polens. Wir müssen weiterhin an der Verbesserung unserer Stellung im globalen Netzwerk moderner Volkswirtschaften arbeiten. Die Währung solcher Volkswirtschaften besteht aus Talent, Wissen, Innovation, Regulierung, Wirksamkeit sowie Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit.

Zugleich müssen wir Fallen meiden. Ein freier Markt, auf dem keine fairen Konkurrenzregeln gelten, verkümmert schnell. Die freie Marktwirtschaft fällt dem Faustrecht zum Opfer. Es ist die Aufgabe des Staates, angesichts solch eines ungerechten Ungleichgewichts, die Normalität wiederherzustellen. 

Wir beobachten viele Anzeichen globaler Ungerechtigkeit: einen Anstieg sozialer Ungleichheiten. Die Entstehung von Unternehmen, die so stark sind, dass sie die Steuersysteme von Staaten, in denen sie ihre Gewinne machen, umgehen können. Steuerparadiese, die den Reichen ermöglichen keine Steuern zu zahlen und die soziale Solidarität zu missachten. Groβe Steuer-Karussells. Geldwäsche. Das sind Verunstaltungen, das sind Vorboten einer Zukunft, die wir nicht wollen. Nun bläht der Wind der Geschichte unsere Segel.

Gerade in den letzten Jahren haben wir die gläserne Decke im Wachstum durchbrochen. Die Einkommensentwicklung der Polen, im Verhältnis zu den am besten entwickelten Volkswirtschaften der Welt, ist die schnellste seit Beginn der Transformation und zugleich die höchste in der polnischen Geschichte.

Unser wichtigstes Ziel ist es, ein Polen zu schaffen, das den besten Platz zum Leben in ganz Europa bietet. Ein Polen der tagtäglichen Normalität, des Wohlstandes, mit sicheren Straβen und Grenzen. Das ist der Traum von Millionen von Polen.

Solidarität ist der Grundstein unserer Politik

Wenn wir unser Land konsequent modernisieren, wenn wir einen gerechten Zugang zu den Früchten des Fortschritts gewährleisten, wenn wir nach Übereinkommen über den Trenngräben suchen, wenigstens in Angelegenheiten wie Sicherheit, Strategie der Energiepolitik, des Rentensystems oder der Bevölkerungspolitik, dann steht uns die beste Zeit für Polen bevor. Schon jetzt gelingt es uns, wirksam gegen die Ungleichheiten anzukämpfen, mit denen sich beinahe der gesamte Westen messen muss.

Der Indikator der sozialen Ungleichheit, der sogenannte Gini-Index, fiel seit dem Jahr 2015 (im Oktober 2015 hat Recht und Gerechtigkeit die Parlamentswahlen gewonnen und die Macht übernommen – Anm. RdP) unter 28 Punkte. Das heiβt, dass es uns in nur vier Jahren gelang einen Verteilungskoeffizienten von Ungleichheit wie in Dänemark zu erreichen, und somit niedriger als der Durchschnitt in Europa. Niedriger als in Frankreich, in Deutschland, in Italien oder Groβbritannien.

Damit einher geht der Rückgang der Armut. Innerhalb von drei Jahren haben wir zwei Millionen Polen von der Gefährdung durch Armut befreit. Das ist immer noch zu wenig, aber ich freue mich, dass so viele Polen ohne Angst in die Zukunft schauen können.

In vielen unserer Biografien stößt man auf „Solidarność“ . Doch für uns ist die Solidarität keine Geschichte, sondern vor allem das Ziel und das Prinzip des Regierens, der Grundstein unserer Politik.

Solidarität, das sind die Sozialprogramme der Regierung, die allen Familien zugutekommen. Jüngere Kinder (bis 18 Jahren – Anm. RdP) bekommen das Kindergeld in Höhe von 500 Zloty (ca. 118 Euro monatlich – Anm. RdP), ältere, die schon arbeiten gehen sind (bis 26 Jahren – Anm. RdP) von der Einkommenssteuer befreit. Ihre Eltern zahlen weniger Einkommensteuer (sie wurde 2018 von 18 auf 17 Prozent gesenkt – Anm. RdP). Ihre Groβeltern bekommen (ab 2019 – Anm. RdP) die dreizehnte Rente. Entwicklung muss gerecht sein. Das ist das Fundament unseres Gesellschaftsvertrages.

Doch dieser Vertrag funktioniert nur, wenn funktionstüchtige staatliche Institutionen für alle da sind. Deswegen investieren wir als Staat in lokale und kommunale Straβen. Deswegen unterstützen wir die Familien. Deswegen unser erfolgreiches Handeln in Europa. Deswegen fördern wir den Sport. Deswegen kämpfen wir um saubere Luft. Deswegen sind wir hier und deswegen bauen wir Polen auf, damit wir uns als Polen ungezwungen, sicher, normal fühlen, wie in den eigenen vier Wänden.

Der Wirtschaft geht es gut

Die letzten Jahre waren eine Zeit guter Wirtschaftsleistungen, eine gute Zeit für Polen. Die Weltbank schätzt das neue polnische Entwicklungsmodell, die neue Strukturpolitik und die neue Industriepolitik. Der Internationale Währungsfond stuft uns kontinuierlich höher, immer näher an den ersten zwanzig Staaten der Welt, ein. Die deutsche Presse schreibt vom polnischen Wirtschaftswunder, und internationale Ratingagenturen stufen Polen ebenfalls dauerhaft hoch ein, loben es für seine makroökonomische Beständigkeit. Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet, dass Polen 2019 bis 2020 die sich am schnellsten entwickelnde Wirtschaft unter den sechsunddreiβig Mitgliedsstaaten haben wird.

Während der letzten Jahre geschah auch Bahnbrechendes auf dem Gebiet der Innovationen. Im Jahr 2018 sind im Vergleich zu 2017die Ausgaben für Forschung und Entwicklung um 25 Prozent gestiegen und machten mehr als 1,2 Prozent des BIP aus. Das ist der höchste prozentuale und quotenmäβige Zuwachs seit zwanzig Jahren. Zugleich ein Symbol für die kreativen Möglichkeiten, die in Polen und in den Polen schlummern.  

Wir stehen an der Schwelle zu groβen Veränderungen und vielen ungünstigen Trends. Dennoch macht sich meine Regierung zum Ziel, das hohe Wachstumstempo, zwei bis drei Prozent über dem Wachstum in der Eurozone, aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise werden wir uns mit jedem Jahr mehr und mehr dem Lebensstandard westeuropäischer Staaten nähern.

Auswanderer kommen heim

Laut dem Internationalen Währungsfond (IWF) sind zwischen 1990 und 2016 knapp 20 Millionen Menschen aus Mitteleuropa in die reichen westeuropäischen Länder umgezogen. Diese Entwicklung beschleunigte sich nach dem EU-Beitritt unserer Staaten. Der IWF ist der Meinung, dass den mitteleuropäischen Staaten, darunter auch Polen, dadurch Einnahmen entgangen sind. Unser Pro-Kopf-Einkommen ist deswegen um fünf Prozent niedriger als in Westeuropa. Das ist ein groβer Tribut den Polen den reichen Staaten des Westens gezahlt hat.

Ein solcher Tribut der Armen an die Reichen ist nicht normal. Ein Staat, der seine Maβstäbe hoch ansetzt muss damit Schluss machen. Das Jahr 2018 war das erste, in dem sich die Zahl der im Ausland lebenden Polen verkleinert hat. Einhunderttausend Personen sind nach Polen zurückgekehrt. Endlich packen die Polen zu Hause die Koffer aus und nicht ein.

Hohes Haus! Ich möchte, dass in der gerade beginnenden Legislaturperiode eine groβe demografische Strategie entsteht und zu wirken beginnt.  Wir können in zwanzig Jahren ein bedeutend gröβeres Volk werden.

Die demografische Strategie und die Strategie der groβen Rückkehr der Polen ins Vaterland aller Polen. Auch die, der in früheren Zeiten dramatisch Leidgeprüften aus West und aus Ost. Sie werden Polen bereichern.

Seit kurzem (ab dem 11. November 2019 – Anm. RdP) können wir, dank der zielführenden Politik des Herrn Staatspräsidenten Andrzej Duda und der polnischen Regierung ohne Visa in die USA reisen. Das ist ein symbolischer Augenblick für die ganze polnische Gesellschaft, der bestätigt, dass wir ein vollwertiges Mitglied der westlichen Zivilisation sind, die ihre gemeinsamen Werte miteinander teilt. Das ist die Normalität, die endlich zu uns zurückgekehrt ist.

Freiheit ist nicht Beliebigkeit

Die Zukunft, das ist der moderne polnische Wohlstandsstaat. Das ist ein Staat der Familien, der Unternehmer, ein Staat der Schwachen und der Starken, ein normaler Staat. Ein Staat, der die den Polen wichtigen Werte achtet, Extremismen ablehnt, genauso wie utopische Ideologien, weltanschauliche Revolutionen, aber auch den Chauvinismus. Wir gehen mit dem Geist der Zeit, aber wir gehen vor allem mit dem Geist der polnischen Freiheit und Gleichheit, dem Geist der Normalität und nicht des Radikalismus.

Wir wollen Bedingungen schaffen für das Anwachsen einer ähnlich breiten Mittelschicht wie in Westeuropa, so wie das in den letzten Jahren geschah. Wir wollen mehr als nur den Aufstieg von Einzelpersonen. Wir wollen den Aufstieg der gesamten polnischen Gemeinschaft. Wir wollen weder ein reiches Land armer Leute sein, noch ein armes Land reicher Leute. Wir wollen eine wohlhabende Gemeinschaft sein.

Norwid (Cyprian Kamil– groβer polnischer romantischer Dichter, 1821-1883 – Anm. RdP) sagte, dass „alles aus den Idealen seine Kraft schöpfe“. Deswegen lehnen wir Behauptungen ab, dass keine Werte der wichtigste Wert sei, dass Freiheit mit Beliebigkeit gleichzusetzen sei, dass die Macht der Macht wegen ausgeübt wird, dass das Recht ohne Gerechtigkeit auskommen kann.

Die Republik ist ein gemeinsames Gut aller Bürger. Das besagt der Artikel 1 der Verfassung. Das Programm von Recht und Gerechtigkeit stützt sich auf solche Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Achtung des Eigentums und gesellschaftlicher Dialog. Unser Programm fuβt auf einer Kultur, die die nationale Identität stärkt, Familie und Ehe als besonders schützenswert erachtet, es fußt auf Werten, die in der Verfassung enthalten sind. Wir glauben an diese Werte und werden unser geliebtes Vaterland dorthin bringen, wo sein Platz ist. Die Polen sind ein groβes Volk, mit einer groβen Geschichte. Jetzt ist die Zeit für eine groβe Zukunft gekommen.

Hohes Haus! Zuerst möchte ich mich den polnischen Familien widmen und der Demografie. Die Versprechen, die wir den Polen gemacht haben sind für uns heilig. Dass es so ist, haben wir in den letzten vier Jahren bewiesen. Hier unser Fahrplan für die kommenden Jahre.

Die Familie ist kein Überbleibsel, die Ausnahme keine Norm

Beginnen wollen wir mit Veränderungen zugunsten der Unternehmer. Wir wollen die Sozialversicherungsbeiträge für Kleinfirmen um durchschnittlich 500 Zloty (ca. 118 Euro – Anm. RdP) senken. Zudem wollen wir für diese Firmen eine pauschale Besteuerung einführen, zunächst bis zu einem Umsatz von umgerechnet einer Million Euro, später bis zwei Millionen Euro. Hinzukommen soll eine Senkung der Körperschaftssteuer für Firmen mit bis zu zwei Millionen Euro Umsatz. Des Weiteren wollen wir eine Milliarde Zloty (ca. 235 Mio. Euro – Anm. RdP) kleinen und mittleren Unternehmen für strategische Investitionen zukommen lassen.

Doch es gibt keine gesunde Entwicklung ohne Solidarität. Wir vergessen nicht die Rentner, die Senioren, die Schwächeren, die Behinderten. Wir werden weiterhin die dreizehnte Rente auszahlen (alle Rentner, unabhängig davon wie hoch ihre Rente ist, bekommen als dreizehnte Rente die gesetzliche Mindestrente ausgezahlt. 2019 waren das 1.100 Zloty brutto, 934,60 Zloty netto, umgerechnet ca. 220 Euro – Anm. RdP)

Ab 2021 soll es eine vierzehnte Rente geben (nach demselben Prinzip wie die dreizehnte Rente, aber nur für Rentner mit Renten bis 2.900 Zloty – umgerechnet ca. 680 Euro – Anm. RdP).

Wir wollen uns auch um die Aktivität der Senioren kümmern und ihre Vereinsamung mildern. Deswegen bauen wir entschieden neue Seniorenheime und ermutigen die Kommunen staatliches Geld für diesen Zweck zu nutzen.

Die Familie muss das Fundament der Gesellschaft bleiben. Manche sehen in ihr nur ein Überbleibsel. Je lauter die Rede von neuen Familienmodellen ist, umso sicherer kann man davon ausgehen, dass es sich um experimentelle Minderheitskonstrukte handelt.

Wir weigern uns zu akzeptieren, dass Ausnahmen die Norm bestimmen sollen. Wir glauben daran, dass die Zukunft unserer Kinder auf einem stabilen Fundament der Familie gebaut werden muss. Wenn der Mensch auf die Welt kommt, ist die Familie seine erste Bastion. Doch die Familie ist nicht nur die Bastion eines jeden Polen. Die Familie, so sagte es Primas Stefan Wyszyński, ist die Bastion ganz Polens.

(Stefan Kardinal Wyszyński war von 1948 bis zu seinem Tod 1981 das Oberhaupt der katholischen Kirche in Polen und genieβt aufgrund seiner würdigen und unnachgiebigen Haltung den Kommunisten gegenüber bis heute groβe Autorität – Anm. RdP).

Frauen gerecht bezahlen, die Familie stärken

Im Westen ist viel die Rede von der unsichtbaren Arbeit der Frauen. Die Arbeit im Haushalt entspricht oft mehr als einer Stelle. Also kommen im Westen solche Ideen auf, wie die, dass, wenn die Frauen so viel für die Familie arbeiten, dann sei wahrscheinlich die Familie daran schuld und man sollte sie abbauen. Wir hingegen stärken die Familie und wissen die Arbeit der Frauen zu schätzen.

Wir haben als erste Regierung in Polen ein Programm beachtlicher familienfreundlicher Transferleistungen aufgenommen. Als erste haben wir das Problem der unbezahlten Arbeit von Frauen, die mindestens vier Kinder groβgezogen haben, angepackt.

(Ab März 2019 bekommen Frauen ab 60 Jahren, die Mütter von mindestens vier Kindern sind und keinen Rentenanspruch haben, die Minimalrente von 1.100 Zloty brutto, 934,60 Zloty netto, umgerechnet ca. 220 Euro. Dieselbe Leistung erhalten Männer ab 65 Jahren als Väter von mindestens vier Kindern, aber nur, wenn sie alleinerziehend waren. Haben solche Eltern Rentenansprüche erworben, die jedoch niedriger als die Minimalrente sind, werden sie auf das Minimalniveau aufgestockt. Etwa 55.000 Personen, darunter 180 Männer, erhalten diese Leistung – Anm. RdP)

In Polen ist die Differenz zwischen dem was Frauen und Männer verdienen deutlich geringer als im EU-Durchschnitt. (Im Jahr 2019 betrug dieser Unterschied zu Ungunsten der Frauen in Polen 7,2%, in Schweden 12,6%, in Groβbritannien 20,8%, in Deutschland 21%, in Estland 25,6%. Spitzenreiter im positiven Sinne waren Rumänien 3,5% sowie Luxemburg und Italien mit jeweils 5%. EU-Durchschnitt: 16% – Anm. RdP).

Die Lohngleichheit ist ein Wert, um den wir uns sehr bemühen werden. Wenn unsere Mütter, Schwestern, Ehefrauen, Töchter weniger bezahlt bekommen als Männer, dann ist das nicht normal. Wir werden die Umsetzung des gerechten Grundsatzes vorantreiben: gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Die Polinnen stehen oft vor der Entscheidung: entweder Beruf oder Kind. Ein moderner Staat hilft in dieser Situation. Wir haben die Zahl der Kinderkrippenplätze in den letzten vier Jahren verdoppelt (auf knapp 137.000 – Anm. RdP). Wir fördern zudem flexible Beschäftigungsformen: Homeoffice und Teilzeitarbeit. Je moderner die Wirtschaft, umso mehr neue Möglichkeiten und Chancen eröffnen sich den Polinnen. Nach dem Mutterschaftsurlaub muss die Frau problemlos auf den Arbeitsmarkt zurückkehren können. Unser Tun wird diesem Ziel dienen.

Alle Eltern wissen, dass die Familie ein groβes Vorhaben ist. Arbeit, Schule, Arztbesuche, Sporttraining. Überall muss man rechtzeitig sein und dabei die Verpflichtungen der Eltern mit den Bedürfnissen der Kinder in Einklang bringen. Jede groβe Familie kann hier auf staatliche Unterstützung zählen, die es bisher nicht gab. (Familien mit drei und mehr Kindern erhalten kostenlos einen Ausweis für Groβfamilien. Er berechtigt zu einem Rabatt von 10 bis 20% bei der Eisenbahn, in Kinos, Museen, bei einigen Banken und Stromanbietern, in Passämtern  u. v. m. – Anm. RdP).

Familien mit drei und mehr Kindern werden wir zusätzliche Ermäβigungen und Erleichterungen anbieten.

Keine gesellschaftlichen Experimente

Verschiedene Förder- und Familienschutzprogramme werden der Dreh- und Angelpunkt der Politik meiner Regierung sein. Nicht nur um der Tradition und der Identität, sondern auch um der Zukunft, der Freiheit und der Normalität Willen. Dort wo es Versuche geben wird, die Freiheit gegen die Tradition auszuspielen, werden wir dafür sorgen, die beiden Werte miteinander zu verknüpfen. Gesellschaftliche Experimente und ideologische Revolutionen lehnen wir ab. Es geht um die Zukunft unserer Kinder und diese Zukunft ruht in den Händen der Eltern, weil das die Normalität ausmacht.

Mehr noch: Kinder sind unantastbar. Wer die ideologische Hand gegen sie erhebt, erhebt sie gegen die ganze Gemeinschaft. Wer Kinder mit Ideologie vergiften, von ihren Eltern abgrenzen, die Familienbande zerschlagen will, wer ohne Einladung in die Schulen gelangen und ideologische Schulbücher verfassen möchte, der legt eine Sprengladung unter Polens Grundfeste und beabsichtigt in Polen einen Krieg der Kulturen zu entfesseln. Ich werde das nicht zulassen. Sollten sich jedoch Mitmenschen finden, die diesen Krieg vom Zaun brechen, dann werden wir ihn gewinnen. Die Familie wird ihn gewinnen, weil die Familie ein erzpolnisches Gut ist.

Polen: sicheres Land mit unsicheren Straβen

Hohes Haus! Wie sieht das Polen des Jahres 2019 aus? Es genügt die Polen zu fragen. 89 Prozent  der Polinnen und Polen sind der Meinung, Polen sei ein Land, in dem man sicher lebt. Das ist ein Anstieg um knapp 20 Prozent im Vergleich zu 2014. Mehr noch. 98 Prozent sagen, dass die nächste Umgebung, ihr Dorf, ihre Straβe oder ihr Stadtteil sichere Orte zum Leben seien. Endlich fühlen sich die Polen in ihrer Umgebung und in ihrem Land normal und so sicher wie bisher noch nie in ihrer Geschichte.  

Sie schauen auch getrost in die Zukunft. Andere Untersuchungen belegen, dass die Zuversicht, dass die Entwicklung im Lande in die richtige Richtung geht, gewachsen ist: von 16 Prozent vor einigen Jahren auf 51 Prozent im September 2019. Das ist eine Verdreifachung.

Polen ist heute ein sicheres Land mit einer Ausnahme. Und das ist die Verkehrssicherheit. Unsere Straβen säumen Kreuze, die an tödliche Unfälle und Tausende Familientragödien erinnern. Die Verkehrssicherheit wird eine unserer vorrangigsten Aufgaben sein. Wir werden ein Programm zugunsten der sicheren Straβeninfrastruktur auflegen, um den Bau von zuverlässigen Gehwegen, Straβenlampen, Fuβgängerüberwegen, Kreiseln, Ampeln, Verkehrsinseln und Übergängen mit Querungshilfen zu fördern.

Es kann nicht länger sein, dass der Fuβgängerüberweg der gefährlichste Bestandteil des Straβenwesens ist. Untersuchungen zeigen, dass sich die Fuβgänger meistens besonnen verhalten. Deswegen werden wir den Vorrang für sie einführen, und zwar noch bevor sie den Zebrastreifen betreten.

Es kann nicht weiterhin so sein, dass Gerichte einer fast 80-jährigen gehbehinderten Frau die Schuld an einem Unfall geben, weil sie plötzlich auf den Zebrastreifen getreten sei.  

(Morawiecki knüpfte an den Fall Piotr Najsztub an. Der linke Journalist hatte im Oktober 2017 abends, bei schlechten Wetter, eine ältere Frau auf einem Zebrastreifen angefahren. Sie erlitt schwere Kopfverletzungen, musste für längere Zeit ins Krankenhaus und starb wenige Monate später an Krebs. Najsztub war nüchtern, fuhr aber ohne Führerschein, der ihm wegen zu vieler Strafpunkte abgenommen worden war. Sein Auto hatte keinen gültigen TÜV und keine Kfz-Haftpflichtversicherung. Najsztub wurde von dem Vorwurf den Unfall verursacht zu haben rechtskräftig freigesprochen. Die Frau trage die Schuld. Für das Fahren ohne Führerschein, TÜV und Kfz-Haftpflicht wurde Najsztub zu 3.000 Zloty – ca. 705 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Angelegenheit sorgte landesweit für Empörung – Anm. RdP).

Es kann nicht sein, dass wir alle, wie aktuell, für Verkehrsrowdys teuer bezahlen müssen. Im schlimmsten Fall mit dem Leben oder mit der Gesundheit, im günstigsten Fall mit höheren Haftpflichtversicherungsbeiträgen. Wir werden Regelungen einführen, damit Verkehrsrowdys die vollen Kosten ihres Tuns tragen müssen. Wir werden zudem die Bürger per Internet und durch Mittel der direkten Demokratie in die Schaffung von Regelungen, die die Verkehrssicherheit erhöhen, einbinden.

Der gröβte Feind der Verkehrssicherheit ist der Alkohol. Die einst verbreitete Duldung und Verharmlosung dieses Problems in der Gesellschaft ist längst vorbei, dennoch hören wir immer wieder von Tragödien, die betrunkene Autofahrer verursacht haben. Wir werden die Strafpolitik verschärfen, jedoch ist Vorbeugen besser als Bestrafen. Deswegen werden wir die Vorsorge für Menschen, die durch diese schreckliche Krankheit bedroht sind, zusätzlich durch entsprechende Regulierungen und die Preispolitik erhöhen, um so das Risiko des Alkoholismus zu verringern.

Gleichzeitig werden wir  die Fortbewegung von Autofahrern mit Familien im Stadtverkehr erleichtern.  Autos mit mindestens vier Passagieren werden die Busspuren benutzen können. Die Busspur erfüllt ihre Aufgabe, wenn sie den Straβenverkehr entlastet und nicht wenn sie leer bleibt.

Freiheit von der politischen Korrektheit

Hohes Haus! Wir erweitern die Aufstiegsmöglichkeiten der Polen und wir schaffen mehr Platz für die Freiheit. Polen ist heute, auch im europäischen Vergleich, ein Land der Freiheit. Abgeordnete konnten an diesem Rednerpult sogar Lieder singen, auch wenn dies ein unseriöses Gebaren war.

Wenn jedoch jemand, im Geiste der politischen Korrektheit, vorhat diese Freiheit einzuschränken, die Meinungsfreiheit, die Freiheit der Kunst, die Freiheit von Forschung und Lehre, dann sage ich an dieser Stelle kategorisch „Nein“. Wir werden Regelungen einführen, die diese Freiheiten garantieren, ohne Schimpfwörter, ohne gegenseitige Beleidigungen und ohne die Fesseln der politischen Korrektheit.

Das gilt auch für Unternehmer. Niemand darf zum Beispiel einen Drucker zwingen Plakate zu drucken, die gegen seine Wertvorstellungen verstoβen.

(Andrzej J., ein Drucker aus Łódź, weigerte sich im Februar 2016 Plakate einer Homosexuellen-Organisation zu drucken. Er könne das als Katholik mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Wegen Verweigerung einer Dienstleistung ohne triftigen Grund wurde er rechtskräftig schuldig gesprochen, ohne jedoch bestraft zu werden. Im Juni 2019 hat das polnische Verfassungsgericht die Vorschriften, die eine solche Verurteilung ermöglichen, für verfassungswidrig erklärt – Anm. RdP).

Wir sind ein tolerantes Volk. Vor allem aber sind wir ein Volk der Freiheit. Polentum das ist Freiheit. Polentum das ist Solidarität. Polentum das ist Normalität.

Der Staat muss dort handeln, wo der Markt versagt

Lassen Sie mich einige Worte zu der Qualität der öffentlichen Institutionen und Dienstleistungen des polnischen Staates sagen. Wenn wir vom Wohlstandsstaat reden, dann hören wir oft nur „Wohlstand“ und vergessen, dass es hier nicht nur um den finanziellen Erfolg einzelner Bürger geht. In der Wüste, ohne die Anwesenheit anderer Menschen, ist das Geld wertlos. Es geht also um das erfolgreiche Handeln des ganzen Staates. Ohne den Staat, kann keine Rede sein vom gerechten Zugang zu allen modernen Dienstleistungen. Der Staat muss dort handeln, wo der Markt versagt. Das ist normal, aber es ist nicht einfach.

Zusätzlich hat der Neoliberalismus für einen Begriffs-Wirrwarr und ein Chaos im Wertesystem gesorgt. Viele Menschen sind den unwahren Geschichten auf den Leim gegangen, dass der Staat nur ein Klotz am Bein sei. Diese Krankheit klingt zum Glück langsam ab. Übertreibung ist nie gut.

Wir bauen einen normalen Staat auf. Einen Staat, der die Freiheit des Schaffens, des Aufstiegs, der Arbeit gewährleistet. Ein solcher Staat schafft und vervollkommnet zugleich die Bedingungen, unter denen jeder Mensch, jede Firma sich entwickeln, aufblühen, den eigenen Ehrgeiz und die eigenen Träume umsetzen kann. Ein normaler Staat ist ein ehrgeiziger Staat.

Mehr Geld für Bildung

In eine solche Normalität lohnt es sich zu investieren, weil von ihr die Zukunft Polens abhängt. Deswegen investieren wir in diejenigen, die Polen voranbringen: Schüler, Lehrer, das Bildungswesen. Allein in diesem Jahr haben wir die Bildungssubvention für Kommunen um mehr als 3,8 Milliarden Zloty (ca. 890 Millionen Euro – Anm. RdP) erhöht. Ist das viel? Es genügt zu sagen, dass unsere Vorgänger es geschafft haben diese Subvention innerhalb von vier Jahren um ca. 3.5 Milliarden Zloty zu erhöhen. Das ist weniger als wir in einem einzigen Jahr den Kommunen beigesteuert haben. 

(Träger der Kinderkrippen, Kindergärten und Grundschulen sind in Polen die Gemeinden, die auch die Lehrergehälter zahlen. Träger der Mittelschulen sind in demselben Umfang die Kreise. Der Staat beteiligt sich an der Finanzierung mit der Bildungssubvention, die nach einem, jedes Jahr neu aufgelegten, Algorithmus verteilt wird. Das direkt überwiesene staatliche Geld deckt im Durchschnitt etwa die Hälfte der Bildungsausgaben der Kommunen.

Die Kommunen behaupten, die Erhöhung der Bildungssubvention decke nicht ihre Einnahmeausfälle, die aufgrund der von der Regierung vorgenommenen Erleichterungen in der Gewerbe- und Einkommenssteuer entstanden sind. Die Kommunen finanzieren sich u.a. aus Anteilen an diesen Steuern. Die Regierung entgegnet, das Steueraufkommen sei deutlich höher geworden, also gibt es per Saldo keine Einbuβen für die Kommunen. Der Streit dauert an – Anm. RdP)

Ab dem nächsten Schuljahr (beginnt in Polen am 1. September – Anm. RdP) wollen wir Geld für die Erhöhung der Gehälter der Lehrer und aller Beamten und Angestellten in der Staatsverwaltung bereitstellen.

Ein modernes Schulwesen ist eine Investition in die junge Generation, in die Zukunft Polens. Deswegen werden wir ein Zwei-Milliarden-Zloty-Programm (ca. 470 Mio. Euro – Anm. RdP), gespeist aus polnischen und EU-Geldern, auflegen. Es soll bewirken, dass die polnische Schule den Anforderungen der Gegenwart und der Zukunft gerecht wird. Es geht um Lehrhilfen beim Programmieren und multimediale Schultafeln. Es soll zudem notwendige Modernisierungen unterstützen oder schlicht und einfach die Qualität der Räume verbessern helfen, in denen unsere Kinder und Jugendliche lernen. 

Während dieser Amtsperiode (bis 2023 – Anm. RdP) werden wir eine groβangelegte Modernisierung von Schulgebäuden durchführen. Unser Ziel: eintausend emissionslose, energieautarke, ökologische Schulen.

Den Empfehlungen von (der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma – Anm. RdP) Grant Thornton folgend wurden bestehende Gesetzestexte überarbeitet und prägnanter formuliert, wodurch  die Seitenzahl der Gesetze deutlich verringert wurde. Wir wollen jedoch weitergehen und werden die Einrichtung eines Parlamentsausschusses vorschlagen, der im Einvernehmen mit der Regierung notwendige Gesetzesänderungen ausfindig machen und Korrekturen vorschlagen wird. Dieser Ausschuss soll ein gemeinsames Deregulierungs- und Freiheitenpaket für Bürger und Unternehmen erarbeiten.

Schon heute lade ich Opposition, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Interessierte aus dem gemeinnützigen Bereich, Denkfabriken dazu ein, gemeinsam inhaltlich daran mitzuwirken. Eine trennlinienüberschreitende Zusammenarbeit für das Gemeinwohl, zugunsten einer gut funktionierenden, starken Republik, ist auch ein schönes Merkmal der Normalität.

Ein vertiefter Bürgerdialog ist uns sehr wichtig. Schon jetzt sind die Diskussionen um die Beteiligungshaushalte Gradmesser des hohen Handlungswillens der Polen auf regionaler Ebene. Dafür möchte ich allen Bürgern und den Kommunen, die das zuverlässig organisieren, herzlich danken.

…dass die Gerichte endlich normal funktionieren

Wir möchten einen bürgerfreundlichen Staat errichten. Einen mit jedem Tag besser funktionierenden Staat. Dazu gehört auch eine bessere Justiz. Wir werden die Reformen auf diesem Gebiet fortsetzen. Wir werden die Verfahrensdauer verkürzen. Ist es nicht das, was die überwiegende Mehrheit der Polen möchte? Unsere Bürger haben ein Recht darauf, dass die Gerichte endlich normal zu funktionieren beginnen. Das ist auf der ganzen Welt die Norm.

Unabhängigkeit ist sehr wichtig, aber sie kann nicht Verantwortungslosigkeit bedeuten. Es geht um Teilung der Gewalten aber auch um deren Gleichgewicht.

Ein demokratisch gewähltes Parlament hat Einfluss auf die Besetzung der Gerichte, in jedem Land: in den Vereinigten Staaten, in Frankreich, in Spanien, überall. In Deutschland zum Beispiel ist ein aktiver CDU-Politiker vor einem Jahr zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählt worden.

Beschwert sich die Opposition in diesen Ländern bei internationalen Institutionen, dass es dort keine Rechtsstaatlichkeit gibt? Nein, weil sie wissen, dass das ihren Ländern sehr schadet. Ich wünsche mir sehr, dass in Polen in dieser Hinsicht Normalität herrschen würde, genauso wie in den ausgereiften  Demokratien des Westens. Lasst uns Polen nicht schwächen, indem man sich über das Land beschwert, sondern lasst uns Polen gemeinsam stärken.

Von einem papiernen hin zu einem digitalen Polen

Wie viele Polen würden heute die Arbeit der Behörden am höchsten bewerten? Wie viele würden ihre Zufriedenheit damit, wie man ihre Angelegenheit erledigt hat mit zehn von zehn Punkten bewerten? Ich weiβ es nicht, aber sicherlich viel zu wenige.

Wir führen bereits Methoden zur Überprüfung der Zufriedenheit der Bürger mit den Behörden ein. Heute kann man viele Behördengänge nur am Wohnort erledigen. Wir werden das ändern. Schon jetzt ändert sich das. Die Ämter sind für die Menschen da und nicht umgekehrt. In der Zeit des Internet sind regionale Zuständigkeiten der Behörden keine Ausrede mehr. Wir werden auf vielen Gebieten die örtliche Begrenztheit der öffentlichen Dienstleistungen aufheben. Ob unterschiedliche Bescheinigungen oder dringende Zahlungen, wir werden dafür sorgen, dass man solche Angelegenheiten nicht nur in einem konkreten Amt, sondern in jeder beliebigen Dienststelle, und sei es auch am anderen Ende Polens, erledigen kann.

Die Digitalisierung wird uns dabei helfen. Wir haben auf diesem Gebiet groβe und gute Erfahrungen. Schon jetzt ist uns gelungen, was seit Jahren die Achillesferse unserer Vorgänger war: die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Elektronische Rezepte und Krankenscheine, Patienten-Internetkonten, das alles funktioniert sehr gut. Jeden Tag werden inzwischen etwa eine Million elektronische Rezepte und Krankenscheine ausgestellt. Das ist die 4.0-Revolution in der Praxis, die den Bürgern zugutekommt. Unsere Losung lautet: von einem papiernen hin zu einem digitalen Polen.

Gesundheitswesen: von der nachkommunistischen grauen Schäbigkeit Abschied nehmen

Noch einige Worte zum Gesundheitswesen. Krebs und Herzerkrankungen sind eine riesige Bedrohung für uns alle und mit die gröβten polnischen Gesundheitsprobleme. Vor zwei Jahren (im Dezember 2017 – Anm. RdP), als mein erstes Kabinett entstand, habe ich gesagt, dass Onkologie und Kardiologie Vorrang haben werden. Das ist inzwischen so. Das Nationale Programm der kardiologischen Gesundheit zeigt gute Ergebnisse, z. B. weniger Sterbefälle und weniger Komplikationen bei Herzinfarktpatienten.

Wir haben eine strategische Herangehensweise in Sachen Onkologie ausgearbeitet. Die Nationale Onkologische Strategie mit dem Ziel einer Verbesserung der Vorbeugung, der Früherkennung, der Diagnose und der Heilung von Tumoren. Wir haben das Landesweite Onkologie-Netzwerk eingeführt, damit jedem Patienten, egal wo er  zuhause ist, ein wirksames Heilungsprogramm zugutekommt. Wir haben Hunderte von modernen Medikamenten in das Kostenrückerstattungssystem aufgenommen, worauf die Patienten seit Jahren gewartet haben. Vom 1. Oktober 2019 an gilt das auch für die Breast Cancer Unit, das neue Modell der Fürsorge für Frauen mit Brustkrebs.

Wir haben die Ausgaben für das Gesundheitswesen maβgeblich erhöht. Sie sind von 70 Milliarden (ca. 16,5 Mrd. Euro im Jahr 2015 – Anm. RdP) auf 106 Milliarden Zloty (ca. 25 Mrd. Euro im Jahr 2019 – Anm. RdP) gestiegen, also um etwa die Hälfte. Wir führen zugleich das angekündigte Paket kostenloser Prophylaxe-Untersuchungen für alle Polen über vierzig Jahre ein und werden  knapp eine Milliarde Zloty (ca. 235 Mio. Euro – Anm. RdP) für ein ultramodernes Onkologie-Zentrum ausgeben.

Dank unserer Bemühungen haben bereits in der zu Ende gegangenen Amtsperiode (2015-2019 – Anm. RdP) bis zu fünfzig Prozent mehr junge Leute das Medizinstudium abgeschlossen als in den vier Jahren zuvor. Ohne Ärzte lassen sich Probleme des Gesundheitswesens nicht lösen.

Im polnischen Gesundheitswesen gibt es viele moderne Einrichtungen, die auf Weltstandard ausgestattet sind. Leider ist es nicht überall so. Deswegen werden wir den Krankenhaus-Modernisierungsfonds einrichten. Es geht um die Verbesserung des Patientenkomforts. Die renovierten, modernisierten Krankenhäuser sollen der Abschied sein, von der nachkommunistischen grauen Schäbigkeit auf einem so wichtigen Gebiet wie dem des Gesundheitswesens.

Sport ist wichtig

Wir investieren in die Gesundheit, aber wir wollen auch in die aktive körperliche Fitness investieren und damit gleichzeitig in eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Wir werden uns um die Entwicklung des Amateursports kümmern und Sportvereine in ganz Polen mit konkreten Zuschüssen unterstützen, überall dort wo Menschen gemeinsam trainieren, ihr Können weiterentwickeln oder einfach miteinander die Zeit verbringen wollen. Wir haben in den letzten vier Jahren in sechstausend Sporteinrichtungen investiert und sind bereit in den nächsten vier Jahren noch mehr auszugeben. Darüber bin ich bestens informiert, weil ich das mit dem Sportminister abgesprochen habe.

(An dieser Stelle notiert das Stenogramm „Gelächter“ im Plenarsaal. Zurzeit der Regierungserklärung gab es nämlich noch keinen Kandidaten für das Amt des Sportministers und der Regierungschef hatte es kommissarisch inne – Anm. RdP).

Der Amateur- und Leistungssport werden einen wichtigen Rang in der Regierungsarbeit haben. Ein Beispiel sollen hier die Europaspiele 2023 in Kraków sein. Das ist eine weitere Groβveranstaltung in Polen. Der Sport erfreut alle und die Qualifikation der polnischen Mannschaft  für die Europameisterschaften 2020 freut alle Polen. Wir gratulieren unseren Fuβballern.

Die Regierung ist ein Werkzeug der Bürger beim Aufbau ihres Staates. Dieses Werkzeug muss funktionsfähig sein. Deswegen schauen wir uns grundlegend alle staatlichen Behörden an. Wir wollen Bürokratie und Verwaltung verringern und auf diese Weise einige Milliarden Zloty einsparen. Aus diesem Grund haben wir bereits zu Beginn unseres Regierens auf funktionsfähige Institutionen gesetzt, die die Steuerkriminalität bekämpfen, auf  ebensolche Geheimdienste aber auch auf gut funktionierende Behörden, die der Entwicklungsförderung dienen. Da ist unter anderem der Polnische Entwicklungsfonds (PFR), den inzwischen andere Staaten unserer Region nach unserem Beispiel ebenfalls bei sich einführen wollen.

(Der PFR ist mit der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau vergleichbar – Anm. RdP).

Vom Billiglohnland…

Um all die ehrgeizigen Sozial- und Entwicklungsvorhaben umzusetzen, müssen wir eine moderne Wirtschaft haben. Sie muss sich zunehmend auf Fachleute und gut verdienende Arbeitnehmer stützen. Das Entwicklungsmodell, das von der Überzeugung ausging, Polen solle billige Arbeitskräfte liefern, glich einem Teufelskreis. Es war so, als würde man den Karren vor das Pferd spannen. So würde die Wirtschaft Polens nicht weit kommen. Das passte den anderen, sägte aber den Ast ab, auf dem wir sitzen. Deswegen haben wir damit Schluss gemacht.

Das Unternehmertum ist das Herzstück der modernen Wirtschaft. Es ist eine Pflicht des Staates Unternehmer zu unterstützen, für sie gute Wirkungsmöglichkeiten, klare juristische und steuerliche Rahmen zu schaffen, die das Investieren fördern. Deswegen senkt die Regierung von Recht und Gerechtigkeit die Unternehmenssteuern.

Wir werden weiterhin polnische Unternehmen fördern, weil das eine Norm ist, die die Normalität ausmacht. Ausländische Firmen sind groβ, stark und werden von ihren Staaten unterstützt. Uns hat man zwar eingeredet, das Kapital habe kein Vaterland, aber das ist Unsinn.

Unsere erste Amtsperiode war darauf ausgerichtet Schlupflöcher unseres Steuersystems abzudichten. Wir werden das fortsetzen, aber zugleich auch entschieden, punktuell und planmäβig das Steuerrecht vereinfachen. Bereits jetzt sind um die Hälfte weniger Steuerkontrollen erforderlich als zur Zeit unserer Vorgänger.

Wir wollen weitere Entlastungen für polnische kleine und mittlere Unternehmen einführen. Darunter wird zum Beispiel die Möglichkeit der sofortigen steuerlichen Abrechnung von Investitionen in Sachanlagen sein, anstelle der langwierigen, komplizierten Abschreibung in Raten.

Wir werden die sogenannte estnische Körperschaftssteuer für Kleinst- und Kleinfirmen einführen. Steuern sind dabei erst bei der Gewinnausschüttung durch die GmbH zu zahlen. So wollen wir das Reinvestieren von Gewinnen und die Eigenfinanzierung von Kleinunternehmen, die dringend Kapital benötigen, unterstützen.

Wir werden aber auch eines der auslandskapitalfreundlichsten Länder bleiben. Es genügt nur den Bericht von Global Best to Invest zu lesen, wo sich Polen an fünfter Stelle nach China, Deutschland, Groβbritannien und Indien befindet. Wir werden mit den ausländischen Investoren zusammenarbeiten, ohne das polnische Tafelsilber zu verkaufen. Zugleich wollen wir die internationale Ausweitung polnischer Firmen unterstützen. Wie in der ersten Amtszeit, wollen wir unsere einst von ausländischem Kapital übernommenen Firmen zu marktgerechten Bedingungen repolonisieren. Je mehr polnische Firmen, umso mehr Freiheit und Wohlstand, umso mehr Normalität.

… zur Technologienation

Die vierte Industrierevolution, Big Data, künstliche Intelligenz, selbstlernende Maschinen, 3D-Drucker, Cybersicherheit, Daten-Clouds. Entweder werden wir tatkräftig an dieser Revolution teilnehmen, oder wir werden ins historische Abseits geschoben. Wir sind ein ehrgeiziges Volk und wollen in den Hauptstrom der weltwirtschaftlichen Veränderungen gelangen.

Lasst uns Polen für die Moderne, für die Zukunft öffnen. Wir wollen Einfallsreichtum, Geistes- und Innovationsstärke fördern. Polen ist auf dem Weg, hin zu einer Technologienation. Wir haben das in unserer DNA. Wir sind sehr stolz, wenn wir sehen, dass polnische Studenten im Gruppenprogrammieren zu den weltbesten gehören. Polnische Schüler müssen den neuen Aufgaben gewachsen sein. Die Schule hat die Pflicht sie darauf vorzubereiten. Der Wettlauf mit der Zeit ist im Gange, also werden wir die Lehrinhalte und das Berufsschulwesen an die Anforderungen der modernen Wirtschaft anpassen.

Polen, das ist ein groβer gemeinsamer Entwurf. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen und sollten nicht auf unterschiedlichen Seiten der Barrikade stehen. In ausgereiften Staaten ist gegenseitiges Einvernehmen die Norm. Wir werden im Rahmen des Rates des Gesellschaftlichen Dialogs geduldig die Probleme auf der Linie Staat – Arbeitgeber – Arbeitnehmer verhandeln, damit gesunde Kompromisse ein starkes Wachstum mitgestalten.

Besonders behandelt werden Vorhaben, die neue Pflichten auferlegen. Wir wollen, dass das einfache Prinzip zur Geltung kommt: eine neue Regulierung beseitigt eine alte. Wir werden auch die Beteiligung durch Belegschaftsaktien unterstützen.

Das ländliche Polen ist  wertvoll

Ist es normal, dass Direktzahlungen an die polnischen Bauern auch in dem neuen EU-Haushalt niedriger sein  sollen, als die für die Bauern in Frankreich oder Deutschland? Nein. Wir haben Europa von unseren Lösungsvorschlägen des Migrantenproblems überzeugen können. Wir haben den polnischen EU-Landwirtschaftskommissar durchgesetzt. Wir werden Europa auch von den guten Lösungen für unsere ländlichen Regionen überzeugen.

Es müssen die besten Lösungen sein für die polnische Landwirtschaft, für die kleinen, mittleren und groβen Betriebe. Das Ländliche nämlich, ist ein wertvoller Bestandteil der polnischen Kultur, der polnischen Natur, der Wirtschaft und der polnischen Gesellschaft.

Unser Staat ist kein Nachtwächter mehr, der im Dienst einnickt

Hohes Haus! Man darf die Bedeutung des Staates in der Wirtschaft nicht überschätzen, aber auch die Unterschätzung seiner Rolle kommt einer Sünde gleich. Der Staat kann nicht nur den Nachtwächter spielen, der dazu noch im Dienst einnickt. Der Staat darf nicht abdanken.

Wir wollen mit dem Fluch des Provisorischen  brechen, der einstweiligen Lösungen und Vorhaben. Aus unserer Sicht ist es normal, dass Polen die Fähigkeit wiedererlangt hat langfristige Projekte in Angriff zu nehmen.

Damit wir uns in den nächsten zehn, zwanzig, dreiβig Jahren gut entwickeln, müssen wir in solchen Dimensionen denken. Deswegen werden wir uns den Herausforderungen stellen und die Pläne weiterverfolgen, die wir in die Strategie für eine verantwortungsvolle Entwicklung hineingeschrieben haben. Polen muss nämlich der Falle der mittleren Entwicklung entkommen und dauerhaft in den Kreis der entwickelten Staaten der Welt aufschlieβen.  

Es wird ein Land der groβen Vorhaben sein. Vorhaben, dank derer wir als Gesellschaft einen groβen Schritt nach vorne machen werden. Vorhaben, die Polen in eines der wichtigsten Transport- und Energiedrehkreuze Mitteleuropas verwandeln sollen. Diese strategischen Investitionen des polnischen Staates sollen zudem jene Gefahren abfedern, die sich aus den jetzigen Prognosen für die Weltwirtschaft ergeben.

Hohes Haus! Ja, auch ein Polen der groβen Vorhaben gehört zur Normalität. Das ist die Normalität eines mutigen Staates und eines ehrgeizigen Volkes. Nicht normal hingegen sind Stimmen, die fragen, wieso, wenn es etwas bereits in Berlin gibt, wir es auch noch in Warschau brauchen.

(Morawiecki knüpft hier an eine Aussage vom 30. Mai 2018 während des Kommunalwahlkampfs an. Der damalige Kandidat für das Amt des Warschauer Oberbürgermeisters Rafał Trzaskowski (fonetisch Tschaskowski) von der oppositionellen, einstigen Tusk-Partei Bürgerplattform sprach sich gegen den Bau eines neuen Groβflughafens zwischen Warschau und Łódź aus. „Das ist Gigantomanie. In der Nähe von Berlin soll es einen Flughafen geben, mit dem wird man schwer konkurrieren können“.

Morawiecki hat aus den ständigen Hinweisen der Politiker der Tusk-Partei, anstatt etwas Eigenes aufzubauen oder zu pflegen, solle man lieber von vornherein auf deutsche Einrichtungen, Firmen usw. zurückgreifen, einen Leitfaden seiner politischen Aussagen gemacht.

So z.B. am 1. Juli 2017. Bei einem Parteikongress von Recht und Gerechtigkeit sagte er unter tosendem Beifall aus dem Saal: „Wozu brauchen wir einen eigenen Groβflughafen, wenn es schon einen in Frankfurt gibt und einen bei Berlin geben wird? Wozu brauchen wir die Fluggesellschaft LOT, wenn es die Lufthansa gibt? Wozu eine Wertpapierbörse in Warschau? Die in Frankfurt ist doch sowieso die beste. Wozu brauchen wir polnische Banken? Es gibt doch die Deutsche Bank. Wozu brauchen wir einen eigenen Flüssiggashafen, wenn wir russisches Gas aus Deutschland beziehen können? Wozu brauchen wir den Zloty. Es gibt den Euro. Wozu schlieβlich brauchen wir unsere Partei Recht und Gerechtigkeit. Es gibt doch die CDU. Oh pardon, das war jetzt wirklich Spaβ.“ – Anm. RdP).

In den nächsten vier bis sechs Jahren wollen wir einige Dutzend Milliarden Zloty in die gröβten polnischen Projekte investieren. Sie werden unsere Gemeinschaft im Inneren und unsere Position nach Auβen stärken. Dazu gehören der Durchstich durch die Frische Nehrung, der Tunnel unter der Swine in Świnoujście (Swinemünde. Zwischen den zwei Teilen der Stadt, auf den Inseln Wolin und  Usedom, gibt es jetzt nur eine Fährverbindung – Anm. RdP). Der neue Groβflughafen Solidarność bei Łódź. Der polnische Teil der Via Baltica (eine autobahnähnliche Straβe von Tallin nach Prag – Anm. RdP). Der polnische Teil der Via Carpatia (eine autobahnähnliche Straβe von Klaipeda/Memel in Litauen nach Thessaloniki in Griechenland – Anm. RdP).

Des Weiteren handelt es sich um einhundert neue Umgehungsstraβen, Renovierungen von einigen Hundert Bahnhöfen, Krankenhäusern, Schulen. Hinzu kommen: ein umfangreiches Schienennetzausbau- und Sanierungsprogramm, groβe Investitionen in konventionelle und erneuerbare Energien, sowie die Fertigstellung der Baltic Pipe, eines neuen Erdgaszulieferungskorridors (von Norwegen über Dänemark nach Polen. Abschluss ist für 2023 geplant – Anm. RdP). Ihre Fertigstellung wird das symbolische Ende der Abhängigkeit Polens von den Gaslieferungen aus dem Osten sein. Energiesicherheit ist auch ein Bestandteil der Normalität, die die Polen erwarten.

Wir haben schon viel über den bahnbrechenden Charakter des Fonds der Kommunalen Straβen gesagt (ein seit Februar 2019 existierender staatlicher Fond von 36 Milliarden Zloty – ca. 8,5 Mrd. Euro, die in zehn Jahren ausgegeben werden sollen, um Gemeinden und Kreisen bei der Renovierung der in ihre Kompetenz fallenden Landstraβen zu helfen – Anm. RdP). Es gab am Anfang viele Zweifel. Wer sie immer noch hegt begebe sich bitte zu den Kommunen, die den Fonds bereits genutzt haben.

Die Eisenbahn habe ich schon erwähnt. Unser Ziel ist es neuntausend Kilometer Schiene zu modernisieren bzw. neu zu bauen. Damit könnte man Polens Grenzen beinahe dreimal umschließen. Einige Hundert Dörfer, kleine und mittelgroβe Städte sollen so in die Kursbücher der Bahn zurückkehren. Zu ihnen gehören eine sehr groβe Zahl von Bahnsteigen und Stationsgebäuden, die nach 1989 dem Verfall preisgegeben wurden. Sie zu sanieren, das bedeutet Wiederherstellung von Normalität. Das ist der Komfort für die Menschen im Alltag und eine flächendeckend gerechte Entwicklung in der Praxis.

Polnisches Kapital ist die beste Entwicklungsgrundlage

Das Hauptmerkmal der Entwicklung der Dritten Republik (ab 1990 – Anm. RdP) kann man, aus makroökonomischer Sicht, folgendermaβen beschreiben: gröβtenteils war das Konsum auf Kredit. Wir brauchen Investitionen, die aus eigenen Ersparnissen finanziert werden und einen Konsum, der auf steigenden Löhnen und eigenen Investitionen fuβt.

Deswegen war eine der besten Nachrichten in diesem Jahr der Bericht des Statistischen Hauptamtes, aus dem hervorgeht, dass es zum ersten Mal mehr Polen gab, die etwas auf die hohe Kante legen konnten als solche, denen das nicht möglich ist. Dieser Wandel vollzog sich ohne groβes Aufsehen, verdient jedoch ein historischer Augenblick genannt zu werden. Es passierte vor unseren Augen.

Das misslungene Experiment mit den obligatorischen Offenen Pensionsfonds (OFE) war etwas Unnormales. Einen Kredit aufzunehmen, um ihn in Verwahrung zu geben? Wer macht so etwas? Mit uns haben die Polen heute die Wahl.

In unserem Entwurf kann jeder sein Geld aus den (inzwischen aufgelösten – Anm. RdP) Offenen Pensionsfonds auf private Pensions-Sparkonten (IKE) überwiesen bekommen. Er kann das Geld aber auch aus den Offenen Pensionsfonds auf sein Konto in der staatlichen Sozialversicherungsanstalt ZUS übertragen lassen.

Wir haben diese Möglichkeiten geschaffen, weil wir daran glauben, dass Partnerschaft und Entscheidungsfreiheit vertrauensbildend sind. Und ohne Vertrauen funktioniert kein Rentensystem.

Wir haben noch mehr gemacht. Wir haben das erste, bahnbrechende Programm des privaten Rentensparens eingeführt. Das ist die Grundlage eines gesunden Liberalismus und Kapitalismus, einer gesunden Wirtschaft, was schon Mill, Spencer und Weber nachgewiesen haben. Es sind die Arbeitnehmer-Kapitalpläne (PPK): Vorteile für künftige Rentner, motivierte Arbeitnehmer, motivierte Arbeitgeber und ein stabiles Programm der Rentenansparens, dazu die kontinuierliche, langfristige Schaffung polnischen Kapitals. Eine epochale Wende.

Das Programm der Arbeitnehmer-Kapitalpläne hat die Regierung aus der Taufe gehoben, diese Ersparnisse sind privat und vererbbar. Wir verstehen jedoch, dass die Polen miβtrauisch sind. Das kommt nicht von Ungefähr. Deswegen mein Vorschlag an alle in diesem Plenarsaal: lasst uns das gemeinsam ändern.

Lasst uns in die Verfassung hineinschreiben, dass die PPK-Gelder und die Gelder auf den privaten IKE-Rentensparkonten Privatbesitz sind und den vollen Schutz des Staates genieβen.

Gelichzeitig wird meine Regierung weiterhin verantwortungsvoll mit den staatlichen Finanzen umgehen. Wir werden an der Stabilität der öffentlichen Finanzen arbeiten und uns damit Entwicklungsperspektiven schaffen. Es genügten vier Jahre, um in der politischen Umgangssprache solche Begriffe wie „sinkende öffentliche Verschuldung“, „Stopfen von Steuerschlupflöchern“ oder „ausgeglichener Haushalt“ dauerhaft zu verankern.

Energiesicherheit, Konkurrenzfähigkeit und Naturschutz

Zum ersten Mal in unserer Geschichte sind wir in der Lage die drei wichtigsten Grundsätze unserer Energiepolitik miteinander zu vereinbaren: Energiesicherheit, Konkurrenzfähigkeit und Naturschutz.

Die traditionelle Energieerzeugung wird noch lange Zeit in unserem Energiesektor von wichtiger Bedeutung sein. Doch die Umstände ändern sich. Einst konnten wir uns erneuerbare Energien nicht leisten. Heute können wir es uns nicht leisten sie nicht zu entwickeln.

Auch deswegen, weil das der polnischen Industrie zu einem mächtigen Entwicklungsschub verhelfen kann. Die Prosumer-Energieerzeugung, Photovoltaik, Bau von Windkraftanlagen auf hoher See, Elektromobilität, aber auch Atomkraftwerke, das alles ist nicht nur ein Energie-, sondern auch ein Wirtschaftsprogramm. Die polnische Werftindustrie, Metallindustrie, das Hüttenwesen, die Feinmechanik, die polnischen Werften, sie alle werden aus solchen Investitionen ihren Nutzen ziehen.

Um dieses riesige Leistungsvermögen zu nutzen, werden wir in der Regierung einen Bevollmächtigten für erneuerbare Energien berufen. Schon heute stellen wir zig Prozent mehr Strom aus Sonnenenergie her als noch vor ein paar Jahren. Insgesamt sind das 1,5 Gigawatt. Dahinter stehen einhunderttausend Prosumenten. Ihnen verdanken wir, dass unsere Energieerzeugung grüner geworden ist. Inzwischen versorgen Sonnenkollektoren sowohl Plattenbauten wie Häuser auf dem Lande mit Strom.

Aus Verantwortung für die Natur muss man darum kämpfen, dass Plastik unsere Erde nicht überflutet. Wir werden ein Pfandsystem für Plastik-Einwegflaschen und eine Reihe Maβnahmen zur Einschränkung des Plastikverbrauchs einführen.

Klima-Transformation ja, aber…

In vielen Bereichen übrigens sind wir ökologischer als man es denken könnte. Etwa drei Millionen Polen fahren Autos mit Gasantrieb. Wir setzen auf Elektromobilität. Letztere bedarf staatlicher Unterstützung. Deswegen werden wir weitere Entlastungen anbieten für diejenigen, die umweltfreundliche Transportmittel benutzen. Der saubere Antrieb soll sowohl die Natur als auch unsere Portemonnaies schonen.

Es handelt sich jedoch um eine Fehlentwicklung, wenn aufgrund von Klimaregulierungen Arbeitsplätze aus Polen und aus der EU in Drittstaaten verlegt werden. Der CO2-Fuβabdruck, Steuerregulierungen und die Verhinderung des Kohlestoffaustritts müssen die polnische Energiewirtschaft und die polnische Transformation stützen. Ebenso lehnen wir die Diskriminierung Polens und die Nichtberücksichtigung des polnischen Ausgangspunktes (bei der CO2-Reduzierung im Jahr 1990 – Anm. RdP) ab. Unsere Stromversorgung muss gesichert sein. Am teuersten ist der Strom, der nicht gelieferte wird. Das ist ein groβes Problem für unsere Fabriken, Heime, Krankenhäuser. Für Polen muss die Klima-Transformation risikofrei und von Vorteil sein.

Die Polen haben ein Recht darauf, dass ihre Kinder saubere Luft einatmen können. Das ist die Normalität, das ist keine Ideologie. Das ist ein Allgemeingut, fern jeglicher parteipolitischer Differenzen. Wir werden also weiterhin unser Programm Saubere Luft entschlossen weiterbetreiben.

Wohnungsbau: Neue Perspektiven

Wir haben neue Regelungen für den Wohnungsbau eingeführt. Zwischen 2011 und 2014, also vor Beginn unserer Regierungszeit, wurden durchschnittlich 143.000 Wohnungen pro Jahr fertiggestellt. In den Jahren 2017 bis 2020 sind und werden es 200.000 sein. Unser Nationales Wohnungsbauprogramm, zu dem auch das Projekt Wohnung+ gehört, schafft neue Perspektiven.

Wir haben den Erbnießbrauch der Grundstücke von Wohnhäusern in normales Eigentum umgewandelt und damit ein Relikt mehr aus der kommunistischen Zeit beseitigt.

Wir alle wissen, dass Polen auf eine glanzvolle Geschichte zurückblickt, aber wir glauben zu wenig an die glanzvolle Zukunft. Die groβen zukunftsträchtigen Vorhaben werden eine solche Zukunft schaffen. Endlich holt die Entwicklung Polens unser Vorstellungsvermögen ein.

Mitverantwortung für Mitteleuropa und die EU

Wir haben die Verantwortung für Polen übernommen und wir sind bereit die Mitverantwortung für unsere Region, für Mitteleuropa und für die Europäische Union zu tragen.

Vor dreiβig Jahren schien es, als hätte der Fall des Eisernen Vorhangs die Errichtung einer globalen Ordnung nach sich gezogen. Heute sehen wir leider, dass die Welt zur Arena einer neuen Unordnung geworden ist. Neue Bedrohungen sind aufgekommen, wie der globale Terrorismus und Migrationswellen. Zu den alt hergebrachten Akteuren auf der Weltbühne sind neue gestoβen, wie etwa globale Unternehmen deren Budgets nicht selten gröβer sind als das Bruttonationaleinkommen mittelgroβer Staaten.

Wir sind der EU beigetreten als einem Klub der Gleichen und nicht als einer Schule, wo es ein Klassen- und ein Lehrerzimmer gibt. Das ist ein schlechtes Modell, auch wenn wir der Musterschüler in der Klasse wären. (Staatspräsident – Anm. RdP) Lech Kaczyński (1949-2010 – Anm. RdP) sagte seiner Zeit, dass wir auf der Suche nach einem partnerschaftlichen Europa seien, in dem unserem Land ein Platz zusteht der sich aus seiner Gröβe und seiner Geschichte ergibt. Es gibt nichts normaleres, als den Kampf um eigene Interessen in der EU. Jeder macht das. Es ist die Norm.

Wir haben einen Plan für die EU

Man kann ihn in einigen einfachen Punkten darlegen.

Erstens. Solidarität und Subsidiarität. Wir wollen die Zentralisierung und die Brüsseler Bürokratie einschränken. Wir wollen die Solidarität und die Subsidiarität wieder einführen. Übrigens entsprechend Artikel 5 des Vertrages über die Europäische Union sowie der Präambel und dem Artikel 2 unserer Verfassung.

Zweitens. Gerechte Steuern. Globale Firmen haben es jahrelang vermieden Steuern zu zahlen und haben in der ganzen EU, mittels verschiedener Buchhaltungstricks, die Gewinne auβer Landes geschafft. Das ist nicht normal. Die gröβten und reichsten Firmen der Welt müssen dort Steuern zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften. Teilweise haben wir das bereits in Polen geändert, wir werden es ebenfalls in Europa ändern. Vor einigen Jahren haben wir angefangen laut davon zu sprechen, dass man mit den Steuerparadiesen Schluss machen, gegen die Mehrwertsteuer-Mafia kämpfen muss. Heute sieht ganz Europa das genauso und nutzt unsere Erfahrungen.

Wie einst Cato in Bezug auf Karthago werde ich nicht müde zu wiederholen: die Steuerparadiese müssen verschwinden, sie müssen geschlossen werden. Das sind doch keine Paradiese, das ist ein Albtraum, für die einfachen Leute, für Familien und für Staaten. Es ist nicht normal, dass der Europäischen Union jährlich 150 Milliarden Euro an Körperschaftssteuer entgehen, so viel wie ihr jährlicher Haushalt umfasst, und sie tut so, als würde sie das nicht bemerken. Der EU wird etwas mehr Recht und Gerechtigkeit gut tun.

Drittens. Faire Konkurrenz. Wir werden die Benachteiligung unserer Unternehmer nicht hinnehmen. Wir wollen den gemeinsamen Markt zu Ende errichten. In den letzten fünfzehn Jahren haben polnische Unternehmer erfolgreich die EU-Märkte erobert. Es ist Zeit, dass diverse Schwierigkeiten verschwinden. Darum werden wir, unter Einsatz all unserer Kräfte, in Brüssel kämpfen.

Die beherrschende Stellung von Groβunternehmen in einigen Branchen beeinträchtig den normalen, gesunden Wettbewerb. UOKiK (polnische Abkürzung für das Amt für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz – Anm. RdP) wird sich solchen Vormachtstellungen widersetzen.

Viertens. Kampf um die in den EU-Verträgen verbriefte Dienstleistungsfreiheit. Hierbei geht es um den Kampf gegen solchen Unsinn, wie die Notwendigkeit der Rückkehr von zweihunderttausend polnischen Lkw an ihre jeweiligen Standorte, was dazu führt, dass die Umwelt vergiftet wird, nur um die Konkurrenzfähigkeit schwer arbeitender polnischer Fernfahrer und Transportunternehmer zu verringern. (Die EU will, dass Fahrer und Lkw nach vier Wochen Arbeit in einem anderen EU-Land für mindestens einen Tag an ihren Firmen-Standort zurückkehren – Anm. RdP).

Fünftens. Ein ehrgeiziger EU-Haushalt. Mit neuen Einnahmen, mit einer ausgebauten Agrarpolitik, mit der Akzentsetzung auf Straβen- und Eisenbahnbau sowie Umweltschutz. Wir wollen die Gruppe der sechzehn EU-Staaten, bekannt als „Freunde der Kohäsion“ stärken. Wir und die anderen fünfzehn Länder haben ähnliche Ziele und das wird uns helfen beim Kampf um einen ehrgeizigen EU-Haushalt.

Sechstens. Die Partnerschaft des Westens. Wir werden das Bündnis Europas mit den Vereinigten Staaten verteidigen. So wie die EU die Garantin der kontinentalen Ordnung ist, so kümmert sich die Nato um die globale Ordnung. Polen ist und muss ein integraler Bestandteil dieser beiden Strukturen bleiben.

Schädlich und gefährlich sind, das absichtliche Schaukeln mit unserem europäischen Boot, die Extreme des Isolationismus, der Zerfall der EU, aber auch die Versuche, die EU in einen föderalen Staat zu verwandeln.

Die Nato ist das mächtigste Militärbündnis der Weltgeschichte, und zwar deswegen, weil ihr Ziel die Wahrung des Friedens ist. Die Stimmen einiger Staatsführer, die den Artikel 5 des Washingtoner Vertrages in Frage stellen oder die Nichterfüllung der Bündnisverpflichtungen, das heiβt die Weigerung zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für die Verteidigung auszugeben, schwächen unsere Verteidigung, sind eine Bedrohung für die EU und die Nato. Wir werden dem entgegenwirken.

Europa braucht die Rückkehr zu seinen Wurzeln, zu seinen Werten, zu seiner Gründungsidee, zu den christlichen Werten. Wir leben nicht mehr in den Zeiten der sicheren Vorherrschaft des Westens. In Fern- und Nahost und in dem uns am nächsten liegenden Osten gibt es internationale Akteure, die die Schwäche Europas gerne ausnutzen werden.

Deswegen wollen wir eine ehrgeizige EU, bereit neue Mitglieder aufzunehmen, offen in Richtung Westbalkan. Wenn wir den Nachbarländern kein greifbares Angebot unterbreiten, werden es andere tun: Russland, China, die Türkei, der radikale Islam.

Wir wollen eine EU, die nach dem Brexit eng mit Groβbritannien zusammenarbeitet, eine aktive EU mit globalen Zielsetzungen. Um dieses Zukunftsbild zu verwirklichen, bedarf es auch einer leistungsfähigen Wirtschaft Polens, einer leistungsfähigen polnischen Diplomatie, Wissenschaft und der Kraft der polnischen Werte. Das ist selbstverständlich. Doch all das zusammen reicht nicht aus. Es bedarf auch der Kraft der Zusammenarbeit.

Die Visegrad-Staaten – ein Kräftepol der politischen Vernunft

Die Gruppe der Visegrad-Staaten ist zu einem wichtigen Kräftepol Europas geworden. Es ist ein Kräftepol der politischen Vernunft und Werte, eine Oase der Ruhe und Normalität. Gemeinsam bemühen wir uns um einen guten EU-Haushalt, gemeinsam haben wir das Holen von Tausenden von Migranten aus Nahost verhindert.

Gemeinsam haben wir ungute Personalentscheidungen verhindert. (Gemeint ist das erfolgreiche Verhindern der Wahl von Frans Timmermans zum Vorsitzenden der EU-Kommission im Juli 2019 – Anm. RdP). Das geschah zum groβen Teil dank unserer Aktivität. Diese Zusammenarbeit soll zum Wohle Europas vertieft und ausgeweitet werden, genauso wie die mühsamen Anstrengungen um die Drei-Meere-Zusammenarbeit weiterentwickelt werden müssen.

Die USA – unser wichtigster Verbündeter

Die Vereinigten Staaten, unser mächtigster Verbündeter, haben dank den Bemühungen des Herrn Staatspräsidenten Andrzej Duda und des Verteidigungsministers entschieden, das US-Truppenkontingent in Polen zu verzehnfachen. Auch wenn die Welt heute kein sicherer Ort ist, wird Polen, dank unserem Handeln, von Tag zu Tag sicherer.

Ein groβer Freund Polens und einer der wichtigsten Staatsführer der Welt sagte ja: „Polen liegt nicht im Osten und nicht im Westen. Polen befindet sich in der Mitte der europäischen Zivilisation und hat beträchtlich zu ihrer Entwicklung beigetragen.“ (Es sind die Worte des US-Präsidenten Ronald Reagan aus seiner Rede vor dem britischen Parlament in London am 8. Juni 1982, als in Polen das Kriegsrecht herrschte – Anm. RdP)

Das ist nicht nur bloβe Redekunst. Polen steht vor der groβen Chance, ähnlich der nach (dem polnischen Geologen – Anm. RdP) Wawrzyniec Teisseyre (1860-1939 – Anm. RdP) benannten geologischen Zone, den Osten und Westen, den Norden und Süden Europas miteinander zu verbinden. Dieses Verbinden ist unser Ziel. Hier, bei uns können die besten Merkmale des europäischen Erbes, der europäischen Werte ihre Zukunft finden.

Generationen von Polen haben in ihrer Schulzeit den „Leuchtturmwärter“ von Henryk Sienkiewicz gelesen, eine Erzählung über das bittere Schicksal eines Auswanderers und die Vaterlandsliebe. Der ständige Aderlass, eine Emigrationswelle nach der anderen, sind ein Drama Polens. Heute kehren die Polen in die Heimat zurück. Endlich kann Polen für Generationen von Emigranten Hoffnung und Zukunft sein, ein Ort der Rückkehr.

Wie wird Polen heute von Auβen gesehen? Wir könnten das jeden der zwanzig Millionen Touristen fragen, die Polen bis Ende dieses Jahres besuchen werden. Es ist ein Rekord, der Zeugnis davon ablegt, welche Anziehungskraft unser Land besitzt. Sie sehen das, was wir allzu oft vergessen. Polen ist ein schönes, interessantes, kulturreiches Land. Ein Land, auf das wir stolz sein können.

Zugleich wollen wir unsere Landsleute aus der ganzen Welt anlocken. Deswegen werden  weitere Polonia-Sommerschulen für Kinder und Jugendliche entstehen. Damit weiterhin Generationen von Polen, die im Ausland zur Welt kamen auf die Frage wo Polen liegt, nicht nur den Flecken auf der Landkarte zeigen können, sondern damit Polen den Eingang in ihre Herzen und Lebenspläne findet.

Den Weg der Spaltung verlassen

Mein seliger Vater Kornel Morawiecki hat stets betont, dass die Polen Leistungen vorweisen können, auf die sie sehr stolz sein dürfen. Von unserem Vaterland gingen keine Kriege aus, wir haben niemanden ausgerottet. Ganz im Gegenteil, wir waren, wie kaum ein anderes Volk, die Verteidiger der Freiheit. Polen steht heute vor der groβen Chance eine gute Zukunft aufzubauen, für sich und andere.

In der heutigen Welt wissen sich am besten die Gemeinschaften, die Staaten zu helfen, die in der Lage sind in Schlüsselfragen Einvernehmen zu erzielen. Wir müssen uns gegenseitig überzeugen und nicht besiegen. Wir müssen nicht in allem übereinstimmen. Fangen wir damit an, uns in einigen Angelegenheiten von gröβter Wichtigkeit zu verständigen. Lech Kaczyński sagte, Polen brauche die Aufarbeitung der Schuld, aber noch mehr das Einvernehmen.

Deswegen öffnen auch wir uns für die Zusammenarbeit. Deswegen berät uns in Sachen Gesundheitswesen Professor Marian Zembala (im Jahre 2015 Gesundheitsminister in der letzten Regierung der Tusk-Partei Bürgerplattform – Anm. RdP). Deswegen ist Marek Balicki (im Jahre 2003 Gesundheitsminister bei den Postkommunisten – Anm. RdP) Bevollmächtigter unserer Regierung für die Psychiatriereform.

Dieses ist kein Parlament der fünf Wahlkomitees und der 560 Abgeordneten. Das ist unser aller Parlament, das des ganzen Volkes. Auch wenn jeder von uns, Polen aus einer anderen Perspektive betrachtet, vor Augen haben wir jedoch denselben Horizont. Wissen Sie, was ich  an diesem Horizont sehe? Die künftigen Generationen von Polen, dankbar dafür, dass ihre Vorfahren im Jahre 2019 den Weg der immer tiefer werdenden Spaltung verlassen haben, zugunsten des Einvernehmens, was die fundamentalen Interessen unseres Staates angeht. Das möchte ich, und darum bitte ich.

Möge Gott über unseren Weg wachen

Herr Staatspräsident! Frau Parlamentspräsidentin! Hohes Haus! Werte Landsleute!

Ich glaube an unseren eigenen Weg. Ich glaube an die Werte, die mit unseren Vorfahren nicht untergegangen sind, sondern Generationen überdauert haben. Ich glaube an die polnische Selbständigkeit und Hartnäckigkeit, die uns so viele groβe Wissenschaftler und Entdecker beschert haben, so viele stille Helden. Ich glaube an die polnische Fantasie und Feinfühligkeit, die in unvergänglichen Kunstwerken und Werken des menschlichen Geistes ihren Ausdruck gefunden haben. Ich glaube an den polnischen Unternehmergeist und an das polnische Talent, die alle Widrigkeiten überwinden. Ich glaube an die Leistungsstärke unseres Landes, die in den letzten drei Jahrzehnten nicht voll ausgenutzt wurde. Und ich glaube fester als jemals zuvor daran, dass der Augenblick gekommen ist, um unser Potential in die Wirklichkeit umzusetzen.

Wir können die stärkste Generation sein, die Polen jemals hatte. Wir können eine Generation sein, die ein groβes und freies Polen erlebt, so wie in den Träumen unserer Väter, ein glückliches und kluges Polen, so wie in den Gebeten unserer Mütter und Groβmütter. Dieser Ehrgeiz ist älter als es unsere Konflikte sind. Er ist gröβer als sie. Es ist ein Ehrgeiz, den alle Polen in sich tragen. Wir müssen ausdauernd sein und vor allem an uns glauben. Dank der Ausdauer und dem Glauben an uns selbst sind wir da wo wir sind.

Werte Landsleute! Wir alle tragen das geistige Erbe, das den Namen Polen trägt. Lasst uns dem Rat unseres Dichters aus der Kriegszeit, Andrzej Trzebiński (1922 – 1943, von Deutschen ermordet – Anm. RdP) folgen. Wir sollen nicht so tun als wäre Polen irgendwo anders, als wäre es etwas anderes. Polen ist dort, wo es uns unsere Vorfahren zurückgelassen haben und wird dorthin gelangen, wohin es unsere Anstrengungen bringen.

Welches Polen werden wir an unsere Nachkommen weitergeben? Die Zeit der Entscheidungen ist gekommen. Gröβe ist eine Frage der Entscheidung. Wir gehen dem Neuen entgegen und möge Gott über unseren Weg wachen. Vielen Dank.

Lesenswert. Morawieckis Regierungserklärung von 2017 im Wortlaut.

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Prozente, Mandate, Sieger, Verlierer. Parlamentswahlen 2019 in Polen

Auf einen Blick.

Auch dieses Mal haben wir für Sie alle verfügbaren Angaben zusammengetragen und eine umfangreiche grafische Darstellung der Wahlergebnisse vorbereitet. Wir hoffen, dass Sie sich dadurch in der politischen Landschaft Polens besser zurechtfinden werden.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten alle Teilnehmer der polnischen Parlamentswahlen vom 13. Oktober 2019 die Ergebnisse des Urnengangs. Es waren die dritten Wahlen in Polen innerhalb von elf Monaten. Im November 2018 gab es Kommunalwahlen, im Mai 2019 Europawahlen, im Oktober 2019 Parlamentswahlen, und im Mai 2020 erwarten uns noch die Präsidentschaftswahlen.

Aus allen drei bisherigen Entscheidungen ging die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit als klare Siegerin hervor.

Sie konnte ihre absolute Mehrheit im Sejm behaupten und hat zudem knapp 2,5 Millionen Stimmen, im Vergleich zu den Parlamentswahlen von 2015, hinzugewonnen. Mit insgesamt gut acht Millionen Stimmen hat sie alle bisherigen Wahlrekorde gebrochen.

Doch die Logik des in Polen geltenden D’Hondt-Verfahrens zum Umrechnen der Wählerstimmen in Abgeordnetenmandate hat verursacht, dass sie kein einziges zusätzliches Mandat erhielt. Recht und Gerechtigkeit hatte und hat 235 Sitze im 460-köpfigen Sejm.

Ein zweiter Wermutstropfen ist die verfehlte Mehrheit in der oberen Kammer des Parlaments, dem 100-köpfigen Senat. Das Regieren wird für Recht und Gerechtigkeit dadurch etwas umständlicher, aber ein ernsthaftes Hindernis ist es nicht.

Die gröβte Oppositionspartei Bürgerplattform/Bürgerkoalition hat die fünften Wahlen in Folge verloren und knapp zwanzig Prozent Stimmen weniger auf sich vereinigen können als der Wahlsieger Recht und Gerechtigkeit. Ein Trostpflaster ist für sie die verfehlte Mehrheit von Recht und Gerechtigkeit im Senat.

Die Linke, bestehend aus den Postkommunisten von der Allianz der Demokratischen Linken (SLD), der „Frühling”-Partei des homosexuellen Aktivisten Robert Biedroń und der radikal sozialistischen Hipster-Partei „Razem“ („Gemeinsam“), hat nach vier Jahren Abwesenheit den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament geschafft. Die Gefahr jedoch ist groβ, dass durch den Ehrgeiz der drei Parteichefs und deren Machtkampf die 49-köpfige Linke-Fraktion in drei parlamentarische Gruppen ohne Fraktionsrechte zerfallen wird.

Die Bauernpartei kann sich freuen, dass es ihr gelang im letzten Augenblick dem Sensenmann zu entkommen. Sie ist mit 30 Abgeordneten wieder dabei. Sie hat die Reste der Kukiz-Antisystembewegung des Rockmusikers Paweł Kukiz unter ihre Fittiche genommen. Es ist eine wahrlich exotische Allianz, aber sie erwies sich als überlebensfähig, obwohl niemand, auch die Betroffenen selbst, sagen kann wofür dieses Gebilde politisch eigentlich steht. Die Bauernpartei, einst die Königin der ländlichen Gebiete, hat sich von Recht und Gerechtigkeit das Zepter entreiβen lassen und vegetiert heute am Rande der polnischen Politik vor sich hin.

Grund zur Freude hat auch die radikalnationale Konföderation, die es zum ersten Mal ins Parlament geschafft hat, aber, und das ist der Wermutstropfen, mit nur elf Abgeordneten kein Fraktionsstatus haben wird. Es ist ein Sammelbecken von politischen Wirrköpfen: Anarcholiberalen, Nationalisten, Polit-Clowns, darunter manche alten politischen Haudegen, die zweifelsohne versuchen werden das Parlament „aufzumischen“.

Alles in allem ist infolge der Wahlen von 2019 ein sehr pluralistischer Sejm entstanden. Alle wichtigen politischen Richtungen sind in ihm vertreten. Zugleich ist die Regierbarkeit des Landes durch die absolute Mehrheit von Recht und Gerechtigkeit gewährleistet. Außerdem gab es eine für polnische Verhältnisse hohe Wahlbeteiligung von gut 61 Prozent. So gesehen war es eine gute Wahl.

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Sehenswert auch: 

Prozente, Mandate, Sieger, Verlierer. Kommunalwahlen 2018.

Prozente, Mandate, Sieger, Verlierer. Europawahl 2019 in Polen. 

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Prozente, Mandate, Sieger, Verlierer. Europawahl 2019 in Polen

Auf einen Blick.

Die Europawahl 2019 galt in Polen vor allem als ein Vorlauf für die Parlamentswahlen im Herbst 2019 und die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2020. Als wichtigste Antagonisten standen sich die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit und die Europäische Koalition gegenüber.

Die Europäische Koalition hatte sich kurzfristig als ein Zweckbündnis aus fünf Parteien (Bürgerplattform, Postkommunisten, Bauernpartei, Nowoczesna – die Moderne und Grüne) sowie einigen linken Verbänden und Bewegungen zusammengeschlossen. Das Ziel dieser Einheitsfront war, mit dem Sieg bei der Europawahl 2019 gegen Recht und Gerechtigkeit eine politische Wende in Polen einzuleiten, um im Anschluss weitere Wahlsiege im Herbst 2019 und Frühjahr 2020 davontragen zu können. Dies ist vorerst nicht gelungen.

Insgesamt stellten sich sechs Parteien landesweit zur Wahl. Auβer den schon erwähnten zwei wichtigsten Gegnern, hatten nur noch zwei Parteien eine Chance die in Polen auch bei der Europawahl geltende Fünfprozentklausel zu überwinden.

Das war die im Frühjahr 2019 von dem Schwulen-Aktivisten Robert Biedroń gegründete Partei Wiosna – Frühling. Sie bekam sechs Prozent der Stimmen.

Auf der rechten Seite formierte sich die Konföderation, eine Sammelbewegung des nationalradikalen Lagers. Sie verfehlte mit gut vier Prozent knapp das Ziel die 5-Prozent-Hürde zu überwinden.

Die nachstehenden Schautafeln verdeutlichen die Ergebnisse der Europawahl 2019 in Polen und die wichtigsten augenblicklichen soziopolitischen Trends, die diese Wahl zutage gefördert hat.

Bitte ggf. vergröβern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Prozente, Mandate, Sieger, Verlierer. Kommunalwahlen 2018

Auf einen Blick.

Die Regionalwahlen vom 21. Oktober und 4. November 2018 eröffneten eine Wahlsaison in Polen, die bis zum Frühjahr 2020 dauern wird. Im Mai 2019 finden Europawahlen statt, im Herbst 2019 Parlamentswahlen und im Frühjahr 2020 Präsidentschaftswahlen.

Bei den Kommunalwahlen 2018 erfolgte die Stimmabgabe auf drei Ebenen: für die sechzehn Woiwodschaftslandtage, 380 Kreistage und für die gut 2.500 Gemeinderäte. Direkt gewählt wurden auch die Gemeindebürgermeister sowie die Oberbürgermeister (Stadtpräsidenten) der 107 kreisfreien Städte.

● Die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit ist aus der ersten Runde des Wahl-Vierkampfes deutlich gestärkt hervorgegangen und konnte ihr kommunalpolitisches Gewicht auf dem flachen Land deutlich erhöhen. Sie erhielt 2 Millionen Stimmen mehr als bei den Kommunalwahlen 2014. In den groβen und mittelgroβen Städten jedoch, gelang es ihr nicht Land gutzumachen.

Das Resultat der Kommunalwahlen 2018 haben Fachleute inzwischen auf die Parlamentswahlen hochgerechnet. Demnach ergäbe sich eine Mehrheit von 42 Prozent für Recht und Gerechtigkeit. Die Regierungspartei würde sich damit wieder die absolute Mehrheit sichern. Bis Herbst 2019 jedoch, wenn die wahren Ergebnisse bekannt sein werden, ist es noch lange hin.

● Die 2015 abgewählte Bürgerplattform ging zusammen mit der von ihr inzwischen völlig vereinnahmten Partei Die Moderne (Nowoczesna) in die Wahl, unter dem Etikett: Bürgerkoalition. Auch sie verzeichnete einen Stimmenzuwachs, und zwar von 1 Million Stimmen, musste aber auf dem flachen Land sehr viele ihrer Bastionen in den Woiwodschaften und Landkreisen räumen.

Auch ihre Erfolge in den groβen und mittelgroβen Städten fallen eher mager aus. Das Rennen dort (Kraków, Gdańsk, Gdynia usw.) machten überwiegend Regionalpolitiker, die sich von der Bürgerplattform distanziert, beziehungsweise ganz und gar abgewandt haben. In vielen Städten stellte die Bürgerplattform-Bürgerkoalition (BP-BK) keine Kandidaten auf oder ihre Kandidaten scheiterten, wie u. a. in Gdańsk (Jarosław Wałęsa, Sohn des früheren Staatspräsidenten) oder in Szczecin.

● Der Verlierer der Wahl ist die Bauernpartei, der treue Mehrheitsbeschaffer und Koalitionspartner der Bürgerplattform. Fast 1 Million ihrer Wähler sind zu 90 Prozent zu Recht und Gerechtigkeit übergelaufen. Korruptionsskandale, Filz, das weitverbreitete Gefühl die Menschen auf dem Land im Stich gelassen zu haben und die zunehmende Verflechtung mit der vehement nach links tendierenden BP-BK, waren den bodenständigen Wählern der ländlichen Regionen eindeutig zu viel des Guten.

● Die postkommunistische Allianz der Demokratischen Linken konnte sich als eine politische Randerscheinung behaupten.

● Ein oder zwei Happen von einem verhältnismäβig kleinen Tortenstück, konnten sich auch bei dieser Kommunalwahl verschiedene lokale und regionale Wahlkomitees sichern.

Alles Weitere können Sie denn nachfolgenden Schautafeln entnehmen. Bitte ggf. vergrößern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Polens Nationalradikale. Besser nicht verbieten

Zum Stand einer politischen Debatte.

Gewiss, im Falle von ONR („Das Nationalradikale Lager“ – Anm. RdP) handelt es sich um eine radikale Organisation. Bis jetzt jedoch bewegt sie sich im Rahmen der polnischen Rechtsordnung. Ihr Verbot würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, der in Zukunft Tür und Tor aufstoβen könnte, zum Entzug der Legalität anderer unbequemer Gruppierungen.

So zu lesen im Wochenmagazin „Sieci“ („Netzwerk“) vom 2. September 2018, das damit seine Stimme in einer Debatte erhebt, die in Polen seit einigen Jahren immer wieder aufflackert: soll man ONR (polnisch Obóz Narodowo-Radykalny) verbieten? Nachfolgend die Übersetzung des Artikels mit geringfügigen Kürzungen.

Zum Jahrestag des Sieges über die Sowjets vor Warschau am 15. August 1920 hat ONR in diesem Jahr, zusammen mit anderen verwandten radikal nationalen Gruppierungen, zu einem offiziell angemeldeten und genehmigten Gedenkmarsch durch Warschau aufgerufen. Die radikale linke Krawallgruppe „Obywatele RP“ („Bürger der Republik Polen“ – Anm. RdP) stellte sich ihnen in den Weg.

„Nationalismus ist kein Patriotismus“. Von der Polizei aufgelöste Blockade des ONR-Marsches am 15. August 2018 in Warschau.

ONR-Marsch in Warschau am 15. August 2018.

Der Geistesgegenwart und der schnellen Reaktion der Polizei war es zu verdanken, dass es keine Ausschreitungen gab. Die Beamten leiteten die Gegner auf zwei Parallelstraβen aneinander vorbei. Sie trafen sich erst auf dem Schlossplatz, wo es der Polizei wiederum gelang sie voneinander fernzuhalten. Die Nationalradikalen grölten zu Füβen der Sigismundsäule die Nationalhymne und andere patriotische Lieder, die linken Krawallmacher brüllten in Sprechchören: „Warschau vom Faschismus frei“, „Es findet sich eine Keule für die Faschistenmäuler“, „Polizisten schützen Faschisten“.

Es war, als würde man an einer Zeitreise in die Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts teilnehmen. Damals gab es in Polen auch viele Zusammenstöβe zwischen radikalen Rechten und radikalen Linken, auch wenn sie bei weitem nicht das deutsche Ausmaβ aus der Weimarer Zeit erreicht haben.

Wie damals, meinen es die Widersacher auch heute todernst. Die einen sind davon überzeugt, sie seien der Vorposten des Polentums im Kampf gegen die jüdisch-bolschewistisch-Brüsseler Bedrohung. Die anderen sehen sich als das letzte Bollwerk im Kampf gegen eine vermeintliche braune Überflutung.

In Polen steht der Faschismus ausgesprochen niedrig im Kurs

Beide sind absolute Randgruppen. In Polen steht der Faschismus ausgesprochen niedrig im Kurs. Deswegen, um die Sprache der Volkswirtschaft zu bemühen, gibt es auch keine Nachfrage nach einem hysterischen Antifaschismus.

Den radikalnationalen Gruppierungen, wie dem ONR oder der Allpolnischen Jugend (Młodzież Wszechpolska – MW), gelingt es nur einmal im Jahr eine Groβveranstaltung auf die Beine zu stellen. Es ist der Unabhängigkeitsmarsch am 11. November in Warschau.

Unabhängigkeitsmarsch am 11.November 2018 auf der Poniatowskibrücke in Warschau.

An Polens Nationalfeiertag marschierten 2017 etwa sechzigtausend Menschen mit. Neben den Veranstaltern und den Fuβball-Ultras, die rote bengalische Feuer entzündeten, beteiligten sich Abertausende ganz normale Bürger, oft Familien mit Kleinkindern. Sie trugen an diesem Tag ihr Polnischsein zur Schau, gingen anschlieβend nach Hause und dachten nicht im Entferntesten daran, sich den Nationalradikalen anzuschlieβen oder sie zu wählen.

Bei Wahlen bekommen nationalradikale Gruppierungen in Polen meistens nicht einmal ein Prozent der Stimmen. Ebenso ergeht es ihren Kandidaten bei Präsidentschaftswahlen. Es sind politische Sekten und politische Sektierer, die ganz am Rande der polnischen Gesellschaft ihr Gehabe zur Schau tragen. Anders als von deutschen Medien gesehen, die sich über den Warschauer Unabhängigkeitsmarsch 2017 dermaβen aufregten, dass ihnen darüber jedes Gespür für die Verhältnismäβigkeit abhandenkam.

Im Vergleich zu den politisch bedeutungslosen polnischen Nationalradikalen vom ONR und der MW, sind die NPD oder DVU (2011 Fusion beider Parteien – Anm. RdP) geradezu politische Riesen, die im letzten Jahrzehnt immerhin viermal den Sprung in deutsche Landtage geschafft haben.

In Polen lebende Vietnamesen und Inder beim Warschauer Unabhängigkeitsmarsch am 11. November 2016.

Interessanterweise schwangen auch Schwarzafrikaner und Vietnamesen, die in Polen leben, in dem Unabhängigkeitsmarsch polnische Fahnen. Zwischenfälle gab es deswegen keine. Jeder kann kommen, Transparente werden nicht kontrolliert, deswegen tauchen auch manchmal Spruchbänder auf, die es besser nicht geben sollte, wie „Für ein weiβes Europa brüderlicher Völker“.

Der in Kraków lebende, behinderte Nigerianer Dr. Bawer Aondo-Akaa beim Warschauer Unabhängigkeitsmarsch am 11. November 2016.

Nicht genügend Beweise und Indizien

Das heiβt nicht, dass die polnischen Nationalradikalen ganz und gar harmlos sind. Es gibt unter ihnen Leute deren Denken und Tun man nicht gutheiβen kann. Das Nationalradikale Lager (ONR) bezieht sich auf eine faschistoide Organisation, die im Vorkriegspolen ihr Unwesen trieb, bis sie 1934 verboten wurde und ihre Anführer hinter Gitter wanderten. Auch heute pflegen ihre Nachfolger die Vorliebe für Uniformen, Armbinden und Fahnen. Doch so unappetitlich es vielen von uns vorkommen mag, das allein reicht nicht aus für ein Verbot.

Jedoch, es geht nicht nur um das Gehabe eines Randgrüppchens der Gesellschaft, sondern auch um die Schädlichkeit ihres Tuns. Wer niedrigen Instinkten wie Rassenhass frönt, und das auch noch kundtut, der schlieβt sich selbst aus der demokratischen Gesellschaft aus. So etwas ist unannehmbar, weil es die Gesellschaft spaltet, die Menschen verfeindet und sollte individuell geahndet werden.

Patriotismus heiβt sich zum eigenen Volk und Staat, zu seiner Geschichte und seinen Errungenschaften offen zu bekennen, ohne andere Staaten und Völker zu erniedrigen. Der Nationalismus hingegen erzielt seine erbauende Wirkung, indem er sich über andere erhebt.

Doch gibt es genügend Beweise und Indizien, um das ONR und ähnliche, noch kleinere Grüppchen, als Faschisten zu bezeichnen, das heiβt als solche, die dem demokratischen Staat gefährlich werden können? Als solche, die rechtswidrig handeln, weil sie ein totalitäres System einführen wollen und einen rassisch, ethnisch und religiös bedingten Hass anpreisen?

Die Antwort ist nicht so einfach. Gewiss, es gibt unter diesen Leuten Antisemiten oder Rassisten, doch das ist nicht die offizielle Ideologie dieser Gruppierungen. Wäre sie das, würden diese Organisationen von Gerichten nicht registriert und somit zugelassen werden. Auβerdem sind ihre Mitglieder sehr erfinderisch, wenn es darum geht mit den verbotenen Ideologien nicht in Verbindung gebracht zu werden.

Vorliebe für Uniformen, Armbinden, Fahnen, das Keltenkreuz.

Sie tragen Uniformen? Das tun sie, doch auch wenn die Uniformen an diejenigen aus den Dreißigerjahren anknüpfen, sind es keine faschistischen Uniformen. Sie tragen Armbinden mit einem Kreuz versehen? Ja, doch es ist kein Hakenkreuz sondern das Keltenkreuz. Nur eines gelang ihnen nicht, und zwar der Öffentlichkeit einzureden, der Hitlergruβ, den manche verwenden, sei in Wirklichkeit der Saluto romano, der römische Gruβ, der auch mit einem ausgestreckten Arm bezeugt wird.

Das Wichtigste jedoch ist, dass sie zumeist keine Gewalt anwenden, auch wenn sie dazu provoziert werden. Erinnern wir an den Gazeta-Wyborcza-Journalisten Jacek Hugo Bader, der sich das Gesicht schwärzte und einige Stunden lang unter Teilnehmern des Warschauer Unabhängigkeitsmarsches am 11. November 2016 herumlief, in der Hoffnung als „Neger“ zusammengeschlagen zu werden. Doch nichts passierte.

Journalist Jacek Hugo Bader mit geschwärztem Gesicht als „Neger“ getarnt beim Warschauer Unabhängigkeitsmarsch am 11. November 2016.

Schreckgespenst sehr erwünscht

„Antifaschisten“ haben Mühe stichhaltige Beweise für das faschistische Wesen des Nationalradikalen Lagers ONR und verwandter Organisationen zu erbringen. Anna Tatar von der Vereinigung „Nigdy Więcej“ („Nie wieder“ – Anm. RdP) berichtete in einem Gespräch mit dem linken Sender „Rado Tok FM“, dass ihre Organisation das ONR seit 2001 beobachtet und zählte die Sünden dieser Gruppierung auf: „Sie veranstalten xenophobe Demonstrationen, stören bei den alljährlichen Gleichheitsparaden der Schwulenbewegung verbreiten Hass im Internet, stören Veranstaltungen mit Schwulenaktivisten“.

Es fällt schwer in all diesen Aktivitäten Symptome des Faschismus zu entdecken. Genau das kann man auch den Krawallmachern vom „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ oder den „Bürgern der Republik Polen“ vorwerfen. Sie stören ebenso massiv Veranstaltungen der regierenden Nationalkonservativen, blockieren legale Demonstrationen, verbreiten Hass und Verachtung im Internet.

Antifaschistin Anna Tatar.

Anna Tatar stellte in dem Gespräch fest, das ONR sei „eine faschismusnahe Organisation“ und ihre Parole „Polen den Polen“ wird allgemein als „radikal nationalistisch und neofaschistisch“ angesehen. All das dürfte für die Gerichte viel zu wenig sein, um das ONR aus dem Vereinsregister zu streichen und somit ein Verbot auszusprechen.

Die Linke und die heutige polnische Opposition brauchen das Scheckgespenst des angeblich in Polen triumphierenden Faschismus. In Polen jedoch muss ein Häuflein von Idioten sich tief in einem Wald in Schlesien verstecken, weit weg von jeglicher Öffentlichkeit, um Hitlers Geburtstag zu feiern. Sie wurden dabei von einem TV-Sender gefilmt, aber sie wussten auch, jeglicher Versuch so etwas öffentlich zu tun, würde von Passanten und Polizei im Nu verhindert. Verbindungen zum ONR oder zur MW wurden in diesem Fall nicht festgestellt.

Im benachbarten Deutschland derweil sind es 2018 Tausende, die in die sächsische Stadt Ostritz fahren, um ganz offen dem Führer am 20. April zu huldigen.

Es geht hier nicht um Verharmlosung. Es geht nur um die Wahrung von Proportionen.

Polen, Deutschland und die Komplizenschaft

Die Linke in Polen erhebt zusammen mit der 2015 abgewählten Bürgerplattform immer wieder die Forderung das ONR zu verbieten. Dabei werden die Nationalradikalen immer wieder von ihnen, aber auch von den deutschen Medien, in die Nähe der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit gestellt. Ab und an wird beiden gar eine Komplizenschaft unterstellt.

Recht-und-Gerechtigkeit-Parlamentarier Waldemar Bonkowski. Wegen antisemitischer Bemerkung aus der Partei verstoβen.

In Wirklichkeit wird in Kaczyńskis Partei nicht mal ein Hauch von Antisemitismus hingenommen. Davon überzeugen konnte sich im Juni 2018 etwa der Parlamentarier Waldemar Bonkowski. Wegen einer antisemitischen Bemerkung auf seinem Twitter-Account wurde er umgehend aus der Partei ausgeschlossen. Für Kaczyński ist der Antisemitismus „eine Krankheit der Seele und des Verstandes, vom Teufel selbst übertragen“. Eine Krankheit, die „entschieden bekämpft werden muss.“

Warum also will die jetzige Regierungspartei das ONR, bei dessen Mitgliedern es an antisemitischen Äuβerungen nicht fehlt, nicht verbieten? Weil sie das ONR letztendlich doch als einen nützlichen, verdeckten politischen Verbündeten erachtet?

Niemand jedoch stellt die Frage, ob denn vielleicht die deutsche Politik und das Justizwesen nur so tun als seien sie gegen die NPD, und in Wirklichkeit stecken sie mit ihr unter einer Decke. Schlieβlich gab es sogar Verbindungen zwischen der NPD und der terroristischen Mordgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Dennoch ist die NPD, trotz aller Appelle und Verfahren, in Deutschland weiterhin legal.

Am Ende von zwei Verbotsverfahren (2001 bis 2003 und 2013 bis 2017) stellte das deutsche Bundesverfassungsgericht fest, die NPD sei zwar inhaltlich verfassungsfeindlich, angesichts ihrer Bedeutungslosigkeit im politischen Geschehen sei aber kein Verbot der NPD gerechtfertigt.

Umso mehr gilt diese Diagnose in Polen in Bezug auf das ONR (Nationalradikales Lager) und die MW (Allpolnische Jugend). Nicht zufällig vermeidet man in Westeuropa und in den USA so gut es geht Parteiverbote. Stattdessen werden die radikalen Gruppen beobachtet, mit V-Leuten der Staatschutzbehörden durchsetzt, öffentlich geschmäht und boykottiert. Ein Verbot ist stets das letzte Mittel.

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RdP




Polens Justizreform. Eine Richterin spricht Klartext

Beeinflussen die Veränderungen die richterliche Unabhängigkeit?

Barbara Piwnik gehört zu den bekanntesten Richtern des Landes. Ihre öffentlichen Äuβerungen in Sachen Justizwesen, stets sehr praxisbezogen, haben Gewicht und werden in der Öffentlichkeit mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. So auch ihre Meinung zur polnischen Justizreform.

Barbara Piwnik (Jahrgang 1955) studierte Jura an der Warschauer Universität und wurde 1982 ins Richteramt berufen. Zwischen 1987 und 2001 war sie Richterin am Woiwodschaftsgericht Warschau. Sie erwarb sich groβe Anerkennung und Respekt durch die professionelle und souveräne Art, mit der sie einige groβe Strafverfahren bewältigte. Es waren spektakuläre Prozesse im Kampf gegen Mitglieder von landesweit agierenden gefährlichen kriminellen Banden und gegen die mutmaßliche Täter  aufsehenerregender Morde.

Richterin Barbara Piwnik verfolgt im Gerichtssaal die Vorführung von Videoaufnahmen von einem Lokaltermin während eines der groβen Strafprozesse, den sie führte.

Der postkommunistische Ministerpräsident Leszek Miller berief sie im Oktober 2001 in das Amt des Justizministers und Generalstaatsanwalts. Das politische Beamtendasein lag ihr eindeutig nicht und sie reichte bereits im Juli 2002 ihren Rücktritt ein. Seitdem arbeitet sie wieder als Strafrichterin am Warschauer Distriktgericht.

Das Interview mit Barbara Piwnik erschien im Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Der Sonntagsgast“) vom 14.Januar 2018.

Fühlen Sie sich nach der Einführung der Justizreform als Richterin weniger unabhängig?

In meinem Richterdasein verändert die Reform rein gar nichts.

Das modifizierte Gerichtsverfassungsgesetz überträgt dem Justizminister die Dienstaufsicht über die Gerichte, er darf die Gerichtspräsidenten berufen. Ein Teil der Richterschaft protestiert dagegen lauthals, sieht darin einen Anschlag auf die richterliche Unabhängigkeit.

Diese Proteste veranschaulichen nur das fehlende Verständnis dafür, was die richterliche Unabhängigkeit tatsächlich ausmacht.

Und was macht sie tatsächlich aus?

Wenn ich meinen richterlichen Pflichten gewissenhaft nachgehe, kann niemand, und zwar in keiner Weise, meine Entscheidungen beeinflussen. So steht es in der Verfassung und in den Gesetzten, und so ist es auch.

Die Protestierenden behaupten, dass der Justizminister mit Hilfe der von ihm ernannten Gerichtspräsidenten Druck auf die Richter ausüben wird, damit sie ihm genehme Urteile fällen.

Wenn ich als Richterin rechtzeitig meine Urteilsbegründungen fertig habe, pünktlich die Verhandlungen eröffne, jeden Tag an meinem Arbeitsplatz bin, meine Verfahren sich nicht in alle Ewigkeit hinziehen und ich allen anderen Pflichten nachkomme, dann kann mich der Gerichtspräsident höchstens auf eine Tasse Kaffee einladen.

Das habe ich vor kurzem öffentlich gesagt. An meinem Gericht gibt es einen neuen Präsidenten und neue Stellvertreter, die Justizminister Zbigniewe Ziobro entsprechend dem neuen Gerichtsverfassungsgesetz berufen hat. Nachdem der neue Gerichtspräsident diese Feststellung von mir gelesen hatte, hat er mich, im Vorbeigehen auf dem Gerichtskorridor, zu einer Tasse Kaffee eingeladen.

Wenn ein Richter seine Dienstpflichten erfüllt und seinem Eid treu bleibt, dann kann ihm der Gerichtspräsident gar nichts. Im Rahmen der Dienstaufsicht kann und muss er aber dem Richter eine ordnungswidrige Ausführung der Dienstgeschäfte vorhalten und deren Änderung anmahnen.

Sie sind seit knapp vierzig Jahren Richterin. Hat man jemals versucht Druck auf Sie auszuüben um ihr künftiges Urteil zu beeinflussen?

Ich lege meine Hand aufs Herz: niemals.

Herrscht unter den Richtern Angst, dass die Regierenden ihre Unabhängigkeit untergraben werden, vor allem bei politischen Prozessen?

Die Richter, mit denen ich es zu tun habe, hegen solche Befürchtungen nicht. Wir sind lange genug im Beruf, um zu wissen was den Unterschied zwischen der richterlichen Unabhängigkeit und der Dienstaufsicht ausmacht. Unsere richterliche Unabhängigkeit stellt uns nicht von einer Dienstaufsicht frei. Wir unterliegen der Dienstaufsicht, soweit unsere richterliche Unabhängigkeit nicht betroffen ist.

Barbara Piwnik mit Ministerpräsident Leszek Miller bei der Berufung zur Justizministerin am 19. Oktober 2001.

Die Protestierenden verwechseln das?

Lassen Sie es mich etwas milder formulieren: vielleicht haben sie eine geringere Berufserfahrung? Die jüngeren Kollegen setzen heute etwas andere Prioritäten. Auch Richter sind ganz die Kinder ihrer Gesellschaft, und dort herrscht ein Drang zum Karrieremachen. Ein Teil der Richter betrachtet das Erklimmen der Karriereleiter, das Ansammeln von Posten, z. B. der des Gerichtspräsidenten, von Titeln, als ein Beleg für den beruflichen Erfolg.

Aufgrund der Reform entscheidet der Justizminister nun über die Postenvergabe und das bedeutet, dass er in ihren Augen die wichtigste Domäne ihres Berufslebens betreten hat. Daher die Proteste.

Für mich und andere normale, hart arbeitende Richter ist das Maβ für den Berufserfolg die bestmögliche Erfüllung unserer Pflichten. Das Einnehmen von Verwaltungsposten im Justizwesen kann nicht das Berufsziel eines Richters sein.

Die Richtervereinigungen rufen dazu auf, die auf Geheiβ des Justizministers frei gewordenen Posten der entlassenen Gerichtspräsidenten nicht einzunehmen und nicht für den neuen Landesjustizrat zu kandidieren.

Schade, dass sie dabei nicht merken, wie sie sich selbst durch solche Appelle in Widersprüche verwickeln. Sie behaupten, ihr Ziel sei es die richterliche Unabhängigkeit zu verteidigen, dass niemand auf die Richter Einfluss nimmt. Wie soll man dann aber die Aufforderung verstehen: Richter nehmt die Angebote des Justizministers nicht an! Das ist doch ein eklatanter Versuch der Einflussnahme von Auβen. Deswegen kann ich nur an diese Kollegen appellieren, überdenkt was ihr da macht.

Jene behaupten, sie setzen sich für die Rechtstaatlichkeit und die Einhaltung der Verfassung ein.

Wie sie die Rechtstaatlichkeit wahren und die Verfassung achten, das können Richter am besten anhand ihrer tagtäglichen Arbeit demonstrieren. Es fällt heute leicht, dies und das über die Medien zu verkünden. Ich befürchte jedoch, dass mit diesen Worten, oft genug, nicht der Nachweis einer konzentrierten tagtäglichen, normalen Arbeit im Gericht einhergeht.

Richterin Barbara Piwnik betritt den Gerichtssaal.

Würden Sie den Posten eines Gerichtspräsidenten einnehmen? In den Medien spekuliert man, dass Sie sogar an die Spitze des neuen Landesjustizrates gestellt werden sollen.

Meinem neuen, jungen Gerichtspräsidenten und seinen Stellvertretern habe ich zugesagt, dass ich mit meiner Berufserfahrung jeder Zeit bereit bin ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. In diesem Moment meines Berufslebens ist das das Richtigste was ich tun kann und dabei bleibe ich vorerst.

Ein Teil der Juristen meint, die Wahl der Richter in den Landesjustizrat durch das Parlament vernichte die Unabhängigkeit der dritten Gewalt. Begibt sich in diesem Fall die Justiz tatsächlich in eine Abhängigkeit von der gesetzgebenden Gewalt?

Solche Behauptungen können nur diejenigen beeindrucken, die keine Ahnung davon haben worin die Tätigkeit des Landesjustizrates besteht. Die Befugnisse des LJR sind im Gesetz festgelegt und erstrecken sich in keiner Weise auf das Gebiet der Rechtsprechung. Der LJR kann mir nichts, rein gar nichts in Bezug auf meine richterliche Tätigkeit vorschreiben. Die Entscheidungen des LJR haben keinerlei Einfluss auf die Hunderttausende von Verfahren, die wir Richter in Polen jedes Jahr durchführen.

Kritisiert wird auch die Bildung einer Disziplinarkammer am Obersten Gericht. Sie werde ein Instrument zur Maßregelung von Richtern sein, die Urteile gegen die Anweisungen der Regierung fällen. Besteht eine solche Gefahr?

Richter werden in Polen auf Lebenszeit ernannt und auch die entlassenen Gerichtspräsidenten bleiben weiterhin Richter. Wenn ein Richter unabhängig ist, dann kann man ihn zu nichts zwingen. Das Verfahren vor der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts bildet den Abschluss eines Verfahrens, das vorher gegen einen Richter eingeleitet wurde. Das Verfahren wird auf Antrag des Disziplinarbeauftragen des jeweiligen Gerichtes eröffnet, die Vorwürfe gegen ihn werden formuliert und erst dann an die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtes geleitet. Dass die dortigen Richter andere Kollegen, entgegen aller Beweise, zum Bespiel aus dem Dienst entfernen, kann ich mir selbst in meinen dunkelsten Träumen nicht vorstellen. Solche Richter gibt es in Polen nicht.

Die Europäische Kommission behauptet, die Justizreform gefährde die Rechtstaatlichkeit in Polen. Zurecht?

Die hitzigen Diskussionen darüber, sowohl bei uns, wie auch im Ausland, werden immer abgehobener. Verfahren mit einer politischen Einfärbung machen nicht einmal 1 Promille der Prozesse aus, die jedes Jahr an polnischen Gerichten verhandelt werden. Kein Justizminister, kein Gerichtspräsident hat die Möglichkeit in diesen Verfahren und in allen anderen Druck auf einen Richter auszuüben, der seiner Unabhängigkeit treu ist. Zudem werden aufgrund der Reform die Verfahren nicht mehr vom Gerichtspräsidenten den Richtern zugeteilt, sondern diesen durch einen Zentralcomputer nach einem Zufallsprinzip zugewiesen.

Sie sind also nicht gegen die Justizreform?

Die Reformen bewegen sich bis jetzt auf der höchsten Ebene des polnischen Justizwesens. Sie sind und können nur der notwendige Ausgangspunkt sein zu weiteren Veränderungen im polnischen Justizwesen, die dem Normalbürger zu seinem Recht verhelfen und uns, den Richtern, das Arbeiten erleichtern. Der Bürger muss die Gewissheit haben, dass vor ihm ein Richter sitzt, der genügend Zeit hatte um sich gut auf das Verfahren vorzubereiten, der es zügig und gerecht zum Abschluss bringt.

Lesen Sie unsere weiteren Beiträge über die polnische Justizreform, um sich ein Bild zu machen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz.

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter.

RdP




Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat

Die andere Meinung.

Staatspräsident Andrzej Duda ergriff das Wort am Nachmittag des 20. Dezember 2017, einige Stunden nachdem die EU-Kommission verkündete, sie habe die diplomatische „Atombombe“ gezündet. Das Sanktionsverfahren gegen Polen wegen angeblich gefährdeter Rechtsstaatlichkeit werde eingeleitet. Die Brüsseler Rechnung, Duda werde klein beigeben und die zwei gerade verabschiedeten wichtigsten Reformgesetzte nicht unterschreiben, ging nicht auf. Dudas Begründung ist lesenswert. Nachfolgend der Wortlaut.

Guten Abend, meine Damen und Herren,

ich möchte ihnen mitteilen, dass ich die Gesetze über den Landesjustizrat (LJR – Anm. RdP) und das Oberste Gericht (OG – Anm. RdP) unterschreiben werde.

(Vom Parlament verabschiedete Gesetzte treten in Polen in Kraft, nachdem sie vom Staatspräsidenten unterzeichnet wurden. Dieser kann die Unterschrift verweigern, sein Veto einlegen. Das Präsidenten-Veto kann das Parlament mit einer 3/5 Mehrheit überstimmen. Gelingt das nicht, tritt das Gesetzt nicht in Kraft.

Der Staatspräsident kann ebenfalls ein Gesetz unterschreiben und es anschlieβend dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Das Urteil ist für den Staatspräsidenten bindend. Er darf nur die eine oder die andere Maβahme ergreifen. Beides, zunächst das Verfassungsgericht anrufen, und danach eventuell sein Veto einlegen, geht nicht. – Anm. RdP).

Es sind meine Gesetzentwürfe, die ich am 24. September 2017 dem Sejm vorgelegt habe. Ich hatte mich dazu verpflichtet, als ich (am 24. Juli 2017 – Anm. RdP) meine Unterschrift unter beide damals vom Parlament verabschiedete Gesetzte über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht verweigert habe. Ich war mit diesen in wesentlichen Punkten nicht einverstanden. Meine Gesetzentwürfe wurden in den letzten Tagen zunächst durch den Sejm und anschließend vom Senat ohne Änderungen verabschiedet. Deswegen werde ich sie unterschreiben.

Staatspräsident Andrzej Duda verkündet seine Entscheidung die Gesetzte zur Justizreform zu unterschreiben. 20. Dezember 2017.

Meine Entwürfe enthielten wesentliche Änderungen gegenüber den im Juli 2017 verabschiedeten Gesetzen. Ich wundere mich über die, lassen Sie es mich so formulieren, unanständigen Behauptungen, es gäbe keine Unterschiede.

Die Unterschiede sind sehr groβ, meine Damen und Herren. Ich darf Sie daran erinnern, dass das Juli-Gesetz u. a. vorsah, dass alle Richter am Obersten Gericht entlassen werden und nur diejenigen, die der Justizminister akzeptiert ihre Tätigkeit würden aufnehmen können. Diese Bestimmung gibt es nicht mehr.

Stattdessen wurde das Ruhestandsalter für Richter am OG auf 65 Jahre festgelegt. (Von den jetzt 82 Richtern am OG fallen 30 unter diese Bestimmung – Anm. RdP). Richter, die drei Jahre länger arbeiten wollen, können einen entsprechenden Antrag an den Staatspräsidenten stellen, versehen mit einem Arbeitstauglichkeitsattest.

Die Zahl der Richter am OG wird (auf 120 – Anm. RdP) anwachsen. Dadurch wird sich die Verfahrensdauer verkürzen. Auβerdem werden zwei neue Kammern am OG entstehen: die Disziplinarkammer und die Kammer für Sonderrevisionen.

Die Kammer für Sonderrevisionen ist eine neue Einrichtung. Sie soll der Beseitigung von offensichtlichem Unrecht, von offensichtlichen Justizirrtümern dienen. Wenn jemand meint davon betroffen zu sein, dann kann er sich u. a. an den Generalstaatsanwalt, den Bürgerbeauftragten des Parlaments oder an das Amt für Verbraucherschutz wenden, mit der Bitte, eine solche Sonderrevision für ihn beim OG einzubringen. Diese Behörden werden vorab entscheiden, ob dieses Ansinnen berechtigt ist.

Ich bin fest davon überzeugt, dass dank dessen viele Bürger, die sich ungerecht behandelt fühlen, denen Unrecht widerfahren ist, den Glauben daran zurückgewinnen werden, dass Polen ein ehrlicher und gerechter Staat ist, der sich um seine Menschen kümmert.

Meine Damen und Herren, es wird auch Änderungen im Landesjustizrat geben. Mit Widerwillen nehme ich all die lauten Stimmen zur Kenntnis, darunter auch die aus den Führungseliten der Richterschaft, die da verkünden, dass die richterliche Unabhängigkeit beseitigt, die politische Aufsicht eingeführt wird, und allgemein, welch fürchterliche Regelungen gelten sollen.

Bitte überprüfen Sie, in wie vielen Ländern staatliche Behörden Einfluss auf die Wahl der Richter haben. Der US-Präsident beruft die Richter am Obersten Gericht, sie werden vom Senat beurteilt. Die Richter selbst haben kein Mitspracherecht.

Ich sehe kein Problem darin, dass fünfzehn Richter vom Parlament  als Mitglieder in den LJR gewählt werden sollen (der LJR besteht insgesamt aus 25 Mitgliedern – Anm. RdP). Umso mehr, als dass nicht nur die regierende Mehrheit, sondern auch die Opposition ihre Kandidaten fürs Richteramt in den LJR wird entsenden können.

Wir haben sehr demokratische Lösungen eingeführt. Werden damit irgendwelche demokratischen Regeln verletzt? Nein. Wir haben unser Justizsystem einer demokratischen Reform unterzogen. Es kann nicht sein, dass die Richterschaft sich selbst verwaltet und niemand darauf Einfluss nehmen kann. Neben der Gewaltenteilung gibt es nämlich auch das Prinzip der gegenseitigen Kontrolle und der Balance zwischen den einzelnen Gewalten.

Die neuen Lösungen stellen sich der Verwandlung unseres Landes in eine Oligarchie, in einen Richterstaat entgegen. Wenn nämlich eine der Gewalten allein über sich selbst bestimmt und niemand darauf Einfluss nehmen darf, dann haben wir es mit einer Oligarchie zu tun. Jeder, der mit Vernunft auf unseren Staat blickt, der wirklich will, dass Polen ein stabiler, gerechter und starker Staat ist, kann diesbezüglich keine Zweifel haben.

Meine Damen und Herren, ich habe meine Entscheidung getroffen. Die Stimmen der Kritik, die ich von vielen Seiten vernehme, versetzten mich in ungläubiges Staunen.

Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straβburg.

Ich darf daran erinnern, dass im Jahr 1998, also vor nicht allzu langer Zeit, eine tiefgehende Reform des europäischen Schutzsystems für Menschenrechte stattgefunden hat. Es entstand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straβburg. Er trat an die Stelle der bis dahin existierenden Europäischen Kommission für Menschenrechte und des ursprünglichen Gerichtshofes.

Was hat man damals gemacht? Mit einem einzigen Rechtsakt wurden alle bisherigen Richter entfernt und es wurde ein neuer Gerichtshof gewählt. Niemand in Polen empörte sich damals, das sei undemokratisch, beschränke die richterliche Unabhängigkeit.

Richter am Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg.

Kein anderer als der den Richter entsendende Staat entscheidet darüber, ob das Mandat des Richters am Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg verlängert wird oder nicht. Niemand nimmt Anstoβ daran, stellt deren Unabhängigkeit in Frage.

Wir führen in Polen sehr gute Regelungen ein, die der Verbesserung des Justizwesens dienen. Die Menschen bei uns werden dadurch den Glauben an die Justiz wiedererlangen. Das ist sehr wichtig.

Sehr wichtig ist auch eine solide disziplinare Verantwortlichkeit der Richter. Dem dient die neue Disziplinarkammer am OG. Gerichte und Richter sind nicht für sich da. Nein! Sie sind vor allem für die Bürger da. Sie sind keine besondere, höchste Kaste. Sie sind Diener der polnischen Gesellschaft und des polnischen Staates.

Staatspräsident Andrzej Duda beruft am 24. Januar 2017 vom Landesjustizrat vorgeschlagene Kandidaten ins Richteramt …

Dieses tiefe Gefühl der Dienstpflicht erwarte ich von den Richtern und ich sage das auch bei jeder Richterernennung.

… wie zuvor auch am 10. Oktober 2016.

(Der Landesjustizrat schlägt dem Staatspräsidenten die Kandidaten zur Ernennung zum Richteramt vor. Der Staatspräsident nimmt die Ernennung auf Lebenszeit oder die Ernennung in ein höheres Richteramt vor bzw. kann es ebenfalls ablehnen. Andrzej Duda hat davon im Juni 2016 Gebrauch gemacht, als er die Beförderung von neun Richtern ablehnte.

Das Oberste Verwaltungsgericht, vor dem einige Betroffene daraufhin klagten, bestätigte im Januar 2017, die Ernennung von Richtern gehöre zu den „vertraulichen Befugnissen“ des Staatspräsidenten, die nur und ausschließlich in seinem Ermessen liegen – Anm. RdP).

Wir alle dienen dem polnischen Staat und den Menschen. Jede Gewalt in Polen, ob die gesetzgebende, die ausführende, zu der auch ich als Staatspräsident gehöre, oder die gerichtliche, wir alle sind dazu verpflichtet. Ich appelliere an die Richter dieses zu verinnerlichen.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz. 

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

RdP




Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz

Was wurde wie verändert.

Drei neue Gesetze sollen das Fundament einer umfangreichen Justizreform in Polen bilden. Zwei von ihnen, dem Gesetz zum Obersten Gericht und dem zum Landesjustizrat, verweigerte Staatspräsident Andrzej Duda am 24. Juli 2017 die Unterschrift. Er hat Ende September dem Parlament diesbezüglich zwei eigene Gesetzesvorschläge unterbreitet, die Mitte Dezember 2017 verabschiedet wurden.

Das dritte Regelwerk, das neue Gerichtsverfassungsgesetz, trat bereits am 12. August 2017 in Kraft. „Der polnische Justizminister darf Richter nun ohne Grund entlassen oder austauschen“, meldeten die Medien im deutschsprachigen Raum (so z.B. die Zeit Online am 12. 08.2017). Es war eine von vielen Tatarenmeldungen dieser Art.

Was konkret beinhaltet das neue Gerichtsverfassungsgesetz?

1. Gerichtspräsidenten (nicht Richter) werden von nun an vom Justizminister be- und abberufen.

Auch nach der Abberufung aus dieser Verwaltungsfunktion bleiben die ehemaligen Gerichtspräsidenten Richter, führen Verhandlungen, fällen Urteile usw., denn Richter genieβen auch in Polen Weisungsfreiheit, sind und werden weiterhin auf Lebenszeit ernannt. Der Justizminister kann sie nicht entlassen.

Die neue Regelung, so die Absicht, soll die Arbeit der Gerichte effizienter gestalten, denn die Arbeitsorganisation an nicht wenigen von ihnen lässt viel zu wünschen übrig und gibt Anlass zu unzähligen Klagen der Bürger.

Bisher konnten Gerichtspräsidenten nur mit Zustimmung der Richter-Vollversammlung des jeweiligen Gerichtes berufen und abberufen werden. Unfähige, mit der Verwaltung überforderte, den Richterkollegen jedoch oftmals genehme Gerichtspräsidenten waren praktisch nicht absetzbar. „Nach und nach überwucherte ein Dickicht von Filz, Abhängigkeiten, dubiosen Interessengemeinschaften die Gerichtsstrukturen“, so der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro.

Generell gilt in Polen, wie in Deutschland, der Grundsatz, dass die richterliche Unabhängigkeit die Grenzen, die sich aus den Aufgaben der Gerichtsverwaltung bzw. Justizverwaltung ergeben, einhalten muss.

So lesen wir in dem deutschen Standardwerk „Richterrecht“ von Jürgen Thomas (Heymann, 1986):

„Die richterliche Unabhängigkeit stellt den Richter nicht von einer Dienstaufsicht frei. Er unterliegt der Dienstaufsicht insoweit, als nicht die richterliche Unabhängigkeit betroffen ist.
Im Rahmen der Dienstaufsicht kann dem Richter die ordnungswidrige Ausführung der Dienstgeschäfte dann vorgehalten werden, wenn es um die Sicherung des ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs, um die äußere Form oder um richterliche Tätigkeiten geht, die dem Kernbereich der Unabhängigkeit so weit entrückt sind, dass für sie die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit nicht in Anspruch genommen werden kann.

So ist es zulässig, den Richter zur Pünktlichkeit und zu angemessenen Umgangsformen mit anderen Verfahrensbeteiligten anzuhalten. Zulässig sind auch Geschäftsprüfungen, Vergleiche von Erledigungszahlen, Vorhalt von Rückständen, das Rügen einer gesetzwidrigen Terminierungspraxis und die Anregung, einen weiteren Sitzungstag in der Woche abzuhalten.

Betrifft die Dienstaufsicht hingegen den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit wie die Urteile oder Beschlüsse, ist sie nicht zulässig”, so Thomas.

Auf die Rechtsprechung der Richterkollegen hatten und haben die Gerichtspräsidenten, egal von wem berufen, keinen Einfluss. Die Reform bewegt sich also bis jetzt im Rahmen der zulässigen Dienstaufsicht.

In Polen gibt es 11 Appellations-, 45 Distrikt- und 321 Amtsgerichte mit insgesamt 377 Gerichtspräsidenten.

2. Gerichtspräsidenten werden nicht länger den Richtern ihre Verfahren zuweisen.

Vor allem „gut eingebundene“ Gerichtspräsidenten in kleineren Orten standen, berechtigt oder unberechtigt, im Verdacht auf diese Weise die Rechtsprechung zu beeinflussen. Junge, unerfahrene Kollegen bekamen manchmal komplizierte Verfahren zugewiesen, wenn sich der Prozess hinziehen oder gar im Sande verlaufen sollte. Strenge Kollegen saβen zu Gericht über die Feinde der Freunde. Milde Richter durften die Freunde der Freunde verurteilen usw., usf.

Ab sofort weist ein Zentralcomputer im Justizministerium jeden Nachmittag die an diesem Tag neu eingegangenen Fälle zu. Hierzu wurde für jedes polnische Gericht eine entsprechende Applikation entwickelt, die nach dem Zufallsprinzip arbeitet.

3. Spruchkörper und Einzelrichter bleiben während des gesamten Verfahrens dieselben.

Richter, die befördert oder versetzt werden bzw. bald in den Ruhestand treten, sind verpflichtet alle ihre laufenden Verfahren zu Ende zu bringen. Bis jetzt endete der Weggang von Richtern damit, dass Prozesse wieder neu aufgenommen und bereits durchgeführte Beweiserhebungen, Gutachter- und Zeugenanhörungen wiederholt werden mussten.

4. Arbeitsbelastung der Richter – objektivere Kriterien

Ein elektronisches System wird jedes Verfahren nach einheitlichen Kriterien „bewerten“: so z.B. nach der Zahl der Angeklagten, Zeugen und Gutachter, der Dauer der Beweisaufnahme, der Komplexität der rechtlichen Problemstellung und einiges mehr. Für jedes Merkmal werden Punkte vergeben, die, addiert, die Gesamtpunktzahl für das Verfahren ergeben.

Auf diese Weise erhält der Gerichtspräsident ein weitgehend objektives Bild bezüglich der Arbeitsbelastung der einzelnen Richter. So bekommt beispielsweise ein Richter, der zwei juristisch einfache Verfahren mit einer Bewertung von jeweils fünfzehn Punkten abgeschlossen hat, dreißig Punkte. Einem anderen Richter wurden hingegen zweihundert Punkte gutgeschrieben, für nur einen, dafür aber sehr komplizierten und umfangreichen Prozess.

5. Beurteilungen

Planmäβige Kontrollen und zyklische Beurteilungen der Richter werden abgeschafft. Dienstaufsichtskontrollen soll es nur im Falle häufiger Beschwerden geben. Etwa einhundertfünfzig Richter, die bis dato ausschließlich Aufsichts- und Kontrollfunktionen innehatten, sollen in die Gerichtssäle zurückkehren.

6. Gläserne Richter

Wie schon jetzt Abgeordnete, hohe Staatsbeamte und alle Staatsanwälte, müssen zukünftig auch die Richter am Anfang eines jeden Jahres eine Vermögenserklärung abgeben: Nebeneinkünfte, Ersparnisse, Wertpapiere, Grundbesitz, Autos müssen aufgelistet werden. Die Vermögenserklärungen können auf der Internetseite des jeweiligen Gerichtes eingesehen werden.

7. Karriere

In die Appellationsgerichte (dritte Instanz) können von nun an ebenfalls Richter aus den Amtsgerichten berufen werden (die vorherige Arbeit an einem Distriktgericht ist nicht mehr Voraussetzung). Dasselbe gilt für Staatsanwälte, Notare und Anwälte mit einer mindestens zehnjährigen Berufspraxis. Der Landesjustizrat muss auch diese Berufungen absegnen und dem Staatspräsidenten, der die Beufung vornimmt, unterbreiten.

Herausragenden Richtern und Vertretern anderer juristischer Berufe, so die offizielle Absicht, soll auf diese Weise der Weg in die höhere Gerichtsbarkeit geebnet werden. Beim Obersten Gericht gilt diese Regelung schon seit vielen Jahren. Da in den Appellationsgerichten ausnahmslos dreiköpfige Spruchkörper die Urteile fällen, werden die neuen Kollegen unter den wachsamen Augen von zwei in dieser Instanz erfahrenen Richtern ihren Einstieg haben.

8. Gesundheit

Für die gesamte Amtszeit eines Richters wird die Möglichkeit zur Beurlaubung zum Zweck der Rehabilitation von maximal einem Jahr (im Anschluss an eine maximal sechsmonatige Krankschreibung) eingeführt, vorausgesetzt es besteht keine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit. Während der Beurlaubung werden fünfundsiebzig Prozent der Bezüge gezahlt.

Bis jetzt konnten Richter, aufgrund ärztlicher Atteste, jedoch ohne Feststellung einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit in den vorgezogenen Ruhestand (mit hundert Prozent der Bezüge) gehen. Während einer Beurlaubung zur Rehabilitation und im vorgezogenen Ruhestand müssen sich Richter ab jetzt regelmäβig Untersuchungen durch eine Ärztekommission der staatlichen Sozialversicherungsanstalt unterziehen, um den Missbrauch, den es in der Vergangenheit gab, zu unterbinden.

9. Entsendungen

Auβer ins Justizministerium können Richter ab jetzt auch in die Kanzlei des Staatspräsidenten und ins Auβenministerium entsandt werden und dort jede Beamtenstelle übernehmen, für die ihr Fachwissen benötigt wird, mit Ausnahme der des Generaldirektors der drei Behörden. Den Antrag auf Entsendung stellen der Justiz- bzw. der Auβenminister oder der Staatspräsident. Etwa einhundertfünfzig Richter arbeiten bereits im Justizministerium. Weitere Entsendungen, und damit noch mehr fehlende Richter, so die Kritiker, werden sich negativ auf die Arbeit der Gerichte auswirken.

10. Ruhestand

Da Polen zu dem von der Regierung Tusk 2013 abgeschafften Renteneintrittsalter (Frauen mit sechzig Jahren, Männer mit fünfundsechzig) zurückkehrt, wurde auch im neuen Gerichtsverfassungsgesetz das Ruhestandseintrittsalter für Richter diesem Niveau angepasst. Richterinnen die bis zum 65. Lebensjahr arbeiten wollen entscheiden das selbst. Die Tusk-Reform hatte das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre für Frauen und Männer festgelegt.

Richter, die maximal drei Jahre länger als bis zum 65. Lebensjahr arbeiten wollen müssen den Justizminister um Erlaubnis bitten. Bis jetzt musste der Justizminister lediglich von solchen Plänen in Kenntnis gesetzt und ein Arbeitstauglichkeitsnachweis vorgelegt werden.

Richter zahlen in Polen keine Sozialversicherungsbeiträge. Ihre gesamte Sozialversorgung, das Ruhestandsgeld eingeschlossen, wird aus dem Staatshaushalt bezahlt.

11. Auslandsbevollmächtigter

An allen Gerichten wird es zukünftig einen sogenannten Auslandsbevollmächtigten geben, der seine Richterkollegen bei Rechtsangelegenheiten mit Auslandsbezug, deren Zahl zunimmt, beraten soll.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

© RdP




Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat

Was wurde wie verändert.

Neufassungen von drei wichtigen Regelwerken bilden das Fundament der polnischen Justizreform:  die  des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Gesetze über den Landesjustizrat (LJR) sowie die des Obersten Gerichts (OG). Wir stellen sie vor. 

Mitte Dezember 2017 verabschiedete das Parlament die Gesetze über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht. Es war der zweite Anlauf.

Beim ersten Mal, im Juli 2017, wurden auch diese beiden Gesetze zwar vom Parlament verabschiedet, aber Staatspräsident Andrzej Duda brachte sie zu Fall, indem er seine Unterschrift verweigerte. Über die erforderliche Mehrheit von 3/5 der Stimmen im Parlament, um das Veto des Staatspräsidenten zu überstimmen, verfügt das Regierungsbündnis, mit Recht und Gerechtigkeit als stärkster Partei, nicht. Die Gesetze traten nicht in Kraft.

Staatspräsident Andrzej Duda war mit der rigorosen Art, in der die regierende Mehrheit den Landesjustizrat und das Oberste Gericht reformieren wollte nicht einverstanden. Er versprach, bis Ende September 2017 eigene Gesetzentwürfe im Parlament einzubringen.

Im August und September 2017 fanden daraufhin vier streng vertrauliche Gesprächsrunden zwischen Staatspräsident Andrzej Duda und dem Parteichef von Recht und Gerechtigkeit, Jarosław Kaczynski, statt. Über Detailfragen einigten sich anschließend zwei bevollmächtigte Fachleute. Man wollte im Vorfeld alle Streitpunkte ausräumen, um dieses Mal eine reibungslose Verabschiedung der Gesetzesvorlagen zu gewährleisten. Die so vorbereiteten Entwürfe brachte der Staatspräsident schließlich Ende September 2017 im Parlament ein.

Nach einer weiteren Konsultationsrunde über die Justizreform. Staatspräsident Andrzej Duda bringt Jarosław Kaczyński zur Tür.

War die Reform des LJR mit der polnischen Verfassung vereinbar?

Der Artikel 187 4 der polnischen Verfassung besagt: „Den Aufbau, den Tätigkeitsbereich und die Arbeitsweise des Landesjustizrates und das Verfahren bei der Wahl seiner Mitglieder regelt ein Gesetz.”

Ein diesbezügliches Gesetz wurde ordnungsgemäβ am 12. Dezember 2017 durch das Parlament verabschiedet.

Was ist der LJR?

Ein in der polnischen Verfassung vorgesehenes Gremium. Artikel 186 1: „Der Landesjustizrat wacht über die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter.“

Der Sitz des Landesjustizrates in Warschau.

Zusammensetzung des LJR (unverändert)

Diese regelt der Artikel 187 1 der polnischen Verfassung. Der Landesjustizrat besteht aus 25 Mitgliedern. Dies sind:

1. Von Amtswegen: die Präsidenten des Obersten Gerichtes und des Obersten Verwaltungsgerichtes sowie der Justizminister. Alle Drei bleiben im LJR so lange sie ihre Ämter innehaben.

2. Ein Vertreter, ernannt und abberufen durch den Staatspräsidenten.

3. Vier Abgeordnete, gewählt vom Sejm (untere Kammer des Parlaments), zwei Senatoren, gewählt vom Senat (obere Parlamentskammer).

4. Fünfzehn Richter (zwei vom Obersten Gericht, zwei von den Appellationsgerichten, zwei von den Verwaltungsgerichten, acht von Kreisgerichten und einer aus der Militärgerichtsbarkeit. Das richterliche „Fuβvolk“ der Amtsgerichte war bisher im LJR nicht vertreten.

Amtsperiode des LJR (verändert)

Die Amtsperiode der gewählten Mitglieder des LJR beträgt nach wie vor vier Jahre. Bisher wurden frei gewordene Positionen fortlaufend für vier Jahre neu besetzt. Es fand also ein kontinuierlicher Wechsel statt.

Jetzt sollen alle gewählten Mitglieder des LJR gleichzeitig ihre Amtsperiode beginnen und beenden. Vorzeitig ausscheidende, gewählte Mitglieder soll eine Nachwahl durch das Parlament bestimmen. Die Amtsperiode der Nachgewählten endet mit der laufenden Amtsperiode des gesamten Landesjustizrates.

Der amtierende, entsprechend des alten Prinzips funktionierende LJR soll nach der Wahl des neuen Landesjustizrates (wahrscheinlich im Januar 2018) seine Tätigkeit automatisch beenden.

Zuständigkeiten (teilweise verändert)

Der LJR:

● wendet sich im Bedarfsfall an das Verfassungsgericht, mit dem Antrag alle Regelungen, die die richterliche Unabhängigkeit und die Unabhängigkeit der Gerichte betreffen auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung zu überprüfen (wie gehabt).

Der LJR ist auβerdem zuständig für:

● die Auswahl, Überprüfung und Zulassung von Kandidaten auf das Richteramt, die der Staatspräsident ernennt (wie gehabt),

● die Auswahl, Überprüfung und Zulassung von Richter-Kandidaten zur Beförderung in Gerichte einer höheren Instanz, die der Staatspräsident ernennt (wie gehabt),

● die Auswahl, Überprüfung und Zulassung von Richter-Kandidaten auf die Verwaltungsposten der Gerichtspräsidenten und ihrer Vertreter (entfällt. Diese Ernennungen und Abberufungen nimmt nach dem neuen Gerichtsverfassungsgesetzt der Justizminister vor),

● die Versetzung von Richtern in den Ruhestand nach dem 65. Lebensjahr, Aktivierung von Ruheständlern (wie gehabt).

● die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen Richter vor Disziplinargerichten (wird ergänzt. Ein entsprechendes Verfahren kann jetzt auch der Justizminister anregen, entweder vor den Disziplinarkammern der  Gerichte oder vor der neugegründeten Disziplinarkammer am Obersten Gericht).

Die Hinzuwahl der Richter in den LJR. Bisher.

Bis jetzt haben Mitglieder des LJR, durch Mehrheitsbeschluss, neue Richter in den Rat berufen, es galt also der Grundsatz der Kooptation.

Warum die Zuwahl in den LJR abgeschafft wurde.

Kooptation ist die Hinzuwahl von neuen Mitgliedern durch die bereits bestehenden Mitglieder einer Gemeinschaft, eines Gremiums.

„Für die Wahl von Regierungen, Parlamenten oder anderen Vertretungsorganen ist das Verfahren der Kooptation nicht mit einem demokratischen und rechtsstaatlichen Verständnis vereinbar. Hier hat die Zuwahl einen gänzlich undemokratischen, oligarchischen Charakter“. (Siehe dazu Karl Loewenstein: „Kooptation und Zuwahl. Über die autonome Bildung privilegierter Gruppen”, Frankfurt a. M. 1973).

Nach 1989 fand in Polen keine Überprüfung der Richter aus der kommunistischen Zeit statt. Bis auf ganz wenige Ausnahmen verblieben alle, darunter viele ehemalige aktive Mitglieder der kommunistischen Partei sowie Richter, die politische Unrechtsurteile gesprochen haben, in ihrem Amt. Viele sind zwischenzeitlich aus Altersgründen ausgeschieden, viele sind aber auch aufgestiegen und haben noch heute leitende Positionen im Justizwesen inne. Durch den Landesjustizrat und andere hohe Ämter formten und bestimmten sie seit 1989 den Richternachwuchs.

Es war, als würde man in der vereinigten Bundesrepublik alle DDR-Richter auf ihren Posten belassen und ihnen eine absolute Autonomie gewähren. Sie würden, wie in Polen durch den LJR, über die Berufung des Nachwuchses in den Richterstand, über Beförderungen in höhere Gerichtsinstanzen, über die Bestrafung oder Nichtbestrafung von Kollegen in Disziplinarverfahren bestimmen.

Über zwei Jahrzehnte lang führte dieses in sich geschlossene System zu vielen Missständen und einer wachsenden Entfremdung des Justizwesens von der sozialen Wirklichkeit und seinen eigentlichen Aufgaben, hin zu einem auf das eigene Wohlergehen orientierten Dasein. Auf der Strecke blieb eine beträchtliche Anzahl von Bürgern, die das zunehmend lahmende, ineffiziente Justizwesen im Stich lieβ.

Jeder Versuch das zu ändern prallte an diesem System ab, wurde und wird zudem, bis heute, als ein Anschlag auf die richterliche Unabhängigkeit ausgelegt. Im Gegensatz dazu genieβt die Justizreform eine enorme (laut Umfragen mehr als 80 Prozent) Zustimmung in der Bevölkerung.

Sogar die Venedig-Kommission bemerkte 2014 in einem ihrer Berichte: „In Körperschaften wie den Landesjustizräten darf es keine eindeutige Vorherrschaft der Richter geben, ansonsten könnten dort Kungeleien, Berufsdünkel und Cliquenbildung die Oberhand gewinnen“.

Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stellte in einem ihrer Berichte fest: „Auf internationaler Ebene ist man allgemein der Meinung, dass die Landesjustizräte nicht ausschlieβlich oder mehrheitlich aus Vertretern der Justiz bestehen sollten. Es geht darum Eigennutz, gegenseitiges Decken, Kungeleien, Berufsdünkel zu vermeiden“.

Die Wahl der Richter in den LJR. Künftig

● Die fünfzehn Richter werden vom Parlament in den LJR gewählt.

● Jeweils ein Kandidat wird entweder von einer Gruppe von mindestens zweitausend Bürgern oder mindestens fünfundzwanzig Richtern vorgeschlagen. Die Kandidaturen werden dem Parlamentspräsidenten mitgeteilt, der die Überprüfung der Anträge (Zahl der Unterschriften, ihre Authentizität usw.) und der Kandidaten (Personalien, vorgesehene fachliche, berufliche, moralische Kompetenz usw.) anordnet.

● Im parlamentarischen Justizausschuss wird, in Absprache zwischen der Regierungsmehrheit und der Opposition, eine fünfzehnköpfige Kandidatenliste erstellt. Neun Richter-Kandidaten bestimmt die Regierungsmehrheit, sechs die Opposition.

● Das Parlament wählt die so vereinbarte Liste mit einer 3/5 Mehrheit.

● Die Opposition hat bereits einige Male gedroht, sie werde an der Prozedur nicht teilnehmen und so die Entstehung eines neuen LJR unmöglich machen. Um eine solche dauerhafte Blockade zu vermeiden, ist eine Notlösung vorgesehen.

Kommt es nicht zu einer einvernehmlichen Einigung im parlamentarischen Justizausschuss, wählt das Parlament aus einer Liste, die alle (auf jeden Fall mehr als fünfzehn) Kandidaturen umfasst, fünfzehn Richter in den LJR. Dies geschieht in einer namentlichen Abstimmung. Die Abgeordneten werden aufgerufen und werfen ihre namentliche Stimmkarte in eine Urne, wobei jeder Abgeordnete nur einen Kandidaten auf der Liste ankreuzen darf. Die fünfzehn Kandidaten mit den meisten Stimmen gelten als gewählt.

● Alle in den LJR gewählten Richter sind nicht abrufbar und denjenigen, die ihre Kandidatur unterstützt haben keine Rechenschaft schuldig. Eine Wiederwahl ist ausgeschlossen, was ihre Unabhängigkeit zusätzlich stärken soll.

● Die zehn übrigen LJR-Mitglieder, die keine Richter sind, werden nach den bisherigen, unveränderten Regeln gewählt bzw. ernannt.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

© RdP




Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht

Was wurde wie verändert.

Das Fundament der polnischen Justizreform bilden die Neufassungen von drei wichtigen Regelwerken: des Gerichtsverfassungsgesetzes sowie der Gesetze über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht (OG). Wir stellen sie vor. 

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht.

Mitte Dezember 2017 verabschiedete das Parlament die Gesetze über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht. Es war der zweite Anlauf. Beim ersten Mal, im Juli 2017, wurden auch diese beiden Gesetze zwar vom Parlament verabschiedet, aber Staatspräsident Andrzej Duda brachte sie zu Fall, indem er seine Unterschrift verweigerte. Über die erforderliche Mehrheit von 3/5 der Stimmen im Parlament, um das Veto des Staatspräsidenten zu überstimmen, verfügt das Regierungsbündnis, mit Recht und Gerechtigkeit als stärkster Partei, nicht.

Staatspräsident Andrzej Duda war mit der rigorosen Art, in der die regierende Mehrheit den Landesjustizrat und das Oberste Gericht reformieren wollte nicht einverstanden. Er versprach, bis Ende September 2017 eigene Gesetzentwürfe im Parlament einzubringen.

Im August und September 2017 fanden daraufhin vier streng vertrauliche Konsultationen zwischen Staatspräsident Andrzej Duda und dem Parteichef von Recht und Gerechtigkeit, Jarosław Kaczynski, statt. Über Detailfragen einigten sich anschlieβend zwei bevollmächtigte Fachleute. Man wollte im Vorfeld alle Streitpunkte ausräumen, um dieses Mal eine reibungslose Verabschiedung der Gesetzesvorlagen zu gewährleisten. Die so vorbereiteten Entwürfe brachte der Staatspräsident Ende September 2017 im Parlament ein.

Sehr lesenswert hierzu: Polens Justizreform. Die andere Meinung. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat.

Karyatiden vor dem Eingang zum Obersten Gericht in Warschau.

1. War die Reform des Obersten Gerichtes mit der polnischen Verfassung vereinbar?

Artikel 176.2 der polnischen Verfassung besagt: „Den Aufbau und die Zuständigkeit der Gerichte sowie das Verfahren vor den Gerichten regeln die Gesetze”.

Ein Gesetz über Veränderungen im Aufbau sowie über zwei neue Zuständigkeitsbereiche des Obersten Gerichtes wurde am 12. Dezember 2017 ordnungsgemäβ durch das Parlament verabschiedet.

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht mit dem Denkmal des Warschauer Aufstandes von 1944.

2. Was ist das Oberste Gericht?

Es ist das höchste Gericht der Republik Polen für letztinstanzliche Entscheidungen in Verfahren der ordentlichen sowie der Militärgerichtsbarkeit.

3. Der Aufbau, die Aufgaben des Obersten Gerichtes (verändert)

Anders als in der Bundesrepublik, wo für die wichtigsten Rechtsgebiete in letzter Instanz fünf separate Bundesgerichte zuständig sind, gibt es in Polen nur zwei gesonderte höchste Gerichte. Das Oberste Verwaltungsgericht sowie das Oberste Gericht, das durch mehrere Kammern alle anderen Rechtsgebiete abgedeckt.

Neben den beiden Obersten Gerichten existiert in Polen, wie in Deutschland, das Verfassungsgericht, das, wenn es angerufen wird, Urteile der Fachgerichte dahingehend überprüft, ob diese im Einklang mit der Verfassung stehen. Eine Prüfung der korrekten Anwendung des jeweiligen Fachrechtes ist in beiden Ländern nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtes, sondern der Obersten Gerichte.

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht.

Das Oberste Gericht besteht aus folgenden Kammern:

● Strafkammer, ● Zivilkammer, ● Kammer für Arbeit, Sozialversicherungswesen und Öffentliche Angelegenheiten ● Kammer für Sonderkontrolle und Öffentliche Angelegenheiten (neu eingerichtet), ● Disziplinarkammer (neu eingerichtet) und ● Militärkammer (wird abgeschafft).

Die neue Kammer für Sonderkontrolle und Öffentliche Angelegenheiten des OG ist zuständig u. a. für:

die Feststellung der Gültigkeit von Wahlen und Volksbefragungen auf Antrag des Staatlichen Wahlausschusses;

die Prüfung von Einsprüchen gegen die Wahl (diese müssen spätestens sieben Tage nach Verkündung der Amtlichen Wahlergebnisse durch den Staatlichen Wahlausschuss eingereicht werden). Beide Zuständigkeiten oblagen bisher der Kammer für Arbeit, Sozialversicherungswesen und Öffentliche Angelegenheiten.

Kassationsklagen (Anfechtungsklagen) aus dem Bereich des Konkurrenz- und Verbraucherrechts.

Sowie:

Sonderrevisionsklagen.

Diese neue Einspruchsform, die Andrzej Duda in seinem Wahlkampf oft zur Sprache gebracht hat, ist auf ausdrücklichen Wunsch des heutigen Staatspräsidenten eingeführt worden. Es gehe ihm um mehr Bürgernähe und die Demokratisierung des Justizwesens.

„Ich bin fest davon überzeugt, dass dank dessen viele Bürger, die sich ungerecht behandelt fühlen, denen Unrecht widerfahren ist, den Glauben daran zurückerlangen werden, dass Polen ein ehrlicher und gerechter Staat ist, der sich um seine Bürger kümmert“, sagte Duda als er das neue Gesetz unterschrieb.

Die Sonderrevision soll für alle rechtskräftigen Urteilen gelten, „wenn diese die garantierten bürgerlichen und Freiheitsrechte einschränken, das geltende Recht offensichtlich falsch auslegen oder anwenden, bzw. im offensichtlichen Widerspruch zur festgestellten Beweislage stehen“, so Dudas Erläuterung.

Ausgenommen sind Scheidungsurteile, wenn eine oder beide Parteien neu geheiratet haben.

Das Oberste Gericht in Warschau. Der groβe Verhandlungssaal.

Der Sonderrevision werden Urteile unterliegen, die im Rahmen anderer Einspruchsverfahren nicht mehr abgeändert werden können. Sie dürfen nicht länger als fünf Jahre lang rechtskräftig sein.

Eine Sonderrevision dürfen, auf Antrag des betroffenen Bürgers und nach gründlicher Prüfung, beim OG beantragen: der Generalstaatsanwalt, der Bürgerbeauftragte des Parlaments, eine Gruppe von 30 Sejm-Abgeordneten oder 20 Senatoren und (in ihrem Zuständigkeitsbereich) der Beauftragte für Kinderrechte, der Beauftragte für Patientenrechte, der Chef der Staatlichen Finanzaufsicht, der Chef des Kartell- und Verbraucheramtes.

Wird der Sonderrevision vor dem OG stattgegeben, kann das Gericht in der Sache selbst ein Urteil fällen oder den Fall zur Wiederaufnahme an das zuständige Gericht weiterleiten. Bei Entscheidung des OG zugunsten einer Partei ist keine weitere Sonderrevision zulässig.

Wie die Sonderrevision in der Praxis funktionieren wird, muss abgewartet werden. Die Beurteilungen in Fachkreisen reichen von Lob und Zuversicht, dass Richter dadurch zu mehr Bedacht und Sorgfalt in der Rechtsprechung gezwungen werden, bis zu Horrorszenarien, die Anarchie, das Ende der Rechtssicherheit und sogar einen neuen Bolschewismus aufkommen sehen. In der Öffentlichkeit ist Dudas Vorstoβ mit viel Applaus aufgenommen worden.

Briefmarke der Polnischen Post von 2018 zum 100. Jahrestag der Gründung des polnischen Obersten Gerichtes.

Noch spannender wird es durch eine weitere Neuerung: an den Sonderrevisionsverfahren am Obersten Gericht sollen Beisitzer teilnehmen, die es bis jetzt nicht gab.

Sie werden von der oberen Parlamentskammer, dem Senat, für vier Jahre gewählt. Juristische Kenntnisse sind nicht zwingend vorgeschrieben. Kandidaten vorschlagen dürfen Verbände, Gewerkschaften oder Gruppen von mindestens einhundert Bürgern. Politische Parteien sind davon ausgeschlossen.

100 Jahre Oberstes Gericht. Ersttagsbrief der Polnischen Post von 2018.

Die neue Disziplinarkammer des OG

Zuständig für Disziplinarverfahren gegen Vertreter aller juristischen Berufe: Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Rechtsbeistände (in Polen, anders als in Deutschland, ein eingetragener, verbreiteter juristischer Beruf mit eigener Disziplinargerichtsbarkeit), Notare und Gerichtsvollzieher.

Es gilt die Zweiinstanzlichkeit. Die erste Instanz bilden die Disziplinargerichte der jeweiligen Gerichte, bzw. die Disziplinargerichte der oben erwähnten juristischen Berufe. Zweite Instanz ist die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts: bestehend aus zwei Richtern und einem Beisitzer.

Für Richter am OG besteht die erste Instanz aus einem Spruchkörper mit zwei Richtern und einem Beisitzer der Disziplinarkammer. Die zweite Instanz bilden drei Richter und zwei Beisitzer.

Ankläger in den Disziplinarverfahren vor dem OG sind die Disziplinarbeauftragten der jeweiligen Gerichte bzw. Berufe. Der Beschuldigte wird vertreten durch einen Verteidiger seiner Wahl (Anwalt, Richter, Staatsanwalt, Rechtsbeistand).

Mögliche Strafen: ● Abmahnung ● Verweis ● Gehaltsminderung zwischen fünf und fünfzig Prozent für mindestens sechs, maximal vierundzwanzig Monate ● Enthebung von der Funktion ● Entfernung aus dem Richterstand.

Die Disziplinarkammer wird am Obersten Gericht eine herausgehobene Position haben, mit einer eigenen Kanzlei und einem eigenen Kanzleichef. Sie ist jedoch Bestandteil der Kanzlei des OG-Präsidenten, die allen anderen Kammern verwaltungstechnisch zuarbeitet.

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht.

Die Militärkammer des OG (abgeschafft)

War die höchste Instanz der Militärgerichtsbarkeit, zuständig u. a. für Kassationsklagen gegen Urteile der zwei Oberen Militärgerichte (Warschau, Poznań). Im Jahr 2016 hatte sie lediglich 65 Verfahren durchzuführen (im Vergleich arbeitete das gesamte OG im selben Zeitraum an 11.102 Verfahren).

Gründe: Abschaffung der Wehrpflicht 2009. Zudem wurden seit 2008 Soldaten von Militärgerichten nur noch für Straftaten, die unmittelbar mit dem Militärdienst im Zusammenhang standen verurteilt und nicht, wie früher, für alle Straftaten. Mangels Auslastung haben die sechs Militärrichter an der Strafkammer des Obersten Gerichts „ausgeholfen“. Sie werden jetzt alle (drei sind über 65) in den Ruhestand versetzt.

Die Aufgaben der Militärkammer übernimmt die Strafkammer des OG.

Das Ruhestandsalter

Artikel 180.4 der polnischen Verfassung besagt: „Das Gesetz regelt die Altersgrenzen für den Ruhestand der Richter”.

Der Artikel 180.5 der polnischen Verfassung besagt: „Der Richter darf im Falle der Änderung des Aufbaus der Gerichte oder der Änderung der Grenzen der Gerichtsbezirke an ein anderes Gericht oder, unter Beibehaltung seiner vollen Bezüge, in den Ruhestand versetzt werden“.

Beim Entwerfen des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht hat Staatpräsident Andrzej Duda von beiden Bestimmungen Gebrauch gemacht.

Das Eintrittsalter in den Ruhestand wurde auch für die Richter am OG von 70 auf 65 Jahre herabgesetzt und damit den allgemein in Polen, auch in der übrigen Gerichtsbarkeit, geltenden Regelungen angepasst: 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen, wobei Richterinnen dieses Alters allein entscheiden, ob sie in den Ruhestand gehen möchten oder bis 65 weitermachen wollen.

Wer 65 wird und maximal noch drei Jahre länger als Richter arbeiten möchte, muss ein Gesuch an den Staatspräsidenten stellen und ein Arbeitstauglichkeitsattest beilegen. Die Entscheidung darüber (genauso wie bei Berufungen ins Richteramt und bei der Bestätigung von Beförderungen) liegt allein beim Staatspräsidenten und muss von ihm nicht begründet werden.

Präsidentin des Obersten Gerichtes, Małgorzata Gersdorf ist eine der Führungspersonen des Widerstandes gegen die Justizreform. Hier bei der Protestkundgebung in Warschau am 24. Juli 2017.

Das neue Gesetz über das Oberste Gericht trat am 3. Juli 2018 in Kraft. An diesem Tag arbeiteten am OG 73 Richter, von denen 27 unter die neue Ruhestandsregelung fallen.

Sechzehn von ihnen haben ein Gesuch um Verlängerung an den Staatspräsidenten gerichtet. Acht dieser Gesuche entsprechen nicht dem neuen OG-Gesetz, sondern berufen sich nur auf Art. 180.1 der Verfassung: „Die Richter sind unabsetzbar“, ignorieren also Ausnahmen (Art. 180.4 und 180.5), die die Verfassung vorsieht und auf die sich der Staatspräsident in seinem von der Parlamentsmehrheit verabschiedeten Gesetzentwurf beruft.

Nur acht der Verlängerungsgesuche der Richter am OG entsprechen dem neuen Gesetz und haben eine Chance darauf positiv beschieden zu werden.

Die Präsidentin des OG, Prof. Małgorzata Gersdorf (sie ist im November 2017 fünfundsechzig Jahre alt geworden) hat es abgelehnt ein Gesuch auf Verlängerung zu stellen. Die Amtszeit des OG-Präsidenten beträgt sechs Jahre, d. h. sie müsste/könnte als Gerichtspräsidentin noch bis 2020 amtieren.  Da sie aber kein  Gesuch auf Verlängerung gestellt hat, ist sie mit ihren knapp 66 Jahren ab dem 4. Juli 2018 automatisch Richterin im Ruhestand, und als solche kann sie nicht Gerichtspräsidentin sein.

Frau Gersdorf lehnt die Einhaltung des neuen OG-Gesetzes ab und will bis 2020 amtieren. Sie ist eine der Führungspersonen des Widerstandes gegen die Justizreform, woran sie mit ihren Auftritten bei Protestdemonstrationen und radikalen politischen Stellungnahmen keine Zweifel aufkommen lässt.

Geplant ist eine Aufstockung der Richterzahl am OG auf 120.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz.

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat. 

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

© RdP




Was will Morawiecki

Starke nationale Identität. Moderne Wirtschaft. Smog- und Krebsbekämpfung. Keine Gewalt gegen Frauen. Eine EU der Vaterländer u. e. m.

Die Regierungserklärung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, gehalten am 12. Dezember 2017, ist ein kompakter, ganzheitlicher und sehr lebhafter Blick auf die heutige polnische Situation, und zugleich ein Gestaltungsentwurf, der die wachsende Popularität der jetzigen Regierungspartei zu erklären vermag. Eine, wie wir meinen, sehr lohnende Lektüre für alle die mehr vom heutigen Polen verstehen wollen.

Herr Staatspräsident, Herr Präsident, Hohes Haus, liebe Landsleute,

zuerst möchte ich mich bei Frau Ministerpräsidentin Beata Szydło bedanken für die gemeinsamen Jahre harter Arbeit. (Morawiecki war im Kabinett Szydło zugleich stellv. Ministerpräsident, Finanz- und Entwicklungsminister – Anm. RdP).

Die Aufzeichnung der Rede ist hier zu sehen und zu hören.

Frau Ministerpräsidentin, Sie sind und Sie werden ein Symbol bleiben, für jene in der Solidarność-Tradition verhafteten Revolution, die seit 2015 Millionen polnischer Familien ein würdiges Alltagsleben ermöglicht hat. Ich danke Ihnen im Namen der ganzen Regierung für Ihre titanenhafte Arbeit, Ihr Einfühlungsvermögen und für den eisernen Glauben an den Sinn der Erneuerung unseres Landes. Ich freue mich auβerordentlich, dass wir weiterhin gemeinsam für Polen arbeiten werden.

(Frau Szydło war Regierungschefin vom 16.11.2015 bis zum 8.12.2017. Im Kabinett Mateusz Morawiecki bekleidet sie nun den Posten der stellv. Ministerpräsidentin mit dem Geschäftsbereich Sozialpolitik – Anm. RdP).

Das waren zwei gute Jahre für Polen und seine Bürger. Wir haben uns daran gewöhnt, dass all die Veränderungen zum Besseren, dank Ihnen, so zuverlässig durchgeführt wurden. Ich versichere, dass unsere Regierung dieses Werk unermüdlich fortsetzen wird. Frau Ministerpräsidentin, ich danke Ihnen noch einmal!

Die Regierung, an deren Spitze ich mich stelle, ist dieselbe, ihre Handlungsrichtungen, ihre Wegweiser und ihre Werte bleiben dieselben. Es ist eine Regierung der Kontinuität. Wirtschaftliches Gedeihen und Sozialpolitik sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Eine blühende Wirtschaft macht eine groβzügige Sozialpolitik möglich. Wir werden unsere Sozialprogramme nicht nur fortsetzten, sondern sie stärken und weiterentwickeln.

Tradition beflügelt

Der Leitgedanke, der mein gesamtes Tun bestimmt, ist der Ausruf von Stanisław Wyspiański (Dichter, 1869-1907 – Anm. RdP) „Polen, das ist eine groβartige Sache“ (aus dem Drama „Die Hochzeit“ von 1901 – Anm. RdP). Ja, meine Damen und Herren, Polen ist ein übergeordnetes Gut. In der vergangenen Woche hat mir der Herr Staatspräsident die Aufgabe die Regierung zu leiten anvertraut. Das ist eine groβe Ehre für mich.

Polen ist ein stolzer Staat mit groβen Errungenschaften. Ein Land, das vor der Tyrannei des Absolutismus, der Germanisierung, der Russifizierung, des Nazismus und des Kommunismus nicht kapituliert hat. Ein Land, das sich dem Holocaust widersetzte und Glaubenskriege vermieden hat. Ein Land, das nach mehr als einhundert Jahren (1795-1918 – Anm. RdP) der Nichtexistenz wiederauferstanden ist und ein Land, in dem Solidarność entstand.

Meine Absicht ist es, dass die Regierung der Vereinigten Rechten (Recht und Gerechtigkeit plus zwei kleine konservative Parteien – Anm. RdP) eine Regierung des geeinten Polens sein soll. Die Regierung und der Ministerpräsident sollen dem ganzen Land dienen. Es gibt nur ein Polen und das ist unser gemeinsames Gut.

Die Solidargemeinschaft ist ein untrennbarer Bestandteil unserer Tradition. Die Solidargemeinschaft, wenn es in der Vergangenheit darum ging den Generationen polnischer Sibirien-Deportierter zu helfen. Die Solidargemeinschaft, die in Gestalt des Untergrund-Zegota-Komitees unsere jüdischen Mitbrüder (zur Zeit der deutschen Besatzung – Anm. RdP) rettete oder die Solidarność schuf.

Die Stärkung unserer Identität, das Bekenntnis zu unserem groβen nationalen Erbe ist eine Verpflichtung, die wir gegenüber denen einlösen müssen, die für unser Gemeinwesen, die Rzeczpospolita, über Jahrhunderte gewirkt und ihr Blut vergossen haben. Es ist aber auch eine Verpflichtung gegenüber den künftigen Generationen, an die wir unser Erbe, die einzigartige polnische Kultur, unsere Werte, unseren Werdegang, unser Freiheits- und Wahrheitsbegehren weitergeben müssen. Wir können auf unsere Identität nicht verzichten.

In diesem Zusammenhang sei an die Sejm-Abstimmung (vom 17.04.2003 – Anm. RdP) erinnert, in der das Hohe Haus mit neunzigprozentiger Zustimmung den Beitritt zur EU beschlossen hat, aber auch an die mit genauso groβer Zustimmung (am 11.04.2003 – Anm. RdP) verabschiedete Sejm-Erklärung über die Souveränität Polens und die übergeordnete Geltung seiner Gesetzgebung in Angelegenheiten der Ehe, Familie, der Erziehung, des Schutzes des ungeborenen Lebens und der Kultur.

Die Welt sollte mehr erfahren über unseren Beitrag zum Kampf um Freiheit, Gerechtigkeit, um die wichtigsten Werte der westlichen Zivilisation, unseren Kampf gegen das Böse. „Den freien Gedanken, den darfst Du um keinen Preis aufgeben“, rief der Autor der Solidarność-Hymne (der Dichter Jerzy Narbutt, 1925-2011 – Anm. RdP). Diesen Kampf führten tapfere Menschen (…), die unter dramatischen Bedingungen über Jahrhunderte ihre Unbeugsamkeit, ihren Mut und ihre Tapferkeit unter Beweis gestellt haben. (…) Das sind die Helden unserer Freiheit. Ihr Vermächtnis tragen wir in eine bessere Zukunft.

Unsere Geschichte ist kein Ballast

Es gibt nichts Wichtigeres für mich, als das Nachholen all der Verluste und Rückstände, die unser Land in Folge der Teilungen, der beiden Weltkriege und des Kommunismus erlitten hat. Wir haben jetzt eine einmalige Chance dafür und die dürfen wir nicht vertun. Deswegen muss die polnische Politik ehrgeizig sein. Sie darf sich nicht mit dem Strom treiben lassen. Die Regierung ist nicht dazu da, um zu verwalten, sondern sie muss regieren und ehrgeizige Ziele erreichen.

Wir müssen zur Einigkeit finden. Wir müssen uns gegenseitig überzeugen und nicht gegenseitig bezwingen. Wir müssen die Worte unserer Nationalhymne verinnerlichen: Auch „Wenn wir mit dem Säbel streiten, lassen wir uns von der Eintracht und vom Wohl des Vaterlandes leiten“.

Wir sind und wir werden keine Regierung ideologischer Extreme sein. Wir sind genauso weit entfernt vom Neoliberalismus wie vom Sozialismus. Nicht nur deswegen, weil sie versagt haben. Auch deswegen, weil es statt auszuschlieβen und zu verstoβen, besser ist zu vereinigen: den Wettbewerb mit der Zusammenarbeit, das Globale mit dem Lokalen, Europa mit unseren Interessen, das staatliche Handeln mit dem freien Markt. Hier gibt es keinen Widerspruch.

Ich darf Ihnen versichern: unsere Regierung wird sehr ehrgeizig sein, wenn es darum geht Polen zum Besseren zu verändern. Dazu bedarf es der Errichtung eines Zentrums für Strategische Analysen. Wir brauchen eine schlüssige Gesetzgebung und Entscheidungen, die langfristige Entwicklungsstrategien begünstigen. In den letzten fünfundzwanzig Jahren wurden immer mehr und mehr Gesetzte verabschiedet. Wir werden diese Entwicklung aufhalten.

Der Staat bringt sich ins Spiel

Der Staat bringt sich jetzt ernsthaft ins Spiel. Zu den unternehmerisch denkenden und handelnden Wirtschaftstreibenden gesellt sich jetzt ein unternehmerisch denkender und handelnder Staat. Ein so agierender Staat trug bei zum Erfolg von Silicon Valley, zum Durchbruch der israelischen Innovationstechnologien, zu den technologischen Durchbrüchen der südkoreanischen und deutschen Industrie. Wir müssen eine goldene Mitte finden zwischen einem Minimalstaat, der seine Bürger völlig sich selbst überlässt, wie es noch vor kurzem bei uns der Fall war, und einem Staat der schwerfälligen Bürokratie. Wir wollen weder das eine noch das andere.

Wir wollen Polen von Grund auf modernisieren. Ich bin tief davon überzeugt, dass unsere nationale Souveränität und Tradition bei diesen Bemühungen unsere Trümpfe sein werden. Trümpfe und nicht Ballast, wie man uns das noch vor Kurzem einzureden versuchte. Hinter dieser Idee steht die Erkenntnis, dass im heutigen Europa der Interessenwettbewerb eine Schlüsselrolle spielt. Wir wollen unsere nationale Souveränität und Tradition als Trümpfe in diesem Wettstreit um unsere nationalen Interessen einsetzten.

Wir sind Zeugen einer technologischen Revolution, die gleichbedeutend ist mit einer neuen Rollenverteilung in der Weltwirtschaft. Sie darf nicht ohne Polen stattfinden. Es ist die erste technologische Revolution, in der Polen eine ernstzunehmende Rolle spielen kann, auf manchen Gebieten sogar eine führende Rolle. Die heutige Wirtschaftspolitik wird entscheiden, ob Polen in zehn Jahren ein Hersteller von hochentwickelten Technologien sein wird oder weiterhin nur ein Absatzmarkt für ausländische Firmen.

In den letzten zwei Jahren, seit den von uns im Oktober 2015 gewonnenen Wahlen, haben wir die Hände nicht in den Schoβ gelegt. Die britische Agentur FTSE Russell hat Polen als erstes Land der Region zu den entwickelten Staaten gerechnet. Im Jahr 2017 sind zwei Drittel aller neuen Industriearbeitsplätze in der EU in Polen entstanden. Deswegen begann man unser Land als die Fabrik Europas zu bezeichnen.

Großfirmen bauen bei uns technologisch hoch entwickelte Produktionsstätten, Forschungs- und Entwicklungszentren. Wir haben in unserem Teil Europas das umfangreichste staatliche Programm der Förderung von technologischen Startup-Unternehmen. Der Wiederaufbau sowie die Neuerrichtung der Industrie ist eine unserer wichtigsten Aufgaben für den zweiten Teil dieser Legislaturperiode.

Auch in anderen Bereichen gelangen uns Durchbrüche, die als nicht machbar galten. Dazu gehört u. a. die Sicherung unserer Steuereinnahmen. Allein in diesem Jahr (2017 – Anm. RdP) sind die Mehrwertsteuer-Einnahmen um 30 Mrd. Zloty (ca. 7,1 Mrd. Euro – Anm. RdP) gestiegen. Das ist mehr als in den letzten neun Jahren zusammen.

Es ist das Ergebnis unseres Kampfes gegen Steuerbetrüger und Banden, die sich über sogenannte Umstatzsteuerkarussells missbräuchlich bereichern. Wir mussten auf diesem Gebiet die Autorität des Staates wiederherstellen und wir werden diesen Kampf weiterführen. Unter anderem aufgrund dieser Maßnahmen erhielten die Polen in diesem Jahr 70 Mrd. Zloty (ca. 16,5 Mrd. Euro – Anm. RdP) an unterschiedlichen sozialen Transferleistungen.

Klose, Podolski, Lewandowski – die Fähigen laufen uns weg

Die vier apokalyptischen Reiter in unserem Leben das waren: Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel und ein unzulängliches Gesundheitswesen. Dank unserer Anstrengungen haben die ersten beiden deutlich an Einfluss verloren. Es gibt viel weniger Armut und die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit 27 Jahren.

Aber es gibt in diesen Bereichen noch viel zu tun. Wir werden uns nicht auf unseren bisherigen Lorbeeren ausruhen, auch wenn die Lohnentwicklung bei uns inzwischen die rascheste Steigerungsrate seit zehn Jahren erreicht hat. Wir werden weiterhin den Minimallohn anheben. Über die beiden verbleibenden Probleme, fehlende Wohnungen und Defizite im Gesundheitswesen, werde ich noch ausführlich sprechen.

Polen ist ein Teil des Westens. Deswegen muss es globale Bestrebungen haben, darf es keine Konkurrenz und keine Zusammenarbeit scheuen, um der Peripherie, in der wir uns heute befinden zu entkommen. Dazu brauchen wir einen starken Staat, eine starke Identität und die Umwandlung groβer polnischer Firmen in globale Champions.

Worum es geht, kann man gut am Beispiel des Sports veranschaulichen. Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass unsere fähigsten Fuβballer sich bereits als Anfänger in westlichen Fuβballschulen einschreiben und dann für die dortigen Klubs, manchmal sogar in dortigen Nationalmannschaften, spielen. Das ist nicht normal.

Was wäre die deutsche Fuβball-Nationalmannschaft ohne Miroslav Klose, schlussendlich, unseren Jungen aus Opole, der die meisten Tore für das deutsche Team geschossen hat. Oder ohne Łukasz Podolski. Gut, dass sie uns wenigstens unseren Robert Lewandowski nicht genommen haben.

Gutes Geld,…

Die Polen sind das Volk, das mit am meisten in Europa arbeitet. Wir arbeiten im Durchschnitt etwa 2.000 Stunden im Jahr. Die Arbeitsproduktivität und die Zahl der durchgearbeiteten Stunden entscheiden heute nicht einzig und allein über den ökonomischen Erfolg.

Wir wollen nicht, dass die Polen am längsten arbeiten. Wir möchten, dass sie effektiv arbeiten und für einen würdigen Lohn. Wir wollen, dass sie mehr Zeit haben für ihre Familien und deswegen müssen wir unseren polnischen Kapitalismus auf westliche Gleise setzen. Das ist das Ziel unserer Entwicklungsstrategie.

Die Ausbildung und das Können junger Polen sind heute das Antriebsrad unserer Innovationsfähigkeit und Modernität. In ihrer Begeisterung, ihrer Neugier auf die Welt, ihrer Bereitschaft es mit den Besten aufzunehmen steckt der Schlüssel zum Erfolg.

Unsere gesamte Arbeit hat keinen Sinn, wenn sie an den Bedürfnissen der jungen Menschen vorbeigeht. (…) Für sie, für Euch lohnt es sich Polen zu verändern. Ich liebe es mit jungen Leuten zu arbeiten. Sie können mit 280 Zeichen jede komplizierte Angelegenheit darstellen. Seien wir nicht blauäugig. Auswärtige werden uns keine starke Wirtschaft errichten.

Die Zahlen sprechen für sich. Der Anteil der Löhne polnischer Arbeitnehmer an unserem Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt nur 46 Prozent. Das sind zehn Prozent weniger als der EU-Durchschnitt. Wir müssen unseren originären Weg hin zur modernen Wirtschaft einschlagen, wenn wir wollen, und das wollen wir sehr, dass die Polen mehr verdienen.

Deswegen möchte ich in den nächsten Jahren auf einige wichtigste Entwicklungsbereiche setzten. Ich möchte sie hier schildern und das Hohe Haus um ein Vertrauensvotum für unsere Regierung bitten.

…gute Gesundheit,…

Die erste sehr wichtige Aufgabe ist das Gesundheitswesen. Es gibt kein würdiges Leben ohne eine funktionierende Gesundheitsversorgung. Deswegen werden wir die Ausgaben für diesen Bereich in wenigen Jahren zügig auf sechs Prozent des BIP erhöhen.

(Im Augenblick sind es ca. 4 Prozent, womit Polen den fünftletzten Platz in der EU belegt, vor Rumänien, Litauen, Lettland und Zypern. Deutschland – knapp 12 Prozent – Anm. RdP).

Dieser Zuwachs wird vor allem dank der Sicherung des Steueraufkommens möglich sein. Schon in diesem Jahr (2017 – Anm. RdP) haben wir 4 Mrd. Zloty (ca. 950 Mio. Euro – Anm. RdP) mehr ausgegeben um die Wartezeiten auf Termine bei Fachärzten zu verkürzen, den Kauf modernster Ausrüstung für die Krankenhäuser zu ermöglichen sowie zur Erstattung von medizinischen Leistungen, die unsere Vorgänger nicht bezahlt haben. Das ist erst der Anfang.

75 Prozent der Todesfälle in Polen sind eine Folge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Deswegen werden wir zwei Sonderprogramme einführen, die die Vorsorge sowie die Heilung dieser Erkrankungen im polnischen Gesundheitswesen von Grund auf modernisieren sollen.

Als Erstes soll ein Nationales Onkologisches Institut entstehen, wo nicht nur Tumore wirksam behandelt werden sollen, sondern auch Forschung auf diesem Gebiet betrieben werden soll. Als Zweites, das Nationale Programm für Herzgesundheit. Polen haben einen groβen Beitrag in der Entwicklung der Kardiologie geleistet und wir wollen, dass die Kardiologie unser Spezialgebiet bleibt. Vor allem aber wollen wir, dass die Polen erst gar nicht herzkrank werden, es sei denn eventuell aus Liebe.

Diese nationalen Programme, wobei nicht alles „national“ heiβen muss, es kann auch „staatlich“ oder „polnisch“ heiβen, müssen vor allem so funktionieren, dass das für sie vorgesehene Geld effektiv ausgegeben wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass neuer Wein in alte Schläuche gefüllt wird.

So wie wir das Steuersystem gegen Missbrauch absichern, so wollen wir im Gesundheitswesen vorgehen. Jeder dort investierte Zloty muss zur Verbesserung der Lebensqualität der Polen beitragen. Davon sollen die Patienten und das Personal profitieren.

Es darf auch keine Privatisierung der Gewinne, aber eine Verstaatlichung der Verluste geben. Die Ausstattung im öffentlichen Gesundheitswesen muss und darf nur dem öffentlichen Gesundheitswesen dienen und nicht windigen Privatinitiativen besonders geschäftstüchtiger „Unternehmer“. Deswegen werden wir der elektronischen Erfassung im Gesundheitswesen oberste Priorität einräumen. Darum wende ich mich an die Ärzte, Krankenschwestern, Hebammen, das Rettungspersonal, an alle die im Gesundheitswesen arbeiten. Werdet ein Teil der guten Wende, die zur Errichtung eines modernen Gesundheitswesens führen soll.

…gute Luft.

In vielen Gegenden Polens, vor allem in Kleinpolen (Region um Kraków – Anm. RdP), in Oberschlesien, aber auch in Masowien (Region um Warschau – Anm. RdP) habe ich Landschaften gesehen, die in dichten, beiβenden Nebel gehüllt waren und Kinder, die auf dem Rückweg von der Schule einen Mundschutz trugen. Saubere Luft ist eine zivilisatorische Herausforderung und das Maβ dessen, ob Polen tatsächlich ein entwickeltes Land ist.

Luft, Wasser, der Boden gehören nicht nur uns, sondern auch den künftigen Generationen und der Zustand in dem wir sie ihnen überlassen stellt uns ein Zeugnis aus.

In Folge des Smogs sterben jedes Jahr 48.000 Polen vorzeitig und der Rauch, der durch die Verbrennung von Müll in Privathaushalten entsteht, steigt nicht nur gen Himmel. Er gelangt in unsere Lungen und in die Lungen unserer Kinder.

Das Smog-Bekämpfungsprogramm ist zugleich ein Vorhaben zur Unterstützung der Ärmsten, die sich keine Wärmedämmung, keine neuen Fenster und Türen, keine sauberen Brennstoffe leisten können. Nur wenn wir die Energiearmut beseitigen, werden wir die Lebensqualität aller Polen verbessern.

Ich möchte mich auch an dieser Stelle bei allen Vorkämpfern für saubere Luft bedanken. Bei den Nichtregierungsorganisationen, den städtischen Bewegungen, die seit einigen Jahren sehr gute Arbeit leisten.

Sehr wichtig ist hier auch die Arbeit der Kommunen. Sie stehen an vorderster Front. Eine gute Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den Kommunen ist in diesem Fall von herausragender Bedeutung.

Ich möchte auch kurz auf das wichtige Thema der Sharing Economy eingehen. Das ist ein neuer Denkansatz in der Betrachtung der Umwelt, des sozialen Lebens und der Wirtschaft. Er ist gleichbedeutend mit der Abkehr von der Konzentration auf die eigenen Bedürfnisse hin zur Gemeinschaft und zum Gemeinwohl. Dieser Ansatz geht einher mit der katholischen Soziallehre, mit der Ethik der Solidarność-Bewegung und, darüber freue ich mich sehr, auch mit der Strategie der Europäischen Kommission, was nicht so oft passiert.

Die Nutzen der Sharing Economy liegen auf der Hand: höhere Produktivität, saubere Umwelt, bessere Nutzung der natürlichen Ressourcen und die Schonung unserer Geldbörsen. Das alles machen moderne Technologien möglich.

Erneuerbare Energien: mehr Nutzen, nicht mehr Kosten

Die Kohle ist heute die Grundlage unserer Energiewirtschaft. Wir können und wir wollen auf Kohle nicht verzichten. Das sind wichtige, beruhigende Feststellungen für Oberschlesien und das Dombrowaer Kohlenbecken, aber auch für ganz Polen. Wir planen sehr langfristig einen Umbau in diesen beiden benachbarten Regionen. Modernste, umweltschonende Kohletechnologien gepaart mit einer Ansiedlung anderer moderner Hochtechnologien. Ich bin sehr froh darüber, dass die wichtigsten Gewerkschaftsgremien der beiden Regionen unser Programm akzeptiert haben.

Wir müssen uns aber gleichzeitig um erneuerbare Energiequellen in Polen kümmern. Das ideologische Denken in dieser Angelegenheit lehnen wir rundweg ab. Die Rechnung muss stimmen. Mehr Nutzen, nicht mehr Kosten für die Menschen.

Mehr Nutzen bedeutet auch mehr Energiesicherheit für unser Land. Recht und Gerechtigkeit lag und liegt die Energiesicherheit Polens sehr am Herzen. Das ist die Bedingung für unsere Unabhängigkeit.

Wir sind ihr ein groβes Stück näher gekommen, dank dem Flüssiggas-Terminal in Świnoujście (Swinemünde – Anm. RdP). Er wäre nicht entstanden, ohne den hartnäckigen politischen Einsatz Staatspräsident Lech Kaczyńskis. Unsere Abhängigkeit von Gaseinfuhren aus Russland verringert sich, und wir können davon ausgehen, dass es sie nach 2022 überhaupt nicht mehr geben wird.

Wir bauen unsere Gasinfrastruktur aus, um Polen in ein Drehkreuz der Gasversorgung in unserer Region zu verwandeln. Deswegen bauen wir an der Gasverbindung aus Norwegen über Dänemark zu uns, an der sogenannten Baltic Pipe. Unsere Aufgabe ist es, diese Vorhaben erfolgreich zu Ende zu bringen, und so die Energieunabhängigkeit Polens zu gewährleisten bei niedrigen CO2-Emissionen. Daher rührt unsere positive Einstellung zur Atomenergie. (Polen hat bis jetzt kein einziges AKW – Anm. RdP).

Ich spreche heute viel über Energiefragen. Es ist ein Bereich, bei dem ich auf eine einvernehmliche Zusammenarbeit des gesamten Parlaments hoffe. Gemeinsam müssen wir, klar die polnischen Interessen definieren und eine Entwicklungsstrategie ausarbeiten, die viele künftige Sejm-Legislaturperioden überdauert.

Ein Polen groβer Vorhaben

Und nun einiges zur Infrastruktur. Wir müssen lernen nicht nur in den Kategorien der eigenen Bestrebungen, sondern der gemeinsamen Ziele zu denken. Seit fünfundzwanzig Jahren fahren auf unseren Straßen immer bessere Autos, aber die Straβen wurden immer schlechter und Eisenbahnstrecken wurden stillgelegt.

Das Land ist so, wie die Menschen, die es bewohnen, sagt man. Aber es gibt in diesem Fall eine starke Wechselwirkung. So wie wir Polen gestalten werden, so wird es später unsere Kinder und Enkelkinder formen. Eine Chance auf den Sieg und darauf einen Beitrag in die Schatzkammer der Menschheit einzubringen, haben auf längere Sicht nur die Gemeinschaften, deren Mitglieder es verstehen ihre privaten Ziele mit dem Allgemeinwohl zu verflechten.

Abgesehen von Sportlern und Künstlern, kommt der Erfolg auf der internationalen Bühne nicht im individuellen Bereich zustande. Es sind Nationen und Staaten die ihn davontragen. Darum setzen wir die Akzente auf gemeinschaftliche Strategien, auf ein Polen der groβen Vorhaben.

Dazu gehört der Bau des Zentralen Verkehrsknotenpunktes „Solidarność“ (bis 2027 in Stanisławów, zwischen Łódź/Lodsch und Warszawa/Warschau – Anm. RdP). Das ist der wichtigste Bestandteil unserer Entwicklungsstrategie im Transportwesen. Dieser Knotenpunkt ist eine Chance, sowohl für den Luftverkehr (geplant ist ein Interkontinental-Flughafen für 45 Mio. Passagiere – Anm. RdP) als auch für die Bahn (geplanter Hochgeschwindigkeits-Verkehrskontenpunkt für drei existierende und eine neue Bahnlinie – Anm. RdP), da wir von hier aus die Möglichkeit schaffen werden, zukünftig, sowohl die fahrerlose Bahn als auch den Hyperloop einführen zu können. (In der Nähe, bei Stryków, befindet sich zudem heute das zentrale Autobahnkreuz Polens A1/A2 – Anm. RdP).

Wir wollen weiterhin energisch die Modernisierung und den Ausbau der Häfen in Gdańsk (Danzig – Anm. RdP), Gdynia (Gdingen – Anm. RdP) und Szczecin-Świnoujście (Stettin-Swinemünde – Anm. RdP) betreiben. Nach Jahrzehnten des Planens, Diskutierens und Hinauszögerns wird, aufgrund unserer Entscheidungen, 2018 endlich der Bau des Tunnels beginnen, der den von Polen abgeschnittenen (auf der Insel Uznam/Usedom gelegenen, jetzt nur mit Fähre erreichbaren – Anm. RdP) Westteil von Świnoujście mit dem Festland im Osten verbinden soll. Sowohl dem Hafen, wie auch den Einwohnern von Świnoujście bringt diese Investition eine enorme Entlastung.

All die erwähnten Vorhaben sind wichtige Schritte auf dem Weg zur Wandlung Polens in eines der gröβten logistischen Zentren Europas. Dazu bedarf es eines weiteren forcierten Ausbaus von Straβen und Autobahnen. Es geht vor allem um:

● die Via Carpatia (die streckenweise schon fertige Schnellstraβe S 19 von Litauen, entlang der polnischen Ostgrenze: Białystok – Lublin – Rzeszów in die Slowakei – Anm. RdP),

● die S 3 (von Szczecin/Stettin, entlang der polnischen Westgrenze: Gorzów Wielkopolski/Landsberg a. d. Warthe – Zielona Góra/Grünberg Legnica/Liegnitz nach Tschechien – Anm. RdP),

● die S 7 (von Gdańsk/Danzig, östlich entlang der Weichsel: Elbląg/Elbing – Warszawa/Warschau – Radom – Kielce – Kraków/Krakau – Slowakei – Anm. RdP),

● und die A 1 (Autobahn von Gdańsk/Danzig, westlich entlang der Weichsel: Grudziądz/Graudenz – Toruń/Thorn – Łodź/Lodsch – Oberschlesien – Tschechien – Anm. RdP).

(…) Eines unserer wichtigen Ziele ist die Stärkung der polnischen Unternehmen. Jede Generation der Polen muss aufs Neue mit den Herausforderungen der Modernisierung fertig werden. Als wir vor knapp zwei Jahren unseren Plan der Verantwortungsvollen Entwicklung vorgestellt haben, sagten uns viele, wir hätten die Latte zu hoch gelegt. Es seien unrealistische Träumereien.

Derweil verzeichnete die Wirtschaft Polens im dritten Quartal 2017 ein Wachstum von knapp fünf Prozent, ohne dass sich die Staatsverschuldung erhöht hätte. Das Jahr 2017 wird das erste seit achtundzwanzig Jahren ohne einen Anstieg der Staatsverschuldung sein. (…) Die Wirtschaft läuft gut und die öffentlichen Finanzen sind weitgehend ausgeglichen. Wir verzeichnen eine steigende Zuversicht der Verbraucher und die sozialen Ungleichheiten haben sich deutlich verringert.

Polen muss sich selbst gehören

Doch wir sind in den letzten fünfundzwanzig Jahren in eine enorme Abhängigkeit von ausländischem Kapital geraten. Der französische Starökonom Thomas Piketty prägte den Begriff „foreign owned countries“, der dem Ausland gehörenden Länder.

Bloomberg, die angesehene Agentur für Finanznachrichten, berichtete darüber, wie das westliche Kapital Polen und die anderen ostmitteleuropäischen Staaten kolonisiert hat. In einer solchen Wirklichkeit leben wir und wir stehen deswegen vor einer enormen Herausforderung.

Polen produziert sehr viel, doch von dem was wir herstellen bleibt bei weitem nicht alles in unseren Geldbörsen. Jährlich wandern 70 bis 100 Mrd. Zloty (ca. 17 bis 24 Mrd. Euro – Anm. RdP), also vier bis fünf Prozent unseres Bruttoinlandproduktes ins Ausland ab. Das ist das Ergebnis des Entwicklungsmodells, das unsere Vorgänger bewusst eingegangen sind. Eines falschen Modells, wie wir heute wissen. (…)

Wir sind und bleiben ein Bestandteil des Westens, aber das bedeutet nicht, dass wir dieses Modell weiterhin hinnehmen wollen. Wir wollen ein Polen, das nicht nur ein Gegenstand der Wirtschaftspolitik anderer ist, sondern ein Polen, das seine Wirtschaft bewusst, entsprechend seinen Bedürfnissen, selbst gestaltet. Kein Polen, das auf Dauer in der ökonomischen Peripherie vor sich hindämmert, kein Polen der Niedriglöhne, kein Nachschubgebiet billiger Arbeitskräfte und verlängerter Werkbänke der anderen.

Wir brauchen also den Übergang vom Kapitalismus des Konsums auf Kredit, den ausländische Institutionen bei uns Anfang der neunziger Jahre errichtet haben, hin zu einem Kapitalismus der eigenen Ersparnisse sowie modernster Investitionen. (…)

Liberale Dogmatiker behaupten, dass der Markt keine staatlichen Aktivitäten vertrage. Das ist falsch. Ohne den Staat und seine Institutionen kann sich der freie Markt nicht gegen Korruption, Steuerbetrug, Monopole oder unlauteren ausländischen Wettbewerb behaupten. Ohne effiziente und gerechte Gerichte ist der ehrliche Unternehmer chancenlos wenn er gegen Mafia, Filz und Vetternwirtschaft antreten soll. Deswegen sind für die Wirtschaft Behörden wie das Zentrale Antikorruptionsbüro oder zuständige Abteilungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität so wichtig.

Das papierene Polen muss dem digitalisierten weichen

Wir leben heute in einer zunehmend digitalisierten Welt und die Informatik-Begabung der jungen Polen ist ein wichtiges nationales Gut. Der moderne, unternehmerfreundliche Staat setzt auf die Innovationskraft der Informatikbranche in der Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung. Nur so können wir Beamte und Bürger entlasten, unser Steuersystem gegen Betrügereien absichern. Das papierene Polen muss dem digitalisierten Polen weichen.

Sehr wichtig dabei ist die Cyber-Sicherheit, denn die modernen Schlachten im Kampf gegen militärische Aggression, Terrorismus und Kriminalität ereignen sich heute im Cyberspace. Dieser Angelegenheit widmen wir schon jetzt sehr viel Aufmerksamkeit.

Unsere Kinder und Enkelkinder sollen ein Polen errichten, nach dem wir uns sehnen. Wir haben die Bildungsreform durchgeführt, weil das vorherige Modell nicht funktionsfähig war. Die dreijährigen Gymnasien (eine Zwischenstufe zwischen der sechsjährigen Grundschule und dem dreijährigen Lyzeum – Anm. RdP) wurden abgeschafft. Die Rückkehr zum zweistufigen Modell (achtjährige Grundschule, vierjähriges Lyzeum – Anm. RdP) ab dem 1. September 2017 wurde von der Mehrheit der Eltern und Schüler sehr positiv aufgenommen. Alle Proteste und Unkenrufe sind inzwischen verstummt.

Unsere wichtigste Aufgabe besteht jetzt darin, das von unseren Vorgängern sträflich vernachlässigte Berufsschulwesen wieder herzurichten, und zwar so, dass es den Erwartungen des Marktes entspricht. Die Zeiten, als die einzige Hoffnung junger Polen die Auswanderung war, gehen zu Ende. Wir tun alles in unserer Macht stehende, damit junge Polen Arbeit in Polen finden. Keine Zeitarbeit, keine ewigen Werkverträge, sondern feste Anstellungen mit anständiger Bezahlung. Dieser Wandel ist bereits in vollem Gange.

Die Reform des Hochschulwesens und der Forschungsinstitute steht uns erst bevor. Das geplante Forschungsnetzwerk Łukasiewicz (Ignacy Łukasiewicz, 1822-1882, polnischer Chemiker, Erfinder der Petroleumlampe, Pionier der Erdölgewinnung in Europa – Anm. RdP) wird eines der gröβeren in Europa werden. Die polnische Wissenschaft muss einen gröβeren Beitrag zur Modernisierung des Landes leisten, aber sie muss gleichzeitig auch die nationalen Eliten formen. Die Diskussion über diese Reform ist in vollem Gange, die entsprechenden Gesetzentwürfe liegen dem Parlament vor.

Bauernwohl und Sicherheit

(…) Laut Verfassung haben wir eine soziale Marktwirtschaft und nicht die antisoziale, wie sie bei uns nach dem Ende des Kommunismus fünfundzwanzig Jahre lang praktiziert wurde. Erst seit zwei Jahren kann in Polen die Rede von einer sozialen Marktwirtschaft sein.

Dazu gehört auch der Dialog mit den Sozialpartnern, den Gewerkschaften und den Arbeitgebern. Ich möchte mit allem Nachdruck unterstreichen, dass der Rat des Sozialen Dialogs weiterhin der Ort sein wird, an dem wir gemeinsam optimale Problemlösungen für Wirtschaft und Sozialleben ausarbeiten werden.

Im Bereich der Landwirtschaft wollen wir uns darum bemühen, dass unsere Bauern, nach dreizehn Jahren polnischer EU-Zugehörigkeit, endlich genauso hohe Direktzahlungen bekommen wie ihre Kollegen in Westeuropa (Aktuell erhalten polnische Landwirte 86 Prozent des EU-Durchschnitts – Anm. RdP).

Heute bereitet uns vor allem die Afrikanische Schweinepest groβe Sorgen. Sie kommt aus dem Osten und hat bereits die Weichsel überschritten. Wir werden alles tun, um sie aufzuhalten.

Wir werden weiterhin das polnische Agrarland vor dem Ausverkauf an hiesige und internationale Spekulanten schützen (Seit dem 1.05.2016 gilt ein in dieser Hinsicht sehr restriktives Gesetz, u. a. kann nur wer selbst Landwirtschaft betreibt Agrarland kaufen – Anm. RdP).

Wir haben hervorragende Agrarprodukte. Es ist wichtig, dass sie als polnische Markenprodukte auf die europäischen und auβereuropäischen Tische gelangen.

Mit umfangreichen Investitionen wollen wir weiterhin den Bau von Wasserleitungen und modernen Straβen auf dem Land fördern sowie dafür sorgen, dass jede polnische Gemeinde Zugang zum Breitbandinternet bekommt.

Seit zwei Jahren öffnen wir wieder die von unsren Vorgängern in groβer Zahl geschlossenen Polizeistationen auf dem Land. Die Sicherheit unseres Landes und unserer Landsleute zu gewährleisten, ist eine der vorrangigsten Aufgaben, die sich die Regierung von Recht und Gerechtigkeit gestellt hat. Dank dessen sind neunzig Prozent der Polen der Meinung, man fühle sich sicher in unserem Staat. Alle Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute und die Beamten aller Sicherheitsbereiche seien an dieser Stelle versichert, dass der Staat zu ihnen steht.

„Die Schönheit wird uns retten“

Wir stehen an vorletzter Stelle in der EU was die Anzahl der Wohnungen pro tausend Einwohner angeht. Es fehlen bis zu vier Millionen Wohnungen. (…) Seitdem wir an der Regierung sind, stellen wir brachliegende staatliche Grundstücke der Armee, der Post, der Bahn kostenlos für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung.

Einige erste Tausend im Rahmen dieses Vorhabens gebaute Wohnungen werden 2018 in ganz Polen fertig sein. Hunderttausende von Menschen, die zu arm sind, um einen kommerziellen Wohnungsbaukredit zu bekommen, zugleich aber zu viel verdienen, um von der Sozialhilfe Wohnraum zugeteilt zu bekommen, sollen in der Zukunft, dank unserem Programm, eine bezahlbare Bleibe haben. Egal was passiert, gerade dieses Projekt werden wir stetig ausweiten und mit aller Kraft vorantreiben. (…)

Gleichzeitig müssen wir dringend für eine bessere Raumordnung und Ästhetik, die Schonung unserer Landschaft sorgen. Die aktuelle Situation auf diesem Gebiet kann nicht mehr hingenommen werden. „Die Schönheit wird uns retten“, sagte einmal der britische Schriftsteller und Philosoph Roger Scruton. Deswegen wird das Institut für Stadtplanung und Architektur 2018 allgemein verbindliche Richtlinien ausarbeiten. Unseren Kindern und Enkelkindern müssen wir ein gepflegtes und ästhetisch durchdacht gestaltetes Polen überlassen.

Frauen helfend zur Seite stehen

Meine Frau und ich besuchen oft Kinderheime. Ich habe aus nächster Nähe das Leid von drangsalierten Kindern und ihren Müttern gesehen. Wir haben gleich am Anfang unserer Regierungszeit Regelungen durchgesetzt, die verhindern, dass Kinder den Eltern nur deswegen weggenommen werden, weil zu Hause materielle Not herrscht.

Sobald jedoch Gewalt im Spiel ist, muss der Staat eingreifen. Es kann nicht sein, dass malträtierte Frauen mit Kindern vor der Gewalt aus der eigenen Wohnung flüchten müssen. Es kann nicht sein, dass wegen Nachlässigkeit der Gerichte solche Frauen ihren Peinigern jahrelang im Verhandlungssälen begegnen müssen. Gewalt gegen Frauen ist eine Pathologie. Sie hat nichts zu tun mit unserer Kultur und Tradition, in der die Achtung der Frau tief verwurzelt ist.

Die Gewährleistung der Chancengleichheit für Frauen und Männer ist nicht nur unsere Pflicht, sie ist schlicht und einfach ein Gebot menschlicher Solidarität. Die Rolle der Frau und ihre Situation, vor allem wenn sie Mutter ist, gestaltet sich meistens nicht einfach. Wir Männer müssen unseren Schwestern, Töchtern, Ehefrauen und Müttern helfend zur Seite stehen.

Polen gehört heute zu den EU-Staaten, in denen die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern mit am geringsten ausfallen (Eurostat 2016: Polen 6,4 Prozent, Deutschland 21,6 Prozent, EU-Durchschnitt 16,4 Prozent – Anm. RdP). Dennoch gibt es noch viel zu tun in diesem Bereich. Chancengleichheit wird es nur dann geben, wenn wir noch mehr dafür tun, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten.

Schwangerschaft und Geburt, das Leben von Mutter und Kind, müssen einen wirksamen Schutz genieβen. An neuen diesbezüglichen Standards wird bereits gearbeitet, auch was die Linderung von Geburtswehen angeht.

Junge Menschen laufen zwar schneller, aber die älteren kennen den Weg besser. Ein wichtiges Maβ der Reife eines Staates ist sein Umgang mit den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft. Die Achtung vor dem Alter gebietet es, dass wir aus den Erfahrungen unserer Eltern und Groβeltern schöpfen und alles tun, damit sie am täglichen Leben in vollem Umfang teilnehmen können. Dasselbe gilt für Menschen mit Behinderung. Hierfür ist unser umfassendes Programm Wohlwollendes Polen vorgesehen.

Für ein Europa der Vaterländer

(…) Wir befinden uns an einem Wendepunkt des europäischen Projektes. Nachdem sich vor zehn Jahren eine schwere Krise durch die europäische und die Weltwirtschaft gewälzt hatte, mussten viele wichtige Bezugspersonen und viele als gesichert geltende Behauptungen ihren Rückzug antreten. Behauptungen wie: das Kapital habe keine Nationalität, Ungleichheiten sind gut, die Industrie sei ein Überbleibsel des 19. beziehungsweise des 20. Jahrhunderts, je schwächer der Staat umso besser.

Europa ist immer noch dabei sich von dieser Krise zu erholen. Es sucht nach neuen Wegen und neuen Ideen. Die Zukunft des europäischen Vorhabens steht auf dem Spiel. Wir wollen keine EU zweier Geschwindigkeiten. Wir wollen keine neue Spaltung und das Abhängen einiger Staaten. Wir sind nicht einverstanden damit, dass es ein Europa der Besseren und der Schlechteren geben soll.

Immer öfter wird jemand in Europa bevorzugt, und das sind nicht die Schwächeren, sondern die Stärkeren. Liebes Europa, der polnische Baustein passt hervorragend ins europäische Puzzle, aber man darf ihn nicht mit der falschen Seite einfügen oder mit Gewalt einschieben. Wer das tut, der zerstört sowohl das ganze Bild, wie auch unseren Baustein.

Die Umverteilung von Immigranten hat sich nicht bewährt. Es bedarf anderer Lösungen und wir wollen an dieser Diskussion teilnehmen. Europa muss zu den authentischen Werten zurückkehren. Jeden Tag hören wir das Mantra von den europäischen Werten, die meistens gar nicht mehr benannt werden, weil sie, blickt man auf die einst vertretenen Positionen, heute im Widerspruch zu sich selbst stehen, zum natürlichen Recht, zu den traditionellen Werten.

Wir haben auf die europäische Agenda das Thema der Bekämpfung von Steuerparadiesen innerhalb der EU gesetzt. Polen tritt heute energisch dafür ein, die Errichtung des europäischen Binnenmarktes zu Ende zu bringen und die volle Dienstleistungsfreiheit einzuführen. Durch unsere Erfolge bei der Bekämpfung der Umsatzsteuerkarussell-Betrügereien haben wir eine EU-weite Diskussion über dieses Problem entfacht. Die dadurch in der gesamten EU verursachten Verluste werden auf 160 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Das ist mehr als der EU-Haushalt.

Die Wälder sind unser Reichtum. Das verstehen am besten die Forstleute, die sich um sie hervorragend kümmern, wofür ich ihnen danken möchte. Ich möchte daran glauben, dass auch die EU-Behörden das Beste für die Natur in Polen wollen. Ich möchte daran glauben.

Da wir die Urteile des  Gerichtshofes der Europäischen Union respektieren, werden wir seinem Urteil folgen. (Hierbei geht es um den Białowieża-Wald und die Bekämpfung der Borkenkäferplage. Die Hauptverhandlung hat am 12.12.2017 stattgefunden. Das Urteil wird im April 2018 erwartet – Anm. RdP)

Die EU muss das hegen und pflegen, was sie zu einem groβen Vorhaben und einem groβen Erfolg gemacht hat – das Europa der Vaterländer: reich durch seine Vielfalt, beruhend auf dem Dialog, auf gegenseitiger Achtung und Zusammenarbeit. Polen will ein Verfechter guter Veränderungen in der EU sein und sich tatsächlich, und nicht rein formell, an den Entscheidungsfindungen beteiligen. (…)

Die USA sind unser wichtigster Verbündeter

In den letzten zwei Jahren haben wir die Sicherheit Polens bedeutend gestärkt. Die praktische Umsetzung der Beschlüsse des Warschauer Nato-Gipfels (am 8.-9.07.2016 – Anm. RdP), die Anwesenheit verbündeter Streitkräfte und amerikanischer Truppen in Polen, der Ausbau der militärischen Infrastruktur sind ein deutliches Zeichen dafür, dass Polen auf die Unterstützung seiner Alliierten bauen kann.

Wir streben jetzt danach, die Vorhaben der Nato und der EU weitestgehend auf einander abzustimmen. Deswegen haben wir aktiv an der Warschauer Erklärung über die Nato-EU-Zusammenarbeit mitgewirkt. Deswegen beteiligen wir uns an der neu geschaffenen Ständigen Strukturierten (militärischen – Anm. RdP) Zusammenarbeit der EU (Pesco – Anm. RdP).

Doch die Nato ist und bleibt das Fundament unserer Sicherheit und die Vereinigten Staaten sind unser wichtigster Verbündeter.

Wir wollen die groβ angelegte Modernisierung der polnischen Armee dazu nutzen unsere Industrie zu stärken. Die Armee und die Verteidigungspolitik müssen für den Transfer der Produktion von Hochtechnologien nach Polen sorgen.

Wir werden an der Stärkung der Zusammenarbeit der Staaten unserer Region arbeiten. Das betrifft besonders die Visegrád-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei – Anm. RdP) und die Dreimeere-Initiative (Staaten Ostmittel- und Südostmitteleuropas, die zwischen der Ostsee, der Adria und dem Schwarzen Meer liegen – Anm. RdP). Wir wollen unsere Beziehungen zur Ukraine, zu Litauen und zu Georgien vertiefen, aber da bedarf es auch des Willens der jeweils anderen Seite.

Der tragisch verstorbene Staatspräsident Lech Kaczyński war der Meinung, dass die Kraftquelle Polens in Mitteleuropa sprudelt. Nur ein Polen mit einer eigenen Regionalpolitik, im engen Bündnis mit den USA und in enger Zusammenarbeit mit den Staaten Mitteleuropas kann ein gewichtiger EU-Partner sein. Kein Gegenstand, sondern ein Mitgestalter der internationalen Beziehungen.

Er war überzeugt, dass sich Polen ehrgeizigen Zielen stellen solle, wie der Mitgliedschaft in der Gruppe der 20, dem Mitgestalten der EU, Polen solle eine Säule der Nato sein, die Dreimeere-Initiative mit anführen.

Kommt zurück aus der Fremde!

(…) Unser Volk, das sind nicht nur die Bürger der Rzeczpospolita, die in Polen leben. Das sind auch die Polen, die über die ganze Welt verstreut sind, von denen hoffentlich so viele wie möglich zurückkommen werden. Wir werden jedenfalls die staatlichen Repatriierungsvorhaben intensivieren. Insgesamt leben sechzig Millionen Polen auf der Welt (davon ca. 38 Mio. in Polen – Anm. RdP). Als Regierung haben wir Verpflichtungen ihnen allen gegenüber und sie alle haben Verpflichtungen gegenüber ihrem Land.

Andere Staaten werden von uns mit unserem wertvollsten Gut beschenkt: mit unseren Landsleuten, unseren Maurern, Ingenieuren, Klempnern, Lehrern, Ärzten, Informatikern. Wir wollen das nicht. Wir wollen für sie, für Euch hier arbeiten.

Ich glaube daran, dass das was Ihr im Westen sucht, Ihr auch in Polen finden werdet. Ihr könnt hier glücklich und sicher leben. Ihr könnt hier stetig besser verdienen und eine kreative Arbeit finden. Von hier aus möchte ich Euch bitten: Lasst uns gemeinsam ein modernes, starkes und vermögendes Polen aufbauen.

Die Auswanderer haben sich von dem Gedanken leiten lassen: dort ist meine Heimat, wo es mir gut geht. Für unsere Zukunft ist wichtig, dass sich das Prinzip durchsetzt: es geht mir dort gut, wo meine Heimat ist. Dieses „Gutgehen“ bedeutet nicht nur materiellen Wohlstand. Dazu gehören auch eine gepflegte Umgebung, Sicherheit, Herzlichkeit im Umgang miteinander, geistige und kulturelle Werte und ein gerechtes, effektives Justizwesen.

Ein erklärtes Ziel unserer Regierung ist eine gröβtmögliche Zahl von Polen zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen, egal ob aus London oder aus Kasachstan.

Einige persönliche Bemerkungen

Hohes Haus,

am Ende noch einige persönliche Bemerkungen. Mein Vater ist hier anwesend. (Kornel Morawiecki, geboren 1941, Physiker, nach Verhängung des Kriegsrechts in Polen am 13.12.1981  lange Jahre als Untergrundaktivist der Solidarniość tätig. Seit 2015 Sejm-Abgeordneter – Anm. RdP). Er hat mir beigebracht, dass der andere Mensch, dass Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit das Wichtigste sind. Ich danke Dir, dass Du mir das vermittelt hast.

Ich will auch meiner Mutter danken, einer stillen Heldin der Solidarność und der Heldin meines tagtäglichen Lebens. Während der vielen Dutzend Verhöre durch die kommunistische Staatssicherheit hat nichts so sehr weh getan, keine Drohungen, keine Erpressungen, keine anderen höchst unangenehmen Verhörmethoden, wie das Drohen, meinen Nächsten könnte etwas zustoβen.

Uns zum Nutzen, Gott zu Ehren

Hohes Haus,

es nähert sich (am 11. November 2018 – Anm. RdP) der 100. Jahrestag unserer Unabhängigkeit. Nach den 123 Jahren der Dreiteilung war Polen wohl das einzige Land der Welt, in dem es, neben den unendlich vielen anderen Unterschieden, die sich in dieser langen Zeit angehäuft hatten, sowohl den Links- wie den Rechtsverkehr gab. Wer in den Anfängen unserer modernen Unabhängigkeit von Kraków (im ehemals österreichischen Teilungsgebiet – Anm. RdP) nach Warschau (im ehemals russischen Teilungsgebiet – Anm. RdP) fuhr, der musste zuerst auf der linken, dann auf der rechten Straβenseite fahren. Dennoch wurde schnell eine gemeinsame Lösung, ein Kompromiss gefunden. Können wir heute einen Kompromiss finden? Ich denke ja.

Meine Damen und Herren Abgeordnete,

unser Programm, das ist der Wille eine Rzeczpospolita zu errichten, die stolz sein kann auf ihre Wirtschaftsleistung, ein Land finanziell abgesicherter Familien, ein Land, das von anderen bewundert und geachtet wird, das die Früchte unser aller Arbeit gerecht verteilt.

Wir müssen die Temperatur der politischen Auseinandersetzung senken. Es gab einst (zur Zeit des Januaraufstandes 1863-1864 gegen die russische Teilungsmacht – Anm. RdP) bei uns die Spaltung in „Weiβe“ (Liberal-Gemäβigte – Anm. RdP) und „Rote“ (Befürworter des bewaffneten Kampfes – Anm. RdP). Wie damals sollten wir diese verheerende Spaltung verwerfen. Wir sind nicht weiβ und wir sind nicht rot. Wir sind weiβ-rot. Wir sind eine weiβ-rote Mannschaft.

Unser Papst Johannes Paul II. sagte, dass die Freiheit uns nicht gegeben, sondern aufgegeben worden ist. Wir haben sie heute glücklicherweise und sie ist für uns, vor allem, eine groβe Aufgabe und eine groβe Verpflichtung.

Jeder von uns hat einen Traum, ein Ziel, das ihn vorantreibt. Ich denke, dass wir alle von einem sicheren, starken, gerechten Polen träumen. Ich möchte diesen Traum gemeinsam mit Ihnen verwirklichen.

Krzysztof Kamil Baczyński (geboren 1921, Dichter, fiel im Warschauer Aufstand 1944 – Anm. RdP) rief aus: „Aus unseren Armen, so oder so, wird wie ein Vogel das freie Polen steigen empor“. Und ich füge hinzu: Ein solidarisches Polen, ein rechtschaffendes, gerechtes Polen, zu unserem Nutzen, dem Nutzen der künftigen Generationen und Gott zu Ehren.

(Übersetzung und Zwischentitel von der RdP-Redaktion)

RdP




Demut und Fleiss – des Erfolges Preis

Polens Regierungschefin Beata Szydło zieht nach zwei Jahren im Amt Zwischenbilanz. Ein Interview.

Beata Szydło, 54 Jahre alt, wurde am 16. November 2015 als Ministerpräsidentin vereidigt. Sie war sieben Jahre lang Bürgermeisterin der kleinpolnischen Zwölftausendseelen-Gemeinde Brzeszcze (phonetisch: Bscheschtsche) ehe sie 2005 Sejm-Abgeordnete und 2010 stellvertretende Vorsitzende von Recht und Gerechtigkeit (PiS) wurde. Frau Szydło ist studierte Ethnografin und Volkswirtin. Sie ist verheiratet, hat zwei Söhne, einer von ihnen ist katholischer Priester. Das Interview mit ihr erschien im Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 22. Oktober 2017.

Gehören Sie in der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit zu den Falken oder zu den Tauben?

Ich hoffe, ich gehöre einer Gruppe von besonnenen und sachlichen Politikern an, die den Ausgleich suchen. Die politische Dynamik hat es jedoch an sich, dass manchmal sehr entschiedene Reaktionen und deutliche Worte notwendig sind, um sich Gehör zu verschaffen.

Waren die Gesetzentwürfe zur Justizreform, die Recht und Gerechtigkeit im Sejm eingebracht und gegen die Staatspräsident Andrzej Duda (am 24. Juli 2017 – Anm. RdP) sein Veto eingelegt hat, gut?

In Sachen Justizreform bin ich eindeutig eine Falkin. Das waren gute Gesetzentwürfe, auch wenn sie in manchen Kreisen, vor allem in den juristischen, als umstritten galten. Wenn man das Justizwesen grundlegend erneuern will, dann helfen da keine halben Sachen. Es muss ein dezidierter Schnitt gemacht werden. Das war das Ziel dieser Gesetzentwürfe.

Und Sie hatten keine Bedenken, dass der Justizminister und Generalstaatsanwalt in einer Person über die Zusammensetzung des Obersten Gerichts entscheiden sollte?

Auch ein Minister und Regierungsmitglied wird unmittelbar vom Wahlvolk kontrolliert. Er setzt doch ein Programm um, für das sich die Wähler mehrheitlich an den Wahlurnen ausgesprochen haben.

Der Staatspräsident hat seine Vorschläge gemacht. Die Richter, die den Landesjustizrat bilden sollen nicht mit einer einfachen sondern mit einer Dreifünftel-Mehrheit vom Parlament gewählt werden. Zudem soll nicht der Justizminister über die Zusammensetzung des Obersten Gerichtes entscheiden (Letzteres sollte keine dauerhafte, sondern eine einmalige Maβnahme, bei der geplanten Neustrukturierung des Obersten Gerichtes sein. – Anm. RdP). Wird es bei der Justizreform einen Kompromiss zwischen dem Staatsoberhaupt und der Regierungspartei geben?

Ja. In die Diskussion um die Justizreform haben sich zu viele unnötige Emotionen eingeschlichen. Diese Reform ist die wohl schwierigste die wir vorhaben und zugleich diejenige, die von den Menschen in Polen am häufigsten verlangt wird.
Nach dem Doppelveto des Staatspräsidenten zu den Gesetzentwürfen über die Neustrukturierung des Landesjustizrates und des Obersten Gerichtes ist die Umsetzung der Justizreform noch schwieriger geworden. Diejenigen, die alles beim Alten belassen wollen und die uns bekämpfende, wie sie sich selbst nennt, „totale Opposition“, wollen natürlich die Meinungsunterschiede in unseren Reihen nutzen, um uns zu spalten.

Kann die Auseinandersetzung mit dem Staatspräsidenten zu einem Bruch bei der Vereinigten Rechten führen? (Faktisch regiert in Polen eine Koalition, die erwähnte Vereinigte Rechte, aus drei Parteien: der dominierenden Recht und Gerechtigkeit und den kleinen Solidarna Polska (Solidarisches Polen) unter Justizminister Zbigniew Ziobro, sowie Porozumienie (Verständigung) unter Bildungsminister Jarosław Gowin – Anm. RdP).

Szydło: Ich vertraue auf die Vernunft aller Beteiligten. Wenn wir uns spalten lassen, dann verlieren wir. Wir sind eine gemeinsame politische Bewegung und wir müssen uns gegenseitig unterstützen. Dass wir diskutieren, verschiedene Lösungen bevorzugen, ist nichts ungewöhnliches, aber die Diskussionen dürfen nicht mittels der Medien geführt werden, sondern in der Abgeschiedenheit der Arbeitszimmer.

Wer ist heute der Kandidat von Recht und Gerechtigkeit in den künftigen (2020 – Anm. RdP) Präsidentschaftswahlen?

Ich sehe keinen anderen Kandidaten als Andrzej Duda, und ich sehe auch keinen Grund warum wir ihn nicht unterstützen sollten. Ich bin auch sicher, dass er gewinnen wird.

Es wird Ihnen nachgesagt, sie werden vom Recht-und-Gerechtigkeit-Chef Jarosław Kaczyński gesteuert. Hand aufs Herz, wer regiert heute Polen wirklich?

Recht und Gerechtigkeit mit ihren Koalitionspartnern innerhalb der Vereinigten Rechten. Wir haben eine stabile Regierung geschaffen. Die Leitfigur der parlamentarischen Basis der Regierung ist Jarosław Kaczyński. Ich habe nie verheimlicht, dass ich mich mit ihm abspreche. Das ist doch selbstverständlich. Ohne eine feste Beziehung zu ihrer politischen Basis kann auf Dauer keine Regierung funktionieren. Wir haben unsere Aufgaben, es gibt eine Rollenteilung, jeder macht das was in seine Kompetenz fällt und deswegen haben wir eine so groβe Unterstützung. (Seit Sommer 2017 verbucht die Regierungspartei bei Meinungsumfragen einen Zuspruch von bis zu 47 Prozent – Anm. RdP).

Die Opposition behauptet, Polen werde von einem einfachen Abgeordneten regiert.

In demokratischen Wahlen haben die Polen mehrheitlich Recht und Gerechtigkeit und ihren Koalitionspartnern das Mandat zum Regieren gegeben. Ich habe im Wahlkampf offiziell für das Amt des Ministerpräsidenten kandidiert. Mit dem Wahlsieg unserer Partei hat Jarosław Kaczyński seine Führungsqualitäten unter Beweis gestellt und ich bin sicher, dass wir dank ihm eine weitere Legislaturperiode lang regieren werden.

„Keine ferngesteuerte Puppe.“ Beata Szydło im Wahlkampf. Ihre Beziehung zu Jarosław Kaczyński. Ihr Verständnis von Politik. Ihr Privatleben. Mehr hier.

Mögen sie weiterhin James-Bond-Filme sehen?

Ja.

Es wird darüber nachgedacht, die Bond-Rolle an eine Frau zu vergeben, z.B. an Gillian Anderson von der „Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI“ oder an Emilia Clarke von „Game of Thrones“.

Und wie würde dann der Agent 007 heiβen? Jane? (lacht). Eine interessante Idee, aber ich bin auch in dieser Hinsicht konservativ. Das wäre dann nicht mehr James Bond. Den gibt es nur einmal. Aber es käme vielleicht ein guter Film zustande über eine starke Frau in ungewöhnlichen Missionen.

Feministinnen wären mit Ihrer Antwort nicht zufrieden. Sie werfen der Regierung von Recht und Gerechtigkeit vor, sie schränke die Rechte der Frauen ein, dadurch dass sie keine kostenlosen Verhütungsmittel einführt und keinen Anleitungsunterricht zum Sex an den Schulen will.

Ich war und bin keine Feministin. Oft hilft dieses Milieu uns Frauen durch seine Parolen und Kampagnen nicht. Obwohl ich in der politischen Auseinandersetzung sehr hart, oft geradezu brutal angegriffen werde, hat sich niemals auch nur eine Feministin vor mich gestellt. Das enttäuscht. Wer sich eine Feministin nennt, sollte allen auf solche Weise angegriffenen Frauen zur Seite stehen und nicht nur denen, mit denen man übereinstimmt.

Was hat Ihre Regierung für die Frauen getan?

Unsere Regierung ist sehr frauenfreundlich, aber ich mag lieber darüber sprechen, was wir für die Polinnen und Polen gemacht haben, weil ich in diesem Fall die Unterscheidung nach Geschlechtern falsch finde.

Wir haben bereits, oder sind noch dabei, viele soziale und familienfreundliche Neuerungen einzuführen.

● So haben wir die von unseren Vorgängern eingeführte Zwangseinschulung von Sechsjährigen, gegen die es einen breiten Widerstand der Eltern gab, abgeschafft. Ob das Kind mit sechs oder mit sieben Jahren in die Schule geht entscheiden die Eltern. ● Die verbreitete Praxis, dass Kinder nur aufgrund von Armut den Familien weggenommen werden haben wir auch abgeschafft. ● Es gibt jetzt jeden Monat fünfhundert Zloty (ca. 120 Euro – Anm. RdP) für jedes zweite und weitere Kind bis zum achtzehnten Lebensjahr. Die ärmsten Familien erhalten diese Zuwendung bereits ab dem ersten Kind. ● Ein gewaltiges Programm des sozialen Wohnungsbaus läuft gerade an. ● Die Arbeitslosigkeit ist auf einen Rekordtiefstand von etwa sechs Prozent gesunken. Das nützt Frauen wie Männern.

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Polen ist heute ein Land, in dem die Beschäftigungszahl von Frauen in den Führungsetagen eine der höchsten in der EU ist. (Grant-Thornton-Untersuchung „Women in Business 2017”: Frauen besetzten 40 Prozent aller Führungspositionen in der Wirtschaft in Polen, in Deutschland 18 Prozent, im EU-Durchschnitt 25 Prozent – Anm. RdP).

Auch die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern sind bei uns mit die geringsten in der EU. (Eurostat 2016: Polen 6,4 Prozent, Deutschland 21,6 Prozent, EU-Durchschnitt 16,4 Prozent – Anm. RdP).

Was ist für Sie wichtiger: die Justizreform oder das Verbot ungeborene Kinder wegen des Verdachts auf Krankheit zu töten?

So eine Hierarchie gibt es bei mir nicht.

Dennoch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Ihre Regierung und Ihre Partei solche heiklen Probleme meiden, wie z.B. das Verbot der Tötung ungeborenen Lebens, die Änderung des katastrophalen Gesetzes zur künstlichen Befruchtung aus der Tusk-Zeit oder etwa die Rücknahme der polnischen Unterschrift unter der Istanbulkonvention zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, weil diese Konvention die Gender-Ideologie in das polnische Recht einfließen lässt. Das beunruhigt die katholische Öffentlichkeit in Polen.

(● RdP-Anmerkung 1. Abtreibung: im Herbst 2016 wurde im Parlament eine Gesetzesinitiative über ein generelles Abtreibungsverbot in Polen diskutiert. Es handelte sich dabei um keine Regierungs-, sondern eine Bürgerinitiative, unterzeichnet von knapp fünfhunderttausend Menschen. In Anbetracht heftiger Proteste wurde sie auf Initiative von Jarosław Kaczyński abgelehnt.

Kurz darauf hat man das sogenannte „Gesetz für das Leben“ verabschiedet, das Frauen, die ein dauerhaft geschädigtes Kind zur Welt bringen, ein Wiegengeld von viertausend Zloty (knapp eintausend Euro) und viele Vergünstigungen bei Pflege und Therapie des Kindes zugesteht.

In Polen gibt es zurzeit drei Ausnahmen von einem generellen Abtreibungsverbot: Vergewaltigung, Bedrohung des Lebens der Mutter, dauerhafte Schädigung des ungeborenen Kindes.

RdP-Anmerkung 2. Künstliche Befruchtung: das Gesetz wurde im Juni 2015 verabschiedet. Es formuliert zwar Verbote, setzt aber durch Zulassung von etlichen Ausnahmen letztendlich der Produktion, dem Einfrieren, der Selektion „nach Eignung“ und der Vernichtung von menschlichen Embryos keine Grenzen. Die Samenspender genieβen zudem eine uneingeschränkte Anonymität. Trotz vollmundiger Ankündigungen während ihrer Zeit in der Opposition, hat die seit November 2015 regierende Recht und Gerechtigkeit diese Zustände nicht geändert.

RdP-Anmerkung 3. Istanbulkonvention: „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ von 2011. Das Übereinkommen verpflichtet die Unterzeichnerstaaten ausdrücklich die Gender-Ideologie auf allen Gebieten zu fördern und zu übernehmen. Es bezeichnet die Familie und die Tradition als eine Quelle der Gewalt gegen Frauen. Alle in der Konvention aufgezählten Straftatbestände werden ohnedies ausnahmslos nach polnischem Recht geahndet. Auch in diesem Fall hat Recht und Gerechtigkeit ihr Versprechen aus der Oppositionszeit, aus der Konvention auszutreten, bis jetzt nicht gehalten).

Szydło: Gesetzesänderungen, die schwierige Probleme moralischer Natur berühren, müssen gut vorbereitet sein und überlegt eingeführt werden. Erinnern Sie sich bitte, wie heftig vor einem Jahr die Bürgerinitiative für ein Abtreibungsverbot angegriffen wurde. Die Vereinigte Rechte fühlt sich der katholischen Soziallehre eng verbunden. Viele unserer Politiker sind Katholiken, das verbergen wir auch nicht. Um jedoch mit unreifen Vorhaben nicht mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu erzielen, müssen wir vorsichtig vorgehen und pragmatisch denken.

In anderen Angelegenheiten jedoch, z.B. der Justizreform, hat Ihre Regierung keine Angst gehabt die Macht aufgrund der Straβenproteste zu verlieren und durch den Konflikt mit der Opposition, der sich sogar auf die EU ausweitete. Ihr Kabinett setzt also schon Prioritäten.

Das Gewicht dieser Proteste war viel geringer als in der Abtreibungsfrage. Wir regieren erst das zweite Jahr und alles was wir bisher geleistet haben dient der Festigung der grundlegenden Veränderungen, die wir anstreben. Es kommt auch die Zeit für die ethischen Probleme. Wir haben bereits das „Gesetz für das Leben“ verabschiedet. Das ist der Anfang.

Im Augenblick werden Unterschriften gesammelt zu der Bürger-Gesetzinitiative „Stoppe die Abtreibung“, die die sogenannte eugenische Abtreibung, also die Tötung von kranken ungeborenen Kindern unmöglich machen soll. Wenn dieser Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht wird, werden Sie für ihn stimmen?

Dieser Gesetzentwurf wird in unserer Fraktion eine breite Unterstützung erfahren. Ich werde selbstverständlich mit „Ja“ stimmen.

Im Parlament findet gerade die Debatte über die arbeitsfreien Sonntage im Handel statt. Der parlamentarische Sonderausschuss hat sich für nur zwei arbeitsfreie Sonntage im Handel ausgesprochen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Es ist eine Bürger-Gesetzinitiative der Gewerkschaft Solidarność. Etwa vierhunderttausend Menschen haben sie unterschrieben. Die Regierung hat sie mit einer positiven Empfehlung versehen. Ich bin generell für einen arbeitsfreien Sonntag im Handel, doch die Meinungen in unseren Reihen sind gespalten. Ich werde alles tun, um andere für meine Meinung zu gewinnen. Das Ergebnis dieser Debatte ist noch offen.

Im November 2017 sind Sie zwei Jahre im Amt. Alle Umfragen ergeben, dass die Unterstützung für Sie als Regierungschefin, für Ihr Kabinett und die Regierungspartei ständig wächst.

Wir haben uns in den acht schweren Jahren in der Opposition gut auf das Regieren vorbereitet und sind zu den Wahlen im Oktober 2015 mit einem ganzheitlichen Reformprogramm angetreten. Jarosław Kaczyński hat dazu den entscheidenden Beitrag geleistet.

Die Sozialreformen, die ich bereits geschildert habe. Dazu die Bildungsreform. Die erfolgreiche Bekämpfung der ganz groβen Fälle von Korruption. Die Erfolge der Staatsunternehmen, wie der Fluggesellschaft LOT, der Staatsbahn oder des Bergbaus, die inzwischen alle groβe schwarze Zahlen schreiben, während sie in der Zeit unserer Vorgänger dem Ruin und der Korruption preisgegeben wurden. Die Revitalisierung der dahinsiechenden Armee. Das Gefühl in einem sicheren Land zu leben, und das, in einer Zeit der allgegenwärtigen terroristischen Mordanschläge. Das alles honorieren die Bürger.

So viele Erfolge können schnell zu Selbstzufriedenheit und Selbstüberschätzung führen.

Ich habe das WM-Fuβball-Qualifikationsspiel Polen gegen Montenegro (am 8. Oktober 2017 im Warschauer Nationalstadion, Polen gewann 4:2 und qualifizierte sich für die WM in Russland – Anm. RdP) im Fernsehen verfolgt. Als unsere Mannschaft mit 2 : 0 vorne lag, hatte ich den Eindruck, dass sie sich, vom schnellen Erfolg geblendet, bereits nach Russland verabschiedet hatte. Kurz darauf stand es 2 : 2.

Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Deswegen wiederhole ich fast in jeder Kabinettssitzung: nur harte Arbeit und Demut bringen dauerhaften Erfolg.

RdP