Herausragendes in Übergrösse

Am 20. April 2017 starb Magdalena Abakanowicz.

Der Mensch, der Gefahr läuft in der Masse unterzugehen. Mit diesem Thema beschäftigte sich Polens bedeutendste Bildhauerin stets aufs Neue. Ihre Figuren sind kopflose Körper, die oftmals als große Ansammlung, stehend, schreitend, tanzend den Raum oder die Landschaft besetzen. Zu finden sind sie, ob in Gruppen oder einzeln, in zahlreichen internationalen Museen und Sammlungen.

Diese oft überlebensgroβen Gestalten sind gemacht aus Materialien mit Ewigkeitswert: Bronze, Stahl, Aluminium. Mit weniger gab sich diese Frau in der letzten Phase ihres Schaffens nicht ab.

Ihre Eigenwilligkeit war berüchtigt. Weil in ihrer adeligen Familie nur die Jungen gefördert wurden, hatte die kleine Magdalena sich nichts sehnlicher vom Nikolaus gewünscht, als in einen Jungen verwandelt zu werden. Nun, sie hat es dann auch als Frau ohne Verwandlung geschafft. Wenn auch zunächst mit als „weiblich“ geltenden Materialien und Techniken. Die „männliche“ Vermessenheit kam erst später hinzu.

Tataren als Vorfahren

Magdalena Abakanowicz wurde 1930 in Falenty, einem Vorort von Warschau geboren, der inzwischen längst zum Stadtgebiet gehört. Inmitten von Wäldern und Äckern, wuchs sie in einem Gutshaus auf, das vollgestopft war mit Familienandenken. Darunter befanden sich Briefe zahlreicher polnischer Könige, in denen die Herrscher im Verlauf der Jahrhunderte Magdalenas Vorfahren mütterlicher- wie väterlicherseits für deren Verdienste um die polnische Adelsrepublik rühmten.

Vorfahre Abaqa (auf dem Schimmel), Darstellung aus dem 14. Jh.
Vorfahre Abaga (auf dem Schimmel), Darstellung aus dem 14. Jh.

Magdalenas Vater, Konstanty Abakanowicz verbrachte seine Jugend auf dem Familiengut weit im Osten Polens, den sich Russland nach den drei polnischen Teilungen im 18. Jahrhundert angeeignet hatte. Der Name Abakanowicz leitet sich direkt ab vom mongolischen Klanchef und Krieger Abaka Khan, einem Urenkel Dschingis Khans, der im 13. Jahrhundert Raubzüge nach Mitteleuropa unternahm.

Irgendwann traten die Abaka Khans in die Dienste polnischer Könige, polonisierten ihren Namen zu Abakanowicz, wurden sesshaft und in den Adelsstand erhoben. Sie brachten Generationen hervorragender Militärs hervor. Erst dienten sie den polnischen Königen, später den russischen Zaren.

Nach der Revolution von 1917 rotteten die Bolschewisten während ihrer Mord- und Raubzüge auch die Familie Abakanowicz beinahe aus, das Familiengut im heutigen Osten Weiβrusslands brannten sie nieder. Konstanty Abakanowicz war während des Ersten Weltkriegs Offizier der Zarenarmee. Er floh in das gerade nach 123 Jahren der Teilungen im Jahr 1918 wiederentstandene Polen und heiratete dort die vermögende Aristokratin Helena Domaszewska. Das Paar lieβ sich auf dem Gut Falenty nieder.

Zu Hause herrschten strenge Regeln und Umgangsformen. So musste Magdalena dem Vater bei jeder Begrüβung die Hand küssen. Auch machten die Eltern kein Hehl daraus, dass sie sich eigentlich einen Sohn gewünscht hätten. Magdalena blieb ein Einzelkind. Ihre schwachen Schulleistungen wurden zu Hause hingenommen.

Sie durfte in der Natur herumtollen, schuf sich ihre eigene Welt, sammelte Steine, baute Hütten, fing Schmetterlinge. Der Vater brachte ihr immerhin das Jagen bei. All das prägte sie, vor allem ihre innere Unabhängigkeit, eng gepaart mit einem enormen Durchsetzungsvermögen.

Kindheit im Krieg

Magdalena war neun als am 1. September Deutschland und am 17. September 1939 die Sowjets Polen überfielen. Das Leben auf Gut Falenty wurde immer schwieriger: deutsche Besatzungsbehörden belegten es, wie alle anderen polnischen Güter, mit hohen Zwangsabgaben in Naturalien. Beschlagnahmungen und Durchsuchungen waren an der Tagesordnung.

Die kriegsbedingte Kriminalität machte sich zunehmend durch Diebstähle und Überfälle bemerkbar. Eines Nachts wurde der Mutter bei einem weiteren Raubüberfall der rechte Arm abgeschossen. Der Anblick inspirierte Magdalena Jahrzehnte später zu ihrem ergreifenden Skulpturenzyklus „Anatomie“.

Ende Juli 1944 flüchtete die Familie vor der herannahenden Front nach Warschau. Die Hoffnung dort Sicherheit zu finden schwand völlig, als am 1. August 1944 der Aufstand gegen die Deutschen ausbrach. Die der Londoner Exilregierung unterstehende Heimatarmee (AK) hoffte die Hauptstadt innerhalb weniger Tage zu befreien, anschlieβend die Sowjets als Hausherrin im Namen der polnischen Regierung begrüβen zu können und so die Verwandlung Polens in eine Sowjet-Kolonie zu verhindern.

Die Rechnung ging nicht auf. Der Aufstand dauerte 63 Tage, die Intensität der Straβenkämpfe stand der von Stalingrad in nichts nach. Am Ende lag die Stadt zu achtzig Prozent in Trümmern, etwa 250.000 Einwohner verloren ihr Leben.

Die 14-jährige Magdalena half so gut es ging in Kellerkrankenhäusern ohne Licht, Betäubungsmittel, Medikamente, und erlebte dort Grauenhaftes. Die schrecklichen Anblicke der leidenden, entstellten, oft von schwersten Verbrennungen gekennzeichneten Menschen haben sich in ihrem Schaffen immer wieder niedergeschlagen.

Am 3. Oktober 1944 kapitulierten die Aufständischen vor den Deutschen. In langen Kolonnen wurde die übrig gebliebenene Zivilbevölkerung aus der Stadt getrieben, unter ihnen waren auch Magdalena und ihre Eltern . Kurz danach begann die gut drei Monate dauernde planmäβige Zerstörung des menschenleeren Warschau. Die Sowjets standen am anderen Weichselufer und sahen zu, bis sie am 17. Januar 1945 endlich über den Fluss setzten und das Ruinenmeer „befreiten“.

Erleuchtung beim Schulausflug

Mit der Roten Armee kam der Kommunismus nach Polen. Die Abakanowiczs wurden im Zuge der Landreform enteignet. Ihr Gutshaus stand nicht mehr. Sie zogen nach Tczew/Dirschau, eine Kleinstadt unweit von Gdańsk/Danzig. Vater Konstanty konnte eine Zeit lang als Berater im Landamt für die in Nordpolen geschaffenen landwirtschaftlichen Staatsgüter arbeiten.

Doch schnell wurde er als „Klassenfeind“ enttarnt und entlassen, konnte von Glück reden, weil er nicht im Gefängnis gelandet war. Er blieb bis ans Lebensende arbeitslos. Die schwer kriegsversehrte Mutter durfte einen Zeitungskiosk betreiben. Davon lebte die Familie.

1947 kam Magdalena auf das Lyzeum für kunstbegabte Schüler nach Gdynia, war im angeschlossenen Internat untergebracht. Dort entdeckte sie ausgerechnet ihre Vorliebe für die Leichtathletik. Für ihren Sportverein „HKS Tczew“ gewann sie mit der Frauen-Staffel mehrere Gold- und Silbermedaillen bei den polnischen Meisterschaften 1947 und 1948. Sportlich blieb sie bis ins hohe Alter und ihre schlanke Figur war stets der Beweis dafür.

Abakanowicz WZO awangarda fot. 2

Abakanowicz WZO awangarda wieża wiader fot.3

Avantgardistischen Installationen auf der "Ausstellung der Wiedergewonennen Gebiete", Wrocław/Breslau 1948.
Avantgardistische Installationen auf der „Ausstellung der Wiedergewonnenen Gebiete“, Wrocław/Breslau 1948.

Im Jahr 1948 führte sie ein Schulausflug nach Wrocław/Breslau, zur „Ausstellung der Wiedergewonnenen Gebiete“, wie die ehemaligen deutschen Ostgebiete nun genannt wurden.

Es war eine Leistungsschau in und um die Jahrhunderthalle nach dem Motto: schaut, was Polen alles in den drei Jahren bereits geschafft hat. Der Eindruck, den die avantgardistischen Installationen der damals führenden modernen Künstler des Landes Henryk Stażewski (1894 – 1988) und Stanisław Zamecznik (1909 – 1971) auf die Achtzehnjährige machten, war tiefgreifend und prägend.

Noch durfte in Polen moderne Kunst gemacht und öffentlich gezeigt werden. Das eine Jahr (1949 – 1950), das Abakanowicz nach dem Kunstlyzeum in der Kunsthochschule von Gdańsk verbrachte, markierte jedoch die Grenze. Die renommierte Kunsthochschule, deren Einrichtungen sich überwiegend im benachbarten Sopot/Zoppot befanden und die deswegen bis heute Sopot-Schule genannt wird, war bekannt für ihr unkonventionelles Kunstverständnis.

Doch als Magdalena im Oktober 1950 ihr Studium an der Warschauer Kunstakademie fortsetzte, fegte bereits ein eisiger Wind durchs Land. Die einzige erlaubte Kunstform war nun der sozialistische Realismus mit seiner Heroisierung der Arbeit und der kommunistischen Ideologie. In einer solchen Zeit zu studieren war nicht gerade der Traum einer aufgeweckten jungen Frau Anfang zwanzig, die neues erleben wollte. Stattdessen gab es Klassisches und Realistisches, wie zu Anfang des 19. Jahrhunderts: Zeichnung, Skulptur, Malerei…

Nachtschichten im Atelier

Stalins Tod im März 1953 und das kurz darauf zaghaft ansetzende politische Tauwetter in der Sowjetunion brachte in Polen als erstes die lange unterdrückte künstlerische Kreativität zur Explosion. Tadeusz Kantors (1915 – 1990) Avantgardetheater erwachte zu Leben. Die Filmhochschule in Łódź verwandelte sich in ein Labor der modernen Filmkunst. Der Komponist Krzysztof Penderecki (1933-2020) veröffentlichte seine ersten Werke. Die polnische Plakatschule machte von sich reden. Die „Gruppe 55“ durfte ihre abstrakten Bilder zur Schau stellen. Die herrschenden Kommunisten lieβen sie allesamt gewähren, selbst verunsichert durch die sowjetische Stalinismus-Schmelze und in immer heftigere Diadochenkämpfe in den eigenen Reihen verwickelt.

Abakanowicz, seit Herbst 1954 Absolventin der Warschauer Kunstakademie, war noch zu jung um auszustellen, aber sie stürzte sich mitten ins Geschehen im Künstlermilieu, hielt sich ansonsten mit Gelegenheitsaufträgen über Wasser.

Endlich ein eigenes Atelier.Magdalena Abakanowicz Anfang der 60er Jahre.
Endlich ein eigenes Atelier. Magdalena Abakanowicz Anfang der 60er Jahre.

Sie malte damals abstrakte Kompositionen mit Fantasieblumen, Fischen, Gewächsen, in leuchtenden Farben, arbeitete mit breiten Pinseln auf groβen Papierbögen oder zusammengenähten Leinenlaken, die sie nicht auf Rahmen spannte sondern frei hängen lieβ. Mit diesen Gouache-Bildern erfüllte sie sich den lange gehegten Traum moderne Kunst im groβen Maβstab zu gestalten.

Ein Atelier in jener Zeit der Ruinen und der strengen Wohnraumbewirtschaftung in Warschau aufzutreiben war für eine junge Absolventin ein Ding der Unmöglichkeit. Zum Glück lieβ sich der Hausmeister überreden und sie durfte das Atelier der Kunstakademie in der Nacht benutzen. Im Morgengrauen rollte sie ihre Laken zusammen und verstaute sie unterm Bett in einem Zimmer, das sie sich zur Untermiete mit sechs anderen jungen Frauen teilte.

Zwar war sie seit 1956 mit dem Ingenieur Jan Kosmowski (1929) verheiratet, aber die beiden hatten am Anfang ihrer Ehe nicht genug Geld, um sich ein eigenes Zimmer zu mieten. Jan begleitete sie im Übrigen bis ans Ende ihres irdischen Weges.

Polen war ihr wichtig

Durch Beziehungen konnte Magdalena 1957 ihre Teilnahme an einer Gruppenreise von Künstlern nach Italien verwirklichen. Veranstalter waren das Kulturministerium und ein staatlicher Künstlerverband.

Von Italien war sie überwältigt. Einige Teilnehmer der Reise blieben im Westen. Sie nicht. In Zeiten der ideologischen Spaltung der Welt wäre das eine endgültige Entscheidung gewesen. Entweder gehen oder in Polen leben. Ein Pendeln, heute eine Selbstverständlichkeit, gab es damals nicht. Ebenso wusste man nie, wann und ob man überhaupt noch einmal die Erlaubnis bekommen würde ins westliche Ausland zu fahren.

Doch von Polen dauerhaft abgeschnitten zu sein, das hätte sie zu viel Schaffenskraft gekostet. Wenn auch unfrei und arm, my country! – davon konnten sie auch später die verführerischsten Verlockungen des Westens nicht abbringen. „Polen war ihr wichtig“, so betitelte die Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“ am 24.04.2017) den Nachruf auf die Künstlerin.

Auf ihrer Italienreise traf Magdalena das Idol ihres Schulausflugs von 1948 nach Wrocław – den Konstruktivisten Henryk Stażewski, seine Ehefrau Maria Lunkiewicz (1895-1967) und einige andere spannende Persönlichkeiten der damaligen polnischen Boheme. Ihre Gespräche über Kunst, Kultur, Politik, Gott und die Welt faszinierten sie. Sie wünschte sich, ebenso radikal in ihrer Kunst sein zu können, mit dem Alten zu brechen, etwas völlig Neues schaffen, die eigene künstlerische Sprache zu entdecken, die ihr Schaffen einmalig und unverwechselbar machen würde.

In die Berühmtheit eingewoben

Ende der 50er Jahre war es dann soweit. Sie begann ihre eigene Sprache zu weben. Die feine Kunst des Webens mutierte bei ihr in das ganz Grobe. Auf eigens entwickelten Webstühlen verarbeitete sie Schnüre, Taue, Sackleinen, Sisal und Rosshaar und nähte sie zusammen zu beeindruckenden Textilskulpturen. Anfänglich eher flach, entwickelten sich ihre Kunstwerke mit der Zeit immer weiter weg von der Wand, hinein in den Raum.

Schnüre, Taue, Stricke verwandeln sich zu Skulpturen. Magdalena Abakanowicz Anfang der 70er Jahre.
Schnüre, Taue, Stricke verwandeln sich zu Skulpturen. Magdalena Abakanowicz Anfang der 70er Jahre.

Wie sollte man diese neue Form in der bildenden Kunst nennen? „Weiche Skulptur‘? Das klang unseriös. „Strukturelles Tuch“ in Anlehnung an die „strukturelle Malerei“? Das wiederum klang sehr abgehoben. In der polnischen Presse der 60er Jahre wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Gewonnen hat die Wortschöpfung „Abakane“, die sich seither weltweit eingebürgert hat.

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Bei der Arbeit 1971

„Abakane“ waren 1962 die Sensation der Internationalen Biennale der Tapisserie in  Lausanne und 1965 der Biennale in Sao Paulo. Das war Magdalena Abakanowiczs Durchbruch in die Weltliga der bildenden Kunst. Ebenfalls 1965 wurde sie Professorin an der Kunsthochschule in Poznań und lehrte dort bis 1990.

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Abakan violett 1969.

Warschau und Poznań blieben die Hauptorte ihres Schaffens. Ihre herausragende Position in der internationalen Kunstszene behauptete sie allerdings, indem sie 1980 den polnischen Pavillon auf der Biennale in Venedig gestaltete und 1984 eine Gastprofessur an der University of California in Los Angeles antrat.

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Abakan rot 1972.

Ob Paris, Madrid, Köln, New York, Chicago, Jerusalem, Seoul oder Hiroshima: Ihre Werke sind an vielen Orten der Welt zu finden. Eine ihrer größten textilen Arbeiten misst rund zweihundert Quadratmeter, der »Bois le Duc«, geschaffen für das Gebäude der Provinzialverwaltung von Nordbrabant in Hertogenbosch in den Niederlanden.

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Abakan orange 1971.

Immer wieder Neues wagen

Irgendwann wurde ihr das Image der „webenden Künstlerin“ lästig. „Die Abakane haben mir Weltruhm eingebracht, aber sie lasteten auf mir wie eine Sünde, die man nicht eingestehen darf. Die Weberei verschlieβt auf Dauer den Zutritt zur Welt der Kunst“. Sie hätte bis an ihr Lebensende ihre Erfindung verfeinern und vervielfältigen können. Das war ihr zu langweilig.

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Abakanowiczs gröβte Textilarbeit »Bois le Duc«, in Hertogenbosch in den Niederlanden.

„Meine Formen sind im Grunde meine nächstfolgenden Häute, die ich ablege um eine weitere Etappe auf meinem künstlerischen Weg zu markieren. Am interessantesten ist es, sich Techniken und Formen zu bedienen, die man noch nicht kennt.“

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Magdalena Abakanowicz „Tanzende“ 1978.

Auch wenn ihre menschen- oder tierähnlichen Figurengruppen, „Die Rücken“, „Sitzende Gestalten“ und viele andere, häufig kopflos sind und allein durch ihre Größe und Masse bedrohlich wirken, trägt jede Figur doch individuelle Merkmale. Selbst so gewaltige Installationen wie die für die Zitadelle in Poznań geschaffenen 112 Figuren, „Die Unerkannten” genannt, sind keine bloßen Kopien je einer Figur von der anderen. „Die Natur duldet keine Kopien. Ob Mücke oder Blatt, Mensch oder Vogel – es sind immer Individuen.“ Doch nicht das Detail, die Masse sollte auf den Betrachter wirken.

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Inmitten ihrer Skulpturen. Magdalena Anakanowicz 1986.

„Im Jahr 1980“, berichtete sie in einem Interview, „habe ich in Venedig eine Gruppe von achtzig sitzenden Gestalten ausgestellt. Man hat mich gefragt: ist das Auschwitz? Ist das etwa eine religiöse Zeremonie in Peru? Der Tanz Ramayanas? Ich habe jedes Mal „ja“ gesagt, weil diese Arbeiten vom Menschen als solchem handeln. Davon, dass der Körper nicht und das Gesicht sehr wohl lügen kann. Davon, dass der alte Mensch an Baumrinde erinnert, und von einhundert anderen Angelegenheiten. Jeder kann in einer Skulptur eigene Erfahrungen wiederentdecken, die eigene Welt. Ich will nicht, dass alle meine Arbeiten von jedem Betrachter gleich empfunden werden. Das wäre ein Debakel.“

So radikal Abakanowicz auch im Laufe ihres Künstlerinnenlebens die Materialien wechselte, so treu blieb sie ihrer Suche nach der Individualität in der Masse. „Die Masse ist an und für sich unselbständig, aber sie ist bereit auf Kommando zu treten, zu zerstören oder zu verehren. Die Masse ist eine kopflose Kreatur, die mich immer aufs Neue inspiriert“, so begründete sie ihre Fixierung auf Figurengruppen.

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Magdalena Abakanowiczs 106 „Kopflose“ am Grant Park in Chicago 2001.

Glanz und Vergänglichkeit

Eine Größenordnung besonderer Art stellen auch Abakanowiczs zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen, Ehrungen und Kunstpreise dar. Allein sieben Kunsthochschulen in aller Welt verliehen ihr die Ehrendoktorwürde. Sie war Mitglied mehrerer Akademien der Künste, Trägerin vieler Verdienstorden. Und mit über zweihundert Einzelausstellungen war sie ohne Zweifel die bekannteste zeitgenössische polnische Bildhauerin, obwohl die eigentliche Bildhauerei nur einen Teil ihres Schaffens ausmachte.

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Einer der letzten ganz groβen Auftritte. Magdalena Abakanowicz kurz vor der Eröffnung ihrer Ausstellung auf dem Gelände der Warschauer Zitadelle im Jahr 2002.

In den 90er Jahren und später wurde ihr Schaffen zunehmend als „klassisch“, ja sogar „traditionell“ angesehen. Andere Kunstrichtungen galten in dieser Zeit als „progressiver“. Ihre Metaphern vom Individuum und von der Menschenmasse passten angeblich nicht mehr in die nachkommunistische Zeit des ausschweifenden Individualismus, der Vereinsamung und Abkapselung vor dem Smartphone oder Computer.

Es gelang ihr nicht mehr, einen Skulpturenpark mit ihren Werken in Warschau, unweit ihrer Wohnung einzurichten. Die Stadtverwaltung zögerte die Umsetzung des Projektes immer wieder hinaus, auch der hohen Kosten wegen, bis die Erkrankung an Alzheimer den Zugang zu ihr versperrte.

Abakanowicz starość fot.

Magdalena Abakanowicz hat uns ihre inspirierende, eigenartige Kunst zurückgelassen, die nicht so leicht in Vergessenheit geraten wird. Auch weil sich darunter so viel Herausragendes in Übergröβe befindet.

© RdP




Vorhaben und Kapriolen des Springer-Verlages im Staate Polen

Was man den Ureinwohnern so vorsagen muss.

Es gibt Dinge, die man lieber nicht schreiben sollte. Ob das Mark Dekan, dem Chef der Ringier Axel Springer Media AG in Polen, im Nachhinein aufgegangen ist, wissen wir nicht. Eins aber wurde schnell klar als sein an die polnischen Mitarbeiter des Verlages gerichteter Rundbrief an die Öffentlichkeit kam: jemand, der so hart wie die führenden Springer-Medien in Polen austeilt, vermag ganz offensichtlich nicht in gleicher Weise einzustecken.

Degan RASP siedziba fot.
Ringier Axel Springer-Sitz in Warschau.

Dekan Newsweek 12-2015 fot.
Besessen von Kaczyński. „Newsweek Polska“ 12/2015 „Recht und Gerechtigkeit bebt“.

Den Wortlaut der Botschaft Dekans drucken wir am Ende dieses Beitrags ab. In besagtem Rundbrief vom 10. März 2017 gab der Chef die Auslegung des Streits um die Wiederwahl von Donald Tusk zum Präsidenten des Europäischen Rates zum Besten. Einer Wiederwahl, die die polnische Regierung vergeblich zu verhindern versuchte.

Lasst uns den Polen vorsagen

Dekan:

● „Das Spiel endete mit dem Ergebnis 27 : 1!“ ● „Verloren in diesem Kampf hat neben Jarosław Kaczyński der gute Ruf Polens als glaubwürdiger EU-Partner.“ ●„Ideologie und primitive Manipulationen haben gegen Werte und Verstand verloren.“ ● „Das ist der Augenblick, in dem sich freie Medien, wie wir, ins Spiel bringen.“ ● „Lasst uns ihnen (den Polen – Anm. RdP) vorsagen, was zu tun ist, um auf der (EU – Anm. RdP)-Schnellspur zu bleiben, und nicht auf dem Parkplatz zu landen.“

Dekan Newsweek 16-2015 fot.
„Newsweek Polska“ 16/2015 „Der Attentäter“.

Wer von den verstimmten polnischen Mitarbeitern das Schreiben nach auβen befördert hat, ist nicht bekannt. Die Wirkung jedenfalls war enorm, und die Erklärungsversuche des Unternehmens konnten den Schaden kaum begrenzen.

„Die Anschuldigung, Mark Dekan habe angeblich unsere Journalisten angeleitet, wie sie über den Fortgang der politischen Entwicklung zu berichten haben, und dass in irgendeiner Form Druck auf sie ausgeübt worden sein soll, ist grundsätzlich falsch und nicht zu akzeptieren“, dementierte die Pressesprecherin des Verlages.

Dekan Newsweek 20-2015 fot.
„Newsweek Polska“ 20/2015 „Wahlfälschung“.

Wie auch immer, eine grundsätzlich andere Meinung als die des Chefs zum Thema Tusk und seiner Wiederwahl zum EU-Ratspräsidenten, war in den polnischsprachigen Medien des Springer-Konzerns jedenfalls nicht zu vernehmen.

Widerstand beflügeln, Widerstand organisieren?

Der Schlamassel war groβ, denn Dekans interne Ausführungen entsprachen dem Gebaren der führenden polnischsprachigen Springer-Medien. Diese stehen nämlich mit an vorderster Front eines unerbittlichen medialen Kampfes gegen die jetzige polnische Regierung. Man könnte denken, Jarosław Kaczyński wäre ein persönlicher Feind des Verlages. Jedenfalls erwecken die Titelseiten von „Newsweek Polska“ sehr stark den Eindruck einer beinahe schon Besessenheit.

Dekan Newsweek 39-2015 fot.
„Newsweek Polska“ 39/2015 „Kaczyńskis Geheimnisse“.

Innerhalb des aktuellen politischen Konfliktes in Polen bezieht der Konzern eindeutig und uneingeschränkt auf einer Seite Stellung. Seine führenden polnischsprachigen Medien ziehen jeden Tag aufs Neue ins Feld gegen Personen und Vorhaben der Regierungspartei. Dabei werden stets schwerste Keulen geschwungen. Ausgewogenheit, Zurückhaltung, Gegenargumente sucht man meistens, leider, vergebens.

Doch damit nicht genug. Der leitende polnische Mitarbeiter des Konzerns, der „Newsweek Polska“-Chefredakteur Tomasz Lis gehört zu den rührigsten geistigen Anführern der Opposition. Tag ein, Tag aus beschimpft er in den sozialen Medien wüst die Regierung und ihre Anhänger, mobilisiert zum Widerstand, tritt als feuriger Redner bei Antiregierungs-Demonstrationen auf.

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„Newsweek Polska“-Chefredakteur Tomasz Lis auf den Barrikaden des Widerstandes.

Als weiteres Beispiel anzuführen wäre sein Kollege Michał Broniatowski, Chefredakteur von „Forbes Polska“, ebenso wie „Newsweek Polska“ ein polnischsprachiges Springer-Magazin. Broniatowski lieβ seinen Bürgerkriegs- und Gewaltfantasien freien Lauf. Auf dem Höhepunkt der Sejm-Besetzungskrise im Dezember 2016 verfasste der leitende Springer-Mitarbeiter auf Facebook eine genaue Anleitung, wie man einen blutigen Maidan in Warschau organisieren sollte:

Degan Broniatowski fot.
„Forbes Polska“-Chefredakteur Michał Broniatowski.

„(…) Es genügen zwei- bis dreitausend Leute, die über Nacht ausharren, hingegen Zehntausende, die bereit sind sie tagsüber zu unterstützen.

Außerdem“, so Broniatowski weiter, „sollte ein groβer Platz im Zentrum ausgewählt werden (…) mit einem groβen öffentlichen Gebäude in der Nachbarschaft, das man besetzten (und verteidigen) kann. Das ist notwendig aus logistischen, stabsmäβigen, medialen (Pressezentrum), hygienischen (Toiletten) Gründen (…). Zelte müssen wie in einer Wagenburg aufgestellt werden. (…) Die Behörden greifen nach einigen Tagen (im Morgengrauen) stumpfsinnig und blutig die zeltende Jugend an. Am nächsten Tag demonstrieren eine Million Leute auf dem Platz und in seiner Umgebung.(…)

Abteilungen des Selbstschutzes. Hier muss man sehr genau aufpassen, um Provokationen zu vermeiden. (…) Sollte ich etwas vergessen haben, dann bitte ich (…) um Ergänzungen.”

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Broniatowski-Anleitung zum blutigen Maidan in Warschau.

Kein Wunder, dass angesichts eines solchen Verhaltens in der Öffentlichkeit die Frage aufkam, ob denn etwa auch das Schüren von Unruhen im Nachbarland zum Verlagsprogramm gehöre. Der Konzern jedenfalls hat sich von den Aktivitäten seiner leitenden Mitarbeiter in Polen nie eindeutig distanziert.

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„Newsweek Polska“ 40/2015 „Kriege in der Kaczyński-Familie“.

   German Übermacht

Der deutsche Springer-Verlag betreibt sein Polen-Geschäft seit 2010 gemeinsam mit dem Schweizer Medienkonzern Ringier AG als Ringier Axel Springer Media AG und hat es auf landesweite Medien abgesehen.

Springer ist (seit 2009) Herausgeber von „Fakt“ (der polnischen „Bild-Zeitung“, wie sie genannt wird), des auflagenstärksten Blattes in Polen (Februar 2017: ca. 280.000 verkaufte Exemplare pro Tag) sowie von zwei Sport-Blättern: „Sport“ und „Przegląd Sportowy“ („Sport Rundschau“).

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„Newsweek Polska“ 44/2015 „Staatsoberhaupt“.

Hinzu kommen: das radikal antikatholisch und gegen die nationale polnische Tradition ausgerichtete Kampfblatt „Newsweek Polska“ (Verkaufszahlen Januar 2017: ca. 100.000 Exemplare pro Woche), das Wirtschafts-Monatsmagazin „Forbes“ und das gröβte, genauso wie „Newsweek Polska“, ideologisch tief gefärbte polnischsprachige Internetportal „Onet.pl“. Des Weiteren hat der Konzern eine Reihe von Computer-Fachzeitschriften im Angebot.

Und dies alles ist nur ein Teil eines noch gröβeren Ganzen. Die Zahlen sind wahrlich überwältigend. So befindet sich auf Platz eins der deutsche Bauer-Verlag, der 2015 knapp 360 Mio. Exemplare seiner Presserzeugnisse in Polen verkauft hat. Rang zwei: Ringier Axel Springer – mit nicht ganz 173 Mio. Exemplaren. Platz drei: Passauer Neue Presse (Polska Press Grupa): knapp 127 Mio. Rang sieben: Burda-Verlag mit gut 31 Mio. Exemplaren. Fazit: siebzig Prozent aller Medien (Fernsehen nicht eingeschlossen) in Polen befinden sich in deutschem Eigentum, darunter praktisch alle Regionalzeitungen.

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„Newsweek Polska“ 47/2016 „Kaczyński hat losgelegt“.

Hinzu kommen zwei der gröβten Internetportale: „Onet.pl“ (Springer) und „Interia.pl“ (Bauer), sowie der gröβte private Radiosender „RFM FM“ (Bauer).

Einen ausführlichen Bericht über deutsche Medienkonzerne in Polen lesen Sie bitte hier.

Hart austeilen…

Als der Springer-Verlag nach Polen kam, war gerade (2005 bis 2007) die erste nationalkonservative Regierung von Jarosław Kaczyński an der Macht. Damals hängte sich Springer in Polen das Mäntelchen eines konservativen Verlegers um. Die Tageszeitung „Dziennik“ (im April 2006 gegründet und groβzügig finanziert) sollte die polnische „Die Welt“ werden und der linksradikalen „Gazeta Wyborcza“ die Marktführung streitig machen. Genauso verhielt es sich mit dem Boulevardblatt „Fakt“.

Dekan Newsweek 3-2016 fot.
„Newsweek Polska“ 3/2016 „Was geht in Kaczyńskis Kopf vor?“

Zehn Jahre später spielen alle wichtigen polnischsprachigen Springer-Medien in einer Liga mit der „Gazeta Wyborcza“ und der postkommunistischen „Polityka“.

„Die Springer-Medien steuern einen wesentlichen Beitrag zur Verrohung und Verflachung der öffentlichen Debatte in Polen bei. Katholische Kirche, die traditionelle Familie, konservative Werte, die polnische Tradition des Freiheitskampfes und seine Symbole unterliegen einem gnadenlosen publizistischen Dauerbeschuss. Hohn und Spott wechseln sich ab mit Schreckensvisionen des „typisch polnischen“ Nationalismus, Chauvinismus, Antisemitismus, der angeblich allgegenwärtigen Intoleranz. Man könnte meinen: je provokanter und beleidigender, umso besser.

Aus der Perspektive der polnischsprachigen Springer-Medien gleicht Polen einer mittelalterlichen Hölle. Und über all dem schwebt in Schwefelwolken der böseste aller bösen polnischen Geister: Jaroslaw Kaczyński, der dämonenhafte Dauerheld der „Newsweek Polska“-Titelblätter“, so beschreibt das Wirken der führenden polnischsprachigen Springer-Medien der Medienexperte Pawel Suchanski.

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„Newsweek Polska“ 10/2016 „Entschuldige dich bei Lech (Wałęsa – Anm. RdP) und bei den Polen“.

… und nicht einstecken können.

Wer so grob austeilt, sollte auch einstecken können. Stattdessen stimmte der Autor des Rundbriefes ein Lamento an. Er, der Vertreter freier Medien, und sein Unternehmen, seien einer aggressiven und manipulativen Kampagne ausgesetzt.

Woran bei dieser „Kampagne“ erinnert wurde, war für den Konzern in der Tat nicht schmeichelhaft.

Das konservative Nachrichtenmagazin „wSieci“ („imNetzwerk“, vom 02.04.2017) erinnerte daran, dass der „Fakt“-Chefredakteur, Grzegorz Jankowski, auf Betreiben der Tusk-Regierung, im Mai 2014 entlassen worden sei. Springers polnischsprachiges Boulevardblatt, so „wSieci“, habe die Tusk-Regierung zu stark kritisiert, vor allem in Bezug auf die Amber-Gold-Affäre, in die der Tusk-Sohn Michał verwickelt war.

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„Newsweek Polska“ 17/2016 „Das groβe Orchester der Verachtung“.

Einen ausführlichen Bericht über die Amber-Gold-Affäre lesen Sie bitte hier.

Wie es zu der Entlassung des ungehorsamen „Fakt“-Chefredakteurs Grzegorz Jankowski gekommen sein soll, enthüllt das Abhörprotokoll eines Gespräches, das am Gründonnerstag, dem 17.04.2014 stattgefunden hat.

In dieser Zeit haben Kellner zweier nobler Warschauer Restaurants, auf Bestellung eines dubiosen Unternehmers, ein Jahr lang Gespräche führender Politiker der Regierungspartei und ihrer Gäste beim Essen aufgenommen. Das Informationsmagazin „Wprost“ („Direkt“) hat viele der Abhörprotokolle im Juni 2014 veröffentlicht, was zum Wahldesaster der Tusk-Partei 2015 wesentlich beigetragen hat.

Dekan Newsweek 22-2016 fot.
„Newsweek Polska“ 22/2016 „Recht und Gerechtigkeit gegen die Welt“.

„Journalismus an der Leine“

Ort:

Restaurant des Polnischen Unternehmerrates in Palais Sobanski in Warschau.

Gesprächspartner:

Pawel Graś, Staatssekretär im Amt des Ministerrates (entspricht dem deutschen Bundeskanzleramt), Generalsekretär der damals regierenden Bürgerplattform, engster Vertrauter und Berater des damaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Tusk nahm Graś nach seiner Ernennung zum Chef des Europäischen Rates als seinen Sekretär mit nach Brüssel.

Degan Tusk Graś Kulczyk fot.
Tusk-Intimus Paweł Graś (rechts oben) und Milliardär Jan Kulczyk.

Jan Kulczyk, der reichste Unternehmer Polens mit besten Verbindungen nach Deutschland, im Juni 2015 verstorben.

Über Jan Kulczyk und seine windigen Geschäfte lesen Sie bitte hier.

Inhalt:

Graś: Mann, es  ist doch wichtig, dass die Medien, Mann, irgendwie das, was passiert, zu würdigen wissen.

Kulczyk: Na also mit „Fakt“ gibt es ein Problem, das ist… „Fakt“ gehört Springer? Ja?

Graś: Ja, das ist eine absolut komische Situation, weiβt du.

Kulczyk: Und die Merkel kann da nichts tun?

Dekan Newsweek 25-2016 fot.
„Newsweek Polska“ 25/2016 „Wieviel Jahre mit Kaczyński?“

Graś: Wir haben mit denen geredet. Auf die eine und andere Weise. Einerseits sagen sie, also diese Deutschen, dass sie die Sache ausschlieβlich als Sache des Unternehmens betrachten, und dass sie sich nicht einmischen, keinen Einfluss nehmen wollen usw. So eine Zeitung, Mann, die sich ausschlieβlich der Hasssprache bedient, sich unaufhörlichen Attacken auf die (Tusk- Anm. RdP)-Regierung und den Ministerpräsidenten widmet, das ist, Hurenmutter (grobes polnisches Schimpfwort – Anm. RdP) noch mal, ein Wahnsinn.

Kulczyk: Also hör zu, ich werde mich umhören, ich kenne da so einen Typen, der, weiβt du, dort (in Deutschland – Anm. RdP) unserer Gruppe angehört, er ist Senator, er ist Anwalt. Ich habe die… bei ihm habe ich zweimal die (Friede – Anm. RdP) Springer gesehen. Weiβt du?

Graś: Aha, aha.

Kulczyk: Ich werd‘s versuchen.

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Zu viel Tusk-Kritik? Von der Leine gerissen? „Fakt“-Chefredakteur Grzegorz Jankowski wurde von einem Tag auf den anderen gegangen.

Zufall oder nicht. Fakt ist, dass sechs Wochen nach diesem Gespräch der „Fakt„-Chefredakteur Grzegorz Jankowski nach elf Jahren abgesetzt wurde. Der Geschasste hüllt sich bis heute in Schweigen.

Um die „Fakt“-Redaktion wieder auf Linie zu bringen, so „wSieci“ weiter, habe der Konzern den Aufpasser Peter Prior nach Warschau geschickt. Ihm sollen, laut „wSieci“, die wichtigsten politischen Manuskripte ins Deutsche übersetzt, und dann zur Kontrolle und Korrektur vorgelegt worden sein.

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„wSieci“-Titelstory „Aufpasser aus Deutschland leitete polnische Zeitungen“. Im blauen Hemd Peter Prior.

Zwischen Sommer 2014 und Sommer 2016 soll Prior, jedenfalls laut „wSieci“, nach Möglichkeit Tusk- und Walesa-kritische Beiträge eliminiert haben. Im Gegenzug habe er die Journalisten veranlasst gegen den Präsidentschaftskandidaten von Recht und Gerechtigkeit, Andrzej Duda (im Mai 2015 fanden in Polen Präsidentschaftswahlen statt) und die Kaczyński-Partei (im Oktober 2015 folgten Parlamentswahlen) zu schreiben.

Prior soll im bewegten Herbst 2015 ebenfalls darauf geachtet haben, dass „Fakt“ die deutsche Linie in Sachen Aufnahme von Emigranten vertritt. Der nach Entlassung Jankowskis neu eingesetzte „Fakt“-Chefredakteur, schreibt „wSieci“, habe bei Redaktionskonferenzen alle Anweisungen des aus Deutschland entsandten Kontrolleurs notiert und sie dann peinlichst umgesetzt. Erst als Priors Wirken in der Öffentlichkeit ruchbar wurde, habe man ihn wieder nach Deutschland abgezogen.

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„Newsweek Polska“ 29/2016 „Polen in Trümmern“.

Aufgrund dieses Berichts will „Ringier Axel Springer“. das Magazin „wSieci“ verklagen. Genauso soll es dem rechtsnationalen Wochenblatt “Warszawska Gazeta“ für seinen Beitrag vom 06.04.2017 ergehen.

Weitere Schlagzeilen zum selben Thema lauteten: „Journalismus an der Hundeleine“ („Gazeta Polska Codziennie“ – „Polnische Zeitung Täglich“ 18/19.03.2017), „Redakteure unter Aufsicht“ („wSieci“ – „imNetzwerk“, 02.04.2017), „Der Riese hat sich entblöβt“ (Wochenmagazin „Niedziela“ – „Der Sonntag“, 09.04.2017) usw, usf. Die Titel der Berichte, die der Rundbrief von Mark Dekan ausgelöst hat, sprechen für sich.

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„Newsweek Polska“ 32/2016 „Vize-Jarosław“. Gemeint ist Verteidigungsminister Antoni Macierewicz.

Unterstützung bekam Ringier Axel Springer hingegen von einer kleinen Gruppe verbündeter polnischer Kollegen (der Feind meines Feindes ist mein Freund), überwiegend aus der „Gazeta Wyborcza“, die einen eigenen Verband, die Journalistische Gesellschaft (JG) gegründet haben. Seine Mitglieder distanzierten sich seiner Zeit vom Polnischen Journalistenverband (SDP), der ihnen zu konservativ war und der auch zum Dekan-Rundbrief kritisch Stellung genommen hat.

Der JG-Brief zu diesem Thema wurde auf der Internet-Seite von „Die Welt“ veröffentlicht ohne einen einzigen Hinweis auf die peinlichen Begleitumstände, die ihm vorausgegangen sind. Die deutschen Leser dieses Briefes bleiben diesbezüglich daher völlig ahnungslos. Wir veröffentlichen den Wortlaut am Ende dieses Beitrages.

Degan TD fot.
„Schleimer“. Titelseite der „Gazeta Polska Codziennie“ („Polnische Zeitung Täglich“) vom 21.03.2017 mit Fotos der führenden Köpfe der Journalistischen Gesellschaft, die sich bei den Deutschen entschuldigt haben.

Dekonzentrierung tut Not

Noch vor einiger Zeit sprach die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit von einer notwendigen „Polonisierung“ der Medien. Die fast absolute Vormacht des ausländischen, vor allem deutschen Kapitals, auf dem polnischen Medienmarkt und seine politische Einflussnahme werden in groβen Teilen der Gesellschaft auf Dauer als unzumutbar erachtet.

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„Newsweek Polska“ 46/2016 „Ist die Welt verrückt geworden?“

Eine Enteignung auf Grund der nationalen Herkunft der Medien-Eigentümer kommt, allein schon aufgrund von EU-Bestimmungen, nicht in Frage. Andererseits wird in Polen darauf hingewiesen, dass sowohl in Deutschland, wie auch in Frankreich strenge Antikonzentrations-Gesetzte auf dem Medienmarkt gelten. Mehr als zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent der Anteile an einer Sparte des Medienmarktes zu besitzen ist nicht zulässig.

Polen, so heißt es, werde nun auch diesen Weg gehen. Mitte 2017 soll ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht werden, der die geltenden deutschen und französischen Lösungen kopiert. Den heutigen Herrschern des Medienmarkts soll genügend Zeit gegeben werden, damit sie die Möglichkeit haben, ihre über eine gesetzlich vorgegebene Grenze hinausgehenden Marktanteile zu verkaufen.

Ob an polnische Staatskonzerne oder an andere ausländische Interessenten, das sei dahingestellt. Hauptsache, auf dem polnischen Medienmarkt gibt es wieder eine echte Vielfalt.

© RdP

Rundbrief von Mark Dekan

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Dekan dzień dobry fot.
Mark Dekan.

Barcelona gegen Paris Saint-Germain 6:1! – Das war ein Spiel! Doch nicht dieses Spiel hat den Titel des Wettkampfes der Woche verdient. In dieser Liga spielten zwei Polen, die sich in der europäischen Arena gemessen haben, und ihr Spiel endete mit dem Ergebnis 27 : 1!

Alleiniger Sieger ist nicht Donald Tusk, genauso wie Kaczyński nicht der alleinige Verlierer ist. Gemeinsam mit Tusk haben die Polen gewonnen – alle, die stolz sind auf ihre Zugehörigkeit zur Europäischen Union.

Untersuchungen zeigen, dass fast achtzig Prozent der polnischen Gesellschaft dieser Meinung ist. Verloren in diesem Kampf hat neben Jarosław Kaczyński der gute Ruf Polens als glaubwürdiger EU-Partner.

Dekan Newsweek 50-2016 fot.
„Newsweek Polska“ 50/2016 „Recht und Gerechtigkeit werden noch kommen“. Springer-Wunschtraum? Jaroslaw Kaczyński, Staatspräsident Andrzej Duda, Ministerpräsidentin Beata Szydło und weitere führende Regierungspolitiker Polens als Häftlinge.

Was haben wir erfahren:

1. Kaczyński wurde, wahrscheinlich gegen seinen Willen, zum wirksamsten Fürsprecher der Wiederwahl von Donald Tusk.

2. Ideologie und primitive Manipulationen haben gegen Werte und Verstand verloren. Sowohl das von Orban regierte Ungarn, als auch die übrigen Visegrád-Staaten haben sich in der Abstimmung für Tusk ausgesprochen.

3. Die EU hat gelernt, dass es nicht lohnt sich um jeden Preis für Einigkeit einzusetzen. Das ist für die Zukunft eine sehr wertvolle Lehre, die bestimmt die Umsetzung der Idee von einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten beschleunigen wird.

Die letzte Aussage hat eine Schlüsselbedeutung für Polen. In absehbarer Zeit wird es auf der EU-Autobahn nicht nur einen schnellen und einen langsamen Fahrstreifen sondern auch eine Parkspur geben.

Degan Newsweek 6-2017
„Newsweek Polska“ 6/2017 „Komplizen“ Rechts Chef der Bürgerplattform Grzegorz Schetyna.

Das ist der Augenblick, in dem sich freie Medien, wie wir, ins Spiel bringen. Lasst uns niemals die Grundwerte vergessen, die wir vertreten: wir treten ein für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und ein VEREINIGTES EUROPA.

Denken wir daran, dass die Mehrzahl unserer Leser und Nutzer zu der überwältigenden Mehrheit gehört, die Polens EU-Mitgliedschaft unterstützt. Lasst uns ihnen vorsagen, was zu tun ist, um auf der Schnellspur zu bleiben, und nicht auf dem Parkstreifen zu landen.
Der Einsatz in diesem Spiel sind Freiheit und Wohlergehen künftiger Generationen.“

Anmerkung RdP: An dieser Stelle folgt eine etwas chaotische Wiedergabe einer Umfrage vom 09.03.2017, aus der eine insgesamt hohe Zustimmung der polnischen Bevölkerung zur EU-Mitgliedschaft hervorgeht. Bei der polnischen Jugend (18 – 24 Jahre) ist sie geringer – 26 Prozent sind für den EU-Austritt. Dekan schreibt weiter:

„Obwohl die Umfrageergebnisse optimistisch stimmen, werfen sie Fragen auf, die es sich lohnt zu beantworten. Warum ist die kritische Einstellung gegenüber Europa gerade bei der jungen Generation sichtbar? Warum glaubt sie weniger an die Idee des gemeinsamen Europas?

Sicherlich hat teilweise das Bewerfen der EU mit Schmutz dazu beigetragen sowie das in den Medien erzeugte negative Bild einer krisengeschüttelten EU. Das sind Probleme, denen die EU mehr Aufmerksamkeit widmen sollte.“

Dekan Newsweek 12-2017 fot.
„Newsweek Polska“ 12/2017 „Scheidung von Europa“.

Anmerkung RdP: Am Ende folgt ein Hinweis auf neueste geschäftliche Erfolge des Verlages in Polen. Das Schreiben schließt mit einem Lob an alle männlichen Mitarbeiter, die, anlässlich des Internationalen Frauentags am 08. März, an ihre Kolleginnen E-Mails und Fotos mit Würdigungen und guten Wünschen für die weibliche Belegschaft gesandt haben und diese Mitteilungen dem Chef zur Kenntnis weitergeleitet hatten.

(Übersetzung aus dem Polnischen RdP)

Dekan Newsweek 24-2017 fot
„Newsweek Polska“ 24/2017. „Die Geheimnisse der Festung Recht und Gerechtigkeit“.

 

Brief der Journalistischen Gesellschaft

„Liebe Freunde,

Die über Jahre aufgebaute deutsch-polnische Partnerschaft und Freundschaft ist heute in Gefahr durch eine lügnerische, aggressive und antideutsche Propaganda, die von der polnischen Regierung initiiert wird und an die kommunistischen Kampagnen aus den 1960er-Jahren erinnert.

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„Liebe deutsche Freunde“. Internet-Memme. Die Journalistische Gesellschaft demonstriert unter deutschen Farben.

Auf den ersten Seiten der regierungsnahen Medien sehen wir beleidigende Fotomontagen, die deutsche Politiker und Vertreter der Europäischen Union in Uniformen der Wehrmacht zeigen.

Die wichtigsten Politiker der polnischen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) beschuldigen Deutschland – eigentlich ein Verbündeter und ein Freund Polens –, es würde versuchen, Europa zu dominieren und dem Kontinent seinen „deutschen Willen“ aufzwingen.

Die Pressesprecherin der PiS beklagte in der Hauptausgabe der „Tagesschau“ des polnischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens, dass der deutsche Staat sich in die inneren Angelegenheiten Polens einmische. Und sie fragte, ob Polen ein freies Land sei oder eine deutsche Kolonie.

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Wochenmagazin „Gazeta Polska“ („Polnische Zeitung“) vom 12.03.2017. „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“, im Hintergrund eine blaue Krakauer Straßenbahn während der deutschen Besatzung.

Darüber hinaus hat sie eine neue Gesetzgebung angekündigt, in deren Folge deutsche Verlagshäuser aus dem polnischen Pressemarkt vertrieben werden sollen. Sie ging sogar so weit, dass sie versuchte, den Vorstand von Ringier Axel Springer mit einem Strafverfahren einzuschüchtern.

Liebe deutsche Freunde, wir wissen, wie peinlich und falsch diese Lügen und Verleumdungen sind. Wir möchten Ihnen versichern, dass wir sie als genauso peinlich empfinden, wir, die wir den Rechtsstaat und die Demokratie in Polen verteidigen.

Obwohl wir für diese schäbige Propagandakampagne, von der wir auch betroffen sind, nicht verantwortlich sind, möchten wir an Sie Worte der Entschuldigung und des Bedauerns richten.

Wir, die Unterzeichner dieses Briefes, sind Journalisten, Publizisten und Redakteure der Medien, die mit der Idee von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stark verbunden sind. Wir bewundern die deutsche Gesellschaft und den deutschen Staat für die Einhaltung demokratischer und moralischer Standards und für die Solidarität mit Verfolgten.

Wir sind überzeugt, dass die polnische öffentliche Meinung mehrheitlich gegen diese mit bösen Absichten verbreitete antideutsche Propaganda immun wird. Wir hoffen darauf, dass es sich nur um ein peinliches und beschämendes Kapitel in der Geschichte der guten deutsch-polnischen Beziehungen handelt.“

(Wortlaut des auf der Internet-Seite von „Die Welt“ veröffentlichten Briefes – RdP.)




Polen – Volk ohne Waffen

Lieber Schutzpatronen als Patronen.

Es war nicht der erste Vorstoβ dieser Art seit dem Ende des Kommunismus in Polen: „Lasst uns das Waffengesetz lockern. Wer möchte und dazu geeignet ist, soll Waffen legal kaufen können“. Dieses Mal war es die Kukiz-Bewegung, eine politische Protestgruppierung, die bei den letzten Parlamentswahlen 33  Mandate errang, die diese Idee wieder aufgriff, um sich mit dem Ruf nach mehr privater Aufrüstung in Szene zu setzten. Doch die Polen wollen nicht.

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Wollte u. a. der Waffenfabrik in Radom mehr Absatz bescheren. Paweł Kukiz beim Besuch in Polens gröβter Waffenschmiede am 11.04.2016.

Knapp 80 Prozent der Befragten in einer Erhebung, die die Zeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) Anfang Dezember 2016 in Auftrag gab, sprachen sich gegen die Liberalisierung des Schusswaffengesetzes aus. Der entsprechende Gesetzesvorschlag der Kukiz-Bewegung (der Rock-Musiker Paweł Kukiz war 2015 ihr Begründer und Namensgeber) wurde inzwischen im Parlament auf die lange Bank geschoben, mit wenig Chancen auf Verabschiedung.

Kaczyński ist kein Waffennarr

Die mit absoluter Mehrheit regierende Partei Recht und Gerechtigkeit sieht keinen Bedarf für eine Liberalisierung. Ihr Vorsitzender Jarosław Kaczyński (auf dem Titelbild von 2006 als Ministerpräsident zu Besuch in der Waffenfabrik „Łucznik“ in Radom, ein Fabrikat testend) soll selbst einen Waffenschein besitzen und wird stets von zwei Leibwächtern begleitet. Angesichts der Morddrohungen, die er bekommt, handelt es sich dabei um durchaus verständliche Maβnahmen.

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Ministerpräsident Donald Tusk zu Besuch in der Radom-Waffenfabrik am 05.03.2014.

Sein späterer politischer Erzfeind Donald Tusk kolportiert seit 2007, er sei 1991 mit Kaczyński in einem Fahrstuhl gefahren. Kaczyński soll während der Fahrt mit einer Pistole hantiert und gesagt haben: „Dich umzubringen wäre für mich so leicht wie einmal spucken“. Der Betroffene bestreitet den Vorfall. Zeugen gibt es nicht. Weitere Zwischenfälle, die Kaczyński als einen Waffennarren entlarven würden, sind nicht bekannt. Dafür ist seine öffentliche Ablehnung (u. a. in Gdańsk am 15.01.2017) der Lockerung des aktuell in Polen geltenden Waffenrechts eine Tatsache.

Ohne Pistole im Hosenbund

Damit dürften die Polen weiterhin, was die privaten Haushalte angeht, eine der am schwächsten bewaffneten Nationen der Welt bleiben. Nach Angaben von 2016 entfielen auf einhundert Einwohner 1,3 legale Waffen in Privatbesitz. In Deutschland waren es 30, in der Schweiz – etwa 45, in den USA – 90 Waffen pro einhundert Einwohner. Hinter den Polen liegen in der Waffenstatistik nur noch die Südkoreaner und Japaner.

Insgesamt besaßen im Jahr 2016 gut 192.000 Personen einen Waffenschein und insgesamt 390.000 Waffen befanden sich legal in Privatbesitz. 283.000 davon waren Jagdwaffen. Jedes Jahr kommen um die 5.000 neue Waffenscheine hinzu, während etwa 3.000 verfallen oder eingezogen werden. Um die 12.000 Waffen gehen in dieser Zeit legal über den Ladentisch, in Deutschland sind es zehnmal so viel.

Warum wollen sich die Polen nicht bewaffnen? Im Kommentar zu ihrer Umfrage, schrieb die „Rzeczpospolita“ (am 06.12.2016):

„Zum einen ist das Land weitgehend sicher. Die Zeiten mit hohen Kriminalitätsraten zwischen 1990 bis etwa 2005, mit Auftragsmorden, Bandenkriegen, massenhaftem Autodiebstahl, riesigem Alkohol- und Drogenschmuggel sind, Gott sei Dank, vorbei. Die Notwendigkeit mit der Pistole im Hosenbund herumzulaufen gibt es nicht.

Zum anderen, zweifeln die Leute offensichtlich ernsthaft daran, ob ein leichterer Zugang zu Waffen tatsächlich ihre Sicherheit erhöhen würde. Aktuell gibt es in Polen wenig Verbrechen mit Schusswaffengebrauch. Dagegen steht ein hoher Alkoholkonsum und eine Vielzahl damit verbundener Straftaten. Daher würden mehr Waffen in der Öffentlichkeit das Risiko von Tragödien stark erhöhen.  Ein guter Grund, weshalb die Politik in diesem Fall Volkes Stimme uneingeschränkt folgen sollte.“ Was sie, wie man sieht, ja auch tut.

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Die Waffen der Frau. Ministerpräsidentin Ewa Kopacz inspiziert die Radom-Waffenfabrik am 15.12.2014.

Die Statistik: 2015 wurden in Polen 836 Straftaten mit Schusswaffen verübt, darunter auch mit Gas- und Luftdruckwaffen. Ein Jahr später, 2016, waren es nur noch 526.

Ein Erbe des Kommunismus

Die Befürworter eines leichteren Zugangs zu Schusswaffen sehen in der heutigen in Polen geltenden rigorosen Beschränkungspraxis ein Erbe des Kommunismus. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten die zu dieser Zeit zuständigen polnischen Landratsämter durchaus groβzügig Waffenscheine ausgestellt. Die Strafen für illegalen Besitz waren nicht hoch (bis zu drei Monaten Haft; heute sind es bis zu acht Jahre).

Unmittelbar nach dem Krieg, als sich vor allem zwischen 1945 und 1948 der antikommunistische Untergrund den Sowjets und den polnischen Kommunisten heftig widersetze, stand auf illegalen Waffenbesitz die Todesstrafe. Bis Mitte der fünfziger Jahre wurden etwa ein Drittel aller Todesstrafen im kommunistischen Polen wegen dieser Straftat verhängt und zumeist auch vollstreckt.

Jäger, Sammler, Nachinszenierer

Erst 2011 wurde das auch in nachkommunistischer Zeit weiterhin strenge, Recht auf Waffenbesitz gelockert. Seither muss die Polizei  einen entsprechenden Waffenschein ausstellen und zwar allen, die:

● einen gültigen Jagdschein vorweisen, ● eine Sportschützenlizenz haben, ● registrierte Sammler historischer Waffen sind, ● oder einem Reenactment-Verein angehören (Neuinszenierung historischer Ereignisse, zumeist von Schlachten, in möglichst authentischer Weise).

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Reenactment auf Polnisch. Am 01.08.2015 Nachinszenierung der ersten Stunden des Warschauer Aufstandes, der am 1. August 1944 ausgebrochen war. Anders als damals wurde jetzt nur mit Platzpatronen geschossen.

Im letzteren Fall gibt es eine Erlaubnis nur für platzpatronentaugliche Schuss- und Kriegswaffen. Sammler wiederum müssen ihre Waffen „dauerhaft schiessunfähig“ machen.

Eine interessante Kategorie stellen Waffen dar, die man geschenkt bekommen oder geerbt hat. Wenn z. B. der Ehemann seiner Frau zu Weihnachten seine legal gekaufte 44er Magnum schenkt, dann bleibt der Polizei nichts anderes übrig, als der Dame einen entsprechenden Waffenschein auszustellen.

Alle diese Leute müssen sich jedoch vorher einer psychologischen und psychiatrischen Überprüfung unterziehen. Wer sie nicht besteht, verwirkt das automatische Anrecht auf den Waffenschein.

Eine Erlaubnis wird ebenfalls nicht erteilt an Personen, die: ● wegen vorsätzlicher Straftaten oder wegen fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung verurteilt wurden, ● einen Urteilsspruch wegen Trunkenheit oder Drogen am Steuer erhalten haben, ● Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder minderjährig sind. Ebenso erhalten Ausländer keinen Waffenschein.

Nach dem Gesetz ist man in Polen zwar mit achtzehn Jahren volljährig, aber, so die gängige Praxis, wer nicht mindestens 21 Jahre alt ist, erhält keinen Waffenschein .

Muss es die Polizei sein?

Anders als den Jägern, Sportschützen, Sammlern usw. ergeht es allen, deren „Leben, Gesundheit oder Eigentum einer ständigen, realen und überdurchschnittlichen Bedrohung ausgesetzt ist“. Ob die Bedrohung wirklich gegeben ist, darüber befindet die Behörde, die den Waffenschein ausstellt – die Polizei.

In den Augen der Befürworter einer Lockerung des Waffenrechts dürfte das nicht sein. Warum? Weil die Polizei zugleich Waffenscheine ausstellt und Waffenbesitzer kontrolliert. Je weniger Waffenscheine, umso weniger Arbeit durch vorgeschriebene Kontrollen.

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„»Dirty Radek«. Radosław Sikorski (51 Jahre) hat eine Kanone wie der berühmte Draufgänger“. Abbildung aus der Boulevardzeitung „Super Express“ vom 06.08.2014.

Der erhebliche Ermessenspielraum, den die Polizei augenblicklich hat, treibt manchmal seltsame Blüten. Der Auβenminister in der Tusk-Regierung, Radosław Sikorski berief sich darauf, dass sich drei Kilometer entfernt von seiner Sommerresidenz eine Strafvollzugsanstalt befindet und bekam den Waffenschein. Ein überfallener Wechselstubenbesitzer bekam ihn nicht.

Zum persönlichen Schutz sind in Polen Pistolen und Revolver mit einem Kaliber von bis zu 12 Millimetern erlaubt.

Wer eine solche Waffe haben will, muss zuerst Schießen lernen. Das kann man in einer Schieβanlage.

  • Das billigste Basispaket für Einsteiger in Warschau umfasst: 1,5 Stunden, 50 Stück Munition, Betreuung durch einen Instrukteur, Vermittlung von Grundkenntnissen: Sicherheit, Bauweise und Funktionsprinzip der Waffe, richtige Körperhaltung. Preis 400 Zloty (ca.95 Euro).
  • Das teuerste Paket (Stufe 3) in Warschau beinhaltet: 4 Stunden, 200 Stück Munition, Betreuung durch einen Instrukteur, Beibringen von Fähigkeiten, wie Schieβen mit einer Hand, schnelles Wechseln von Haltung und Position, Schieβen aus dem Laufen u. e. m. Preis 1.000 Zloty (ca. 280 Euro).

Am Ende steht die Prüfung

Erst nach einem Lehrgang empfiehlt es sich den Antrag auf einen Waffenschein in der zuständigen Woiwodschafts-Kommandantur der Polizei (es gibt sechzehn davon im Land) zu stellen.

Erforderliche Dokumente: ● ein allgemeinärztliches und ein psychiatrisches Tauglichkeitsgutachten. ● Nachweise (wie Jagdschein, Sportlizenz, Mitgliedschaft im Sammlerverein usw., bzw. die Begründung dafür weshalb eine Waffe zum eigenen Schutz gebraucht wird, inklusive der Bestätigung der „Gefahrenlage“ durch die örtliche Polizei oder eine andere Behörde vor Ort). ● Zwei Passfotos.

Gebühr: 250 Zloty (ca. 60 Euro). Bearbeitungsdauer: bis zu 60 Tage.

Abgesehen von Jägern, Sportschützen und Antragstellern, die im Berufsleben ständigen Umgang mit Waffen haben (Soldaten, Polizisten u. ä.) werden alle anderen von der Polizei zur Prüfung vorgeladen.

Zuerst gilt es einen Test mit zehn Fragen zu bestehen. Dieser ist nicht einfach, weil alle Fragen richtig beantwortet werden müssen und zwar mit dem genauen Wortlaut des Waffengesetzes. Beispiel: „Sind nur Schusswaffenpatronen Munition oder umfasst der Begriff Munition Schusswaffen- und Gaswaffenpatronen?“ In Polen ist die erste Antwort richtig.

Der praktische Teil: Fragen nach Sicherheitsbestimmungen, Aufbewahrungsregeln und das Zerlegen und Zusammenbauen einer Pistole. Zur Auswahl stehen meistens eine Glock 17, eine P-64 oder eine P-83 (bei den beiden letzten Modellen handelt es sich um polnische Konstruktionen). Die beiden wichtigsten Regeln: als erstes das Magazin entfernen und niemals den Lauf auf andere richten.

Die Ablehnungsquote lag in den letzten Jahren bei etwa 10 Prozent.

Illegale Waffen

Wer diese Prozeduren umgeht und sich illegal eine Waffe beschafft, riskiert bis zu acht Jahren Freiheitsentzug. Im Jahr 2016 beschlagnahmte die Polizei im ganzen Land 552 illegale Waffen und ca. 45.000 Stück Munition. Das ist nicht sehr viel, aber darunter befanden sich so gefährliche Tötungswerkzeuge, wie Skorpion- und Kalaschnikow-Maschinenpistolen.

Die größte „Ausbeute“ brachte eine groβangelegte Razzia in Oberschlesien, wo nicht nur knapp einhundert Waffen sichergestellt wurden, sondern auch eine gut ausgestattete Büchsenmacherwerkstatt mit u.a. knapp 50 hervorragend nachgebauten Schalldämpfern.

Davon, dass die Justiz in Polen keinen Spaβ in Sachen illegale Waffen versteht, zeugt der bedauerliche Vorfall aus dem 20.000-Einwohner-Ort Końskie unweit von Kielce in Mittelpolen.

Der 87-jährige Rentner Feliks Przyborowski (fonetisch: Pschiborowski) kämpfte während der deutschen Besatzung in einer Partisaneneinheit der Heimatarmee (AK) und weitere zwei Jahre lang nach dem Krieg gegen die Kommunisten. Als die Lage aussichtslos wurde, gelang es ihm sich ins zivile Leben abzusetzen. Vorher versteckte er seine britische Sten-Maschinenpistole, die die Royal Air Force bei ihren Versorgungsflügen für die Heimatarmee während des Krieges über dem besetzten Polen abgeworfen hatte.

Broń Feliks Przyborowski fot.
Feliks Przyborowskis patriotische Geschenkidee handelte ihm eine Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes ein.

Erst Mitte 2016 barg der Rentner seine Waffe aus dem Versteck und wollte sie  dem örtlichen Heimatmuseum zur Verfügung stellen. Der dortige Leiter war verpflichtet die Polizei zu informieren, was er auch tat. Das wiederum handelte Herrn Przyborowski von Amtswegen eine Anzeige wegen unerlaubten Waffenbesitzes ein. Die Boulevardpresse brachte den Fall an die Öffentlichkeit mit der Alarmmeldung, dem Veteranen des Freiheitskampfes drohe auf seine alten Tage Haft.

Broń Przyborowski Sten fot.
Przyborowskis britische Sten-Maschinenpistole.

Justizminister Zbigniew Ziobro, der seit Anfang 2016, aufgrund der Rückkehr zu der bis 2010 geltenden Regelung, wieder das Amt des Justizministers und das des Generalstaatsanwaltes in Personalunion ausübt und somit die Aufsicht über die Staatsanwaltschaft inne hat, wies die zuständige Anklagebehörde an das Verfahren einzustellen.

Der vielbemühte Spruch, eine Waffe sei ein Feind, selbst für ihren Besitzer, hat sich wieder einmal (fast) bewahrheitet.

© RdP




Euro? Nein! Lieber ein neuer Zloty-Schein

Die 500-Zloty-Banknote und ihre Deutungen.

Wenn es eines weiteren Beweises für die Unabhängigkeit der Polnischen Nationalbank bedurfte, so liefert sie dieser Geldschein. Gegen den ausdrücklichen Willen der nationalkonservativen Regierung brachte Polens Zentralbank die 500-Zloty-Note in Umlauf. Bisher war der 200-Zloty-Schein die gröβte Einheit.

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Nationalbankpräsident Prof. Adam Glapiński.

 

Złoty Kościński fot.
Stellv. Wirtschaftsminister Tadeusz Kościnski,

„Sehr geehrter Herr Präsident,

in Anbetracht der aktuellen ökonomischen Bedürfnisse Polens, möchte ich Sie höflichst darum ersuchen, noch einmal die Notwendigkeit abzuwägen, die 500-Zloty-Banknote in Umlauf zu bringen, eventuell diese Banknote nur für den Zahlungsverkehr zwischen den Banken zuzulassen.“

Der stellv. Wirtschaftsminister Tadeusz Kościnski, Autor dieses Schreibens, machte es publik, um so die Wichtigkeit des Regierungsanliegens zu unterstreichen. Doch der Empfänger, Prof. Adam Glapiński, im Juni 2016 von der regierenden Mehrheit zum Präsidenten der Polnischen Nationalbank gewählt und einst enger politischer Weggefährte Jaroslaw Kaczyńskis, lieβ sich in der Ausübung seiner neuen Funktion nicht beirren.

Złotówka Kaczyński u Glapiński styczeń 1993 fot.
Politische Kampfgefährten Jarosław Kaczyński und Adam Glapiński (beide Bildmitte) 1993.

 Nationalbank kämpft nicht

Polens nationalkonservative Regierung unter Beata Szydło hat der Wirtschaftskriminalität den Krieg erklärt. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass eine neue Bande von Mehrwertsteuerbetrügern, illegalen Zigarettenherstellern oder Kraftstoffschmugglern dingfest gemacht wird. Die Verluste, die diese Leute den Staatsfinanzen zufügen, erreichten Millionen von Euro.

Neue Regulierungen und Verfahren, eine drastische Erhöhung der Strafen für den ganz groβen Steuerbetrug (bis zu 25 Jahre Haft), die Verschmelzung von Steuerverwaltung und Zoll zu einer Behörde, sollen diese Vergehen eindämmen, die Staatseinnahmen erhöhen helfen. Ein Indiz dafür, dass der Kampf Erfolg hat, ist der legale Verkauf von Kraftstoffen, der zwischen Januar 2016 und Januar 2017 einen Anstieg um 24 Prozent (!) verzeichnete.

Eine weitere Bekämpfungsmethode ist die Eindämmung des Bargeldverkehrs. Seit dem 1. Januar 2017 dürfen in der Wirtschaft alle Zahlungen von mehr als 15.000 Zloty (ca. 3.500 Euro) nur noch per Überweisung getätigt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt lag das Limit bei einem Gegenwert von 15.000 Euro (ca. 64.000 Zloty).

„Trotz der dynamischen Entwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs“, so Kościński in seinem Brief an den Nationalbankpräsidenten weiter, „u.a. beim Einkaufen mit kontaktlosen Bank- und Kreditkarten, hat sich in den letzten sechs Jahren der Wert des sich im Umlauf befindlichen Bargeldes beinahe verdoppelt, auf fast 180 Mrd. Zloty (ca. 42 Mrd. Euro – Anm. RdP).“

Und mit der Einführung des 500-Zloty-Scheins dürfte diese Geldmenge weiterhin schnell steigen.

Fälschen fällt schwer

Der neue Geldschein ist hervorragend gesichert durch Hologramme, diverse Wasserzeichen, einen Sicherheitsfaden, er wechselt, gegen das Licht betrachtet, seine Farbe u. e. m.

Generell, so die Polnische Nationalbank, fällt die Zahl gefälschter Banknoten kontinuierlich. Im Jahr 2016 wurden 3,6 Falsifikate pro eine Million Banknoten im Umlauf festgestellt. Zwischen 2012 und 2015 waren es noch fünf bis acht. Seit der Verbesserung der Sicherheitsmerkmale beim Druck der 10-, 20-, 50-, 100- und 200-Zloty-Scheine ab April 2014, befinden sich weniger Fälschungen auf dem Markt. Die älteren, leichter zu fälschenden Geldscheine verschwinden allmählich.

Schwach, stärker, am stärksten

Auf der neuen 500-Zloty-Banknote ist König Jan III. Sobieski zu sehen. Dieser polnische Monarch stand 1683 an der Spitze eines polnischen Entsatz-Heeres, das in der Schlacht bei Wien das damalige Mitteleuropa vor dem Einfall und der Besetzung durch eine riesige türkische Invasionsarmee gerettet hatte. Einen Grund, hierin etwa eine tieferliegende Bedeutung in Zeiten des Emigranten-Ansturms aus Nahost und Afrika zu suchen, gibt es jedoch nicht.

Złoty banknot 500 zł Jadwiga fot.
Der 500-Zloty-Schein von 1994 mit Königin Jadwiga kam nicht in den Umlauf.

Bereits 1995 lagen schon einmal 500-Zloty-Scheine ausgabebereit in den Tresoren der Polnischen Nationalbank, doch sie wurden nicht in Umlauf gebracht. Im Jahr 1995 nämlich erlebte Polen eine Umstellung, bei der jeweils zehntausend alte Zloty durch einen neuen ersetzt wurden. Bis dahin rechneten die Polen nur noch in Hunderttausenden und Millionen. Damals gab es keine Münzen mehr, dafür achtzehn verschiedene Banknoten, von denen die höchste einen Nennwert von zwei Millionen Zloty hatte.

Złoty banknot dwa miliony fot.
Der Zweimillionen-Zloty-Schein von vor der Umstellung auf neue Zloty 1995.

Die Umstellung von 1995 war Ausdruck dafür, dass das Land die hochinflationäre Entwicklung aus den ersten Jahren der Marktwirtschaft überwunden hatte. Im Jahr 1989 betrug die Inflation in Polen 251 Prozent, im Jahr der Währungsumstellung 1995 immerhin noch 27 Prozent, 2005 – 2,1 Prozent. In den Jahren 2015 und 2016 herrschte eine Deflation, die Preise fielen um 0,9 bzw. 0,6 Prozent.

Der Name „Zloty“, der vielen Ausländern Rätsel aufgibt, heiβt übrigens auf Deutsch nichts anderes als „der Goldene“ („Gulden“) und leitet sich von Gold (polnisch: złoto) ab. Es war die Währung des Königreiches Polen vom 14. bis zum 18. Jahrhundert.

Złoty marka polska fot.
Zehn Millionen Polnische Mark von 1923. Bald darauf durch den Zloty ersetzt.

Danach war Polen 123 Jahre lang, bis 1918, dreigeteilt. Erst 1924, im sechsten Jahr der Unabhängigkeit, bekam das Land seinen Zloty wieder. Er ersetzte die Polnische Mark (Marka Polska), die die Deutschen 1916 in Umlauf brachten, nachdem sie während des Ersten Weltkrieges den russischen Teil Polens mit Warschau besetzt hatten. Die Einführung des Zloty 1924, der eine Goldparität hatte (1 Zloty = 0,1687 Gramm Gold = 1.800.000 Polnische Mark) beendete in Polen die Zeit der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg und das damit verbundene Währungschaos.

Seit der Umstellung von 1995 (10.000 alte Zloty = 1 neuer Zloty) erwies sich die polnische Währung, bis heute, als sehr stabil. Von kurzzeitigen Ausschlägen nach oben oder unten abgesehen, erhält man seither immer um die vier Zloty für einen Euro.

Złotówka Andrzej Heirdich fot.
Graphiker Andrzej Heidrich .

Entworfen hatte die Noten von 1995, der Warschauer Graphiker Andrzej Heidrich (1928-2019), der auch den neuen Fünfhunderter konzipiert hat. Heidrich war ebenfalls ein leidenschaftlicher Gestalter neuer Briefmarken. Hergestellt werden die Banknoten in der Polnischen Staatlichen Wertpapierdruckerei AG (Polska Wytwórnia Papierów Wartościowych Spółka Akcyjna – PWPW SA) in Warschau.

Mehr über die interessante Geschichte dieser Wertpapierdruckerei und die exotischen Druckaufträge für Banknoten, die sie erhält, lesen Sie bitte hier.

Bei der Währungsumstellung von 1995 kamen 10-, 20-, 50,- 100- und 200-Zloty–Scheine in Umlauf. Der Modus, also der statistisch am häufigsten gezahlte Lohn, betrug damals in Polen etwa 500 Zloty (ca. 115 Euro). Die Ausgabe eines 500-Zloty-Scheines erachtete man in Anbetracht dessen als verfrüht. Heute, da der Modus fast genau 1.700 Zloty (nach Abzug der Sozialabgaben, vor Steuern) d.h. ca. 400 Euro beträgt, sah die Nationalbank die Zeit des 500-Zloty-Scheins für gekommen.

Mehr zu den Löhnen in Polen lesen Sie bitte hier.

Jadwigas Verbannung

Doch die 1995 vorbereitete Banknote kam nicht auf den Markt, aus zwei Gründen. Zum einen war der Fälschungsschutz nach mehr als zwanzig Jahren nicht mehr zeitgemäβ. Zum anderen befand sich auf dem Schein das Konterfrei der Königin Jadwiga (Hedwig) und das hätte die Chronologie auf den polnischen Geldscheinen durcheinandergebracht.

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Die braune 10-Zloty-Note schmückt das Portrait des polnischen Staatsgründers, Fürst Mieszko I. (945-992).

 

 

 

Złoty banknot 20 zł fot.

 

 

 

Auf dem roten 20-Zloty-Schein wurde Bolesław I. der Tapfere (967-1025), der erste gekrönte König Polens platziert.

Złoty banknot 50 zł fot.

 

Auf dem blauen 50-Zloty-Schein ist Kasimir III. der Groβe (1310-1370) zu sehen. Der letzte Herrscher aus der Piasten-Dynastie, der, wie ein geflügeltes Wort verkündet „zastał Polskę drewnianą, a zostawił murowaną” („ein hölzernes Polen vorfand und ein gemauertes hinterlieβ”) und das Land in eine europäische Groβmacht verwandelte.

Złoty banknot 100 zł fot.Vom grünen 100-Zloty-Schein blickt Władysław I. Jagliełło (1362-1434). Der heidnische litauische Fürst lieβ sich taufen, heiratete in Kraków die junge Königin Jadwiga (Hedwig) und wurde König von Polen. Die so begründete Jagiellonen-Dynastie regierte das Land während der nächsten knapp zweihundert Jahre. Die damals entstandene polnisch-litauische Union überdauerte die nächsten vierhundert Jahre. In die Geschichte ging der König vor allem als der Sieger über den Deutschen Orden bei Grunwald (Tannenberg) im Jahr 1410 ein.

Złoty banknot 200 zł fot.Die Gelbe 200-Zloty-Note wurde mit dem Portrait Sigismund I. dem Alten (1467-1548) versehen. Die Zeit seiner Herrschaft (41 Jahre) wird als das goldene polnische Zeitalter beschrieben. Die wirtschaftlich blühende, militärisch starke polnisch-litauische Adelsrepublik reichte damals von der Ostsee bis ans Schwarze Meer.

Złotówka 500 złotych fot.
Neu im Umlauf. Der 500-Złoty-Schein.

Seit dem 8. Februar 2017 hat sich nun zu den fünf Banknoten ein sechster Geldschein, mit dem Konterfei König Jan III. Sobieskis (1629-1696), hinzu gesellt. Der Verzicht auf die ursprüngliche 500-Zloty-Note mit Königin Jadwiga (1374-1399), der späteren Ehefrau Władysław Jagiełłos (zu sehen auf dem 100-Zloty-Schein) glich somit der endgültigen Verbannung der einzigen Frau aus dem polnischen Bargeldumlauf.

Bar auf die Hand

Und der Bargeldumlauf wächst. Allein 2016 vergröβerte er sich um 200 Millionen Stück auf ca. 1,9 Milliarden. Banknoten Anfang 2017. Dabei tätigen die Polen, unverändert, knapp 80 Prozent aller ihrer Einkäufe mit Bargeld. Im Umlauf befinden sich inzwischen 1,2 Milliarden. 100-Zloty-Scheine und 250 Millionen 200-Zloty-Noten. Letztere waren noch vor wenigen Jahren eine Rarität, jetzt stiegt die Nachfrage jedoch schnell. Deswegen mussten die Fünfhunderter her. Etwa 50 Millionen Stück von ihnen sollen vorerst den Bargeldumlauf anreichern.

Je mehr Geldscheine benötigt werden, umso gröβer die Herstellungskosten. Allein Im Jahr 2016 bezahlte die Polnische Nationalbank 250 Millionen Zloty (ca. 58 Mio. Euro) für das Gelddrucken. Das ist nicht wenig, auch wenn der Gewinn, den Polens Zentralbank 2016 an den Staatshaushalt abführte, 8 Milliarden. Zloty (ca. 1,9 Mrd. Euro) betrug. Von daher ist die Überlegung denkbar einfach: der Druck eines 500-Zloty-Scheins kostet viereinhalbmal weniger als der Druck von fünf 100-Zloty-Scheinen.

Die Entwicklung in Polen läuft damit allerdings in die entgegengesetzte Richtung als in der Euro-Zone, wo der 200-Euro-Schein eine Seltenheit geworden ist und es den 500-Euro-Schein bald nicht mehr geben soll. Andererseits ist gerade Polen, was den Wert seines gröβten Geldscheines angeht, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, weit zurückgeblieben.

In Tschechien findet man eine 5.000-Kronen-Note, die 800 Zloty wert ist. In Dänemark gibt es 1.000 Kronen und in Kroatien 1.000 Kuna, beide jeweils im Gegenwert von 600 Zloty. Der 1.000 Schweizer Franken Schein ergibt umgerechnet ca. 4.000 Zloty.

Bloβ keinen Euro

Aufmerksame Beobachter sehen in der 500-Zloty-Schein-Einführung ein weiteres Indiz dafür, dass Polen in absehbarer Zeit der Euro-Zone nicht beitreten wird. Das Land hat sich zwar, wie alle anderen Kandidaten, mit dem EU-Beitritt 2004 verpflichtet den Euro zu übernehmen, doch es gibt keinen festgelegten Termin hierfür. Jedes Land, wenn es die Beitrittskriterien erfüllt, entscheidet über den Zeitpunkt selbst.

Doch bis zu 70 Prozent der Polen sprechen sich, laut Umfragen, kontinuierlich dagegen aus, und die neue nationalkonservative Regierung hat, gemäβ ihren Wahlkampf-Versprechungen, jegliche Vorbereitungen auf die Währungsumstellung aus der Tusk-Zeit beendet.

Spürbare Preiserhöhungen für Lebensmittel und Dienstleistungen bei den nächsten Nachbarn, der Slowakei und Litauen, die den Euro 2010 bzw. 2015 eingeführt haben, nähren in Polen die Ablehnung des Euro. Polnische Grenzregionen werden an jedem Wochenende von einer großen Zahl einkaufswilliger Litauer und Slowaken besucht, für die in Polen praktisch alles billiger ist. Vor der dortigen Euro-Einführung fuhren die Polen zum billigeren Einkaufen zu ihnen über die Grenze.

Abschreckend wirkt die Aussicht für die Rettung griechischer Banken aufkommen zu müssen. Auβerdem fördert in schweren Zeiten die Abwertung des Zloty den Export. Zudem kann das Land seine Leitzinsen, nach Bedarf, selbst festlegen.

Fazit der Regierenden: der Euro kommt erst dann, wenn Polen wenigstens 80 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung erreicht, was frühestens in eineinhalb Jahrzehnten eintreten könnte.

Der neue Fünfhunderter hat also eine Zukunft.

© RdP




Martinek der Polenschreck

Der kometenhafte Aufstieg von Martin Schulz in der deutschen Öffentlichkeit gibt polnischen Beobachtern Rätsel auf, weckt Hoffnungen und Vorbehalte.

Zwischen Polen und Deutschen besteht, was Martin Schulz angeht, ein beträchtlicher Wahrnehmungsunterschied. Als Schulz, der gutherzige Dr. Jeckyll, an Rhein, Ruhr und Spree ab Anfang 2017 rasant Sympathien einheimste und Berühmtheit erlangte, war Schulz, der schreckliche Mr. Hyde, an der Weichsel schon seit Langem berühmt-berüchtigt.

Es heiβt, polnische konservative Abgeordnete im Europaparlament, hätten der politischen Nervensäge Schulz den Kosenamen „Martinek“ verpasst.

Verbaler Amoklauf

Was die deutsche Zeitung „Die Welt“ (13.02.2017) nachsichtig als „taktlose Ermahnungen“ von Schulz an die Adresse der polnischen Regierung umschrieb, empfand man in Polen als einen „verbalen Amoklauf”. Genauso sah es bereits am 10.12.2015 der Vizepräsident des Europäischen Parlamenbereits ts, Alexander Graf Lambsdorff (FDP):

„Es gibt eine Reihe von Äußerungen von Martin Schulz, die sowohl antideutsche als auch antieuropäische Gefühle in Polen verstärken. Ich halte das für überhaupt nicht zielführend.“, so Lambsdorff im „Deutschlandfunk“. „Dieser verbale Amoklauf von Martin Schulz ist ein Geschenk für die neue Regierung in Warschau, denn er bestätigt scheinbar die Haltung im gesamten Westen, dass Polen ein Land ist, das unter Kontrolle gestellt werden muss“,

Schulz Polska karykatura fot.
Was Martin Schulz zu Polen zu sagen hat. Polnischer Internet-Mem.

Zuerst das Thema Zwangsumverteilung von Immigranten innerhalb der EU, beginnend im Spätsommer 2015, dann der Sieg der Nationalkonservativen bei den Parlamentswahlen im Oktober 2015. Polen sah sich in jener Zeit einem Trommelfeuer von Belehrungen, Drohungen, Rügen und Forderungen aus Brüssel ausgesetzt. Martin Schulz, damals Präsident des Europäischen Parlaments, hatte sich an die Spitze dieses verbalen Polen-Feldzuges gestellt:

● „Schulz an Polen: »Das Europa des Gemeinschaftsgeistes muss sich notfalls mit Macht durchsetzten!«”, (ZDF, 10.09.2015);

„EU-Parlamentspräsident Schulz spricht von Staatsstreich in Polen”, („Deutsche Wirtschafts Nachrichten“, 15.12.2015);

„Martin Schulz greift Polen hart an”, (FAZ, 09.01.2016);

„Martin Schulz erkennt in Polen eine »Demokratie nach Putins Art«”, („Die Welt”, 10.01.2016);

„Martin Schulz ermahnt Polen”, („EurActiv.de”, 14.01.2016);

„Martin Schulz: »Druck auf Polen aufrechterhalten!«“, („Hamburger Abendblatt”, 20.06.2017);

„Martin Schulz: »In Europa ist Kampfzeit!«“, („Aachener Zeitung”, 08.04.2016);

„Polen und Ungarn im Visier. Martin Schulz fordert grobe Mittel gegen Rechtspopulisten und EU-Gegner“, („Wirtschaftsblatt“, 05.01.2017).

„Macht”, „Kampf”, „Druck”

Martin Schulz, der mögliche neue deutsche Bundeskanzler, fackelt nicht lange, sondern streckt den Zeigefinger aus und sagt was Sache ist. Seine Weltanschauung, so der Eindruck, ist die einzig wahre. Wer sie nicht teilt, dem sagt Martin Schulz den „Kampf” an, geht zum „Angriff“ über, macht „Duck“ mit aller „Macht” seiner Rede-Gewalt.

Der Zuchtmeister aller „Populisten“, „Antieuropäer“, aller „Feinde der transnationalen Demokratie“ duldet keine Widerrede, denn diesen Leuten komme man nicht „durch fein ziselierte Argumente“ bei. Da gehört „ein grober Keil“ drauf (Interview in der „Süddeutschen Zeitung“, 05.01.2017).

Das Europa, für das Martin Schulz kämpft, soll die Kreuze von den Amtswänden und Kirchendächern abnehmen („Der öffentliche Raum muss neutral sein. Darauf bestehe ich“), unisex-konforme Ampelmännchen und die „Ehe für alle“ einführen, die Gender-Ideologie, die „sexuelle Vielfalt“ und die „liberale Demokratie“ bedingungslos umsetzen.

Und „liberale Demokratie“ bedeutet für ihn, so sehen es seine Gegner, dass nur diejenigen Wahlen gewinnen und regieren dürfen, die den langen Katalog seiner linken Demokratie-Vorstellungen einhalten und umsetzten. Wenn nicht, dann verwandelt sich Martin Schulz in eine Empörungsmaschine, eine Hochleistungs-Dampframme, die unentwegt „grobe Keile“ dazwischen treibt. Sei es in der israelischen Knesset, sei es im Europaparlament oder in den Medien. Schulz poltert, schimpft, droht, schnaubt vor Wut, Entrüstung und Zorn, und verrennt sich nicht selten hoffnungslos.

Polen war in der EU-Karriere von Martin Schulz nur eines von vielen Angriffsobjekten. Seitdem er groβe Chancen hat Bundeskanzler einer womöglich rot-rot-grünen Regierungskoalition in Berlin zu werden, schauen die einen in Polen mit Hoffnung, andere mit Unbehagen in Richtung Deutschland.

Schulz: Polnische Träume und Albträume

Die Anfang 2017 zerstrittene, in der Bürgergunst tief gefallene polnische Opposition hofft, dass der neue „deutsche Rammbock“, nach der Machtübernahme in Berlin, mit aller Macht politisch, vielleicht auch ökonomisch, gegen das Kaczyński-Polen ins Feld ziehen wird: ideologische Ächtung, politische Isolation, deutsche Annäherung an Russland, vielleicht sogar EU-Sanktionen…

Die Wochenzeitung „Polityka“ (14.02.2017), um nur ein Beispiel anzubringen, nennt ihn in diesem Kontext „eine herausragende Gestalt“, „mit ganzem Herzen und ganzer Seele der Sache des Friedens und des gemeinsamen Europas ergeben“.

Verzweiflung aufgrund der eigenen Schwäche, Blauäugigkeit und Wunschdenken spielen in diesen Überlegungen eine sehr groβe Rolle. Doch, wie sagt man: die Hoffnung stirbt zuletzt.

Schulz aborcja fot.
April 2016.“Export der Revolution“. Martin Schulz setzt sich für die Tötung ungeborener Kinder In Polen ein.

Während die Vorstellung vom eventuellen künftigen deutschen „Export der linken Revolution“ die einen beflügelt, bereitet sie den anderen schlaflose Nächte.

Die polnischen Konservativen, unter denen die regierenden Nationalkonservativen eine sehr groβe aber bei Weitem nicht die einzige Gruppierung stellen, geben sich nicht die geringste Mühe ihre Schulz-Aversion zu kaschieren. Beiderseits war es eine tiefe Abneigung auf den ersten Blick.  Wie Martin Schulz in den polnischen Wald hinein rief, so schallt es ihm nun entgegen.

Düstere Vorahnungen

„Sollte Schulz Angela Merkel bezwingen, dann kündigt sich eine düstere Zeit in den polnisch-deutschen Beziehungen an. Der neue SPD-Chef ist nicht nur ein Gegner der in Polen regierenden Nationalkonservativen. Ihn zeichnet auch eine verächtliche Haltung gegenüber Polen und zu den Polen aus. (…) Das einzige Polen, das Schulz tolerieren kann, ist ein gefügiges Polen, regiert von einer deutschlandhörigen liberalen Mannschaft, die die polnischen Konservativen dauerhaft vom Regieren fernhält.“, schreibt Konrad Kołodziejski, der Deutschland-Kommentator des einflussreichen konservativen Internetportals „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“, 29.01.2017).

Schulz Duda MSC 2016 fot.
Ermahnen, belehren, zurechtweisen. Martin Schulz knöpft sich den polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda vor. München, Februar 2016.

Sollte Schulz Kanzler einer rot-rot-grünen Regierungskoalition werden, „kann sich die Politik unseres gröβten Handelspartners radikal ändern“, urteilt die polnischsprachige Springer-Zeitung „Dziennik“ („Das Tagblatt“, 30.01.2017). Sie sagt voraus, Bundeskanzler Schulz wird die kränkelnde EU nach dem Motto „hat’s nicht gewirkt, dann verabreichen wir noch mehr von Demselben“ heilen wollen. „Also noch mehr Zentralisierung“.

Das ist durchaus wahrscheinlich. Schlieβlich gehört Schulz zu den eifrigsten Rufern nach mehr Europa, den Beschwörungskünstlern der europäischen Einigung, die mit ihrer rastlosen Propaganda dem Ansehen der EU oft genug geschadet haben.

Man kann sich vorstellen, so „Dziennik“, dass unter Schulz, sehr zur Freude der Franzosen, „die Debatte über die Zukunft der EU sich auf die EWG-Gründerstaaten beschränken wird, unter Hinzuziehung der Eurozone-Länder“. Auch das leidige Thema der Immigranten-Zwangsumverteilung könnte wieder auf die Tagesordnung kommen. Staaten wie Polen würden massiv unter Druck gesetzt: „Ihr nehmt es an, und wenn’s euch nicht passt, dann könnt ihr gehen“.

Schulz Szydło Bruksela grudzień 2015 fot.
Januar 2016. Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydło ins Europäische Parlament zum Rapport bestellt. Sie stand ihren Mann und hat Martin Schulz in die Schranken gewiesen.

Hart ins Gericht geht mit Schulz der „wPolityce.pl“-Autor Dorian Urbanowicz (11.02.2017):

„Von Tag zu Tag wahrscheinlicher ist der Wahlsieg der ultralinken rot-rot-grünen Koalition mit einem linken EU-Fanatiker an der Spitze. (…) Martin Schulz ist ein gefährlicher Politiker, ein fanatischer Befürworter des Brüsseler Diktats, der keine Meinungsunterschiede akzeptiert, dafür stets bereit ist, die gemeinsten verbalen Provokationen gegen seine politischen Gegner anzuwenden“.

Schulz, so der Autor, „ist ein ideologisierter politischer Agitator, der dogmatisch an der von den meisten Europäern inzwischen verworfenen Vorstellung von der EU als einem supranationalen Superstaat festhält. (…) Die Befürworter der EU der Nationen schimpft er »rückständige Nationalisten«. Konservative Europäer wirft er mit Vorsatz in einen Topf mit Rechtsradikalen“.

Nein, Schulz ist kein typischer Eurokrat. „Schulz“, schreibt Urbanowicz, „ist vor allem ein hervorragender Redner, der von ganzem Herzen an das »Groβeuropäische Reich« glaubt. (…) Seine Reden sind authentisch und ehrlich gemeint. Deswegen haben wir allen Grund zu glauben, dass es während seiner Kanzlerschaft nicht nur bei Ankündigungen und Drohungen bleiben würde.“

Wird Schulz die Deutschen verführen?

Der kometenhafte Aufstieg von Martin Schulz in der deutschen Öffentlichkeit will erklärt sein. Auch polnischen Kommentatoren fällt das nicht leicht. Die meisten weisen auf die enorme Merkel-Müdigkeit nach zwölf Jahren Kanzlerschaft hin.

Zumeist gehen sie dann dazu über die Verführungsfähigkeiten von Martin Schulz darzustellen und wundern sich. Denn der Mann ist ein Populist in Reinkultur, was sogar die linke „Süddeutsche Zeitung“ (30.01.2017) zugeben musste. Freilich, so die SZ, „ein Populist im besten Sinne“, was den meisten polnischen Kommentatoren ein Schmunzeln entlockt.

Werden die Deutschen, fragt man, einem Mann folgen, dessen Physiognomie und Auftritt den absoluten Willen zur Macht ausdrücken, der die Botschaft geradezu körperlich verbreitet: „Keiner wird mich stoppen!“? Er begegnet Angela Merkel als ebenbürtiger Herausforderer und Gegner. Und er versprüht enormen Optimismus. Ganz gewiss, all das beeindruckt.

Kann es sein, dass nach der jahrelangen, pausenlosen Anti-Orban-Kaczyński-Trump-Le Pen-Wilders-Hyper-Medienkampagne, die Deutschen einem Politiker folgen, der da verkündet: „Deutschland braucht eine Erneuerung“, und diese Erneuerung, das sagt er nicht, aber das versteht sich von selbst, sei er selbst.

Martin Schulz will für Gerechtigkeit sorgen, für eine gerechte Gesellschaft, für einen gerechten Staat, für ein Leben in Würde für alle, für sichere Renten, für bezahlbare Mieten, für mehr Wohnungen, für faire Löhne und für Sicherheit. Für den Mann und für die Frau von der Straße will er unternehmen, was in seiner Kraft und Macht steht, für den Busfahrer, für die Krankenpflegerin, für den Bäcker, für den Polizisten und für die Verkäuferin, für alle, „die schuften und schuften“, sich nichts zuschulden kommen lassen, den Staat am Laufen halten und den Eindruck haben, man habe ihre Probleme vergessen.

Aber hallo!

Schulz habe Verständnis für die Angst vor wachsender Kriminalität. Bei den Polizeikräften sei zu sehr gespart worden. Es müssten mehr Polizisten auf der Straße sein. Straftäter müssten „die volle Härte des deutschen Gesetzes und der deutschen Sicherheitsorgane“ zu spüren bekommen. Straftäter, die Steuern hinterziehen und diejenigen „die auf einem Bahnhofsvorplatz unsere Frauen angreifen“.

Schulz fährt durchs Land und verkündet, er wisse um, er kenne, ja er spüre, aus dem Bauch heraus, mit Haut und Haaren, die Ängste und Nöte aller Menschen in Deutschland – die Angst um die Zukunft der Kinder, um die eigene Sicherheit, die Angst um den Arbeitsplatz, um das Auskommen im Alter, weil er Bürgermeister in Würselen war, und sein Nachbar von gegenüber bei der Feuerwehr ist und direkt nebenan eine Familie mit kleinen Kindern wohnt, was ihn unbedingt zum Bundeskanzler befähige.

Und was alles würde Martin Schulz dem US-Präsidenten Donald Trump am Telefon sagen! Dem würde er, so Schulz im ARD-Interview mit Anne Will – aber hallo! – ja so was von die Meinung geigen! Trump solle gefälligst nicht wie eine Abrissbirne „durch unsere Grundwerteordnung“ rasen, er müsse „die elementaren Grundwerte der westlichen Welt“ respektieren und sein fremdenfeindliches und frauenverachtendes Weltbild revidieren.

Wohin er kommt, erntet Martin Schulz tosenden Applaus. Werden die Deutschen vor diesem Mann kapitulieren?

© RdP




Bleierne Vergangenheit, flüchtige Moderne

Am 9. Januar 2017 starb Zygmunt Bauman.

In seinem langen Leben hat Zygmunt Bauman einen weiten und kurvigen Gesinnungsweg zurückgelegt. Vom Lobhudler der kommunistischen Ideologie in ihrer menschenfeindlichsten, stalinistischen Ausprägung, zum eifrigen Verfechter der Postmoderne. So wurde aus dem kommunistischen Einpeitscher nach und nach ein beherzter Vordenker der Linken, der die Menschheit an die Hand nahm, um sie durch das verworrene Labyrinth der Jetztzeit zu führen. Kritiker bescheinigten ihm darin eine geradezu chamäleonhafte Geschicktheit.

Er hatte ein bewegtes Leben, wie beinahe alle Europäer aus seiner Generation. Den Zweiten Weltkrieg erlebte Bauman am Anfang kurz als wehrloser Zivilist und gegen Ende als Soldat. Er hatte als Jude das Glück fern abseits des Holocaust überlebt zu haben. Den Stalinismus schlieβlich vollstreckte er acht Jahre lang eifrig und engagiert als dessen Scherge.

Im Jahr 1925 im westpolnischen Poznań/Posen geboren, entstammte Zygmunt einer armen weitgehend polonisierten, jüdischen Händlerfamilie. Er war vierzehn, als Deutschland am 1. September 1939 Polen überfiel. Als am 9. September die Wehrmacht kampflos in Poznań einzog, befanden die Baumans sich bereits auf der Flucht.

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September 1939. Deutsches Flugzeug, polnische Flüchtlingskolonnen.

Mal zu Fuβ auf den verstopften Straβen, die immer wieder von deutschen Tieffliegern bombardiert und beschossen wurden, mal ein Stück des Weges mit der Bahn zurücklegend, gelangten sie nach Ostpolen. Das war kurz nach dem 17. September 1939, dem Tag als die Rote Armee Polen vom Osten her überfallen hatte und schließlich die Hälfte des Landes besetzte.

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Sowjetischer Einmarsch in Polen am 17. September 1939.

 

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Deutsch-sowjetische Eintracht im eroberten Polen.

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Stalins Gefangener,…

Die Sowjets deportierten die jüdische Flüchtlingsfamilie in ein Arbeitslager im Norden Sibiriens. Das Holzfällen im hohen Schnee bei Minustemperaturen von zwanzig Grad und darunter, mit primitivsten Werkzeugen, das war Vernichtung durch Arbeit. Wer die hohe Arbeitsnorm nicht schaffte, bekam nur noch die halbe Essensration. Woche für Woche kamen Dutzende von Gefangenen um: Frauen die in Sommerkleidern verhaftet worden waren, Intellektuelle, die nie zuvor eine Axt in der Hand hatten, Kinder, Alte…

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Bauman Syberia 2 fot.
Gleichberechtigt unter den Sklaven des Kommunismus. Frauen aus dem eroberten Polen und Baltikum als Holzfällerinnen.

Wie die Baumans, verschleppten die Sowjets etwa eine halbe Million polnischer Bürger in der Zeit zwischen September 1939 und Juni 1941, als sie selbst noch Hitlers engste Komplizen waren. Weitere rund einhunderttausend Menschen, darunter etwa fünfundzwanzigtausend gefangengenommene Offiziere der polnischen Armee, des Grenzschutzes, der Polizei, wurden von ihnen ermordet.

Im Sommer 1941, kurz nachdem Deutschland die Sowjetunion überfiel und das rote Riesenreich unterzugehen drohte, nahm Stalin, auf Vermittlung der Briten hin, Verhandlungen mit der polnischen Exilregierung in London auf. Das Ergebnis war eine „Amnestie“ für die verschleppten Polen, obwohl sie keine Verbrechen begangen hatten. Die wehrfähigen Männer unter ihnen sollten in der Sowjetunion eine der Exilregierung unterstellte polnische Armee bilden. Von den Sowjets und den Briten ausgerüstet, sollte diese an der Seite der Sowjets in den Kampf ziehen. Ihr Kommandeur war General Wladyslaw Anders.

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General Władysław Anders versuchte 1941-1942 im Auftrag der polnischen Exil-Regierung in London eine polnische Armee in der Sowjetunion aufzubauen.

Doch in den drei hierfür eingerichteten Auffanglagern kamen vom Hunger, der Sklavenarbeit und nach wochenlangen Transporten ausgezehrte Menschen an. Es fehlten Lebensmittel (die Sowjets lieferten Anfang 1940 nur 40 000 Essensrationen für 70 000 Soldaten) und Medikamente um sie wieder aufzupäppeln. In den primitiven Baracken und in Zelten, in denen sie den Winter 1941-1942 verbringen mussten, lichtete der Tod schnell ihre Reihen. Zu den Sammelpunkten strömten auch tausende zuvor verschleppter polnischer Zivilisten, meistens Frauen, viele Waisenkinder, die auf diese Weise der Sowjethölle entkommen wollten.

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In den Rekrutierungslagern der Anders-Armee kamen vom Hunger, der Sklavenarbeit und nach wochenlangen Transporten ausgezehrte Menschen an.

Bauman Polacy u Andersa fot. 2

Stalin hatte, in der Not der ersten Niederlagen, dem britischen Ministerpräsidenten Churchill mit seiner Polen-Vereinbarung einen Gefallen getan. Er brauchte Churchills Hilfe. Doch eine polnische Armee, die nicht direkt seiner Kontrolle unterstand, bestehend aus Menschen die auf Grund ihrer Erlebnisse die Sowjets und ihren Kommunismus zutiefst hassten, wollte Stalin nicht auf Dauer auf seinem Gebiet dulden.

Bauman Sikorski-Majski fot.
London 30. Juli 1941. Der polnische Ministerpräsident im Exil General Władysław Sikorski (links) und der sowjetische Botschafter in Groβbritannien Iwan Maiski (rechts) unterzeichnen das Abkommen u. a. über die Bildung eine polnischen Armee in der UdSSR. In der Mitte die Vermittler: der britische Auβenminister Anthony Eden und Premierminister Winston Churchill.

Er drängte darauf die ersten zwei mühsam aufgestellten, kaum kampffähigen Divisionen an verschiedene Frontabschnitte zu schicken, wo sie umgehend aufgerieben worden wären. Die polnische Exil-Regierung dagegen verlangte, dass die gesamte polnische Armee an einem Ostfrontabschnitt eingesetzt wird, erkundigte sich immer wieder nach dem Verbleib der von den Sowjets im Herbst 1939 gefangengenommenen polnischen Offiziere. Die Russen taten so, als hätten sie keine Ahnung. Das Katyn-Massaker sollte erst im April 1943 bekannt werden.

Bauman ewakuacja do Iranu fot.

Bauman ewakuacja do Iranu fot. 2
August 1942. Knapp 120 000 „General-Anders-Polen“ , darunter 80 000 Soldaten, und 40 000 Zivilisten wurden aus der Sowjetunion in den britisch besetzten Iran evakuiert.

Am Ende lieβ Stalin die ungewollten Verbündeten gehen. Im August 1942 wurden die knapp einhundertzwanzigtausend „General-Anders-Polen“ in den britisch besetzten Iran evakuiert, darunter nicht ganz achtzigtausend Soldaten und achtzehntausend Kinder. Die Truppe, später das 2. Polnische Korps, zog weiter über den Irak nach Palästina und kam ab April 1944 bei den schweren Kämpfen in Italien (Monte Cassino, Ancona, Bologna) zum Einsatz.

…Stalins Verehrer

Zurückgeblieben in der Sowjetunion waren hunderttausende Menschen aus Polen, darunter die Baumans. Gemäβ der „Amnestie“ vom Sommer 1941 hatte man sie Ende 1941 aus dem Lager nach Gorki (heute Nischnij Nowgorod) entlassen. Baumans Vater Maurycy, der im Lager beinahe umgekommen war, wollte mit der Familie zu einem der Sammelpunkte der Anders-Armee gelangen, doch die Sowjets blockten ab. Juden, Weiβrussen, Ukrainer, die bis 1939 in Polen gelebt hatten und polnische Staatsbürger waren, durften nicht zur polnischen Armee. Sie wurden endgültig „Bürger der UdSSR“.

Bauman milicja fot.
Sowjetischer Milizionär (Polizist) regelt Anfang der 40er Jahre den Verkehr in Moskau. So soll Baumans Dienst 1943 ausgesehen haben.

Maurycys Sohn Zygmunt hatte sehr schnell den Bazillus des Kommunismus geschluckt. In der Schule trat er dem kommunistischen Jugendverband Komsomol bei, war Feuer und Flamme für Stalin und den Marxismus-Leninismus. Im November 1943, gleich nach seinem 18. Geburtstag, bekam er die Einberufung zur Moskauer Miliz (Polizei) und wurde, nach eigenen Angaben, bei Verkehrskontrollen eingesetzt.

Derweil werkelte Stalin ab Mitte 1943 an einer neuen polnischen Armee an seiner Seite. Diesmal unter streng kommunistischen Vorzeichen, befehligt und kontrolliert von ihm treu ergebenen Polen, die in seinem Namen das künftig kommunistische Land verwalten sollten. Tausende Verschleppte meldeten sich freiwillig zu dieser 1. Polnischen Armee, meistens ohne Stalins Vorhaben zu durchzuschauen.

Jedoch gab es kaum polnische Offiziere. Stalin hatte sie im April 1940 in Katyn ermorden lassen, behauptete nach der Entdeckung des Verbrechens, es seien die Deutschen gewesen und brach die diplomatischen Beziehungen zur Londoner polnischen Exilregierung ab. Wer von den Offizieren überlebt hatte, zog Mitte 1942 mit General Anders in den Nahen Osten. Deswegen mussten Offiziere der Roten Armee in polnische Uniformen schlüpfen, gleichzeitig wurde das Riesenreich nach geeignetem polnischen „Menschenmaterial“ durchforstet.

So kam man auch auf Zygmunt Bauman: jung, intelligent, vom Kommunismus verblendet, Polnisch sprechend. Auf diese Weise gelangten, neben anderen, damals auch viele polnische Juden, die in der UdSSR Zuflucht gefunden hatten, in den gerade in der Sowjetunion aufgebauten polnischen kommunistischen Machtapparat, ins Propagandawesen, in die Strukturen der politischen Geheimpolizei, zum Militär. Hier war die Gründungs-Machtelite der künftigen Volksrepublik Polen entstanden, die zusammen mit der Roten Armee ins Land einrückte.

Politoffizier, Zuträger, Fanatiker

Leuten wie Bauman stand eine Blitzkarriere offen. Er wurde mit 19 Jahren Politoffizier und als solcher nahm er teil an den schweren Kämpfen um Kolberg/Kołobrzeg (März 1945, 1 200 gefallene Polen) und am Endkampf um Berlin (April – Mai 1945), erlitt eine Verwundung.

Bauman walki o Kolobrzeg fot.
März 1945. Nach dem Abzug der Anders-Armee, unter kommunistischen Vorzeichen in der Sowjetunion gebildete 1. Polnische Armee während der verlustreichen Kämpfe um den Pommernwall und die Stadt Kolberg/Kołobrzeg. Bauman war dabei.

In Polen zurück (die Ablegung der sowjetischen Staatsbürgerschaft war jetzt kein Problem) wurde seine Einheit in das sogenannte Korps der Inneren Sicherheit (KBW) eingegliedert. Es war die „Haustruppe“ des Ministeriums für Staatssicherheit, die in enger Zusammenarbeit mit Einheiten der sowjetischen Staatssicherheit (NKWD) den bewaffneten polnischen antikommunistischen Widerstand bekämpfte.

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Major Zygmunt Bauman. Foto aus der Stasi-Militärakte.

„Zwanzig Tage lang“, so heiβt es z. B. in einem Beförderungsantrag von 1950, „befehligte er eine Abteilung, die sich durch die Festnahme einer groβen Zahl von Banditen hervortat. Bauman wurde mit dem Tapferkeitskreuz ausgezeichnet.”

Bereits 1944 warb die Hauptverwaltung Information (Główny Zarząd – phonetisch: Saschond – Informacji – GZI) Bauman als ihren Zuträger (Deckname „Semion“) an. Die GZI war die politische Polizei der Armee, fest in der Hand sowjetischer Berater. Es war ein schreckliches Terrorinstrument, ständig auf der Suche nach „inneren Feinden“, das sich unermüdlich zwischen 1944 und 1956 eine breite, blutige Schneise durch die Reihen der kommunistischen polnischen Armee bahnte. Ihre Verhörmethoden waren bestialisch. Bauman wusste das.

Ob, wen und weswegen „Semion“ Personen denunziert, der Verhaftung und der Folter preisgegeben hat, wissen wir nicht. Seine Zuträger-Akte hat nicht überdauert. 1946 trat Bauman in die KP ein.

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Erschossen und nummeriert 1946. Soldaten des antikommunistischen polnischen Widerstandes.

Acht Jahre lang diente er in den Truppen (KBW) der Staatssicherheit als hoher Politoffizier. Er war damals ein kommunistischer Fanatiker, dem sein Vater viel Kummer bereitete. Maurycy Bauman wollte z. B. nicht zustimmen, als Sohn Zygmunt beschloss die ziemlich armselige Haushälfte in Poznań, die sich im Familienbesitz befand, der kommunistischen Partei zu vermachen.

Im März 1953, Stalin war gerade gestorben, ging der Vater in die israelische Botschaft in Warschau, die, wie alle westlichen Vertretungen, lückenlos überwacht wurde, um sich nach einer Umsiedlung zu erkundigen. Wegen einer solchen „feindlichen Kontaktaufnahme“ landete man damals für gewöhnlich im Kerker. Maurycy Bauman blieb das erspart, dafür wurde der Sohn, Major Zygmunt Bauman schon am 15. März 1953, „wegen Verbindungen zu seiner klassen- und ideologisch entfremdeten Familie“ aus dem Stasi-Armeedienst entfernt. Nach einer schweren Auseinandersetzung brach der Sohn jeglichen Kontakt zum Vater ab.

Vorgetäuschte Ratlosigkeit

Der fanatische Stalinist hatte bereits während seiner Stasi-Militärzeit ein Fernstudium der marxistischen Philosophie begonnen. Geschasst, durfte er es als regulärer Student an der Warschauer Universität fortsetzten. Bereits im Mai 1953 verkündete Zygmunt Bauman während einer pompösen „wissenschaftlichen“ Uni-Konferenz zu ehren Stalins, dass „die objektive historische Gesetzmäβigkeit den Sieg der sozialistischen Revolution in der ganzen Welt vorankündigt.“

1954 war er mit dem Studium fertig, durfte zum Doktorandenstudium bleiben, als das politische Tauwetter begann. Der neue sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow hielt im Februar 1956 in Moskau, während des 20. Parteitages der KPdSU, eine fünfstündige Geheimrede „Über den Personenkult und seine Folgen“, in der er Stalins Verbrechen enthüllte. Schon bald gelangte diese Rede nach Polen, kursierte in Abschriften unter der Hand, sorgte für Aufregung, Entsetzten und, bei den Stalinisten, für Ratlosigkeit.

„Wieso sind wir erblindet? Wir haben uns doch für die Revolution entschieden, weil wir einen scharfen Blick und glühende Herzen hatten“, schrieb Bauman in „Po prostu“ („Schlicht und einfach“), der studentischen, damals rebellischsten, Wochenzeitschrift des Landes (bereits 1957 wurde sie im Zuge der „Normalisierung“, auf Geheiβ der Partei, eingestellt). Baumans Worte klangen bitter, glaubhaft waren sie nicht im geringsten. Gerade er wusste über die Verbrechen bestens Bescheid.

„Ich hatte nicht den Mut“

Die Soziologie, Ende der 40er Jahre als ein „bürgerliches Überbleibsel“ von den Hochschulen des Ostblocks verbannt, durfte in Polen wieder gelehrt werden. An der Warschauer Universität entstanden 1956 gleich zwei Lehrstühle.

Der erste, für „klassische Soziologie“, setzte die unterbrochene Tradition fort, geleitet von Prof. Stanisław Ossowski, einem der herausragendsten polnischen Humanisten jener Zeit, der in der stalinistischen Epoche (1948-1956) Lehrverbot hatte. Der zweite Lehrstuhl stellte das „Gegengewicht“ dar und betrieb „marxistische Soziologie“. Sein Chef, Prof. Julian Hochfeld, war ein brillanter Akademiker, der den Krieg als polnischer Jude in der Sowjetunion verbracht, und sich ganz und gar der Sache des Kommunismus verschrieben hatte. Der Doktorand Bauman machte unter seinen Fittichen wissenschaftliche Karriere.

Baumann z Kołakowskim, UW 1963
1963 an der Warschauer Universität. Zygmunt Bauman (rechts vorne), neben ihm Leszek Kołakowski.

Die Partei tat derweil alles, um das politische Tauwetter möglichst schnell zu beenden. Es sollte kein Zurück mehr zum brutalen Stalinismus geben, aber der neue Parteichef Władysław Gomułka wollte keine Anfechtungen der führenden Rolle der kommunistischen Partei dulden. Er öffnete die Tür einen Spalt breit für westliche kulturelle Einflüsse, überlieβ die Musik, die Malerei, teilweise den Film und die Literatur ihren Schöpfern. Die künstlerische Freiheit war ab Mitte der 50er Jahre in Polen unvergleichlich gröβer als in allen anderen „Bruderländern“. Diese Ventile sollten den Druck der permanenten Unzufriedenheit der Menschen mit der schlechten Versorgung, der politischen Gängelung, der wachsenden Zensur mildern.

An den humanistischen Lehrstühlen und Instituten der Warschauer Universität gab es jedoch nicht wenige Studenten und Dozenten, die das Ende des politischen Tauwetters nicht hinnehmen wollten. Bei den Philosophen, Soziologen und Ökonomen rumorte es am heftigsten. Einstige fanatische Stalinisten, wie Prof. Leszek Kołakowski, Prof. Włodzimierz Brus, Prof. Bronisław Baczko, Prof. Stefan Morawski, Dr. Krzysztof Pomian u. a. (die meisten jüdischer Abstammung) hatten sich inzwischen der Revision des bürokratisch-zentralistischen Sozialismus sowjetischer Prägung verschrieben, predigten die Einführung der Arbeiterselbstverwaltung, den Abzug der Partei aus vielen Lebensbereichen, die Einschränkung der Zensur usw.

Bauman war nicht dabei. „Leben ist überleben, wer überlebt – gewinnt.“, sagte er rückblickend gut dreiβig Jahre später in seiner Rede, die er anlässlich der Verleihung des Adorno-Preises 1998 in Frankfurt am Main hielt. Auch er hegte Mitte der sechziger Jahre in Warschau immer mehr Zweifel an der marxistischen Orthodoxie. Doch er wich der Konfrontation mit dem System aus, widmete sich der soziologischen Erforschung des Werdegangs der britischen Arbeiterbewegung. Jahre später gestand er ein: „Viele meiner Kollegen wurden aus der Partei geworfen. Ich hätte mich damals solidarisch zeigen können, aus der Partei austreten. Ich hatte nicht die Kraft, nicht den Mut dazu.“

Polen, Israel, England

Der Konflikt eskalierte im März 1968. Es kam zu mehrtägigen heftigen Studentenunruhen in Warschau, Protesten von Intellektuellen, Forderungen nach mehr Freiheit. Die Parteioberen griffen hart durch. Sie lieβen die Milizknüppel schwingen und gaben gleichzeitig das Startsignal zu einem Elitenwechsel. Junge, machthungrige Kader durften nun die Genossen fortjagen, die es sich in den höheren Etagen des kommunistischen Parteiapparates, der Wissenschaft, der Medien, der Diplomatie, der Wirtschaft, des Gesundheitswesens, der Armee bequem eingerichtet hatten. Viele der Davongejagten waren jüdischer Herkunft und Stalinisten der ersten Stunde.

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März 1968. Studentenunruhen in Warschau.

Das geschah kurz nach dem triumphalen Sieg Israels im Sechstagekrieg (Juni 1967) über die von der Sowjetunion bewaffneten und wirtschaftlich unterstützen arabischen Staaten. Auf Geheiβ Moskaus mussten in der Folge alle Ostblockstaaten die diplomatischen Beziehungen zu Israel kappen. Das von den „USA-Imperialisten“ massiv unterstützte Israel stieg für einige Jahre zum „Erzfeind“ des Ostblocks auf. Da passte es gut, die jüdischen Genossen als Zionisten zu diffamieren, eine „fünfte Kolonne“, die angeblich mit Israel gemeinsame Sache machte.

Das sonst vom Westen weitgehend abgeschottete kommunistische Polen öffnete nun Tür und Tor für seine ausreisewilligen jüdischen Bürger. Etwa fünfzehntausend gingen zwischen 1968 und 1972, darunter (im Juni 1968) Zygmunt Bauman, seine Ehefrau Janina und ihre drei Töchter.

Zwei Jahre lang hielt Bauman es an den Universitäten in Tel Aviv und Haifa aus. Das gelobte Land blieb ihm fremd: „Jude zu sein in Israel war gewissermaβen ein Vollzeitjob“. Den wollte er nicht ausüben. Die drastische Militarisierung, das nationale Pathos, das ihm entgegenschlug, die jüdische religiöse Orthodoxie, die er nicht nachvollziehen konnte. Das alles verunsicherte ihn, ging ihm auf die Nerven. Und da war noch die Art, wie mit den Arabern umgegangen wurde. „Wir wollten keine verfolgte Minderheit sein, aber genauso wenig einer Mehrheit von Verfolgern angehören.“ Erleichtert folgte Bauman 1971 dem Ruf der britischen Universität Leeds und blieb ihr bis zu seinem Tod treu.

Schlüsselbegriff „Flüchtigkeit“

Er lehrte und forschte erfolgreich. Zuhörer und Leser schätzten seine ironischen, pointierten Schilderungen, reich an Methapern, klar in der Aussage. Wie funktionieren gesellschaftliche Ordnungen, was zerrüttet sie und was hält sie zusammen?

Das einst so geordnete, solidarische Gemeinwesen, so Bauman, weicht dem unbarmherzigen Wettbewerb vieler „Einzelkämpfer“, die sich zu immer mehr Konsum und Selbstvervollkommnung verführen lassen. Der Mensch heute verirrt sich irgendwo zwischen Cyberspace, den deregulierten Märkten und künstlich geweckten Sehnsüchten. Baumans scharfsinnige Beobachtungen glichen kleinen Bausteinen zum Legebild der Postmoderne oder wie Bauman sagte: einer flüchtigen Moderne.

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Vor Studenten der Universität Toruń/Thorn im November 2010. Zuhörer und Leser schätzten seine ironischen, pointierten Schilderungen, reich an Methapern, klar in der Aussage.

Diese gesellschaftliche Unrast, so seine Auffassung, macht Institutionen und Gemeinschaften durchlässig, konturlos. Sie geben den Menschen immer weniger Halt. Wirkmächte der Weltwirtschaft hebeln die Ökonomie des Nationalstaates und das soziale Netz aus. Menschen, die dem Tempo mobiler Geldströme und den flexiblen Arbeitszeiten nicht mehr gewachsen sind, werden ausgesondert, marginalisiert, kaum mehr wahrgenommen. Das Bedürfnis der vereinsamenden Individuen nach sozialer Bindung und Anerkennung wird im Zeitalter der flüchtigen Moderne nur noch durch soziale Medien befriedigt.

Ob arabischer Frühling, die Finanzkrise, der Flüchtlingsansturm oder der internationale Terrorismus, Bauman gliederte sie ein in seine Überlegungen, spann den Faden der flüchtigen Moderne immer weiter.

Bauman Nagrida im. Adorno
Bildunterschrift, „Frankfurter Rundschau“, 14. September 1998: „Stadtoberhaupt mit Amtskette, Urkunde und Preisträger. Petra Roth überreicht Zygmunt Bauman in der Frankfurter Paulskirsche den Adorno-Preis.“

Nach seiner Emeritierung 1991 wurde er erst so richtig produktiv. Was von seinem Werk bleiben wird, ist sicher der Schlüsselbegriff der „Flüchtigkeit“, den er seit seinem Buch „Liquid Modernity“ (2000) wie ein Markenzeichen immer wieder aufgriff: „Flüchtige Liebe“, „Flüchtige Angst“, „Flüchtige Zeiten“, „Flüchtige Aufsicht“ und zuletzt „Flüchtiger Teufel“ heißen die Variationen des Themas. Er recycelte sein Motiv so konsequent, dass ihm Kollegen vorwarfen, sich selbst zu plagiieren. In seinen Beschreibungen stets auf dem aktuellen Stand der Geschehnisse, war er als ein Vortragender und Interviewpartner sehr gefragt.

Von der Vergangenheit eingeholt

Nur zu einem Thema schwieg Zygmunt Bauman eisern: zur eigenen Vergangenheit. Seine Ausführungen, das Wissen um seine jüdische Herkunft, um die aufgenötigte Ausreise aus dem kommunistischen Polen, seinen Bruch mit dem Marxismus, und nicht zuletzt, sein Äuβeres und sein Auftreten bewirkten, dass ihn eine Aura von Respekt und Bewunderung umgab, die sich, je älter er wurde, in Ehrfurcht verwandelte.

Die Nachricht über Aktenfunde, die belegten, dass Bauman jahrzehntelang seine stalinistische Vergangenheit verschwiegen und die Öffentlichkeit über seine Rolle im kommunistischen Terrorapparat getäuscht hatte, platze im März 2007 wie eine Bombe. Er bekannte sich zu den wichtigsten Tatsachen: sehr knapp und ohne Demut.

Ein einziges Mal stand er dem britischen „Guardian“ gegenüber hierzu Rede und Antwort. Doch er wich aus, indem er sagte, er könne sich an vieles nicht mehr erinnern. Er verharmloste die Zeit des Stalinismus, in der Schreckliches geschehen war, spielte seine eigene Rolle in dieser Zeit herunter, verglich die brutale Vernichtung des antikommunistischen Widerstandes mit der modernen Terrorbekämpfung.

Doch je mehr Zygmunt Bauman versuchte in Bezug auf seine Vergangenheit zur Tagesordnung überzugehen, umso heftiger wurde er von ihr eingeholt. Seine Glaubwürdigkeit hat groβen Schaden genommen, und wenn er in den letzten Jahren Polen als Gastvortragender besuchte, musste er mit Störungen und Boykott rechnen. Auf die Verleihung einer Ehrendoktorwürde in Wrocław/Breslau verzichtete er vorsorglich – unter dem Beifall seiner Gegner.

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Proteste gegen eine Bauman-Vorlesung an der Universität Wrocław/Breslau. Polizei räumte den Hörsaal. Juni 2013.

Mehrfach wurde er öffentlich als Schuft geschmäht, auch durch den prominenten nationalkonservativen Publizisten jüdischer Abstammung, Bronisław Wildstein:

„Wir kennen viele hervorragende Intellektuelle, die Schufte waren, die Schreckliches taten, dennoch lohnt die Auseinandersetzung mit ihrem Denken. Andererseits: Wenn jemand eine Rolle im gesellschaftlichen Leben spielt, dann müssen wir von ihm verlangen, dass er sich seiner Vergangenheit stellt.“

Flucht in die Flüchtigkeit

Die Auseinandersetzung mit seinem eigenen Gedankengut entpuppte sich damals für Bauman als sehr unangenehm. Bedenken kamen auf, die Thomas Assheuer in der „Zeit“ (29.03.2007) so formulierte:

„Es drängt sich die Frage auf, wie sich die Theoriebildung des berühmten Soziologen zu seiner kommunistischen Vergangenheit verhält. Gibt es eine untergründige, vielleicht auch entlastende Verbindung zwischen Baumans kommunistischen Jahren und der Wahl seiner wissenschaftlichen »Waffen«?“

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Anti-Bauman-Plakat. „Prof. Baumans goldene Gedanken. »Den Kampf der kommunistischen Behörden gegen den Untergrund im Nachkriegspolen kann man mit dem heutigen Krieg gegen den Terrorismus vergleichen« Aus dem Interview mit der britischen Zeitung »The Guardian«, 2007.“ Unten links: Bogdan Zdrojewski, Kulturminister in der Regerung Donald Tusk dekoriert Bauman mit der Medaille „Verdient für die Kultur – Gloria Artis“. November 2010.

„Wie weit“, so der Autor, „trägt die naheliegende Vermutung, Bauman habe mit einer Theorie Karriere gemacht, die ganz nebenbei auch ihren Autor entlastete? Eben mit einer postmodernen Soziologie, in der nicht der Einzelne für sein Handeln verantwortlich ist, sondern die Geschichte selbst, das große Ganze oder, noch plakativer, die »Dialektik der Aufklärung«.

Tatsächlich war Bauman international mit einem Buch bekannt geworden, das an seinen düstersten Stellen das 20. Jahrhundert als Diktatur monströser Zwänge beschreibt, als Lavastrom anonymer Gewalten und unentrinnbarer »Rationalitäten«. »Dialektik der Ordnung« hieß die Studie, die nach einer Entwicklungszeit von fast zwanzig Jahren 1989 erschienen ist und die These aufstellte, ausgerechnet die Aufklärung habe die Monster der Moderne hervorgebracht, jene tödliche Liaison aus kalter Vernunft und bürokratischem Apparat, die jede Verantwortung, jeden moralischen Spielraum neutralisiert.“, schieb Assheuer und fuhr fort:

„Die Moderne macht das Subjekt zum Ding – sie vernichtet alles, was ihr nicht gleicht, das Uneindeutige, das Andere, jede Abweichung von der bürokratischen Norm. Je rationaler die Welt, desto barbarischer verhalten sich ihre Bewohner. Entsprechend wollte Bauman (…) im Holocaust den »Code der Moderne« entziffern. Der Judenmord war kein Zivilisationsbruch, sondern die zwangsläufige Folge der Moderne mit ihrem Hass auf alles Fremde.

In dieser Lesart war auch der Stalinismus nur ein dämonischer Zwillingsbruder der totalen Ordnung, nur eine andere Fratze der Moderne. Auch in dieser Hölle gibt es keine moralische Freiheit, keine Schuld, nur schuldlos Schuldige. Die Handelnden sind Werkzeuge des totalitären Weltgeistes, und wer auf der Schädelstätte der Geschichte nicht schuldig wird, hat Glück gehabt. Aber wer hat schon Glück?”

Der Autor spricht Bauman frei von dem Verdacht, er flüchtete in die flüchtige Moderne auf der Flucht vor seiner Vergangenheit. Doch Assheures Freispruch klingt weit weniger überzeugend als die angeblich widerlegte Eingangsthese.

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Flüchtige Moderne trifft die Ewigkeit. Kurz vor seinem Tod, im September 2016, wurde der eingefleischte Atheist am Rande des Treffens der Weltreligionen in Assisi von Papst Franziskus empfangen. Bauman vertrat dort die Atheisten. Die Frage, ob der Atheismus auch eine Religion sei, bleibt offen.

Zygmunt Bauman wurde immer wieder als der „polnische Martin Heidegger“ bezeichnet. Er reagierte darauf erbost. In Bezug auf sein geistiges Werk, wertete Bauman die Nebeneinanderderstellung mit einem der herausragendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts gewaltig auf. Dagegen hatte der eitle Soziologe auch nichts einzuwenden. Doch in dem Vergleich ging es um fanatische Verblendung zweier Intellektueller, ihre bewusste Kollaboration mit zwei ebenbürtigen totalitären, verbrecherischen Regimen und um die Opferrolle, in die beide anschlieβend zu schlüpfen dachten.

Und dennoch: wer die Gegenwart hinterfragt, kommt an Baumans Betrachtungen nicht vorbei. Ob sie so flüchtig sind, wie die Moderne, der sie gewidmet sind, wird sich bald zeigen.

© RdP




Auf gutes Geld programmiert

IT-Fachleute in Polen.

Der polnische Arbeitsmarkt besteht aus einigen ziemlich weit voneinander entfernten Welten, die sich alle hinter der Fassade des statistischen Durchschnittsgehaltes von 4.330 Zloty brutto (ca. 1.000 Euro, November 2016) verbergen. Knapp 70 Prozent der Polen verdienen weniger. Zu den Glücklichen, die eindeutig über dem polnischen Einkommensdurchschnitt liegen, gehören Informatiker.

Die Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Republik“) hat am 29. November 2016 einen umfangreichen Bericht über den IT-Arbeitsmarkt in Polen veröffentlicht. Nachfolgend eine Besprechung.

Die Nachfrage nach ihnen ist groβ. Doch genauso wie bei Ärzten kommt es bei Informatikern auf die Spezialisierung an. Es gibt Dutzende von Ausrichtungen innerhalb dieses Berufes und dementsprechend weit spannt sich der Gehaltsbogen: zwischen 2.800 Zloty (knapp 650 Euro) und 20.000 Zloty (ca. 4.600 Euro) Brutto im Monat.

Fachwissen, Englisch, Motivation

Allein auf Pracuj.pl (arbeite.pl), dem gröβten polnischen Stellenanzeigenportal, standen im Verlauf des Jahres 2016 etwa sechzigtausend Angebote für Informatiker zur Auswahl. Ein Teil der Firmen stellt ihre Suchanzeigen nach IT-Fachleuten erst gar nicht ins Internet. Stattdessen durchforsten eigene Mitarbeiter Fachforen- und Portale, und erhalten bei gelungener Anwerbung „Kopfprämien“.

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„Der Geschäftsführer ist ins Internet gegangen und findet nicht mehr hinaus. „

IT-Firmen und Rekrutierungsagenturen behaupten einhellig, dass auch in Polen in diesem Bereich bereits seit langer Zeit die Arbeitnehmer das Sagen haben. Es heiβt sogar, im Land fehlten in etwa fünfzigtausend Informatiker, obwohl jedes Jahr rund dreizehntausend Berufsanfänger mit abgeschlossenem Informatikstudium neu auf den Arbeitsmarkt kommen. Geschätzt umfasst der IT-Sektor in Polen etwa 250.000 Arbeitsplätze. Tendenz steigend.

Seit einigen Jahren nämlich lassen sich an der Weichsel viele IT-Servicefirmen aus Westeuropa und den USA nieder. Die im Vergleich mit den Heimatländern immer noch niedrigeren Arbeitskosten, gutes Fachwissen gepaart mit allgemein soliden Englischkenntnissen, eine hohe Arbeitsmotivation der polnischen Informatiker geben, wie es heiβt, hierbei den Ausschlag. Den Boom erzeugen internationale Firmen, die ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen (R&D), bzw. ihre Auslieferungs- und Technologiezentren in Polen errichten. Dicht auf den Fersen folgen ihnen internationale Softwarehäuser, die Computerprogramme entwickeln.

Weiterbildung ist Trumpf

Den gröβten Bedarf an Informatikern vermelden IT-Firmen, Telekommunikationsunternehmen, Banken und Versicherungen. Als Könige des Arbeitsmarktes gelten im Augenblick Programmierer, die Java, Javascript, SQL, PL/SQL, C++, PHP, C#, .NET, HTML und Ruby beherrschen. Immer mehr Nachfragen gibt es nach Fachleuten für Cyber-Sicherheit, Datenanalyse und Datenaustausch, Big Data.

Ein Einsteiger, z.B. als Junior Java-Entwickler, mit guten Englischkenntnissen erhielt um die Jahreswende 2016/2017 bis zu 8.000 Zloty brutto (knapp 1.900 Euro).

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„Kapierst du es jetzt?“

Sein Kollege mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung (Senior Java- Entwickler) brachte es Anfang 2017 auf bis zu 20.000 Zloty brutto (ca. 4.600 Euro). Das sind um die 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Dabei handelt es sich um Spitzengehälter, die jedoch nur auf der Grundlage von Zeitverträgen gezahlt werden, an Programmierer die ein Gewerbe angemeldet haben und Englisch so gut in Wort und Schrift beherrschen, dass sie selbständig und direkt mit ausländischen Kunden arbeiten können. Ebenfalls müssen sie die neuste Version, Java-8 beherrschen. Wer bei Java-6 stehen geblieben ist, kann schon nicht mehr auf die höchste Gehaltsklasse hoffen.

Generell gilt, Weiterbildung ist alles. Big Data-Fachleute müssen den ETL-Prozess beherrschen. Bei der Verwaltung von Datensystemen sind Kenntnisse über UNIX (AIX), Linux (RedHat, SUSE) und Windows unabdingbar, genauso wie die der Datenbankmanagementsysteme Oracle, Informix, MySQUL, MsSQUL.

Doch der Markt ist launisch. Noch bis Mitte 2016 gab es in Polen eine rege Nachfrage nach Programmierern mit guten Python-Kenntnissen. Gehaltsangebote von 15.000 bis 18.000 Zloty (ca. 3.500 bis 4.200 Euro) waren keine Seltenheit. Inzwischen ist der Bedarf gedeckt, mehr als 9.000 Zloty (ca. 2.000 Euro) monatlich werden bei Neueinstellungen inzwischen nicht mehr gezahlt.

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Programmierer (von links nach rechts): Hat einen festen Job. Hat Kunden verloren. Ist mit seinem Kredit im Rückstand. Arbeistlos.

Bei Arbeitsplätzen ohne besondere Anforderungen, sind auch im IT-Bereich die Löhne mager. Wer lediglich Netz-Hosting und laufende Wartungen zu erledigen hat, bekommt nicht mehr als 5.100 Zloty brutto (ca. 1.200 Euro), so die die Untersuchungen der führenden polnischen Arbeitsmarkt– und Lohnforschungsagentur Sedlak & Sedlak.

Die Unternehmen aus der Informationstechnologie und Telekommunikation müssen sich inzwischen viel einfallen lassen, damit sie gut ausgebildete Informatiker gewinnen. Vor allem eines ist dem IT-Nachwuchs wichtig: flexible Arbeitszeiten, damit die Work-Life-Balance funktioniert. Mehr als jeder zweite angehende Informatiker gibt an, wenigstens teilweise von zu Hause aus arbeiten zu wollen.

Groβe IT-Firmen schieben auch noch üppige Bonus-Pakete nach: günstiges Auto-Leasing, kostenlose Teilnahme an Fachkonferenzen und Weiterbildungen, Umzugskostenerstattung, und ganz wichtig in Polen – private Medicare-Leistungen für den Mitarbeiter, seine Ehefrau und die Kinder.

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„Ich war ein arbeistloser Programmierer. Dreiβig Minuten lang!“

Anstatt langer Warteschlangen und Terminen bei Fachärzten im öffentlichen Gesundheitswesen, wird man auf Firmenkosten in Privaten Polikliniken schnell versorgt, und bei Zahnarztbesuchen gibt es meistens 50 Prozent Ermäβigung. Es ist ein gern angenommenes Privileg, denn eine öffentliche zahnmedizinische Versorgung gibt es in Polen praktisch nicht mehr, und die Kosten für private Zahnarztbesuche werden vom Staat nicht erstattet.

Ins Ausland wollen sie nicht

Kein Wunder also, dass zwar etwa ein Drittel der polnischen IT-Fachleute einräumt irgendwann mal auβerhalb Polens gearbeitet zu haben, doch im Augenblick verdingen sich nur neun Prozent von ihnen im Ausland. Zwar sind die Löhne in der Branche in Westeuropa und in den USA um bis zu fünfzehn Prozent höher als in Polen, doch das geht einher mit bis zu zwanzig Prozent höheren Lebenshaltungskosten.

Will man also einen polnischen Programmierer in den Westen locken, so muss man ihm ein Lohnangebot machen, das um 35 Prozent höher liegt als zu Hause, dies geht aus der Untersuchung von Sedlak & Sedlak hervor. 61 Prozent der polnischen IT-Fachkräfte geben zu Protokoll, sie seien mit ihren jetzigen Lohn- und Arbeitsbedingungen vollauf zufrieden. Auch ein deutlich höheres Einkommen irgendwo in der weiten Welt ist für sie nicht Grund genug Heimat, Familie und Freunde aufzugeben.

RdP




Des Hauses Schwelle eine Festungswehr

Neue Truppen der Territorialverteidigung. Ein ABC.

Polens Armee bekommt eine fünfte Teilstreitkraft. Neben dem Heer, der Luftwaffe, der Marine und den Spezialeinheiten entstehen seit Neuestem die Truppen der Territorialverteidigung. Angesichts der Drohgebärden Russlands und des Kriegsgeschehens in der Ukraine folgt das Land dem Beispiel Finnlands, Groβbritanniens, Schwedens und vieler anderer Staaten, indem es auch auf Verteidigung und Katastrophenschutz vor Ort, „an der eigenen Hausschwelle“, setzt.

Doch deutsche Medien wissen es besser.

Parteiarmee, rechter Schlägertrupp, Freizeitpartisanen…

„Parteiarmee im Aufbau?“, titelt die „Junge Welt“ (08.11.2016) und unterstellt: „die leichte Bewaffnung der Territorialverteidigung ist völlig ausreichend, um zum Beispiel Streiks oder Demonstrationen niederzuschlagen. Bei einer Sejm-Debatte in der vergangenen Woche warf die Opposition denn auch das Stichwort von der »Parteiarmee der PiS« oder gar »Macierewiczs SA« (Verteidigungsminister Polens – Anm. RdP) in die Diskussion“.

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Polens Verteidigungsminister Antoni Macierewicz mit seiner deutschen Amtskollegin Ursula von der Leyen in Berlin während der polnisch-deutschen Regierungskonsultationen am 22. Juni 2016.

„Die Opposition“, so die Zeitung weiter „befürchtet, dass sich vor allem Rechte freiwillig zur Territorialverteidigung melden könnten. Das ist nicht auszuschließen. Die PiS umwirbt die polnische Faschistenszene politisch, verteidigte sie etwa gegen »Zensur«, als kürzlich Facebook eine Faschistenseite wegen rassistischer Inhalte schloss, und sie lehnt es ausdrücklich ab, Rechte bei der Bewerbung zum Dienst in der Territorialverteidigung »auszugrenzen«”.

Dass die heutige Regierungspartei sie umwirbt, sollte man erst einmal handfest beweisen, was nicht leicht fallen dürfte.

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Polnische Meisterschaften der Wehrorganisationen in Giżycko/Lötzen im August 2014.

Ähnlich alarmistische Töne („Säbelrasseln? Polen und der Nato-Gipfel“) schlagen die „Polen-Analysen“ (Nr. 185 vom 05.07.2016) an und satteln noch drauf: „Insgesamt ist die Aufstellung der „Territorialverteidigung“ Teil des Bemühens der Nationalkonservativen, die polnische Gesellschaft in ihrem politisch-ideologischen Sinne zu mobilisieren und zu militarisieren.“

In Wirklichkeit muss sich die Regierung in Warschau keineswegs „bemühen“. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges im Frühjahr 2014, also noch zur Ära Tusk, erfahren die polnischen Wehrvereine einen enormen spontanen Zulauf. Die Tusk-Regierung hat das ignoriert, ihre Nachfolger wollen es zur Stärkung der Landesverteidigung nutzen.

„Rechtspopulistische Regierung. Triumph der polnischen Freizeitpartisanen”, spöttelt die „Süddeutsche Zeitung” (13.06.2016) und fügt hinzu: „Experten sehen den militärischen Wert der paramilitärischen Einheiten kritisch.” Zwar sehen bei weitem nicht alle Experten es so, aber auch das braucht der Leser nicht zu wissen.

… und das Dementi

Diese und ähnliche Behauptungen haben das Verteidigungsministerium (VM) am 17.11.2016 zu einer Erklärung veranlasst:

„Im Zusammenhang mit Berichten, »Truppen der Territorialverteidigung (TdT) sollen öffentliche Unruhen bekämpfen« und in einer besonderen Weise dem Verteidigungsminister unterstellt sein, teilt das VM folgendes mit:
Gemäβ der vor Kurzem im Parlament diskutierten Novelle zum »Gesetz über die allgemeine Verteidigungspflicht«, werden solche Vorhaben keinesfalls zum Aufgabenbereich der Territorialverteidigung gehören. Die TdT sollen die Fähigkeiten der Armee erweitern und ergänzen. Sie sollen in der Lage sein mit anderen Teilstreitkräften zusammenzuwirken, eigenverantwortlich Rettungsmaβnahmen vorzunehmen sowie die Selbstverteidigung vor Ort zu führen und zu organisieren.

Die TdT werden die fünfte Teilstreitkraft der Armee sein. Ihr Kommandeur wird in gleicher Weise wie die Kommandeure der übrigen Streitkräfte dem Verteidigungsminister unterstellt sein.
Ein bewusstes Verbreiten falscher Informationen über die TdT schädigt das Verteidigungssystem des Staates“, so die Erklärung des Verteidigungsministeriums.

Polnische Territorialverteidigung in Schlagworten

Arbeitgeber von Freiwilligen
Müssen rechtzeitig über geplante Übungen ihrer Arbeiter und Angestellten benachrichtigt werden. Können Kostenerstattung beantragen, wenn ihnen Verluste aufgrund von Abwesenheit des Freiwilligen am Arbeitsplatz entstanden sind, falls z. B. eine Ersatzkraft angeheuert werden musste.

Arbeitsplatz
Der Freiwillige darf wegen seiner Teilnahme an Übungen, Rettungsaktionen oder Kampfeinsätzen nicht gekündigt werden. Dies gilt nicht bei Konkurs sowie für Einstellungen auf Probe und bei Zeitverträgen.

Ausrüstung
Das Gros der 364 TdT-Kompanien (jeweils ca. 100 Soldaten) soll aus leichter Infanterie bestehen. Im Osten des Landes wird es auch einige TdT-Unterstützungs- und Einsatzkompanien geben, ausnahmslos ausgestattet mit neuer, leichter Flakartillerie, Ein-Mann-Boden-Luft-Raketen, tragbaren Antipanzerraketen.
Die Urheber des TdT-Programms legen groβen Wert darauf, dass die Ausstattung und Ausrüstung der neuen Einheiten weitestgehend aus polnischer Fertigung stammen wird. Vorgesehen sind u. a:

● die PR-15 RAGUN-Pistole,

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Made in Poland. Die PR-15 RAGUN-Pistole.

● „Beryl“, das auf der „Kalaschnikow“ basierende Sturmgewehr im NATO-Kaliber,

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Made in Poland. Beryl-Strurmgewehr.

● das Modulare Zubehörteil-Schusswaffensystem MSBS, ein Sturmgewehr im Nato- und im 7,53-Kaliber, mit einfach abnehmbarem Kolben, das, nach Bedarf, mit einem Granatwerfer, einem Zielfernrohr versehen werden kann oder auch, mit einem gröβeren Munitionsmagazin, als ein leichtes Maschinengewehr verwendet werden kann,

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Made in Poland. Das modulare MSBS-Sturmgewehr als leichte Infanteriewaffe (oben) und mit allem Zubehör (unten).

● die GROM-Ein-Mann-Boden-Luft-Rakete, die Hubschrauber, Flugzeuge, Marschflugkörper und Drohnen bei Tag und Nacht in einer Höhe zwischen 10 und 4000 Metern und einer Entfernung zwischen 500 und 6000 Metern mit enormer Treffsicherheit bekämpfen kann.

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Made in Poland. Die GROM-Ein-Mann-Boden-Luft-Rakete.

Hersteller dieser und anderer Waffen für die TdT ist der staatliche Rüstungskonzern PGZ SA (Polnische Rüstungsgruppe AG) mit seinen 33 Betrieben, an den gerade die ersten Groβaufträge vergeben werden.

Berufssoldaten
An der Spitze einer jeden TdT-Freiwilligenkompanie wird ein Berufssoldat stehen. Die ersten 66 Fähnriche (darunter 21 Frauen) haben Mitte November 2016 einen diesbezüglichen, einjährigen Lehrgang in der Heeresoffiziersschule in Wrocław/ Breslau begonnen. Insgesamt sollen Berufssoldaten etwa 10 Prozent der TdT ausmachen.

Devise
„Zawsze gotowi, zawsze w pobliżu“ – „Immer bereit, immer in der Nähe“.

Dienstdauer
Soll im Regelfall zwischen zwei und sechs Jahren liegen. Kann im Anschluss verlängert werden.

Emblem

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Entgelt
Es gelten dieselben Tagessätze pro Übungstag, wie bei den übrigen Streitkräften. Ein Gefreiter erhält – 112,33 Zloty (ca. 26 Euro), ein Stabsgefreiter – 118,67 Zloty (ca. 28 Euro), ein Fähnrich – 128,33 Zloty (ca. 30 Euro). Der TdT-Kompaniechef erhält als Berufssoldat eine Monatszulage von 600 Zloty (ca. 140 Euro).

Frauen
Werden nach den allgemein geltenden Kriterien in die TdT aufgenommen.

Gliederung
Polen ist in sechzehn Woiwodschaften (Provinzen) unterteilt. In jeder soll es eine TdT-Brigade (ca. 3000 Soldaten) geben. In der zentral gelegenen Woiwodschaft Mazowsze/ Masowien, mit der Hauptstadt Warschau, sind zwei Brigaden vorgesehen. Insgesamt also 17 Brigaden (jeweils 3 bis 4 Bataillone (4 bis 5 Kompanien). In jedem der 364 polnischen Landkreise soll eine TdT-Kompanie (ca. 100 Soldaten) als die kleinste Einheit der neuen Truppe wirken.

Hierarchie
Das am 1. Juli 2016 ins Leben gerufene Büro zur Schaffung der Territorialverteidigung soll bis zum 31. März 2017 in das Kommando der Territorialverteidigung umgewandelt werden. Sein Sitz ist Warschau. Dem Kommando werden die Stäbe der 17 Brigaden der TdT im ganzen Land unterstellt sein.

Juristische Grundlage
Es wurde kein separates Gesetz über die Schaffung der TdT verabschiedet, sondern eine diesbezügliche Novelle zum Gesetz über die allgemeine Pflicht zur Verteidigung der Republik Polen (Ustawa o powszechnym obowiązku obrony Rzeczypospolitej Polskiej). Am 16. November stimmten im Sejm 269 Abgeordnete dafür, 170 waren dagegen.

Demnach bilden die TdT die fünfte Teilstreitkraft der polnischen Armee und es wird eine neue Art des aktiven Militärdienstes geschaffen: der territoriale Militärdienst. Die Novelle tritt am 1. Januar 2017 in Kraft.

Katastrophenschutz
Auf allen Ebenen der Verwaltung (Woiwodschaft, Kreis, Gemeinde) existiert bei den Behörden eine Abteilung S-5 für die militärisch-zivile Zusammenarbeit im Kriegs- und Katastrophenfall. Die neuen TdT werden in dieses System eingegliedert. Der bisher geltende Grundsatz bleibt auch für die TdT gültig: im Ernstfall empfangen die Soldaten ihre Befehle und Anweisungen nur von ihren jeweiligen Vorgesetzten, die Befehlsgewalt über die Truppe geht nicht an die Zivilbehörden vor Ort über.

Kosten – Nutzen                                                                                                   Zwischen 2017 und 2020 sind für die TdT etwa 1,5 Mrd. Zloty (ca. 350 Mio. Euro) pro Jahr veranschlagt, das sind ca. 10 Prozent des Modernisierungsfonds der polnischen Armee. Sind die groβen Anschaffungen bezahlt, soll der Anteil am Modernisierungsfond auf 3 Prozent reduziert werden.

Gleichzeitig wird sich die Zahl der Soldaten des Heeres im Vergleich zu 2016 um mehr als die Hälfte erhöhen. Auf diese Weise soll kostensparend und schnell die Landesverteidigung verbessert und das Abschreckungspotential erhöht werden.

Leitung

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TdT-Chef Brigadegeneral Wiesław Kukuła.

Zum Kommandeur der TdT wurde am 23. September 2016 Oberst Wiesław Kukuła (Jahrgang 1972) berufen und am 23. November 2016 zum Brigadegeneral befördert.

Kukuła ist Diplomingenieur für Fernmeldewesen (Studium an der Warschauer Militärtechnischen Akademie WAT) und diente sich ab 1996 vom Zugführer zum Kommandeur des Fallschirmjägerregiments 4101 im Jahr 2012 hoch. Während dieser Zeit leistete er ebenfalls Dienst beim polnischen Truppenkontingent im Irak (2003 – 2004), des Weiteren absolvierte er Nato- und US-Kurse für Kommandeure von Spezialeinheiten.

Mobilität                                                                                                                               Ein Teil der TdT-Kompanien in den Landkreisen ist für den Objektschutz vorgesehen (wichtige militärische Einrichtungen, Brücken, Kraftwerke, Staudämme usw.). Der Rest soll im Landkreis bzw. in der Woiwodschaft vor allem helfen Sabotage im Hinterland der regulären Truppen zu bekämpfen und im Falle einer eventuellen Besetzung des Landes Widerstand organisieren und leisten. Eine gute soziale Einbindung und Ortskenntnisse sind dabei von groβer Bedeutung.

Patriotismus, Politik
„Vor fast zehn Jahren wurden unsere Streitkräfte in eine Berufsarmee umgewandelt, verkleinert (auf gut 90.000 Mann – Anm. RdP) und auf eine immer wieder reduzierte Zahl von Standorten und Übungsplätzen verteilt.“ (Zu Zeiten der Tusk-Regierung wurden fünf Jahre lang keine Reservisten mehr zu Übungen eingezogen und der Witz „Wozu dient die polnische Armee? Zum Sparen“ machte die Runde – Anm. RdP). „Die Armee hat sich von der Gesellschaft entfernt. Die TdT bedeuten eine Chance, das wieder zu beheben“ (TdT-Kommandeur Gen. Kukuła im Interview mit der Zeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 17- 18.12.2016).

„In den letzten Jahren geschah vieles, was unser Sicherheitsgefühl erschüttert hat. Leider auch in unmittelbarer Nähe unserer Grenzen. Das prägt die Haltung. Vor allem unter den jungen Männern wächst das Gefühl, man sei verpflichtet die eigene Familie, die Gemeinschaft, das Land zu verteidigen. Oftmals gehört dies zu unserem Lebensstil und unseren Werten und ist damit etwas, was wir normalerweise gar nicht besonders bemerken. Diese Leute sind „das Salz dieser Erde“. Ich bin sehr stolz eine solche Haltung zu beobachten und sehe mich mit ihr im Einklang“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

Wie allen anderen Soldaten in Polen, soll es den TdT-Angehörigen untersagt sein politischen Parteien, Gewerkschaften, Vereinigungen anzugehören. Auch das öffentliche Auftreten von Soldaten unterliegt, qua Gesetz, weitgehenden Einschränkungen.

Regionale Bezogenheit
„Unser Motto lautet »Immer bereit, immer in der Nähe«. Die Einbindung der TdT in das soziale Gefüge der Region ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Verteidigung. Sie sind dazu da, die Menschen vor Ort und die Einrichtungen, die sie nutzen zu verteidigen oder vor Naturkatastrophen zu schützen.“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

Training
Für Reservisten nach dem Armeedienst: ein bis zwei Wochenenden pro Monat und einmal im Jahr eine zweiwöchige Übung auf dem Truppenübungsplatz.
Für Anfänger: ein viermonatiger durchgehender Vorbereitungsdienst, danach Übungen, entsprechend den Reservisten, s. o.
Die Wochenendübungen finden zwischen September und Juni, die zweiwöchigen Übungen im Juli bzw. August statt.

Waffenaufbewahrung
„Man ist anfänglich davon ausgegangen, dass die Waffen zu Hause aufbewahrt werden. Das war nicht realistisch, weil zur Ausrüstung der leichten Infanterie u. a. schwere Maschinengewehre, Präzisionsgewehre, Granatwerfer, panzerbrechende Waffen usw. gehören. Dieses Kriegsgerät muss in Friedenszeiten unter Aufsicht bleiben. Es wird für jede Brigade, teilweise auch jedes Bataillon, zentral gelagert, zu den jeweiligen Übungen und Manövern gebracht und am Ende wieder eingesammelt. Im Ernstfall werden die Waffen unbefristet „an den Mann“ ausgehändigt.“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

Wehrorganisationen
Während in Deutschland die Schützenvereine überwiegend in Bierzelten kämpfen, übt ihre polnische Entsprechung an den Wochenenden im Gelände. Uniformen und Militärgerät müssen sie sich selbst kaufen und bezahlen, über Waffen verfügen sie nicht. Diese werden ihnen nur zeitweise, meistens für einige Stunden, zu Schieβübungen unter Aufsicht des Militärs zur Verfügung gestellt und danach wieder eingesammelt.

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Mitglieder von Wehrorganisationen üben an Waffen nur unter Aufsicht der Armee.

Der Patriotismus, der dort gepflegt wird knüpft an die vielfältigen freiheitlichen Traditionen des polnischen Unabhängigkeitskampfes vom 18. bis zum 20. Jahrhundert an. Oft sind diese Organisationen eng verknüpft mit der Pfadfinderbewegung. Das Augenmerk konzentriert sich dabei auf die Landesvereidigung. Weder lehnen sie die parlamentarische Demokratie ab, noch verstehen sie sich als Speerspitze eines Umsturzes. Von einschlägigen deutschen rechtsextremen Vereinigungen, wie der berüchtigten „Wehrsportgruppe Hoffmann“ sind sie Lichtjahre entfernt. Auch kriminelle Verstrickungen, wie z. B. im Falle der deutschen „Wehrsportgruppe Rohwer“ sind nirgendwo festgestellt worden.

Mitglieder der Wehrvereinigungen können einzeln oder gruppenweise in die TdT eintreten, wenn sie alle vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllen. Nach drei Jahren TdT-Dienst können sie sich bevorzugt um Aufnahme in die Armee als Berufssoldaten bewerben.

Voraussetzungen für Freiwillige
Polnische Staatsangehörigkeit. Alter: 18 bis 50 Jahre. Vor der Aufnahme in die TdT findet eine musterungsärztliche Begutachtung statt. Freiwillige in den TdT stehen in einem Dienstverhältnis. Alle Verstöβe gegen die Militärdisziplin bei Übungen, Manövern und Einsätzen werden nach dem Militärrecht geahndet.

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Bei der Aufnahme in den territorialen Wehrdienst gelten dieselben Musterungskriterien, wie bei der Aufnahme in die Berufsarmee.

Zeitplan                                                                                                                                       Bis Mitte 2017 sollen die ersten drei Brigaden im Osten des Landes entstehen, in den Woiwodschaften Lublin, Podlaskie (mit Białystok) und Karpatenvorland (mit Rzeszów).

Bis Ende 2017 soll es zwei weitere geben: die erste in der Woiwodschaft Masowien (mit Warschau) – hier sind zwei Brigaden geplant, und in Ermland-Masuren (mit Olsztyn/Allenstein).

2018 – Kujawien-Pommern (mit Bydgoszcz/Bromberg), Pommern (mit Gdańsk/Danzig), Heilgkreuz (mit Kielce), Kleinpolen (mit Kraków) und Łódź.

2019 – die letzten sechs Brigaden: Schlesien (mit Katowice), Opole/Oppeln, Groβpolen (mit Poznań), Westpommern (mit Szczecin), Niederschlesien (mit Wrocław/Breslau) und Lebus (mit Zielona Góra/Grünberg).

2021 soll die Bildung der TdT abgeschlossen sein. Truppenstärke: 53.000.

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Zweifel

1. Eine Armee von Amateuren und Freizeitpartisanen?                            „Diese Bezeichnung ist nicht gerechtfertigt. Nehmen wir einmal die Kraftfahrer. Auch sie werde in Profis und Amateure unterteilt. Die meisten Kraftfahrer sind dabei keine Profis, jedoch viele von ihnen legen Jahr für Jahr um die fünfzigtausend Kilometer im Auto zurück, haben viel Erfahrung, fahren sicher und zuverlässig. Oft sind sie den Profis ebenbürtig.

In den USA werden die Soldaten der Nationalgarde, zusammen mit Berufssoldaten, zu Auslandseinsätzen geschickt. Die künftigen polnischen Soldaten der TdT sind sehr motiviert, das wissen wir schon heute, und sie sollen ähnlich geschult werden wie ihre US-Kollegen. Von Amateuren kann keine Rede sein.“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

2. Eine Wach- und Schlieβgesellschaft?
„So wie in der Militärdoktrin des Warschauer Paktes, stellen manche Fachleute die neue Truppe als eine Ansammlung von Wacheinheiten, die an Brücken und Straβen Posten stehen oder als eine Armee zweiter Klasse dar, die das abgenutzte Gerät der Landstreitkräfte benutzen darf. Das werden die TdT nicht sein“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

3. Gegen erfahrene russische Fallschirmjäger-Sabotagetrupps keine Chance?
„Ein Soldat genießt nicht den Komfort sich seinen Gegner aussuchen zu können. Meine Aufgabe ist es also, die Soldaten auf den Kampf mit jedem vorzubereiten, der die Souveränität und Sicherheit des Landes bedroht. Wenn es feindliche Spezialkräfte sein sollten, so haben auch die viele Schwächen. Glauben Sie mir, als ehemaliger Kommandeur eines Fallschirmjägerregiments weiβ ich wovon ich rede.

Angefangen bei der Struktur, über das Training bis hin zur Bewaffnung der Truppen der Territorialverteidigung bereiten wir uns darauf vor, den Kampf mit jedem Gegner aufzunehmen. Unsere Bewaffnung muss gewährleisten, dass wir in jedem  Fall einen Kampf auf gleicher Augenhöhe führen können. Wir sind bereit für das Vaterland zu sterben, aber unser wichtigstes Ziel ist die Bezwingung des Gegners, damit wir Polen weiterhin dienen können.

Ein Aspekt wird oft vergessen: die TdT gehören zu unserem Abschreckungspotential, denn sie sind auch dazu da den allgemeinen Widerstand gegen einen Angreifer oder Besatzer zu organisieren“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

© RdP




Was bewegt Radio Maryja

Ein Gespräch mit dem Gründer und Direktor des Senders, Pater Tadeusz Rydzyk.

Radio Maryja, der katholische Sender aus Toruń/Thorn feierte am 9. Dezember 2016 sein 25-jähriges Bestehen. Überwiegend ehrenamtlich betrieben und fast ausschlieβlich aus Zuhörerspenden finanziert, stellt es ein Vorhaben dar, das von den Menschen in Polen in einer Weise unterstützt wird, die alles bisher Dagewesene übertrifft.

Auf deutschsprachige Medien wirkt der Sender seit eh und je wie ein rotes Tuch. Ihre Beschreibungen münden zumeist in heftigen Beschimpfungen.

♦ Radio Maryja „ist ultrakatholisch, ultranationalistisch, ultrarechts und extrem europafeindlich, und obendrein pflegt es einen ätzenden, hasserfüllten Antisemitismus“ (Neue Züricher Zeitung, 5.12.2002). ♦ „Katholischer Hetzsender Radio Maryja“ (Schweizer Rundfunk, 26.09.2015). ♦ „Der katholische Sender Radio Maryja hetzt gegen Juden“ (Spiegel, 29.04.2006). ♦ „Das Radio-Maryja-Imperium ist antisemitisch, homophob, anti-ökumenisch (Religionsphiolosophischer Salon, 18.12.2015).♦  „Rassistische und antisemitische Inhalte sind bei Radio Maryja an der Tagesordnung“ (Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung, 3.09.2009).

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Pater Rydzyk im Gespräch mit der israelischen Botschafterin in Warschau Anna Azari am 7. September 2016.

Man könnte meinen, Joseph Goebbels, lebte er noch, könnte in Toruń in die Lehre gehen. Beweise (Zitate) für diese schwerstwiegenden Vorwürfe werden nur in den seltensten Fällen erbracht, und wenn, dann sind sie sehr dürftig. Einige Zuhörer-Entgleisungen von vor zehn Jahren und mehr, die in Telefon-Livesendungen vorgekommen sind. Eine dubiose geheime Tonbadaufnahme von Pater Rydzyk aus dem Jahr 2007 (also kein Sendebeitrag).

Auβerdem einige Rundfunk-Livedebatten Anfang der 2000er Jahre, hervorgerufen durch das Buch des jüdisch-amerikanischen Autors Norman Finkelstein „Holocaust-Industrie. Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird“, das in Deutschland, mit einer Startauflage von fünfzigtausend Exemplaren (!), bei dem angesehenen Piper Verlag erschienen ist, einhunderttausend Mal verkauft und in einer sehr hitzigen Debatte beileibe nicht ausschlieβlich kritisch beurteilt wurde. Und das war’s.

In den 25 Jahren des Bestehens von Radio Maryja, bei dem die Zuhörer fast ununterbrochen auf Sendung sind, gab es Anlass zu Kritik, manchmal auch zu einer Rüge. Davon gab es, verdient und unverdient, weiβ Gott genug. Doch die These „hasserfüllter Antisemitismus“ sei dort „an der Tagesordnung“ und quasi die wichtigste Botschaft des „katholischen Hetzsenders“ hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

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Johannes Paul II. 1995 im Gespräch mit Pater Rydzyk: „Jeden Tag danke ich Gott dafür, dass es in Polen ein Radio gibt, das Radio Maryja heiβt“.

So  sahen und sehen es offensichtlich nicht nur die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus sondern auch die israelische Botschaft in Warschau, bei der Pater Rydzyk Gast sein darf. Rydzyk reist zudem seit knapp drei Jahrzehnten regelmäβig nach Isreael. Kein einziges Mal ist ihm die Einreise verweigert worden.

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Audienz bei Papst Bendeikt XVI. am 4. November 2007.

Lange Zeit hieβ es „das Problem“ werde sich „durch die Biologie“  von selbst lösen. Radio Maryja sei ein Vorhaben ohne Zukunft, ein zum Aussterben verurteiltes Reservat alter Menschen. „Wir brauchen euch nicht“, lautete jahrelang sinngemäβ die Botschaft der „aufgeklärten“ Eliten an sie. „Wir haben ja eure Kinder und Enkelkinder auf unserer Seite“. Es sah so aus, aber diese Rechnung ging nicht auf.

Die Abgänger der Radio-Maryja-Journalistenschule (fünfhundert Studenten), um nur ein Bespiel zu nennen, sind keine unterwürfigen Glaubenseiferer. Gut geübt im Umgang mit den modernsten Medientechniken, kreativ, tragen sie ihren Glauben im Herzen und nicht wie eine Monstranz vor sich. Der erste Spielfilm, den eine Gruppe von ihnen gerade fertiggestellt hat, „Die abgebrochene Ähre“, hat auch feindselig eingestellte Filmkritiker durch seine Qualität zutiefst beeindruckt.

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Pater Rydzyks Studenten. Den Glauben im Herzren tragen.

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Pater Rydzyk meidet den Begriff „Massenmedien“, gebraucht dafür lieber die Bezeichnung „gesellschaftliche Kommunikations- bzw. Verständigungsmittel“. Der Adressat ist für ihn nicht „die Masse“, sondern die Gesellschaft: Menschen, Personen, Persönlichkeiten, wie er sagt. Es geht ihm nicht um „Übermittlung“ sondern um „Kommunikation“, um „Wechselwirkung“. Es gibt in Polen keine Medien, die Radio Maryja in dieser Hinsicht überbieten würden.

Im Auditorium überwiegen die 40 bis 59jährigen. Zudem haben 53 Prozent der Radio-Maryja-Zuhörer Abitur bzw. einen Hochschulabschluss. An manchen Tagen lauschen den Sendungen zugleich bis zu fünfhunderttausend Menschen.

radio-maryja-okladka-w-sieciMit den Jahren wurde das Thorner Projekt um eine Tageszeitung („Nasz Dziennik“ – „Unser Tagblatt“), einen Fernsehsender (Trwam) und eine Hochschule erweitert . 2016 ist der Rundbau einer Kirche für 3000 Gläubige vollendet worden. Weitere Vorhaben des unermüdlichen Paters Tadeusz Rydzyk kann man aus dem folgenden Gespräch erfahren, das im Wochenmagazin „wSieci“ („im Netzwerk“) vom 5.12.2016, unter dem Titel „Gewaltige Kräfte sind gegen uns angetreten“ erschienen ist. Es stellt eine Seltenheit dar, denn Pater Rydzyk gewährt normalerweise keine Interviews. Wir dokumentieren den Wortlaut mit geringfügigen Kürzungen.

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Pater Tadeusz Rydzyk. Jg. 1945. Redemptorist. Seit 1971 Priester.

Radio Maryja feiert 25 Jahre seines Bestehens. Rückblickend stellt sich die Frage: woher haben Sie gewusst, dass gerade die Medien ein so wichtiger Austragungsort des Kampfes um den katholischen Glauben, die polnische Kultur, die ökonomische Unabhängigkeit sein werden.

Das war offensichtlich.

Viele haben sich (nach 1989 – Anm. RdP) dahingehend beirren lassen, dass sie glaubten, dass Medien nun vom Grundsatz her ehrlich, unvoreingenommen sein werden, und dass die Herkunft des Kapitals, das hinter ihnen steht ohne Bedeutung sein wird. Die klügsten Professoren waren davon überzeugt.

(…) Seiner Zeit habe ich sehr an die katholischen Intellektuellen geglaubt. An die Klubs der Katholischen Intelligenz (1956 von den Kommunisten in fünf Städten zugelassene katholische Vereinigungen – Anm. RdP), an „Znak“ („Zeichen”, 1956-1978 von den Kommunisten zugelassene kath. Laienorganisation – Anm. RdP) , „Więź“ ( „Bund“, von den Kommunisten 1958 zugelassene Monatszeitschrift reformorientierter Katholiken – Zweites Vatikanisches Konzil – Anm. RdP), an „Tygodnik Powszechny“ („Allgemeine Wochenzeitung“ seit 1945 von den Kommunisten in Kraków zugelassene, streng zensierte katholische Zeitschrift reformorientier Katholiken – Anm. RdP).

Anfänglich wollte ich sogar Radio Maryja ebenfalls in Kraków ansiedeln. (…) Ich habe damals gehofft, dass diese Gruppen der Geist der Nation, ihre intellektuelle Elite sein würden, doch ich wurde enttäuscht.

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Radio-Maryja-Funkhaus in Toruń. Hörer zu Besuch.

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Enttäuscht war auch der Heilige Vater Johannes Paul II. Er schrieb 1995 an Jerzy Turowicz (1912-1999, Chefredakteur von „Tygodnik Powszechny“ in den Jahren 1945-1999), dass „die Kirche in diesem schwierigen Augenblick, beim »Tygodnik Powszechny« leider nicht die Unterstützung und den Schutz fand, die sie gewissermaβen erwarten konnte. Sie fühlte sich nicht ausreichend geliebt.“

Ich möchte diese konkrete Situation nicht beurteilen. Das Problem der Intellektuellen war, dass sie ihr Gewissen und ihre Pflichten gegenüber der eigenen Gemeinschaft aufgegeben hatten. Bildung selbst ist nicht genug, man muss weise und charakterstark sein. Auch der Teufel ist intelligent, aber das nützt nichts, weil er einen schlechten Charakter hat.

Doch das alles hat nicht erst damals (Anfang der 90er Jahre – Anm. RdP) begonnen. Schon Kardinalprimas Stefan Wyszyński (1901-1981, Primas von Polen 1948-1981 – Anm. RdP) sprach davon (in den 60er Jahren – Anm. RdP), dass die Intellektuellen ihn enttäuscht und verraten haben. Und das nimmt seither zu. Nehmen wir nur die Welt der groβen Medien. Es ist ein Drama. Sie lernen neue Techniken, Tricks, Kniffe zu beherrschen, aber die Wahrheit und das Gute findet man dort nicht.

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Briefmarken der Polnischen Post zum 10. Jahrestag der Gründung von Radio Maryja.

Das war lange Zeit auch Teilen der polnischen Kirche nicht bewusst.

Ich bin mir nicht sicher, ob man das so sagen kann. Die Medienberichte darüber, was die Bischöfe zu dem einen oder anderen Problem meinen, sind teilweise sehr verfälscht. Ich erinnere mich an ein Treffen mit Kardinalprimas Józef Glemp (1929-2013, Primas von Polen 1981-2006 – Anm. RdP) einige Monate vor seinem Tod. Es war der Namenstag von Bischof Antoni Dydycz (von Drohiczyn – Anm. RdP).

Der Kardinalprimas erhob sich, um zu gratulieren, und sagte auch, dass wir keine Medien haben, die uns die Wahrheit über Polen sagen. Und er fügte hinzu: „Es gibt nur Radio Maryja und das Fernsehen Trwam“ (Gegründet 2003 von Pater Rydzyk, wie sein gesamtes Wirken, aus Spenden finanziert – Anm. RdP). Das hat er einige Male wiederholt, und dankte mir. Ich war froh darüber, denn früher hatte der Kardinalprimas Radio Maryja auch anders betrachtet. Am Anfang waren unsere Beziehungen gut, dann wechselte es (noch 2010 wollte Glemp Pater Rydzyk aus der Leitung des Senders entfernen und sprach von einem „groβen Problem für die Kirche“ – Anm. RdP). Er sagte noch, als ob er in meinen Gedanken gelesen hätte: „Das war schon sehr unterschiedlich im Episkopat, aber nun ist es so, wie ich es sage.“ Tatsache ist jedoch, dass viele Bedrohungen nicht erkennbar waren.

Zum Beispiel die Bedeutung des Kapitals. Sogar anständige Menschen ließen sich einreden, dass es vor allem darum gehe alles Staatsvermögen schnellst möglich zu verkaufen, zu privatisieren. Egal an wen, egal wie billig, egal was der Käufer daran verdient.

So war es. Sogar Geistliche haben mir manchmal gesagt: „Agrarland ist doch eine Ware wie jede andere“. Nein, Agrarland ist keine Ware. Ein sehr edler Mensch wurde ZChN-Abgerordneter (katholische konservative Partei Christlich-Nationale Vereinigung – Anm. RdP) und sagte zu mir: „Es lohnt sich alles zu verkaufen, auch für einen Zloty“. Ich war verwundert: „Wie kann es sich für einen Zloty lohnen, wenn es viel mehr wert ist?“ Und er wiederholte nur dasselbe – es lohnt sich. Das war unlogisch.

Als das Wahlbündnis Solidarność (eine Koalition aus der Gewerkschaft und einem Dutzend konservativer Kleinparteien – Anm. RdP) regierte (zwischen 1997 und 2001 unter Ministerpräsident Jerzy Buzek – Anm. RdP) habe ich diese Leute gefragt, warum sie den Ausverkauf von Staatseigentum betreiben, obwohl sie gerade gewählt wurden, um den Ausverkauf zu stoppen. Ich denke nicht, dass diejenigen, die es gemacht haben, es uneigennützig taten. Nein, sie haben im Auftrag gehandelt. Zum Glück wacht Polen jetzt auf.

Ist es nicht zu spät dafür? Beinahe alle Medien sind schon in ausländischer Hand, von der Industrie ist nicht mehr viel übrig geblieben. Es wird nicht einfach sein, das alles wieder aufzubauen.

Natürlich wird es nicht leicht fallen, aber es ist möglich. Wir sollten jeden Tag singen „Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben“ (»Dabrowski-Mazurka«, die polnische Nationalhymne – Anm. RdP). Radio Maryja übrigens ist der einzige polnische Sender, der einmal am Tag alle Strophen der Nationalhymne abspielt.

Neulich haben die Studenten der Hochschule für Mediale und Soziale Kultur in Toruń (von Pater Rydzyk 2001 in Toruń gegründete Hochschule, die katholische Journalisten und Politologen ausbildet – Anm. RdP) zum St. Andreas Fest (Nacht zum 30. November – Anm. RdP) eine Feier organisiert, die sie „Unabhängigkeitsball“ nannten. Am Ende sangen sie die »Dabrowski-Mazurka« bis zur letzten Strophe. Wunderbar. Es gibt eine herrliche Jugend, es gibt Hoffnung. Sie darf sich nur nicht verführen lassen. Für böse Menschen ist das ein Leichtes.

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Radio Maryja Hochschule für Mediale und Soziale Kultur in Toruń. Studenten.

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Sehr oft stoβen wir auf ungewöhnliche Zeugnisse, die abgelegt werden von Menschen, deren Leben sich dank Radio Maryja verändert hat. Ihre Sendungen sind eine einzige Schule der Sorge um Polen. Oft eht es darin um alleinstehende, kranke, abgehängte Menschen. Es ist beinahe der einzige Platz im Äther, wo man mit der Evangelisierung in Berührung kommt, begleitet vom ruhigen Gespräch und der Suche nach Wahrheit.

Uns erreichen solche Zeugnisse sehr oft. Sie geben uns Kraft. Doch es ist das Werk sehr vieler Menschen: der Redemptoristen-Padres (Radio Maryja wird vom Redemptoristen Orden betrieben – Anm. RdP), die im Rundfunk arbeiten, der Priester, die die Vorort-Kreise der Familie von Radio Maryja (vereinigen Hörer in einzelnen Pfarreien – Anm. RdP) betreuen, Tausende von Laien und Freiwilligen die unser Radio ausmachen. Es fällt nicht leicht, das alles zu finanzieren. Es sind riesige Kosten.

Hatten Sie nicht Angst vor dieser Herausforderung? Das ist doch keine einmalige Aktion, sondern eine stete Anstrengung, es gibt riesige monatliche Verbindlichkeiten, Rechnungen, Ausgaben.

Dieselbe Frage wurde uns gestellt als wir um die Sendelizenz für Radio Maryja gekämpft haben. Wir wurden schrecklich blockiert, man versuchte uns zu entmutigen, wandte verschiedene Tricks an. Sie (der Landesrundfunkrat – Anm. RdP) haben uns gefragt: „Pater, woher wollen Sie dafür das Geld nehmen?“. Ich habe geantwortet, die Leute werden es geben, so wie sie für Kirchen, für die katholische Universität Lublin und andere Werke spenden. Man hat es belächelt.

Und dann kam mir eine Idee. Ich habe mich daran erinnert, dass wir vor nicht langer Zeit die Monstranzen vergoldet hatten und die Menschen dafür Ringe und Schmuck gespendet haben. Es kam u. a. ein Herr mit zwei Kindern, zog den Siegelring vom Finger und gab ihn uns. Er sagte: „Ich bin der Muttergottes viel schuldig“. Ich weiβ nicht einmal, wie er hieβ.

Etwas von dem Gold war übriggeblieben. Ich habe gesagt: „Ich habe Gold. Kommt nach Toruń, ich zeige es euch.” Zum Glück kamen sie nicht, denn es war nur eine Handvoll, aber es hat gewirkt. Später entstand daraus die Legende von Koffern voller Schmuck und Dollars, die ich angeblich zur Sitzung des Landesrundfunkrates mitgebracht haben soll. Das ist nicht wahr. Ich bin mit dem Bild der Muttergottes hingefahren, vor dem Kardinalprimas Wyszyński gebetet hat.

Dieses Radio ist durch Gebete erfleht worden. Nächtelang haben wir uns dafür im Gebet an Gott gewandt. Die Parzelle in Toruń hat das inzwischen schon verstorbene Ehepaar Poznański unserem Orden geschenkt. Ich hatte oft das Gefühl, dass Gott dieses Werk leitet.

Sie wiederholen oft: „Lasst uns so beten, als würde alles von Gott abhängen und lasst uns so arbeiten, als wäre alles von uns abhängig“.

Denn so ist es. Deswegen versuchen wir die Menschen so gut zu erreichen wie es nur geht: über Satelliten, Internet, Fernsehen. Und die Menschen geben uns Ratschläge, kümmern sich darum, dass sich das alles weiterentwickelt.

Jetzt haben sie den ersten Spielfilm hergestellt „Abgebrochene Ähre“ („Zerwany kłos“) über die selige Karolina Kózkówna (1914, als 16-Jährige von einem russischen Soldaten ermordet – Anm. RdP), eine schöne, sehr professionell und mit viel Engagement gedrehte Filmerzählung. Werden weitere folgen?

Wir werden sehen. Erst einmal arbeiten wir daran, dass der Film in die Kinos kommt und jeder ihn sehen kann. Wir warten auf die Vertragsunterzeichnung. Den Film, das will ich unterstreichen, haben die Studenten unserer Hochschule für Mediale und Soziale Kultur gedreht.

Denken Sie auch daran ein Theater zu gründen? Es wird immer schwieriger bei uns ein Theater zu finden, dass auf die wahren Werte setzt.

Nun gut, dann eröffne ich vor Ihnen, als Ersten, unseren Plan etwas zu schaffen, was ich vorläufig das „Institut Johannes Paul II. »Gedenken und Identität«“ nennen werde. Ich sehe das u. a. als ein sehr modernes Museum, wie das Museum des Warschauer Aufstandes in Warschau oder das Holocaust-Museum in Washington. Licht, Ton, Bilder, Laser. Der Besuch dort soll ein Erlebnis schaffen, die Identität der jungen Menschen formen, die Herzen bewegen. Dort soll die Schönheit Polens, seiner Geschichte, so wie Johannes Paul II. darüber sprach, gezeigt werden.

Und das Theater?

Dort soll es eine Aula für sechshundert Personen geben und eine Theaterbühne. Dorthin sollen gute, integre Schauspieler kommen, Theater machen und bei der Gelegenheit unsere Studenten unterrichten. Ich sehe einen groβen Bedarf dafür. Das was heute gezeigt wird ist oft Antikunst.

Sind das weit in der Ferne liegende Pläne?

Ich weiβ nicht, ob ich das sagen soll… Nun gut, Architekten arbeiten bereits daran. Bei einer guten Idee, einem wertvollen Einfall, soll man nicht zögern, sondern ihn umsetzten. Geschäftspläne für die Evangelisation soll man nicht machen. Wenn es ein gutes Werk ist, dann wird Gott helfen. Und gute Menschen. Radio Maryja ist ein Beweis dafür. Für den Film „Abgebrochene Ähre“ haben Menschen ein Prozent ihrer Einkommenssteuer gespendet. Das ganze Projekt kostete 550.000 Zloty (ca. 130.000 Euro – Anm. RdP). Jeder kann nun sehen, wie sinnvoll das Geld ausgegeben wurde.

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„Beten ist immer die Rettung“. Kirche der Allerheligsten Jungfrau Maria – des Sterns der Neuen Evangeliserung und des Hl. Johannes Paul II. in Toruń. Aus Spenden gebaut und eingeweiht im Mai 2016 in unmittelbarer Nachbarschaft des Radio-Maryja-Funkhauses und der Radio-Maryja-Hochschule.

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Haben Sie heute das Gefühl, dass das Bestehen von Radio Maryja sicher ist? Es gab Jahre, in denen fast jeden Monat eine neue mediale Treibjagt auf Sie und das Radio begann. (…)

Dass der Radiosender ganz sicher ist, das kann ich nicht sagen. (…) Gegen uns arbeiten internationale Kräfte. Sie sind im Kampf gegen uns bis sehr weit nach oben vorgedrungen, leider auch innerhalb der Kirche. Sie haben verschiedene Methoden angewendet. Es gab Augenblicke, in denen war der Druck geradezu unerträglich, und das von allen Seiten. Rettung, Zuflucht und Kraftquelle für mich war damals das Gebet. Stundenlang habe ich in der Kapelle gekniet und Gott um Unterstützung gebeten. Beten ist immer die Rettung. (…)

Hatten Sie Angriffe erwartet?

Ich war vorbereitet, aber ich hätte nicht gedacht, dass es derartige Verleumdungen hageln würde, derartige Lügen, und dass sogar einige Geistliche ihnen Glauben schenken würden.

Die erfundene Maybach-Limousine oder ein Hubschrauber, den Sie für sich gekauft haben sollen.

Ich habe Maybachs – als Modellautos, die mir die Zuhörer geschickt haben (lacht). Als es veröffentlicht wurde, wusste ich nicht was ein Maybach ist. Später, bei einer Fahrt auf der Autobahn, hat man mir einen Maybach gezeigt. Nichts Besonderes, ein Auto eben.

Haben Sie versucht diese Information richtig zu stellen?

Das hatte damals (2004 – Anm. RdP) die „Gazeta Pomorska“(„Pommerische Zeitung” – Anm. RdP) in die Welt gesetzt. Mein Mitarbeiter, Pater Jan hat daraufhin den Chefredakteur angerufen und ihm gesagt, dass das nicht stimmt. Er antwortete: „Ja, aber wir haben es schon geschrieben und das ist jetzt eine Tatsache“. Er hat es nicht richtig gestellt. So funktioniert das.

Mit dem Hubschrauber war es so. Irgendjemand hatte uns gesagt, dass eine Firma Pleite gegangen sei und sehr preiswert eine solche Maschine verkaufen wolle. Ich dachte mir, das sollte man sich doch einmal ansehen. Ich wollte sie nicht für mich, sondern für unsere Techniker, die auf den damals noch miserablen Straβen lange unterwegs waren bis sie am anderen Ende Polens ankamen, um eine Sendeanlage zu reparieren. Für ein Radio bedeutet jede Stunde Schweigen einen Verlust von Zuhörern, und erst recht wenn es sich um einen ganzen Tag handelt!

Wir sind also hingefahren. Sie haben uns sogar auf einen Probeflug mitgenommen und ich konnte zum ersten Mal unser Radio von oben sehen. Doch der Preis war für uns unvorstellbar hoch. Danach stellte sich heraus, es war eine Provokation. Nicht die erste und sicherlich nicht die letzte.

Wir wurden sehr oft in ähnlicher Weise heimgesucht. Eine Zeitung hatte sogar dauerhaft zwei Mitarbeiter beauftragt uns rund um die Uhr zu beobachten. Die Armen mussten uns auflauern. (…)

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Briefmarke der Polnischen Post zum 25. Jahrestag der Gründung von Radio Maryja.

Man kann sich unter solchen Umständen leicht abkapseln, das Vertrauen in die Menschen verlieren. War es bei Ihnen so?

Nein. Ich fühle mich immer frei. Ich fürchte mich nur vor Gott, möchte vor dem Jüngsten Gericht bestehen, um nicht in die Hölle zu gelangen. Ich bange um mein Gewissen, aber ich werde nie kapitulieren. Andererseits erfahre ich auch unglaublich viel Wohlwollen. Vor einigen Jahren war das manchmal anders. Heute kommen die jungen Leute von selbst auf mich zu, grüβen, sprechen mich freundlich an.

Machen sie auch Selfies mit Ihnen?

Ja. Wenn ich nicht gerade sehr in Eile bin, dann willige ich ein, auch wenn ein solches Foto das Gesicht sehr entstellt (lacht).

Manche behaupten die „Gazeta Wyborcza“ (die linksradikale „Wahlzeitung“, eine unerbittliche mediale Gegnerin von Radio Maryja – Anm. RdP) sei im Begriff unterzugehen.

Das sind Märchen. Wie oft hat man schon darüber geschrieben. Wahrscheinlich bereiten sie wieder etwas vor, verpuppen sich. Sie sind doch gerade dabei einen neuen TV-Sender zu eröffnen, geben insgesamt um die zwei Dutzend Pressetitel heraus, haben Internetportale. Nur naive Menschen können so etwas behaupten. Ich lasse mich nicht täuschen. Allzu mächtige Kräfte stehen hinter ihnen, als dass sie abstürzen könnten.

George Soros (US-Milliardär, der in Polen viele linke Projekte, u. a. „Gazeta Wyborcza“ mitfinanziert – Anm. RdP) wird es nicht zulassen?

Es ist nicht nur der eine Soros. Hauptsache es gibt mehr Gutes in Polen.

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Pater Rydzyk und Jarosław Kaczyński. Text auf dem Plakat: „Wir flehen um Einigkeit im Vaterland‘.

Ein Jahr nach dem politischen Wechsel gibt es mehr davon? Wie beurteilen Sie die jetzige Regierung?

Vor allem hoffe ich, dass diejenigen die Regieren das Gute wollen. Bei vielen Regierungsmitgliedern sehe ich, dass es edle Menschen sind, dass sie für Polen arbeiten wollen. Oft höre ich im Ausland, dass man uns um diesen Staatspräsidenten, diese Regierung beneidet. Es sind Menschen die beten, die sich um ihr Land kümmern.

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Pater Rydzyk und Staatspräsident Andrzej Duda am Rande der Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der Gründung von Radio Maryja in Toruń am 4. Dezember 2016.

Doch den Tag sollte man erst nach dem Sonnenuntergang loben und Menschen erst nach ihren Tod heiligsprechen. Jeder macht Fehler. Vor uns befinden sich Fallgruben und andere Fallen, und um sie herum viele Menschen aus den alten Seilschaften. Wir sehen, wie sie Sand ins Getriebe streuen. (…)

Ist es nicht ausreichend die politische Macht zu erobern, um zu regieren?

Nein, weil das Gewissen das wichtigste ist. Hochschulen, Medien, die Opposition sind nicht nur von anständigen Menschen bevölkert.

In den letzten Monaten haben diese Menschen nicht gescheut dazu aufzurufen Polen mit verschiedenen Strafen und Sanktionen zu belegen.

Ich sage es offen: Das ist Verrat. In Polen sollten wir unsere polnischen Probleme allein lösen. Nehmen wir etwa das „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“. Ich frage: welcher Demokratie? Vielleicht der sozialistischen? Das sind Menschen aus den alten Seilschaften. Nicht alle, einige wurden verführt, aber die meisten doch.

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Pater Rydzyk und Ministerpräsidentin Beata Szydło im Studio von Radio Maryja.

Es wird behauptet, Sie bekommen Millionen von Zloty von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit.

Das sind Verleumdungen. Ich habe nichts bekommen und ich habe Recht und Gerechtigkeit um nichts gebeten. Wenn es die Möglichkeit gibt eine offene, transparente Ausschreibung zu gewinnen, warum sollten wir nicht daran teilnehmen? Alles ist transparent, man sieht es, kann es überprüfen. (Im April 2016 bekam der Fernsehsender von Radio Maryja, Trwam von Kulturministerium 140.000 Zloty – ca. 33.000 Euro für eine Werbekampagne, die das Bücherlesen fördern soll zuerkannt – Anm. RdP).

Haben wir etwa keine Bürgerrechte? Steht uns etwa nicht das Recht zu geachtet zu werden? Neulich haben sie eine Frau zu uns geschickt, die mit einer Fratzenmaske Jarosław Kaczyńskis um unsere neue Kirche lief. Mit welchen Recht eigentlich? Hat Jarosław Kaczyński nicht schon genug gelitten?

Man kann mit jemandem anderer Meinung sein, aber man sollte sachbezogen diskutieren. Das was sie machen, bewegt sich auf einem sehr niedrigen Niveau. Dieses ständige Aufeinanderhetzen der Menschen tötet seelisch. Dasselbe haben sie nach der Tragödie von Smolensk (Absturz der polnischen Präsidentenmaschine am 10. April 2010, alle 96 Insassen kamen ums Leben – Anm. RdP) gemacht. Dieses Verhöhnen des menschlichen Todes, des Leidens. Das ist sehr unpolnisch, das gehört nicht zu unserer Zivilisation. Das ist so bolschewistisch (…)

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Wie sehen Sie die Zukunft Polens? Die Linke und die Medien wollen uns davon überzeugen, dass wir „entchristlichen“ müssen, das Erbe der abendländischen Kultur und der Nation von uns weisen sollen, dass wir den Weg des Westens gehen sollen.

Diese Leute verstehen nichts oder sie werden vom bösen Willen getrieben. Oder beides. Wir müssen nichts, wir können unseren eigenen Weg gehen. Und im Westen sollten sie aufpassen, dass ihnen die Moslems nicht auf ihre Art die Religion beibringen.

Die Zeiten sind unruhig geworden. (…)

Ja es ist sehr unruhig. Wir dürfen nicht den Grundsatz vergessen: willst du Frieden, bereite Dich auf den Krieg vor. Die vorherige Regierungsmannschaft hat uns entwaffnet. Es gibt kaum eine Armee. Standorte wurden geräumt oder ganz aufgegeben. Wachdienste bewachen die Kasernen und das Militär geht um 15 Uhr nach Hause. Es ist lächerlich.

Sie haben es auf alles abgesehen: auf die Armee, die Bildung, Kultur, den Geist, die Kirche. Das alles muss wieder aufgebaut werden und es ist gut, dass das geschieht.

Bis jetzt wurden die Polen vor allem dazu angehalten zu emigrieren, sich als Arbeitskräfte in reichen Ländern zu verdingen. Dieses Emigrieren zerrüttet die Familien, macht Kinder zu Euro-Waisen. Deswegen freue ich mich, dass endlich Hoffnung zu keimen beginnt. Wir sollten keine Minderwertigkeitskomplexe haben. Auch die Kirche in Polen darf keine Komplexe haben. Wir als Kirche müssen wir bleiben und der Wahrheit dienen.

RdP




Ein Donald mehr erschreckt nicht sehr

Polen und der neue US-Präsident.

Deutschland bibberte vor Angst und bebte vor Empörung. In Polen staunte man eher, wägte ab und legte Donald Trumps Wahlkampfaussagen über Putin und die Nato erst einmal nicht auf die Goldwaage. Denn diesen Aussagen gegenüber stehen schlieβich die ausgesprochen polenfreundlichen Worte und einige Zusagen des Wahlkämpfers Donald Trump. Was von all dem wird Trump am Ende umsetzten?

Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen

Selbst am frühen Morgen danach, in den Stunden des gröβten deutschen Entsetzens über Donald Trumps Sieg, versäumten es einige deutsche Politiker nicht,  Polen, wie üblich, zu rügen und zurechtzuweisen. SPD-Chef Sigmar Gabriel sah „Polen mit Kaczynski“ als Mitglied einer „autoritären und chauvinistischen Internationale“, deren Vorreiter Trump sei.

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Bei deutschen Politikern wie Sigmar Gabriel (SPD) oder Karl-Georg Wellmann (CDU) gerät die Trump-Schelte schnell zur Polen-Schelte

Trump und Kaczynski gehe es, so Gabriels Analyse, „um ein echtes Rollback in die schlechten alten Zeiten. In denen Frauen an den Herd oder ins Bett gehörten, Schwule in den Knast und Gewerkschaften höchstens an den Katzentisch. Und wer das Maul nicht hält, wird öffentlich niedergemacht.“

CDU-MdB und „Polen-Experte“ Karl-Georg Wellmann sah in den US-Wahlen „ein Alarmsignal, besonders für Polen“. Kaczynskis frühere Aussage über den Vorrang der Partnerschaft mit den USA sei, in Wellmanns Augen, eine „fatale Leichtsinnigkeit“. Man müsse in Europa zusammenhalten als eine Staaten- und Sicherheitsgemeinschaft. „Polen! Europa ist dein Schicksal!“, rief Wellmann am Ende seiner Stellungnahme pathetisch aus.

Wellmann rieb den Polen Trumps-Aussage, „Putin sei ein groβer Staatsmann“ unter die Nase und pries zugleich einen europäischen Zusammenhalt an, den gerade sein Land mit seiner Russlandpolitik, ständig untergräbt.

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„Das sind die russischen Vorschläge, wie wir unsere Gasversorgung diversifizieren sollten.“

Einerseits spricht sich nämlich Wellmanns Deutschland für Sanktionen gegen Russland aus. Gleichzeitig aber forciert es den Bau einer zweiten unter der Ostsee verlaufenden Russland-Deutschland-Gasleitung  (Nord Stream 2). Damit erhöht Berlin nicht nur die ohnehin groβe Energieabhängigkeit der EU von Russland. Es unterwandert auch die Sanktionen, indem es noch mehr Erdgas-Euro-Milliarden nach Putin-Russland, und somit u. a. zur Finanzierung seiner Aufrüstung, pumpen will.

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Russischer Briefmarken-Block (2012) anlässlich der Fertigstellung von „Nord Stream“. Der Blockrand zeigt den Verlauf der Gasleitung unter der Ostsee vom russischen Wyborg nach Greifswald,.Das Portrait der russischen Zarin und der wichtigsten Totengräberin Polens im 18 Jh., Katharina II., wurde 1712 in Greifswald gemalt.

 

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„Putin-Schröder-Pakt. Die Gasumzingelung Polens“. Titelbild der Zeitschrift „Wprost“ („Direkt“) vom 10. Juli 2005.

Deutsche Regierungspolitiker (Auβenminister Steinmeier) geiβeln die Nato-Verteidigungsanstrengungen und verreiβen sie als „Säbelrasseln“. Die deutsche Industrie mahnt ständig den Abbau der Russland-Sanktionen an. Alle Umfragen ergeben, dass die deutsche Öffentlichkeit mehrheitlich (und zwar von Anhängern der Linken über die SPD bis zur AfD) die Stärkung der Nato-Ostflanke ablehnt, und stattdessen der Abwendung von den USA und der Annäherung an Putin-Russland Vorrang gibt. Auf einen solchen Zusammenhalt soll Polen voll und ganz setzen, sagt sinngemäβ „Polen-Experte“ Wellmann. Die Polen selbst warten lieber erst einmal ab bis Trump seine Entscheidungen trifft.

Trump über Polen

Anders als Hillary Clinton, nahm Donald Trump am 29. September 2016 die Einladung des Polnischen Nationalen Verbandes (Polski Związek Narodowy, Polish National Alliance, kurz PNA) zu einem Treffen in Chicago an.

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Die PNA ist der gröβte und älteste Verband der Amerika-Polen (seit 1880) . Zusammen mit fast ausnahmslos allen anderen landesweiten und regionalen Polen-Verbänden in den USA ist er Mitglied im Kongress der Amerika-Polen (Kongres Polonii Amerykańskiej, The Polish American Congress), einem in den USA politisch durchaus einflssreichen Dachverband.

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Die Polen sind ein Volk  mit einer großen Diaspora. In den USA leben die meisten von den etwa 20 Millionen Auslandspolen. Ihre Zahl wird auf knapp 10 Millionen geschätzt, von denen gut 600.000 Polnisch als Umgangssprache benutzen.

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Polnische Ladenzeile in Chicago.

Polnische Hochburgen in den USA sind die Staaten New York, Illinois und Michigan. Chicago ist mit 1,1 Millionen Polen und polnisch stämmigen Bürgern, nach Warschau, die zweitgröβte polnische Stadt der Welt.

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Anfang Oktober findet in der New Yorker Fifth Avenue seit 1937 der groβe Umzug der Amerika-Polen statt, die Pulaski Day Parade.

Die ersten Polen kamen nachweislich im Oktober 1608 nach Amerika . Eine polnische Massenauswanderung in die USA begann jedoch erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Allein in der Zeit zwischen 1820 und 1914 siedelten sich 2,2 Millionen Polen in den Staaten an.

In seiner Ansprache an die Polen  (Tietelild) war Trump geradezu überschwänglich. Er lobte ihren Beitrag zur Entwicklung der USA. Mit Anerkennung vermerkte er, dass Polen als eines der wenigen Nato-Länder die von den USA geforderten 2 Prozent des Bruttoinlandproduktes für die Verteidigung ausgibt (Deutschland 1,2 Prozent). Er erwähnte den beachtlichen polnischen Einsatz im Irak und in Afghanistan. Er versprach eine Stärkung der Nato, die sich jedoch um die Bekämpfung des Terrorismus kümmern sollte. Über Russland verlor er kein Wort. Trump sagte zudem die Abschaffung der US-Einreisevisa für Polen zu und warb natürlich intensiv um polnische Wählerstimmen. Die meisten von ihnen waren ihm sicher, denn die US-Polen wählen  mehrheitlich republikanisch.

Trumps Ansprache an die Amerika-Polen (ca. 17 Minuten) kann man sich hier ansehen.

Kann Polen auf diese Worte bauen? Donald Trump ist ein Ausbund an Rätseln, und auch die Lösung dieses konkreten Rätsels muss man abwarten. Einen Grund zur Panik jedoch gibt es vorerst nicht.

Die Polen über Trump

Die selbsternannte polnische „aufgeklärte Elite“ wird, wie die deutsche, noch einige Zeit brauchen bis sie sich sicher ist, ob mit Trumps Wahlsieg die Demokratie nur eine Niederlage erlitten hat oder bereits an ihrem Ende angekommen ist. Alles was sie von sich gibt ist ein Abbild dessen, was auch in Deutschland über Trump verkündet wird, und deswegen muss man es an dieser Stelle nicht wiederholen.

Anders ist interessanter.

Drei prominente Polen haben, jeder auf die für ihn typische Weise, zu dem Trump-Erfolg Stellung genommen.

Donald Tusk 

Am schwierigsten hatte es Donald Tusk. Der „Präsident Europas“ hat sich zwar nicht ganz so weit aus dem Fenster gelehnt, wie der deutsche Auβenminister Steinmeier, der Trump während des Wahlkampfes einen „Hassprediger“ nannte und nach seinem Sieg klein beigeben musste.

Anders als Steinmeier wollte Tusk nur witzig sein und veröffentlichte am 5. November die Botschaft: „Der neueste Kommentar meiner Frau: ein Donald ist mehr als genug!“.

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Auch Tusk musste bereits am 9. November kräftig zurückrudern: „Hier mein Glückwunschbrief und die Einladung nach Europa zu einem baldigen EU-US-Gipfel, um die Beziehungen für die nächsten vier Jahre festzulegen.“

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Lech Wałęsa

Lech Wałęsa, gewissermaβen das „Aushängeschild“ des Kampfes gegen die angebliche heutige „Diktatur“ in Polen, frönte wieder einmal seiner Geltungssucht und Selbstgefälligkeit. Er veröffentlichte ein Foto, dass ihn in trauter Zweisamkeit mit Donald Trump zeigt.

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Wałęsas Kommentar zum Bild:

„Ich habe gestern von einigen Amerika-Polen, die in Donald Trumps Wahlbüro waren, erfahren, dass er mir herzliche Grüβe ausrichten lässt. Ich freue mich, dass er sich an unser Gespräch in seinem Klub in Florida 2010 erinnert. Angeblich soll er damals gedacht haben: »Wenn es in Polen möglich war, dass ein einzelner Arbeiter den Kommunismus bezwingt und Präsident wurde, warum sollte dann im kapitalistischen Amerika ein Millionär nicht Präsident werden…« Wie man sieht, war auch meine Geschichte für ihn  eine Art Eingebung, die ihn  zum Handeln veranlasste.“

Erst den Kommunismus allein bezwungen, dann Trump zur Präsidentschaft bewogen… Lech Wałęsa ist nun mal dazu verurteilt die Weltgeschichte zu gestalten.

Andrzej Duda

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Staatspräsident Andrzej Duda hat gratuliert:

„Exzellenz,

ich möchte Sie zum Erfolg im Wettlauf um die fünfundvierzigste Präsidentschaft der Vereinigten Staaten beglückwünschen, und Ihnen eine ausgesprochen gelungene Amtsperiode wünschen.

Die Beziehungen zwischen Polen und den USA sind ein hervorragendes Beispiel für eine strategische Partnerschaft, die auf gemeinsamen Idealen fuβt. Ihr Kern ist die Freiheit, die uns, Polen, den Amerikanern und mir persönlich sehr viel bedeutet.

In den letzten Jahrzehnten haben wir viele Initativen ergriffen, um das was uns verbindet zu festigen. Dazu gehören politische Konsultationen auf höchster Ebene im Rahmen des polnisch-amerikanischen strategischen Dialogs, aber auch bereits weit entwickelte Formen der Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit, Verteidigung, des Handels und der Innovation.

Die polnisch-amerikanischen Beziehungen sind ein wichtiger Eckpfeiler der europäischen und transatlantischen Stabilität geworden. Ganz besonders freut es uns, dass sich während des diesjährigen Nato-Gipfels in Warschau die Vereinigten Staaten entschlossen haben die Ostflanke des Bündnisses zu stärken. Wir hegen die aufrichtige Hoffnung, dass Ihre Führung neue Möglichkeiten schaffen wird für unsere Zusammenarbeit, die auf einer gemeinsamen Verpflichtung beruht.

Ich persönlich bin Ihnen dafür dankbar, dass Sie während Ihres Präsidentschaftswahlkampfes Zeit für ein Treffen mit den USA-Polen gefunden haben. Die polnischen Amerikaner wissen ihre lobenden Worte für unser Land, für die Amerika-Polen selbst und ihre Rolle in der Entwicklung der USA zu schätzen.

Ich möchte Ihnen noch einmal gratulieren und eine erfolgreiche Präsidentschaft wünschen. Ich hoffe auf zahlreiche Gespräche, die wir sowohl bilateral, wie auch innerhalb internationaler Foren werden führen können.

Mit Hochachtung,
Andrzej Duda“

Fünf gute Gründe aus polnischer Sicht guter Hoffnung zu sein

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1. Dudas Gratulation für Trump gibt vor allem einer Hoffnung Ausdruck, die nicht nur die Regierenden, sondern die meisten Polen hegen: die USA werden ihre gerade  erst erhöhtes Engagement an der Nato-Ostflanke beibehalten. Ab Januar 2017 soll in Polen eine US-Panzerbrigade stationiert werden. Auβerdem soll ein von den Amerikanern befehligtes internationales Bataillon (eintausend Soldaten aus den USA, Groβbritannien, Rumänien) im Frühjahr 2017 dauerhaft nach Polen kommen. Je ein weiteres solches Bataillon (lediglich in anderer nationaler Zusammensetzung) soll in die drei baltischen Staaten verlegt werden.

2. In Polen geht man vorerst mehrheitlich davon aus, dass ein Mann mit dem Temperament Trumps sich Putins Sticheleien und Provokationen nicht lange wird bieten lassen. Zugunsten Putins klein beigeben, das wäre eine Absage an Trumps Wahlslogan „Make America Great Again“. Trump ist für Putin viel unberechenbarer als Obama es war oder Hillary Clinton es wäre. Das dürfte Putins Risikobereitschaft zügeln.

3. Trump wird von Beratern umgeben sein, die, wie Newt Gingrich Hardliner sind. Im Kongress gibt es zudem genügend einflussreiche Republikaner die eine nachsichtige Haltung gegenüber Putin ablehnen. Des Weiteren bleiben die Kommandostrukturen der US-Army, der CIA, NSA und ander Geheimdienste bestehen, ebenso wie die strategischen Interessen der USA. Trump kommt schwerlich an alldem vorbei.

4. Wenn Trump seine Ankündigung ernst meint, die USA werden nur Staaten helfen, die sich selbst ernsthaft um ihre Sicherheit kümmern und (wie Polen) mindestens 2 Prozent ihres BIP für die Verteidigung ausgeben, dann wird das zu einer deutlichen Stärkung des Bündnisses führen.

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„Krawall Diplomatin“ (Der Spiegel) Victoria Nuland und ihr Kollege im Geiste, Daniel Fried, werden nun von ihrer „Aufseher“-Funktion in Warschau entbunden.

5. Schon während seines Treffens mit den Amerika-Polen hat sich Trump von der beinahe ständigen Einmischung der Obama-Administration in innerpolnische Angelegenheiten distanziert. Ende 2015 und Anfang 2016 schickte Washington mehrere Male die sehr machthaberisch und und überheblich auftretende Referatsleiterin für Europa und Eurasien im US-Auβenministerium, Victoria Nuland, nach Warschau, die sogar „Der Spiegel“, wegen ihres unsäglichen Auftretens in der Ukraine, „Amerikas Krawall-Diplomatin“ nannte. Ähnlich führte sich bei seinen Besuchen ein anderer US-Kontrolleur auf, der Diplomat und ehem. Botschafter in Warschau (1997-2000), Daniel Fried,. Beide werden nun von ihrer „Aufseher“-Funktion in Warschau entbunden.

Fazit

Stanisław Janecki, der führende Kommentator und politische Beobachter auf der konservativen Seite ging sogar so weit zu schreiben:

„Auf die Zukunft und die Sicherheit Polens während der Präsidentschaft Donald Trumps schauen wir mit Zuversicht. Schlechter war es bereits, jetzt kann es nur noch besser werden. Die Präsidentschaft Donald Trumps ist für Polen eine Chance, keine Bedrohung.“

Seine Worte in Gottes Ohr.

© RdP




Der zartrote Verführer

Am 9. Oktober 2016 starb Andrzej Wajda.

In ihren Nachrufen auf den Regisseur haben deutsche Medien mit Zuckerguss nicht gegeizt. Doch Übertreibung schadet der Wahrheit. Ein „Unbeugsamer“ soll Andrzej Wajda gewesen sein, „eine moralische Instanz und ein Romantiker“. Der Berliner „Tagesspiegel“ sah ihn gar in Polen so „verehrt wie zuletzt allenfalls (!!! – Anm. RdP) der unerschrocken parteikritische Kardinal Karol Wojtyła.“

Oder war der Papst-Vergleich vielleicht doch gar nicht so falsch? Zweifelsohne sah sich Andrzej Wajda in den letzten Jahren seines Lebens als Verkünder unumstöβlicher politischer Dogmen. Wie Perun, der Donnergott in der slawischen Mythologie, schleuderte er, von Groll und Zorn gepackt, Verwünschungen jenen entgegen, die er nicht ausstehen konnte: „Kaczyński ist ein Trottel. Dagegen gibt es Pillen. Er soll sich behandeln lassen!“

Gut sechzig Jahre lang dauerte die künstlerische Laufbahn des „Unbeugsamen“. Sie war gesäumt von Kehrtwenden, Brüchen, Zugeständnissen, die nicht selten Geständnissen glichen

Auf die polnische Art

Sein Werk ist gewaltig: sechzig Spielfilme, zumeist Sozialdramen. Egal wo und wann sie spielen, stets haben sie einen deutlichen Bezug zum Hier und Jetzt. Davor verschonte Wajda nicht einmal die Passionsgeschichte, die er 1971 in seinem theatralisch geschwollenen, experimentellen Film „Pilatus und andere“ ins damalige Westdeutschland verlegte, und Jesus über den Dutzendteich auf dem ehemaligen Nürnberger Reichsparteitagsgelände wandeln lieβ.

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Wajdas „Pilatus und andere“. Jesus wandelt über den Dutzendteich auf dem ehemaligen Nürnberger Reichsparteitagsgelände.

Mit seinem Schaffen reiht er sich zweifelsohne in die Galerie der groβen Filmemacher des 20. Jahrhunderts ein: Michelangelo Antonioni, Ingmar Bergman, Luis Buñuel, Federico Fellini, Akira Kurosawa, Luchino Visconti…

Gemeinsam war ihnen nicht nur die Überzeugung, dass das Kino die Welt verändern kann. Sie alle waren zudem stark verwurzelt in ihrer nationalen Identität und verstanden es dennoch, auf ihre polnische, japanische, italienische Art, Zuschauer in den entlegendsten Gegenden der Welt anzusprechen, zu fesseln, gar zu bezaubern.

Kurosawa wäre undenkbar ohne die japanische Samurai-Tradition, Fellini ohne sein geliebtes Rom, Bergmann ohne die distanzierte Kühle Schwedens. Wajda war ein ganz und gar polnischer Regisseur. Polnische Geschichte und polnische Literatur lieferten ihm die meisten Vorlagen für seine Filme. „In Hollywood müsste ich fremde Ideen umsetzen“, pflegte Wajda auf die Frage zu antworten, warum er nicht ausgewandert sei.

Ein Junge am Abgrund

„Offiziersfamilie, eine vom Patriotismus durchdrungene Schule und die Kirche“, das waren die tragenden Säulen der Welt seiner Kindheit. Geboren 1926 im nordostpolnischen Suwałki, erlebte er mit dreizehn Jahren, im September 1939, den Kriegsbeginn. Polen wähnte sich damals sicher. Die knapp eine Million Soldaten zählende Armee, wenn auch nicht sehr modern ausgerüstet, so doch gut ausgebildet und hochmotiviert, sollte zwei, drei Wochen lang Widerstand leisten, bis die Verbündeten, England und Frankreich, Deutschland im Westen angreifen würden. So war es vereinbart. Da konnte nichts schiefgehen. „Hitler wäre ein Idiot, sollte er uns angreifen. Der riskiert nie einen Zweifrontenkrieg“, das war die gängige Meinung.

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September 1939. Über der Leiche Polens  werden Feinde zu Freunden. Hitler: „Der Abschaum der Menschheit, nehme ich an?“ Stalin: „Und habe ich nicht die Ehre mit dem blutigen Mörder der Arbeiter?“ Britische zeitgenössische Karrikatur.

Stattdessen überfielen Deutschland (am 1. September 1939) und die Sowjets (am 17. September 1939) gemeinsam Polen und teilten es, wieder einmal, auf. Und die Verbündeten? Sie erklärten zwar am 3. September 1939 Hitler den Krieg, schrieben jedoch Polen gleichzeitig insgeheim ab. Während das kämpfende Warschau sich im deutschen Bombenhagel in eine Ruinenlandschaft verwandelte, beschränkten sich die französischen Kampfhandlungen im Westen damals auf das Flugblätterabwerfen über einigen deutschen Städten unmittelbar hinter der Grenze.

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Mit dreizehn Jahren erlebte Wajda im September 1939 den Zusammenbruch Polens. Es war ein Trauma, von dem er sich, und mit ihm groβe Teile der Nation, seelisch nie erholt haben.

Mit ansehen zu müssen wie sein Land, auf das er uneingeschränkt stolz war, nach gerade einmal zwanzig Jahren Unabhängigkeit, innerhalb von nur vier Wochen zusammenbrach, war für Wajda ein Trauma, von dem er sich, und mit ihm groβe Teile der Nation, seelisch nie erholt haben.

Für Krzysztof Kłopotowski, einen der führenden Filmkenner- und Kritiker Polens, steht fest: „Nach dieser Erfahrung war Wajda überzeugt, dass es ein eigenständiges Polen, wie vor dem Zweiten Weltkrieg, nicht geben kann“ („Gazeta Polska“ –„Polnische Zeitung“, 12. Oktober 2016).

Anfänge in rot

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Wajda ließ sich von der Woge des kommunistischen Propagandapathos der ersten Nachkriegsjahre mitreiβen.

So gesehen hatte der Kommunismus im Nachkriegspolen in Wajdas Augen schon seine Richtigkeit. Das Land war wieder einmal an Russland, diesmal ein kommunistisches, angekettet. Der junge Mann ließ sich von der Woge des kommunistischen Propagandapathos der ersten Nachkriegsjahre mitreiβen.

Er trat 1946 in die kommunistische Partei wajda-plakat-1ein, lieβ aber nach einigen Jahren die Mitgliedschaft wieder einschlafen, verschwieg sie nach einem Wohnortwechsel. Der Sohn eines „bürgerlichen Vorkriegsoffiziers“ wollte sich auf diese Weise den aufkommenden stalinistischen Säuberungs- und Wachsamkeitskampagnen entziehen, die die Parteireihen immer wieder lichteten. Jahrzehnte später, in seiner Autobiographie, überging Wajda, der „Unbeugsame“, diese Episode mit einem Satz: „Ich war nie Parteigenosse“. Er hoffte, das Geschehnis sei längst vergessen. War es aber nicht.

Im Jahr 1948 wechselte der angehende Maler Wajda von der Kunsthochschule in Kraków zur Filmhochschule in Łódź. „In den 50er Jahren handelte es sich hierbei um eine ideologische Einrichtung. Die Filmhochschule war neu, hatte keine Tradition und sie sollte die neue sozialistische Filmelite erziehen. Eine ideologische Vorausabteilung, die die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen entscheidend mitprägen sollte“, schrieb Wajda.

Ein Gaukler macht sich an die Arbeit

Sein Debütfilm „Eine Generation“ von 1955 war noch ein Werk aus der Agitprop-Kiste der damaligen, dumpfen kommunistischen Indoktrination. Junge, heldenmutige kommunistische Widerständler kämpfen und sterben im besetzten Warschau, während die bürgerliche, verkommene Untergrund-Heimatarmee (AK), obwohl sie mehr Waffen und viel Geld hat, sich feige dem Kampf entzieht und im Grunde gemeinsame Sache mit den Nazis macht.

Doch bereits hier kam Wajdas handwerkliches Können zur Geltung. Er verpackte das Ganze in ein neorealistisches Kostüm, wie es die italienischen Meister des Genres, Visconti oder Rossellini („Rom, offene Stadt“), nicht besser hätten machen können. Zwar ergeht sich eine kommunistische Agitatorin immer wieder in ihren endlosen Tiraden, doch wenn sie schweigt, dann wirken die jungen Schauspieler auf der Leinwand, für die damaligen Begriffe, erfrischend natürlich, sehr untheatralisch. Eine stellenweise überaus dynamische, präzise und, für damalige Zeiten, einfallsreiche Kameraführung schuf einige Szenen, die unter die Haut gehen und längst Kultstatus haben. Ein schwer verdaulicher Propagandakloβ geriet so zu einem künstlerischen „Ereignis“.

Fragment aus „Eine Generation“. Die jungen Kommunisten helfen einem Trupp jüdischer Kämpfer, der sich während des Aufstandes im Warschauer Ghetto im April-Mai 1943 durch die Kanalisation auf die „arische“ Seite rettet. Für Jasio endet die Aktion tragisch. 

Was sich in „Eine Generation“ abzeichnete, sollte schon bald sein Markenzeichen werden. „Wajda ist ein Gaukler der Leinwand, ein Meister der Ablenkung, der es mit seinem hervorragenden handwerklichen Können versteht, eine Aneinanderreihung filmischer Zaubertricks in Filmkunst zu verwandeln. Die Zuschauer staunen über die weiβen Tauben, die der Illusionist aus dem Ärmel hervorzaubert, lassen sich von Wajdas Erzählstil verführen, die Botschaft bleibt unaufdringlich im Hintergrund, verliert jedoch dadurch keineswegs ihre Wirkung“, schreibt der Historiker und Filmkenner Tomasz Łysiak („Gazeta Polska“, 8. August 2012).

Therapie gegen die Freiheit

„Finis les rêveries, messieurs – „Genug der Träumereien, meine Herren“, das waren die Worte des Zaren Alexander II., als er im Mai 1856 Warschau besuchte. Dabei galt der junge Monarch, im Gegensatz zu seinem tyrannenhaften Vater Nikolaus I., als Reformer. Eine Abordnung polnischer Honoratioren bat ihn, Polen innerhalb des Zarenreiches etwas mehr Autonomie zuzugestehen. Vergeblich.

„Genug der Träumereien”, das war auch jahrzehntelang Wajdas Botschaft an seine Landsleute.

„Ich habe versucht den Zuschauer davon zu überzeugen, dass man nicht kämpfen sollte, wenn man nicht im Recht ist. Man soll nicht zum Schlag ausholen, bevor man nicht überlegt hat, ob ein solches Ausholen Sinn macht. Wir haben den Menschen die Überzeugung von der Richtigkeit einer solchen Haltung eingebläut. (…) Wir nehmen unsere Arbeit ernst. Sie ist eine Art Therapie“, so Wajda 1962.

Zu therapieren galt es die polnische Gesellschaft, sie zu befreien von dem angeblichen „polskie szaleństwo“, dem „polnischen Wahnsinn“ des ständigen Strebens nach Freiheit und Unabhängigkeit, koste es was es wolle. Eine Gesellschaft, deren Zustand nach 1945 der Historiker und Literaturkritiker Jan Józef Lipski so beschrieb: „Der Schock nach dem Ende des Krieges war für Polen schrecklich. Polen, das erste Land, das sich Hitler entgegengestellt hatte. Die Polen, ein Volk das an vielen Fronten des Krieges gekämpft hat. Polen, ein Land, das einen mächtigen Staat und eine Armee im Untergrund aufbaute. Es wurde von den eigenen Verbündeten, Groβbritannien und den USA, an den sowjetischen Angreifer ausgeliefert. Es war ein schreckliches Erlebnis und eine Demütigung, mit einer Schlinge um den Hals, an den Sattel des Siegers geknüpft, in sein eurasisches Imperium gezerrt zu werden.“

Den polnischen Kommunisten gelang es, nur dank der militärischen Unterstützung des Sowjets, bis Ende der 40er Jahre den bewaffneten Widerstand gegen ihre Tyrannei im Land zu brechen. Jetzt galt es das geistige Rückgrat des Widerstands zu brechen.

Die Polen sollten sich in ihrem Käfig endlich einrichten, Ruhe geben, „Träumereien“ abschwören, sonst konnte es für sie noch viel schlimmer kommen. Da war es wichtig, Symbole und Ereignisse, die den polnischen Selbstbehauptungswillen verkörperten zu zerstören, sie als längst überholt und grotesk darzustellen, sie lächerlich und letztendlich vergessen zu machen. Die gesamte kommunistische Propaganda, die Literatur, die Erziehungs- und Schulprogramme waren darauf ausgerichtet.

Mit Säbeln auf deutsche Panzer

Wajda war mit Herzblut dabei. Im Film „Lotna“ (1959), dem ersten polnischen Farbfilm, der vom Verteidigungskrieg 1939 handelt, reiten polnische Kavalleristen (Fragment hier zu sehen) eine Attacke gegen deutsche Panzer und versuchen sie mit ihren Säbeln zu zerschlagen. Zwar hatte es nachweislich während des ganzen „Polenfeldzuges” nie einen solchen Vorfall gegeben. Wajda griff dennoch das von Goebbels oft genutzte Propagandabild auf, um die angeblich „typisch polnischen” Eigenschaften: Selbstüberschätzung und Fanatismus noch krasser darzustellen und zu geiβeln. Den kommunistischen Propagandisten war es nur recht.

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Laut Wajda „typisch polnisch“: mit dem Säbel gegen Panzer. Szene aus „Lotna“.

Im Film „Kanal“ (1957) irrt im September 1944 ein Trupp Warschauer Aufständischer durch die unterirdischen Abwasserkanäle und kommt elend um im flieβenden Unrat. Es wird ein Inferno dargestellt, in Bildern von unvergesslicher Prägung. Die Kamera guckt genau hin, als in dem flieβenden, ekelhaften Auswurf die rogatywka treibt, die traditionelle Eckenmütze des polnischen Militärs. Sie gehört einem schwerverwundeten, aufständischen Obristen, den der Trupp unterwegs findet. Mit dem Abzeichen des gekrönten Adlers versehen, von den Kommunisten ohnehin als „nationalsitsich“ abgeschafft, geht das hochgeschätzte Nationalsymbol nun endgültig in der Jauche unter.

„Man hat mir Nihilismus, übertriebene Schwarzseherei, Verachtung für den Heldenmut vorgeworfen. Diese Anschuldigungen trugen Reaktionäre in meinem Land vor, die aus dem Aufstand ein Heiligtum gemacht haben. (…) Der Warschauer Aufstand von 1944 war ein politischer Fehler und, militärisch gesehen, ein Wahnsinn. Was konnte anderes dabei herauskommen. Wahnsinn und Torheit töten die handelnden Personen meines Films in den Abwasserkanälen, am Abgrund der Verzweiflung, ohne Sinn und Notwendigkeit“, klagte Wajda 1958 ausgerechnet in einem Interview für die sowjetische Zeitschrift „Literaturnaja Gazeta“.

Man beachte: schuld sind nicht die Deutschen, die den Polen die Freiheit raubten und ihren Aufstand mit unvorstellbarer Brutalität niederwarfen. Schuld sind auch nicht die Sowjets, die auf dem anderen Weichselufer abwarteten, bis die Deutschen ihr Werk vollbracht hatten. Schuld sind in Wajdas Augen die Opfer selbst.

Schön im Joch bleiben

In „Asche und Diamant“ (1958) stirbt der schwer verwundete, antikommunistische Kämpfer Maciek Chełmicki elend auf der Müllhalde (der Geschichte?). „Die kommunistische Propaganda benutzte jahrzehntelang Wajdas groβes Talent, um die Polen daran zu erinnern, dass es aus dem Moskauer Joch kein Entkommen gibt“, schreibt Piotr Semka („Do Rzeczy“- „Zur Sache“, 17. Oktober 2016).

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„Asche und Diamant“ (1958). Antikommunisten krepieren elend auf der Müllhalde (der Geschichte?).

Der Filmkritiker der „Neuen Züricher Zeitung“ sah das schon vor einem halben Jahrhundert, im Oktober 1959, ähnlich. Er schrieb nach der Vorführung von „Asche und Diamant“: „Künstler wie Andrzej Wajda, und er ist zweifelsohne ein Begabter, sind, egal ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, Boten des geschickt wirkenden Sowjetsystems. Sie werden als Verführer in den Westen geschickt. Die Partei führt sie an der Leine. Sie gewährt ihnen etwas Narrenfreiheit und pfeift sie zurück, wenn sie allzu übermütig werden. Diese jungen Leute (Wajda war damals 33 Jahre alt – Anm. RdP) sind, gerade wegen ihrer Biegsamkeit und vermeintlichen freien künstlerischen Aussage, viel gefährlicher als die langweiligen, behäbigen Barden des sozialistischen Realismus. Es genügt nur, sich Wajdas Filme anzuschauen, um sich davon zu überzeugen“.

Eindreschen macht müde

Je mehr Preise und Anerkennung der Regisseur bekam, umso hartnäckiger pochte er auf den Status des nationalen Wegweisers. „Wajda fühlte sich von Anfang an als die Stimme der aufgeklärten Elite der polnischen Gesellschaft und trat in ihrem Namen auf“, stellt Janusz Wróblewski in der Zeitschrift „Polityka“ (19. Oktober 2016) fest. „Wajda strebte die Position eines nationalen Propheten an, der am besten weiβ, was für die unvernünftigen, kindischen Polen gut ist“, ergänzt Krzysztof Kłopotowski in „Do Rzeczy“ (17. Oktober 2016).

Wajda konnte es nicht lassen. Nach der Premiere seiner Verfilmung (1973) eines der wichtigsten Dramen der polnischen Literatur, der „Hochzeit“ (1901) von Stanislaw Wyspiański, schrieb der Dichter und antikommunistische Dissident Antoni Słonimski resigniert: „Wyspiański träumte von einem freien Polen. Wyspiańskis Groll gegen die Polen der damaligen Zeit, den Schmerz, den er ihretwegen empfand, seinen beiβenden Spott, seine dichterische Abrechnung mit der eigenen Generation übertrug Wajda in die Sprache des Films. Oder besser gesagt, er übertrug es in Geschrei und Gestammel. Die Intellektuellen jener Zeit stellte er dar als eine Bande handlungsunfähiger Possenreiβer, denen in der dumpfen Verwirrung des Besäufnisses irgendwas in den Schädeln vorschwebte.“

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„Hochzeit“ (1973). Das weiβe Pferd, bei Wajda das Sinnbild für Polen, es verendet zu Tode geritten im Dreck…

Bei Wajda reitet Jasiek, der Bruder der Braut, im Auftrag des Hausherren, auf einem weiβen Pferd hinaus. Er soll die Bauern zum Aufstand gegen die Fremdherrschaft aufrufen, sich Gehör verschaffen mit einem goldenen Zauberhorn, das der legendäre Wanderprophet und Drehleierspieler Wernyhora gebracht hat. Jasiek jedoch verliert das Horn. Das weiβe Pferd, bei Wajda das Sinnbild für Polen, es verendet, von Jasiek zu Tode geritten im Dreck…

Wajda lebte seine nationalen Minderwertigkeitskomplexe bis zum Exzess aus. Das polnische Freiheitsstreben war bei ihm nur sinnlos, chaotisch, vergeblich, destruktiv, falsch geplant, absurd, anmaβend. Doch wie er es darzustellen verstand! Die besten Schauspieler mit Leib und Seele dabei. Die Schicksale beeindruckend, herzzerreiβend, tragisch. Die Bilder bewegend und einprägsam.

Doch das Eindreschen macht müde, und so gönnte sich Wajda immer wieder mal eine Auszeit, lieβ ab vom „polnischen Wahnsinn“. Dann drehte er schöne Streifen, wie „Die Schattenlinie“ (1976) nach dem gleichnamigen Roman von Joseph Conrad, „Die Mädchen von Wilko“ (1979) nach einer Erzählung von Jarosław Iwaszkiewicz oder „Der Dirigent“ (1980), in dem er die Hauptrolle John Gielgud, einem der herausragendsten englischen Theaterdarsteller des 20. Jahrhunderts anvertraute. Mit „Das gelobte Land“ (1975), einer Verfilmung des Romans von Władysław Reymont, schuf er sein mit Abstand bestes Filmwerk.

Solidarność mon amour

Im August 1980 erlebten Wajda, und mit ihm ein Teil der selbsternannten „aufgeklärten Elite“, die bisher für den „robol“ (eine verächtliche Ableitung von „robotnik“ – der Arbeiter) nur Geringschätzung übrig hatten, eine Art Erleuchtung, Verzauberung, gar Entzückung. Unter dem Eindruck der Massenstreiks an der polnischen Küste, und vor allem in der Danziger Werft, entbrannte Wajdas Liebe zu Solidarność. Der zum friedlichen Protest erwachten Arbeiterklasse empfahl sich der Regisseur mit seinem Film „Der Mann aus Marmor“ (1977), einer Abrechnung mit dem polnischen Stalinismus, die ihm das damalige Regime, in einem Augenblick der Unschlüssigkeit der Filmaufseher, zu drehen erlaubte.

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„Der Mann aus Hoffnung“ (2013). Wajda versucht die Figur Wałęsa wieder auf ihren einstigen Sockel zu hieven. Hier mit Wałęsa-Darsteller Robert Więckiewicz.

Im Jahr 1980 steckte sich Wajda kurzerhand das Solidarność-Abzeichen an sein Revers und verkündete, für Lech Wałęsa könne er ebenso Filme machen, wie auch dessen Chauffeur sein. Das meinte er ernst. Gut dreiβig Jahre später unternahm Wajda den filmischen Versuch, die durch beharrliche Selbsentblöβung zur Witzgestalt verkommene Figur Wałęsa wieder auf seinen einstigen Sockel zu hieven.

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Nicht einmal Wajda konnte auf Dauer das Renommee Lech Wałesas retten, einer inzwischen nur traurigen Figur, die keiner Peinlichkeit aus dem Weg geht.

Auf der Leinwand bekamen die Polen „Den Mann aus Hoffnung“ (2013) zu sehen, eine überzuckerte Geschichte vom einfachen Werftarbeiter, der im Alleingang den Kommunismus zu Fall brachte. In ihrer Erinnerung hatten sie zu diesem Zeitpunkt aber bereits Wałęsas katastrophale Präsidentschaft (1990 bis 1995) und seine, fast täglich in den Medien erscheinenden, grotesken, prahlerischen Darbietungen, die Berichte über seine Mitarbeit bei der Stasi und über eine Geldgier, die ihn vor den peinlichsten Auftritten nicht Halt machen ließ.

Nicht einmal ein Andrzej Wajda konnte auf Dauer das Renommee eines Lech Wałesa retten, der sich im Mai 2009 für fünfzigtausend Euro als Redner beim Römischen Kongress der EU-feindlichen Partei Libertas „einkaufen“ ließ und gleichzeitig den polnischen Nationalkonservativen ihre angebliche EU-Feindschaft zum Vorwurf machte.

In der bewegten Zeit der ersten Solidarność (August 1980 – Dezember 1981) drehte Wajda den „Mann aus Eisen“ eine Spielfilm-Hommage an die unabhängige Gewerkschaft. Premiere war im Juli 1981, gut vier Monate vor der Verhängung des Kriegsrechts und dem Verbot der Solidarność am 13. Dezember 1981 durch General Jaruzelski.

Comeback nach Zitterpartie

„Wenige Tage später erschien Andrzej Wajda im Arbeitszimmer des damaligen Kulturministers Józef Tejchma“, berichtete Jahre danach der Abteilungsleiter im Ministerium, Jerzy Bednarz, der bei dem Gespräch zugegen war. Etwa zehntausend Solidarność-Aktivisten waren interniert, das Ausnahmerecht mit Polizeistunde, Verhaftungswellen, Hausdurchsuchungen, Panzern und Militärposten auf den Straβen, der Schlieβung der Grenzen, das alles lag wie Blei auf dem Land.

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Wajdas Liebe zu Solidarność kühlte nach Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 deutlich ab. Die Gefängnisse waren voll, der Meister schwieg in Paris als Dank, dass ihn das Regime ausreisen lieβ.

Doch Solidarność-Fan Wajda kam nicht um zu protestieren. Der Unbeugsame „zitterte am ganzen Körper, verrenkte sich gleichzeitig zu immer neuen Verbeugungen, sah dem Minister tief in die Augen und bat inständig, der Ressortchef möge für ihn ein gutes Wort bei Innenminister Kiszczak einlegen.“ Nur Kiszczak konnte in den ersten Tagen des Kriegsrechts  verfügen, dass man Wajda einen Reisepass aushändigt. Der Meister wollte nach Paris, um an dem Film „Danton“ zu arbeiten.

Er bekam das kostbare Dokument. Als Gegenleistung schwieg Wajda einige Jahre lang eisern zur innenpolitischen Situation und der Menschenrechtslage in seinem Land, drehte wenig. Die Zeit zwischen 1982 und 1990 war zweifelsohne die unfruchtbarste in seiner Karriere.

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Mai 1989. Solidarność-Senatskandidat Wajda. Wahlplakat mit Chef.

Mitte 1989 wurde Solidarność wieder zugelassen und der begeisterte Andrzej Wajda engagierte sich für sie, als wäre nichts gewesen. Er kandidierte für die um Solidarność vereinigte Opposition für den Senat, die obere Kammer des Parlaments. Am wichtigsten jedoch war Wajdas Annäherung an Adam Michnik, seit 1989 der Guru und oberster Autoritätsverleiher in der selbsternannten polnischen „aufgeklärten Elite“.

Im Kampf gegen Dunkelpolen

Wajda widerfuhr das Schicksal der Antigone. Er hat seinen Vater nicht bestatten können. Hauptmann Jakub Wajda war 1939 in Ostpolen in sowjetische Gefangenschaft geraten. Im Frühjahr 1940 hatten ihn die Sowjets, nicht in Katyń bei Smolensk, sondern (im Rahmen derselben Massenmordaktion – insgesamt gut 24.000 getötete polnische Offiziere) in Charkow mit einem Genickschuss umgebracht.

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Andrzej Wajda (rechts, als Junge) mit Eltern. Hauptmann Jakub Wajda haben Sowjets im Frühjahr 1940 ermordet.

Wie Hamlet wusste Wajda wer die Mörder waren, doch rächen konnte er seinen Vater nicht. Mehr noch, nur durch den permanenten Kotau vor dem kommunistischen System, das seinen Vater in den Tod geschickt hatte, konnte er seine künstlerischen Fähigkeiten entfalten. Wajda tat es. Er wollte nicht so enden wie Maciek Chełmicki aus „Asche und Diamant“.

Das Russland-Fürchten und das Russland-Lieben-Wollen verknüpften sich bei ihm zu einer Obsession. In der Wajda-Verfilmung des Nationalepos „Pan Tadeusz“ von Adam Mickiewicz (1999) ziehen die Polen an der Seite Napoleons schneidig in den Krieg gegen Russland und der weise Jude Jankiel schüttelt nur traurig den Kopf.

In „Zwischen Feuer und Asche“ (1965), einem Monumentalfilm, der auf dem gleichnamigen Roman von Stefan Żeromski basiert, stellen sich die Polen massenhaft auf die Seite Napoleons, in der Hoffnung er werde ihrem dreigeteilten Vaterland die Unabhängigkeit schenken. Doch sie werden in Spanien und auf Santo Domingo in Mittelamerika verheizt oder kehren, wie Rafał Olbromski, erblindet und in Stroh eingewickelt aus der eisigen Kälte Russlands zurück. „Genug der Träumereien”.

Die zwanzig Jahre (1918-1939) polnischer Unabhängigkeit endeten in einem Desaster, das Wajda psychisch nie überwunden hat. Am Ende seines von Vorsicht, vom Lavieren, Abwägen und Abwarten geprägten Lebens musste der Regisseur 2005-2010 erleben wie zwei polnische Politiker, die Brüder Lech und Jarosław Kaczyński, begannen, Marschall Piłsudski gleich, mit den Partnern Polens auf gleicher Augenhöhe zu sprechen. Er war überzeugt, das endet wieder mit einer Katastrophe und er reagierte wie eine Furie.

Für Adam Michnik, dessen „Gazeta Wyborcza“ unermüdlich den Kampf gegen „Dunkelpolen“ organisiert und anheizt, war Wajda ein politisch äuβerst wertvoller Verbündeter. Seine Stimme hatte Gewicht, und das warf der Regisseur nun uneingeschränkt in Adam Michniks Waagschale.

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Im Jahr 2000 bekam Wajda den Oscar für sein Lebenswerk. Briefmarke der Polnischen Post aus diesem Anlass.

Keine Spur mehr von der einstigen Zurückhaltung. „Wajda“, so Janusz Wróblewski in der „Polityka“ (19. Oktober 2016) „unterschrieb nun pausenlos Proteste und Appelle gegen: die Rückkehr des Religionsunterrichts in die Schulen und gegen die „braune Gefahr“, die Polen in die Fänge der Inkompetenz, des Antisemitismus, der Fremdenfeindlichkeit, der Homophobie treibt“. An diese Apokalypse glaubte Wajda wirklich.

Ministerpräsident Jarosław Kaczyńskis Partei Recht und Gerechtigkeit verlor bereits 2007 die Wahlen. Sein Nachfolger Donald Tusk war Wajdas Liebling. 2010 kam Staatpräsident Lech Kaczyński ausgerechnet bei Smolensk, auf dem Weg zu den Katyń-Feierlichkeiten, durch einen Flugzeugabsturz ums Leben.

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Satt um Staatspräsident Lech Kaczyński und die anderen 95 Opfer der Smolensk-Flugzeugkatastrophe, lieber um die gefallenen Sowjets trauern. Gesagt getan: April 2010, Wajda auf einem Rotarmistenfriedhof.

Der verblendete Wajda fegte alle Hemmungen beiseite. Schon am dritten Tag nach der Tragödie, die die Nation in eine Schockstarre versetzt hatte, protestierten er und seine Ehefrau öffentlich gegen die Bestattung des Präsidentenpaares auf dem Wawel in Kraków. Anstatt um die 96 Opfer des Flugzeugabsturzes zu trauern, so ihr Aufruf, sollten sich die Polen lieber auf die sowjetrussischen Soldatenfriedhöfe begeben, ihrer „Befreier“ gedenken und so die polnisch-russische Freundschaft pflegen.

Der Tod eines gekränkten

Der alte Herr verwandelte sich in einen ruhelosen Polit-Aktivisten, teilte unbarmherzig aus, doch, wie so oft, war das Einstecken nicht seine Stärke. Zugleich verlor Wajda zunehmend den Bezug zur polnischen Realität. Seine Hysterie steigerte sich ins Unermessliche. Nach dem Tod Lech Kaczyńskis, während des vorgezogenen Präsidentschaftswahlkampfes (Bronisław Komorowski gegen Jarosław Kaczyński) im Juni 2010, verkündete er allen Ernstes im Fernsehen, Polen befinde sich bereits in einem Bürgerkrieg. Fünf Jahre später, im Mai 2015, bei der Bekanntgabe des Wahlsieges von Andrzej Duda erfasste ihn und seine Frau blankes Entsetzten, was auf einem Foto festgehalten wurde.

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Blankes Entsetzten. Wajda mit Ehefrau am 24. Mai 2015 bei der Verkündung des Wahlsieges des nationalkonservativen Präsidentschaftskandidaten Andrzej Duda.

Andrzej Wajda starb als ein Gekränkter. Er, die Verkörperung der an grenzenloser Überheblichkeit krankenden „aufgeklärten Elite“, hatte es nicht geschafft seinen albernen und törichten Polen Vernunft beizubringen, wo er doch am besten wusste, was für sie gut ist. Ein fähiger Regisseur hat sich übernommen. Seine Belehrungen und Unkenrufe sind verstummt, seine Filme sind geblieben. Die meisten möchte man nicht missen.

Andrzej Wajda fand seine letzte Ruhestätte im Familiengrab auf dem Salwator-Friedhof in Kraków.

© RdP




Haie fressen Warschau auf

Gier, Mord, Mieterhatz. Abgründe der Privatisierung.

Sie wurde bei lebendigem Leib verbrannt, ihre halbverkohlte Leiche fand ein Spaziergänger im Warschauer Stadtwald Kabaty. Mitte August 2016, gut fünf Jahre nach dem rätselhaften Tod von Jolanta Brzeska (Bild oben), hat Justizminister Zbigniew Ziobro die Wiederaufnahme des Untersuchungsverfahrens angeordnet. Die Täter, so der Minister, und ihre Hintermänner sollen endlich nicht mehr ruhig schlafen können, die Staatsanwälte, die den Mord unter den Teppich gekehrt haben, sollen zur Verantwortung gezogen werden.

Anfang März 2016 ist eine Reform in Kraft getreten, die das ermöglicht: Polens Justizminister ist wieder gleichzeitig Generalstaatsanwalt, er kann von Amtswegen tätig werden und übernimmt dafür die volle Verantwortung. Die Staatsanwaltschaft ist wieder handlungsfähig geworden. Sechs Jahre lang war das anders.

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Justizminister Zbigniew Ziobro.

                   Unabhängig, unwillig, untätig

Im Jahr 2009 hatte die Regierung Donald Tusk die polnische Staatsanwaltschaft in die Unabhängigkeit entlassen:

● der Justizminister war nicht mehr zugleich Generalstaatsanwalt;

● ein vom Staatspräsidenten auf sechs Jahre berufener Generalstaatsanwalt hatte keinerlei Kontroll- und Weisungsbefugnisse gegenüber den 6.500 Staatsanwälten im Land. Er durfte nicht einmal Akteneinsicht in laufende Verfahren verlangen;

● eine Entlassung aus dem Dienst, die Absetzung einer leitenden Person, Strafversetzung, die Verhängung von Disziplinarstrafen, all das durfte nur ein aus Berufskollegen vor Ort bestehendes Disziplinargericht aussprechen. Diese Verfahren waren geheim, genauso wie die Begründungen der einzelnen Entscheidungen.

Beispiel: eine leitende Staatsanwältin aus Gdańsk. Zwei Jahre lang verhinderte sie, wider besseren Wissens, alle Versuche gegen die Verantwortlichen für die Amber-Gold-Affäre (Schattenbank-Finanzpyramide, am Ende umgerechnet ca. 200 Mio. Euro verschwunden, knapp 20.000 betrogene Sparer) ein ordentliches Untersuchungsverfahren durchzuführen. Der Generalstaatanwalt bat um ihre Absetzung vom leitenden Posten. Im Geheimverfahren wurde sie von dem aus Kollegen bestehenden Disziplinargericht freigesprochen. Warum? Begründung geheim;

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Amber-Gold-Werbung. Zwei Jahre lang wurde gestohlen was das Zeug hielt, die „unanhängige“ Staatsanwaltschaft mischte sich nicht ein.

● die strafrechtliche Belangung eines Staatsanwaltes (z. B. wegen Trunkenheit am Steuer, Ladendiebstahls usw.) konnte erst nach der Aufhebung der staatsanwaltlichen Immunität erfolgen. Die Aufhebung durfte wieder nur das Kollegen-Disziplinargericht in einem geheimen Verfahren verfügen.

Gängige Praxis: die Polizei lieferte zwischen 2009 und 2015 in etwa zweidutzend Fällen stichhaltige Beweise für solche Verfehlungen, die Kollegen-Disziplinargerichte stellten sich in 98 Prozent der Fälle vor die Übeltäter. Warum? Begründung geheim.

● „Störenfriede“, die ihre Arbeit engagiert und ordentlich verrichten wollten wurden gemobbt und isoliert. Ruhe haben, sich nicht überarbeiten, nicht anecken, keine Probleme bekommen… Angesichts einer solch groβzügigen „Unabhängigkeit“ der Staatsanwälte war der Geschädigte, der einfache Bürger vielerorts machtlos und der Verbrecher im Vorteil. „Unabhängig“ wie sie waren, stieβen nicht wenige Staatsanwälte nun zu den Klicken und Seilschaften aus Kommunalpolitikern, Richtern, Polizisten, Unternehmern, die vor allem die Provinz beherrschen.

Gängiger Trick: ein Staatsanwalt ohne jegliche Aufsicht und Kontrolle, der sich im Notfall auf die Kollegen-Solidarität verlassen konnte, leitete zwar prekäre Untersuchungsverfahren ein, zog sie aber schier endlos in die Länge, um sie dann einzustellen, sobald er annahm die Öffentlichkeit habe die Sache vergessen. So war es auch im Fall von Jolanta Brzeska (fon.: Bscheska).

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Februar 2011. Jolanta Brzeska bei der letzten Protestaktion vor ihrem Tod.

Neu aufgegriffen hat diesen Fall, der aufs Engste mit der kriminellen Häuserprivatisierung in Warschau verwoben ist, das Wochenmagazin „wSieci“ („imNetzwek“) vom 16.10.2016.

Selbst zusammengeschlagen + selbst angezündet = Selbstmord

„Das Schlimmste ist, dass diejenigen die Jola angezündet haben, ungestraft bleiben. Wir wissen nicht einmal, wie es ihnen gelang sie am 1. März 2011 zu täuschen und in den Kabaty-Wald zu bringen. Was ist passiert, dass gerade sie, die so klug, so intelligent war, sich in diese Falle locken lieβ“, diese Frage lässt Ewa Andruszkiewicz vom Warschauer Mieterverband nicht mehr los.

Noch vor Kurzem gab es keine Anzeichen dafür, dass es gelingen könnte den Fall zu lösen. Nicht etwa, weil er besonders kompliziert gewesen wäre. Sehr lange jedoch haben Polizei und Staatsanwaltschaft behauptet, es handle sich um einen Selbstmord.

Es war die allerbequemste Version. Deswegen wurde von vornherein auf wichtige Ermittlungsmaβnahmen verzichtet, andere wurden schludrig durchgeführt. Und als die Staatsanwaltschaft sich nach langer Zeit dennoch gezwungen sah zu der Überzeugung zu kommen, dass die 64-Jährige ermordet wurde, hat sie das Verfahren, mangels Beweisen, nach denen sie nie gesucht hatte, im Jahr 2013 schnell eingestellt.

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Warschauer Stadtwald Kabaty. Fundort der halbverkohlten Leiche Jolanta Brzeskas.

„Monatelang lag sie in einem Kühlfach der Gerichtsmedizin mit einem an den Zeh gebundenen Zettel „Name unbekannt“. Die aus Ihrer Wohnung dorthin gebrachten persönlichen Gegenstände mit DNA-Spuren waren irgendwo abhandengekommen, eine Identifizierung blieb monatelang aus. Die Staatsanwaltschaft hat‘s nicht gekümmert“, berichtet Ewa Andruszkiewicz.

Kurz nach Brzeskas Tod organsierten die Mieteraktivisten Proteste. Sie trugen Spruchbänder mit der Aufschrift: „Wer wird der Nächste sein?“ Dahinter verbarg sich die Angst, es könne noch weitere Morde geben, weil die Täter ja offenbar vor nichts mehr zurückschreckten. Ihre Motive lagen auf der Hand.

„Als mich die Polizei fragte, was der Grund für den Mord gewesen sein könnte, da habe ich geantwortet, dass es eine Million Motive gibt. Denn eine Million Zloty (knapp 250.000 Euro – Anm. RdP) ist die Wohnung, in der sie lebte wert, und Menschen werden für viel weniger Geld umgebracht“, erinnert sich Janusz Baranek vom Warschauer Mieterverband.

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Das reprivatisierte Haus in der Warschauer Nabielakstrasse 9. mit Jolanta Brzeskas Wohnung.

In die Wohnung in der Nabielakstrasse 9, im Stadtteil Mokotów, war Jolanta Brzeska schon als Kleinkind eingezogen, Anfang der 50er Jahre. Ihr Vater hatte die Unterkunft von der kommunalen Wohnraumbewirtschaftung zugewiesen bekommen, als Gegenleistung für einige tausend unbezahlte Arbeitsstunden, die er in seiner Freizeit beim Wiederaufbau des ausgebrannten Hauses geleistet hatte. Es war eine im kommunistischen Nachkriegspolen gängige Praxis den knappen Wohnraum zuzuteilen.

Treuhänder für 120-jährige Mandanten

Im völlig zerstörten Warschau hatten die kommunistischen Behörden schon 1945, per Dekret, den gesamten Grund und Boden (ca. siebentausend Hektar) und alle (ca. vierzehntausend) Gebäude nationalisiert, um „einen reibungslosen Wiederaufbau zu garantieren“.

Der Kommunismus ging 1989/1990 zu Ende. Gut zehn Jahre später begann die sehr zögerliche Rückgabe der einst nationalisierten Warschauer Parzellen und Gebäude an ihre ursprünglichen Eigentümer. Seitdem im Jahre 2006 die stellv. Vorsitzende der Bürgerplattform und enge Tusk-Vertraute Hanna Gronkiewicz-Waltz das Amt der Warschauer Oberbürgermeisterin bekleidet, verwandelte sich die Reprivatisierung zunehmend in ein hochkriminelles Unterfangen.

Ein Netzwerk aus Anwälten, städtischen Beamten, Richtern und gnadenlosen Spekulanten verdiente auf diese Weise Millionen von Euro. Ihre Opfer, es sind mittlerweile einige Tausend, waren lange Zeit auf sich selbst gestellt und wurden als „Krawallmacher“, „Unangepasste“ diffamiert. Die tote Jolanta Brzeska tauchte lange Zeit in einschlägigen Internetforen als eine Drogenabhängige auf, die sich selbst umgebracht hatte.

Das Privatisierungs-Prozedere weckte jahrelang kein Interesse bei der Staatsanwaltschaft. In den regierungsfreundlichen Medien der Tusk-Ära wurde es schweigend übergangen. Richter übertrugen anstandslos offensichtlichen Betrügern die Eigentums- und Verfügungsrechte über Immobilien. Auch auf solche Personen, die z. B. anhand eindeutig manipulierter Unterlagen behaupteten, Treuhänderschaften für in Amerika lebende Eigentümer zu übernehmen, die manchmal 120 und mehr Jahre alt sein müssten.

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Warschauer Oberbürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz mit Ehemann Andrzej.

An einem dieser äuβerst zweifelhaften Deals (Haus in der Noakowskistrasse 16) war im Februar 2007 Andrzej Waltz, der Ehemann der Oberbürgermeisterin beteiligt, und verdiente daran umgerechnet einige hunderttausend Euro.

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Am Haus in der Noakowskistrasse 16 (zweites v. rechts, weiss) einige hunderttausend Euro verdient: Andrzej Waltz.

Für die Warschauer Oberbürgermeisterin Gronkiewicz-Waltz ist das alles kein Anlass zum Rücktritt. Obwohl seit 2006 im Amt, habe sie von dem Tun der Privatisierungsmafia nichts gewusst, der Deal ihres Mannes sei legal gewesen und die Entlassung zweier ihrer Stellvertreter habe die ganze Sache bereinigt. Vor allem aber müsse sie auf ihrem Posten ausharren, denn bei vorgezogenen Oberbürgermeisterwahlen könnte er an einen Vertreter der Kaczyński-Partei fallen, und das wäre „fatal für die polnische Demokratie“.

Diese Befürchtung ist auch der Leitgedanke eines der wenigen Berichte zudem Thema in den deutschen Medien, der zu dem nur einen Fall von hunderten schildert. Ein grausamer Mord, hunderte brutal fortgejagter Mieter, eine riesige Korruption? Alles „Gemauschel“. Hier zu lesen.

Jäh in den Abgrund

Der vergilbte Zuteilungsbescheid der kommunalen Wohnraumbewirtschaftung für Jolanta Brzeskas Wohnung aus dem Jahr 1951 verlor seine Gültigkeit als das Haus in der Nabielakstrasse 9 reprivatisiert wurde. Es lief ab nach dem klassischen Muster: plötzlich, von einem Augenblick zum anderen, hatte das Haus einen Eigentümer. Wie meistens handelte es sich auch dieses Mal hierbei nicht um einen Erben, sondern um einen sogenannten Rechtsnachfolger.

Und, der damit verbundene Fall Jolanta Brzeska hatte nicht nur ein tragisches Ende, sondern bereits einen besonders dramatischen Anfang. Er begann nicht, wie üblich, mit einem Zettel, der am Hauseingang angebracht oder in den Briefkasten eingeworfen wurde.

Eines Samstags im Jahr 2006 klingelte es an der Tür und eine Gruppe von Männern betrat die Wohnung, angeführt vom dem berüchtigten Marek Mossakowski, stadtbekannt als der gnadenlose „Gebäudereiniger“, weil er Mieter aus privatisierten Häusern mit den rüdesten Methoden zu verjagen versteht. Damals, am Mittagstisch sitzend, hörte Jolanta Brzeska zum ersten Mal, dass sie in einer fremden Wohnung lebe.

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Jolanta Brzeska hat die Auswüchse der Warschauer „Reprivatisierung“ penibel dokumentiert.

Danach ging es Schlag auf Schlag: zehnfache Mieterhöhung gegenüber der kleinen Abgabe, die sie bis zu diesem Zeitpunkt an die kommunale Wohnraumbewirtschaftung entrichtet hatte, weil sie nun „ohne gültigen Vertrag“ die Wohnung nutze. Dazu 500 Zloty (ca. 120 Euro – Anm. RdP) monatlich für das Durchqueren des Zugangs vor dem Hauseingang.

Jolanta Brzeska konnte nicht zahlen. Ihre Schulden gegenüber dem neuen „Eigentümer“ stiegen rasant. Die Stadt verweigerte ihr eine Ersatz- Kommunalwohnung. Begründung: ihre Rente übersteige um 20 Zloty (ca. 3,50 Euro) das Einkommenslimit, ab dem eine solche Wohnung gewährt werden kann.

„Sie kämpfte, dachte nicht daran aufzugeben. Sie wollte zeigen, dass sie, ohne eigenes Verschulden, in eine ausweglose Situation hineinmanövriert worden war. Sie ging penibel und systematisch vor, legte ihr eigenes Archiv der Warschauer Privatisierung an. Alles wurde genau beschrieben von ihr, in Plastikhüllen und Schnellhefter einsortiert. Ein Haus nach dem anderen: die rechtliche Situation und die Zwischenfälle bei der Übernahme der Liegenschaften“, berichtet eine ihrer Bekannten.

Kurz vor ihrem Tod erhielt sie einen Behindertenausweis. Nun konnte sie der „Eigentümer“ nicht mehr einfach so auf die Straβe setzen.

Brutal und wirksam

Zum ersten Todestag von Jolanta Brzeska klebte jemand ein riesiges Bild an eine Hauswand im Warschauer Stadtzentrum. Marek Mossakowski hält darauf in der einen Hand einen Benzinkanister und die Streichhölzer in der anderen. Daneben die Aufschrift: „Mossakowski: Warschau ist leicht entflammbar“, eine Andeutung an die Verbrennung Jolanta Brzeskas.

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Mossakowski-Wandbild. „Gebäudereiniger“ mit Benzin und Streichhölzern. „Warschau ist leicht entflammbar“.

Das Bild wurde schnell entfernt, aber die finstere Gestalt Mossakowskis ist aus der Welt der alternativen Stadtkultur Warschaus nicht mehr wegzudenken: Poster, Lieder, selbst ein Bühnenstück entstand. Im Warschauer Reprivatisierungs-Dschungel ist er der König: 60 Liegenschaften nennt er inzwischen sein eigen.

„Mossakowski kam zu uns ins Büro mit seiner Anwältin und erklärte er wolle mit uns zusammenarbeiten. Er ließ sich im Sessel nieder und erzählte, dass er Häuser reprivatisieren könne. Ich habe ihn gefragt, um welche Liegenschaften er sich dabei bemühe. Als er mir alle seine Ansprüche aufzählte, habe ich ihn hinausgeworfen. Das ist ein Hochstapler“, erzählt Mirosław Stypułkowski, vor einigen Jahren noch der Präsident der Union Polnischer Liegenschaftseigentümer.

Dieser Besuch fand Ende der 90er Jahre statt. Damals lebten noch die direkten Nachkommen der Eigentümer der in den Nachkriegsjahren nationalisierten Wohnhäuser, meist in Kleinstwohnungen, ohne Hoffnung jemals ihr ganzes Eigentum zurück zu bekommen. Mossakowski sah alte Grundbücher durch, man ließ ihn, gegen ein paar Zloty Trinkgeld, diskret die Warschauer Gerichtsarchive auf Liegenschaftssachen hin durchforsten.

Für wenig Geld kaufte er dann einzelne Eigentumsrechte von den mittlerweile hochbetagten, zumeist weiblichen Erben. Sein Rekord: 50 Zloty (ca. 12 Euro – Anm. RdP) für den Anteil einer alten Dame am Wohnhaus in der Hozastrasse 25A, beste Adresse, mitten im Warschauer Zentrum. Der so erworbene Gebäudanteil war zwar klein, aber Mossakowski musste auch lediglich einen Fuβ in der Tür haben. Hatte er erst einmal einen Rechtstitel, dann mobbte er die andren Eigentümer raus bis er Alleineigentümer war. Dann kamen die Mieter an die Reihe, die, wie Jolantas Vater ihr Wohnrecht als Gegenleistung für die beim Wiederaufbau des Gebäudes geleistete Arbeit erhalten hatten. Zudem verlangte er von der Stadt horrende Entschädigungen für die Jahrzehnte der kommunalen Nutzung „seines“ Eigentums, und bekam sie auch.

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Haus in der Warschauer Hozastrasse 25A. Für zwölf Euro abgeluchst.

„Er handelt brutal und wirksam. Hat keine Hemmungen. Meistens tritt er zusammen mit seinem Liegenschaftsverwalter Hubert Massalski auf. Sie spielen perfekt den „good“ und „bad boy“. Der eine brüllt: „Raus aus meinem Haus!“, der andere besänftigt: „Mein Kollege ist ein bisschen ausgerastet“.

Jolanta Brzeska berichtete ihren Freunden über diese Vorfälle, sie hatte immer das schreckliche Gefühl, dass diese beiden Männer die Institutionen und die Angestellten der Stadt auf ihrer Seite hatten. Ohne Probleme hatte sich Mossakowski z.B. widerrechtlich unter der Adresse ihrer Wohnung angemeldet. Als nächstes versuchte er einige Male mit Gewalt dort einzudringen.

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Das Warschauer Liegenschaftsamt (unteres Schild). Mieteraktivisten bemerkten, dass die Arbeitszimmer der wichtigsten Mitarbeiter zwielichtigen Gestalten wie Mossalowski stets offen gestanden haben.

Die Mieteraktivisten bemerkten sehr schnell, dass sich Mossakowski im hauptstädtischen Liegenschaftsamt wie zu Hause fühlte. Die Arbeitszimmer der wichtigsten Mitarbeiter standen ihm immer offen.

Erschien ein Erbe in dem Amt, der sich um die Rückgabe einer Liegenschaft bemühte, dann bekam er zu hören, die Angelegenheit sei kompliziert und aussichtslos. Seltsamerweise nahm dann meistens einige Wochen später Mossakowski Kontakt mit genau diesem Erben auf, und für ihn war dieselbe Angelegenheit ein Leichtes.

„Wir gewinnen immer, wir können alles“

„Es steht auβer Zweifel“, so der Mieteraktivist Janusz Baranek, „dass Mossakowski und Massalski nur Handlanger sind. Hinter ihnen stehen viel einfluβreichere Personen“. Sie verbergen sich diskret im Schatten. Mossakowski ist nicht nur ihr Strohmann, sondern ein Blitzableiter, der alle negativen Emotionen in Bezug auf die wilde Warschauer Privatisierung auf sich zieht und neutralisiert.

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Einschüchtern und verjagen. „Bad boy“ Massalski (links) und „good boy“ Mossakowski.

Seit 2008 hat Baraneks Warschauer Mieterverband bei der hauptstädtischen Staatsanwaltschaft mehrere Anzeigen gegen Mossakowski erstattet und darauf hingewiesen, dass es in Warschau offenbar eine organisierte kriminelle Vereinigung gibt, die von der Stadt Liegenschaften ergaunert. Alle wurden abgewiesen, auch die, die den Fall Hozastrasse 25 betraf: 50 Zloty für Eigentumsanteile an einem Gebäude, das Millionen wert ist.

Sein Kompagnon Hubert Massalski ist dafür bekannt, dass er unentwegt SMS im Gerichtssaal schreibt. „Manchmal bittet er um eine Pause. Er hat keine juristische Ausbildung, dennoch schüttet er jedes Mal nach der Pause wie aus einem Füllhorn, Anträge an das Gericht aus, samt den dazugehörenden Paragraphen. Die Richter wundern sich oft nicht schlecht“, berichtet Ewa Andruszkiewicz.

Seit Jahren führt sie Prozesse gegen Massalski, der sie aus ihrer Wohnung in der Warschauer Dabrowskistrasse 18 verjagt hat. Jetzt will er das Gartenhäuschen, in dem sie Zuflucht gefunden hat, versteigern lassen und so ihre „Mietrückstände“ ausgleichen. Einmal kam er auf dem Gerichtskorridor auf sie zu und sagte ihr wütend: „Merken Sie sich: wir gewinnen immer und wir können alles.“ Diese Worte deuten darauf hin, dass über Warschaus bekanntestem „Gebäudereiniger“ und seinem Verwalter ein Schutzschirm aufgespannt ist.

Den Eindruck hatten auch die Mieteraktivisten während der Untersuchung nach dem Tod von Jolanta Brzeska. Deswegen atmeten sie auf als Justizminister Zbigniew Ziobro bekanntgab, dass die neue Untersuchung von der Staatsanwaltschaft Gdańsk durchgeführt wird.warszawa-jolanta-brzeska-plakaty-fot

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„Zum Gedenken an Jolanta Brzeska. Uns alle könnt ihr nicht verbrennen“. Die einst biedere Hausfrau ist heute die Ikone des Widerstandes gegen dre Warschauer Reprivatisierungsmafia.

Bei der ersten Untersuchung hatten sie beobachtet wie die Warschauer „unabhängige“ Staatsanwaltschaft unentwegt von Selbstmord sprach, wahrscheinlich um bloβ nicht Mossakowski verhören zu müssen. „Erst die Gerichtsmediziner aus Kraków, die vom Anwalt der Brzeska-Tochter angefordert worden waren, schlossen 2013 den Selbstmord aus“, erinnert sich Janusz Baranek. „Das wussten wir von vorneherein. Wenn sie hätte Selbstmord begehen wollen, dann hätte sie das vor dem Amtsgebäude von Ministerpräsident Donald Tusks oder vor dem Rathaus von Frau Gronkiewicz-Waltz getan.“

Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass zwei bis drei Personen Brzeska angezündet haben müssen. Wahrscheinlich wollten sie sie einschüchtern und die Lage geriet auβer Kontrolle. Ein Zeuge will gesehen haben, wie Brzeska am 1. März 2011 aus dem Hausgang in Begleitung von zwei Männern kam und zu einem Auto ging, an dem ein dritter wartete.

Brzeska hatte die Wohnung in groβer Eile verlassen. Ihre Tochter fand in der Wohnung ihr Handy und ihre Handtasche. Auf dem Tisch stand aufgetautes Fleisch aus der Tiefkühltruhe. Ihre Kollegen aus der Mieterbewegung sind felsenfest davon überzeugt, dass sie niemals Leuten, die sie nicht kannte, die sich nicht ausweisen konnten die Tür geöffnet hätte. Sie selbst hatte ihnen immer wieder eingebläut, sich mit Mossakowski niemals in der Wohnung sondern auf neutralem Boden, z.B. in einem Café, zu treffen.

Hatte man sie unter dem Vorwand ihr wichtige Informationen zu geben aus ihrer Wohnung gelockt? Oder hatten sich die Mörder als Polizisten bzw. Staatsanwälte ausgegeben?

„Als sie im Polizeipräsidium ihre Sachen aus einem schwarzen Müllsack herausgeholt haben, sah ich neben ihrer angesengten Brille, der Uhr und dem Schlüsselbund eine weiβe Leinentasche. Jola verstaute in ihr für gewöhnlich ihre Reprivatisierungs-Unterlagen. In der Tasche war aber nur eine Zeitung. Jemand muss die Papiere rausgenommen haben. Diese Papiere könnten zu den Tätern führen“, erzählt Brzeskas Freundin Wanda Padzioch.

Der Wille lässt hoffen

Jolanta Brzeskas Wohnung in der Nabielakstrasse 9 wurde kurz nach ihrem Tod zum Verkauf angeboten. Preis: eine Million Zloty. Zwei Jahre lang gab es keinen Käufer, der Preis war sehr hoch. Schlieβlich ging sie weg. Der neue Eigentümer muss damit leben, dass an jedem 1. März einige hundert Menschen Jolanta Brzeskas mit Reden, Sprechchören, Blumen und einem Meer von Grablichtern gedenken.

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Jolanta Brzeskas Grab auf dem Warschauer Südfriedhof.

„Es gibt kein perfektes Verbrechen. Die Aufklärung hängt sehr davon ab, ob es einen Willen gibt die Mörder zu finden. Jetzt ist er endlich da“, sagt Wanda Padzioch. „Es gab wahrscheinlich drei Täter. Irgendwann wird einer von ihnen das Schweigen brechen und dann erfahren wir endlich die Wahrheit.“

Das Zentrale Antikorruptionsbüro (CBA) ermittelt seit dem Sommer im Warschauer Rathaus. Mitte Oktober 2016 kündigte Justizminister Zbigniew Ziobro die Einberufung eines Untersuchungsausschusses an, der alle Warschauer Reprivatisierungen unter die Lupe nehmen wird. Die Aussagen vor dem Ausschuss sollen öffentlich sein. Stadtpräsidentin Gronkiewicz-Waltz spricht von einem „politischen Rachefeldzug“.

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RdP