Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat

Die andere Meinung.

Staatspräsident Andrzej Duda ergriff das Wort am Nachmittag des 20. Dezember 2017, einige Stunden nachdem die EU-Kommission verkündete, sie habe die diplomatische „Atombombe“ gezündet. Das Sanktionsverfahren gegen Polen wegen angeblich gefährdeter Rechtsstaatlichkeit werde eingeleitet. Die Brüsseler Rechnung, Duda werde klein beigeben und die zwei gerade verabschiedeten wichtigsten Reformgesetzte nicht unterschreiben, ging nicht auf. Dudas Begründung ist lesenswert. Nachfolgend der Wortlaut.

Guten Abend, meine Damen und Herren,

ich möchte ihnen mitteilen, dass ich die Gesetze über den Landesjustizrat (LJR – Anm. RdP) und das Oberste Gericht (OG – Anm. RdP) unterschreiben werde.

(Vom Parlament verabschiedete Gesetzte treten in Polen in Kraft, nachdem sie vom Staatspräsidenten unterzeichnet wurden. Dieser kann die Unterschrift verweigern, sein Veto einlegen. Das Präsidenten-Veto kann das Parlament mit einer 3/5 Mehrheit überstimmen. Gelingt das nicht, tritt das Gesetzt nicht in Kraft.

Der Staatspräsident kann ebenfalls ein Gesetz unterschreiben und es anschlieβend dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Das Urteil ist für den Staatspräsidenten bindend. Er darf nur die eine oder die andere Maβahme ergreifen. Beides, zunächst das Verfassungsgericht anrufen, und danach eventuell sein Veto einlegen, geht nicht. – Anm. RdP).

Es sind meine Gesetzentwürfe, die ich am 24. September 2017 dem Sejm vorgelegt habe. Ich hatte mich dazu verpflichtet, als ich (am 24. Juli 2017 – Anm. RdP) meine Unterschrift unter beide damals vom Parlament verabschiedete Gesetzte über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht verweigert habe. Ich war mit diesen in wesentlichen Punkten nicht einverstanden. Meine Gesetzentwürfe wurden in den letzten Tagen zunächst durch den Sejm und anschließend vom Senat ohne Änderungen verabschiedet. Deswegen werde ich sie unterschreiben.

Staatspräsident Andrzej Duda verkündet seine Entscheidung die Gesetzte zur Justizreform zu unterschreiben. 20. Dezember 2017.

Meine Entwürfe enthielten wesentliche Änderungen gegenüber den im Juli 2017 verabschiedeten Gesetzen. Ich wundere mich über die, lassen Sie es mich so formulieren, unanständigen Behauptungen, es gäbe keine Unterschiede.

Die Unterschiede sind sehr groβ, meine Damen und Herren. Ich darf Sie daran erinnern, dass das Juli-Gesetz u. a. vorsah, dass alle Richter am Obersten Gericht entlassen werden und nur diejenigen, die der Justizminister akzeptiert ihre Tätigkeit würden aufnehmen können. Diese Bestimmung gibt es nicht mehr.

Stattdessen wurde das Ruhestandsalter für Richter am OG auf 65 Jahre festgelegt. (Von den jetzt 82 Richtern am OG fallen 30 unter diese Bestimmung – Anm. RdP). Richter, die drei Jahre länger arbeiten wollen, können einen entsprechenden Antrag an den Staatspräsidenten stellen, versehen mit einem Arbeitstauglichkeitsattest.

Die Zahl der Richter am OG wird (auf 120 – Anm. RdP) anwachsen. Dadurch wird sich die Verfahrensdauer verkürzen. Auβerdem werden zwei neue Kammern am OG entstehen: die Disziplinarkammer und die Kammer für Sonderrevisionen.

Die Kammer für Sonderrevisionen ist eine neue Einrichtung. Sie soll der Beseitigung von offensichtlichem Unrecht, von offensichtlichen Justizirrtümern dienen. Wenn jemand meint davon betroffen zu sein, dann kann er sich u. a. an den Generalstaatsanwalt, den Bürgerbeauftragten des Parlaments oder an das Amt für Verbraucherschutz wenden, mit der Bitte, eine solche Sonderrevision für ihn beim OG einzubringen. Diese Behörden werden vorab entscheiden, ob dieses Ansinnen berechtigt ist.

Ich bin fest davon überzeugt, dass dank dessen viele Bürger, die sich ungerecht behandelt fühlen, denen Unrecht widerfahren ist, den Glauben daran zurückgewinnen werden, dass Polen ein ehrlicher und gerechter Staat ist, der sich um seine Menschen kümmert.

Meine Damen und Herren, es wird auch Änderungen im Landesjustizrat geben. Mit Widerwillen nehme ich all die lauten Stimmen zur Kenntnis, darunter auch die aus den Führungseliten der Richterschaft, die da verkünden, dass die richterliche Unabhängigkeit beseitigt, die politische Aufsicht eingeführt wird, und allgemein, welch fürchterliche Regelungen gelten sollen.

Bitte überprüfen Sie, in wie vielen Ländern staatliche Behörden Einfluss auf die Wahl der Richter haben. Der US-Präsident beruft die Richter am Obersten Gericht, sie werden vom Senat beurteilt. Die Richter selbst haben kein Mitspracherecht.

Ich sehe kein Problem darin, dass fünfzehn Richter vom Parlament  als Mitglieder in den LJR gewählt werden sollen (der LJR besteht insgesamt aus 25 Mitgliedern – Anm. RdP). Umso mehr, als dass nicht nur die regierende Mehrheit, sondern auch die Opposition ihre Kandidaten fürs Richteramt in den LJR wird entsenden können.

Wir haben sehr demokratische Lösungen eingeführt. Werden damit irgendwelche demokratischen Regeln verletzt? Nein. Wir haben unser Justizsystem einer demokratischen Reform unterzogen. Es kann nicht sein, dass die Richterschaft sich selbst verwaltet und niemand darauf Einfluss nehmen kann. Neben der Gewaltenteilung gibt es nämlich auch das Prinzip der gegenseitigen Kontrolle und der Balance zwischen den einzelnen Gewalten.

Die neuen Lösungen stellen sich der Verwandlung unseres Landes in eine Oligarchie, in einen Richterstaat entgegen. Wenn nämlich eine der Gewalten allein über sich selbst bestimmt und niemand darauf Einfluss nehmen darf, dann haben wir es mit einer Oligarchie zu tun. Jeder, der mit Vernunft auf unseren Staat blickt, der wirklich will, dass Polen ein stabiler, gerechter und starker Staat ist, kann diesbezüglich keine Zweifel haben.

Meine Damen und Herren, ich habe meine Entscheidung getroffen. Die Stimmen der Kritik, die ich von vielen Seiten vernehme, versetzten mich in ungläubiges Staunen.

Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straβburg.

Ich darf daran erinnern, dass im Jahr 1998, also vor nicht allzu langer Zeit, eine tiefgehende Reform des europäischen Schutzsystems für Menschenrechte stattgefunden hat. Es entstand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straβburg. Er trat an die Stelle der bis dahin existierenden Europäischen Kommission für Menschenrechte und des ursprünglichen Gerichtshofes.

Was hat man damals gemacht? Mit einem einzigen Rechtsakt wurden alle bisherigen Richter entfernt und es wurde ein neuer Gerichtshof gewählt. Niemand in Polen empörte sich damals, das sei undemokratisch, beschränke die richterliche Unabhängigkeit.

Richter am Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg.

Kein anderer als der den Richter entsendende Staat entscheidet darüber, ob das Mandat des Richters am Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg verlängert wird oder nicht. Niemand nimmt Anstoβ daran, stellt deren Unabhängigkeit in Frage.

Wir führen in Polen sehr gute Regelungen ein, die der Verbesserung des Justizwesens dienen. Die Menschen bei uns werden dadurch den Glauben an die Justiz wiedererlangen. Das ist sehr wichtig.

Sehr wichtig ist auch eine solide disziplinare Verantwortlichkeit der Richter. Dem dient die neue Disziplinarkammer am OG. Gerichte und Richter sind nicht für sich da. Nein! Sie sind vor allem für die Bürger da. Sie sind keine besondere, höchste Kaste. Sie sind Diener der polnischen Gesellschaft und des polnischen Staates.

Staatspräsident Andrzej Duda beruft am 24. Januar 2017 vom Landesjustizrat vorgeschlagene Kandidaten ins Richteramt …

Dieses tiefe Gefühl der Dienstpflicht erwarte ich von den Richtern und ich sage das auch bei jeder Richterernennung.

… wie zuvor auch am 10. Oktober 2016.

(Der Landesjustizrat schlägt dem Staatspräsidenten die Kandidaten zur Ernennung zum Richteramt vor. Der Staatspräsident nimmt die Ernennung auf Lebenszeit oder die Ernennung in ein höheres Richteramt vor bzw. kann es ebenfalls ablehnen. Andrzej Duda hat davon im Juni 2016 Gebrauch gemacht, als er die Beförderung von neun Richtern ablehnte.

Das Oberste Verwaltungsgericht, vor dem einige Betroffene daraufhin klagten, bestätigte im Januar 2017, die Ernennung von Richtern gehöre zu den „vertraulichen Befugnissen“ des Staatspräsidenten, die nur und ausschließlich in seinem Ermessen liegen – Anm. RdP).

Wir alle dienen dem polnischen Staat und den Menschen. Jede Gewalt in Polen, ob die gesetzgebende, die ausführende, zu der auch ich als Staatspräsident gehöre, oder die gerichtliche, wir alle sind dazu verpflichtet. Ich appelliere an die Richter dieses zu verinnerlichen.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz. 

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

RdP




Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz

Was wurde wie verändert.

Drei neue Gesetze sollen das Fundament einer umfangreichen Justizreform in Polen bilden. Zwei von ihnen, dem Gesetz zum Obersten Gericht und dem zum Landesjustizrat, verweigerte Staatspräsident Andrzej Duda am 24. Juli 2017 die Unterschrift. Er hat Ende September dem Parlament diesbezüglich zwei eigene Gesetzesvorschläge unterbreitet, die Mitte Dezember 2017 verabschiedet wurden.

Das dritte Regelwerk, das neue Gerichtsverfassungsgesetz, trat bereits am 12. August 2017 in Kraft. „Der polnische Justizminister darf Richter nun ohne Grund entlassen oder austauschen“, meldeten die Medien im deutschsprachigen Raum (so z.B. die Zeit Online am 12. 08.2017). Es war eine von vielen Tatarenmeldungen dieser Art.

Was konkret beinhaltet das neue Gerichtsverfassungsgesetz?

1. Gerichtspräsidenten (nicht Richter) werden von nun an vom Justizminister be- und abberufen.

Auch nach der Abberufung aus dieser Verwaltungsfunktion bleiben die ehemaligen Gerichtspräsidenten Richter, führen Verhandlungen, fällen Urteile usw., denn Richter genieβen auch in Polen Weisungsfreiheit, sind und werden weiterhin auf Lebenszeit ernannt. Der Justizminister kann sie nicht entlassen.

Die neue Regelung, so die Absicht, soll die Arbeit der Gerichte effizienter gestalten, denn die Arbeitsorganisation an nicht wenigen von ihnen lässt viel zu wünschen übrig und gibt Anlass zu unzähligen Klagen der Bürger.

Bisher konnten Gerichtspräsidenten nur mit Zustimmung der Richter-Vollversammlung des jeweiligen Gerichtes berufen und abberufen werden. Unfähige, mit der Verwaltung überforderte, den Richterkollegen jedoch oftmals genehme Gerichtspräsidenten waren praktisch nicht absetzbar. „Nach und nach überwucherte ein Dickicht von Filz, Abhängigkeiten, dubiosen Interessengemeinschaften die Gerichtsstrukturen“, so der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro.

Generell gilt in Polen, wie in Deutschland, der Grundsatz, dass die richterliche Unabhängigkeit die Grenzen, die sich aus den Aufgaben der Gerichtsverwaltung bzw. Justizverwaltung ergeben, einhalten muss.

So lesen wir in dem deutschen Standardwerk „Richterrecht“ von Jürgen Thomas (Heymann, 1986):

„Die richterliche Unabhängigkeit stellt den Richter nicht von einer Dienstaufsicht frei. Er unterliegt der Dienstaufsicht insoweit, als nicht die richterliche Unabhängigkeit betroffen ist.
Im Rahmen der Dienstaufsicht kann dem Richter die ordnungswidrige Ausführung der Dienstgeschäfte dann vorgehalten werden, wenn es um die Sicherung des ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs, um die äußere Form oder um richterliche Tätigkeiten geht, die dem Kernbereich der Unabhängigkeit so weit entrückt sind, dass für sie die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit nicht in Anspruch genommen werden kann.

So ist es zulässig, den Richter zur Pünktlichkeit und zu angemessenen Umgangsformen mit anderen Verfahrensbeteiligten anzuhalten. Zulässig sind auch Geschäftsprüfungen, Vergleiche von Erledigungszahlen, Vorhalt von Rückständen, das Rügen einer gesetzwidrigen Terminierungspraxis und die Anregung, einen weiteren Sitzungstag in der Woche abzuhalten.

Betrifft die Dienstaufsicht hingegen den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit wie die Urteile oder Beschlüsse, ist sie nicht zulässig”, so Thomas.

Auf die Rechtsprechung der Richterkollegen hatten und haben die Gerichtspräsidenten, egal von wem berufen, keinen Einfluss. Die Reform bewegt sich also bis jetzt im Rahmen der zulässigen Dienstaufsicht.

In Polen gibt es 11 Appellations-, 45 Distrikt- und 321 Amtsgerichte mit insgesamt 377 Gerichtspräsidenten.

2. Gerichtspräsidenten werden nicht länger den Richtern ihre Verfahren zuweisen.

Vor allem „gut eingebundene“ Gerichtspräsidenten in kleineren Orten standen, berechtigt oder unberechtigt, im Verdacht auf diese Weise die Rechtsprechung zu beeinflussen. Junge, unerfahrene Kollegen bekamen manchmal komplizierte Verfahren zugewiesen, wenn sich der Prozess hinziehen oder gar im Sande verlaufen sollte. Strenge Kollegen saβen zu Gericht über die Feinde der Freunde. Milde Richter durften die Freunde der Freunde verurteilen usw., usf.

Ab sofort weist ein Zentralcomputer im Justizministerium jeden Nachmittag die an diesem Tag neu eingegangenen Fälle zu. Hierzu wurde für jedes polnische Gericht eine entsprechende Applikation entwickelt, die nach dem Zufallsprinzip arbeitet.

3. Spruchkörper und Einzelrichter bleiben während des gesamten Verfahrens dieselben.

Richter, die befördert oder versetzt werden bzw. bald in den Ruhestand treten, sind verpflichtet alle ihre laufenden Verfahren zu Ende zu bringen. Bis jetzt endete der Weggang von Richtern damit, dass Prozesse wieder neu aufgenommen und bereits durchgeführte Beweiserhebungen, Gutachter- und Zeugenanhörungen wiederholt werden mussten.

4. Arbeitsbelastung der Richter – objektivere Kriterien

Ein elektronisches System wird jedes Verfahren nach einheitlichen Kriterien „bewerten“: so z.B. nach der Zahl der Angeklagten, Zeugen und Gutachter, der Dauer der Beweisaufnahme, der Komplexität der rechtlichen Problemstellung und einiges mehr. Für jedes Merkmal werden Punkte vergeben, die, addiert, die Gesamtpunktzahl für das Verfahren ergeben.

Auf diese Weise erhält der Gerichtspräsident ein weitgehend objektives Bild bezüglich der Arbeitsbelastung der einzelnen Richter. So bekommt beispielsweise ein Richter, der zwei juristisch einfache Verfahren mit einer Bewertung von jeweils fünfzehn Punkten abgeschlossen hat, dreißig Punkte. Einem anderen Richter wurden hingegen zweihundert Punkte gutgeschrieben, für nur einen, dafür aber sehr komplizierten und umfangreichen Prozess.

5. Beurteilungen

Planmäβige Kontrollen und zyklische Beurteilungen der Richter werden abgeschafft. Dienstaufsichtskontrollen soll es nur im Falle häufiger Beschwerden geben. Etwa einhundertfünfzig Richter, die bis dato ausschließlich Aufsichts- und Kontrollfunktionen innehatten, sollen in die Gerichtssäle zurückkehren.

6. Gläserne Richter

Wie schon jetzt Abgeordnete, hohe Staatsbeamte und alle Staatsanwälte, müssen zukünftig auch die Richter am Anfang eines jeden Jahres eine Vermögenserklärung abgeben: Nebeneinkünfte, Ersparnisse, Wertpapiere, Grundbesitz, Autos müssen aufgelistet werden. Die Vermögenserklärungen können auf der Internetseite des jeweiligen Gerichtes eingesehen werden.

7. Karriere

In die Appellationsgerichte (dritte Instanz) können von nun an ebenfalls Richter aus den Amtsgerichten berufen werden (die vorherige Arbeit an einem Distriktgericht ist nicht mehr Voraussetzung). Dasselbe gilt für Staatsanwälte, Notare und Anwälte mit einer mindestens zehnjährigen Berufspraxis. Der Landesjustizrat muss auch diese Berufungen absegnen und dem Staatspräsidenten, der die Beufung vornimmt, unterbreiten.

Herausragenden Richtern und Vertretern anderer juristischer Berufe, so die offizielle Absicht, soll auf diese Weise der Weg in die höhere Gerichtsbarkeit geebnet werden. Beim Obersten Gericht gilt diese Regelung schon seit vielen Jahren. Da in den Appellationsgerichten ausnahmslos dreiköpfige Spruchkörper die Urteile fällen, werden die neuen Kollegen unter den wachsamen Augen von zwei in dieser Instanz erfahrenen Richtern ihren Einstieg haben.

8. Gesundheit

Für die gesamte Amtszeit eines Richters wird die Möglichkeit zur Beurlaubung zum Zweck der Rehabilitation von maximal einem Jahr (im Anschluss an eine maximal sechsmonatige Krankschreibung) eingeführt, vorausgesetzt es besteht keine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit. Während der Beurlaubung werden fünfundsiebzig Prozent der Bezüge gezahlt.

Bis jetzt konnten Richter, aufgrund ärztlicher Atteste, jedoch ohne Feststellung einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit in den vorgezogenen Ruhestand (mit hundert Prozent der Bezüge) gehen. Während einer Beurlaubung zur Rehabilitation und im vorgezogenen Ruhestand müssen sich Richter ab jetzt regelmäβig Untersuchungen durch eine Ärztekommission der staatlichen Sozialversicherungsanstalt unterziehen, um den Missbrauch, den es in der Vergangenheit gab, zu unterbinden.

9. Entsendungen

Auβer ins Justizministerium können Richter ab jetzt auch in die Kanzlei des Staatspräsidenten und ins Auβenministerium entsandt werden und dort jede Beamtenstelle übernehmen, für die ihr Fachwissen benötigt wird, mit Ausnahme der des Generaldirektors der drei Behörden. Den Antrag auf Entsendung stellen der Justiz- bzw. der Auβenminister oder der Staatspräsident. Etwa einhundertfünfzig Richter arbeiten bereits im Justizministerium. Weitere Entsendungen, und damit noch mehr fehlende Richter, so die Kritiker, werden sich negativ auf die Arbeit der Gerichte auswirken.

10. Ruhestand

Da Polen zu dem von der Regierung Tusk 2013 abgeschafften Renteneintrittsalter (Frauen mit sechzig Jahren, Männer mit fünfundsechzig) zurückkehrt, wurde auch im neuen Gerichtsverfassungsgesetz das Ruhestandseintrittsalter für Richter diesem Niveau angepasst. Richterinnen die bis zum 65. Lebensjahr arbeiten wollen entscheiden das selbst. Die Tusk-Reform hatte das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre für Frauen und Männer festgelegt.

Richter, die maximal drei Jahre länger als bis zum 65. Lebensjahr arbeiten wollen müssen den Justizminister um Erlaubnis bitten. Bis jetzt musste der Justizminister lediglich von solchen Plänen in Kenntnis gesetzt und ein Arbeitstauglichkeitsnachweis vorgelegt werden.

Richter zahlen in Polen keine Sozialversicherungsbeiträge. Ihre gesamte Sozialversorgung, das Ruhestandsgeld eingeschlossen, wird aus dem Staatshaushalt bezahlt.

11. Auslandsbevollmächtigter

An allen Gerichten wird es zukünftig einen sogenannten Auslandsbevollmächtigten geben, der seine Richterkollegen bei Rechtsangelegenheiten mit Auslandsbezug, deren Zahl zunimmt, beraten soll.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

© RdP




Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat

Was wurde wie verändert.

Neufassungen von drei wichtigen Regelwerken bilden das Fundament der polnischen Justizreform:  die  des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Gesetze über den Landesjustizrat (LJR) sowie die des Obersten Gerichts (OG). Wir stellen sie vor. 

Mitte Dezember 2017 verabschiedete das Parlament die Gesetze über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht. Es war der zweite Anlauf.

Beim ersten Mal, im Juli 2017, wurden auch diese beiden Gesetze zwar vom Parlament verabschiedet, aber Staatspräsident Andrzej Duda brachte sie zu Fall, indem er seine Unterschrift verweigerte. Über die erforderliche Mehrheit von 3/5 der Stimmen im Parlament, um das Veto des Staatspräsidenten zu überstimmen, verfügt das Regierungsbündnis, mit Recht und Gerechtigkeit als stärkster Partei, nicht. Die Gesetze traten nicht in Kraft.

Staatspräsident Andrzej Duda war mit der rigorosen Art, in der die regierende Mehrheit den Landesjustizrat und das Oberste Gericht reformieren wollte nicht einverstanden. Er versprach, bis Ende September 2017 eigene Gesetzentwürfe im Parlament einzubringen.

Im August und September 2017 fanden daraufhin vier streng vertrauliche Gesprächsrunden zwischen Staatspräsident Andrzej Duda und dem Parteichef von Recht und Gerechtigkeit, Jarosław Kaczynski, statt. Über Detailfragen einigten sich anschließend zwei bevollmächtigte Fachleute. Man wollte im Vorfeld alle Streitpunkte ausräumen, um dieses Mal eine reibungslose Verabschiedung der Gesetzesvorlagen zu gewährleisten. Die so vorbereiteten Entwürfe brachte der Staatspräsident schließlich Ende September 2017 im Parlament ein.

Nach einer weiteren Konsultationsrunde über die Justizreform. Staatspräsident Andrzej Duda bringt Jarosław Kaczyński zur Tür.

War die Reform des LJR mit der polnischen Verfassung vereinbar?

Der Artikel 187 4 der polnischen Verfassung besagt: „Den Aufbau, den Tätigkeitsbereich und die Arbeitsweise des Landesjustizrates und das Verfahren bei der Wahl seiner Mitglieder regelt ein Gesetz.”

Ein diesbezügliches Gesetz wurde ordnungsgemäβ am 12. Dezember 2017 durch das Parlament verabschiedet.

Was ist der LJR?

Ein in der polnischen Verfassung vorgesehenes Gremium. Artikel 186 1: „Der Landesjustizrat wacht über die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter.“

Der Sitz des Landesjustizrates in Warschau.

Zusammensetzung des LJR (unverändert)

Diese regelt der Artikel 187 1 der polnischen Verfassung. Der Landesjustizrat besteht aus 25 Mitgliedern. Dies sind:

1. Von Amtswegen: die Präsidenten des Obersten Gerichtes und des Obersten Verwaltungsgerichtes sowie der Justizminister. Alle Drei bleiben im LJR so lange sie ihre Ämter innehaben.

2. Ein Vertreter, ernannt und abberufen durch den Staatspräsidenten.

3. Vier Abgeordnete, gewählt vom Sejm (untere Kammer des Parlaments), zwei Senatoren, gewählt vom Senat (obere Parlamentskammer).

4. Fünfzehn Richter (zwei vom Obersten Gericht, zwei von den Appellationsgerichten, zwei von den Verwaltungsgerichten, acht von Kreisgerichten und einer aus der Militärgerichtsbarkeit. Das richterliche „Fuβvolk“ der Amtsgerichte war bisher im LJR nicht vertreten.

Amtsperiode des LJR (verändert)

Die Amtsperiode der gewählten Mitglieder des LJR beträgt nach wie vor vier Jahre. Bisher wurden frei gewordene Positionen fortlaufend für vier Jahre neu besetzt. Es fand also ein kontinuierlicher Wechsel statt.

Jetzt sollen alle gewählten Mitglieder des LJR gleichzeitig ihre Amtsperiode beginnen und beenden. Vorzeitig ausscheidende, gewählte Mitglieder soll eine Nachwahl durch das Parlament bestimmen. Die Amtsperiode der Nachgewählten endet mit der laufenden Amtsperiode des gesamten Landesjustizrates.

Der amtierende, entsprechend des alten Prinzips funktionierende LJR soll nach der Wahl des neuen Landesjustizrates (wahrscheinlich im Januar 2018) seine Tätigkeit automatisch beenden.

Zuständigkeiten (teilweise verändert)

Der LJR:

● wendet sich im Bedarfsfall an das Verfassungsgericht, mit dem Antrag alle Regelungen, die die richterliche Unabhängigkeit und die Unabhängigkeit der Gerichte betreffen auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung zu überprüfen (wie gehabt).

Der LJR ist auβerdem zuständig für:

● die Auswahl, Überprüfung und Zulassung von Kandidaten auf das Richteramt, die der Staatspräsident ernennt (wie gehabt),

● die Auswahl, Überprüfung und Zulassung von Richter-Kandidaten zur Beförderung in Gerichte einer höheren Instanz, die der Staatspräsident ernennt (wie gehabt),

● die Auswahl, Überprüfung und Zulassung von Richter-Kandidaten auf die Verwaltungsposten der Gerichtspräsidenten und ihrer Vertreter (entfällt. Diese Ernennungen und Abberufungen nimmt nach dem neuen Gerichtsverfassungsgesetzt der Justizminister vor),

● die Versetzung von Richtern in den Ruhestand nach dem 65. Lebensjahr, Aktivierung von Ruheständlern (wie gehabt).

● die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen Richter vor Disziplinargerichten (wird ergänzt. Ein entsprechendes Verfahren kann jetzt auch der Justizminister anregen, entweder vor den Disziplinarkammern der  Gerichte oder vor der neugegründeten Disziplinarkammer am Obersten Gericht).

Die Hinzuwahl der Richter in den LJR. Bisher.

Bis jetzt haben Mitglieder des LJR, durch Mehrheitsbeschluss, neue Richter in den Rat berufen, es galt also der Grundsatz der Kooptation.

Warum die Zuwahl in den LJR abgeschafft wurde.

Kooptation ist die Hinzuwahl von neuen Mitgliedern durch die bereits bestehenden Mitglieder einer Gemeinschaft, eines Gremiums.

„Für die Wahl von Regierungen, Parlamenten oder anderen Vertretungsorganen ist das Verfahren der Kooptation nicht mit einem demokratischen und rechtsstaatlichen Verständnis vereinbar. Hier hat die Zuwahl einen gänzlich undemokratischen, oligarchischen Charakter“. (Siehe dazu Karl Loewenstein: „Kooptation und Zuwahl. Über die autonome Bildung privilegierter Gruppen”, Frankfurt a. M. 1973).

Nach 1989 fand in Polen keine Überprüfung der Richter aus der kommunistischen Zeit statt. Bis auf ganz wenige Ausnahmen verblieben alle, darunter viele ehemalige aktive Mitglieder der kommunistischen Partei sowie Richter, die politische Unrechtsurteile gesprochen haben, in ihrem Amt. Viele sind zwischenzeitlich aus Altersgründen ausgeschieden, viele sind aber auch aufgestiegen und haben noch heute leitende Positionen im Justizwesen inne. Durch den Landesjustizrat und andere hohe Ämter formten und bestimmten sie seit 1989 den Richternachwuchs.

Es war, als würde man in der vereinigten Bundesrepublik alle DDR-Richter auf ihren Posten belassen und ihnen eine absolute Autonomie gewähren. Sie würden, wie in Polen durch den LJR, über die Berufung des Nachwuchses in den Richterstand, über Beförderungen in höhere Gerichtsinstanzen, über die Bestrafung oder Nichtbestrafung von Kollegen in Disziplinarverfahren bestimmen.

Über zwei Jahrzehnte lang führte dieses in sich geschlossene System zu vielen Missständen und einer wachsenden Entfremdung des Justizwesens von der sozialen Wirklichkeit und seinen eigentlichen Aufgaben, hin zu einem auf das eigene Wohlergehen orientierten Dasein. Auf der Strecke blieb eine beträchtliche Anzahl von Bürgern, die das zunehmend lahmende, ineffiziente Justizwesen im Stich lieβ.

Jeder Versuch das zu ändern prallte an diesem System ab, wurde und wird zudem, bis heute, als ein Anschlag auf die richterliche Unabhängigkeit ausgelegt. Im Gegensatz dazu genieβt die Justizreform eine enorme (laut Umfragen mehr als 80 Prozent) Zustimmung in der Bevölkerung.

Sogar die Venedig-Kommission bemerkte 2014 in einem ihrer Berichte: „In Körperschaften wie den Landesjustizräten darf es keine eindeutige Vorherrschaft der Richter geben, ansonsten könnten dort Kungeleien, Berufsdünkel und Cliquenbildung die Oberhand gewinnen“.

Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stellte in einem ihrer Berichte fest: „Auf internationaler Ebene ist man allgemein der Meinung, dass die Landesjustizräte nicht ausschlieβlich oder mehrheitlich aus Vertretern der Justiz bestehen sollten. Es geht darum Eigennutz, gegenseitiges Decken, Kungeleien, Berufsdünkel zu vermeiden“.

Die Wahl der Richter in den LJR. Künftig

● Die fünfzehn Richter werden vom Parlament in den LJR gewählt.

● Jeweils ein Kandidat wird entweder von einer Gruppe von mindestens zweitausend Bürgern oder mindestens fünfundzwanzig Richtern vorgeschlagen. Die Kandidaturen werden dem Parlamentspräsidenten mitgeteilt, der die Überprüfung der Anträge (Zahl der Unterschriften, ihre Authentizität usw.) und der Kandidaten (Personalien, vorgesehene fachliche, berufliche, moralische Kompetenz usw.) anordnet.

● Im parlamentarischen Justizausschuss wird, in Absprache zwischen der Regierungsmehrheit und der Opposition, eine fünfzehnköpfige Kandidatenliste erstellt. Neun Richter-Kandidaten bestimmt die Regierungsmehrheit, sechs die Opposition.

● Das Parlament wählt die so vereinbarte Liste mit einer 3/5 Mehrheit.

● Die Opposition hat bereits einige Male gedroht, sie werde an der Prozedur nicht teilnehmen und so die Entstehung eines neuen LJR unmöglich machen. Um eine solche dauerhafte Blockade zu vermeiden, ist eine Notlösung vorgesehen.

Kommt es nicht zu einer einvernehmlichen Einigung im parlamentarischen Justizausschuss, wählt das Parlament aus einer Liste, die alle (auf jeden Fall mehr als fünfzehn) Kandidaturen umfasst, fünfzehn Richter in den LJR. Dies geschieht in einer namentlichen Abstimmung. Die Abgeordneten werden aufgerufen und werfen ihre namentliche Stimmkarte in eine Urne, wobei jeder Abgeordnete nur einen Kandidaten auf der Liste ankreuzen darf. Die fünfzehn Kandidaten mit den meisten Stimmen gelten als gewählt.

● Alle in den LJR gewählten Richter sind nicht abrufbar und denjenigen, die ihre Kandidatur unterstützt haben keine Rechenschaft schuldig. Eine Wiederwahl ist ausgeschlossen, was ihre Unabhängigkeit zusätzlich stärken soll.

● Die zehn übrigen LJR-Mitglieder, die keine Richter sind, werden nach den bisherigen, unveränderten Regeln gewählt bzw. ernannt.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

© RdP




Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht

Was wurde wie verändert.

Das Fundament der polnischen Justizreform bilden die Neufassungen von drei wichtigen Regelwerken: des Gerichtsverfassungsgesetzes sowie der Gesetze über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht (OG). Wir stellen sie vor. 

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht.

Mitte Dezember 2017 verabschiedete das Parlament die Gesetze über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht. Es war der zweite Anlauf. Beim ersten Mal, im Juli 2017, wurden auch diese beiden Gesetze zwar vom Parlament verabschiedet, aber Staatspräsident Andrzej Duda brachte sie zu Fall, indem er seine Unterschrift verweigerte. Über die erforderliche Mehrheit von 3/5 der Stimmen im Parlament, um das Veto des Staatspräsidenten zu überstimmen, verfügt das Regierungsbündnis, mit Recht und Gerechtigkeit als stärkster Partei, nicht.

Staatspräsident Andrzej Duda war mit der rigorosen Art, in der die regierende Mehrheit den Landesjustizrat und das Oberste Gericht reformieren wollte nicht einverstanden. Er versprach, bis Ende September 2017 eigene Gesetzentwürfe im Parlament einzubringen.

Im August und September 2017 fanden daraufhin vier streng vertrauliche Konsultationen zwischen Staatspräsident Andrzej Duda und dem Parteichef von Recht und Gerechtigkeit, Jarosław Kaczynski, statt. Über Detailfragen einigten sich anschlieβend zwei bevollmächtigte Fachleute. Man wollte im Vorfeld alle Streitpunkte ausräumen, um dieses Mal eine reibungslose Verabschiedung der Gesetzesvorlagen zu gewährleisten. Die so vorbereiteten Entwürfe brachte der Staatspräsident Ende September 2017 im Parlament ein.

Sehr lesenswert hierzu: Polens Justizreform. Die andere Meinung. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat.

Karyatiden vor dem Eingang zum Obersten Gericht in Warschau.

1. War die Reform des Obersten Gerichtes mit der polnischen Verfassung vereinbar?

Artikel 176.2 der polnischen Verfassung besagt: „Den Aufbau und die Zuständigkeit der Gerichte sowie das Verfahren vor den Gerichten regeln die Gesetze”.

Ein Gesetz über Veränderungen im Aufbau sowie über zwei neue Zuständigkeitsbereiche des Obersten Gerichtes wurde am 12. Dezember 2017 ordnungsgemäβ durch das Parlament verabschiedet.

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht mit dem Denkmal des Warschauer Aufstandes von 1944.

2. Was ist das Oberste Gericht?

Es ist das höchste Gericht der Republik Polen für letztinstanzliche Entscheidungen in Verfahren der ordentlichen sowie der Militärgerichtsbarkeit.

3. Der Aufbau, die Aufgaben des Obersten Gerichtes (verändert)

Anders als in der Bundesrepublik, wo für die wichtigsten Rechtsgebiete in letzter Instanz fünf separate Bundesgerichte zuständig sind, gibt es in Polen nur zwei gesonderte höchste Gerichte. Das Oberste Verwaltungsgericht sowie das Oberste Gericht, das durch mehrere Kammern alle anderen Rechtsgebiete abgedeckt.

Neben den beiden Obersten Gerichten existiert in Polen, wie in Deutschland, das Verfassungsgericht, das, wenn es angerufen wird, Urteile der Fachgerichte dahingehend überprüft, ob diese im Einklang mit der Verfassung stehen. Eine Prüfung der korrekten Anwendung des jeweiligen Fachrechtes ist in beiden Ländern nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtes, sondern der Obersten Gerichte.

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht.

Das Oberste Gericht besteht aus folgenden Kammern:

● Strafkammer, ● Zivilkammer, ● Kammer für Arbeit, Sozialversicherungswesen und Öffentliche Angelegenheiten ● Kammer für Sonderkontrolle und Öffentliche Angelegenheiten (neu eingerichtet), ● Disziplinarkammer (neu eingerichtet) und ● Militärkammer (wird abgeschafft).

Die neue Kammer für Sonderkontrolle und Öffentliche Angelegenheiten des OG ist zuständig u. a. für:

die Feststellung der Gültigkeit von Wahlen und Volksbefragungen auf Antrag des Staatlichen Wahlausschusses;

die Prüfung von Einsprüchen gegen die Wahl (diese müssen spätestens sieben Tage nach Verkündung der Amtlichen Wahlergebnisse durch den Staatlichen Wahlausschuss eingereicht werden). Beide Zuständigkeiten oblagen bisher der Kammer für Arbeit, Sozialversicherungswesen und Öffentliche Angelegenheiten.

Kassationsklagen (Anfechtungsklagen) aus dem Bereich des Konkurrenz- und Verbraucherrechts.

Sowie:

Sonderrevisionsklagen.

Diese neue Einspruchsform, die Andrzej Duda in seinem Wahlkampf oft zur Sprache gebracht hat, ist auf ausdrücklichen Wunsch des heutigen Staatspräsidenten eingeführt worden. Es gehe ihm um mehr Bürgernähe und die Demokratisierung des Justizwesens.

„Ich bin fest davon überzeugt, dass dank dessen viele Bürger, die sich ungerecht behandelt fühlen, denen Unrecht widerfahren ist, den Glauben daran zurückerlangen werden, dass Polen ein ehrlicher und gerechter Staat ist, der sich um seine Bürger kümmert“, sagte Duda als er das neue Gesetz unterschrieb.

Die Sonderrevision soll für alle rechtskräftigen Urteilen gelten, „wenn diese die garantierten bürgerlichen und Freiheitsrechte einschränken, das geltende Recht offensichtlich falsch auslegen oder anwenden, bzw. im offensichtlichen Widerspruch zur festgestellten Beweislage stehen“, so Dudas Erläuterung.

Ausgenommen sind Scheidungsurteile, wenn eine oder beide Parteien neu geheiratet haben.

Das Oberste Gericht in Warschau. Der groβe Verhandlungssaal.

Der Sonderrevision werden Urteile unterliegen, die im Rahmen anderer Einspruchsverfahren nicht mehr abgeändert werden können. Sie dürfen nicht länger als fünf Jahre lang rechtskräftig sein.

Eine Sonderrevision dürfen, auf Antrag des betroffenen Bürgers und nach gründlicher Prüfung, beim OG beantragen: der Generalstaatsanwalt, der Bürgerbeauftragte des Parlaments, eine Gruppe von 30 Sejm-Abgeordneten oder 20 Senatoren und (in ihrem Zuständigkeitsbereich) der Beauftragte für Kinderrechte, der Beauftragte für Patientenrechte, der Chef der Staatlichen Finanzaufsicht, der Chef des Kartell- und Verbraucheramtes.

Wird der Sonderrevision vor dem OG stattgegeben, kann das Gericht in der Sache selbst ein Urteil fällen oder den Fall zur Wiederaufnahme an das zuständige Gericht weiterleiten. Bei Entscheidung des OG zugunsten einer Partei ist keine weitere Sonderrevision zulässig.

Wie die Sonderrevision in der Praxis funktionieren wird, muss abgewartet werden. Die Beurteilungen in Fachkreisen reichen von Lob und Zuversicht, dass Richter dadurch zu mehr Bedacht und Sorgfalt in der Rechtsprechung gezwungen werden, bis zu Horrorszenarien, die Anarchie, das Ende der Rechtssicherheit und sogar einen neuen Bolschewismus aufkommen sehen. In der Öffentlichkeit ist Dudas Vorstoβ mit viel Applaus aufgenommen worden.

Briefmarke der Polnischen Post von 2018 zum 100. Jahrestag der Gründung des polnischen Obersten Gerichtes.

Noch spannender wird es durch eine weitere Neuerung: an den Sonderrevisionsverfahren am Obersten Gericht sollen Beisitzer teilnehmen, die es bis jetzt nicht gab.

Sie werden von der oberen Parlamentskammer, dem Senat, für vier Jahre gewählt. Juristische Kenntnisse sind nicht zwingend vorgeschrieben. Kandidaten vorschlagen dürfen Verbände, Gewerkschaften oder Gruppen von mindestens einhundert Bürgern. Politische Parteien sind davon ausgeschlossen.

100 Jahre Oberstes Gericht. Ersttagsbrief der Polnischen Post von 2018.

Die neue Disziplinarkammer des OG

Zuständig für Disziplinarverfahren gegen Vertreter aller juristischen Berufe: Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Rechtsbeistände (in Polen, anders als in Deutschland, ein eingetragener, verbreiteter juristischer Beruf mit eigener Disziplinargerichtsbarkeit), Notare und Gerichtsvollzieher.

Es gilt die Zweiinstanzlichkeit. Die erste Instanz bilden die Disziplinargerichte der jeweiligen Gerichte, bzw. die Disziplinargerichte der oben erwähnten juristischen Berufe. Zweite Instanz ist die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts: bestehend aus zwei Richtern und einem Beisitzer.

Für Richter am OG besteht die erste Instanz aus einem Spruchkörper mit zwei Richtern und einem Beisitzer der Disziplinarkammer. Die zweite Instanz bilden drei Richter und zwei Beisitzer.

Ankläger in den Disziplinarverfahren vor dem OG sind die Disziplinarbeauftragten der jeweiligen Gerichte bzw. Berufe. Der Beschuldigte wird vertreten durch einen Verteidiger seiner Wahl (Anwalt, Richter, Staatsanwalt, Rechtsbeistand).

Mögliche Strafen: ● Abmahnung ● Verweis ● Gehaltsminderung zwischen fünf und fünfzig Prozent für mindestens sechs, maximal vierundzwanzig Monate ● Enthebung von der Funktion ● Entfernung aus dem Richterstand.

Die Disziplinarkammer wird am Obersten Gericht eine herausgehobene Position haben, mit einer eigenen Kanzlei und einem eigenen Kanzleichef. Sie ist jedoch Bestandteil der Kanzlei des OG-Präsidenten, die allen anderen Kammern verwaltungstechnisch zuarbeitet.

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht.

Die Militärkammer des OG (abgeschafft)

War die höchste Instanz der Militärgerichtsbarkeit, zuständig u. a. für Kassationsklagen gegen Urteile der zwei Oberen Militärgerichte (Warschau, Poznań). Im Jahr 2016 hatte sie lediglich 65 Verfahren durchzuführen (im Vergleich arbeitete das gesamte OG im selben Zeitraum an 11.102 Verfahren).

Gründe: Abschaffung der Wehrpflicht 2009. Zudem wurden seit 2008 Soldaten von Militärgerichten nur noch für Straftaten, die unmittelbar mit dem Militärdienst im Zusammenhang standen verurteilt und nicht, wie früher, für alle Straftaten. Mangels Auslastung haben die sechs Militärrichter an der Strafkammer des Obersten Gerichts „ausgeholfen“. Sie werden jetzt alle (drei sind über 65) in den Ruhestand versetzt.

Die Aufgaben der Militärkammer übernimmt die Strafkammer des OG.

Das Ruhestandsalter

Artikel 180.4 der polnischen Verfassung besagt: „Das Gesetz regelt die Altersgrenzen für den Ruhestand der Richter”.

Der Artikel 180.5 der polnischen Verfassung besagt: „Der Richter darf im Falle der Änderung des Aufbaus der Gerichte oder der Änderung der Grenzen der Gerichtsbezirke an ein anderes Gericht oder, unter Beibehaltung seiner vollen Bezüge, in den Ruhestand versetzt werden“.

Beim Entwerfen des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht hat Staatpräsident Andrzej Duda von beiden Bestimmungen Gebrauch gemacht.

Das Eintrittsalter in den Ruhestand wurde auch für die Richter am OG von 70 auf 65 Jahre herabgesetzt und damit den allgemein in Polen, auch in der übrigen Gerichtsbarkeit, geltenden Regelungen angepasst: 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen, wobei Richterinnen dieses Alters allein entscheiden, ob sie in den Ruhestand gehen möchten oder bis 65 weitermachen wollen.

Wer 65 wird und maximal noch drei Jahre länger als Richter arbeiten möchte, muss ein Gesuch an den Staatspräsidenten stellen und ein Arbeitstauglichkeitsattest beilegen. Die Entscheidung darüber (genauso wie bei Berufungen ins Richteramt und bei der Bestätigung von Beförderungen) liegt allein beim Staatspräsidenten und muss von ihm nicht begründet werden.

Präsidentin des Obersten Gerichtes, Małgorzata Gersdorf ist eine der Führungspersonen des Widerstandes gegen die Justizreform. Hier bei der Protestkundgebung in Warschau am 24. Juli 2017.

Das neue Gesetz über das Oberste Gericht trat am 3. Juli 2018 in Kraft. An diesem Tag arbeiteten am OG 73 Richter, von denen 27 unter die neue Ruhestandsregelung fallen.

Sechzehn von ihnen haben ein Gesuch um Verlängerung an den Staatspräsidenten gerichtet. Acht dieser Gesuche entsprechen nicht dem neuen OG-Gesetz, sondern berufen sich nur auf Art. 180.1 der Verfassung: „Die Richter sind unabsetzbar“, ignorieren also Ausnahmen (Art. 180.4 und 180.5), die die Verfassung vorsieht und auf die sich der Staatspräsident in seinem von der Parlamentsmehrheit verabschiedeten Gesetzentwurf beruft.

Nur acht der Verlängerungsgesuche der Richter am OG entsprechen dem neuen Gesetz und haben eine Chance darauf positiv beschieden zu werden.

Die Präsidentin des OG, Prof. Małgorzata Gersdorf (sie ist im November 2017 fünfundsechzig Jahre alt geworden) hat es abgelehnt ein Gesuch auf Verlängerung zu stellen. Die Amtszeit des OG-Präsidenten beträgt sechs Jahre, d. h. sie müsste/könnte als Gerichtspräsidentin noch bis 2020 amtieren.  Da sie aber kein  Gesuch auf Verlängerung gestellt hat, ist sie mit ihren knapp 66 Jahren ab dem 4. Juli 2018 automatisch Richterin im Ruhestand, und als solche kann sie nicht Gerichtspräsidentin sein.

Frau Gersdorf lehnt die Einhaltung des neuen OG-Gesetzes ab und will bis 2020 amtieren. Sie ist eine der Führungspersonen des Widerstandes gegen die Justizreform, woran sie mit ihren Auftritten bei Protestdemonstrationen und radikalen politischen Stellungnahmen keine Zweifel aufkommen lässt.

Geplant ist eine Aufstockung der Richterzahl am OG auf 120.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz.

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat. 

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

© RdP




Auf dem Rückzug. Deutsch als Fremdsprache in Polen. Zum hören

Magdalena Rysula, Germanistin, Deutschlehrerin und Dolmetscherin aus Zakopane berichtet im Gespräch mit Janusz Tycner über ihre Arbeit und ihre Einschätzung der Lage des Deutsch als Fremdsprache in Polen. ♦ Wie wird Deutsch an polnischen Schulen unterrichtet. ♦ Womit haben die Polen beim Deutschlernen die gröβten Probleme. ♦ Glanz und Elend der polnischen Universitätsgermanistik. ♦ Deutschförderung aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Polen heute und einst.




Das Wichtigste aus Polen 10. Dezember – 23. Dezember 2017

Kommentator Prof. Marek Cichocki und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦  EU-Kommission zündet „Atombombe“, eröffnet das Sanktionsverfahren gegen Polen. Beifall in Deutschland ♦ Ziele und Maβnahmen der polnischen Justizreform. ♦ Regierungserklärung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Wofür steht der neue Regierungschef in der Innen- und Auβenpolitik? ♦ Von Polen aus gesehen. Koalitionsverhandlungen. Deutschland beschäftigt sich mit sich selbst und das ist gut so.




Das Wichtigste aus Polen 19. November – 9. Dezember 2017

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Der Wechsel an der Regierungsspitze. Die populäre und erfolgreiche Beata Szydło musste gehen wird aber weiterhin in der ersten Liga der polnischen Politik wirken. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki: ein herausragender Wirtschaftsprofi soll den nationalkonservativen Umbau Polens zu neuen Erfolgen führen.  ♦ Wie sich Polen nach und nach aus der Energieabhängigkeit von Russland befreit. Amerikanisches Flüssiggas hilft dabei. ♦ Jamaika wäre für Polen besser. Mit der GroKo und „Polenschreck“ Martin Schulz in der Regierung sind weitere deutsch-polnische Spannungen bereits vorprogrammiert.




Was will Morawiecki

Starke nationale Identität. Moderne Wirtschaft. Smog- und Krebsbekämpfung. Keine Gewalt gegen Frauen. Eine EU der Vaterländer u. e. m.

Die Regierungserklärung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, gehalten am 12. Dezember 2017, ist ein kompakter, ganzheitlicher und sehr lebhafter Blick auf die heutige polnische Situation, und zugleich ein Gestaltungsentwurf, der die wachsende Popularität der jetzigen Regierungspartei zu erklären vermag. Eine, wie wir meinen, sehr lohnende Lektüre für alle die mehr vom heutigen Polen verstehen wollen.

Herr Staatspräsident, Herr Präsident, Hohes Haus, liebe Landsleute,

zuerst möchte ich mich bei Frau Ministerpräsidentin Beata Szydło bedanken für die gemeinsamen Jahre harter Arbeit. (Morawiecki war im Kabinett Szydło zugleich stellv. Ministerpräsident, Finanz- und Entwicklungsminister – Anm. RdP).

Die Aufzeichnung der Rede ist hier zu sehen und zu hören.

Frau Ministerpräsidentin, Sie sind und Sie werden ein Symbol bleiben, für jene in der Solidarność-Tradition verhafteten Revolution, die seit 2015 Millionen polnischer Familien ein würdiges Alltagsleben ermöglicht hat. Ich danke Ihnen im Namen der ganzen Regierung für Ihre titanenhafte Arbeit, Ihr Einfühlungsvermögen und für den eisernen Glauben an den Sinn der Erneuerung unseres Landes. Ich freue mich auβerordentlich, dass wir weiterhin gemeinsam für Polen arbeiten werden.

(Frau Szydło war Regierungschefin vom 16.11.2015 bis zum 8.12.2017. Im Kabinett Mateusz Morawiecki bekleidet sie nun den Posten der stellv. Ministerpräsidentin mit dem Geschäftsbereich Sozialpolitik – Anm. RdP).

Das waren zwei gute Jahre für Polen und seine Bürger. Wir haben uns daran gewöhnt, dass all die Veränderungen zum Besseren, dank Ihnen, so zuverlässig durchgeführt wurden. Ich versichere, dass unsere Regierung dieses Werk unermüdlich fortsetzen wird. Frau Ministerpräsidentin, ich danke Ihnen noch einmal!

Die Regierung, an deren Spitze ich mich stelle, ist dieselbe, ihre Handlungsrichtungen, ihre Wegweiser und ihre Werte bleiben dieselben. Es ist eine Regierung der Kontinuität. Wirtschaftliches Gedeihen und Sozialpolitik sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Eine blühende Wirtschaft macht eine groβzügige Sozialpolitik möglich. Wir werden unsere Sozialprogramme nicht nur fortsetzten, sondern sie stärken und weiterentwickeln.

Tradition beflügelt

Der Leitgedanke, der mein gesamtes Tun bestimmt, ist der Ausruf von Stanisław Wyspiański (Dichter, 1869-1907 – Anm. RdP) „Polen, das ist eine groβartige Sache“ (aus dem Drama „Die Hochzeit“ von 1901 – Anm. RdP). Ja, meine Damen und Herren, Polen ist ein übergeordnetes Gut. In der vergangenen Woche hat mir der Herr Staatspräsident die Aufgabe die Regierung zu leiten anvertraut. Das ist eine groβe Ehre für mich.

Polen ist ein stolzer Staat mit groβen Errungenschaften. Ein Land, das vor der Tyrannei des Absolutismus, der Germanisierung, der Russifizierung, des Nazismus und des Kommunismus nicht kapituliert hat. Ein Land, das sich dem Holocaust widersetzte und Glaubenskriege vermieden hat. Ein Land, das nach mehr als einhundert Jahren (1795-1918 – Anm. RdP) der Nichtexistenz wiederauferstanden ist und ein Land, in dem Solidarność entstand.

Meine Absicht ist es, dass die Regierung der Vereinigten Rechten (Recht und Gerechtigkeit plus zwei kleine konservative Parteien – Anm. RdP) eine Regierung des geeinten Polens sein soll. Die Regierung und der Ministerpräsident sollen dem ganzen Land dienen. Es gibt nur ein Polen und das ist unser gemeinsames Gut.

Die Solidargemeinschaft ist ein untrennbarer Bestandteil unserer Tradition. Die Solidargemeinschaft, wenn es in der Vergangenheit darum ging den Generationen polnischer Sibirien-Deportierter zu helfen. Die Solidargemeinschaft, die in Gestalt des Untergrund-Zegota-Komitees unsere jüdischen Mitbrüder (zur Zeit der deutschen Besatzung – Anm. RdP) rettete oder die Solidarność schuf.

Die Stärkung unserer Identität, das Bekenntnis zu unserem groβen nationalen Erbe ist eine Verpflichtung, die wir gegenüber denen einlösen müssen, die für unser Gemeinwesen, die Rzeczpospolita, über Jahrhunderte gewirkt und ihr Blut vergossen haben. Es ist aber auch eine Verpflichtung gegenüber den künftigen Generationen, an die wir unser Erbe, die einzigartige polnische Kultur, unsere Werte, unseren Werdegang, unser Freiheits- und Wahrheitsbegehren weitergeben müssen. Wir können auf unsere Identität nicht verzichten.

In diesem Zusammenhang sei an die Sejm-Abstimmung (vom 17.04.2003 – Anm. RdP) erinnert, in der das Hohe Haus mit neunzigprozentiger Zustimmung den Beitritt zur EU beschlossen hat, aber auch an die mit genauso groβer Zustimmung (am 11.04.2003 – Anm. RdP) verabschiedete Sejm-Erklärung über die Souveränität Polens und die übergeordnete Geltung seiner Gesetzgebung in Angelegenheiten der Ehe, Familie, der Erziehung, des Schutzes des ungeborenen Lebens und der Kultur.

Die Welt sollte mehr erfahren über unseren Beitrag zum Kampf um Freiheit, Gerechtigkeit, um die wichtigsten Werte der westlichen Zivilisation, unseren Kampf gegen das Böse. „Den freien Gedanken, den darfst Du um keinen Preis aufgeben“, rief der Autor der Solidarność-Hymne (der Dichter Jerzy Narbutt, 1925-2011 – Anm. RdP). Diesen Kampf führten tapfere Menschen (…), die unter dramatischen Bedingungen über Jahrhunderte ihre Unbeugsamkeit, ihren Mut und ihre Tapferkeit unter Beweis gestellt haben. (…) Das sind die Helden unserer Freiheit. Ihr Vermächtnis tragen wir in eine bessere Zukunft.

Unsere Geschichte ist kein Ballast

Es gibt nichts Wichtigeres für mich, als das Nachholen all der Verluste und Rückstände, die unser Land in Folge der Teilungen, der beiden Weltkriege und des Kommunismus erlitten hat. Wir haben jetzt eine einmalige Chance dafür und die dürfen wir nicht vertun. Deswegen muss die polnische Politik ehrgeizig sein. Sie darf sich nicht mit dem Strom treiben lassen. Die Regierung ist nicht dazu da, um zu verwalten, sondern sie muss regieren und ehrgeizige Ziele erreichen.

Wir müssen zur Einigkeit finden. Wir müssen uns gegenseitig überzeugen und nicht gegenseitig bezwingen. Wir müssen die Worte unserer Nationalhymne verinnerlichen: Auch „Wenn wir mit dem Säbel streiten, lassen wir uns von der Eintracht und vom Wohl des Vaterlandes leiten“.

Wir sind und wir werden keine Regierung ideologischer Extreme sein. Wir sind genauso weit entfernt vom Neoliberalismus wie vom Sozialismus. Nicht nur deswegen, weil sie versagt haben. Auch deswegen, weil es statt auszuschlieβen und zu verstoβen, besser ist zu vereinigen: den Wettbewerb mit der Zusammenarbeit, das Globale mit dem Lokalen, Europa mit unseren Interessen, das staatliche Handeln mit dem freien Markt. Hier gibt es keinen Widerspruch.

Ich darf Ihnen versichern: unsere Regierung wird sehr ehrgeizig sein, wenn es darum geht Polen zum Besseren zu verändern. Dazu bedarf es der Errichtung eines Zentrums für Strategische Analysen. Wir brauchen eine schlüssige Gesetzgebung und Entscheidungen, die langfristige Entwicklungsstrategien begünstigen. In den letzten fünfundzwanzig Jahren wurden immer mehr und mehr Gesetzte verabschiedet. Wir werden diese Entwicklung aufhalten.

Der Staat bringt sich ins Spiel

Der Staat bringt sich jetzt ernsthaft ins Spiel. Zu den unternehmerisch denkenden und handelnden Wirtschaftstreibenden gesellt sich jetzt ein unternehmerisch denkender und handelnder Staat. Ein so agierender Staat trug bei zum Erfolg von Silicon Valley, zum Durchbruch der israelischen Innovationstechnologien, zu den technologischen Durchbrüchen der südkoreanischen und deutschen Industrie. Wir müssen eine goldene Mitte finden zwischen einem Minimalstaat, der seine Bürger völlig sich selbst überlässt, wie es noch vor kurzem bei uns der Fall war, und einem Staat der schwerfälligen Bürokratie. Wir wollen weder das eine noch das andere.

Wir wollen Polen von Grund auf modernisieren. Ich bin tief davon überzeugt, dass unsere nationale Souveränität und Tradition bei diesen Bemühungen unsere Trümpfe sein werden. Trümpfe und nicht Ballast, wie man uns das noch vor Kurzem einzureden versuchte. Hinter dieser Idee steht die Erkenntnis, dass im heutigen Europa der Interessenwettbewerb eine Schlüsselrolle spielt. Wir wollen unsere nationale Souveränität und Tradition als Trümpfe in diesem Wettstreit um unsere nationalen Interessen einsetzten.

Wir sind Zeugen einer technologischen Revolution, die gleichbedeutend ist mit einer neuen Rollenverteilung in der Weltwirtschaft. Sie darf nicht ohne Polen stattfinden. Es ist die erste technologische Revolution, in der Polen eine ernstzunehmende Rolle spielen kann, auf manchen Gebieten sogar eine führende Rolle. Die heutige Wirtschaftspolitik wird entscheiden, ob Polen in zehn Jahren ein Hersteller von hochentwickelten Technologien sein wird oder weiterhin nur ein Absatzmarkt für ausländische Firmen.

In den letzten zwei Jahren, seit den von uns im Oktober 2015 gewonnenen Wahlen, haben wir die Hände nicht in den Schoβ gelegt. Die britische Agentur FTSE Russell hat Polen als erstes Land der Region zu den entwickelten Staaten gerechnet. Im Jahr 2017 sind zwei Drittel aller neuen Industriearbeitsplätze in der EU in Polen entstanden. Deswegen begann man unser Land als die Fabrik Europas zu bezeichnen.

Großfirmen bauen bei uns technologisch hoch entwickelte Produktionsstätten, Forschungs- und Entwicklungszentren. Wir haben in unserem Teil Europas das umfangreichste staatliche Programm der Förderung von technologischen Startup-Unternehmen. Der Wiederaufbau sowie die Neuerrichtung der Industrie ist eine unserer wichtigsten Aufgaben für den zweiten Teil dieser Legislaturperiode.

Auch in anderen Bereichen gelangen uns Durchbrüche, die als nicht machbar galten. Dazu gehört u. a. die Sicherung unserer Steuereinnahmen. Allein in diesem Jahr (2017 – Anm. RdP) sind die Mehrwertsteuer-Einnahmen um 30 Mrd. Zloty (ca. 7,1 Mrd. Euro – Anm. RdP) gestiegen. Das ist mehr als in den letzten neun Jahren zusammen.

Es ist das Ergebnis unseres Kampfes gegen Steuerbetrüger und Banden, die sich über sogenannte Umstatzsteuerkarussells missbräuchlich bereichern. Wir mussten auf diesem Gebiet die Autorität des Staates wiederherstellen und wir werden diesen Kampf weiterführen. Unter anderem aufgrund dieser Maßnahmen erhielten die Polen in diesem Jahr 70 Mrd. Zloty (ca. 16,5 Mrd. Euro – Anm. RdP) an unterschiedlichen sozialen Transferleistungen.

Klose, Podolski, Lewandowski – die Fähigen laufen uns weg

Die vier apokalyptischen Reiter in unserem Leben das waren: Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel und ein unzulängliches Gesundheitswesen. Dank unserer Anstrengungen haben die ersten beiden deutlich an Einfluss verloren. Es gibt viel weniger Armut und die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit 27 Jahren.

Aber es gibt in diesen Bereichen noch viel zu tun. Wir werden uns nicht auf unseren bisherigen Lorbeeren ausruhen, auch wenn die Lohnentwicklung bei uns inzwischen die rascheste Steigerungsrate seit zehn Jahren erreicht hat. Wir werden weiterhin den Minimallohn anheben. Über die beiden verbleibenden Probleme, fehlende Wohnungen und Defizite im Gesundheitswesen, werde ich noch ausführlich sprechen.

Polen ist ein Teil des Westens. Deswegen muss es globale Bestrebungen haben, darf es keine Konkurrenz und keine Zusammenarbeit scheuen, um der Peripherie, in der wir uns heute befinden zu entkommen. Dazu brauchen wir einen starken Staat, eine starke Identität und die Umwandlung groβer polnischer Firmen in globale Champions.

Worum es geht, kann man gut am Beispiel des Sports veranschaulichen. Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass unsere fähigsten Fuβballer sich bereits als Anfänger in westlichen Fuβballschulen einschreiben und dann für die dortigen Klubs, manchmal sogar in dortigen Nationalmannschaften, spielen. Das ist nicht normal.

Was wäre die deutsche Fuβball-Nationalmannschaft ohne Miroslav Klose, schlussendlich, unseren Jungen aus Opole, der die meisten Tore für das deutsche Team geschossen hat. Oder ohne Łukasz Podolski. Gut, dass sie uns wenigstens unseren Robert Lewandowski nicht genommen haben.

Gutes Geld,…

Die Polen sind das Volk, das mit am meisten in Europa arbeitet. Wir arbeiten im Durchschnitt etwa 2.000 Stunden im Jahr. Die Arbeitsproduktivität und die Zahl der durchgearbeiteten Stunden entscheiden heute nicht einzig und allein über den ökonomischen Erfolg.

Wir wollen nicht, dass die Polen am längsten arbeiten. Wir möchten, dass sie effektiv arbeiten und für einen würdigen Lohn. Wir wollen, dass sie mehr Zeit haben für ihre Familien und deswegen müssen wir unseren polnischen Kapitalismus auf westliche Gleise setzen. Das ist das Ziel unserer Entwicklungsstrategie.

Die Ausbildung und das Können junger Polen sind heute das Antriebsrad unserer Innovationsfähigkeit und Modernität. In ihrer Begeisterung, ihrer Neugier auf die Welt, ihrer Bereitschaft es mit den Besten aufzunehmen steckt der Schlüssel zum Erfolg.

Unsere gesamte Arbeit hat keinen Sinn, wenn sie an den Bedürfnissen der jungen Menschen vorbeigeht. (…) Für sie, für Euch lohnt es sich Polen zu verändern. Ich liebe es mit jungen Leuten zu arbeiten. Sie können mit 280 Zeichen jede komplizierte Angelegenheit darstellen. Seien wir nicht blauäugig. Auswärtige werden uns keine starke Wirtschaft errichten.

Die Zahlen sprechen für sich. Der Anteil der Löhne polnischer Arbeitnehmer an unserem Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt nur 46 Prozent. Das sind zehn Prozent weniger als der EU-Durchschnitt. Wir müssen unseren originären Weg hin zur modernen Wirtschaft einschlagen, wenn wir wollen, und das wollen wir sehr, dass die Polen mehr verdienen.

Deswegen möchte ich in den nächsten Jahren auf einige wichtigste Entwicklungsbereiche setzten. Ich möchte sie hier schildern und das Hohe Haus um ein Vertrauensvotum für unsere Regierung bitten.

…gute Gesundheit,…

Die erste sehr wichtige Aufgabe ist das Gesundheitswesen. Es gibt kein würdiges Leben ohne eine funktionierende Gesundheitsversorgung. Deswegen werden wir die Ausgaben für diesen Bereich in wenigen Jahren zügig auf sechs Prozent des BIP erhöhen.

(Im Augenblick sind es ca. 4 Prozent, womit Polen den fünftletzten Platz in der EU belegt, vor Rumänien, Litauen, Lettland und Zypern. Deutschland – knapp 12 Prozent – Anm. RdP).

Dieser Zuwachs wird vor allem dank der Sicherung des Steueraufkommens möglich sein. Schon in diesem Jahr (2017 – Anm. RdP) haben wir 4 Mrd. Zloty (ca. 950 Mio. Euro – Anm. RdP) mehr ausgegeben um die Wartezeiten auf Termine bei Fachärzten zu verkürzen, den Kauf modernster Ausrüstung für die Krankenhäuser zu ermöglichen sowie zur Erstattung von medizinischen Leistungen, die unsere Vorgänger nicht bezahlt haben. Das ist erst der Anfang.

75 Prozent der Todesfälle in Polen sind eine Folge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Deswegen werden wir zwei Sonderprogramme einführen, die die Vorsorge sowie die Heilung dieser Erkrankungen im polnischen Gesundheitswesen von Grund auf modernisieren sollen.

Als Erstes soll ein Nationales Onkologisches Institut entstehen, wo nicht nur Tumore wirksam behandelt werden sollen, sondern auch Forschung auf diesem Gebiet betrieben werden soll. Als Zweites, das Nationale Programm für Herzgesundheit. Polen haben einen groβen Beitrag in der Entwicklung der Kardiologie geleistet und wir wollen, dass die Kardiologie unser Spezialgebiet bleibt. Vor allem aber wollen wir, dass die Polen erst gar nicht herzkrank werden, es sei denn eventuell aus Liebe.

Diese nationalen Programme, wobei nicht alles „national“ heiβen muss, es kann auch „staatlich“ oder „polnisch“ heiβen, müssen vor allem so funktionieren, dass das für sie vorgesehene Geld effektiv ausgegeben wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass neuer Wein in alte Schläuche gefüllt wird.

So wie wir das Steuersystem gegen Missbrauch absichern, so wollen wir im Gesundheitswesen vorgehen. Jeder dort investierte Zloty muss zur Verbesserung der Lebensqualität der Polen beitragen. Davon sollen die Patienten und das Personal profitieren.

Es darf auch keine Privatisierung der Gewinne, aber eine Verstaatlichung der Verluste geben. Die Ausstattung im öffentlichen Gesundheitswesen muss und darf nur dem öffentlichen Gesundheitswesen dienen und nicht windigen Privatinitiativen besonders geschäftstüchtiger „Unternehmer“. Deswegen werden wir der elektronischen Erfassung im Gesundheitswesen oberste Priorität einräumen. Darum wende ich mich an die Ärzte, Krankenschwestern, Hebammen, das Rettungspersonal, an alle die im Gesundheitswesen arbeiten. Werdet ein Teil der guten Wende, die zur Errichtung eines modernen Gesundheitswesens führen soll.

…gute Luft.

In vielen Gegenden Polens, vor allem in Kleinpolen (Region um Kraków – Anm. RdP), in Oberschlesien, aber auch in Masowien (Region um Warschau – Anm. RdP) habe ich Landschaften gesehen, die in dichten, beiβenden Nebel gehüllt waren und Kinder, die auf dem Rückweg von der Schule einen Mundschutz trugen. Saubere Luft ist eine zivilisatorische Herausforderung und das Maβ dessen, ob Polen tatsächlich ein entwickeltes Land ist.

Luft, Wasser, der Boden gehören nicht nur uns, sondern auch den künftigen Generationen und der Zustand in dem wir sie ihnen überlassen stellt uns ein Zeugnis aus.

In Folge des Smogs sterben jedes Jahr 48.000 Polen vorzeitig und der Rauch, der durch die Verbrennung von Müll in Privathaushalten entsteht, steigt nicht nur gen Himmel. Er gelangt in unsere Lungen und in die Lungen unserer Kinder.

Das Smog-Bekämpfungsprogramm ist zugleich ein Vorhaben zur Unterstützung der Ärmsten, die sich keine Wärmedämmung, keine neuen Fenster und Türen, keine sauberen Brennstoffe leisten können. Nur wenn wir die Energiearmut beseitigen, werden wir die Lebensqualität aller Polen verbessern.

Ich möchte mich auch an dieser Stelle bei allen Vorkämpfern für saubere Luft bedanken. Bei den Nichtregierungsorganisationen, den städtischen Bewegungen, die seit einigen Jahren sehr gute Arbeit leisten.

Sehr wichtig ist hier auch die Arbeit der Kommunen. Sie stehen an vorderster Front. Eine gute Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den Kommunen ist in diesem Fall von herausragender Bedeutung.

Ich möchte auch kurz auf das wichtige Thema der Sharing Economy eingehen. Das ist ein neuer Denkansatz in der Betrachtung der Umwelt, des sozialen Lebens und der Wirtschaft. Er ist gleichbedeutend mit der Abkehr von der Konzentration auf die eigenen Bedürfnisse hin zur Gemeinschaft und zum Gemeinwohl. Dieser Ansatz geht einher mit der katholischen Soziallehre, mit der Ethik der Solidarność-Bewegung und, darüber freue ich mich sehr, auch mit der Strategie der Europäischen Kommission, was nicht so oft passiert.

Die Nutzen der Sharing Economy liegen auf der Hand: höhere Produktivität, saubere Umwelt, bessere Nutzung der natürlichen Ressourcen und die Schonung unserer Geldbörsen. Das alles machen moderne Technologien möglich.

Erneuerbare Energien: mehr Nutzen, nicht mehr Kosten

Die Kohle ist heute die Grundlage unserer Energiewirtschaft. Wir können und wir wollen auf Kohle nicht verzichten. Das sind wichtige, beruhigende Feststellungen für Oberschlesien und das Dombrowaer Kohlenbecken, aber auch für ganz Polen. Wir planen sehr langfristig einen Umbau in diesen beiden benachbarten Regionen. Modernste, umweltschonende Kohletechnologien gepaart mit einer Ansiedlung anderer moderner Hochtechnologien. Ich bin sehr froh darüber, dass die wichtigsten Gewerkschaftsgremien der beiden Regionen unser Programm akzeptiert haben.

Wir müssen uns aber gleichzeitig um erneuerbare Energiequellen in Polen kümmern. Das ideologische Denken in dieser Angelegenheit lehnen wir rundweg ab. Die Rechnung muss stimmen. Mehr Nutzen, nicht mehr Kosten für die Menschen.

Mehr Nutzen bedeutet auch mehr Energiesicherheit für unser Land. Recht und Gerechtigkeit lag und liegt die Energiesicherheit Polens sehr am Herzen. Das ist die Bedingung für unsere Unabhängigkeit.

Wir sind ihr ein groβes Stück näher gekommen, dank dem Flüssiggas-Terminal in Świnoujście (Swinemünde – Anm. RdP). Er wäre nicht entstanden, ohne den hartnäckigen politischen Einsatz Staatspräsident Lech Kaczyńskis. Unsere Abhängigkeit von Gaseinfuhren aus Russland verringert sich, und wir können davon ausgehen, dass es sie nach 2022 überhaupt nicht mehr geben wird.

Wir bauen unsere Gasinfrastruktur aus, um Polen in ein Drehkreuz der Gasversorgung in unserer Region zu verwandeln. Deswegen bauen wir an der Gasverbindung aus Norwegen über Dänemark zu uns, an der sogenannten Baltic Pipe. Unsere Aufgabe ist es, diese Vorhaben erfolgreich zu Ende zu bringen, und so die Energieunabhängigkeit Polens zu gewährleisten bei niedrigen CO2-Emissionen. Daher rührt unsere positive Einstellung zur Atomenergie. (Polen hat bis jetzt kein einziges AKW – Anm. RdP).

Ich spreche heute viel über Energiefragen. Es ist ein Bereich, bei dem ich auf eine einvernehmliche Zusammenarbeit des gesamten Parlaments hoffe. Gemeinsam müssen wir, klar die polnischen Interessen definieren und eine Entwicklungsstrategie ausarbeiten, die viele künftige Sejm-Legislaturperioden überdauert.

Ein Polen groβer Vorhaben

Und nun einiges zur Infrastruktur. Wir müssen lernen nicht nur in den Kategorien der eigenen Bestrebungen, sondern der gemeinsamen Ziele zu denken. Seit fünfundzwanzig Jahren fahren auf unseren Straßen immer bessere Autos, aber die Straβen wurden immer schlechter und Eisenbahnstrecken wurden stillgelegt.

Das Land ist so, wie die Menschen, die es bewohnen, sagt man. Aber es gibt in diesem Fall eine starke Wechselwirkung. So wie wir Polen gestalten werden, so wird es später unsere Kinder und Enkelkinder formen. Eine Chance auf den Sieg und darauf einen Beitrag in die Schatzkammer der Menschheit einzubringen, haben auf längere Sicht nur die Gemeinschaften, deren Mitglieder es verstehen ihre privaten Ziele mit dem Allgemeinwohl zu verflechten.

Abgesehen von Sportlern und Künstlern, kommt der Erfolg auf der internationalen Bühne nicht im individuellen Bereich zustande. Es sind Nationen und Staaten die ihn davontragen. Darum setzen wir die Akzente auf gemeinschaftliche Strategien, auf ein Polen der groβen Vorhaben.

Dazu gehört der Bau des Zentralen Verkehrsknotenpunktes „Solidarność“ (bis 2027 in Stanisławów, zwischen Łódź/Lodsch und Warszawa/Warschau – Anm. RdP). Das ist der wichtigste Bestandteil unserer Entwicklungsstrategie im Transportwesen. Dieser Knotenpunkt ist eine Chance, sowohl für den Luftverkehr (geplant ist ein Interkontinental-Flughafen für 45 Mio. Passagiere – Anm. RdP) als auch für die Bahn (geplanter Hochgeschwindigkeits-Verkehrskontenpunkt für drei existierende und eine neue Bahnlinie – Anm. RdP), da wir von hier aus die Möglichkeit schaffen werden, zukünftig, sowohl die fahrerlose Bahn als auch den Hyperloop einführen zu können. (In der Nähe, bei Stryków, befindet sich zudem heute das zentrale Autobahnkreuz Polens A1/A2 – Anm. RdP).

Wir wollen weiterhin energisch die Modernisierung und den Ausbau der Häfen in Gdańsk (Danzig – Anm. RdP), Gdynia (Gdingen – Anm. RdP) und Szczecin-Świnoujście (Stettin-Swinemünde – Anm. RdP) betreiben. Nach Jahrzehnten des Planens, Diskutierens und Hinauszögerns wird, aufgrund unserer Entscheidungen, 2018 endlich der Bau des Tunnels beginnen, der den von Polen abgeschnittenen (auf der Insel Uznam/Usedom gelegenen, jetzt nur mit Fähre erreichbaren – Anm. RdP) Westteil von Świnoujście mit dem Festland im Osten verbinden soll. Sowohl dem Hafen, wie auch den Einwohnern von Świnoujście bringt diese Investition eine enorme Entlastung.

All die erwähnten Vorhaben sind wichtige Schritte auf dem Weg zur Wandlung Polens in eines der gröβten logistischen Zentren Europas. Dazu bedarf es eines weiteren forcierten Ausbaus von Straβen und Autobahnen. Es geht vor allem um:

● die Via Carpatia (die streckenweise schon fertige Schnellstraβe S 19 von Litauen, entlang der polnischen Ostgrenze: Białystok – Lublin – Rzeszów in die Slowakei – Anm. RdP),

● die S 3 (von Szczecin/Stettin, entlang der polnischen Westgrenze: Gorzów Wielkopolski/Landsberg a. d. Warthe – Zielona Góra/Grünberg Legnica/Liegnitz nach Tschechien – Anm. RdP),

● die S 7 (von Gdańsk/Danzig, östlich entlang der Weichsel: Elbląg/Elbing – Warszawa/Warschau – Radom – Kielce – Kraków/Krakau – Slowakei – Anm. RdP),

● und die A 1 (Autobahn von Gdańsk/Danzig, westlich entlang der Weichsel: Grudziądz/Graudenz – Toruń/Thorn – Łodź/Lodsch – Oberschlesien – Tschechien – Anm. RdP).

(…) Eines unserer wichtigen Ziele ist die Stärkung der polnischen Unternehmen. Jede Generation der Polen muss aufs Neue mit den Herausforderungen der Modernisierung fertig werden. Als wir vor knapp zwei Jahren unseren Plan der Verantwortungsvollen Entwicklung vorgestellt haben, sagten uns viele, wir hätten die Latte zu hoch gelegt. Es seien unrealistische Träumereien.

Derweil verzeichnete die Wirtschaft Polens im dritten Quartal 2017 ein Wachstum von knapp fünf Prozent, ohne dass sich die Staatsverschuldung erhöht hätte. Das Jahr 2017 wird das erste seit achtundzwanzig Jahren ohne einen Anstieg der Staatsverschuldung sein. (…) Die Wirtschaft läuft gut und die öffentlichen Finanzen sind weitgehend ausgeglichen. Wir verzeichnen eine steigende Zuversicht der Verbraucher und die sozialen Ungleichheiten haben sich deutlich verringert.

Polen muss sich selbst gehören

Doch wir sind in den letzten fünfundzwanzig Jahren in eine enorme Abhängigkeit von ausländischem Kapital geraten. Der französische Starökonom Thomas Piketty prägte den Begriff „foreign owned countries“, der dem Ausland gehörenden Länder.

Bloomberg, die angesehene Agentur für Finanznachrichten, berichtete darüber, wie das westliche Kapital Polen und die anderen ostmitteleuropäischen Staaten kolonisiert hat. In einer solchen Wirklichkeit leben wir und wir stehen deswegen vor einer enormen Herausforderung.

Polen produziert sehr viel, doch von dem was wir herstellen bleibt bei weitem nicht alles in unseren Geldbörsen. Jährlich wandern 70 bis 100 Mrd. Zloty (ca. 17 bis 24 Mrd. Euro – Anm. RdP), also vier bis fünf Prozent unseres Bruttoinlandproduktes ins Ausland ab. Das ist das Ergebnis des Entwicklungsmodells, das unsere Vorgänger bewusst eingegangen sind. Eines falschen Modells, wie wir heute wissen. (…)

Wir sind und bleiben ein Bestandteil des Westens, aber das bedeutet nicht, dass wir dieses Modell weiterhin hinnehmen wollen. Wir wollen ein Polen, das nicht nur ein Gegenstand der Wirtschaftspolitik anderer ist, sondern ein Polen, das seine Wirtschaft bewusst, entsprechend seinen Bedürfnissen, selbst gestaltet. Kein Polen, das auf Dauer in der ökonomischen Peripherie vor sich hindämmert, kein Polen der Niedriglöhne, kein Nachschubgebiet billiger Arbeitskräfte und verlängerter Werkbänke der anderen.

Wir brauchen also den Übergang vom Kapitalismus des Konsums auf Kredit, den ausländische Institutionen bei uns Anfang der neunziger Jahre errichtet haben, hin zu einem Kapitalismus der eigenen Ersparnisse sowie modernster Investitionen. (…)

Liberale Dogmatiker behaupten, dass der Markt keine staatlichen Aktivitäten vertrage. Das ist falsch. Ohne den Staat und seine Institutionen kann sich der freie Markt nicht gegen Korruption, Steuerbetrug, Monopole oder unlauteren ausländischen Wettbewerb behaupten. Ohne effiziente und gerechte Gerichte ist der ehrliche Unternehmer chancenlos wenn er gegen Mafia, Filz und Vetternwirtschaft antreten soll. Deswegen sind für die Wirtschaft Behörden wie das Zentrale Antikorruptionsbüro oder zuständige Abteilungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität so wichtig.

Das papierene Polen muss dem digitalisierten weichen

Wir leben heute in einer zunehmend digitalisierten Welt und die Informatik-Begabung der jungen Polen ist ein wichtiges nationales Gut. Der moderne, unternehmerfreundliche Staat setzt auf die Innovationskraft der Informatikbranche in der Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung. Nur so können wir Beamte und Bürger entlasten, unser Steuersystem gegen Betrügereien absichern. Das papierene Polen muss dem digitalisierten Polen weichen.

Sehr wichtig dabei ist die Cyber-Sicherheit, denn die modernen Schlachten im Kampf gegen militärische Aggression, Terrorismus und Kriminalität ereignen sich heute im Cyberspace. Dieser Angelegenheit widmen wir schon jetzt sehr viel Aufmerksamkeit.

Unsere Kinder und Enkelkinder sollen ein Polen errichten, nach dem wir uns sehnen. Wir haben die Bildungsreform durchgeführt, weil das vorherige Modell nicht funktionsfähig war. Die dreijährigen Gymnasien (eine Zwischenstufe zwischen der sechsjährigen Grundschule und dem dreijährigen Lyzeum – Anm. RdP) wurden abgeschafft. Die Rückkehr zum zweistufigen Modell (achtjährige Grundschule, vierjähriges Lyzeum – Anm. RdP) ab dem 1. September 2017 wurde von der Mehrheit der Eltern und Schüler sehr positiv aufgenommen. Alle Proteste und Unkenrufe sind inzwischen verstummt.

Unsere wichtigste Aufgabe besteht jetzt darin, das von unseren Vorgängern sträflich vernachlässigte Berufsschulwesen wieder herzurichten, und zwar so, dass es den Erwartungen des Marktes entspricht. Die Zeiten, als die einzige Hoffnung junger Polen die Auswanderung war, gehen zu Ende. Wir tun alles in unserer Macht stehende, damit junge Polen Arbeit in Polen finden. Keine Zeitarbeit, keine ewigen Werkverträge, sondern feste Anstellungen mit anständiger Bezahlung. Dieser Wandel ist bereits in vollem Gange.

Die Reform des Hochschulwesens und der Forschungsinstitute steht uns erst bevor. Das geplante Forschungsnetzwerk Łukasiewicz (Ignacy Łukasiewicz, 1822-1882, polnischer Chemiker, Erfinder der Petroleumlampe, Pionier der Erdölgewinnung in Europa – Anm. RdP) wird eines der gröβeren in Europa werden. Die polnische Wissenschaft muss einen gröβeren Beitrag zur Modernisierung des Landes leisten, aber sie muss gleichzeitig auch die nationalen Eliten formen. Die Diskussion über diese Reform ist in vollem Gange, die entsprechenden Gesetzentwürfe liegen dem Parlament vor.

Bauernwohl und Sicherheit

(…) Laut Verfassung haben wir eine soziale Marktwirtschaft und nicht die antisoziale, wie sie bei uns nach dem Ende des Kommunismus fünfundzwanzig Jahre lang praktiziert wurde. Erst seit zwei Jahren kann in Polen die Rede von einer sozialen Marktwirtschaft sein.

Dazu gehört auch der Dialog mit den Sozialpartnern, den Gewerkschaften und den Arbeitgebern. Ich möchte mit allem Nachdruck unterstreichen, dass der Rat des Sozialen Dialogs weiterhin der Ort sein wird, an dem wir gemeinsam optimale Problemlösungen für Wirtschaft und Sozialleben ausarbeiten werden.

Im Bereich der Landwirtschaft wollen wir uns darum bemühen, dass unsere Bauern, nach dreizehn Jahren polnischer EU-Zugehörigkeit, endlich genauso hohe Direktzahlungen bekommen wie ihre Kollegen in Westeuropa (Aktuell erhalten polnische Landwirte 86 Prozent des EU-Durchschnitts – Anm. RdP).

Heute bereitet uns vor allem die Afrikanische Schweinepest groβe Sorgen. Sie kommt aus dem Osten und hat bereits die Weichsel überschritten. Wir werden alles tun, um sie aufzuhalten.

Wir werden weiterhin das polnische Agrarland vor dem Ausverkauf an hiesige und internationale Spekulanten schützen (Seit dem 1.05.2016 gilt ein in dieser Hinsicht sehr restriktives Gesetz, u. a. kann nur wer selbst Landwirtschaft betreibt Agrarland kaufen – Anm. RdP).

Wir haben hervorragende Agrarprodukte. Es ist wichtig, dass sie als polnische Markenprodukte auf die europäischen und auβereuropäischen Tische gelangen.

Mit umfangreichen Investitionen wollen wir weiterhin den Bau von Wasserleitungen und modernen Straβen auf dem Land fördern sowie dafür sorgen, dass jede polnische Gemeinde Zugang zum Breitbandinternet bekommt.

Seit zwei Jahren öffnen wir wieder die von unsren Vorgängern in groβer Zahl geschlossenen Polizeistationen auf dem Land. Die Sicherheit unseres Landes und unserer Landsleute zu gewährleisten, ist eine der vorrangigsten Aufgaben, die sich die Regierung von Recht und Gerechtigkeit gestellt hat. Dank dessen sind neunzig Prozent der Polen der Meinung, man fühle sich sicher in unserem Staat. Alle Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute und die Beamten aller Sicherheitsbereiche seien an dieser Stelle versichert, dass der Staat zu ihnen steht.

„Die Schönheit wird uns retten“

Wir stehen an vorletzter Stelle in der EU was die Anzahl der Wohnungen pro tausend Einwohner angeht. Es fehlen bis zu vier Millionen Wohnungen. (…) Seitdem wir an der Regierung sind, stellen wir brachliegende staatliche Grundstücke der Armee, der Post, der Bahn kostenlos für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung.

Einige erste Tausend im Rahmen dieses Vorhabens gebaute Wohnungen werden 2018 in ganz Polen fertig sein. Hunderttausende von Menschen, die zu arm sind, um einen kommerziellen Wohnungsbaukredit zu bekommen, zugleich aber zu viel verdienen, um von der Sozialhilfe Wohnraum zugeteilt zu bekommen, sollen in der Zukunft, dank unserem Programm, eine bezahlbare Bleibe haben. Egal was passiert, gerade dieses Projekt werden wir stetig ausweiten und mit aller Kraft vorantreiben. (…)

Gleichzeitig müssen wir dringend für eine bessere Raumordnung und Ästhetik, die Schonung unserer Landschaft sorgen. Die aktuelle Situation auf diesem Gebiet kann nicht mehr hingenommen werden. „Die Schönheit wird uns retten“, sagte einmal der britische Schriftsteller und Philosoph Roger Scruton. Deswegen wird das Institut für Stadtplanung und Architektur 2018 allgemein verbindliche Richtlinien ausarbeiten. Unseren Kindern und Enkelkindern müssen wir ein gepflegtes und ästhetisch durchdacht gestaltetes Polen überlassen.

Frauen helfend zur Seite stehen

Meine Frau und ich besuchen oft Kinderheime. Ich habe aus nächster Nähe das Leid von drangsalierten Kindern und ihren Müttern gesehen. Wir haben gleich am Anfang unserer Regierungszeit Regelungen durchgesetzt, die verhindern, dass Kinder den Eltern nur deswegen weggenommen werden, weil zu Hause materielle Not herrscht.

Sobald jedoch Gewalt im Spiel ist, muss der Staat eingreifen. Es kann nicht sein, dass malträtierte Frauen mit Kindern vor der Gewalt aus der eigenen Wohnung flüchten müssen. Es kann nicht sein, dass wegen Nachlässigkeit der Gerichte solche Frauen ihren Peinigern jahrelang im Verhandlungssälen begegnen müssen. Gewalt gegen Frauen ist eine Pathologie. Sie hat nichts zu tun mit unserer Kultur und Tradition, in der die Achtung der Frau tief verwurzelt ist.

Die Gewährleistung der Chancengleichheit für Frauen und Männer ist nicht nur unsere Pflicht, sie ist schlicht und einfach ein Gebot menschlicher Solidarität. Die Rolle der Frau und ihre Situation, vor allem wenn sie Mutter ist, gestaltet sich meistens nicht einfach. Wir Männer müssen unseren Schwestern, Töchtern, Ehefrauen und Müttern helfend zur Seite stehen.

Polen gehört heute zu den EU-Staaten, in denen die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern mit am geringsten ausfallen (Eurostat 2016: Polen 6,4 Prozent, Deutschland 21,6 Prozent, EU-Durchschnitt 16,4 Prozent – Anm. RdP). Dennoch gibt es noch viel zu tun in diesem Bereich. Chancengleichheit wird es nur dann geben, wenn wir noch mehr dafür tun, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten.

Schwangerschaft und Geburt, das Leben von Mutter und Kind, müssen einen wirksamen Schutz genieβen. An neuen diesbezüglichen Standards wird bereits gearbeitet, auch was die Linderung von Geburtswehen angeht.

Junge Menschen laufen zwar schneller, aber die älteren kennen den Weg besser. Ein wichtiges Maβ der Reife eines Staates ist sein Umgang mit den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft. Die Achtung vor dem Alter gebietet es, dass wir aus den Erfahrungen unserer Eltern und Groβeltern schöpfen und alles tun, damit sie am täglichen Leben in vollem Umfang teilnehmen können. Dasselbe gilt für Menschen mit Behinderung. Hierfür ist unser umfassendes Programm Wohlwollendes Polen vorgesehen.

Für ein Europa der Vaterländer

(…) Wir befinden uns an einem Wendepunkt des europäischen Projektes. Nachdem sich vor zehn Jahren eine schwere Krise durch die europäische und die Weltwirtschaft gewälzt hatte, mussten viele wichtige Bezugspersonen und viele als gesichert geltende Behauptungen ihren Rückzug antreten. Behauptungen wie: das Kapital habe keine Nationalität, Ungleichheiten sind gut, die Industrie sei ein Überbleibsel des 19. beziehungsweise des 20. Jahrhunderts, je schwächer der Staat umso besser.

Europa ist immer noch dabei sich von dieser Krise zu erholen. Es sucht nach neuen Wegen und neuen Ideen. Die Zukunft des europäischen Vorhabens steht auf dem Spiel. Wir wollen keine EU zweier Geschwindigkeiten. Wir wollen keine neue Spaltung und das Abhängen einiger Staaten. Wir sind nicht einverstanden damit, dass es ein Europa der Besseren und der Schlechteren geben soll.

Immer öfter wird jemand in Europa bevorzugt, und das sind nicht die Schwächeren, sondern die Stärkeren. Liebes Europa, der polnische Baustein passt hervorragend ins europäische Puzzle, aber man darf ihn nicht mit der falschen Seite einfügen oder mit Gewalt einschieben. Wer das tut, der zerstört sowohl das ganze Bild, wie auch unseren Baustein.

Die Umverteilung von Immigranten hat sich nicht bewährt. Es bedarf anderer Lösungen und wir wollen an dieser Diskussion teilnehmen. Europa muss zu den authentischen Werten zurückkehren. Jeden Tag hören wir das Mantra von den europäischen Werten, die meistens gar nicht mehr benannt werden, weil sie, blickt man auf die einst vertretenen Positionen, heute im Widerspruch zu sich selbst stehen, zum natürlichen Recht, zu den traditionellen Werten.

Wir haben auf die europäische Agenda das Thema der Bekämpfung von Steuerparadiesen innerhalb der EU gesetzt. Polen tritt heute energisch dafür ein, die Errichtung des europäischen Binnenmarktes zu Ende zu bringen und die volle Dienstleistungsfreiheit einzuführen. Durch unsere Erfolge bei der Bekämpfung der Umsatzsteuerkarussell-Betrügereien haben wir eine EU-weite Diskussion über dieses Problem entfacht. Die dadurch in der gesamten EU verursachten Verluste werden auf 160 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Das ist mehr als der EU-Haushalt.

Die Wälder sind unser Reichtum. Das verstehen am besten die Forstleute, die sich um sie hervorragend kümmern, wofür ich ihnen danken möchte. Ich möchte daran glauben, dass auch die EU-Behörden das Beste für die Natur in Polen wollen. Ich möchte daran glauben.

Da wir die Urteile des  Gerichtshofes der Europäischen Union respektieren, werden wir seinem Urteil folgen. (Hierbei geht es um den Białowieża-Wald und die Bekämpfung der Borkenkäferplage. Die Hauptverhandlung hat am 12.12.2017 stattgefunden. Das Urteil wird im April 2018 erwartet – Anm. RdP)

Die EU muss das hegen und pflegen, was sie zu einem groβen Vorhaben und einem groβen Erfolg gemacht hat – das Europa der Vaterländer: reich durch seine Vielfalt, beruhend auf dem Dialog, auf gegenseitiger Achtung und Zusammenarbeit. Polen will ein Verfechter guter Veränderungen in der EU sein und sich tatsächlich, und nicht rein formell, an den Entscheidungsfindungen beteiligen. (…)

Die USA sind unser wichtigster Verbündeter

In den letzten zwei Jahren haben wir die Sicherheit Polens bedeutend gestärkt. Die praktische Umsetzung der Beschlüsse des Warschauer Nato-Gipfels (am 8.-9.07.2016 – Anm. RdP), die Anwesenheit verbündeter Streitkräfte und amerikanischer Truppen in Polen, der Ausbau der militärischen Infrastruktur sind ein deutliches Zeichen dafür, dass Polen auf die Unterstützung seiner Alliierten bauen kann.

Wir streben jetzt danach, die Vorhaben der Nato und der EU weitestgehend auf einander abzustimmen. Deswegen haben wir aktiv an der Warschauer Erklärung über die Nato-EU-Zusammenarbeit mitgewirkt. Deswegen beteiligen wir uns an der neu geschaffenen Ständigen Strukturierten (militärischen – Anm. RdP) Zusammenarbeit der EU (Pesco – Anm. RdP).

Doch die Nato ist und bleibt das Fundament unserer Sicherheit und die Vereinigten Staaten sind unser wichtigster Verbündeter.

Wir wollen die groβ angelegte Modernisierung der polnischen Armee dazu nutzen unsere Industrie zu stärken. Die Armee und die Verteidigungspolitik müssen für den Transfer der Produktion von Hochtechnologien nach Polen sorgen.

Wir werden an der Stärkung der Zusammenarbeit der Staaten unserer Region arbeiten. Das betrifft besonders die Visegrád-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei – Anm. RdP) und die Dreimeere-Initiative (Staaten Ostmittel- und Südostmitteleuropas, die zwischen der Ostsee, der Adria und dem Schwarzen Meer liegen – Anm. RdP). Wir wollen unsere Beziehungen zur Ukraine, zu Litauen und zu Georgien vertiefen, aber da bedarf es auch des Willens der jeweils anderen Seite.

Der tragisch verstorbene Staatspräsident Lech Kaczyński war der Meinung, dass die Kraftquelle Polens in Mitteleuropa sprudelt. Nur ein Polen mit einer eigenen Regionalpolitik, im engen Bündnis mit den USA und in enger Zusammenarbeit mit den Staaten Mitteleuropas kann ein gewichtiger EU-Partner sein. Kein Gegenstand, sondern ein Mitgestalter der internationalen Beziehungen.

Er war überzeugt, dass sich Polen ehrgeizigen Zielen stellen solle, wie der Mitgliedschaft in der Gruppe der 20, dem Mitgestalten der EU, Polen solle eine Säule der Nato sein, die Dreimeere-Initiative mit anführen.

Kommt zurück aus der Fremde!

(…) Unser Volk, das sind nicht nur die Bürger der Rzeczpospolita, die in Polen leben. Das sind auch die Polen, die über die ganze Welt verstreut sind, von denen hoffentlich so viele wie möglich zurückkommen werden. Wir werden jedenfalls die staatlichen Repatriierungsvorhaben intensivieren. Insgesamt leben sechzig Millionen Polen auf der Welt (davon ca. 38 Mio. in Polen – Anm. RdP). Als Regierung haben wir Verpflichtungen ihnen allen gegenüber und sie alle haben Verpflichtungen gegenüber ihrem Land.

Andere Staaten werden von uns mit unserem wertvollsten Gut beschenkt: mit unseren Landsleuten, unseren Maurern, Ingenieuren, Klempnern, Lehrern, Ärzten, Informatikern. Wir wollen das nicht. Wir wollen für sie, für Euch hier arbeiten.

Ich glaube daran, dass das was Ihr im Westen sucht, Ihr auch in Polen finden werdet. Ihr könnt hier glücklich und sicher leben. Ihr könnt hier stetig besser verdienen und eine kreative Arbeit finden. Von hier aus möchte ich Euch bitten: Lasst uns gemeinsam ein modernes, starkes und vermögendes Polen aufbauen.

Die Auswanderer haben sich von dem Gedanken leiten lassen: dort ist meine Heimat, wo es mir gut geht. Für unsere Zukunft ist wichtig, dass sich das Prinzip durchsetzt: es geht mir dort gut, wo meine Heimat ist. Dieses „Gutgehen“ bedeutet nicht nur materiellen Wohlstand. Dazu gehören auch eine gepflegte Umgebung, Sicherheit, Herzlichkeit im Umgang miteinander, geistige und kulturelle Werte und ein gerechtes, effektives Justizwesen.

Ein erklärtes Ziel unserer Regierung ist eine gröβtmögliche Zahl von Polen zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen, egal ob aus London oder aus Kasachstan.

Einige persönliche Bemerkungen

Hohes Haus,

am Ende noch einige persönliche Bemerkungen. Mein Vater ist hier anwesend. (Kornel Morawiecki, geboren 1941, Physiker, nach Verhängung des Kriegsrechts in Polen am 13.12.1981  lange Jahre als Untergrundaktivist der Solidarniość tätig. Seit 2015 Sejm-Abgeordneter – Anm. RdP). Er hat mir beigebracht, dass der andere Mensch, dass Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit das Wichtigste sind. Ich danke Dir, dass Du mir das vermittelt hast.

Ich will auch meiner Mutter danken, einer stillen Heldin der Solidarność und der Heldin meines tagtäglichen Lebens. Während der vielen Dutzend Verhöre durch die kommunistische Staatssicherheit hat nichts so sehr weh getan, keine Drohungen, keine Erpressungen, keine anderen höchst unangenehmen Verhörmethoden, wie das Drohen, meinen Nächsten könnte etwas zustoβen.

Uns zum Nutzen, Gott zu Ehren

Hohes Haus,

es nähert sich (am 11. November 2018 – Anm. RdP) der 100. Jahrestag unserer Unabhängigkeit. Nach den 123 Jahren der Dreiteilung war Polen wohl das einzige Land der Welt, in dem es, neben den unendlich vielen anderen Unterschieden, die sich in dieser langen Zeit angehäuft hatten, sowohl den Links- wie den Rechtsverkehr gab. Wer in den Anfängen unserer modernen Unabhängigkeit von Kraków (im ehemals österreichischen Teilungsgebiet – Anm. RdP) nach Warschau (im ehemals russischen Teilungsgebiet – Anm. RdP) fuhr, der musste zuerst auf der linken, dann auf der rechten Straβenseite fahren. Dennoch wurde schnell eine gemeinsame Lösung, ein Kompromiss gefunden. Können wir heute einen Kompromiss finden? Ich denke ja.

Meine Damen und Herren Abgeordnete,

unser Programm, das ist der Wille eine Rzeczpospolita zu errichten, die stolz sein kann auf ihre Wirtschaftsleistung, ein Land finanziell abgesicherter Familien, ein Land, das von anderen bewundert und geachtet wird, das die Früchte unser aller Arbeit gerecht verteilt.

Wir müssen die Temperatur der politischen Auseinandersetzung senken. Es gab einst (zur Zeit des Januaraufstandes 1863-1864 gegen die russische Teilungsmacht – Anm. RdP) bei uns die Spaltung in „Weiβe“ (Liberal-Gemäβigte – Anm. RdP) und „Rote“ (Befürworter des bewaffneten Kampfes – Anm. RdP). Wie damals sollten wir diese verheerende Spaltung verwerfen. Wir sind nicht weiβ und wir sind nicht rot. Wir sind weiβ-rot. Wir sind eine weiβ-rote Mannschaft.

Unser Papst Johannes Paul II. sagte, dass die Freiheit uns nicht gegeben, sondern aufgegeben worden ist. Wir haben sie heute glücklicherweise und sie ist für uns, vor allem, eine groβe Aufgabe und eine groβe Verpflichtung.

Jeder von uns hat einen Traum, ein Ziel, das ihn vorantreibt. Ich denke, dass wir alle von einem sicheren, starken, gerechten Polen träumen. Ich möchte diesen Traum gemeinsam mit Ihnen verwirklichen.

Krzysztof Kamil Baczyński (geboren 1921, Dichter, fiel im Warschauer Aufstand 1944 – Anm. RdP) rief aus: „Aus unseren Armen, so oder so, wird wie ein Vogel das freie Polen steigen empor“. Und ich füge hinzu: Ein solidarisches Polen, ein rechtschaffendes, gerechtes Polen, zu unserem Nutzen, dem Nutzen der künftigen Generationen und Gott zu Ehren.

(Übersetzung und Zwischentitel von der RdP-Redaktion)

RdP




Deutsche Reparationen – polnische Positionen. Teil 1

Beweggründe, Argumente, Pläne.

Das polnische Regierungslager hat sich entschieden die Kriegsreparationsfrage neu zu beleben. Was verbirgt sich dahinter? Ein Interview.

Arkadiusz Mularczyk

Arkadiusz Mularczyk wurde 1971 in Racibórz/Ratibor geboren. Er ist von Beruf Rechtsanwalt, seit 2005 Sejm-Abgeordneter der Partei Recht und Gerechtigkeit. Seit September 2017 bekleidet er den Vorsitz des fünfzehnköpfigen Gremiums „Parlamentarische Arbeitsgruppe zur Schätzung der Polen von Deutschland zustehenden Reparationen für die im Verlauf des Zweiten Weltkrieges angerichteten Schäden“. Das Interview mit Arkadiusz Mularczyk erschien im Wochenmagazin „wSieci“ („imNetzwerk“) am 5. November 2017.

Deutsche Reparationen für die polnischen Verluste im Zweiten Weltkrieg sind wieder ein Thema. Die parlamentarische Arbeitsgruppe, die Sie leiten hat die Aufgabe Tatsachen festzustellen und Rechtsgutachten einzuholen. Sie sollen bei der Festlegung künftiger offizieller polnischer Forderungen und Verhandlungspositionen helfen. Wie verläuft die Arbeit?

Wir kommen gut voran. Am 26. Oktober 2017 hatten wir ein wichtiges Treffen in der Kanzlei des Ministerpräsidenten (entspricht dem deutschen Bundeskanzleramt – Anm. RdP) mit Vertretern aller Behörden, die uns helfen können. Es kamen hochrangige Vertreter der Ministerien für Verteidigung, Kultur, Finanzen, Auswärtiges, der Staatlichen Sozialversicherungsanstalt (ZUS), des Statistischen Hauptamtes, des Instituts für Nationales Gedenken, der Staatlichen Archive und der Staatlichen Versicherungsanstalt (PZU) zusammen. Alle diese Institutionen wurden verpflichtet Archivrecherchen durchzuführen und unserer Arbeitsgruppe jede notwendige Unterstützung zu gewähren.

Polnisch-deutsche Reparationspolemik. Polnisches Plakat. Warschau, August 2017.

Seit Mitte 2014 ist bekannt, dass es keinen wirksamen Verzicht Polens auf deutsche Reparationen gibt.

Ja. Sehr wichtig in Bezug darauf war das Gutachten des Sejm-Analysenbüros vom September 2017, das unser Wissen systematisiert hat.

Lesen Sie das Gutachten des Sejm-Analysenbüros in deutscher Übersetzung hier.

Aus diesem Gutachten geht eindeutig hervor, dass Polen und die Polen seitens Deutschlands diskriminiert wurden. Deutsche Gerichte haben Entschädigungsklagen von Polen bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts stets abgewiesen, mit dem Hinweis, dass der künftige Friedensvertrag alle Entschädigungsfragen regeln werde. Nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages im Dezember 1970, in dem die Bundesrepublik die Oder-Neiβe-Grenze anerkannt hat, und nach der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen 1973 hieβ es, die Entschädigungsforderungen seien verjährt. Was besonders empört: nur die Polen wurden so behandelt.

Und polnische Gerichte?

Dort hieβ es, der deutsche Staat sei durch die staatliche Immunität geschützt. Diese verbiete es Bürgern anderer Staaten ihn vor ausländischen Gerichten zu verklagen. Tatsächlich gibt es ein solches Prinzip, aber es gilt nicht uneingeschränkt.

Welche Ausnahmen gibt es?

Das italienische Verfassungsgericht hat zum Beispiel in einem Urteil seinen Bürgern das Recht zugestanden, den deutschen Staat vor italienischen Gerichten wegen Kriegsverbrechen zu verklagen. Solche Verfahren gab und gibt es in Italien.

Kann Polen diesen Weg beschreiten?

Ja. Am 26. Oktober 2017 habe ich einen Antrag beim polnischen Verfassungsgericht (VG) gestellt, unterschrieben von einhundert Sejm-Abgeordneten der Partei Recht und Gerechtigkeit. Demnach soll die Anwendung der Staatsimmunität zum Schutz anderer Staaten verfassungswidrig sein, wenn polnische Bürger oder Behörden andere Staaten auf Entschädigung wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die auf polnischem Staatsgebiet verübt wurden, verklagen. Ein solches VG-Urteil würde polnischen Bürgern den Gerichtsweg in Polen für deutsche Kriegsentschädigungen öffnen.

Wird Deutschland die Entschädigungsurteile polnischer Gerichte respektieren und umsetzen?

Auf Anhieb eher nicht, aber solche Urteile schaffen nach und nach eine Wirklichkeit, gegen die man sich in der heutigen Welt auf Dauer nicht so ohne weiteres taub stellen kann.

Polnisch-deutsche Reparationspolemik. Der polnische Graphiker Wojciech Korkuć zeigt im Fernsehen sein umstrittenes Plakat „Reparationen machen frei“, August 2017.

Der Rechtsweg ist wichtig, ausschlaggebend jedoch wäre die politische Entscheidung in Deutschland. Berlin müsste zugeben, dass das Problem nicht gelöst ist.

Ja. Von der politischen Entscheidung wird abhängen, ob sie zahlen werden oder nicht. Deutschland zahlte und zahlt Entschädigungen für die Verbrechen des Dritten Reiches an viele Staaten, am wenigsten jedoch an die Polen.

Kurz nach Kriegsende hat Deutschland, in Folge des Pariser Reparationsabkommens von 1946 (an sechzehn Staaten), des Luxemburger Abkommens (an Israel) und des Londoner Schuldenabkommens von 1953 (an siebzig Staaten), Reparationen gezahlt. Polen war nicht dabei. Darüber hinaus gab es auch zahlreiche bilaterale Abkommen.

In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert haben Israelis und US-Bürger auf deutsche Entschädigungen vor amerikanischen Gerichten geklagt und Deutschland hat gezahlt. Wir sehen, das Völkerrecht ist in dieser Hinsicht sehr dynamisch.

Welchen von diesen Wegen sollte Polen einschlagen?

Wir müssen uns alle Möglichkeiten offenhalten. Umso mehr, als es sowohl um staatliche Reparationen wie um private Entschädigungen geht. Wichtig ist einen Hebel zu schaffen, der bewirkt, dass Deutschland sich endlich mit uns an den Verhandlungstisch setzt und ernsthaft zu reden beginnt.

Warum hat man sich in Polen des Problems nicht unmittelbar nach dem Ende des Kommunismus angenommen, Anfang der neunziger Jahre?

Damals war vorrangig, das Entkommen aus der sowjetischen, und später, der russischen Einflusssphäre. Deutschland hat sich in jener Zeit Polen gegenüber einer „sanften Erpressung“ bedient. Es sollte der Eindruck entstehen, die Bedingung für den EU-Beitritt, für die Aufnahme in die westliche politische Gemeinschaft, sei die Aussöhnung mit Deutschland, und zwar, ungeachtet des Standes der Probleme, die sich aus dem Zweiten Weltkrieg ergeben hatten. Wir wenden uns der Zukunft zu und von der Vergangenheit ab, hieβ es, vom Krieg, von der Reparationsfrage, von der nicht beglichenen Rechnung des zugefügten Leids und Unrechts.

Deutsch-polnische Reparationspolemik. FAZ-Karikatur, September 2004.

Heute wissen wir, dass sogar zur Zeit der Volksrepublik Polen die Angelegenheit als nicht abgeschlossen galt. Sie haben in den Archiven die offizielle Antwort der polnischen Regierung von 1969 auf eine Anfrage der UNO gefunden. Dort heiβt es, Polen habe keinesfalls auf deutsche Reparationen verzichtet.

Trotz eingeschränkter Souveränität war damals die Erinnerung an die gigantischen menschlichen und materiellen Kriegsverluste Polens im allgemeinen Bewusstsein und sehr lebendig. Auch den polnischen Kommunisten fiel es schwer, hinnehmen zu müssen, dass die Sowjetunion Polen im August 1953 zwang auf Reparationen zu verzichten.

Lesen Sie Näheres dazu in „Deutsche Reparationen – polnische Positionen. Teil 2“

Heute, auf Reparationen angesprochen, blocken die deutschen Stellen sofort ab: die Sache sei erledigt und abgeschlossen.

Das wundert mich nicht. Immerhin waren sie jahrzehntelang darin erfolgreich sich vor den Reparationszahlungen für das, was sie in Polen angerichtet hatten zu drücken. Nur einige wenige Opfergruppen wurden entschädigt. Und jedes Mal gingen diesen Maβnahmen, teilweise an Peinlichkeit kaum zu überbietende, innenpolitische Debatten in der Bundesrepublik voraus.

Seit Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts bekamen die polnischen (letztendlich ca. fünftausendfünfhundert Personen) sowie die anderen osteuropäischen Opfer verbrecherischer medizinischer Experimente der Nazis Entschädigungen, ursprünglich auf heftigen Druck der USA hin und gegen den vehementen Widerstand damaliger bundesrepublikanischer Behörden und Politiker.

Es gab aber ehrenwerte Menschen und Gruppen in der Bundesrepublik, die sich durch ihre Taten der Jahrzehnte lang anhaltenden offiziellen deutschen Verzögerungstaktik widersetzten. Diese Verzögerungstaktik wurde bestimmt durch das Kalkül, dass sich das Problem „biologisch“, durch den Tod der Betroffenen, ohne Kosten, von alleine lösen würde. Solche Einrichtungen wie die „Zeichen der Hoffnung“ in Frankfurt am Main oder das „Maksymilian-Kolbe-Werk“ in Freiburg im Breisgau haben polnischen Opfern geholfen und so das Ansehen der alten Bundesrepublik gerettet. Es waren jedoch nur einzelne Tropfen auf den heiβen Stein.

Erst fünfundfünfzig Jahre nach Kriegsende, als ein Groβteil der Betroffenen nicht mehr lebte, begann Deutschland mit der Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter, von denen knapp zwei Millionen ursprünglich aus Polen kamen. Bundeskanzler Helmut Kohl widersetze sich lange Zeit heftig dieser Maβnahme.

Ende der 1990 Jahre, wiederum auf amerikanischen Druck hin, zahlten die deutsche Regierung und deutsche Unternehmen, die von der Zwangsarbeit profitiert hatten, Geld in einen Fonds ein, aus dem bis 2007 die mittlerweile greisen Opfer entschädigt wurden.

Alles in allem beträgt der polnische Anteil an den gesamten deutschen Entschädigungsleistungen nach 1945 gerade einmal zwei Prozent.

Ein Teil der polnischen Führungselite aus der unmittelbaren nachkommunistischen Zeit meinte damals, und teilt heute noch die deutsche Meinung, das Thema sei abgeschlossen und wer es aufgreift sei ein unverantwortlicher Störenfried.

Das sagen einige ehemalige polnische Ministerpräsidenten und Minister. Es ist nur ein Beleg für ihr neokoloniales, unterwürfiges Denken. Sie machten Politik zur Zeit einer eingeschränkten polnischen Souveränität, in der Endphase des Kommunismus und in der Anfangsphase danach. Dass Polen weniger Rechte hat als andere Staaten, galt und gilt für sie als selbstverständlich. Dieses Denken lehnen wir entschieden ab.

In der Reparationsfrage ist das Bild auf der polnischen und auf der deutschen Seite sehr unterschiedlich.

In Deutschland gibt es eine geschlossene Einheitsfront aus Politikern, Historikern, Politologen und Journalisten, die das polnische Ansinnen rundweg ablehnen. Die öffentliche Meinung, die durch sie geprägt wird, steht hinter ihnen. Hunderte von Lesermeinungen zu Medienberichten lassen im Internet keinen Zweifel daran.

Das ist ein grundlegender Unterschied zu Polen, wo uns, die wir Reparationsfrage auf die Tagesordnung bringen, viele Medien frontal angreifen und verhöhnen. Die deutschen Einflüsse in der polnischen Medienwelt, aber auch in der polnischen Wissenschaft sind sehr stark.

Deutsche Stipendien haben das ihre dazu beigetragen.

Auf jeden Fall. Ein Teil der Fachleute, die Polen jeden Anspruch auf Reparationen aberkennen, hat nicht selten ihr halbes Berufsleben auf deutsche Kosten jenseits der Oder verbracht. Ich sehe, dass ein Teil von ihnen schlicht und einfach Angst hat Stellung zu beziehen, ein Gutachten anzufertigen.

Wovor haben sie Angst?

Das sie Schwierigkeiten bekommen werden auch weiterhin deutsche Fördergelder, Stipendien, gut dotierte Preise und Auszeichnungen, Einladungen zu Forschungsaufenthalten, zu Vorlesungen und Vorträgen in Deutschland zu bekommen.

Hinzu kommt noch die geballte Kraft der deutschen Medien in Polen. Wird sie in der Reparationsfrage angewendet?

Ja. Die polnischsprachigen deutschen Medien messen dem Thema groβe Bedeutung bei. Sie versuchen uns dazu zu verleiten, am besten umgehend, unsere Forderungen verbindlich vorzubringen. Man sieht, es geht ihnen darum uns zur Eile und zu unbedachtem Handeln zu drängen, damit eine dadurch verursachte spektakuläre Niederlage dem Ganzen ein schnelles Ende bereitet.

Wenn mich deutsche Journalisten oder Journalisten polnischsprachiger deutscher Medien ansprechen, dann sehe ich, dass ihre Fragen nie das eigentliche Thema berühren: die furchtbaren Verbrechen und Verluste, die nicht entschädigt wurden.

Stattdessen stellen sie absurde Thesen auf, wie die, dass die Entschädigungsforderungen nun an die Stelle der Smolensk-Flugzeugkatastrophe treten und der „Mobilisierung“ der polnischen Öffentlichkeit im Sinne der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit dienen sollen, oder dass wir die auf der Versöhnung basierenden Beziehungen zu Deutschland ruinieren wollen. Mit einem Wort – Reparationsforderungen sind unsere Hirngespinste.

Wir lassen uns auf keinen Fall in diese Falle locken. Um das Thema offiziell vorzubringen bedarf es eines klugen, bedachten Handelns und so werden wir agieren.

Und die deutsche Diplomatie?

Die deutsche Botschaft beobachtet sehr genau unser Vorgehen, genauso wie die deutschen Medien das tun. Bis jetzt jedoch gibt es ihrerseits keine Bereitschaft zu einem ernsthaften Dialog. Sie achten sehr darauf, auf dem Laufenden zu sein und prüfen inwieweit wir das Thema tatsächlich aufgreifen wollen.

Amtlicher polnischer Bericht von 1947 über Verluste und Kriegsschäden im Zweiten Weltkrieg. Neuauflage von 2007.

Die Verluste müssen präzise belegt sein.

Ich habe inzwischen Aufstellungen bekommen über die Kriegsschäden in Poznań, Łodź, Jasło, Przemyśl und einigen anderen Städten. Wir wollen einen groβen Ausschuss ins Leben rufen, der alle schon verfügbaren Angaben zusammentragen und die fehlenden ergänzen soll. Heute verfügen wir über einen umfangreichen Bericht des Büros für Kriegsentschädigungen aus dem Jahr 1947 und viele Einzelberichte. Es gab noch in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts Stellen, die sich mit dieser Materie befassten.

Welche Beträge kommen in Frage? Man spricht von 845 Milliarden US-Dollar und wenn man die nichtmateriellen Verluste mitberechnet von 6 Billionen US-Dollar.

Das sind Angaben, die sich aus dem schon erwähnten Bericht von 1947 ergeben. Heute ist es zu früh um über irgendwelche Summen zu sprechen. Wir stehen vor vielen Fragen, wie der, wie man die Entschädigung für ein Menschenleben berechnen kann. Hier wollen wir die Fachleute von der Staatlichen Versicherungsanstalt (PZU) bitten uns dabei zu unterstützen.

Das wichtigste Gegenargument lautet, Deutschland habe an Polen seine Ostgebiete abgetreten, das sei Entschädigung genug.

Die Verschiebung der Grenzen haben die drei Siegermächte während der Potsdamer Konferenz von Juli bis August 1945 beschlossen. Weder Polen noch Deutschland saβen am Verhandlungstisch. Polen hat damals stillschweigend die Aneignung von achtundvierzig Prozent (knapp 180.000 Quadratkilometern) seines Staatsgebietes im Osten durch die Sowjetunion hinnehmen müssen. Im Gegenzug beschlossen die Siegermächte unser Land nach Westen zu „verschieben“, indem sie Polen knapp 110.000 Quadratkilometer deutschen Gebiets übergaben.

„Westverschiebung“ Polens 1945.

Aus keiner der damals getroffenen Vereinbarungen, aus keinem der Potsdamer Verhandlungsprotokolle geht hervor, dass die ehemaligen deutschen Ostgebiete als Reparationen gedacht gewesen seien. Im Potsdamer Abkommen wurde klar festgehalten, Deutschland sei verpflichtet alle Kriegsschäden und Kriegsverluste auszugleichen. Polen war davon nicht ausgenommen.

Und der Zwei-plus-Vier-Vertrag vom September 1990?

Er wurde von der Bundesrepublik Deutschland und der DDR mit den USA, Russland, Frankreich und Groβbritannien abgeschlossen. Die deutsche Bundesregierung hat im Nachhinein erklärt, sie habe „diesen Vertrag in dem Verständnis abgeschlossen, dass damit auch die Reparationsfrage endgültig erledigt“ sei.

Polen war an diesem Vertrag nicht beteiligt. Der Verzicht Polens auf, genau genommen, Kriegsreparationen aus der DDR, wurde 1953 von den Sowjets erzwungen und ist damit nicht bindend.

Wie geht es weiter?

Die parlamentarische Arbeitsgruppe untersucht die Angelegenheit. Sie sammelt Informationen, analysiert die juristischen, ökonomischen, historischen Zusammenhänge. Sie arbeitet eng zusammen mit anderen zuständigen Behörden. Diese Arbeit wollen wir in aller Ruhe bewältigen um ein solides Fundament für unsere Vorschläge zu schaffen. Dann werden politische Entscheidungen über den Fortgang des Geschehens bestimmen.

Wann werden sie fertig sein?

Spätestens in einem Jahr werden unsere endgültigen Empfehlungen vorliegen. Wir gehen zügig vor, aber mit Bedacht.

Deutsche Reparationen – polnische Positionen. Teil 2.

RdP




Deutsche Reparationen – polnische Positionen. Teil 2

Akten, Aufstellungen, Analysen. Was hat Polen in der Hand. Ein Interview.

Im Warschauer Archiv der Neuen Akten befinden sich die wichtigsten polnischen Unterlagen für eventuelle Reparationsverhandlungen mit Deutschland.

Mariusz Olczak.

Das Archiv der Neuen Akten (Archiwum Akt Nowych) besteht seit 1918, als Polen seine Unabhängigkeit wiedererlangte. Hier werden die Dokumente aller polnischen staatlichen Behörden seit dem Gründungsjahr des Archivs aufbewahrt. Es ist eines von drei zentralen polnischen Staatsarchiven, neben dem Archiv der Alten Akten (alle Staatsdokumente bis 1918) sowie dem Nationalen Digitalarchiv (Fotos, digitale Aufzeichnungen staatlicher Institutionen). Das Gespräch mit dem stellvertretenden Direktor des AAN Mariusz Olczak erschien in der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ am 24. September 2017.

Archiv der Neuen Akten in Warschau.

Es heiβt, in Ihrem Archiv befinden sich die wichtigsten Akten, die Zeugnis darüber ablegen, was sich nach 1945 auf polnischer Seite in Bezug auf deutsche Kriegsreparationen abspielte.

Wir haben inzwischen eine Liste von Aktenbeständen zusammengestellt, die bei der Feststellung der Tatsachen hilfreich sein dürften. Das sind einige Hundert Meter an Dokumentation, die ausgewertet werden müssen.

Darunter befindet sich ein sehr wichtiges Dokument, und zwar das Sitzungsprotokoll des Ministerrates der Volksrepublik Polen (VRP) vom 19. August 1953.

Die Sitzung wurde geleitet von Bolesław Bierut, Stalins Statthalter in Polen, einem NKWD-Agenten, der damals an der Spitze der Regierung stand. Ebenfalls daran teilgenommen haben die stellvertretenden Ministerpräsidenten Taduesz Gede, Piotr Jaroszewicz, Hilary Minc, Zenon Nowak. Hinzugebeten wurden der Staatsratsvorsitzende Aleksander Zawadzki, der damalige Minister für staatliche Kontrolle Franciszek Jóżwiak, der stellvertretende Vorsitzende der Staatlichen Planungskommission Eugeniusz Szyr sowie der Chef des Amtes des Ministerpräsidenten Kazimierz Mijal.
In diesem Kreis wurde entschieden, dass die Volksrepublik Polen, auf Ersuchen der Regierung der UdSSR, auf Reparationszahlungen aus der DDR verzichten wird.

Bekannt gemacht wurde diese Entscheidung einige Tage später.

Verlautbarung der Regierung der Volksrepublik Polen, veröffentlicht im Parteiorgan „Trybuna Ludu“ vom 23. August 1953.

Ja, am 23. August 1953 in einer Verlautbarung der Regierung der VRP, verbreitet von der Polnischen Presseagentur PAP: „Die Regierung der Volksrepublik Polen begrüβt mit voller Anerkennung die Beschlüsse der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in der Deutschlandfrage“.

Gleichzeitig wurde mitgeteilt, die Regierung der VRP habe entschieden vom 1. Januar 1954 an auf Reparationszahlungen an Polen zu verzichten. Weiter hieβ es: „Diese Entscheidungen sind darauf ausgerichtet, einen dauerhaften Frieden in Europa zu gewährleisten, imperialistische Intrigen, die Deutschland in einen gefährlichen, neuen Kriegsherd verwandeln sollen, zu durchkreuzen und ein vereinigtes, demokratisches und friedliebendes Deutschland zu schaffen.“

Warschau vor und nach dem Krieg. Briefmarkenserie der Polnischen Post vom Herbst 1945. Das zerstörte Königsschloss.

Kann man anhand der beiden Dokumente davon ausgehen, dass es sich um eine souveräne Entscheidung gehandelt hat?

Sowohl der Inhalt als auch die gesamten damaligen politischen Begleitumstände lassen nur eine Schlussfolgerung zu: es war keine freie Entscheidung, der Verzicht geschah auf Geheiβ der Sowjets.
Das Sitzungsprotokoll sowie die Verlautbarung berufen sich in einem fort auf die Sowjetunion: „Die Regierung der UdSSR schlägt vor“, „Die Regierung der UdSSR beabsichtigt“, „Die Regierung der Volksrepublik Polen schlieβt sich voll und ganz der Meinung der Regierung der UdSSR an“ usw., usf. Das damalige Polen mit seinem kolonialen Status musste das tun, was die Kolonialmacht Sowjetunion wollte.

Der Verzicht betraf nur die DDR.

Das geht aus den beiden Dokumenten hervor.

Warschau. Die zerstörte Johannis-Kathedrale.

Die von den Deutschen während des Zweiten Weltkrieges in Polen angerichteten Schäden werden auf achthundert Milliarden US-Dollar geschätzt. Sind diese Schäden angemessen belegt?

Warschau. Das zerstörte Rathaus.

In unseren Beständen gibt es eine umfangreiche Dokumentation dazu. Beginnen wir damit, dass unser Archiv, das Archiv der Neuen Akten, selbst furchtbare Verluste erlitten hat. Während des Warschauer Aufstandes im August und September 1944 verbrannten fünfundneunzig Prozent unserer damaligen Archivsammlungen.

Warschau. Das zerstörte Hauptpostamt.

Einen der wichtigsten Aktenbestände zum Thema, stellen die Unterlagen des Büros für Kriegsentschädigungen dar, das kurz nach Kriegsende begann alle Informationen zusammenzutragen. Dokumentiert sind sämtliche Schäden und Verluste im Handwerk, in der Industrie, Forstwirtschaft und Staatsverwaltung.

Und auβerdem?

Einen groβen Bestand bilden die Akten des sogenannten Wiedererlangungsbüros (Biuro Rewindykacji). Es entstand 1945 und war damit beschäftigt polnisches Eigentum, das die Deutschen aus Polen geraubt und nach Deutschland oder in andere Teile des besetzten Europas verbracht hatten zurückzuführen. Oft jedoch war dieses Eigentum vernichtet oder nicht mehr auffindbar.

Des Weiteren beinhalten die Aktenbestände verschiedener Ministerien eine Vielzahl an Informationen. So zum Beispiel dokumentierte das Finanzministerium die Verluste des staatlichen Salz- und Streichholzmonopols, das im Vorkriegspolen existierte. Sehr akribisch haben nach 1945 das Post- und das Bildungsministerium die Verluste in ihren Bereichen aufgezeichnet.

Warschau. Das zerstörte Sächsische Palais.

Paradoxerweise haben die Deutschen selbst viele polnische Verluste belegt.

Die deutsche Verwaltung des Generalgouvernements führte genaue Listen über geraubte polnische Kunstgegenstände, bevor sie nach Deutschland gebracht wurden.

Befinden sich diese Verzeichnisse in Polen?

Einige ja, einen Teil haben wir auf den sogenannten Alexandrischen Mikrofilmen. Die Amerikaner haben bei Kriegsende groβe Bestände an Dokumenten der deutschen Heeresleitung und der Sicherheitspolizei erbeutet. Im Jahr 1953 wurden sie nach Alexandria bei Washington gebracht und dort auf Mikrofilm übertragen. Daher der Name. Wir haben in unserem Archiv etwa achttausend Mikrofilmrollen von dort.

Warschau. Die zerstörte Heiligkreuz-Kirche.

Gut dokumentiert sind auch die geraubten oder vernichteten Bibliotheksbestände.

Im Staatsarchiv von Jelenia Góra befinden sich die Verzeichnisse der Zweigstelle der deutschen Staatlichen Bibliothek im damaligen Hirschberg, wo es ein zentrales Register geraubter Buchbestände aus polnischen Bibliotheken gab. Dank diesen Aufzeichnungen wissen wir, welche geraubten polnischen Bücher an welche Zweigstellen der deutschen Staatlichen Bibliothek übergeben wurden.

Man müsste eigentlich alle diese Informationen zusammenfassen und in einer Art „Weiβbuch der polnische Kriegsverluste“ veröffentlichen.

Wenn jemand diese Absicht haben sollte, dann kann er bei uns auf eine sehr große Zahl von Akten zurückgreifen. Alle sind katalogisiert und leicht zugänglich.

RdP




Das Wichtigste aus Polen 29. Oktober – 18. November 2017

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Zwei Jahre Kabinett Beata Szydło. Rekord-Umfragewerte belegen Erfolge. ♦ Der Warschauer Unabhängigkeitsmarsch am 11. November. Die Freude am Nationalfeiertag und die Mär vom Aufmarsch der sechzigtausend Faschisten. ♦ Erneute Polen-Schelte im Europäischen Parlament endet mit Aufruf zu Sanktionen.  ♦ Düsterheit, Düsterkeit, Düsternis – die differenzierte Berichterstattung deutscher Medien über Polen.




Demut und Fleiss – des Erfolges Preis

Polens Regierungschefin Beata Szydło zieht nach zwei Jahren im Amt Zwischenbilanz. Ein Interview.

Beata Szydło, 54 Jahre alt, wurde am 16. November 2015 als Ministerpräsidentin vereidigt. Sie war sieben Jahre lang Bürgermeisterin der kleinpolnischen Zwölftausendseelen-Gemeinde Brzeszcze (phonetisch: Bscheschtsche) ehe sie 2005 Sejm-Abgeordnete und 2010 stellvertretende Vorsitzende von Recht und Gerechtigkeit (PiS) wurde. Frau Szydło ist studierte Ethnografin und Volkswirtin. Sie ist verheiratet, hat zwei Söhne, einer von ihnen ist katholischer Priester. Das Interview mit ihr erschien im Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“) vom 22. Oktober 2017.

Gehören Sie in der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit zu den Falken oder zu den Tauben?

Ich hoffe, ich gehöre einer Gruppe von besonnenen und sachlichen Politikern an, die den Ausgleich suchen. Die politische Dynamik hat es jedoch an sich, dass manchmal sehr entschiedene Reaktionen und deutliche Worte notwendig sind, um sich Gehör zu verschaffen.

Waren die Gesetzentwürfe zur Justizreform, die Recht und Gerechtigkeit im Sejm eingebracht und gegen die Staatspräsident Andrzej Duda (am 24. Juli 2017 – Anm. RdP) sein Veto eingelegt hat, gut?

In Sachen Justizreform bin ich eindeutig eine Falkin. Das waren gute Gesetzentwürfe, auch wenn sie in manchen Kreisen, vor allem in den juristischen, als umstritten galten. Wenn man das Justizwesen grundlegend erneuern will, dann helfen da keine halben Sachen. Es muss ein dezidierter Schnitt gemacht werden. Das war das Ziel dieser Gesetzentwürfe.

Und Sie hatten keine Bedenken, dass der Justizminister und Generalstaatsanwalt in einer Person über die Zusammensetzung des Obersten Gerichts entscheiden sollte?

Auch ein Minister und Regierungsmitglied wird unmittelbar vom Wahlvolk kontrolliert. Er setzt doch ein Programm um, für das sich die Wähler mehrheitlich an den Wahlurnen ausgesprochen haben.

Der Staatspräsident hat seine Vorschläge gemacht. Die Richter, die den Landesjustizrat bilden sollen nicht mit einer einfachen sondern mit einer Dreifünftel-Mehrheit vom Parlament gewählt werden. Zudem soll nicht der Justizminister über die Zusammensetzung des Obersten Gerichtes entscheiden (Letzteres sollte keine dauerhafte, sondern eine einmalige Maβnahme, bei der geplanten Neustrukturierung des Obersten Gerichtes sein. – Anm. RdP). Wird es bei der Justizreform einen Kompromiss zwischen dem Staatsoberhaupt und der Regierungspartei geben?

Ja. In die Diskussion um die Justizreform haben sich zu viele unnötige Emotionen eingeschlichen. Diese Reform ist die wohl schwierigste die wir vorhaben und zugleich diejenige, die von den Menschen in Polen am häufigsten verlangt wird.
Nach dem Doppelveto des Staatspräsidenten zu den Gesetzentwürfen über die Neustrukturierung des Landesjustizrates und des Obersten Gerichtes ist die Umsetzung der Justizreform noch schwieriger geworden. Diejenigen, die alles beim Alten belassen wollen und die uns bekämpfende, wie sie sich selbst nennt, „totale Opposition“, wollen natürlich die Meinungsunterschiede in unseren Reihen nutzen, um uns zu spalten.

Kann die Auseinandersetzung mit dem Staatspräsidenten zu einem Bruch bei der Vereinigten Rechten führen? (Faktisch regiert in Polen eine Koalition, die erwähnte Vereinigte Rechte, aus drei Parteien: der dominierenden Recht und Gerechtigkeit und den kleinen Solidarna Polska (Solidarisches Polen) unter Justizminister Zbigniew Ziobro, sowie Porozumienie (Verständigung) unter Bildungsminister Jarosław Gowin – Anm. RdP).

Szydło: Ich vertraue auf die Vernunft aller Beteiligten. Wenn wir uns spalten lassen, dann verlieren wir. Wir sind eine gemeinsame politische Bewegung und wir müssen uns gegenseitig unterstützen. Dass wir diskutieren, verschiedene Lösungen bevorzugen, ist nichts ungewöhnliches, aber die Diskussionen dürfen nicht mittels der Medien geführt werden, sondern in der Abgeschiedenheit der Arbeitszimmer.

Wer ist heute der Kandidat von Recht und Gerechtigkeit in den künftigen (2020 – Anm. RdP) Präsidentschaftswahlen?

Ich sehe keinen anderen Kandidaten als Andrzej Duda, und ich sehe auch keinen Grund warum wir ihn nicht unterstützen sollten. Ich bin auch sicher, dass er gewinnen wird.

Es wird Ihnen nachgesagt, sie werden vom Recht-und-Gerechtigkeit-Chef Jarosław Kaczyński gesteuert. Hand aufs Herz, wer regiert heute Polen wirklich?

Recht und Gerechtigkeit mit ihren Koalitionspartnern innerhalb der Vereinigten Rechten. Wir haben eine stabile Regierung geschaffen. Die Leitfigur der parlamentarischen Basis der Regierung ist Jarosław Kaczyński. Ich habe nie verheimlicht, dass ich mich mit ihm abspreche. Das ist doch selbstverständlich. Ohne eine feste Beziehung zu ihrer politischen Basis kann auf Dauer keine Regierung funktionieren. Wir haben unsere Aufgaben, es gibt eine Rollenteilung, jeder macht das was in seine Kompetenz fällt und deswegen haben wir eine so groβe Unterstützung. (Seit Sommer 2017 verbucht die Regierungspartei bei Meinungsumfragen einen Zuspruch von bis zu 47 Prozent – Anm. RdP).

Die Opposition behauptet, Polen werde von einem einfachen Abgeordneten regiert.

In demokratischen Wahlen haben die Polen mehrheitlich Recht und Gerechtigkeit und ihren Koalitionspartnern das Mandat zum Regieren gegeben. Ich habe im Wahlkampf offiziell für das Amt des Ministerpräsidenten kandidiert. Mit dem Wahlsieg unserer Partei hat Jarosław Kaczyński seine Führungsqualitäten unter Beweis gestellt und ich bin sicher, dass wir dank ihm eine weitere Legislaturperiode lang regieren werden.

„Keine ferngesteuerte Puppe.“ Beata Szydło im Wahlkampf. Ihre Beziehung zu Jarosław Kaczyński. Ihr Verständnis von Politik. Ihr Privatleben. Mehr hier.

Mögen sie weiterhin James-Bond-Filme sehen?

Ja.

Es wird darüber nachgedacht, die Bond-Rolle an eine Frau zu vergeben, z.B. an Gillian Anderson von der „Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI“ oder an Emilia Clarke von „Game of Thrones“.

Und wie würde dann der Agent 007 heiβen? Jane? (lacht). Eine interessante Idee, aber ich bin auch in dieser Hinsicht konservativ. Das wäre dann nicht mehr James Bond. Den gibt es nur einmal. Aber es käme vielleicht ein guter Film zustande über eine starke Frau in ungewöhnlichen Missionen.

Feministinnen wären mit Ihrer Antwort nicht zufrieden. Sie werfen der Regierung von Recht und Gerechtigkeit vor, sie schränke die Rechte der Frauen ein, dadurch dass sie keine kostenlosen Verhütungsmittel einführt und keinen Anleitungsunterricht zum Sex an den Schulen will.

Ich war und bin keine Feministin. Oft hilft dieses Milieu uns Frauen durch seine Parolen und Kampagnen nicht. Obwohl ich in der politischen Auseinandersetzung sehr hart, oft geradezu brutal angegriffen werde, hat sich niemals auch nur eine Feministin vor mich gestellt. Das enttäuscht. Wer sich eine Feministin nennt, sollte allen auf solche Weise angegriffenen Frauen zur Seite stehen und nicht nur denen, mit denen man übereinstimmt.

Was hat Ihre Regierung für die Frauen getan?

Unsere Regierung ist sehr frauenfreundlich, aber ich mag lieber darüber sprechen, was wir für die Polinnen und Polen gemacht haben, weil ich in diesem Fall die Unterscheidung nach Geschlechtern falsch finde.

Wir haben bereits, oder sind noch dabei, viele soziale und familienfreundliche Neuerungen einzuführen.

● So haben wir die von unseren Vorgängern eingeführte Zwangseinschulung von Sechsjährigen, gegen die es einen breiten Widerstand der Eltern gab, abgeschafft. Ob das Kind mit sechs oder mit sieben Jahren in die Schule geht entscheiden die Eltern. ● Die verbreitete Praxis, dass Kinder nur aufgrund von Armut den Familien weggenommen werden haben wir auch abgeschafft. ● Es gibt jetzt jeden Monat fünfhundert Zloty (ca. 120 Euro – Anm. RdP) für jedes zweite und weitere Kind bis zum achtzehnten Lebensjahr. Die ärmsten Familien erhalten diese Zuwendung bereits ab dem ersten Kind. ● Ein gewaltiges Programm des sozialen Wohnungsbaus läuft gerade an. ● Die Arbeitslosigkeit ist auf einen Rekordtiefstand von etwa sechs Prozent gesunken. Das nützt Frauen wie Männern.

„Frau Szydłos neues Kindergeld“ 500+. Mehr hier. 

Polen ist heute ein Land, in dem die Beschäftigungszahl von Frauen in den Führungsetagen eine der höchsten in der EU ist. (Grant-Thornton-Untersuchung „Women in Business 2017”: Frauen besetzten 40 Prozent aller Führungspositionen in der Wirtschaft in Polen, in Deutschland 18 Prozent, im EU-Durchschnitt 25 Prozent – Anm. RdP).

Auch die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern sind bei uns mit die geringsten in der EU. (Eurostat 2016: Polen 6,4 Prozent, Deutschland 21,6 Prozent, EU-Durchschnitt 16,4 Prozent – Anm. RdP).

Was ist für Sie wichtiger: die Justizreform oder das Verbot ungeborene Kinder wegen des Verdachts auf Krankheit zu töten?

So eine Hierarchie gibt es bei mir nicht.

Dennoch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Ihre Regierung und Ihre Partei solche heiklen Probleme meiden, wie z.B. das Verbot der Tötung ungeborenen Lebens, die Änderung des katastrophalen Gesetzes zur künstlichen Befruchtung aus der Tusk-Zeit oder etwa die Rücknahme der polnischen Unterschrift unter der Istanbulkonvention zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, weil diese Konvention die Gender-Ideologie in das polnische Recht einfließen lässt. Das beunruhigt die katholische Öffentlichkeit in Polen.

(● RdP-Anmerkung 1. Abtreibung: im Herbst 2016 wurde im Parlament eine Gesetzesinitiative über ein generelles Abtreibungsverbot in Polen diskutiert. Es handelte sich dabei um keine Regierungs-, sondern eine Bürgerinitiative, unterzeichnet von knapp fünfhunderttausend Menschen. In Anbetracht heftiger Proteste wurde sie auf Initiative von Jarosław Kaczyński abgelehnt.

Kurz darauf hat man das sogenannte „Gesetz für das Leben“ verabschiedet, das Frauen, die ein dauerhaft geschädigtes Kind zur Welt bringen, ein Wiegengeld von viertausend Zloty (knapp eintausend Euro) und viele Vergünstigungen bei Pflege und Therapie des Kindes zugesteht.

In Polen gibt es zurzeit drei Ausnahmen von einem generellen Abtreibungsverbot: Vergewaltigung, Bedrohung des Lebens der Mutter, dauerhafte Schädigung des ungeborenen Kindes.

RdP-Anmerkung 2. Künstliche Befruchtung: das Gesetz wurde im Juni 2015 verabschiedet. Es formuliert zwar Verbote, setzt aber durch Zulassung von etlichen Ausnahmen letztendlich der Produktion, dem Einfrieren, der Selektion „nach Eignung“ und der Vernichtung von menschlichen Embryos keine Grenzen. Die Samenspender genieβen zudem eine uneingeschränkte Anonymität. Trotz vollmundiger Ankündigungen während ihrer Zeit in der Opposition, hat die seit November 2015 regierende Recht und Gerechtigkeit diese Zustände nicht geändert.

RdP-Anmerkung 3. Istanbulkonvention: „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ von 2011. Das Übereinkommen verpflichtet die Unterzeichnerstaaten ausdrücklich die Gender-Ideologie auf allen Gebieten zu fördern und zu übernehmen. Es bezeichnet die Familie und die Tradition als eine Quelle der Gewalt gegen Frauen. Alle in der Konvention aufgezählten Straftatbestände werden ohnedies ausnahmslos nach polnischem Recht geahndet. Auch in diesem Fall hat Recht und Gerechtigkeit ihr Versprechen aus der Oppositionszeit, aus der Konvention auszutreten, bis jetzt nicht gehalten).

Szydło: Gesetzesänderungen, die schwierige Probleme moralischer Natur berühren, müssen gut vorbereitet sein und überlegt eingeführt werden. Erinnern Sie sich bitte, wie heftig vor einem Jahr die Bürgerinitiative für ein Abtreibungsverbot angegriffen wurde. Die Vereinigte Rechte fühlt sich der katholischen Soziallehre eng verbunden. Viele unserer Politiker sind Katholiken, das verbergen wir auch nicht. Um jedoch mit unreifen Vorhaben nicht mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu erzielen, müssen wir vorsichtig vorgehen und pragmatisch denken.

In anderen Angelegenheiten jedoch, z.B. der Justizreform, hat Ihre Regierung keine Angst gehabt die Macht aufgrund der Straβenproteste zu verlieren und durch den Konflikt mit der Opposition, der sich sogar auf die EU ausweitete. Ihr Kabinett setzt also schon Prioritäten.

Das Gewicht dieser Proteste war viel geringer als in der Abtreibungsfrage. Wir regieren erst das zweite Jahr und alles was wir bisher geleistet haben dient der Festigung der grundlegenden Veränderungen, die wir anstreben. Es kommt auch die Zeit für die ethischen Probleme. Wir haben bereits das „Gesetz für das Leben“ verabschiedet. Das ist der Anfang.

Im Augenblick werden Unterschriften gesammelt zu der Bürger-Gesetzinitiative „Stoppe die Abtreibung“, die die sogenannte eugenische Abtreibung, also die Tötung von kranken ungeborenen Kindern unmöglich machen soll. Wenn dieser Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht wird, werden Sie für ihn stimmen?

Dieser Gesetzentwurf wird in unserer Fraktion eine breite Unterstützung erfahren. Ich werde selbstverständlich mit „Ja“ stimmen.

Im Parlament findet gerade die Debatte über die arbeitsfreien Sonntage im Handel statt. Der parlamentarische Sonderausschuss hat sich für nur zwei arbeitsfreie Sonntage im Handel ausgesprochen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Es ist eine Bürger-Gesetzinitiative der Gewerkschaft Solidarność. Etwa vierhunderttausend Menschen haben sie unterschrieben. Die Regierung hat sie mit einer positiven Empfehlung versehen. Ich bin generell für einen arbeitsfreien Sonntag im Handel, doch die Meinungen in unseren Reihen sind gespalten. Ich werde alles tun, um andere für meine Meinung zu gewinnen. Das Ergebnis dieser Debatte ist noch offen.

Im November 2017 sind Sie zwei Jahre im Amt. Alle Umfragen ergeben, dass die Unterstützung für Sie als Regierungschefin, für Ihr Kabinett und die Regierungspartei ständig wächst.

Wir haben uns in den acht schweren Jahren in der Opposition gut auf das Regieren vorbereitet und sind zu den Wahlen im Oktober 2015 mit einem ganzheitlichen Reformprogramm angetreten. Jarosław Kaczyński hat dazu den entscheidenden Beitrag geleistet.

Die Sozialreformen, die ich bereits geschildert habe. Dazu die Bildungsreform. Die erfolgreiche Bekämpfung der ganz groβen Fälle von Korruption. Die Erfolge der Staatsunternehmen, wie der Fluggesellschaft LOT, der Staatsbahn oder des Bergbaus, die inzwischen alle groβe schwarze Zahlen schreiben, während sie in der Zeit unserer Vorgänger dem Ruin und der Korruption preisgegeben wurden. Die Revitalisierung der dahinsiechenden Armee. Das Gefühl in einem sicheren Land zu leben, und das, in einer Zeit der allgegenwärtigen terroristischen Mordanschläge. Das alles honorieren die Bürger.

So viele Erfolge können schnell zu Selbstzufriedenheit und Selbstüberschätzung führen.

Ich habe das WM-Fuβball-Qualifikationsspiel Polen gegen Montenegro (am 8. Oktober 2017 im Warschauer Nationalstadion, Polen gewann 4:2 und qualifizierte sich für die WM in Russland – Anm. RdP) im Fernsehen verfolgt. Als unsere Mannschaft mit 2 : 0 vorne lag, hatte ich den Eindruck, dass sie sich, vom schnellen Erfolg geblendet, bereits nach Russland verabschiedet hatte. Kurz darauf stand es 2 : 2.

Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Deswegen wiederhole ich fast in jeder Kabinettssitzung: nur harte Arbeit und Demut bringen dauerhaften Erfolg.

RdP