Wonach suchen Polens Archäologen




Steueroase PL

Der Reichen Traum, der Armen Trauma.

In den meisten westeuropäischen Staaten sind die direkten Steuern gestaffelt: je höher das Einkommen, desto höher der Steuersatz. Viele wirtschaftliche, soziale und letztendlich moralische Argumente sprechen dafür. Nicht so an der Weichsel. Hier gilt: je vermögender der Bürger, umso geringer die Steuerlast, die ihm der Staat auferlegt.

Das Niedriglohnland Polen (siehe hier) ist zugleich ein Land langer Arbeitszeiten (siehe hier) und ein Steuerparadies für einheimische Reiche sowie ausländische Unternehmen. Den Staat hingegen finanzieren vor allem diejenigen, denen es am schwersten fällt ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Mit anderen Worten: auch in Polen findet eine Umverteilung mittels des Steuersystems statt, nur in umgekehrter Richtung, von den Armen zu den Reichen.

Das Thema Steuerungerechtigkeit in Polen hat der Think Tank „Klub Jagielloński“ („Jagiellonen-Klub“) in einem seiner Berichte aufgegriffen. Der Klub steht der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nahe und ist eine der führenden Denkfabriken des Landes. Sein Ziel: durch Erforschung, Entwicklung und Bewerbung von politischen, sozialen sowie wirtschaftlichen Konzepten und Strategien, Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung in Polen zu nehmen. Nachfolgend eine Besprechung des Berichtes zur Steuerungerechtigkeit. Der Autor ist der „KJ“-Experte Piotr Wójcik.

Einkommenssteuer: wer gut verdient zahlt 1% mehr

Auf den ersten Blick ähnelt die polnische Einkommenssteuer den westeuropäischen progressiven Einkommenssteuern, doch in Wirklichkeit handelt es sich um eine Flat Tax, die die Vermögenden eindeutig bevorzugt. Sie verfügt über lediglich zwei Progressionsstufen (18% und 32%). Der obere Steuersatz von 32% ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie Spanien (42%), Italien und Deutschland (45%) oder Schweden (56%), niedrig. Das wichtigste jedoch ist: diese 32% entrichten in Polen nur 2% aller Einkommenssteuerzahler. Zumeist sind dies hochbezahlte Angestellte im öffentlichen Dienst und unverbesserliche Idealisten, die nicht auf Kosten ihrer ärmeren Mitbürger leben möchten.

Der höhere Einkommenssteuersatz greift zwar schon bei etwas weniger als 7.000 Zloty (ca. 1.750 Euro) monatlich, doch lässt er sich spielend umgehen. Des Rätsels Lösung ist die 19-prozentige lineare Körperschaftssteuer für Unternehmer. Gutbezahlte Fachleute und Manager melden ein Gewerbe an, nur um dem höheren Einkommenssteuersatz von 32% zu entkommen. Sie arbeiten zwar als Angestellte, stellen aber am Ende jeden Monats ihren Arbeitgebern eine Rechnung aus. Auch die Chefs freuen sich, denn für die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen, für die Zahlung des Urlaubs- und Krankengeldes sind die „Auftragnehmer“ zuständig. Darüber hinaus kann man ihnen jeder Zeit fristlos „kündigen“.

Auf diese Weise wurde Polen beinahe zum Europameister auf dem Gebiet der selbständig Beschäftigten. Laut OECD beträgt der Anteil der Selbstständigen an der Gesamtzahl der arbeitenden Bevölkerung 22%. Nur Griechenland (37%) und Italien (25%) haben noch mehr Selbständige, Länder also, die gerade schwere Zeiten durchmachen. In stabilen Wirtschaften ist dieser Anteil deutlich niedriger.

Fazit: in Polen gibt es eigentlich drei Einkommenssteuersätze, und zwar 18% für die groβe Mehrheit, 19% für diejenigen, die mehr als 7.000 Zloty (ca. 1.750 Euro) im Monat verdienen und 32% für eine sehr kleine Gruppe gut bezahlter Angestellter, die, weil sie im öffentlichen Dienst arbeiten oder weil sie moralische Skrupel haben, nicht in die (Schein) Selbstständigkeit wechseln können oder wollen.

Eine Reform der Einkommenssteuer müsste daher die Schaffung einer reellen Progression beinhalten, die z. B. vierstufig (15%, 25%, 35% und 45%) oder zumindest dreistufig (15%, 30%, 45%) sein sollte. Die 19-prozentige Einheitssteuer für Unternehmer und Selbständige müsste abgeschafft und die Einkommenssteuer auf diese Gruppen ausgeweitet werden. Dadurch würde es wesentlich schwieriger, die oberen Steuersätze zu unterlaufen und die Fiktion der Selbstständigkeit wäre beendet. Die Senkung des untersten Einkommensteuersatzes von heute 18% auf zukünftig 15% würde zudem die Kleinstverdiener ein wenig entlasten.

Sozialabgaben: der Geldmann wird geschont

Das Einkommenssteuersystem in Polen ist also de facto linear. Bereits eine Regression (Rückläufigkeit) wird am deutlichsten bei den Sozialabgaben sichtbar.

Der kleine Arbeiter oder Angestellte zahlt Sozialversicherungsbeiträge, die 20% seines Einkommens ausmachen (insgesamt liegen diese Abgaben noch höher, da auch der Arbeitgeber einen Anteil zahlt). Ein Gewerbetreibender hingegen, egal wieviel Gewinn oder Verlust er macht, hat einen pauschalen Beitrag in Höhe von 1.100 Zloty (ca. 275 Euro) im Monat zu entrichten. Das heiβt, ein Selbstständiger oder ein Unternehmer, der im Monat z. B. 50.000 Zloty (ca. 12.500 Euro) verdient, zahlt Beiträge von wenig mehr als 2% seines Einkommens in das Sozialversicherungssystem ein. Prozentual gesehen ist das zehnmal weniger als ein Arbeiter oder Angestellter mit einem festen Arbeitsvertrag und einem Monatsverdienst von 3.000 Zloty (ca. 750 Euro).

Zudem zahlen die Spitzenverdiener unter den Angestellten 20% Sozialversicherungsbeiträge nur bis zu einem Jahreseinkommen von 119.000 Zloty (ca. 29.750 Euro). Alles was darüber hinausgeht, ist nicht mehr sozialabgabenpflichtig.

Würden Unternehmer und Selbständige Sozialversicherungsbeiträge proportional zu ihren Einkommen entrichten, würde das zugleich Zehntausende polnischer Kleinstunternehmer, die oft sehr wenig verdienen, deutlich entlasten. Für sie ist der Sozialversicherungs-Pauschalbetrag von 1.100 Zloty (ca. 275 Euro) monatlich oftmals eine schwere Belastung. Bei niedrigen Gewinnen, oder bei Verlusten, könnten sie weniger zahlen oder ganz und gar befreit werden.

Immerhin zahlen Selbstständige und Unternehmer zumindest etwas in den Sozialversicherungsfond ein. Die reichsten Polen hingegen müssen nichts zusätzlich zahlen, wenn sie ihr Einkommen aus Kapitalerträgen (Dividenden, Anlagezinsen, Aktienverkaufsgewinne) erzielen, denn die sind nicht sozialabgabenpflichtig. Sie werden lediglich mit einer 19-prozentigen linearen Kapitalertragssteuer belastet. In Deutschland und Irland beträgt diese Steuer immerhin 25%, in Skandinavien sogar mehr als 30%. Darüber hinaus werden Kapitalerträge in Polen bei der Berechnung des gesamten Jahreseinkommens nicht berücksichtigt. Diejenigen, die auf dem Kapitalmarkt Geld verdienen und gleichzeitig berufstätig sind, steigen dadurch nicht in der Einkommensteuerkategorie.

Ein Millionär also, der ein hohes Einkommen aus Kapital erzielt, zahlt eine nur um einen Prozentpunkt (19%) höhere Steuer als jemand, der den Mindestlohn erhält (18%). Der Kleinstverdiener muss dann allerdings zusätzlich seine Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 20% entrichten. Der Zinsertrags-Millionär muss das nicht.

Die einfachste Lösung wäre es, Kapitalerträge bei der Berechnung des Gesamteinkommens zu berücksichtigen, so dass diese ebenfalls nach den allgemein geltenden Regeln besteuert würden.

Mehrwertsteuer: für Geringverdiener die gröβere Last

Regressiv wirken sich auch die indirekten Steuern (hier vor allem die Mehrwertsteuer) aus. Sie belasten die Ärmsten in einem viel höheren Maβe, weil diese alles, oder fast alles was sie verdienen, für den Lebensunterhalt aufwenden müssen und meistens nichts auf die hohe Kante legen können. Die ärmsten 20% der Gesellschaft geben, laut Angaben des polnischen Hauptamtes für Statistik (GUS), durchschnittlich 127% ihres Einkommens aus, weil sie ihre Ersparnisse aufbrauchen oder, noch häufiger, weil sie sich ständig aufs Neue verschulden. Die reichsten 20% dagegen, geben nur 71% ihres Einkommens aus. Den Rest sparen sie, legen ihr Geld am Kapitalmarkt an oder geben es im Ausland aus.

Dass indirekte Steuern die Ärmsten am meisten belasten, ist allgemein bekannt. Daher basieren die Steuersysteme von Staaten, denen das Schicksal der gering verdienenden Bürger am Herzen liegt, auf der Besteuerung der Einkommen. Sie sind das beste Mittel zur Milderung von Ungleichheit.

Das polnische System geht den umgekehrten Weg. Im Jahr 2014 machten die Einkommensteuereinnahmen lediglich 18% (in Deutschland 44%) des polnischen Haushaltes aus, während die Mehrwertsteuer mit 47% (in Deutschland mit 32%) und alle indirekten Steuern zusammen mit 72% (in Deutschland mit 46%) zu Buche schlugen. Die indirekten Steuern stellten in Polen somit die Hauptquelle der Staatseinnahmen dar, was auf die starke Regressivität des polnischen Steuersystems hingewirkt hat.

Um diese Tendenz umzukehren, müsste, gleichzeitig mit der Erhöhung der Einkommenssteuer für die Vermögenden, der Basis-Mehrwertsteuersatz schrittweise von heute 23 % auf 20% gesenkt werden. Würde bereits die Erhöhung der Einkommensteuer eine Wende bringen, dann sollte der Mehrwertsteuersatz sogar noch stärker zurückgenommen werden (in der EU darf er die 15% allerdings nicht unterschreiten).

Steuererleichterungen: wer es sich leisten kann

Der einfachste Weg Vermögen zu besteuern, ist die Immobiliensteuer, denn Grundstücke und Gebäude kann man nicht ins Ausland verlagern. In Polen gilt als Bemessungsgrundlage jedoch nicht der Wert einer Immobilie, sondern lediglich ihre Fläche. Jemand der ein altes 300 qm groβes, verfallendes Haus in Janów, einer verarmten Gegend in Katowice besitzt, zahlt 204 Zloty (ca. 51 Euro) Immobiliensteuer. Der Besitzer einer neuen, 200 qm groβen Villa im wohlhabenden Stadtteil Podlesie dagegen zahlt nur 136 Zloty (ca. 34 Euro).

Im polnischen Steuersystem gibt es eine Vielzahl von Steuererleichterungen. Man könnte meinen, das sei gut so, denn auf diese Weise könne die staatliche Unterstützung dorthin gelangen, wo sie am nötigsten gebraucht wird. Doch diese Erleichterungen kommen nur denjenigen zugute, die sich sowieso schon vieles leisten können. Entsprechend funktioniert z. B. das Individuelle Rentenversicherungskonto (poln. IKZE, Indywidualne Konto Zabezpieczeń Emerytalnych), eine freiwillige Form der Alterssicherung. Die Einzahlungen auf dieses Konto können von der Steuer abgesetzt werden. Eine solche Vorsorge können sich jedoch nur Vermögende leisten. Je mehr (Jahreslimit 2015 beträgt 4.750 Zloty also ca. 1.190 Euro) sie auf das Konto einzahlen, umso gröβer ist die Steuerersparnis.

Auch die Steuererleichterung für Bauherren ist für die Reicheren gedacht. Man kann bis zu 65% der Mehrwertsteuer für Baustoffe und Bauarbeiten erstattet bekommen. Je höher also die Baukosten, desto höher die Steuerrückerstattung. Kurzum: Steuererleichterungen mildern in Polen die Regressivität des Systems nicht, sie verstärken sie noch.

Ein weiterer Fall ist das Fehlen der Erbschaftssteuer im engsten Familienkreis. Ihre Einführung könnte den Zweck erfüllen, dass diejenigen, die glücklicherweise in reichen Familien geboren und dadurch schon von Anfang an privilegiert sind, einen kleinen Teil ihrer Erbschaft mit denen, die dieses Glück nicht hatten, teilen. Es geht natürlich nicht darum ein Enkelkind, das eine kleine Wohnung von seiner Oma geerbt hat zu belasten. Um so etwas zu vermeiden, könnte man einen Freibetrag einführen, z.B. in Höhe von 350.000 Zloty (ca. 87.500 Euro) und die Steuer selbst sollte nicht sehr hoch sein.

Derzeit können in Polen Vermögen in Millionenhöhe ohne einen einzigen Zloty Steuerpflicht vererbt werden. Und dies geschieht in einem Land, in dem die ehemalige Nomenklatura aus der Zeit der kommunistischen Volksrepublik Polen, sich während der Privatisierung einen groβen Teil des öffentlichen Vermögens angeeignet hat.

Heute trägt die groβe Mehrheit der gering verdienenden Polen die Hauptlast des Staatsunterhalts. Das zu ändern gebietet nicht nur der Anstand, sondern ist auch ökonomische Praxis. Wie der Internationale Währungsfonds ausgerechnet hat (die Untersuchung wurde in 150 Ländern durchgeführt), verursacht die Erhöhung der Einkommen der unteren 20% der Gesellschaft um nur ein Prozent, eine Beschleunigung des BIP-Wachstums um durchschnittlich 0,4%. Dieselbe Erhöhung der Einkommen innerhalb der oberen 20% der Gesellschaft hingegen, führt zu einer Verringerung des BIP-Wachstums um 0,1%. Langfristig also würden alle, auch die Reichen, von entsprechenden Veränderungen profitieren.
RdP




Araber für Millionen

Bieten und bewundern. Janów Podlaskis Pferdezauber.

Was für ein Anblick, wenn sie sich in der Arena hoch aufbäumen, erhaben schnauben und dann mit donnernden Hufen dahinpreschen! „Pride of Poland“, der Stolz Polens, nennt sich die Araber-Pferdeschau in Janów Podlaski, im Osten des Landes, nur einen Kilometer von der weiβrussischen Grenze entfernt. Dorthin zieht es jedes Jahr im August Schaulustige aus ganz Polen und  betuchte Pferdezüchter aus aller Welt. Höhepunkt ist stets die Auktion, bei der in diesem Jahr ein neuer Rekord aufgestellt wurde: die 10jährige Schimmelstute „Pepita“ ging für 1,4 Mio. Euro in die Schweiz.

Wie „Pepita“ bei „Pride of Poland“ 2015 versteigert wurde, zeigen diese stimmungsvollen Filmaufnahmen.

Polen, seit jeher ein wichtiges Pferdeland, hat sich in den letzten Jahren endgültig zu einer europäischen Groβmacht auf dem Gebiet der Araberzucht hochgearbeitet. Es kann sich heute, als eine von nur wenigen Nationen, dem Wettbewerb mit den weltbesten Haltern in Nahost auf Augenhöhe stellen.

„In Belgien, Deutschland, Italien, in den skandinavischen Ländern, die einst durchaus führend waren, schwächelt die Araberzucht seit einiger Zeit. Sie ist kurzatmig geworden. Die besten Pferde von dort gelangen umgehend nach Nahost. Zu sehr setzt man auf den schnellen Gewinn, aber die Zucht des reinsten Geblütes, mit den wertvollsten Arabern erfordert viel Zeit, Geduld und Anstrengung“, sagt Leszek Świętochowski, der Chef aller staatlichen Gestüte Polens, und erläutert die Vorgehensweise der staatlichen Züchter so: „Wir setzen auf Beständigkeit und nicht auf das schnelle Geld. Die besten Pferde werden nicht veräuβert. In diesem Jahr haben wir zwar einige Prachtstuten zur Auktion freigegeben, aber erst nachdem sie bei uns eine Reihe an Nachwuchs zurückgelassen haben.“

Janów mapa rys.

Die diesjährige Auktion bestätigte wieder einmal, dass sich Ausdauer auszahlt. Für die zweitteuerste Stute „Pistroria“ zahlte ein Käufer aus den Emiraten 665.000 Euro. Von den 28 Stuten, die angeboten wurden, wurden 22 verkauft. Der Gesamterlös betrug 3,95 Mio. Euro.

Kunstwerke die sich vermehren

Bevor die eigentliche Versteigerung die Emotionen zum Sieden bringt, findet die „Nationale Vorführung der Araberpferde“ statt. Staatliche und private Züchter präsentieren ihre besten Hengste und Stuten. Stand, Schritt, Trab, Freilauf, die Vorführer geben ihr Bestes. Eine dreiköpfige Jury bewertet die Pferde in der Arena, vergibt wie am Flieβband maximal zwanzig Punkte jeweils für Typ, Kopf und Hals, Gebäude (Rumpf), Fundament (Beine) und Bewegung. Die abschließende Bewertung ergibt sich aus der Summe der fünf Teilnoten.

Immer neue Pferde erscheinen auf dem Rasen, für einen Laien, eines so schön wie das andere. In den Logen, die Elite der polnischen Entscheidungsträger, Fachleute, Züchter. Monika Luft ist Herausgeberin des Internet-Fachportals „polskiearaby.com“. Für sie sind Araberpferde Kunstwerke: „Es gibt viele Sammler, die solche lebendigen Kunstwerke in ihren Ställen unbedingt haben wollen. Bilder oder Skulpturen können sich nicht vermehren. Araberpferde dagegen sind Meisterstücke die sich reproduzieren. Auch das ist so faszinierend an ihnen.“

Anna Stojanowska, seit Jahren schon im polnischen Landwirtschaftsministerium zuständig für die Pferdezucht, ist eine der Schlüsselfiguren im polnischen Arabergeschäft. Sie genieβt es sichtlich, die Schauen und die groβe Versteigerung als polnische Co-Ansagerin und Co-Auktionatorin, zusammen mit einem eigens angereisten amerikanischen Profi, zu leiten.

„Das Araberpferd ist ein ausgesprochen schönes Tier. Es hat einen kleinen, formvollendeten Kopf, funkelnde Augen, eine graziöse Art sich zu bewegen, typisch ist auch die hohe Schweifhaltung. Die einen suchen Zuchtaraber, die ihnen den besten Nachwuchs garantieren, andere wiederum wollen mit ihnen vor allem bei Schauen reüssieren. Wieder andere wünschen sich in erster Linie ein schönes Reitpferd, und es gibt auch diejenigen, die das alles in einem Pferd vereinigen möchten“, sagt Stojanowska und beeilt sich, der gerade vorbeieilenden Shirley Watts die Hand zu schütteln.

Rolling-Stones-Schlagzeuger Charly Watts mit Ehefrau Shirley bei "Pride of Poland" 2014.
Rolling-Stones-Schlagzeuger Charly Watts mit Ehefrau Shirley bei „Pride of Poland“ 2014.

Die Ehefrau des Rolling-Stones-Schlagzeugers Charly Watts, der 2015 ausnahmsweise nicht mit dabei ist, gehört in Janów Podlaski seit gut drei Jahrzehnten zur Stammkundschaft. Die Ställe und weitläufigen Weiden der führenden britischen Züchterin, gelten geradezu als ein Pferdeparadies. Stets anwesend sind Amerikaner, ebenso wie die zahlreichen Mitglieder und Vertreter arabischer Herrscherfamilien aus den Golfstaaten. Kein Wunder, dass bei der Festlegung des Termins von „Pride of Poland“ stets die Faustregel gilt: nicht früher als zwei Wochen nach dem Ende des Ramadan. Hingegen zum ersten Mal, besuchte 2015 eine chinesische Beobachter-Gruppe die Auktion. Die Veranstalter versprechen sich viel von dieser Erkundungsreise.

Privatisierung wäre das Ende

Die legere Kleidung, die auch von den Besuchern im VIP-Bereich ausnahmslos getragen wird, macht eine Zuordnung, Groβ-VIP, Klein-VIP oder nur VIP-Personal, für einen Nicht-Kenner der Szene fast unmöglich. Doch, will man diese Leute zufriedenstellen, müssen sie Araber präsentiert bekommen, die mit der Zeit galoppieren. Marek Trela, Direktor des Janower Gestüts, fasst das so zusammen: „Pferde, die noch vor 30 oder 25 Jahren die höchsten Preise bei den wichtigsten Championaten errangen, sind inzwischen ganz und gar out. Heute gefallen den Käufern zartere, raffiniertere Erscheinungen mit sehr markant geformten Köpfen am besten.“

Wie es bei den Auktionen in Janów Podlaski zugeht und wie schön die Pferde sind, die in diesem Jahr angeboten wurden zeigt dieser Film.

Jerzy Białobok, Direktor des zweitgröβten, staatlichen Araber-Gestüts in Michałowice, unweit von Kielce in Mittelpolen, der die Stute „Pistoria“ (665.000 Euro) nach Janów Podlaski mitbrachte, schildert die heutige Situation der polnischen Araberzucht: „Dank Janów und Michałowice ist das polnische Zuchtprogramm nach dem Krieg wie Phönix aus der Asche entstiegen. Auf dieser Grundlage entwickeln sich inzwischen viele private Aktivitäten. Es gibt in Polen etwa 1.200 Araber-Stuten, davon befinden sich 350 in staatlichem Besitz. Die gröβten privaten Halter haben bis zu dreiβig Tiere. Doch darauf kann man nicht bauen. Viele Züchter geben nach einiger Zeit auf, weil ihnen der Aufwand zu groβ ist, beziehungsweise weil das Geschäft, aus dem sie ihre Leidenschaft finanziert haben, gelitten hat oder gar zusammengebrochen ist. In den 90er Jahren gab es Pläne, wie vieles andere, auch die polnische Araberzucht zu privatisieren. Das wäre das Ende gewesen. Zum Glück spricht heute niemand mehr davon.“

Sieben Generationen Araberliebe

Das Gestüt Michałowice existiert seit 1953. Janów Podlaski feiert bald sein zweihundertjähriges Bestehen. Doch wie kamen die Araberpferde eigentlich nach Polen?

Fürst Hieronim Janusz Sanguszko (1743-1812) gilt als Bergründer derArabe-Pferderzucht in Polen.
Fürst Hieronim Janusz Sanguszko (1743-1812) gilt als Bergründer derAraber-Pferderzucht in Polen.

Zunächst mit den Türken und Tataren, gegen die das Land seit dem 14. Jh. bis ins späte 17. Jh. fast ständig Krieg führte. Die reguläre Zucht begann jedoch erst nach 1803, als Polen schon dreigeteilt war. Fürst Hieronim Sanguszko, dessen Reichtum als „fast unermäβlich“ beschrieben wurde, schickte seinen Stallmeister Kajetan Burski in die Wüsten Arabiens, mit dem Auftrag bei den Beduinen Araber zu kaufen. Die fünf Pferde, die Burski nach vielen Abenteuern mitbrachte, erweckten viel Bewunderung und Neid.

Nach 1815 holte Graf Wacław Rzewuski, ein Abenteurer und ausgewiesener Kenner orientalischer Kultur, der viel Zeit bei den Beduinen verbracht hatte, nach und nach 137 reinrassige Araber nach Europa und gründete 1817, mit Genehmigung des russischen Zaren, das Gestüt in Janów Podlaski. Die bis heute erhaltenen klassizistischen Gebäude schuf damals der Italiener Enrico Morini.

Graf Wacław Seweryn Rzewuski (1784-1831), in Arabien wie in Polen zu Hause, gründete 1817 das Gestüt in Janów Podlaski.
Graf Wacław Seweryn Rzewuski (1784-1831), in Arabien wie in Polen zu Hause, gründete 1817 das Gestüt in Janów Podlaski.

Der Zweite Weltkrieg vernichtete dann geradezu barbarisch mehr als einhundert Jahre harter Arbeit. Am 7. September 1939 begann die chaotische Evakuierung des Gestüts vor den herannahenden deutschen Truppen gen Osten. Zehn Tage später überfiel die Sowjetunion Polen. Auf überfüllten Straßen, unter dem Beschuss der Tiefflieger, ging es zurück nach Janów, um den Sowjets zu entkommen. Viele Pferde verendeten, rissen aus, wurden gestohlen, doch ein Teil des Bestandes konnte gerettet werden.

Die Deutschen, die sich inzwischen in Janów einquartiert hatten, räumten den Ort im Oktober 1939. Hitler und Stalin teilen sich das besiegte Polen, Janów wurde der Sowjetunion zugeschlagen. Die Sowjets brachten die prächtigen Araber, die sich gerade mal ein wenig erholen konnten, bis ans Kaspische Meer, wo die edlen Tiere, in primitivsten Verhältnissen untergebracht, elend verendeten.

Im Sommer 1940 kam Janów, aufgrund einer Korrektur der sowjetisch-deutschen Demarkationslinie, abermals unter deutsche Besatzung. In den groβen Ställen standen nur noch einige wenige, alte, kranke, fast wertlose Araber. Kommandant in Janów wurde Oberst Hans Fellgiebel, ein Pferdekenner- und Liebhaber, zudem der jüngere Bruder von General Erich Fellgiebel, dem späteren Verschwörer des 20. Juli.

Polen anständig behandelt. Der deutsche Kriegskommendant des Gestütes Janów Podlaski, Oberrst Hans Fellgiebel.
Polen anständig behandelt. Der deutsche Kriegskommendant des Gestütes Janów Podlaski, Oberrst Hans Fellgiebel.

Zusammen mit dem polnischen Gestütsleiter Stanisław Pohoski und seinem Stellvertreter Andrzej Krzyształowicz begannen sie im Auftrag der Wehrmacht die Zucht wiederaufzubauen. Nach dem Krieg gelang es dann Krzyształowicz, als langjährigem Direktor, Janów wieder seine alte Gröβe zu verlehien. Seine Büste ist heute in dem schönen Park, der das Gestüt umgibt nicht zu übersehen.

Direktor Andrzej Krzyształowicz (1915-1999) hat dem Janower Gestüt zu seine heutige Bedeutung verliehen.
Direktor Andrzej Krzyształowicz (1915-1999) hat dem Janower Gestüt seine heutige Bedeutung verliehen.

Oberst Fellgiebels Bemühungen um die Zucht und sein anständiges Verhalten gegenüber der polnischen Belegschaft wurden nach dem Krieg honoriert. Zweimal, 1957 und 1969, hat man ihn in Janów Podlaski überaus freundlich empfangen.

Die befohlene Evakuierung der Pferde vor den heranziehenden Russen konnte aber auch er nicht verhindern. Es begann eine gefährliche und abenteuerliche Odyssee durch Niederschlesien, Sachsen, Böhmen. In einem Auβenbezirk Dresdens überlebte der Transport die verherenden Luftangriffe zwischen dem 13. und 15. Februar 1945. Später beschlagnahmten die Sowjets zwei der besten Pferde, um sie dem amerikanischen General George Patton als Beweis ihrer Freundschaft zu schenken. Erst 1946 gelang es den polnischen Stallmeistern den kläglichen Rest ihrer Schützlinge nach Janów zurückzubringen, zu den schneeweiβen Stallungen mit dem markanten Uhrenturm am Ende einer langen Ulmenallee.

© RdP




Sumpfland-Midas

Am 29. Juli 2015 starb Jan Kulczyk.

Aufwendiger und prunkvoller ging es kaum. Gesperrte Straβen, Polizeiketten, Spaliere von Neugierigen umgaben die Karmeliterkirche in Poznań. Im Inneren spielte Polens herausragender Pianist Janusz Olejniczak das „Wiegenlied“ von Chopin. Kammerorchester, Chor und Solisten stimmten das „Requiem“ von Gabriel Fauré an. Lech Wałęsa hielt die Trauerrede. Etwa eintausend handverlesene Trauergäste wohnten der Totenmesse in den Kirchenbänken und vor der Groβleinwand im benachbarten Zelt bei.

Mitgetrauert haben u. a. die postkommunistischen Politiker Aleksander Kwasniewski (Ex-Staatspräsident), Leszek Miller (einstiger Regierungschef), Ryszard Kalisz (ehem. Justizminister), der ehem. Finanz- und Auβenminister, und Mitbegründer der regierenden Bürgerplattform Andrzej Olechowski usw., usf. Das offizielle Polen vertrat die Gattin des scheidenden Staatspräsidenten Anna Komorowska.

Liegengebliebenes ordnen 

Der Tod ereilte Jan Kulczyk unerwartet, obwohl er ernsthaft krank war. Knapp zwei Jahre zuvor wurde in Detroit in den USA der Versuch unternommen ihm aus der Prostata Krebszellen zu entfernen. Es war ein experimenteller, medizinisch hochtechnologischer Eingriff. Jetzt wurde dieser, da erneut  Krebszellen festgestellt wurden, in Wien wiederholt. Dabei kam es  zu einer Lungenembolie und zum Kreislaufversagen.

Kulczyk wusste, dass er ernsthaft krank war. Nach Außen jedoch spielte er den etwas müde gewordenen älteren Großunternehmer, der sich aus dem Geschäft zurückziehen möchte. Im Januar 2014 übergab er seine Firma Kulczyk Investments an Tochter Dominika (Jahrgang 1977) und Sohn Sebastian (Jahrgang 1980) und begann Liegengebliebenes zu ordnen.

Er ließ den Friedhof Jeżyce (fonetisch Jeschitze), auf dem er jetzt begraben liegt, renovieren und richtete sein „Altersruhesitz“-Büro in Warschau ein. In der ersten Etage musste der Fußboden verstärkt werden. Die automatische Schiebetür  zwischen seinem Arbeitszimmer und dem Sekretariat war zu schwer, weil er sie mit Bronzereliefs des spanischen Bildhauers Joan Miró versehen ließ. Bestellt war auch schon der neue Schreibtisch, gehauen aus einem Basaltfelsen. Außerdem wartete Kulczyk ungeduldig auf sein neues Flugzeug, eine »Gulfstream G650«.

Jammern, klagen, verschweigen

Die Nachricht von seinem Tod schlug in Polen ein wie eine Bombe, und löste im staatlichen Fernsehen und in den Tusk-regierungstreuen Medien, wie der linken Zeitung „Gazeta Wyborcza“, den privaten Fernsehsendern TVN und Polsat, geradezu eine Hysterie aus.

Jerzy Jachowicz, ein aufmerksamer Beobachter der politischen Szene aus dem konservativen Lager, schrieb dazu am 2. August 2015 auf der Internetseite des Polnischen Journalistenverbandes (SDP):

„Es war, als wäre ein Vulkan ausgebrochen. Erinnerungen und Stellungnahmen, lyrisch und sentimental, quollen unablässig aus den Fersensehschirmen und Lautsprechern, wie Lava ins Tal. Kulczyk als Unternehmer, als groβer Unternehmer, als Gigant des Unternehmertums, als Familienvater, als Förderer, Wohltäter, Freund, als Quell der Lebensweisheit, als Stratege, Patriot, Messias, Erlöser des Vaterlandes.“

Noch weiter ging der für seinen Scharfsinn und seine Bissigkeit bekannte Kommentator Rafał Ziemkiewicz am 31. Juli 2015 in seiner Glosse im Internetportal Interia.pl:

„Der Tod eines Menschen ist immer ein trauriges Ereignis, doch der Tod eines sündigen Menschen ist eine wahre Tragödie, weil er ihm endgültig die Chance raubt sich zu bekehren und Buβe zu tun. Eigentlich möchte man die Trauer nicht stören und sie ausklingen lassen, aber auch die Wahrheit muss geachtet werden. Niemandes Tod darf dazu Anlass sein, offensichtliche Lügen zu dulden.“

Marek Król, einst kommunistischer Funktionär, später Groβverleger, heute Kommentator, erinnerte sich am 2. August 2015 im Internetportal „wPoilityce.pl“ („inderPolitik.pl“):

„Ich kannte ihn und traf ihn oft, zwanzig Jahre lang, bis 2010. Kulczyk war ein geradezu verführerischer, überaus liebenswürdiger Mensch. Als ein extrem reicher Mann konnte er sich diesen Luxus leisten. Ich habe ihn dafür geschätzt, dass er mir gegenüber niemals seine wahren geschäftlichen Absichten verheimlicht hat. Polen, auch wenn er das nicht offen zugab, behandelte er wie eine Kolonie, und die Politiker, mit denen er seine Geschäfte tätigte waren für ihn nur käufliche Hampelmänner. Die Erinnerungen dieser Hampelmänner an ihn ergossen sich nun über die Medien und erzeugten eine allgemeine Rührseligkeit, die im umgekehrten Verhältnis stand zu seinen Verdiensten.“

Kapitalist im Kommunismus

Jan Kulczyk wurde 1950 in Bydgoszcz/Bromberg geboren. 1968, nach dem Abitur, ging er nach Poznań, um dort Jura und Auβenhandel zu studieren. Poznań wurde seine Wahlheimat. Dort promovierte er 1975 zum Doktor der politischen Wissenschaften und des Völkerrechts mit einer Arbeit über den Grundlagenvertag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 21. Dezember 1972. Dort arbeitete er eine Zeit lang an dem damals noch sehr renommierten Instytut Zachodni (Westinstitut), der wichtigsten Einrichtung der polnischen Deutschlandforschung.

Kulczyk sprach gut Deutsch, kannte sich in Deutschland bestens aus. Sein Vater, Henryk bekam eine Ausreisegenehmigung und zog bereits Mitte der 50er Jahre nach Westberlin, wo er als Kaufmann viel Geld verdiente. Zuerst vermarktete er tonnenweise polnische Pilze und Blaubeeren, später auch Volkskunst und andere Waren, die das stets devisenhungrige Land anzubieten hatte. Sohn Jan konnte, dank des schwindelerregenden Zloty/D-Mark Wechselkurses auf dem Schwarzmarkt, mit den Beträgen, die der Vater ihm zukommen lieβ, ein sorgenfreies Leben im kommunistischen Polen führen. Zu Kopf gestiegen war ihm dieser Geldsegen nicht.

Über all dem wachte das aufmerksame Auge der polnischen Staatssicherheit, dem solche Familienkonstellationen und Westkontakte stets höchst verdächtig vorkamen. Doch Vater Henryk gab sich immer loyal, unterhielt enge Beziehungen zur polnischen Militärmission in Westberlin, wahrte Distanz zu jeglichen exilpolnischen, antikommunistischen, oppositionellen Aktivitäten. Sohn Jan, der ab und an zu Besuch kommen durfte, hielt es ebenso. Nur auf diese Weise lieβ sich das lukrative Polengeschäft aufrechterhalten.

So kam die Zeit der ersten „Solidarność“, der ersten freien Gewerkschaft die in der Folge der groβen Werftarbeiterstreiks an der polnischen Küste im Sommer 1980 entstand und nach sechzehn Monaten, am 13. Dezember 1981, mit der Verhängung des Kriegsrechts in Polen, verboten wurde. Die sechzehn Monate waren eine Zeit vieler Streiks und Proteste, einer Eruption der Freiheit, wie es sie im kommunistischen Machtbereich noch nie gegeben hatte, und einer gigantischen Versorgungskrise. Mitten im Frieden gab es, auβer Essig, alles nur noch auf Marken zu kaufen: Lebensmittel, Seife, Wodka, Schuhe…

Um Abhilfe zu schaffen, erlaubten die kommunistischen Machthaber den Auslandspolen in der alten Heimat private Firmen zu gründen, die Konsumartikel für den leergefegten Markt herstellen oder importieren sollten. Sie hieβen „firmy polonijne“ (Polonia-Firmen). Polonia wird in Polen die polnische Diaspora im Ausland genannt.

Vater Henryk schenkte daraufhin Sohn Jan eine Million D-Mark und dieser gründete in Komorniki bei Poznań das Polonia-Handelsunternehmen „Interkulpol“, das Chemikalien, Baumaterial und vor allem, eimerweise, eine rosarote Handwaschpaste aus eigener Herstellung verkaufte. Es herrschte Goldgräberstimmung, denn der Markt nahm alles auf, in jeder Menge. Das einzige Problem war: für die erwirtschafteten Zloty-Millionen irgendetwas auf dem bis ins kleinste Detail staatlich regulierten polnischen Markt zu finden, was anschlieβend im Westen mit Gewinn verkauft werden konnte. Dazu bedurfte es sehr guter Beziehungen.

Für die Firmengründer gab es noch weitere Privilegien : grüne Autokennzeichen, mit denen man ohne Bezugsscheine tanken konnte und einen Reisepass, mit dem man das Land nach Belieben verlassen durfte. Der Normalbürger bekam einen Reisepass nur auf Antrag, wenn er ihn überhaupt bekam, und musste ihn nach Rückkehr wieder bei der Polizei, gegen Aushändigung des hinterlegten Personalausweises, abgeben. So lebte und genoss Jan Kulczyk das Kapitalistenleben im tristgrauen kommunistischen Polen der 80-er Jahre.

Vitamin B war seine Hefe

Die Polonia-Firmen waren zusammengefasst in der Polonia Industrie- und Handelskammer „Inter-Polcom“, in der es, wie konnte es anders sein, von verdeckten Stasi-Offizieren und deren Zuträgern nur so wimmelte. Vater und Sohn Kulczyk saβen in den Leitungsgremien der Polonia IHK. Jan war eine Zeit lang sogar ihr Vorsitzender.

Er lehnte, laut Berichten, die sich in seiner Stasi-Akte in der polnischen Gauck-Behörde befinden, die Aktivitäten der Untergrund-„Solidarność“ ab, die er als „krawallmacherisch“ und „verantwortungslos“ charakterisierte. An der Dauerhaftigkeit des Sozialismus hegte er keine Zweifel, äuβerte sich aber kritisch über den mangelnden Reformwillen der kommunistischen Machthaber auf dem Gebiet der Wirtschaft.

Ob diese Haltung echt oder nur vorgetäuscht war, sei dahingestellt. Genauso wichtig wie die enormen Profite, waren die Bekanntschaften und Kontakte, die Jan Kulczyk damals geknüpft hat.

Der Kommunismus schwächelte immer mehr, immer mehr Apparatschiks und Stasi-Leute schauten sich nach Möglichkeiten um, ihre Parteibücher gegen Scheckbücher einzutauschen. Da war z. B. Stasi-Oberst Henryk Jasik, seit 1980 jahrelang stellvertretender Leiter der polnischen Handelsvertretung in Köln, in Wirklichkeit Chef der polnischen kommunistischen Spionage in Westdeutschland. Als Geschäftsmann pflegte Kulczyk enge Kontakte zur Kölner polnischen Handelsvertretung.

Ab 1988 fungierte Jan Kulczyk als erster VW-Generalvertreter für Polen. Sein Bekannter Jasik wurde Mitte 1990 Chef des neugegründeten Verfassungsschutzamtes (UOP) des nun demokratischen Polens. Just in jener Zeit bestellte Jasiks unmittelbarer Vorgesetzter, Innenminister Milczanowski, bei Kulczyk, ohne Ausschreibung, dreitausend VW-Wagen für die polnische Polizei, im Wert von heute etwa 38 Millionen Euro. Viele Kenner der Szene behaupten, der Deal sei zwischen den beiden „Bekannten“ gelaufen.

„Zugang“ war alles

Noch gröβere Abschlüsse sollten folgen. Seine Firma „Kulczyk Holding“, später „Kulczyk Investment House“, seit einiger Zeit „Kulczyk Investment“ spezialisierte sich auf die Beteiligung an lukrativen Privatisierungen groβer polnischer Staatsfirmen.

Der Ablauf war stets der Gleiche. Kulczyk bildete ein Konsortium mit einem groβen ausländischen Konzern, wobei letzterer, dank der guten Beziehungen Kulczyks, die Gewissheit haben konnte, bei Ausschreibungen erfolgreich zu sein. Gemeinsam ging man in das Verfahren, und es gab keinen einzigen Fall, in dem Kulczyk nicht den Zuschlag bekommen hätte. „Der Einkaufspreis war stets »politisch«, der Preis beim Weiterverkauf immer »marktgerecht«“, schreibt Rafał Ziemkiewicz.

So z. B. „privatisierte“ Kulczyk die polnische staatliche Telefongesellschaft, indem er sie der staatlichen (!) France Télécom zuschanzte und dafür sorgte, dass sie das Monopol auf dem polnischen Markt für einige Jahre behielt. „Für Kulczyks Erfolg haben wir damals mit den höchsten Telefongebühren in ganz Europa bezahlt“, berichtet Marek Król.

Nach einiger Zeit verkaufte Kulczyk dann seine Anteile an den jeweiligen ausländischen Partner. Im Falle von France Télécom habe er, so heiβt es, sage und schreibe, 30 Millionen Euro verdient.

Sehr erfolgreich verliefen für Kulczyk ebenfalls die Privatisierungen des Mobilfunkanbieters Polska Telefonia Cyfrowa – mit der Deutschen Telekom, der Versicherungsgesellschaft TUiR Warta SA, der Browary Wielkopolskie (Groβpolnische Brauereien) und, im Juni 2014, des staatlichen Chemie-Konsortiums Ciech.

Umgeben waren diese Geschäfte stets von einer Aura des Zwielichtigen. Es gab Indizien, Hinweise, Anhaltspunkte für groβe und kleinere „Ungereimtheiten“, doch alle staatsanwaltlichen Untersuchungen und sogar die Nachforschungen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses verliefen im Sande.

Als die Regierung Jarosław Kaczyński, nach ihrem ersten Wahlerfolg, in den Jahren 2005-2007 die Geschäfte des „Lieblingsprivatisierers“ ihrer Vorgänger unter die Lupe nahm, und ihn nicht mehr als Partner haben wollte, stilisierte sich Jan Kulczyk zum Opfer „politischer Verfolgungen“, und so hat man ihn auch nach seinem Tod in den zur damaligen Zeit regierungsnahen Medien dargestellt.

Mit dem Antritt der Regierung Tusk, im Spätherbst 2007, war dann alles wieder gut. Abermals standen Jan Kulczyk in Warschau alle Türen offen, und er nutzte, meistens sehr unauffällig, die Möglichkeiten, die sich ihm boten. „Ciech“, seine letzte groβe Privatisierung in Polen, steht inzwischen im Mittelpunkt einer staatsanwaltlichen Untersuchung.

Oligarch mit Stil

In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Kulczyk, von London, Genf oder Wien aus, wo er oft verweilte, seinen Erdöl- und Erdgasgeschäften in Südamerika, Afrika, ja sogar in Aserbaidschan und Afghanistan. Er baute Bürohäuser in Dubai, verwaltete seine Autobahn in Westpolen, kaufte ein Heizkraftwerk im Südosten des Landes usw., usf.

Zwischendurch stach er in See auf seiner 90 Millionen Euro teuren Yacht oder zog sich zurück in sein „Alpen-Schloss“ im schweizerischen St. Moritz. Gehauen in die Felswand des Suvretta-Hanges kostete sie etwa 185 Miillionen US-Dollar. Auf sieben Etagen, davon vier unterirdischen, erstrecken sich viertausend Quadratmeter Luxus pur.

Eine Wand des Speiseraums wurde mit vierundzwanzigkarätiger Goldfolie tapeziert. Das riesige Schwimmbad wird durch Swarovski-Kristalle beleuchtet. Die zehn Meter hohen Fenster gewähren einen atemberaubenden Blick auf das Alpen-Panorama. Die Residenz „The Lonsdaleite“ ist das mit Abstand teuerste Luxusanwesen der Schweiz. Seit Oktober 2017 steht es zum Verkauf, zusammen mit Kulczyks Privatjet »Gulfstream G650«.

Kulczyks schweizerische Residenz ist hier auf Fotos zu sehen.

Über seine Geschäfte redete Kulczyk ungern, umso lieber umgab er sich mit der Aura eines Vordenkers der menschlichen Zivilisation, lieβ die Kunde von seinem Mäzenatentum verbreiten. In dieser Hinsicht gab Kulczyk sein Geld sehr durchdacht aus. Er spendete groβzügig für die Renovierung des wichtigsten Heiligtums der polnischen Katholiken, des Klosters auf dem Hellen Berg in Częstochowa/Tschenstochau. Er gab 5 Millionen Euro für den Bau des Museums der Geschichte der Polnischen Juden in Warschau, er war Sponsor des Polnischen Olympia-Kommitees.

Jan Kulczyks mnumentales Grab auf dem Jezyce-Friedhof in Poznań.
Jan Kulczyks monumentales Grab auf dem Jeżyce-Friedhof in Poznań.

Hochintelligent, belesen, sprachgewandt, bescheiden auftretend, sich stets mild, nachdenklich und versöhnlich gebend, erinnerte er in Nichts an einen Oligarchen aus der nachkommunistischen Welt, wie man ihn sich normaler Weise vorstellt.

Doch seine geschäftlichen Erfolge ergaben sich vor allem aus der Nähe zur Politik. Daraus, „Zugang“ zu suchen und zu finden, Entscheidungsträger für sich zu gewinnen, die das Volksvermögen nach der Zeit des Kommunismus losschlugen um daraus selbst Gewinne zu erzielen. So gesehen war Kulczyk wie der legendäre König Midas, der alles was er berührte in Gold zu verwandeln vermochte.

Wie das funktionierte wird im Nachhinein immer offensichtlicher. Gut zwei Jahre nach seinem Tod müssen seine Erben dem polnischen Staat etwa eine Milliarde Zloty (ca. 240 Mio. Euro) zurückgeben. So entschied es im August 2017 die EU-Kommission. Kulczyk gehörte das 149 Kilometer lange Teilstück der Autobahn Warschau-Berlin (A 2) zwischen Konin und Nowy Tomyśl. Zehn Jahre lang erhielt er, aufgrund eines allzu „günstigen“ Vertrages mit der postkommunistischen Regierung Leszek Miller, aus Warschau zu hohe Zuschüsse für den Lkw-Verkehr auf seiner Autobahn.

Gut einen Monat vor seinem Tod verlieh ihm der damals bereits scheidendne Staatspräsident Komorowski noch das Offizierskreuz des Ordens der Wiedergeburt Polens (Polonia Restituta).

Jan Kulczyk wurde neben seinem Vater Henryk, der zwei Jahre zuvor gestorben ist, bestattet.

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Untergang mit Rabatt

Preiskämpfe beschädigen den Buchmarkt.

„Lese mit Rabatt – 25%!“, „Unsere Top-Sonderangebote: – 40%!“, „Alle Neuerscheinungen 10% billiger!“ In den polnischen Buchhandlungen tobt der Preiskampf, in grellen Farben locken die Schnäppchen. Auf er Strecke bleiben immer mehr kleine Buchläden. Eine einjährige Preisbindung für Neuerscheinungen könnte den Markt stabilisieren.

„Was bei uns stattfindet ist nicht gut, die Lage ist dramatisch“, sagt Tadeusz Zysk, Eigentümer von „Zysk i S-ka“, eines der gröβten Verlagshäuser des Landes. „Verleger legen von vorne herein hohe Preise fest, da die Händler nicht schon am ersten Verkaufstag mit bis zu vierzigprozentigen Preisnachlässen auf Kundenfang gehen. Der ruinöse Preiskampf der dann allerdings folgt, vernichtet unseren Buchmarkt“.

Der Preiskrieg tobt, weil Leser rar sind. Der Trend geht nicht einmal hin zum „Erstbuch“. Laut Umfragen, gaben nur knapp 42% der Polen über fünfzehn Jahre an, 2014 wenigstens ein Buch gelesen zu haben.

Auch andere Daten sind wenig erfreulich. Polens Anteil am gesamten EU-Buchumsatz betrug 2013 mickrige 3%. Ende 2013 gab es zwar 38.000 Verlage, aber auf nur knapp dreihundert von ihnen entfielen 98% aller Einnahmen auf dem Buchmarkt. Die Zahl der gedruckten Titel wächst, die Auflagen fallen. Es gibt 1.850 Buchhandlungen im Land, in den letzten fünf Jahren ist ihre Zahl um 700, und somit um 30% geschrumpft. Buchhandelsketten, wie „Matras“ (180 Verkaufsstellen) oder „Empik“ (190), beherrschen den Markt, Lebensmitteldiscounter verkaufen Paperbacks an den Kassen, und kleine Buchhandlungen sterben, weil sie beim Preisesenken nicht mithalten können.

Die Polnische Buchkammer (Polska Izba Książki – PIK), in der Verleger, Buchhändler, der Groβhandel und Buchdrucker Mitglied sind, hat einen Gesetzentwurf vorbereitet. In Polen soll es künftig eine einjährige Buchpreisbindung für Neuerscheinungen geben.

„Bücher sind keine Allerweltsware, und selbst die wird im Regelfall nicht bereits am ersten Verkaufstag im Preis herabgesetzt. Bücher sind ein wertvolles Gut, ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Zivilisation, der Kultur, der Wissenschaft. Buchhandlungen mit einem weitgefächerten Angebot, und nicht nur mit Kochbüchern und Krimis, die sich am besten verkaufen, muss es auch in der tiefsten Provinz geben. Doch es werden immer weniger“, so Włodzimierz Albin PIK-Chef und Betreiber eines Verlages für juristische Fachliteratur.

Die Ideengeber hoffen, die einjährige Buchpreisbindung werde den Kundenschwund in kleinen Buchhandlungen, hin zu den rabattträchtigen Filialisten, stoppen. In Deutschland gilt sie mindestens für achtzehn, in Frankreich gar für vierundzwanzig Monate. Elf europäische Länder haben solche Regelungen, und dort wo sie gelten, so PIK-Chef Albin, haben sie sich positiv ausgewirkt.

Der ununterbrochene Preiskampf kostet viel Geld, mit dem man das Angebot erweitern, die Kundschaft mit Werbung, Lesungen und Signierstunden locken könnte, damit die verkauften Auflagen steigen. Im Durchschnitt wird ein Buch in Westeuropa in fünfzehntausend Exemplaren gedruckt, in Polen sind es lediglich dreitausend. Bei vergleichbaren Herstellungskosten wie in Deutschland, bleibt für den Verleger und den Händler daher nicht viel übrig.

Bei den Buchhandelsketten ist man geteilter Meinung. „Matras“-Chef Stanisław Wierzbicki sagt, dass seine Firma auch jetzt Lesungen und Autorenreisen veranstaltet. Sollte die Buchpreisbindung kommen, werden die Verlage nur sehr maβvoll von ihr Gebrauch machen können. „Niemand kann uns zwingen Bücher zu überhöhten Preisen einzukaufen, nur damit sie die Regale füllen. Bei dem überwiegend niedrigen Lohnniveau in Polen kann das sehr schnell passieren.“

Anders „Empik“-Direktor Michał Tomanek. „Preisbindung ist gut für den Markt. Das Beispiel Frankreichs zeigt, dass die Auflagen mit der Zeit steigen und die Preise fallen. Wir hoffen, dass es auch in Polen so sein wird.“

Der Gesetzentwurf über eine Buchpreisbindung wird seit April 2015 im Parlament in den Ausschüssen diskutiert. Die Regierende Bürgerplattform (PO) ist strikt dagegen. Ihr kleiner Koalitionspartner, Bauernpartei (PSL) ist dafür, genauso wie die Nationalkonservativen von Recht und Gerechtigkeit (PiS) und die Postkommunisten (SLD). Dass das Gesetz vor den für Oktober 2015 anberaumten Parlamentswahlen verabschiedet wird, gilt als unwahrscheinlich. Der Entwurf wird, wie alle anderen nicht verabschiedeten Gesetzesvorlagen, verfallen und im neuen Parlament neu eingebracht werden müssen. So sind die Regeln.

Die Rabattschlacht im Buchhandel geht vorerst uneingeschränkt weiter.

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Neuer Staatspräsident. Neue Deutschlandpolitik?

Es wird Veränderungen geben.

Die innenpolitische Entwicklung in Polen: Abwahl des „deutschfreundlichen“, so das „Handelsblatt“ am Tag nach der Entscheidung, Staatspräsidenten Komorowski im Mai 2015 und das sehr wahrscheinlich bevorstehende Wahldesaster der Tusk-Partei Bürgerplattform bei den Parlamentswahlen im Oktober 2015, treiben deutschen Politikern und Journalisten tiefe Sorgenfalten auf die Stirn.

Deutsche Politik und deutsche Medien haben jahrelang ausschließlich und alles auf Komorowski und Tusk gesetzt. Beides „pflegeleichte“ Politiker, wie es „Der Spiegel“ im Dezember 2013 freimütig formulierte, auf deren Beflissenheit stets Verlass war. So gesehen kommt ihnen der neue Staatspräsident Andrzej Duda, für den sie, als Kandidaten, nur Hohn und Spott („Pappkamerad“, „Mr. Nobody“) übrig hatten, sehr ungelegen.

Das Staatsoberhaupt und die Auβenpolitik

Als „oberstem Vertreter der Republik Polen“ gewährt die Verfassung dem Staatspräsidenten einen nicht geringen Spielraum auf dem Gebiet der Auβenpolitik. Ohne seine Ratifizierung kann kein von Polen eingegangenes internationales Abkommen in Kraft treten. Staatspräsident Lech Kaczyński z. B. hat Berlin in Rage gebracht, weil er sich die Freiheit nahm und als einer der letzten in Europa im Namen Polens seine Unterschrift unter den Lissabonner Vertrag setzte. Er wollte die Iren nicht auch noch unter Druck setzten und abwarten, bis das irische „Ja“ (oder „Nein“) im zweiten Referendum (das erste fiel negativ aus) feststand.

Staatspräsidente Lech Kaczyński unterschreibt am 10. Oktober 2009 den Lissabonner Vertrag.
Staatspräsident Lech Kaczyński unterschreibt am 10. Oktober 2009 den Lissabonner Vertrag.

Der Staatspräsident vertritt Polen bei seinen Besuchen im Ausland. Ohne seine Zustimmung kann kein polnischer Botschafter ernannt werden. Er kann durchaus eigene Schwerpunkte in der Auβenpolitik setzten.

Lech Kaczyński hat das viele Male vorgemacht, z. B. als er im August 2008 die Staats- bzw. Regierungschefs der baltischen Staaten und der Ukraine dazu bewog, gemeinsam nach Tiflis zu fliegen, um sich mit Georgien solidarisch zu zeigen, als russische Truppen im Anmarsch auf die Hauptstadt waren.

Andrzej Duda war Lech Kaczyńskis engster Mitarbeiter. Seine Vereidigung zum Staatspräsidenten soll am 6. August 2015 stattfinden. Bis dahin will er sich, in dem ihm zur Verfügung gestellten kleinen Palais im Zentrum von Warschau, auf die Amtszeit vorbereiten, seinen Berater- und Mitarbeiterstab zusammenstellen, ausländische Politiker empfangen. US-Präsidentschftskandidat Jeb Bush, Kanadas Regierungschef Stephen Harper, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg waren seine ersten Gäste.

Das kleine PalaIs in der Warschauer Foksalstrasse dient Andrzej Duda, bis zu seiner Vereidgung am 6. August 2015, als vorläufiger Amtssitz.
Das kleine PalaIs in der Warschauer Foksalstrasse dient Andrzej Duda, bis zu seiner Vereidgung am 6. August 2015, als vorläufiger Amtssitz.

Welche Akzente wird Andrzej Duda in der Auβenpolitik und insbesondere in den Beziehungen zu Deutschland setzten? Eine ganzheitliche, programmatische Aussage von ihm zu diesem Thema gibt es (noch) nicht. Eckpfeiler jedoch sind anhand von Dudas Äuβerungen im Wahlkampf und der Darlegungen seiner auβenpolitischen Berater (Prof. Krzysztof Szczerski und Dr. Witold Waszczykowski) sehr deutlich erkennbar.

1. Duda: Hauptziel ist die Wahrnehmung und Umsetzung nationaler polnischer Interessen mit Hilfe einer aktiven und selbständigen polnischen Auβenpolitik. Einer Politik des „regen Dialogs mit unseren Partnern“. Ausgangspunkt dieses Dialogs muβ die realistisch eingeschätzte Gemeinsamkeit oder der Widerspruch der Interessen sein. „Wir werden einen Staatspräsidenten erleben, der mit Nachdruck über die polnischen Anliegen reden und andere wirksam von der Richtigkeit unserer Argumente überzeugen kann“, so Prof. Szczerski im Wochenblatt „Gazeta Polska“ („Polnische Zeitung“) vom 27. Mai 2015.

Duda-Berater Prof. Krzysztof Szczerski.
Duda-Berater Prof. Krzysztof Szczerski.

Tusks Politik hat Berlins kühnste Träume übertroffen

Der deutschen Politik und den deutschen Medien bereiten solche Aussichten sichtlich Kopfzerbrechen und Kummer. Sie waren bis jetzt anderes gewohnt. Der Wahlsieg Donald Tusks im Herbst 2007 und der tragische Tod  Staatspräsident Lech Kaczyńskis im April 2010, der in Deutschland als „rückwärtsgewandter Störenfried“ galt, haben in Deutschland ein kaum kaschiertes Aufatmen ausgelöst. Es begann eine Zeit, in der Polen von der deutschen Politik „nicht mehr als Problem betrachtet“ werden musste, wie es der scheidende polnische Botschafter in Berlin, Prawda im „Tagesspiegel“ im August 2012 gleichsam stolz und ehrerbietig verkündete.

Marek Prawda, bis 2012 ppolnischer Botschafter in Berlin. Vollzug gemeldet: Polen kein Problem mehr für die deutsche Politik.
Marek Prawda, bis 2012 polnischer Botschafter in Berlin. Den Deutschen Vollzug gemeldet: Polen kein Problem mehr für die deutsche Politik.

Tusks neuer Kurs in der Auβenpolitik hat Berlins kühnste Träume übertroffen.

A. Tusks Polen lockerte deutlich seine Beziehungen zu den USA.

B. Tusks Polen nahm Abschied von einer eigenständigen Ostpolitik: Polen bündelt, koordiniert und vertritt in enger Zusammenarbeit und Absprache mit möglichst vielen ost- und mitteleuropäischen Staaten deren Interessen in Brüssel und gegenüber der „West-Nato“ und der „West-EU“ in der Sicherheits-, Energie-, Klima- und Agrarpolitik. Nur so bekommen diese Staaten ein politisches Gewicht, das sie allein niemals aufbringen können. Die Aufgabe dieses auβenpolitischen Kurses durch Tusk und Komorowski hat der deutschen Politik das Leben um ein Vielfaches leichter gemacht.

C. Tusks Polen nahm Abschied von der eisernen Regel: Polen spricht mit Moskau niemals über die Köpfe der Staaten hinweg, an die es im Osten grenzt: der Ukraine, Weiβrusslands, des Baltikums. Stattdessen ernannte Tusk Polen zum Mitglied im „EU-Klub der Groβen“ (Deutschland, Frankreich, Großbrittanien, Italien, Spanien). Zu einem Land, dass direkt mit Moskau redet und die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit Putins Russland, ungeachtet der Menschenrechtslage und des russischen Machtgebarens, genauso wie die anderen erwähnten Staaten um jeden Preis vorantreibt.

Diese Politik, bis zur Selbstverleugnung betrieben, legte, als gröβtes Geschenk, Putins Russland die ganze Untersuchung der Smolensk-Katastrophe in die Hände. Das Wrack der Unglücksmaschine ist bis heute nicht nach Polen gebracht worden.

Der Ukraine-Krieg hat Tusks Russlandpolitik zum Einsturz gebracht. Vorher aber hat diese Politik das Ansehen Polens bei seinen unmittelbaren Nachbarn im Osten ganz und gar ruiniert.

Tusk und Komorowski haben die „Störenfried-Politik“ Warschaus beendet. Sie behinderte nicht länger die reibungslose Umsetzung der deutschen Russlandpolitik, die zumeist nach den Standards und Vorlagen eines „Gasprom-Gerhard“ Schröder („Putin ein lupenreiner Demokrat“) geführt wurde.

Führe, Deutschland! Tusks und Sikorskis Berliner Huldigung

D. Tusks und Komorowskis Polen erhob die Anpassung an die deutsche Auβenpolitik praktisch zur Staatsdoktrin. Ihre höchste Vollendung fand diese Doktrin in der berühmten „Berliner Huldigung“, wie der Akt der Unterwerfung seitdem in Polen genannt wird.

Tusks Auβenminister Sikorski. Führe, Deutschland! Polen wird sich selbst abwickeln.
Tusks Auβenminister Sikorski. Führe, Deutschland! Polen wird sich selbst abwickeln.

Tusks Auβenminister Sikorski fuhr Ende November 2011 eigens nach Berlin, um Deutschland offiziell Polens „Juniorpartnerschaft“ anzubieten. In seiner, ansonsten auf Englisch gehaltenen, Rede huldigte er Deutschland in deutscher Sprache: „Ich danke Ihnen als Politiker und als Pole“. Er bat Deutschland darum die Führungsrolle in Europa zu übernehmen. Er versprach, der polnische Staat werde sich in einem künftigen, vereinigten, von Deutschland geführten Europa weitestgehend selbst abwickeln und seine Kompetenzen nur noch auf Fragen der „nationalen Identität, der Religion, des Lebensstils, der öffentlichen Moral und der Einkommens- und Mehrwertssteuersätze“ beschränken, ansonsten jedoch alles in die Hände Berlins legen. Den verzauberten deutschen Gastgebern stellte Sikorski hingebungsvoll in Aussicht: „Wenn ihr uns in den Entscheidungsprozess einbindet, könnt ihr auf unsere Unterstützung zählen“.

Die Hackordnung war damit festgelegt, doch für den von Sikorski erhofften Posten des Nato-Generalsekretärs oder wenigstens eines EU-Kommissars hat es dennoch nicht gereicht.

Ob EU-Kilmapolitik, die die polnische Steinkohle und damit Oberschlesien als Industrierevier endgültig stilllegen soll. Ob die Ukraine-Krise, in der Tusk auf die aktive Beteiligung Polens an deren Lösung, auf „Anraten“ Berlins und Moskaus, schnell verzichtet hat. Ob die Frage der polnischen Minderheit in Deutschland und viele andere… Für Tusk und Komorowski galt uneingeschränkt, wie in der katholischen Kirche: Roma (Berlin) locuta, causa finita – Berlin hat gesprochen, der Fall ist erledigt.

Tusk hat es immerhin geschafft den ersehnten Posten des EU-Ratsvorsitzenden zu bekommen.

E. Tusks Wirtschaftspolitik war schlicht und einfach: Das Billiglohnland Polen hat seine historische Erfüllung gefunden als verlängerte Werkbank der deutschen Industrie und, wie eh und je, als Zulieferer frischer, williger, schnell integrierbarer und preiswerter Arbeitskräfte nach Deutschland.

Von der Taz bis zur FAZ

„Wenn einem so viel Gutes widerfährt…“ Deutsche Medien und die deutsche Politik haben über ihrem polnischen Favoriten einen breiten Schutzschirm aufgespannt. Während der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sich unter einem Dauerbeschuss deutscher Medien befand, waren „unser Mann“ Donald Tusk und das „System Tusk“ unangreifbar: populistische Versprechungen, Amtsmissbrauch, Korruption, Filz, Kolonisierung der öffentlichen und privaten Medien, Verdopplung der Staatsschulden, gigantische Geldverschwendung, Enteignung der Pensionsfonds, die Verwandlung des Parlaments in eine Abstimmungsmaschinerie der Regierung…

Es galt das Prinzip der drei Affen: „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“. Von der Taz bis zur FAZ, vom ZDF bis zum Deutschlandfunk: gleichgeschaltet, oft bis in kleinste Details, in ihrer Polen-Berichterstattung, hielten die deutschen Medien, durch eine Legion von Korrespondenten in Warschau vertreten, Donald Tusk und den Seinen eisern die Treue. Wenn es etwas in Tusk-Polen zu beanstanden gab, dann nur das Noch-Vorhandensein einer, zeitweise, vor allem nach der Smolensk-Katastrophe 2010, fast schon ghettoisierten, Opposition, mit ihren „Monsterfiguren“: Jarosław Kaczyński und dem Radio-Maryja-Begründer Pater Rydzyk.

Was Wunder, dass die deutsche Politik und die deutschen Medien erhebliche Probleme damit haben, die demokratische Entscheidung der Polen hinzunehmen. Zu akzeptieren, dass in einer Demokratie irgendwann die Opposition an die Macht kommt. Wie gerne würde man in Berlin die Beziehungen zu Polen, wie gehabt, weiterhin auf das Niveau der alle fünf Jahre stattfindenden Jubelfeiern zu Ehren des polnisch-deutschen Nachbarschaftsvertrages reduzieren…

Keinen Euro, bitte!

2. Duda: EU-Mitgliedschaft auf jeden Fall, ja, aber die Einführung des Euro, wenn überhaupt, dann in ferner Zukunft, wenn Polen das Wirtschafts- und Sozialniveau führender westeuropäischer Staaten erreicht hat.

Die deutsche Politik und die deutsche Wirtschaft dagegen drängen auf eine baldige Übernahme des Euro durch Polen und haben auch in dieser Frage in Donald Tusk (er versprach im September 2008, den Euro werde es in Polen schon 2011 geben) und Staatspräsident Komorowski treue Verbündete gehabt, nicht jedoch in der polnischen Bevölkerung.

Rolf Wilhelm Nikel. Deutscher Botschafter in Warschau.
Rolf Wilhelm Nikel. Deutscher Botschafter in Warschau.

Der deutsche Botschafter in Warschau, Nikel, hat die deutsche Haltung im November 2014 mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht, in dem er sich, wie selbstverständlich, direkt in die polnische Euro-Debatte einmischte. Deutschland sei sehr positiv zu einem schnellen Eintritt Polens in die Euro-Zone eingestellt. Mit groβem Bedauern sehe man, dass vor der Krise die polnische Öffentlichkeit eine sehr gute Meinung über die gemeinsame Währung hatte, während jetzt nur noch 25 bis 30 Prozent der Polen den Euro haben wollen. Er, Nikel, sei Staatspräsident Komorowski dankbar dafür, dass er die Debatte über die Euro-Einführung begonnen habe, weil sie notwendig sei.

Komorowski hat, ganz in Nikels Sinn, die Notwendigkeit der Übernahme des Euro den Polen geradezu gebetsmühlenartig eingetrichtert, was sicherlich zu seiner Wahlniederlage beitrug.

Sicherheit vor Russland

3. Duda: Angleichung der Sicherheitsstandards zwischen „Nato-West“ und „Nato-Ost“. Nicht nur gemeinsame Manöver, sondern ständige Anwesenheit von Nato-Truppen an der Ostflanke des Bündnisses, vor allem im Baltikum und in Polen.

Die deutsche Politik und die deutsche Öffentlichkeit lehnen das mehrheitlich rundweg ab.

4. Duda: Angesichts der deutschen Haltung (siehe oben) benötige Polen umso mehr die ständige militärische Präsenz und ein Höchstmaβ an ständigem politischen und wirtschaftlichen Engagement der USA in Europa.

In Deutschland stöβt das weitestgehend auf Ablehnung.

5. Duda: Rückkehr Polens zu seiner ursprünglichen Ostpolitik (siehe Punkt 1B und 1C).

Polen will grundsätzlich gute Beziehungen zu Russland unterhalten, doch die politischen Ziele beider Staaten sind oft völlig andere. Die Grundlage des Dialogs mit Russland müssen bilden: das Achten des Völkerrechts durch Russland (Ukraine – Anm. RdP), die historische Wahrheit (Katyń-Mord, unterlassene Hilfe für den Warschauer Aufstand 1944 usw. – Anm. RdP), Bereitschaft zur lückenlosen Aufklärung der Smolensk-Katastrophe, Abkehr von der russischen Embargopolitik auf dem Agrarsektor.

Deutschland, das seit einiger Zeit im Alleingang die EU-Russlandpolitik führt, will dabei ungern behelligt werden. Die „polnische Einmischung“ brächte nur Probleme mit sich.

Mit Deutschland ernsthaft reden

6. Frage an Duda-Berater, Prof. Szczerski im Gespräch mit der Zeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 11. Juni 2015: „Werden sich unsere derzeitigen Beziehungen zu Deutschland ändern? Sie haben sie seiner Zeit als geradezu vasallisch bezeichnet, weil unser Land auf das Kleinstmaβ eines deutschen Klienten geschrumpft ist“.

Szczerski: „Ich gebrauche solch eindeutige Worte nur selten, rede lieber davon, dass unsere Beziehungen zu Deutschland weitgehend auf einer Asymmetrie zu unseren Ungunsten beruhen. Das muss korrigiert werden, im Sinne einer beiderseitigen Achtung und eines auf Zusammenarbeit ausgerichteten Dialogs. (…) Es gibt keine zwei Staaten mit identischen Zielen. Es wird also auch Auseinandersetzungen geben, aber gerade deswegen hat man die Diplomatie erfunden.“

So sieht der Abschied von der Tusk-Komorowski-Deutschlandpolitik aus, hin zu einem normalen, zwischenstaatlichen Dialog auf gleicher Augenhöhe. Sollte Dudas Partei, Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Herbst an die Regierung kommen, dürfte sich diese Veränderung, egal ob man sie „Wende“ oder „Korrektur“ nennt, schnell einstellen.

Dass man das in Deutschland sehr ungern, aber notgedrungen, zur Kenntnis nimmt, beweist die FAZ. Nach wochenlanger Duda-Schelte, Duda-Hohn und Duda-Hysterie (Intoleranz, „Orbanisierung“ Polens, EU-Feindlichkeit usw.) während des polnischen Wahlkampfes, hat sich das Blatt zu Prof. Szczerski begeben und ihn nach den auβenpolitischen Absichten des neuen polnischen Staatsoberhauptes gefragt. Herausgekommen ist in dem Bericht eine Beschwichtigung nach dem Motto: alles halb so wild, Geschichte spielt keine Rolle mehr, es wird fast genauso weitergehen wie bisher.

Duda-Berater Dr. Witold Waszczykowski.
Duda-Berater Dr. Witold Waszczykowski.

„Wunschdenken?“ titelte daraufhin das angesehene Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“) und fragte den Duda-Berater Dr. Waszczykowski: „Die FAZ hat verkündet, dass es nur eine „leichte Korrektur“ des auβenpolitischen Kurses geben wird. Im Prinzip wird sich nichts ändern. Ist das richtig?“

Waszczykowski: „Es ist nicht der richtige Augenblick, um das bekannt zu geben. Eines ist jedoch wichtig: wir werden zu klaren Aussagen in unserer Auβenpolitik zurückkehren, um unsere nationalen Interessen wahrzunehmen. Diese Interessen werden manchmal mit den Interessen anderer europäischer Staaten kollidieren. Wir werden mit unseren Partnern in Europa ehrlich und ernsthaft reden müssen. Zum Beispiel über die Haltung gegenüber Russland. Deutschland hat da eine andere Meinung als wir. Den Deutschen wird man ernsthaft die Frage stellen müssen, was ihnen wichtiger sei: Putins gutes Selbstbefinden oder die Sicherheit seiner östlichen Verbündeten, Polens und der baltischen Länder.

Eine solche Korrektur in unserer Auβenpolitik muss und wird es geben. Heute will Deutschland der Verbesserung der Sicherheit unserer Staaten nicht zustimmen oder, besser gesagt, der Angleichung an den Stand des Westens. Wir verlangen keine Privilegien, wir wollen Gleichbehandlung. Bis jetzt waren unsere nationalen Interessen zweitrangig. Vorrangig waren die Interessen der Bürgerplattform und Tusks persönliche Interessen, nicht die des polnischen Staates. Man hört natürlich hier und da die Flüsterpropaganda, Recht und Gerechtigkeit werde einen Krieg mit Russland vom Zaun brechen. Das ist absoluter Quatsch. Wir werden weiterhin mit Russland zusammenleben, Handel betreiben, aber es gibt keinen Grund die russische Aggression zu rechtfertigen.“, so Waszczykowski.

© RdP




Pfarrer in gottlosen Weiten

Ein polnischer Priester berichtet über sein Tun und Leben in der Ukraine.

Pfarrer Jan Dargiewicz aus Ełk/Lyck in Masuren, arbeitet seit zehn Jahren in der Ukraine. Seine Gemeinde Rasjesd, die zum katholischen Bistum Odessa-Simferopol gehört, befindet sich westlich von Odessa, an der Grenze zu Transnistrien. Das Bistum hat eine Fläche von 138.000 Quadratkilometern, soviel wie Bayern, Niedersachsen und Hessen zusammen. Es erstreckt sich entlang der gesamten ukrainischen Schwarzmeerküste und umfasst auch die inzwischen von Russland besetzte Krim. In diesem Gebiet leben gerade einmal 20 Tausend Katholiken. Über das Leben und Wirken eines katholischen Pfarrers in den gottlosen Weiten des Ostens stand Pfarrer Dargiewicz der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 3. April 2015 Rede und Antwort.

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Pfarrer Jan Dargiewicz

Welche Sprache spricht man in Odessa?

Die meisten sprechen Russisch, weil in diesem Teil der Ukraine zur Sowjetzeit die Russifizierung mit viel Nachdruck betrieben wurde. Ukrainisch galt als die Sprache der Dörfler, also sprach man in der Öffentlichkeit Russisch. Jetzt ist das Ukrainische in Mode gekommen, immer mehr Leute sprechen Ukrainisch.

Das Bistum Odessa-Symferopol hat eine Fläche von 138.000 Quadratkilometern, soviel wie Bayern, Niedersachsen und Hessen zusammen.
Das Bistum Odessa-Symferopol hat eine Fläche von 138.000 Quadratkilometern, soviel wie Bayern, Niedersachsen und Hessen zusammen.

Zu welchen Glauben bekennen sich die Menschen?

Nur fünf Prozent der Bewohner unseres Bistums bekennen sich überhaupt zu irgendeiner Religion. Die Sowjets haben Weiβrussland und die Ukraine auf der Höhe der Stadt Winniza von Nord nach Süd der Länge nach geteilt.     Westlich dieser Linie befanden sich, nach dem Einmarsch der Sowjets am 17. September 1939, die von Polen abgetrennten Gebiete, welche 1944 aus zwischenzeitlicher deutscher Besatzung von den russischen Truppen erneut erobert wurden. Der katholische und orthodoxe Glaube waren dort sehr stark ausgeprägt. Die Sowjets verfolgten die Kirchen in diesen Landstrichen zwischen 1939 und 1941 und dann wieder ab 1944 unerbittlich. Pfarrer und Popen wurden ermordet oder deportiert, Kirchengebäude zweckentfremdet oder zerstört, den einfachen Volksglauben, soweit ihn alte Menschen praktizierten, ließ man jedoch gewähren. Ein paar eingeschüchterte und drangsalierte Pfarrer und Popen durften in irgendwelchen Kleinstkapellen die Seelsorge halbwegs fortsetzten.

In den weiβrussischen und ukrainischen Gebieten östlich von Winniza, die schon ab 1918 zur Sowjetunion gehörten, erstreckte sich seit den Massakern und Säuberungen der 30er Jahre ein gottloser Raum. Allein in Odessa wurden zwischen 1937 und 1938 in den Kellern des NKWD knapp eintausend Geistliche aller Religionen durch Kopfschuss ermordet: Pfarrer, Pastoren, Popen, Rabbiner, Mullahs der Krimtataren, Mönche, Nonnen. Ziel war der totale Atheismus: keine Geistlichen, keine Kirchen, ein absolutes Verbot „religiöser Propaganda“, wie die Seelsorge genannt wurde. Mir ist vor kurzem eine Frau in Odessa begegnet, die noch in den 80er Jahren zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, weil sie eine abgegriffene englische Broschüre über die Muttergottes von Fatima besaβ.

So gesehen sind wir hier Pioniere und Missionare im wahrsten Sinne des Wortes. Die ersten Priester kamen Anfang der 90er Jahre hierher und begaben sich auf die Suche nach den letzten Gläubigen. Die Anfänge sahen so aus, dass ein Pfarrer eine Kirchenruine vorfand und eine alte Frau, die letzte Katholikin weit und breit. Sie war es, die die Kirche vor der Einebnung gerettet hatte, als irgendwann in der Sowjetzeit die Bulldozer anrückten. Sie blieb so lange vor den Mauerresten stehen, bis das Abrisskommando sich sagte, das lohnt nicht und abzog. So geschehen in der Stadt Kertsch auf der Krim.

Wiederaufgebaute Kirche in Kertsch.
Wiederaufgebaute Kirche in Kertsch.

In Cherson schlief der Pfarrer anfangs im Zelt, wärmte sich an einer Kerze, wusch sich und aβ bei fremden Leuten. Die ersten Messen hielt er zunächst auf der Eingangstreppe, dann im Vorraum, am Ende im Kircheninneren. Jahrzehntelang hatte sich dort ein Kino mit dem Namen Pawel Morosow befunden, einer Ikone der Sowjetpropaganda, symbolisiert durch einen Bauernjungen, der seinen eigenen Vater als einen „Volksfeind“ angezeigt hatte, weil dieser angeblich Getreide versteckte und sich der Kollektivierung widersetzte. Jungen aus der Umgebung bewarfen den Pfarrer mit Steinen, weil er ihnen das Kino „weggenommen hat“. Jetzt ist die Stadt stolz auf die prächtig aufgebaute Kirche und einer dieser Jungen ging ins Priesterseminar.

Wie sieht heute Ihre Arbeit aus?

Es ist immer noch sehr schwer. Unsere Gegend ist bitterarm. Einige wenige  Oligarchen schwimmen in unvorstellbarem Reichtum. Besonders auf dem Lande herrscht fast schon das blanke Elend. Die Kluft zwischen Reich und Arm ist schier bodenlos. Das Christentum wurde ausgerottet. Den Menschen fehlt ein geistiges, ein moralisches Fundament. Der Kommunismus förderte vor allem die schlechten Eigenschaften im Menschen: Passivität, Mitläufer- und Denunziantentum, das Wegschauen, das Nach-Oben-Ducken und Nach-Unten-Treten. Mittlerweile kommen noch die Verlockungen des Konsums hinzu, und dann der Krieg. Viele halten das nicht aus. Alkoholismus und Drogensucht richten Furchtbares an. Wer kann, geht: nach Europa, nach Russland…

Dennoch steht die Kirche immer besser da.

Nach dem was war, kann es nur besser werden. Neue Pfarrgemeinden entstehen, weil sich immer mehr versprengte, katholische Familien bei uns melden, die den Glauben wieder leben wollen. Plötzlich stellt sich heraus, dass es in dem Ort noch mehr Katholiken gibt. Menschen lassen sich taufen, nehmen die Sakramente entgegen, ein normales geistiges und religiöses Leben kommt nach und nach in Gang. 2005 bat mich ein 75-jähriger Mann ihn zu taufen. Seine Eltern waren katholisch, sein ganzes Leben lang wartete er darauf endlich einem Pfarrer zu begegnen. Ich war der erste, den er in seinem Leben traf. Auf den Dörfern in der weiten Steppe erfahren die Menschen erst nach und nach, dass die katholische Kirche wieder vor Ort ist.

Die meisten Priester in Ihrem Bistum kommen aus Polen.

So ist es. Wir sind räumlich am nächsten dran, wir können uns aufgrund der Verwandtschaft der Sprachen am schnellsten mit den hiesigen Menschen verständigen. Die katholische Kirche in der Ukraine haben anfänglich fast ausnahmslos polnische Pfarrer, Mönche und Nonnen wieder aufgebaut. Oft unter unsäglichen Mühen und Entbehrungen. Finanziert wird unser Tun ausschlieβlich aus Spenden, die in den Kirchen in Polen gesammelt werden. Das ist unsere polnische Beteiligung an dem Evangelisierungswerk der Kirche, zu der wir alle aufgerufen sind. Die ersten ukrainischen Pfarrer wurden bereits geweiht. Sie sollen in der Zukunft die katholische Kirche in der Ukraine aufbauen und festigen.

Wie steht es um den Kirchenbau?

Wenn wir eine neue Pfarrei gründen, werden am Anfang die Heiligen Messen in privaten Häusern abgehalten. Dann mieten wir einen Saal. In einem der Orte handelt es sich dabei um den Saal im Haus der Veteranen der Roten Armee. An der Stirnseite hängen Hammer und Sichel, an den Wänden Portraits von Lenin, Marx, Engels, Stalin und anderer kommunistischer Größen, von denen sehr viele, wie Lenin, Stalin oder Dserschinski, furchtbare Verbrechen begangen haben. Plötzlich stehen da, inmitten dieses Panoptikums, das Kruzifix und das Bild Muttergottes, Menschen sprechen das Vaterunser. Deswegen bauen wir auch in der kleinsten Gemeinden ein Gotteshaus, und sei es eine winzige Kapelle. Gläubige, die sich in Privathäusern oder gemieteten Sälen zum Gottesdienst treffen werden als eine Sekte betrachtet. Wenn es eine Kirche oder Kapelle gibt, dann steigt gleich die Zahl der Gläubigen. Die Menschen sehen ein Gebäude mit dem Kreuz auf dem Dach, mit Heiligenfiguren, einem Altar, einem Taufbecken… Ein Kirchengebäude ist wie ein Leuchtturm.

Gibt es Chancen alte Kirchengebäude zurück zu bekommen?

Es ist sehr schwer. Das ukrainische Recht ist sehr kompliziert, die Beamten sind misstrauisch und wenig kooperativ, in den Archiven herrscht Chaos. Es kostet viel Mühe und man braucht viel Geduld um nachzuweisen, dass es sich bei der Ruine um eine Kirche handelt. Noch schwieriger ist es, wenn das Kirchengebäude bereits anderen Zwecken dient. Auch beim Neubau von Kirchen begibt man sich auf einen anstrengenden Weg.

Ehemalige katholische Kirche in Sweastopel (auf der heute russisch besetzten Krim) zum Kino "Druschba" - "Freundschaft" umfunktioniert. Seit 2008 geschlossen. Rückgabe wird dennoch verweigert.
Ehemalige katholische Kirche in Sewastopol (auf der heute russisch besetzten Krim) zum Kino „Druschba“ – „Freundschaft“ umfunktioniert. Seit 2008 geschlossen. Rückgabe wird dennoch verweigert.

Es gibt in unserem Bistum sehr viele ehemalige katholische Kirchen. Vom Ende des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts, also vor der Oktoberrevolution 1917, hatten die zaristischen Behörden in der Gegend sehr viele Polen und Deutsche angesiedelt. Odessa wurde Ende 1794 von den russischen Behörden gegründet. Bereits im Juli 1795 kamen die ersten etwa einhundert polnischen Familien dort an. Um 1914 lebten in Odessa immerhin bis zu 30.000 Polen. Sie bauten in der Stadt katholische Kapellen und Kirchen. Die schöne Kathedrale in Odessa haben die Sowjets in eine Sporthalle umgewandelt. Erst 1991 wurde sie zurückgegeben und wieder hergerichtet. Die St. Klemens Kirche war das größte Gotteshaus östlich von Polen, es hatte zweitausend Sitzplätze. Den dortigen Probst, Pfarrer Józef Szejner haben die Sowjets bereits im Mai 1922 ermordet, das Gebäude 1933 in die Luft gesprengt. Viele Kirchengebäude haben als Ruinen überdauert. Sie zurückzubekommen und wiederaufzubauen ist eine Aufgabe für Generationen.

Stimmt es, dass der Katholizismus in der Ukraine eindeutig mit dem Polnischsein gleichgestellt wird?

Die Kirche ist katholisch, also heilig, allgemein und apostolisch. Wir sind für alle Katholiken da. In der Praxis findet die Seelsorge überwiegend in drei Sprachen statt; auf Ukrainisch, Russisch und Polnisch. Als ich aber eine Gruppe von Armeniern zu betreuen begann, habe ich angefangen den Gottesdienst auf Armenisch abzuhalten. Doch Sie haben Recht. Die katholische Kirche wird in der Ukraine sehr oft mit dem Polentum gleichgesetzt. Oft gehört nur ein polnisch klingender Nachname dazu, um als Pole und katholisch angesehen zu werden. Zu uns kamen nicht wenige junge Menschen, die irgendjemand in der Schule darauf hingewiesen hat, dass, wenn sie so einen Namen tragen, sie ganz bestimmt Polen seien.

Wie sieht Ihre tagtägliche Arbeit aus?

Ich bin Pfarrer in einer Pfarrei die etwa 200 auf 300 km groβ ist. Der Ort Rasjesd wurde von den Sowjets an einem Eisenbahnknotenpunkt aus dem Boden gestampft. Um an allen Orten eine Messe zu zelebrieren lege ich an jedem Sonntag etwa 300 km zurück. Es ist eine schwere, aber auch sehr schöne, bewegende Arbeit. Die Menschen sehnen sich geradezu nach Seelsorge.

Pfarrer Jan Dargiewicz mit seinen Gemeindemeitgliedern.
Pfarrer Jan Dargiewicz mit seinen Gemeindemitgliedern.

Gleichzeitig kommt man oft mit äuβerster Armut in Berührung. Ich habe gelernt Sanitäter zu sein. Zusammen mit unserer Gemeindeschwester waren wir einige Male bei einer fast einhundertjährigen Frau, die einst zwei Jahre lang in eine polnische Schule gegangen ist. Sie las und betete auf Polnisch, sprechen konnte sie nicht. Sie lebte in Armut, war von Würmern befallen. Wir mussten die Parasiten erst entfernen, bevor ich die Sakramente spenden konnte. Die Menschen hier leben einen einfachen, ehrlichen den Mitmenschen zugewandten Glauben. So ist mir bei einer meiner „Sonntagsrunden“ das Geld ausgegangen. Ich konnte nicht tanken, um nach Hause zu kommen. Mir kam der Gedanke: „Lieber Gott, Du hast mich hierher geschickt, tue etwas“. Nach der Messe verlasse ich die Kapelle. Ein Mann kommt auf mich zu, gibt mir etwas Geld und sagt: „Das habe ich gerade beim Einkaufen gespart und will es Ihnen geben“. Auf diese Weise gibt uns Gott zu verstehen, dass er über uns wacht: „Mach Dir keine Sorgen, arbeite nur“.

Wie ist die Identität der Menschen in Odessa?

In Odessa leben Vertreter von 121 Nationalitäten. In der Zarenzeit war das ein Schmelztiegel der Nationen. Es war eine sehr reiche Stadt, es kamen Menschen von überall her. Es gibt immer noch viele Zeugnisse des einstigen Reichtums. Die Menschen gehen miteinander freundschaftlich, friedfertig um, auch wenn sie in sehr unterschiedlichen, manchmal sehr exotischen Sprachen untereinander sprechen, verschiedene Glauben praktizieren. Das stört niemanden.

Dennoch kam es am 2. Mai 2014 in Odessa zu schweren Krawallen und Zusammenstöβen mit 48 Toten und gut zweihundert Verletzten als Folge.

Das kam von Auβen. Es begann mit einem Marsch von Fuβballfans. Es war ein friedlicher Marsch, der durch Provokationen gestört wurde. Alles war gut durchdacht, einschlieβlich der Anwesenheit russischer Medien an den wichtigsten Orten des Geschehens. Es waren Leute von auβerhalb. Sie riefen „Russland“, „Referendum“. Sie fuhren von Stadt zu Stadt. Ich bin hier schon lange, kenne die Einheimischen. So etwas würden sie nicht tun, und wie man sieht fiel die Provokation auf einen sehr unfruchtbaren Boden, weil es hier bis heute eher friedlich zugeht.

Welchen Einfluss hat der Krieg im Donbas auf das Leben in Odessa und Umgebung?

Dieser Krieg spaltet die Gesellschaft. Familien sind zerstritten. Ich kenne z. B. Geschwister, von denen der Bruder in der Ukraine und die Schwester in Russland lebt. Sie ruft an und sagt dem Bruder, dass Russland die Ukraine vom Faschismus befreien wird usw. Die Macht der Propaganda ist so groβ, dass man nichts erklären kann. Verwandte wenden sich voneinander in Hass ab. Man spürt die Bedrohung. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Gegend zu „Neurussland“ gehören sollte. Nach dem 2. Mai 2014 herrschte lange Zeit Ruhe, jetzt steigt die Spannung wieder. Meine Pfarrei grenzt ja an Transnistrien, und das ist so als würden wir Russland zum Nachbarn haben. Wenn es einen Angriff auf uns geben sollte, dann von zwei Seiten.

Gibt es in Ihrer Pfarrei Flüchtlinge?

Ja, viele. Es gibt auch eine Menge Soldaten die von der Front zurückkommen, darunter viele Verwundetete und Invaliden. Die Krankenhäuser sind überfüllt. Unsere Gemeindemitglieder, unsere Nonnen gehen zu ihnen. Es gibt Bekehrungen, Taufen… Vorher hatten diese Menschen keine Zeit, keine Gelegenheit an Gott zu denken.

RdP




Keine ferngesteuerte Puppe

Beata Szydło über sich, Jarosław Kaczyński, Gott und die Welt.

Beata Szydło, 52 Jahre alt, kann die nächste Regierungschefin Polens werden. Sie war sieben Jahre lang Bürgermeisterin der kleinpolnischen Zwölftausendseelen-Gemeinde Brzeszcze (phonetisch: Bscheschtsche) ehe sie 2005 Sejm-Abgeordnete und 2010 stellvertretende Vorsitzende von Recht und Gerechtigkeit (PiS) wurde. Sie ist studierte Ethnografin und Volkswirtin. Das Interview mit ihr veröffentlichte die Wochenzeitung „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) am 5. Juli 2015.

Auf dem Wahlparteitag von Recht und Gerechtigkeit am 20. Juni 2015 in Warschau, nach dem Sie zur Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin gekürt wurden, haben Sie Ihre Rede mit den Worten begonnen: „Ich heiβe Szydło, Beata Szydło“. James Bond scheint Ihr Vorbild zu sein.

(lacht) Bond hat eine Eigenschaft, die wir uns heute in Polen dringend aneignen müssen: er schafft das Unmögliche. „Geht nicht“ gibt’s bei ihm nicht. Auch wir müssen das Denken, dass etwas nicht geht, dass es unmöglich ist, verwerfen und uns an die Arbeit machen.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie hören, Sie seien ein „rocktragender Kaczyński“?

Zum ersten Mal habe ich so etwas 2010 gehört, als ich stellvertretende Parteivorsitzende geworden bin. Was soll ich sagen? Es schmeichelt mir. Jarosław Kaczyński ist ein herausragender Politiker.

Das sagen alle Politiker Ihrer Partei über ihren Parteivorsitzenden.

Aber es ist so. Ich verdanke ihm viel und habe kein Problem damit, das öffentlich zu sagen. Was nicht bedeutet, dass es zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten gibt.

Die Anlehnung an James Bond am Anfang Ihrer Rede wurde als eine Unabhängigkeitserklärung gegenüber Jarosław Kaczyński gedeutet.

Ich wollte damit nur andeuten, dass ich keine ferngesteuerte Puppe Jarosław Kaczyńskis bin oder sein werde. Gut, dass das so gedeutet wurde. Jeder der mich kennt, weiβ dass ich selbständig bin, aber ein guter Ministerpräsident muss auch auf andere hören. Wer meint die Weisheit alleine gepachtet zu haben, der sollte dieses Amt besser nicht anstreben. Dieses ganze Gerede, ich sei von Kaczyński ferngesteuert, der gewählte Staatspräsident Andrzej Duda sei von ihm ferngesteuert… Wir sind ein Team, wir haben gemeinsame Ziele und den Willen sie umzusetzen. Wir ziehen an einem Strang. Punkt.

Ist also die polnische James Bond Bewunderin nicht steuerbar?

(lacht) Auch James Bond hat eine Chefin. Und im Ernst: sollten mir die Polen das Steuer übergeben, dann werden sie meine Vorgesetzten sein.

Szydło und Jaosław Kaczyński. "Ich wüsste nicht, was unsere hervorragenden und sehr vertrauensvollen Beziehungen ernsthaft trüben könnte."
Beata Szydło und Jarosław Kaczyński. „Ich wüsste nicht, was unsere hervorragenden und sehr vertrauensvollen Beziehungen ernsthaft trüben könnte.“

Wie also wird das Verhältnis zwischen Ihnen und dem PiS-Chef aussehen?

Sollten wir die Wahl (am 25.Oktober 2015 – Anm. RdP) gewinnen und eine Regierung bilden, dann wird die Handlungsgrundlage das Programm unserer Partei sein. Ich wüsste nicht, was unsere hervorragenden und sehr vertrauensvollen Beziehungen ernsthaft trüben könnte.

Warum hat sich Jarosław Kaczyński zurückgezogen?

Diese Frage sollten Sie vor allem ihm stellen. Aus meiner Sicht: er hat ein gutes Gespür für die politische Lage, für die öffentliche Stimmung und deswegen hat er rechtzeitig auf Jüngere gesetzt.

Ist es nicht so, dass nach Donald Tusks Abgang nach Brüssel, Kaczyński keinen ebenbürtigen politischen Gegner mehr hat?

Der Kampf gegen Tusk war für uns nie ein Ziel an sich. Es ist Tusks Bürgerplattform, die das Fernhalten von Recht und Gerechtigkeit von der Macht, zum sinnstiftenden Ziel ihrer Existenz erklärt hat. Auch heute sagen diese Leute klipp und klar: unsere allerwichtigste Aufgabe ist es, die Opposition niemals ans Steuer zu lassen. Wir hingegen wollen Wahlen und das Vertrauen der Wähler gewinnen, weil wir sinnvolle Veränderungen herbeiführen möchten. Diese Veränderungen werden den Menschen und dem Land zu Gute kommen.

Werden Sie ihr Kabinett selbständig zusammenstellen können?

Zusammenhalt und gegenseitiges Verständnis geben. Es ist uns gelungen so etwas in unserem Wahlkampfteam bei den Präsidentschaftswahlen zustande zu bringen.
Präsidentschaftskandidat Andrzej Duda und seine Wahlkampfleiterin Beata Szydło. „Zusammenhalt und gegenseitiges Verständnis müssen in einer Mannschaft vorherrschen.. Es ist uns gelungen so etwas in unserem Wahlkampfteam bei den Präsidentschaftswahlen zustande zu bringen.“

Es ist der Ministerpräsident, der sich seine Mitarbeiter aussucht, aber er kann nicht seine eigene Partei ignorieren oder den Koalitionspartner. Ich kann versichern: sollten wir die Wahlen gewinnen, dann werde ich auf Leute setzten, die fähig sind unser Programm umzusetzen, rechtschaffen, kompetent, fleiβig, so wie ich es in meiner Rede angekündigt habe: es kommt die Zeit der Handwerker in der Politik.

Was heiβt das?

Das sind fachlich gut vorbereitete Leute, die weniger in den Medien auftreten und sich auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren: in der Verwaltung, im Wahlkreis, in den Parlamentsausschüssen. Und wenn sie in den Medien erscheinen, dann vor allem, um über ihre Arbeit Rechenschaft abzulegen.

Also Minister aus der zweiten Reihe?

Oft werden die guten Handwerker der Politik von den Medien unterschätzt, weil sie keinen Wert auf Selbstdarstellung legen, den Rummel im Rampenlicht scheuen. Eine Regierung darf zudem keine Ansammlung von Persönlichkeiten sein, sondern muss ein Team sein, das sich gegenseitig unterstützt. Zwischen den Menschen in diesem Team muss es einen Zusammenhalt und gegenseitiges Verständnis geben. Es ist uns gelungen so etwas in unserem Wahlkampfteam bei den Präsidentschaftswahlen zustande zu bringen.  Ein wichtiges Auswahlkriterium wird der Mut sein, schwierige Entscheidungen zu treffen. In Meiner Regierung wird es keinen Platz geben für Leute, die von vorneherein glauben zu wissen, dass sich nichts machen lässt.

Wann bekomme ich die von Ihnen versprochenen 500 Zloty (ca. 120 Euro – Anm. RdP) für jedes meiner Kinder?

Staatspräsident Andrzej Duda bereitet drei Gesetzentwürfe vor, die er nach seinem Amtsantritt am 6. August im Parlament einbringen will. Erstens: über die Rückkehr zum alten Renteneintrittsalter für Frauen mit 60 und Männer mit 65 Jahren (Die Tusk-Regierung hat das Renteneintrittsalter für beide auf 67 Jahre angehoben – Anm. RdP). Zweitens: über die Erhöhung des Steuerfreibetrages (dieser wurde von der Tusk-Regierung seit 2007 nicht angehoben, beträgt aktuell 3.091 Zloty ≈ ca. 745 Euro pro Jahr und ist so niedrig, dass auch der letzte Miniverdiener 19% Einkommenssteuer zahlt. Voraussichtlicher neuer Steuerfreibetrag: 8.000 Zloty ≈ ca. 1.900 Euro – Anm. RdP). Drittens: über das neue Kindergeld von 500 Zloty.

Sollen es 500 Zloty brutto oder netto sein?

Wir wollen, dass ein Nettobetrag in dieser Höhe ausgezahlt wird. Familien mit niedrigen Einkommen sollen diese Summe für jedes Kind bekommen, Bessergestellte – ab dem zweiten Kind. Wir wollen den Ärmsten helfen und gleichzeitig die Erhöhung der Geburtenrate fördern, um der demographischen Krise Herr zu werden (2013 brachte in Polen eine Frau im Schnitt 1,32 Kinder zur Welt, in Deutschland – 1,42, in Frankreich – 2,08. Die Sterberate überstieg die Geburtenrate um ca.10.000. Die Arbeitsmigration, von bis zu 80.000 Personen im Jahr, entvölkert die Provinz – Anm. RdP).

Mit wem wird Recht und Gerechtigkeit nach den Wahlen eine Koalition eingehen?

Darüber kann man erst nach den Wahlen sprechen. Ganz gewiss jedoch werden wir kein Bündnis mit Gruppierungen, die sich auf der anderen Seite des politischen Spektrums befinden eingehen. Sowieso sieht es nicht danach aus, dass die rabiat antiklerikale Palikot-Bewegung auch nur die geringste Chance hat ins neue Parlament zu gelangen. Ich sehe auch keine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit der Bürgerplattform. Sie muss vor allem über die acht Jahre ihrer Regierungszeit Rechenschaft ablegen.

Und ihr Koalitionspartner, die Bauernpartei PSL?

Ihre einzige Errungenschaft sind Tausende von gutbezahlten Stellen, die sie sich selbst, ihren Familien und ihren Protegés zugeschanzt hat. Den Menschen auf dem Lande geht es dadurch nicht besser. Wir haben völlig andere Ansichten in Sachen Familie, Ehe, Erziehung, Religion usw. als die Postkommunisten , aber in Sachen Sozialpolitik sind wir nicht weit voneinander entfernt. Junge Politiker aus diesen Kreisen senden Signale, dass sie uns unter Umständen in dieser Hinsicht unterstützen könnten.

Es bleiben also nur die Kukiz-Bewegung oder die absolute Mehrheit.

Paweł Kukiz (ein Rockmusiker, der an der Spitze seiner Protestbewegung in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 10. Mai 2015, 20% der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte – Anm. RdP) ist ein fast unbeschriebenes Blatt. Neben der Forderung das Mehrheitswahlrecht in Polen einzuführen, muss er zunächst einmal ein umfassendes Programm vorlegen. Wir müssen und werden mit jedem, der einen guten Wandel in Polen herbeiführen will reden. Unser wichtigstes Ziel jedoch ist die absolute Mehrheit, um selbständig regieren zu können. Dafür werden wir hart arbeiten.

Glauben Sie an ein Attentat auf das Präsidentenflugzeug bei Smolensk am 10. April 2010?

Es geht nicht ums Glauben, sondern darum Gewissheit darüber zu erlangen, was vorgefallen ist. Die Ursachen der Katastrophe müssen restlos aufgeklärt werden. Der Menschen, die damals umgekommen sind muss in gebührender Weise gedacht werden. Es muss eine vernünftige Untersuchung geben. Das Wrack und die Flugdatenschreiber müssen nach Polen gebracht werden. Wir brauchen eine internationale Untersuchung. Es gibt keinen zweiten Staat auf der Welt, dessen Führung die Ursache einer Katastrophe, bei der der Staatspräsident, die gesamte Armeeführung, der Nationalbankpräsident usw. ums Leben gekommen sind, nicht vollständig aufklären wollte. Nicht einmal ein Denkmal vor dem Präsidentenpalais will man den Opfern dieses Absturzes gönnen.

Haben Ihnen die Feministinnen zu Ihrer Ernennung schon gratuliert?

Nein, keine von ihnen hat es getan.

Auch der Frauenkongress (ein seit 2009 existierender, radikal feministischer Verein, dem einige namhafte Schauspielerinnen, Unternehmerinnen, Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen angehören – Anm. RdP) hat keine Gruβadresse geschickt?

Nein, aus diesen Kreisen gab es keine Reaktion, aber darüber bin ich nicht traurig.

Der Feminismus ist eindeutig politisch gefärbt. Für ihn sind sie eindeutig nicht die richtige Frau.

In Polen ist der Feminismus weit auf der linken Seite des politischen Spektrums angesiedelt. Wo waren diese Damen, als die Regierung Tusk das Renteneintrittsalter für Frauen auf einen Schlag von 60 auf 67 Jahre angehoben und die Mehrwertsteuer auf Kinderkleidung von 8 auf 23% erhöht hat? (…).

Werden Sie als Ministerpräsidentin das umstrittene „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ aufkündigen?

Im polnischen Straf- und Familienrecht haben wir genügend Bestimmungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und anderer pathologischer Erscheinungen. Man kann natürlich über eine weitere Verschärfung der Strafen diskutieren. Doch das Übereinkommen vom dem Sie sprechen ist eine ideologische Keule. In diesem Dokument wird behauptet, dass die Familie und der Glaube an sich eine Quelle häuslicher Gewalt seien. Dieser Vorgabe sollen wir die Erziehung und Bildung unterordnen. Das ist eine offensichtliche Unwahrheit.

Die Tusk-Regierung hat die Ratifizierung dieses Übereinkommens vor kurzem mit einem geradezu brachialen Nachdruck und unter Fraktionszwang durch das Parlament gepeitscht. Doch man darf sich einem solchen Diktat, das unserem Straf- und Familienrecht Regulierungen aufzwingt, die im krassen Gegensatz zu unserer Kultur und unserer Tradition stehen, nicht beugen. Sie dienen dem ideologischen Umbau der Gesellschaft und nicht der Lösung des Problems.

Jetzt werden Sie der Begünstigung der Anwendung von Gewalt gegen Frauen bezichtigt.

Ich kann einwandfrei beweisen, dass das polnische Rechtssystem Frauen vor Gewalt ausreichend schützt. Man muss das Recht nur konsequent anwenden. Hier gibt es Probleme. Wir haben genügend Behörden und Stellen, die dafür zuständig sind. Einige von ihnen müssen aus ihrer Trägheit wachgerüttelt werden. Ja, auch bei uns gibt es häusliche Gewalt und man muss sie mit Nachdruck bekämpfen. Dazu aber brauchen wir kein Übereinkommen, das nicht nur die Familie als solche unter einen Generalverdacht stellt, sondern auch noch die Bürokratie weiter auftürmt.

Werden Sie das jetzige Gesetz über die künstliche Befruchtung ändern?

Ich verstehe das Drama der Menschen, die sich Kinder sehr wünschen und keine bekommen. Der Staat sollte sie in ihrem Bestreben eine Familie zu haben unterstützen, indem er die Heilungschancen bei Unfruchtbarkeit so gut es nur geht fördert. Die künstliche Befruchtung aber ist keine Therapie gegen Unfruchtbarkeit, sondern eine Methode zur Kinderzeugung. Sie wird in Polen angewandt und sie bedarf einer juristischen Regelung. Doch die von der Kopacz-Regierung gegen unseren vehementen Widerstand gerade durchgesetzte Regelung ist unannehmbar. Sie erlaubt das Einfrieren und die Vernichtung menschlicher Embryonen. Sie muss an vielen Stellen geändert werden.

Die regierende Bürgerplattform versucht den Menschen einzureden, wenn wir gegen das Übereinkommen der EU in Bezug auf häusliche Gewalt sind, dann sind wir für Gewalt gegen Frauen. Und wenn wir gegen ihr katastrophales Gesetz zur künstlichen Befruchtung sind, dann wollten wir die auf diesem Wege gezeugten Kinder benachteiligen oder gar schikanieren. Diese Kinder werden und müssen genauso geliebt werden wie alle anderen. Aber was ist mit den Kindern, die im Frühstadium ihrer Entwicklung getötet wurdn?

Wie ist Ihre Einstellung zu auβerehelichen Partnerschaften?

Ich werde die Feministinnen wieder einmal enttäuschen, aber ich bin dagegen. Wir müssen die traditionelle Familie schützen und fördern. Ich bin eine praktizierende Katholikin. Das Sakrament der Ehe ist für mich heilig. Jeder ist frei in seiner Lebensgestaltung, niemand wird und will Menschen verfolgen, die in auβerehelichen Verbindungen leben wollen, aber es gibt gewisse Rechte, die nur den Familien, die auf der Ehe basieren vorbehalten werden sollten.

Beata Szydło mit Ehemenn Edward. "Wir führen eine normale, traditionelle Ehe."
Beata Szydło mit Ehemenn Edward. „Wir führen eine normale, traditionelle Ehe.“

Wie steht Ihr Mann (Edward Szydło ist Lehrer – Anm. RdP) zu Ihrem politischen Engagement?

Wir führen eine normale, traditionelle Ehe, was nicht heiβt, dass wir im Alltag unmodern seien. Mein Mann billigt mein politisches Engagement voll und ganz, bestärkt und unterstützt mich darin.

Priesteranwärter Tymoteusz Szdło. "Er hat sich einen nicht leichten, aber schönen Lebensweg ausgesucht. Darauf bin ich stolz."
Priesteranwärter Tymoteusz Szydło. „Er hat sich einen nicht leichten, aber schönen Lebensweg ausgesucht. Darauf bin ich stolz.“

Einer Ihrer beiden Söhne ist im Priesterseminar. In wie weit hatte die Familie Einfluss auf seinen Werdegang?

Wir sind eine ganz normale katholische Familie. Wir praktizieren unseren Glauben tagtäglich, nicht nur an Feiertagen, aber ich kenne viele weit religiösere Familien. Die Entscheidung unseres Sohnes (Tymoteusz, 23 Jahre alt – Anm. RdP) hat mich sehr überrascht. Sie zu akzeptieren, fiel mir am Anfang nicht leicht, wie so vielen anderen Müttern. Wir haben viel darüber gesprochen und mit meinem Mann beschlossen, ihn darin zu bestärken und abzuwarten, wie es weiter geht. Sehr geholfen haben mir die Elterntreffen im Priesterseminar. Mir wurde klar, dass es ein guter Entschluss war, vor allem weil ich gesehen habe, dass er damit glücklich ist. Er hat sich einen nicht leichten, aber schönen Lebensweg ausgesucht. Darauf bin ich stolz.

Die Linke meint, dass Menschen sich nicht im öffentlichen Leben von ihrem Glauben leiten lassen dürfen.

(…) Werte sind das Fundament. Christliche Werte haben universellen Charakter, auf ihnen ist unsere Zivilisation aufgebaut, auch unser Staat. Es gibt nichts besseres, um gute Beziehungen mit einem Menschen aufzubauen, als die Zehn Gebote zu befolgen. Der Verlust von Werten verursacht Chaos und Unglück. Was nicht bedeutet, dass man Andersdenkende nicht achten soll. Toleranz ist auch ein christlicher Wert und auch in Polen gibt es eine, zwar freundliche, aber dennoch Trennung zwischen Kirche und Staat.

Wie sehen Sie die Rolle der Kirche im öffentlichen Leben?

Die Kirche sollte sich so oft wie möglich zu Wort melden. Das tut Papst Franziskus ja auch. Er spricht nicht nur zu den Gläubigen, er beruft sich auf universelle Werte, formuliert sehr wichtige Hinweise hinsichtlich der Ethik sowohl im privaten, wie auch im öffentlichen Leben. Die Kirche in Polen ist ein sehr wichtiger Bestandteil der Gesellschaft und ich sehe keinen Grund, weshalb sie sich in wichtigen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens der Stimme enthalten sollte. Sie hat dazu dasselbe Recht, wie alle anderen Teilnehmer des öffentlichen Lebens.

Beata Szydło eine Handlangerin des Vatikans in Polen? I

mmer mit der Ruhe. Wer genauer auf das Geschehen in Polen schaut, sieht einen enormen Bedarf dahin gehend, dass wir wieder eine werteorientierte Politik bekommen. Auch in unserem Land werden Katholiken verhöhnt und bezichtigt, ihre Denkweise allen anderen aufzuzwingen. Es gibt eine Trennung und zugleich eine gute Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat auf vielen Gebieten. Verfassungsrechtlich ist in dieser Hinsicht alles sehr gut geregelt. Die Regierenden müssen sich um alle kümmern, auch um die Nichtgläubigen. Man muss auf alle hören, alle achten und ein vernünftiges Gleichgewicht wahren.

RdP




Aus deutschen Landen, reichlich vorhanden

Landschaft nach der Übernahme. Deutsche Konzerne auf dem polnischen Medienmarkt.

Die aktuellen Erhebungen haben eigentlich nichts Neues ans Tageslicht gebracht, und doch stockte vielen wieder einmal der Atem, denn die Zahlen sind wahrlich überwältigend. Platz eins: Bauer-Verlag, der 2014 knapp 294 Mio. Exemplare seiner Presserzeugnisse in Polen verkauft hat. Rang zwei: Ringier Axel Springer – mit nicht ganz 123 Mio. Exemplaren. Platz drei: Passauer Neue Presse (Polska Press Grupa): knapp 112 Mio. Rang sieben: Burda-Verlag mit gut 27 Mio. Exemplaren. Fazit: siebzig Prozent der Medien in Polen, abgesehen von TV-Sendern, befinden sich in deutschem Eigentum, darunter praktisch alle Regionalzeitungen.

Der erste polnische Verlag auf der Liste: Agora („Gazeta Wyborcza“ u.a.), belegt Platz vier mit knapp 66 Mio. verkaufter Exemplare.

Seitdem das Internet-Fachportal „wirtualnemedia.pl“ Ende April 2015 die Zahlen für das Jahr 2014 veröffentlicht hat, wird das Thema „polnisch-sprachige deutsche Medien in Polen“ immer wieder in der Öffentlichkeit aufgegriffen. Im Wahljahr 2015 (Mai – Präsidentschaftswahlen, Oktober – Parlamentswahlen), eigentlich kein Wunder.

In Deutschland nicht vorstellbar

Wären solche Zustände in Deutschland möglich? Theoretisch ja, praktisch jedoch sind sie nicht vorstellbar. Im Herbst 2005 verkaufte die deutsche Verlagsgruppe Holtzbrinck für etwa 150 Mio. Euro den Berliner Verlag (u. a. der Herausgeber der „Berliner Zeitung“) an die Mecom Group des britischen Medienmanagers David Montgomery. Deutschlandweit rief dies einen Sturm der Entrüstung hervor. Erstmals war ein deutsches Zeitungshaus in den Besitz eines ausländischen Finanzinvestors gelangt. Montgomerys „Gebaren“ wurde seitdem fortlaufend von den deutschen Medien beobachtet. Ablehnung und Tadel waren an der Tagesordnung. Im Januar 2009 endete „der Spuk“. Der Kölner Verlag M. DuMont Schauberg kaufte die „Berliner Zeitung“ „zurück“.

Angesichts der geballten deutschen Kritik an dem Briten Montgomery und seinem Kauf, kam niemandem in Deutschland in den Sinn von „antibritischer Stimmungsmache“ oder „antibritischen Ressentiments“ zu sprechen. Wer dagegen die deutsche mediale Vorherrschaft in Ostmitteleuropa oder in Polen anspricht, muss darauf gefasst sein, dass ihm „Germanophobie“, „Nationalismus“ oder andere niedrige Beweggründe unterstellt werden. Dies ist ein probates Mittel, um der Diskussion darüber auszuweichen, wie es zu einer solchen Dominanz kommen konnte und welche Folgen sie hat.

Ein Parteikonzern wird zerschlagen

Das Konzept der sogenannten Transformation, also der Übergangs vom Kommunismus zur Marktwirtschaft im ganzen ehemaligen Ostblock, sah, allem voran, den Ausverkauf des Staatseigentums vor. Es gibt viele Schätzungen, doch es überwiegt die These, das polnische Staatseigentum sei für etwa zehn Prozent seines realen Wertes veräuβert worden.

Verkauft wurden auch Zeitungen. Das bewerkstelligte in Polen der Abwicklungsausschuss (Komisja Likwidacyjna), der ab 1990 das riesige Vermögen des staatlichen Konzerns RSW Prasa-Książka-Ruch (Arbeiterverlagsgenossenschaft Presse-Buch-Vertrieb) unter den Hammer brachte.

RSW war der gröβte Pressekonzern Ostmitteleuropas. Bis 1990 gehörten ihm 45 Tageszeitungen (darunter das Parteiorgan „Trybuna Ludu“) und 235 Zeitschriften mit einer einmaligen Auflage von 3,5 Mio. Exemplaren. Er kontrollierte den gesamten Pressevertrieb im Land, besaβ 17.000 Zeitungskioske und 200 Zwischenlager. Hinzu kamen 7 Buchverlage, 5 Agenturen (darunter die Agentur Interpress (PAI), auf deren Betreuung, gegen Entgelt, alle ständigen ausländischen Korrespondenten und Reisejournalisten angewiesen waren, und die Zentrale Fotoagentur (CAF), die die gesamte Presse mit Bildern belieferte), 17 Groβdruckereien, eine Philatelie-Handelskette, 4 groβe Mitarbeiter-Erholungsheime, wertvolle Grundstücke mit Bürogebäuden in ganz Polen usw., usf.

Die „Arbeiterverlagsgenossenschaft“ war in Wirklichkeit Eigentum der herrschenden, kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) und, neben den Mitgliederbeiträgen, ihre wichtigste Geldquelle.

Im März 1990 verabschiedete der Sejm den Beschluss zur Abwicklung des Konzerns. Ein Teil der Zeitungen wurde, zu Vorzugspreisen, an Mitarbeiter-Genossenschaften verkauft. Die jedoch hatten kein Geld für den Computersatz (DTP), der gerade groβ im Kommen war, für besseres Papier, Layout, Recherchen usw. Von Schulden bei Druckereien und im Vertrieb geplagt, gingen sie entweder Pleite oder nahmen ausländische Investoren mit an Bord, die bald darauf den ganzen Laden übernahmen. Die einzige Mitarbeiter-Genossenschaft, die nach 1990 überlebte, und erst kürzlich in eine GmbH umgewandelt wurde, ist die des postkommunistischen Wochenmagazins „Polityka“.

Die restlichen Zeitungen und Zeitschriften verkaufte man der französischen Verlagsgruppe Hersant und der norwegische Firma Orkla Media. Sie waren die groβen ausländischen Spieler der ersten Stunde.

Bauer Media Group

Deutsche Medienkonzerne, zunächst noch mit den Folgen der Wiedervereinigung beschäftigt, waren von Anfang an dabei, hielten sich jedoch im Hintergrund, sondierten erst einmal das neue Gelände, wie z.B. der Bauer-Verlag, der 1991 mit der polnischen Version der Jugendzeitschrift „Bravo“ einen ersten Testballon steigen lieβ.

Heute besitzt Bauer RMF den gröβten privaten Radiosender des Landes, das mächtige Internetportal Interia.pl und eine Groβdruckerei in Ciechanów, im Nordosten des Landes. Dazu eine riesige Palette an Zeitschriften, unter denen sich sieben der zehn bestverkauften des Landes befinden: „Twój Styl“ („Dein Stil“), „Kobieta i Życie“ („Frau und Leben“), „Chwila dla Ciebie“ („Ein Augenblick für Dich“), „Bravo“, „PC Format“, „Tele Tydzień“ („Tele Woche“), „Tele Świat“ („Tele Welt“), „Twoje Imperium“ („Das Imperium“), „Świat Kobiety“ („Welt der Frau“), „To & Owo“ („Dies & Das“), „Życie na Gorąco“ („Das Leben ganz heiβ“) und weitere achtzig Titel.

Burda International PL

Im Jahr 1993 kam Gruner+Jahr mit der Hochglanzzeitschrift „Claudia“ auf den polnischen Markt, einem Produkt, das die einheimischen, eher grauen denn bunten Frauenmagazine sofort in den Schatten stellte. Mit der prachtvollen „National Geographic“ (G+J erwarb die Lizenz für ganz Ostmitteleuropa) landeten die Hamburger kurz darauf einen weiteren Volltreffer.

Im Jahr 2013 verkaufte G+J seine polnischen Unternehmungen an Burda International Polska, der im Augenblick elf Hochglanzmagazine herausgibt, darunter „Elle“, „In Style“, „Claudia“, „Burda“, „Focus“, „Gala“, „National Geographic Polska“, „Chip“.

Polska Press Grupa

Atemberaubend gestaltete sich auch die Invasion der Passauer Neuen Presse in Polen. Seit Jahren schon kursiert das Gerücht, der kleine Verlag aus Passau sei von Bertelsmann vorgeschickt worden, um den Markt der Regionalzeitungen in Ostmitteleuropa zu erobern.

Im Jahr 1994 kauften die Passauer der französischen Hersant-Gruppe die ersten Regionalzeitungen in Polen ab. Heute hat der Verlag 19 Regionalzeitungen: Dziennik Bałtycki („Ostsee Tagblatt“) – Gdańsk/Danzig, „Dziennik Łódzki“ („Lodzer Tagblatt“) und „Express Ilustrowany“ („Der Bebilderte Express“) – Łódź/Lodz, „Dziennik Zachodni“ („West-Tagblatt“) – Katowice/Kattowitz, „Gazeta Krakowska“ („Krakauer Zeitung“) und „Dziennik Polski“ („Polnisches Tagblatt“) – Kraków/Krakau, „Głos Wielkopolski“ („Die Stimme Groβpolens“) – Poznań/Posen, „Gazeta Wrocławska“ („Breslauer Zeitung“) – Wrocław, „Kurier Lubelski“ („Lubliner Kurier“) – Lublin, „Metropolia Warszawska“ („Die Warschauer Metropole“) – Warszawa, „Gazeta Lubuska“ („Lebuser Zeitung“) – Zielona Góra/Grünberg, „Gazeta Pomorska“ („Pommerische Zeitung“) und ”Express Bydgoski” („Bromberger Express“) – Bydgoszcz/Bromberg, ”Nowości – Dziennik Toruński“ („Neuigkeiten – Thorner Tagblatt“) – Toruń, „Kurier Poranny“ („Morgenkurier“) und „Gazeta Współczesna“ („Zeitgenössische Zeitung“) – Białystok, „Nowa Trybuna Opolska“ („Neue Oppelner Tribüne“) – Opole, „Echo Dnia“ („Tagesecho“) – Kielce, „Gazeta Codzienna Nowiny“ („Tageszeitung – Neuigkeiten“) – Rzeszów, „Głos Dziennik Pomorza“ („Die Stimme – Pommerisches Tagblatt“) – Słupsk/Stolp.

Der Monopolbildung auf dem Regionalzeitungsmarkt hat die polnische Antimonopolbehörde (UOKiK), beim Zukauf weiterer Blätter durch die Passauer Neue Presse 2013, ausdrücklich zugestimmt. Die Behörde untersteht direkt dem Ministerpräsidenten. Amtsinhaber in jener Zeit war Donald Tusk.

Zu diesem Konglomerat gesellen sich: mehr als einhundert lokale Wochenblätter, sowie die landesweite kostenlose Zeitung „Nasze Miasto“ („Unsere Stadt“) – Wöchentliche Gesamtauflage 0,5 Mio. Exemplare. Auβerdem: vier Anzeigenblätter, fünf Fernsehzeitschriften, sechs Anzeigeninternetportale, 15 Internetfachportale für das Bauwesen.

Die Passauer geben zudem eine landesweite Tageszeitung heraus „Polska The Times“ und betreiben eine Nachrichtenagentur (Agencja Informacyjna Polska Press).

Ringier Axel Springer

Der Springer-Verlag betreibt sein Polen-Geschäft zusammen mit dem Schweizer Medienkonzern Ringier AG. Anders als die Passauer, hat er es auf landesweite Medien abgesehen.

Springer ist Herausgeber von „Fakt“ (der polnischen „Bild-Zeitung“, wie sie genannt wird), der auflagenstärksten Zeitung Polens (Verkauf 2015: ca. 350.000 Exemplare) und von zwei Sport-Blättern: „Sport“ und „Przegląd Sportowy“ („Sport Rundschau“).

Hinzu kommen: das radikal antikatholisch und gegen die nationale polnische Tradition ausgerichtete Kampfblatt „Newsweek Polska“, das Wirtschafts-Monatsmagazin „Forbes“ und das gröβte, und ähnlich wie „Newsweek Polska“, ideologisch gefärbte polnisch sprachige Internetportal Onet.pl. Des Weiteren hat der Konzern eine Reihe von Computer-Fachzeitschriften in seinem Angebot.

„Mediale Kolonie“

Die schärfsten Kritiker des geschilderten Zustandes sprechen von Polen als einer deutschen „medialen Kolonie“. „Wohin der Eingeborene in der polnischen Medienlandschaft auch blickt, überall sieht er deutsche Plantagen“, so der Ende 2014 verstorbene, katholische Solidarność-Aktivist aus Oberschlesien Kazimierz Świtoń.

Die Medienkundlerin Olga Dąbrowska-Cendrowska von der Jan-Kochanowski-Universität in Kielce hat Ende 2014 eine Studie mit dem Titel “Burda Media Polska, Bauer Media, Ringier Axel Springer, G+J Polska – die Kondition der »groβen deutschen Vier« auf dem polnischen Medienmarkt“ veröffentlicht. Es ist eine umfangreiche Analyse des Werdegangs dieser Firmen in Polen, ihrer Unternehmens- und Verkaufsstrategien.

Das Fazit der Studie lautet: diese Firmen seien „die wichtigsten Verleger auflagenstarker Magazine. (…) Ihr wesentlichster Ansatz lautet: Gewinnerzielung bei kleinstmöglichem Eigenengagement. Die Vereinheitlichung der Inhalte und der Botschaften, „Tabloidisierung“ (verstanden als Sensationshascherei, Tabubruch, Katastrophenjournalismus, Ausleuchtung des Privatlebens von Stars, Alltagsgeschichten – Anm. RdP), mit dem Ziel den Interessen eines wenig anspruchsvollen Verbrauchers zu genügen, begünstigen die Erwirtschaftung zufriedenstellender Gewinne.“

Der Medienwissenschaftler von der Uniwersytet Śląski (Schlesische Universität) in Katowice, Prof. Stanisław Oniszczuk bestätigt das, geht jedoch entschieden weiter: „Selbstverständlich sind Gewinne für die Unternehmen das Wichtigste. Deswegen haben ja die deutschen Konzerne Marksegmente der Frauen-, Fernseh,- Computer – und Autozeitschriften erobert. Stets jedoch bleibt die Frage offen: schreitet im Gefolge dieser Verleger nicht auch eine Informationspolitik, die mit der polnischen Staatsraison nicht immer vereinbar ist, voran?“

Prof. Ryszard Terlecki, Historiker, Medienexperte und Politiker der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hegt in dieser Hinsicht keine Zweifel: „Jede Nation hat ihre eigenen Traditionen, ihr Wertesystem, ihren Kulturcode. Medien die von auβen kommen, scheren sich nicht darum, sondern zwingen ein Wertesystem auf, das ihrer Heimat eigen ist.“

Beobachtet und zusammengefasst

An der Spitze der deutschen Medienunternehmen in Polen haben erfahrene deutsche Kaufleute das Sagen. Ihre einzige Aufgabe: den Stammhäusern in Berlin, Offenburg und woanders stets satte Gewinne einzufahren. Wie erreicht man dieses Ziel? Polnische Medienwissenschaftler weisen auf einige typische Erscheinungen hin:

1. Regionale Medien

A. In den regionalen Medien sind investigativer Journalismus und die Kontrollfunktion gegenüber der regionalen Verwaltung praktisch auβer Kraft gesetzt. Man will keine „Scherereien“. Zudem sind kommunale Behörden wichtige Anzeigengeber in der oft vor sich hindämmernden polnischen Provinz. So verschmelzen die regionalen, polnischsprachigen Medien, die in weiten Teilen des Landes völlig konkurrenzlos agieren, mehr oder weniger zu einem Bestandteil der regionalen Machtkartelle, die von Amtsperiode zu Amtsperiode wiedergewählt werden und alles unter Kontrolle haben.

B. Die Chefposten werden mit „Managern“ besetzt, die stets bereit sind das journalistische Berufsethos an den Nagel zu hängen, denn Werbung, „Productplacement“ und als Berichte getarnte Sponsorenbeiträge haben absoluten Vorrang.

C. Eine Zeitung soll vor allem unterhalten, Ratgeber sein, Lokales möglichst auf Hagelschäden, Feuerwehrfeste und Umleitungen reduzieren.

D. Vor der Übernahme hatten Regionalzeitungen, wie „Dziennik Polski“ („Polnisches Tagblatt“) aus Kraków oder „Głos Wielkopolski“ („Die Stimme Groβpolens“) aus Poznań, auch eine überregionale, meinungsbildende Bedeutung. Inzwischen sind auch sie der Gleichschaltung zum Opfer gefallen.

E. In der eher unpolitischen Gangart der polnischsprachigen deutschen Regionalmedien gibt es einige bemerkenswerte Ausnahmen. Zu ihnen gehört ganz gewiss das auffällig starke, jahrelange Engagement des „Dziennik Zachodni“ („West-Tagbaltt“) in Katowice für die Oberschlesische Autonomiebewegung, die als Vertreterin einer nirgendwo anerkannten „schlesischen Nation“ sich de facto für die Loslösung Oberschlesiens von Polen einsetzt.

F. Ob auf Anweisung oder als Folge des vorauseilenden Gehorsams ihrer polnischen Angestellten, Tatsache ist, dass in den monopolisierten regionalen Medien eindeutig propolnische Stellungnahmen zu kontroversen polnisch-deutschen Themen (Frau Steinbachs Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin, Kontroverse um den Film „Unsere Mütter, unsere Väter“, in dem die Polen als blutrünstige Antisemiten dargestellt worden sind usw.) kaum zu vernehmen sind.

2. Bunte Blätter

Groβe Teile dieser Blätter werden in Deutschland geschrieben, bebildert und vor Ort ins Polnische übersetzt. So wird, wie Prof. Terlecki sagt, „der eigene Kulturcode“ ins Nachbarland befördert.

3. Überregionale Medien

Mit dem Massenblatt „Fakt“ haben es die Kaufleute von Ringier Axel Springer auf das sensationslustige Massenpublikum abgesehen. Vorbild und Maβstab aller Dinge ist hier die deutsche „Bild-Zeitung“, die aber in Polen inzwischen eindeutig überboten worden ist. „Fakt“ teilt blindlinks in alle Richtungen aus, schürt Konflikte, stachelt an, wuchert mit Blut und Brutalität. Neustes Beispiel: Mitte August 2015 hat ein offensichtlich Geisteskranker, auf offener Straβe in Kamienna Góra/Landshut in Niederschlesien, mit einer Axt ein 10jähriges Mädchen erschlagen. „Fakt“ brachte das Foto der Sterbenden auf der ersten Seite, was sogar den sonst deutschlandfreundlichen ehem. Auβenminister Sikorski zu der Twitter-Eintragung veranlasste: „I wonder if in Germany @Axel Springer would dare to splash a photo of a 9-year-old-girl murderd with an axe“.

Ansonsten setzten die Manager Ringier Axel Springer auf die kaufkräftigste Kundschaft; das etablierte junge und etwas reifere, gut verdienende, genussfreudige Groβstadtpublikum und diejenigen, die gerne dazu gehören möchten. Man gibt sich „europäisch“, nationale Tradition, Geschichte, Literatur, das Einstehen für das eigene Land, Religion, Familie gelten als „längst überholt“ und diejenigen, die dazu stehen gelten als „Hinterwäldler“ und „Dörfler“. Für die Erstgenannten steht symbolisch Donald Tusk, für die anderen Jarosław Kaczynski.

"Polens Kirche deckt Pädophilie". 9/2013
Springer-Blatt „Newsweek Polska“ und die Kirche. „Polens Kirche deckt Pädophilie“. 9/2013

Newsweek 39-2012
„Gottesfürchtiger Sex“. 39/2012

Newsweek 31-2012
„Vater in Soutane“ 31/2012.

In diesem Konflikt, den sie geradezu schüren, bekennen sich „Newsweek Polska“ und das Internetportal Onet.pl eindeutig zu den Ersteren. Das Titelbild des „Newsweek Polska“, auf dem der Oralverkehr zwischen einem Kind und einem Priester suggeriert wird, spricht Bände. Wahre Begebenheiten spielen auch in diesem Fall keine Rolle.

Sie geben Hunderte von Blättern heraus, aber ein Ruhmesblatt ist das Wirken deutscher Medienkonzerne in  Polen für sie beileibe nicht. Sie haben, die ohnehin  vorhandene, mediale Sumpflandschaft an der Weichsel erheblich vertieft und erweitert. Zarte Versuche von Springer die politische Kultur positiv zu bereichern, mit einer Tageszeitung wie „Dziennik Polska – Europa – Świat“ („Tagblatt Polen – Europa – die Welt“ 2006-2009) oder  der hoch intellektuellen Beilage zum Revolverblatt „Fakt“ („Tygodnik Idei Europa“ – „Wochenblatt der Ideen Europa“) sind längst Geschichte. Es geht ja auch nicht um Ruhm, sondern nur ums Geld, und die Kaufleute an ihrer Spitze sind zu sehr vielem bereit.

31/2010
„Väter in Soutanen“. 31/2010

Hat also Stefan Bratkowski, der Doyen des polnischen Journalismus und, nebenbei bemerkt, ein glühender Gegner Jarosław Kaczyńskis und seiner politischen Richtung, mit seiner bereits 2003 ausgesprochenen Warnung doch recht gehabt? „Es ist sehr gefährlich, wenn ausländische Medien mit Monopolcharakter die öffentliche Meinung formen. Das kann den Informationsfluss in unserem Land gefährden und bewirken, dass die Diskussion über die für Polen wichtige Themen, ausschlieβlich durch ausländische Medienkonzerne moderiert wird.“

Mit einem Anteil von 70 Prozent der polnischsprachigen deutschen Medien am polnischen Medienmarkt ist die Ausschlieβlichkeit noch nicht erreicht, doch sie existiert bereits bei den Regionalzeitungen. Das Gleichgewicht jedenfalls ist eindeutig gestört.

© RdP

 




Andrzej Duda. An Gottes Segen ist ihm gelegen

Man darf gespannt sein. Am 6. August hat der neue Staatspräsident sein Amt angetreten.

Wieder einmal geht ein Gespenst um in Polen, dieses Mal seitdem Andrzej Duda am 24. Mai 2015 die Präsidentschaftswahlen gewann: es ist das Gespenst des Gottesstaates, einer Herrschaftsform, bei der die Staatsgewalt allein religiös legitimiert und von einer göttlich erwählten Person (gottberufener Prophet, gottbegnadeter König), einer Priesterschaft (z.B. dem katholischen Klerus) oder einer kirchlichen Institution (z. B. der Bischofskonferenz) auf der Grundlage religiöser Prinzipien ausgeübt wird. Sogar Ministerpräsidentin Ewa Kopacz malt schon diesen Teufel (Engel?) an die Wand. Glaubt man den Warnern, driftet Polen, mit Duda am Steuer, in die düstere Finsternis des Mittelalters ab.

Zweifelsohne twitterte der postkommunistische Politiker Tomasz Kalita jedenfalls allen polnischen Kirchengegnern tief aus der Seele, als er Mitte Juli 2015 schrieb: „Nach dem Urlaub beginnt der gewählte Staatspräsident seine Aktivitäten mit der Teilnahme an religiösen Feierlichkeiten. Wurde in Polen vor Kurzem ein Staatsoberhaupt oder ein Kirchenoberhaupt gewählt?“

Antiklerikale in Sorge

Polens Antiklerikale haben wahrlich allen Grund zur Sorge, denn auch vor dem Urlaub verhielt sich Duda keineswegs besser. Schon nach seinem Wahlsieg legte er anderentags auf dem Heimweg von Warschau nach Kraków einen Zwischenstopp in Częstochowa/Tschenstochau ein, um auf dem Hellen Berg „der Muttergottes für die Fürsorge, für die Kraft“, die sie ihm im Wahlkampf angedeihen lieβ, zu danken. Spät abends in Krakau angekommen, suchte er noch in der Wawel-Kathedrale die Reliquien des Hl. Stanislaus auf, um auch dort einen Augenblick lang zu beten.

Andrzej Duda. Am 25. Mai 2015, gleich nach dem Wahlsieg das Gnadenbild der Schwarzen Madonna aufgesucht.
Andrzej Duda. Am 25. Mai 2015, gleich nach dem Wahlsieg, das Gnadenbild der Schwarzen Madonna aufgesucht.

Kurz darauf, am Sonntag, dem 8. Juni 2015 erreichte Dudas religiöses Engagement seinen vorläufigen Höhepunkt. Während einer Freiluftmesse in Warschau gelang es ihm eine Hostie einzufangen, die der Wind vom Altar in den Zuschauerbereich wehte. Der Präsident schoss aus seinem Sitz in der ersten Reihe empor, fing die Hostie und umschloss sie mit den Händen. Nach einer kurzen Zeit des Zögerns wurde er zum Altar geleitet, wo er die Hostie zurückgab.

 

Warschau am 8. Juni 2015. Hostie erfolgreich eingefangen.
Warschau am 8. Juni 2015. Hostie erfolgreich aufgefangen.

Der gewandelten Hostie – als dem wahren Leib Christi – bringt man in der katholischen Kirche höchste Ehrfurcht entgegen. Geweihte Hostien werden im Tabernakel aufbewahrt, vor allem für die Kommunion für Kranke und Sterbende, aber auch zur stillen Anbetung der Gläubigen. Diese ganz besondere Verehrung kommt auch bei der Fronleichnamsprozession zum Ausdruck, bei der ein Priester oder ein Diakon eine geweihte Hostie in der Monstranz zu den Außenaltären trägt. So gesehen, hat sich Duda durch und durch korrekt verhalten. Er bekam dafür viel Lob von den Katholiken und erntete Hohn bei den Antiklerikalen. Als den „Der mit der Hostie tanzt“ schmähten und verspotteten ihn Autoren von Memes und Karikaturen im Internet.

Der Fototermin-Katholizismus von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz entfacht verständlicherweise keine antikerikale Hysterie.
Privataudienz bei Papst Franziskus am 12. Juni 2015. Der Fototermin-Katholizismus von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz entfacht verständlicherweise keine antikerikale Hysterie.

„Es ist schon interessant festzustellen“, so die „Gazeta Polska Codziennie“ („Polnische Zeitung Täglich“) vom 23. Juli 2015, „dass die Kirchenbesuche und Messeteilnahmen des abgewählten Staatspräsidenten Komorowski auf dem Hellen Berg in Częstochowa niemals auch nur den Schatten einer antiklerikalen Hysterie hervorgerufen haben. Genauso wenig, wie die kürzlich, am 12. Juni 2015, absolvierte Privataudienz von Regierungschefin Ewa Kopacz bei Papst Franziskus. Die antiklerikalen Künder wissen sehr wohl zwischen dem Fototermin-Katholizismus der jetzt Regierenden und dem authentischen Glauben Dudas zu unterscheiden.“

Dudas Antwort auf diese Attacken ist denkbar einfach: „Denjenigen, die mich wegen meines Betens und meiner Kirchenbesuche angreifen, möchte ich sagen, dass ich als Staatspräsident niemanden zum Beten zwingen werde. Ich bitte jedoch darum, dass niemand mir das Beten zu verbieten versucht. Ich habe vor dem Wahlkampf gebetet, ich habe im Wahlkampf gebetet, und ich werde auch jetzt beten“.

Ein Mann der konservativen Elite

„Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ Mahatma Gandhis Worte geben sehr gut wieder, was zwischen dem Herbst 2014, als der Präsidentschaftswahlkampf begann, und der Verkündung des Wahlergebnisses am Abend des 24. Mai 2015 in Polen geschah. Zweifelsohne öffnet Dudas Amtsantritt ein grundlegend neues Kapitel in der Geschichte der III. Polnischen Republik, die es seit 1990 gibt, wobei die Tatsache, dass Polen den jüngsten (Jg. 1972) freigewählten Staatspräsidenten der Welt haben wird, eine eher untergeordnete Rolle spielen dürfte.

Andrzej Dudas Eltern, Jan und Janina, er Elektrotechniker, sie Chemikerin, sind Professoren an der renommierten Krakauer Hochschule für Bergbau und Hüttenwesen (AGH). Der Vater seiner Ehefrau Agata, einer Germanistin und Deutschlehrerin am namhaften 2. Krakauer Lyzeum, ist der berühmteste, lebende moderne polnische Dichter Julian Kornhauser.

Die Eltern: Prof. Jan und Prof. Janina Duda.
Die Eltern: Prof. Jan und Prof. Janina Duda.

Duda entstammt einer konservativen Elite, die es weder im kommunistischen, noch in der vom ausufernden, hemdsärmeligen Self-made-Man-Kapitalismus geprägten Folgezeit leicht hatte. Ein Patriotismus kennzeichnet sie, der das eigene Land, das eigene Volk, seine Geschichte und Tradition eindeutig in den Mittelpunkt stellt, aber andere Länder und Völker keineswegs herabsetzt oder gar verachtet, was für den Nationalismus typisch ist.

Bildung, Kultur, Fachwissen und Fleiβ, nicht Ellbogen, sind die Instrumente des Aufstiegs. Man ist und gibt sich in diesen Kreisen aus Überzeugung bescheiden, denn das Fortkommen wurde mühsam erkämpft. Andrzej Dudas Eltern kamen aus Kleinstädten zum Studium nach Krakau, wo sie sich kennengelernt haben. Das Studentenleben fristeten sie in Vier- bzw. Fünfbettzimmern der Uni-Wohnheime. Die erste gemeinsame Wohnung des angehenden Wissenschaftlerehepaares war neun Jahre lang ein neun Quadratmeter groβes Zimmer im Mitarbeiterhotel der AGH-Hochschule, das sie mit ihrem kleinen Sohn Andrzej teilten, bis sie eine Wohnung bekamen.

In der Familie Duda war der Glaube ein fester und natürlicher Bestandteil des Alltags. Menschen dieser Schicht mussten im kommunistischen Polen ein Vielfaches an Leistung und Wissen aufbringen, um beruflich weiterzukommen. Da sie die Parteizugehörigkeit verweigerten, blieben Leitungsfunktionen, Auslandsstipendien und manch andere Privilegien für sie zumeist unerreichbar.

Geld ist in diesen Kreisen zweitrangig, wichtiger ist die Herausforderung der Aufgabe. Nach seinem Jurastudium an der Jagiellonen-Universität lehnte Duda 2005 ein sehr einträgliches Angebot einer groβen Maklerfirma zugunsten der eher brotlosen Assistentenstelle und einer wissenschaftlichen Karriere an der Universität ab. Als Staatspräsident wird Duda sechsmal weniger verdienen als ein Europaabgeordneter, der er seit Mai 2014 und bis noch vor Kurzem war.

Good boy, bad boy

„Polityka“, das Wochenblatt der postkommunistischen Linken, das regelmäβig die besten Sejm-Abgeordneten des Jahres kürt, hegte noch im September 2013 nicht die geringsten Zweifel an Dudas Fachwissen, seiner Dialogfähigkeit, seinen guten Manieren. „Einer der aktivsten Abgeordneten. Seine Reden im Plenarsaal gelten fast ausschlieβlich den Gesetzen und der Gesetzgebung (…). Sachlich, kultiviert, offen für Argumente, zeigt er, dass man diskutieren kann ohne jemanden zu beleidigen. Keine Boshaftigkeit, keine personenbezogenen Attacken, stattdessen Sachargumente.“

Der beste Sejm-Abgeordnere. "Polityka" im September 2013.
Der beste Sejm-Abgeordnere. „Polityka“ im September 2013.

Im September 2014 fand sich Duda unter den besten polnischen Europaabgeordneten, die die „Polityka“ ausgemacht hat. „Diskussionen mit seiner Teilnahme waren stets intelligent, sachlich, manchmal bissig. Er ist ein hervorragender Jurist, der Populismus meidet und sich an die Regeln der politischen Kultur hält, aber auch, wenn es notwendig ist, ein politischer Kämpfer sein kann.“

Der beste polnische Europaabgeordnete. "Polityka" im September 2014.
Der beste polnische Europaabgeordnete. „Polityka“ im September 2014.

Wenige Monate später verwandelte sich der Präsidentschaftskandidat Duda, der einst sachliche, intelligente, kultivierte, dialogorientierte, hervorragende Jurist in derselben „Polityka“ in einen „wenig bekannten Hinterbänkler“, eine „jämmerliche Marionette Kaczyńskis“, einen „kirchenhörigen Fundamentalisten“. Die Zahl einflussreicher Medien, die ihn so darstellen, ist in Polen Legion. Duda wird es genauso schwer haben, wie sein politischer Förderer Lech Kaczyński, der im April 2010 ums Leben gekommene, viel geschmähte polnische Staatspräsident, dessen enger Mitarbeiter er war.

Der beste Feind. "Polityka" im Mai 2015.
Der beste Feind. „Polityka“ im Mai 2015.

 

„Intensiver Katholik“

Jarosław Kaczyński, Lechs Zwillingsbruder und Chef der oppositionellen nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), der Duda zum Kandidieren ausgewählt und bewogen hat, bezeichnete ihn als einen „intensiven Katholiken“. Was heiβt das?

Polens gröβtes Nachrichtenmagazin, der katholische „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 3. Mai 2015 ist dieser Frage nachgegangen und stellt fest:

„Es ist ein Jemand, der den Glauben nicht als ein Beiwerk zum Privatleben betrachtet (schöne Trauung, Taufe, Beerdigung), sondern als etwas, was sein ganzes Leben durchdringt und seine Entscheidungen beeinflusst. Eine solche Haltung schlieβt keineswegs Fehler und Abstürze aus. Ein „intensiver Katholik“ nimmt die göttlichen und kirchlichen Gebote ernst. Er ist kein „selektiver Katholik“, der sich, wie in einem Supermarkt, das aus dem Katholizismus herausnimmt, was ihm gerade passt, und sich seinen eigenen „Glauben“ zurechtbastelt. (…)

Kann ein Politiker ein „intensiver Katholik“ sein? Ja, er kann und er sollte es sogar sein, auch wenn er beschimpft wird als „Fundamentalist“, als „Lakai des Vatikans“ usw. Ein Katholik und Politiker zugleich, hat das Recht sich auf die christliche Moral- und Soziallehre zu berufen. Genauso, wie eine Feministin und Politikerin sich auf den Feminismus und ein Homo-Aktivist und Politiker sich auf die Homo-Ideologie berufen darf“, schreibt das Blatt und fährt fort:

„In der Demokratie muss man Kompromisse schlieβen, um Recht zu schaffen. Ein Katholik kann für ein Gesetz stimmen, das aus der Sicht der katholischen Lehre unvollkommen ist, aber eine Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustand bringt. Er darf das geringere Übel wählen, um ein gröβeres zu vereiteln.
Wenn man hört, wie und was Andrzej Duda sagt, hat man den Eindruck, dass er das alles sehr gut versteht und darauf vorbereitet ist, das höchste Amt im Staate auszuüben ohne von dem eigenen Glauben abzurücken.“

Gottesstaat? Lächerlich

Auch die katholische Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 30. Juli 2015 nahm sich des Themas „Gottesstaat“ an. Das Blatt schreibt:

„Die polnische Verfassung garantiert jedem Bürger die Gewissens- und Religionsfreiheit, und definiert präzise, wie die Beziehungen zwischen dem Staat, den Kirchen und anderen Glaubensgemeinschaften auszusehen haben. Letztere sind ohne Ausnahme vor dem Gesetz gleich. D. h. Polen ist kein Gottesstaat. Um ein solcher zu werden, müsste man die Verfassung und viele andere Gesetzte ändern, so auch das Konkordat mit dem Vatikan. Danach jedoch sieht es nicht aus.

Von allen Kirchen und Glaubensgemeinschaften spielt die katholische Kirche die wichtigste Rolle. Das resultiert nicht aus den Rechtsvorschriften, sondern aus der Geschichte und aus der Zahl ihrer Gläubigen. Darum sollte es wahrlich nicht verwundern, dass Bürger katholischen Glaubens des Öfteren die höchsten Ämter im Staate bekleiden. Ergibt sich aber daraus, dass sich Polen in einen „Gottesstaat“ verwandelt? Sicherlich nicht“, stellt die Zeitung fest, und schreibt weiter:

„Es gibt noch ein Argument. Es geht aus der Lehre Christi hervor. Es war Christus, der befahl: „gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, aber Gott, was Gottes ist.“ Daraus resultiert aus der Sicht der Katholiken die Achtung für die Autonomie und Unabhängigkeit von Kirche und Staat. Deswegen dürfen Geistliche keine Staatsämter innehaben.

Doch die Autonomie bedeutet nicht, dass die Kirche, verstanden als die Geistlichen und die Gläubigen, nicht laut und deutlich ihre Lehre verkünden darf. Das besagt auch das Gesetzbuch des Kirchenrechts der katholischen Kirche (Codex Iuris Canonici): „Der Kirche kommt es zu, immer und überall die sittlichen Grundsätze, auch über die soziale Ordnung, zu verkündigen, wie auch über menschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern“ (Can. 747 – § 2).

Die Frau Ministerpräsidentin (siehe 1. Absatz dieses Textes – Anm. RdP) sollte eigentlich wissen, dass die einzigen gefährlichen Gottesstaaten islamischer und nicht christlicher Provenienz sind. Schade, dass sie mit solch dümmlichen Feststellungen das Ansehen ihres Amtes schädigt“, endet das Blatt.

Andrzej Duda will und wird, bevor er das Amt antritt, seinen Glauben nicht an der Garderobe abgeben. Dialogorientiert wie er ist, will er jedoch, so seine Ankündigung, ein ernsthaftes Gespräch mit allen Bürgern, auch mit seinen ideologischen Gegnern suchen. Man darf gespannt sein auf diese Präsidentschaft.

© RdP




Komorowski-Rede entfacht Stauffenberg-Fehde

Das Problem: die Ablehnung Hitlers und die Verachtung seiner Opfer waren meistens eins.

Während seines Abschiedsbesuches in Berlin hat Polens scheidender Staatspräsident Bronisław Komorowski das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 mit dem Warschauer Aufstand verglichen. Komorowski setzte sich damit einer heftigen Kritik seitens einheimischer Medien und Historiker aus. Attentäter Stauffenberg sei ein Rassist gewesen, der Polen und Juden verachtete. Nicht den Völkermord zu stoppen hatte er im Sinn, sondern Deutschland vor einer totalen Niederlage zu retten, schrieben polnische Kommentatoren.

Der letzte Auslandsbesuch von Staatspräsident Bronisław Komorowski, der nach der verlorenen Wahl am 6. August sein Amt aufgeben muss, sollte ein freundliches Abschiednehmen von Bundespräsident Joachim Gauck und Auβenminister Frank-Walter Steinmeier sein. Normalerweise haben Medien an solchen Besuchen kein Interesse. Diesmal war es anders.

Komorowski wurde nämlich von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) eingeladen, am Rande seines Besuches, am 8. Juli 2015 in Berlin eine Rede in der Vortragsreihe „20. Juli. Vermächtnis und Zukunftsauftrag” zu halten. Komorowski hat sich bei seinem Auftritt sehr weit vorgewagt und das Attentat in eine Reihe mit dem Warschauer Aufstand gestellt:

„In gewisser Weise fügt sich (abgesehen von den Absichten) der polnische Unabhängigkeitsaufstand vom 1. August 1944 ein in den Ablauf der Ereignisse, in deren Tradition der 20. Juli 1944 und somit auch das Attentat auf Hitler stehen.”

Zur Erinnerung: am 1. August 1944 brach in Warschau, weil sich die Rote Armee bereits unweit der Stadt befand, ein Aufstand aus. Ausgelöst von der der Londoner Exilregierung unterstellten Heimatarmee (Armia Krajowa – AK), sollte er nur wenige Tage dauern. Die AK wollte die Stadt aus eigener Kraft von den Deutschen befreien, um anschließend als legale polnische Macht die Russen in der Hauptstadt begrüβen zu können. Auf diese Weise sollte, da die Augen der Weltöffentlichkeit auf Polen gerichtet sein würden, eine Beseitigung der AK (Erschieβungen, Deportationen), wie sie bereits im Osten des Landes an der Tagesordnung war, und die Einsetzung einer kommunistischen Verwaltung durch die Sowjets verhindert werden.

Die Russen stoppten jedoch, unter dem Vorwand ihre Truppen seien erschöpft, daraufhin ihren Vormarsch, um den Deutschen Zeit genug zu geben, die AK zu vernichten. Wie anders handelten die Amerikaner unter Gen. Einsenhower, als sie sofort ihre Pläne änderten und umgehend dem Aufstand in Paris, im August 1944, zur Hilfe kamen.

Warschauer Auftsand 1944.
Warschauer Auftsand 1944.

Die Intensität der Kämpfe in Warschau stand der von Stalingrad in nichts nach. Der Aufstand dauerte 63 Tage lang, zog den Tod von ca. 250.000 Warschauern nach sich, und (nach der Kapitulation am 3. Oktober 1944 und der Vertreibung der restlichen Bevölkerung) die planmäβige Zerstörung der Stadt bis Mitte Januar 1945, als die Sowjets endlich das menschenleere Ruinenmeer „befreiten“. In Polen gilt der Warschauer Aufstand (nicht zu verwechseln mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto im April 1943) als ein nationaler Opfergang und der Höhepunkt des Freiheitskampfes im Zweiten Weltkrieg.

Schon vor Komorowskis Berlin-Reise gab es in den Medien erhebliche Einwände gegen seine Teilnahme an der KAS-Veranstaltung. Jedoch am Tag nach seinem Berliner Auftritt, den in Deutschland kaum jemand zur Kenntnis genommen hat, brach in Polen ein Sturm der Entrüstung aus. Kritisiert wurde nicht nur Komorowskis Rede. Beanstandet wurde auch, dass er die Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung angenommen hatte und sich „benutzen“ lieβ.

Auf dem Weg zur deutschen Résistance

In Deutschland, so der Tenor, sei man nämlich dabei den einstigen Begriff „Opposition gegen Hitler“ zu verwerfen und eine deutsche „Widerstandsbewegung“ zu konstruieren, damit man sich in eine Reihe mit dem polnischen „Untergrundstaat“ (Polskie Państwo Podziemne), mit der französischen Résistance, der sowjetischen, jugoslawischen, griechischen Partisanenbewegung u. e. m. stellen könne. Versprengte Oppositionsgruppen, die oft erst nach den Niederlagen Hitlers und zusätzlich in einem Meer von Hitlerverehrern, Mitläufern und Kriegsgewinnlern aktiv wurden, würden so auf eine Ebene gestellt mit groβen nationalen Freiheitsbewegungen im besetzten Europa.

Stauffenberg Hitler foto
Stauffenberg (links) mit Hitler in der Wolfsschanze.

Stauffenberg persönlich wird in Polen, nicht erst seit heute, der Vorwurf gemacht, er sei den Polen, wie allen Slawen, aber auch den Juden gegenüber feindselig eingestellt gewesen und habe sie zutiefst verachtet. Immer wieder wurde in den letzten Tagen aus einem Brief zitiert, den Stauffenberg 1939, nach dem deutschen Überfall auf Polen, seiner Frau schrieb:

„Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu gebrauchen, arbeitsam, willig und genügsam.”

„Deutsche“ Wertarbeit, „nationalsozialistische“ Verbrechen

An diese Worte erinnerte am 8. Juli 2015 u. a. der Kommentator der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) Jerzy Haszczyński:

„So sollte der Abschied Komorowskis von Deutschland nicht aussehen. Dass er am Ende seines Besuches in Berlin eine rühmende Rede auf die deutsche Widerstandsbewegung im Dritten Reich hält, wirkt zumindest ungeschickt. (…) Zwar wollte Stauffenberg Hitler stürzen (um den Krieg zu beenden und die Zahl der deutschen Opfer zu mindern), doch ideologisch stand er dem Führer nicht fern. Ein Teil der Historiker hält ihn für einen, für die damalige deutsche Armee typischen, Antisemiten und erinnert daran, dass er ein Gegner der parlamentarischen Demokratie war.

Seine bekannteste Aussage über Polen (aus dem Brief an seine Frau) ist ein Musterbeispiel des Antipolonismus“, fährt Haszczyński fort. „Mag sein, dass Stauffenberg eine geeignete Ikone für die deutsche Geschichtspolitik ist, aber ein polnischer Staatspräsident sollte sich nicht darum kümmern.

Umso mehr als sich die Deutschen alleine hervorragend bei der Umsetzung dieser Politik zu helfen wissen. (…) In mehr als einhundert Ländern haben sie, dank dem ZDF-Film „Unsere Mütter, unsere Väter“, das tragisch-menschliche Antlitz der Wehrmacht und die unmenschliche Fratze der polnischen Heimatarmee (AK) gezeigt. Sie können sich auch darüber freuen, dass man einerseits zumeist von „Nazi“-Verbrechen, andrerseits von „deutschen“ Gebrauchsgegenständen hoher Qualität spricht. In diesen Kontext hat sich Komorowski bei seinem Abschiedsbesuch in Berlin eingeordnet.“, so Haszczyński.

Polen nicht vorgesehen

Dieselben Vorwürfe, ergänzt um einige weitere, erhoben am 9. Juli 2015 die Autoren eines offenen Briefes an Komorowski: der bekannte Historiker Andrzej Nowak aus Kraków und Witold Jurasz, Chef des Think Tanks Ośrodek Analiz Strategicznych (Zentrum für Strategische Analysen). Sie weisen darauf hin, was die meisten führenden Köpfe des 20. Juli im Sinn hatten und schreiben:

„Sehr geehrter Herr Präsident,

(…) Allgemein zugängliche historische Quellen bestätigen von welcher Absicht die Attentäter geleitet wurden: (…) die deutsche Armee vor der totalen Niederlage an der Ostfront zu retten, zu verhindern, dass Deutschland in Folge des Krieges weitere Opfer und territoriale Einbuβen erleidet. Sie legten keinerlei Mitgefühl für Juden, Roma und Slawen an den Tag. (…). So wie Ludwig Beck, eine führende Persönlichkeit der Opposition der Offiziere, haben sie den Einsatz der Wehrmacht zum Wiederaufbau der deutschen Herrschaft in Mittel- und Osteuropa befürwortet. (…)

Selbstverständlich kann man den Verschwörern ihren spezifischen, preuβischen und deutschen Patriotismus nicht absprechen. Das aber kann nicht eine Voraussetzung sein dafür, dass ein polnischer Staatspräsident sie ehrt. (…)“

Nowak und Jurasz erinnern daran, dass die meisten Verschwörer davon ausgingen, Deutschland werde nach dem Sturz Hitlers und einem Friedensabkommen mit den Alliierten seine Kolonien zurückbekommen und die Grenzen von 1914 behalten. Grenzen also, die gut ein Drittel Polens aus der Zeit zwischen 1918 und 1939 (östliches Oberschlesien, Groβpolen mit Poznań und den sogenannten Korridor mit dem Hafen Gdynia, Bydgoszcz und Toruń) umfasst hätten.

In demselben Geist sind weitere offene Briefe verfasst: so der, der Stiftung Paradis Judeaorum (vom 7. Juli), des Christlichen Verbandes der Auschwitz-Familien (vom 7. Juli) oder des bekannten Historikers Jan Żaryn (vom 9. Juli).

Kritische Kommentare zu, vor und nach Komorowskis Berlin-Rede erschienen u. a. in der nationalkonservativen Wochenzeitung „Gazeta Polska“ (am 15. Juli), auf dem liberalen Internetportal „natemat.pl“ (13. Juli), im gröβten Nachrichtenmagazin des Landes, dem katholischen „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“, vom 19. Juli) und in den zwei gröβten polnischen Boulevardblättern „Fakt“ (am 8. Juli) und „Super Express“ (9. Juli).

Stauffenberg, Brandt, Bonhoeffer

Nur die linke „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“, vom 5.Juli) nahm Staatspräsident Komorowski in Schutz. Ihr ehemaliger Korrespondent in Berlin, Bartosz Wieliński schrieb:

„Es ist natürlich wahr – Pöbel, Mischvolk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt, genügsam – so beschrieb Stauffenberg die Polen in seinen Briefen im Herbst 1939. Mehr verachtete er damals nur die Juden. In Polen kämpfte er als Rittmeister der 1. Leichten Division. Als der Krieg ausbrach, schrieb er, dass er Erleichterung spüre. Gewiss, wenn es ihm gelungen wäre Hitler am 20. Juli zu töten und die Verschwörer an die Macht in Deutschland gekommen wären, hätte der deutsche Terror in Polen nicht nachgelassen. Von einer Verschiebung der Grenzen wäre auch keine Rede gewesen.

Nur, der vor kurzem verstorbene spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der sich um die deutsch-polnische Versöhnung auβergewöhnlich verdient gemacht hat, nahm auch an dem Überfall auf Polen teil. Am zweiten Tag des Krieges verlor er seinen Bruder in der Tucheler Heide. Sein Vater, Ernst von Weizsäcker, war die Nummer zwei in der Nazi-Diplomatie, nach dem Krieg wurde er als Kriegsverbrecher verurteilt. Sein zweiter Bruder, Carl Friedrich arbeitete am Nazi-Atomprogramm. Was dachte der junge von Weizsäcker über die Polen? Er wich dieser Frage aus“, führt Wieliński aus und setzt fort:

„Nichts in der neusten deutschen Geschichte ist schwarz-weiß. (…) Unter den wichtigsten Politikern der älteren Generation haben alle einen gröβeren oder kleineren braunen Fleck in der Biografie. Es gibt keinen einzigen Konzern, der nicht in die Arbeit für den „Endsieg“ verstrickt gewesen wäre. Viele Zeitungredaktionen haben nach dem Krieg ehemalige Nazis übernommen. Die deutsche katholische Kirche hat vor kurzem die Beschäftigung von Zwangsarbeitern aufgearbeitet.

Doch wichtiger als die Verstrickung ist, wie man damit umging und was daraus folgerte. Auf Stauffenberg muss man aus dieser Perspektive schauen. Noch Anfang der 50er Jahre betrachtete ihn jeder vierte Deutsche als Verräter, dem eine gerechte Strafe zuteil geworden ist. Heute wird er verehrt, weil er einer der wenigen war, die um ihr Land vor der Katastrophe zu bewahren, den Mut hatten die Hand gegen den herrschenden Wahnsinnigen zu erheben. Verloren haben sie alle. Hitler hat sich schlieβlich selbst umgebracht. Doch ihr Opfer war das Fundament, auf dem das demokratische Deutschland aufgebaut wurde. So hat sich Stauffenberg um ganz Europa, also auch um Polen, verdient gemacht. An der Beteiligung des polnischen Staatspräsidenten an Feierlichkeiten zu Ehren Stauffenbergs gibt es daher nichts, was unangebracht gewesen sein könnte“, schreibt Wieliński.

Es hagelte Erwiderungen auf Wielińskis Text. Dass die Tatsache, er sei genauso ein überzeugter Rassist gewesen, wie alle anderen („Stauffenberg stand mit solchen Ansichten nicht allein“), für Stauffenberg sprechen solle, wurde als geradezu kurios eingestuft.

Auch die Feststellung Wielińskis: „Nichts in der neusten deutschen Geschichte ist schwarz-weiß“, stieβ auf Widerworte. Auf den blütenweiβen Seiten in der neusten deutsche Geschichte stehen solche Namen, wie Willy Brandt, die Geschwister Scholl oder Dietrich Bonhoeffer… Leider sind es nicht allzu viele, so der Kommentator Tadeusz Płużański im Boulevardblatt „Super Express“, der dann fortsetzt:

„Stauffenberg nahm als Wehrmachtoffizier am Überfall auf Polen teil und schon das genügt, damit der polnische Staatspräsident ihn nicht ehrt. (…) Nach den Feierlichkeiten in Berlin erfuhren Deutschland und die Welt wieder einmal, dass es in Deutschland eine bedeutende Widerstandsbewegung gab. Das ist eine offensichtliche Lüge, die Bronisław Komorowski zu fördern beschloss.“

Anmerkung RdP: wie differenziert man mit dem Thema deutsche Opposition gegen Hitler in Polen umgehen kann, zeigt die Rede Janusz Reiters, des ehem. Journalisten und polnischen Botschafters in Bonn (1990-1995): „Sie waren nicht makellos, aber sie hatten Mut“. Hier nachzulesen.

Ein weiterer Beitrag zu dem Thema hier.

RdP




21. Juli 2015. Sie schreiben, wir antworten


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