Das Wichtigste aus Polen 22.Dezember 2019 – 25.Januar 2020

Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Putins pseudohistorische Generaloffensive gegen Polen. Der Amok hat Methode ♦ Staatspräsident Andrzej Duda fährt nicht zu den Holocaust-Feierlichkeiten nach Jerusalem ♦ Justizreform. Ein neuer Höhepunkt der Auseinandersetzung. Worum geht es? ♦ Der neue Senatspräsident Tomasz Grodzki: Hochmut und Korruptionsvorwürfe.




Das Wichtigste aus Polen 8.Juli – 28.Juli 2018

Lesenswert „Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht‘

Sehenswert: „Präsident Donald Trump in Warschau am 6. Juli 2017“ 

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Oberstes Gericht wird reformiert und warum das äußerst notwendig ist. ♦ Putin-Trump-Helsinki-Polen. Warum sich Polens Umgang mit Donald Trump bisher bewährt hat. ♦ Zwischen den Mühlsteinen der US- und der EU-Zölle sucht Polen seine Nische. ♦ Immer mehr Ausländer auf dem polnischen Arbeitsmarkt und wie man versucht die Fehler anderer nicht zu wiederholen.




Das Wichtigste aus Polen 24. Juni – 7. Juli 2018

Als Ergänzung zur Sendung empfehlen wir:

„Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht‘

„Polen – Israel. Streit beigelegt, Wahrheit verbrieft“ 

 

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Die Wunde vernarbt nur langsam. Der unrühmliche Abgang der polnischen Nationalelf von der Fußball WM-Bühne in Russland und seine Folgen ♦ Die Reform des Obersten Gerichts: Argumente und Emotionen ♦ Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hält vor dem Europäischen Parlament eine Rede über die Zukunft der EU und erntet keinen Beifall ♦ Israel und Polen legen Streit über Holocaust-Gesetz bei ♦ Amerikaner erwägen Truppenverlegung aus Deutschland nach Polen. Die meisten Deutschen freuen sich. Die meisten Polen auch.




Polens Justizreform. Eine Richterin spricht Klartext

Beeinflussen die Veränderungen die richterliche Unabhängigkeit?

Barbara Piwnik gehört zu den bekanntesten Richtern des Landes. Ihre öffentlichen Äuβerungen in Sachen Justizwesen, stets sehr praxisbezogen, haben Gewicht und werden in der Öffentlichkeit mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. So auch ihre Meinung zur polnischen Justizreform.

Barbara Piwnik (Jahrgang 1955) studierte Jura an der Warschauer Universität und wurde 1982 ins Richteramt berufen. Zwischen 1987 und 2001 war sie Richterin am Woiwodschaftsgericht Warschau. Sie erwarb sich groβe Anerkennung und Respekt durch die professionelle und souveräne Art, mit der sie einige groβe Strafverfahren bewältigte. Es waren spektakuläre Prozesse im Kampf gegen Mitglieder von landesweit agierenden gefährlichen kriminellen Banden und gegen die mutmaßliche Täter  aufsehenerregender Morde.

Richterin Barbara Piwnik verfolgt im Gerichtssaal die Vorführung von Videoaufnahmen von einem Lokaltermin während eines der groβen Strafprozesse, den sie führte.

Der postkommunistische Ministerpräsident Leszek Miller berief sie im Oktober 2001 in das Amt des Justizministers und Generalstaatsanwalts. Das politische Beamtendasein lag ihr eindeutig nicht und sie reichte bereits im Juli 2002 ihren Rücktritt ein. Seitdem arbeitet sie wieder als Strafrichterin am Warschauer Distriktgericht.

Das Interview mit Barbara Piwnik erschien im Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Der Sonntagsgast“) vom 14.Januar 2018.

Fühlen Sie sich nach der Einführung der Justizreform als Richterin weniger unabhängig?

In meinem Richterdasein verändert die Reform rein gar nichts.

Das modifizierte Gerichtsverfassungsgesetz überträgt dem Justizminister die Dienstaufsicht über die Gerichte, er darf die Gerichtspräsidenten berufen. Ein Teil der Richterschaft protestiert dagegen lauthals, sieht darin einen Anschlag auf die richterliche Unabhängigkeit.

Diese Proteste veranschaulichen nur das fehlende Verständnis dafür, was die richterliche Unabhängigkeit tatsächlich ausmacht.

Und was macht sie tatsächlich aus?

Wenn ich meinen richterlichen Pflichten gewissenhaft nachgehe, kann niemand, und zwar in keiner Weise, meine Entscheidungen beeinflussen. So steht es in der Verfassung und in den Gesetzten, und so ist es auch.

Die Protestierenden behaupten, dass der Justizminister mit Hilfe der von ihm ernannten Gerichtspräsidenten Druck auf die Richter ausüben wird, damit sie ihm genehme Urteile fällen.

Wenn ich als Richterin rechtzeitig meine Urteilsbegründungen fertig habe, pünktlich die Verhandlungen eröffne, jeden Tag an meinem Arbeitsplatz bin, meine Verfahren sich nicht in alle Ewigkeit hinziehen und ich allen anderen Pflichten nachkomme, dann kann mich der Gerichtspräsident höchstens auf eine Tasse Kaffee einladen.

Das habe ich vor kurzem öffentlich gesagt. An meinem Gericht gibt es einen neuen Präsidenten und neue Stellvertreter, die Justizminister Zbigniewe Ziobro entsprechend dem neuen Gerichtsverfassungsgesetz berufen hat. Nachdem der neue Gerichtspräsident diese Feststellung von mir gelesen hatte, hat er mich, im Vorbeigehen auf dem Gerichtskorridor, zu einer Tasse Kaffee eingeladen.

Wenn ein Richter seine Dienstpflichten erfüllt und seinem Eid treu bleibt, dann kann ihm der Gerichtspräsident gar nichts. Im Rahmen der Dienstaufsicht kann und muss er aber dem Richter eine ordnungswidrige Ausführung der Dienstgeschäfte vorhalten und deren Änderung anmahnen.

Sie sind seit knapp vierzig Jahren Richterin. Hat man jemals versucht Druck auf Sie auszuüben um ihr künftiges Urteil zu beeinflussen?

Ich lege meine Hand aufs Herz: niemals.

Herrscht unter den Richtern Angst, dass die Regierenden ihre Unabhängigkeit untergraben werden, vor allem bei politischen Prozessen?

Die Richter, mit denen ich es zu tun habe, hegen solche Befürchtungen nicht. Wir sind lange genug im Beruf, um zu wissen was den Unterschied zwischen der richterlichen Unabhängigkeit und der Dienstaufsicht ausmacht. Unsere richterliche Unabhängigkeit stellt uns nicht von einer Dienstaufsicht frei. Wir unterliegen der Dienstaufsicht, soweit unsere richterliche Unabhängigkeit nicht betroffen ist.

Barbara Piwnik mit Ministerpräsident Leszek Miller bei der Berufung zur Justizministerin am 19. Oktober 2001.

Die Protestierenden verwechseln das?

Lassen Sie es mich etwas milder formulieren: vielleicht haben sie eine geringere Berufserfahrung? Die jüngeren Kollegen setzen heute etwas andere Prioritäten. Auch Richter sind ganz die Kinder ihrer Gesellschaft, und dort herrscht ein Drang zum Karrieremachen. Ein Teil der Richter betrachtet das Erklimmen der Karriereleiter, das Ansammeln von Posten, z. B. der des Gerichtspräsidenten, von Titeln, als ein Beleg für den beruflichen Erfolg.

Aufgrund der Reform entscheidet der Justizminister nun über die Postenvergabe und das bedeutet, dass er in ihren Augen die wichtigste Domäne ihres Berufslebens betreten hat. Daher die Proteste.

Für mich und andere normale, hart arbeitende Richter ist das Maβ für den Berufserfolg die bestmögliche Erfüllung unserer Pflichten. Das Einnehmen von Verwaltungsposten im Justizwesen kann nicht das Berufsziel eines Richters sein.

Die Richtervereinigungen rufen dazu auf, die auf Geheiβ des Justizministers frei gewordenen Posten der entlassenen Gerichtspräsidenten nicht einzunehmen und nicht für den neuen Landesjustizrat zu kandidieren.

Schade, dass sie dabei nicht merken, wie sie sich selbst durch solche Appelle in Widersprüche verwickeln. Sie behaupten, ihr Ziel sei es die richterliche Unabhängigkeit zu verteidigen, dass niemand auf die Richter Einfluss nimmt. Wie soll man dann aber die Aufforderung verstehen: Richter nehmt die Angebote des Justizministers nicht an! Das ist doch ein eklatanter Versuch der Einflussnahme von Auβen. Deswegen kann ich nur an diese Kollegen appellieren, überdenkt was ihr da macht.

Jene behaupten, sie setzen sich für die Rechtstaatlichkeit und die Einhaltung der Verfassung ein.

Wie sie die Rechtstaatlichkeit wahren und die Verfassung achten, das können Richter am besten anhand ihrer tagtäglichen Arbeit demonstrieren. Es fällt heute leicht, dies und das über die Medien zu verkünden. Ich befürchte jedoch, dass mit diesen Worten, oft genug, nicht der Nachweis einer konzentrierten tagtäglichen, normalen Arbeit im Gericht einhergeht.

Richterin Barbara Piwnik betritt den Gerichtssaal.

Würden Sie den Posten eines Gerichtspräsidenten einnehmen? In den Medien spekuliert man, dass Sie sogar an die Spitze des neuen Landesjustizrates gestellt werden sollen.

Meinem neuen, jungen Gerichtspräsidenten und seinen Stellvertretern habe ich zugesagt, dass ich mit meiner Berufserfahrung jeder Zeit bereit bin ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. In diesem Moment meines Berufslebens ist das das Richtigste was ich tun kann und dabei bleibe ich vorerst.

Ein Teil der Juristen meint, die Wahl der Richter in den Landesjustizrat durch das Parlament vernichte die Unabhängigkeit der dritten Gewalt. Begibt sich in diesem Fall die Justiz tatsächlich in eine Abhängigkeit von der gesetzgebenden Gewalt?

Solche Behauptungen können nur diejenigen beeindrucken, die keine Ahnung davon haben worin die Tätigkeit des Landesjustizrates besteht. Die Befugnisse des LJR sind im Gesetz festgelegt und erstrecken sich in keiner Weise auf das Gebiet der Rechtsprechung. Der LJR kann mir nichts, rein gar nichts in Bezug auf meine richterliche Tätigkeit vorschreiben. Die Entscheidungen des LJR haben keinerlei Einfluss auf die Hunderttausende von Verfahren, die wir Richter in Polen jedes Jahr durchführen.

Kritisiert wird auch die Bildung einer Disziplinarkammer am Obersten Gericht. Sie werde ein Instrument zur Maßregelung von Richtern sein, die Urteile gegen die Anweisungen der Regierung fällen. Besteht eine solche Gefahr?

Richter werden in Polen auf Lebenszeit ernannt und auch die entlassenen Gerichtspräsidenten bleiben weiterhin Richter. Wenn ein Richter unabhängig ist, dann kann man ihn zu nichts zwingen. Das Verfahren vor der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts bildet den Abschluss eines Verfahrens, das vorher gegen einen Richter eingeleitet wurde. Das Verfahren wird auf Antrag des Disziplinarbeauftragen des jeweiligen Gerichtes eröffnet, die Vorwürfe gegen ihn werden formuliert und erst dann an die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtes geleitet. Dass die dortigen Richter andere Kollegen, entgegen aller Beweise, zum Bespiel aus dem Dienst entfernen, kann ich mir selbst in meinen dunkelsten Träumen nicht vorstellen. Solche Richter gibt es in Polen nicht.

Die Europäische Kommission behauptet, die Justizreform gefährde die Rechtstaatlichkeit in Polen. Zurecht?

Die hitzigen Diskussionen darüber, sowohl bei uns, wie auch im Ausland, werden immer abgehobener. Verfahren mit einer politischen Einfärbung machen nicht einmal 1 Promille der Prozesse aus, die jedes Jahr an polnischen Gerichten verhandelt werden. Kein Justizminister, kein Gerichtspräsident hat die Möglichkeit in diesen Verfahren und in allen anderen Druck auf einen Richter auszuüben, der seiner Unabhängigkeit treu ist. Zudem werden aufgrund der Reform die Verfahren nicht mehr vom Gerichtspräsidenten den Richtern zugeteilt, sondern diesen durch einen Zentralcomputer nach einem Zufallsprinzip zugewiesen.

Sie sind also nicht gegen die Justizreform?

Die Reformen bewegen sich bis jetzt auf der höchsten Ebene des polnischen Justizwesens. Sie sind und können nur der notwendige Ausgangspunkt sein zu weiteren Veränderungen im polnischen Justizwesen, die dem Normalbürger zu seinem Recht verhelfen und uns, den Richtern, das Arbeiten erleichtern. Der Bürger muss die Gewissheit haben, dass vor ihm ein Richter sitzt, der genügend Zeit hatte um sich gut auf das Verfahren vorzubereiten, der es zügig und gerecht zum Abschluss bringt.

Lesen Sie unsere weiteren Beiträge über die polnische Justizreform, um sich ein Bild zu machen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz.

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter.

RdP




Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat

Die andere Meinung.

Staatspräsident Andrzej Duda ergriff das Wort am Nachmittag des 20. Dezember 2017, einige Stunden nachdem die EU-Kommission verkündete, sie habe die diplomatische „Atombombe“ gezündet. Das Sanktionsverfahren gegen Polen wegen angeblich gefährdeter Rechtsstaatlichkeit werde eingeleitet. Die Brüsseler Rechnung, Duda werde klein beigeben und die zwei gerade verabschiedeten wichtigsten Reformgesetzte nicht unterschreiben, ging nicht auf. Dudas Begründung ist lesenswert. Nachfolgend der Wortlaut.

Guten Abend, meine Damen und Herren,

ich möchte ihnen mitteilen, dass ich die Gesetze über den Landesjustizrat (LJR – Anm. RdP) und das Oberste Gericht (OG – Anm. RdP) unterschreiben werde.

(Vom Parlament verabschiedete Gesetzte treten in Polen in Kraft, nachdem sie vom Staatspräsidenten unterzeichnet wurden. Dieser kann die Unterschrift verweigern, sein Veto einlegen. Das Präsidenten-Veto kann das Parlament mit einer 3/5 Mehrheit überstimmen. Gelingt das nicht, tritt das Gesetzt nicht in Kraft.

Der Staatspräsident kann ebenfalls ein Gesetz unterschreiben und es anschlieβend dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Das Urteil ist für den Staatspräsidenten bindend. Er darf nur die eine oder die andere Maβahme ergreifen. Beides, zunächst das Verfassungsgericht anrufen, und danach eventuell sein Veto einlegen, geht nicht. – Anm. RdP).

Es sind meine Gesetzentwürfe, die ich am 24. September 2017 dem Sejm vorgelegt habe. Ich hatte mich dazu verpflichtet, als ich (am 24. Juli 2017 – Anm. RdP) meine Unterschrift unter beide damals vom Parlament verabschiedete Gesetzte über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht verweigert habe. Ich war mit diesen in wesentlichen Punkten nicht einverstanden. Meine Gesetzentwürfe wurden in den letzten Tagen zunächst durch den Sejm und anschließend vom Senat ohne Änderungen verabschiedet. Deswegen werde ich sie unterschreiben.

Staatspräsident Andrzej Duda verkündet seine Entscheidung die Gesetzte zur Justizreform zu unterschreiben. 20. Dezember 2017.

Meine Entwürfe enthielten wesentliche Änderungen gegenüber den im Juli 2017 verabschiedeten Gesetzen. Ich wundere mich über die, lassen Sie es mich so formulieren, unanständigen Behauptungen, es gäbe keine Unterschiede.

Die Unterschiede sind sehr groβ, meine Damen und Herren. Ich darf Sie daran erinnern, dass das Juli-Gesetz u. a. vorsah, dass alle Richter am Obersten Gericht entlassen werden und nur diejenigen, die der Justizminister akzeptiert ihre Tätigkeit würden aufnehmen können. Diese Bestimmung gibt es nicht mehr.

Stattdessen wurde das Ruhestandsalter für Richter am OG auf 65 Jahre festgelegt. (Von den jetzt 82 Richtern am OG fallen 30 unter diese Bestimmung – Anm. RdP). Richter, die drei Jahre länger arbeiten wollen, können einen entsprechenden Antrag an den Staatspräsidenten stellen, versehen mit einem Arbeitstauglichkeitsattest.

Die Zahl der Richter am OG wird (auf 120 – Anm. RdP) anwachsen. Dadurch wird sich die Verfahrensdauer verkürzen. Auβerdem werden zwei neue Kammern am OG entstehen: die Disziplinarkammer und die Kammer für Sonderrevisionen.

Die Kammer für Sonderrevisionen ist eine neue Einrichtung. Sie soll der Beseitigung von offensichtlichem Unrecht, von offensichtlichen Justizirrtümern dienen. Wenn jemand meint davon betroffen zu sein, dann kann er sich u. a. an den Generalstaatsanwalt, den Bürgerbeauftragten des Parlaments oder an das Amt für Verbraucherschutz wenden, mit der Bitte, eine solche Sonderrevision für ihn beim OG einzubringen. Diese Behörden werden vorab entscheiden, ob dieses Ansinnen berechtigt ist.

Ich bin fest davon überzeugt, dass dank dessen viele Bürger, die sich ungerecht behandelt fühlen, denen Unrecht widerfahren ist, den Glauben daran zurückgewinnen werden, dass Polen ein ehrlicher und gerechter Staat ist, der sich um seine Menschen kümmert.

Meine Damen und Herren, es wird auch Änderungen im Landesjustizrat geben. Mit Widerwillen nehme ich all die lauten Stimmen zur Kenntnis, darunter auch die aus den Führungseliten der Richterschaft, die da verkünden, dass die richterliche Unabhängigkeit beseitigt, die politische Aufsicht eingeführt wird, und allgemein, welch fürchterliche Regelungen gelten sollen.

Bitte überprüfen Sie, in wie vielen Ländern staatliche Behörden Einfluss auf die Wahl der Richter haben. Der US-Präsident beruft die Richter am Obersten Gericht, sie werden vom Senat beurteilt. Die Richter selbst haben kein Mitspracherecht.

Ich sehe kein Problem darin, dass fünfzehn Richter vom Parlament  als Mitglieder in den LJR gewählt werden sollen (der LJR besteht insgesamt aus 25 Mitgliedern – Anm. RdP). Umso mehr, als dass nicht nur die regierende Mehrheit, sondern auch die Opposition ihre Kandidaten fürs Richteramt in den LJR wird entsenden können.

Wir haben sehr demokratische Lösungen eingeführt. Werden damit irgendwelche demokratischen Regeln verletzt? Nein. Wir haben unser Justizsystem einer demokratischen Reform unterzogen. Es kann nicht sein, dass die Richterschaft sich selbst verwaltet und niemand darauf Einfluss nehmen kann. Neben der Gewaltenteilung gibt es nämlich auch das Prinzip der gegenseitigen Kontrolle und der Balance zwischen den einzelnen Gewalten.

Die neuen Lösungen stellen sich der Verwandlung unseres Landes in eine Oligarchie, in einen Richterstaat entgegen. Wenn nämlich eine der Gewalten allein über sich selbst bestimmt und niemand darauf Einfluss nehmen darf, dann haben wir es mit einer Oligarchie zu tun. Jeder, der mit Vernunft auf unseren Staat blickt, der wirklich will, dass Polen ein stabiler, gerechter und starker Staat ist, kann diesbezüglich keine Zweifel haben.

Meine Damen und Herren, ich habe meine Entscheidung getroffen. Die Stimmen der Kritik, die ich von vielen Seiten vernehme, versetzten mich in ungläubiges Staunen.

Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straβburg.

Ich darf daran erinnern, dass im Jahr 1998, also vor nicht allzu langer Zeit, eine tiefgehende Reform des europäischen Schutzsystems für Menschenrechte stattgefunden hat. Es entstand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straβburg. Er trat an die Stelle der bis dahin existierenden Europäischen Kommission für Menschenrechte und des ursprünglichen Gerichtshofes.

Was hat man damals gemacht? Mit einem einzigen Rechtsakt wurden alle bisherigen Richter entfernt und es wurde ein neuer Gerichtshof gewählt. Niemand in Polen empörte sich damals, das sei undemokratisch, beschränke die richterliche Unabhängigkeit.

Richter am Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg.

Kein anderer als der den Richter entsendende Staat entscheidet darüber, ob das Mandat des Richters am Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg verlängert wird oder nicht. Niemand nimmt Anstoβ daran, stellt deren Unabhängigkeit in Frage.

Wir führen in Polen sehr gute Regelungen ein, die der Verbesserung des Justizwesens dienen. Die Menschen bei uns werden dadurch den Glauben an die Justiz wiedererlangen. Das ist sehr wichtig.

Sehr wichtig ist auch eine solide disziplinare Verantwortlichkeit der Richter. Dem dient die neue Disziplinarkammer am OG. Gerichte und Richter sind nicht für sich da. Nein! Sie sind vor allem für die Bürger da. Sie sind keine besondere, höchste Kaste. Sie sind Diener der polnischen Gesellschaft und des polnischen Staates.

Staatspräsident Andrzej Duda beruft am 24. Januar 2017 vom Landesjustizrat vorgeschlagene Kandidaten ins Richteramt …

Dieses tiefe Gefühl der Dienstpflicht erwarte ich von den Richtern und ich sage das auch bei jeder Richterernennung.

… wie zuvor auch am 10. Oktober 2016.

(Der Landesjustizrat schlägt dem Staatspräsidenten die Kandidaten zur Ernennung zum Richteramt vor. Der Staatspräsident nimmt die Ernennung auf Lebenszeit oder die Ernennung in ein höheres Richteramt vor bzw. kann es ebenfalls ablehnen. Andrzej Duda hat davon im Juni 2016 Gebrauch gemacht, als er die Beförderung von neun Richtern ablehnte.

Das Oberste Verwaltungsgericht, vor dem einige Betroffene daraufhin klagten, bestätigte im Januar 2017, die Ernennung von Richtern gehöre zu den „vertraulichen Befugnissen“ des Staatspräsidenten, die nur und ausschließlich in seinem Ermessen liegen – Anm. RdP).

Wir alle dienen dem polnischen Staat und den Menschen. Jede Gewalt in Polen, ob die gesetzgebende, die ausführende, zu der auch ich als Staatspräsident gehöre, oder die gerichtliche, wir alle sind dazu verpflichtet. Ich appelliere an die Richter dieses zu verinnerlichen.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz. 

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

RdP




Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz

Was wurde wie verändert.

Drei neue Gesetze sollen das Fundament einer umfangreichen Justizreform in Polen bilden. Zwei von ihnen, dem Gesetz zum Obersten Gericht und dem zum Landesjustizrat, verweigerte Staatspräsident Andrzej Duda am 24. Juli 2017 die Unterschrift. Er hat Ende September dem Parlament diesbezüglich zwei eigene Gesetzesvorschläge unterbreitet, die Mitte Dezember 2017 verabschiedet wurden.

Das dritte Regelwerk, das neue Gerichtsverfassungsgesetz, trat bereits am 12. August 2017 in Kraft. „Der polnische Justizminister darf Richter nun ohne Grund entlassen oder austauschen“, meldeten die Medien im deutschsprachigen Raum (so z.B. die Zeit Online am 12. 08.2017). Es war eine von vielen Tatarenmeldungen dieser Art.

Was konkret beinhaltet das neue Gerichtsverfassungsgesetz?

1. Gerichtspräsidenten (nicht Richter) werden von nun an vom Justizminister be- und abberufen.

Auch nach der Abberufung aus dieser Verwaltungsfunktion bleiben die ehemaligen Gerichtspräsidenten Richter, führen Verhandlungen, fällen Urteile usw., denn Richter genieβen auch in Polen Weisungsfreiheit, sind und werden weiterhin auf Lebenszeit ernannt. Der Justizminister kann sie nicht entlassen.

Die neue Regelung, so die Absicht, soll die Arbeit der Gerichte effizienter gestalten, denn die Arbeitsorganisation an nicht wenigen von ihnen lässt viel zu wünschen übrig und gibt Anlass zu unzähligen Klagen der Bürger.

Bisher konnten Gerichtspräsidenten nur mit Zustimmung der Richter-Vollversammlung des jeweiligen Gerichtes berufen und abberufen werden. Unfähige, mit der Verwaltung überforderte, den Richterkollegen jedoch oftmals genehme Gerichtspräsidenten waren praktisch nicht absetzbar. „Nach und nach überwucherte ein Dickicht von Filz, Abhängigkeiten, dubiosen Interessengemeinschaften die Gerichtsstrukturen“, so der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro.

Generell gilt in Polen, wie in Deutschland, der Grundsatz, dass die richterliche Unabhängigkeit die Grenzen, die sich aus den Aufgaben der Gerichtsverwaltung bzw. Justizverwaltung ergeben, einhalten muss.

So lesen wir in dem deutschen Standardwerk „Richterrecht“ von Jürgen Thomas (Heymann, 1986):

„Die richterliche Unabhängigkeit stellt den Richter nicht von einer Dienstaufsicht frei. Er unterliegt der Dienstaufsicht insoweit, als nicht die richterliche Unabhängigkeit betroffen ist.
Im Rahmen der Dienstaufsicht kann dem Richter die ordnungswidrige Ausführung der Dienstgeschäfte dann vorgehalten werden, wenn es um die Sicherung des ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs, um die äußere Form oder um richterliche Tätigkeiten geht, die dem Kernbereich der Unabhängigkeit so weit entrückt sind, dass für sie die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit nicht in Anspruch genommen werden kann.

So ist es zulässig, den Richter zur Pünktlichkeit und zu angemessenen Umgangsformen mit anderen Verfahrensbeteiligten anzuhalten. Zulässig sind auch Geschäftsprüfungen, Vergleiche von Erledigungszahlen, Vorhalt von Rückständen, das Rügen einer gesetzwidrigen Terminierungspraxis und die Anregung, einen weiteren Sitzungstag in der Woche abzuhalten.

Betrifft die Dienstaufsicht hingegen den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit wie die Urteile oder Beschlüsse, ist sie nicht zulässig”, so Thomas.

Auf die Rechtsprechung der Richterkollegen hatten und haben die Gerichtspräsidenten, egal von wem berufen, keinen Einfluss. Die Reform bewegt sich also bis jetzt im Rahmen der zulässigen Dienstaufsicht.

In Polen gibt es 11 Appellations-, 45 Distrikt- und 321 Amtsgerichte mit insgesamt 377 Gerichtspräsidenten.

2. Gerichtspräsidenten werden nicht länger den Richtern ihre Verfahren zuweisen.

Vor allem „gut eingebundene“ Gerichtspräsidenten in kleineren Orten standen, berechtigt oder unberechtigt, im Verdacht auf diese Weise die Rechtsprechung zu beeinflussen. Junge, unerfahrene Kollegen bekamen manchmal komplizierte Verfahren zugewiesen, wenn sich der Prozess hinziehen oder gar im Sande verlaufen sollte. Strenge Kollegen saβen zu Gericht über die Feinde der Freunde. Milde Richter durften die Freunde der Freunde verurteilen usw., usf.

Ab sofort weist ein Zentralcomputer im Justizministerium jeden Nachmittag die an diesem Tag neu eingegangenen Fälle zu. Hierzu wurde für jedes polnische Gericht eine entsprechende Applikation entwickelt, die nach dem Zufallsprinzip arbeitet.

3. Spruchkörper und Einzelrichter bleiben während des gesamten Verfahrens dieselben.

Richter, die befördert oder versetzt werden bzw. bald in den Ruhestand treten, sind verpflichtet alle ihre laufenden Verfahren zu Ende zu bringen. Bis jetzt endete der Weggang von Richtern damit, dass Prozesse wieder neu aufgenommen und bereits durchgeführte Beweiserhebungen, Gutachter- und Zeugenanhörungen wiederholt werden mussten.

4. Arbeitsbelastung der Richter – objektivere Kriterien

Ein elektronisches System wird jedes Verfahren nach einheitlichen Kriterien „bewerten“: so z.B. nach der Zahl der Angeklagten, Zeugen und Gutachter, der Dauer der Beweisaufnahme, der Komplexität der rechtlichen Problemstellung und einiges mehr. Für jedes Merkmal werden Punkte vergeben, die, addiert, die Gesamtpunktzahl für das Verfahren ergeben.

Auf diese Weise erhält der Gerichtspräsident ein weitgehend objektives Bild bezüglich der Arbeitsbelastung der einzelnen Richter. So bekommt beispielsweise ein Richter, der zwei juristisch einfache Verfahren mit einer Bewertung von jeweils fünfzehn Punkten abgeschlossen hat, dreißig Punkte. Einem anderen Richter wurden hingegen zweihundert Punkte gutgeschrieben, für nur einen, dafür aber sehr komplizierten und umfangreichen Prozess.

5. Beurteilungen

Planmäβige Kontrollen und zyklische Beurteilungen der Richter werden abgeschafft. Dienstaufsichtskontrollen soll es nur im Falle häufiger Beschwerden geben. Etwa einhundertfünfzig Richter, die bis dato ausschließlich Aufsichts- und Kontrollfunktionen innehatten, sollen in die Gerichtssäle zurückkehren.

6. Gläserne Richter

Wie schon jetzt Abgeordnete, hohe Staatsbeamte und alle Staatsanwälte, müssen zukünftig auch die Richter am Anfang eines jeden Jahres eine Vermögenserklärung abgeben: Nebeneinkünfte, Ersparnisse, Wertpapiere, Grundbesitz, Autos müssen aufgelistet werden. Die Vermögenserklärungen können auf der Internetseite des jeweiligen Gerichtes eingesehen werden.

7. Karriere

In die Appellationsgerichte (dritte Instanz) können von nun an ebenfalls Richter aus den Amtsgerichten berufen werden (die vorherige Arbeit an einem Distriktgericht ist nicht mehr Voraussetzung). Dasselbe gilt für Staatsanwälte, Notare und Anwälte mit einer mindestens zehnjährigen Berufspraxis. Der Landesjustizrat muss auch diese Berufungen absegnen und dem Staatspräsidenten, der die Beufung vornimmt, unterbreiten.

Herausragenden Richtern und Vertretern anderer juristischer Berufe, so die offizielle Absicht, soll auf diese Weise der Weg in die höhere Gerichtsbarkeit geebnet werden. Beim Obersten Gericht gilt diese Regelung schon seit vielen Jahren. Da in den Appellationsgerichten ausnahmslos dreiköpfige Spruchkörper die Urteile fällen, werden die neuen Kollegen unter den wachsamen Augen von zwei in dieser Instanz erfahrenen Richtern ihren Einstieg haben.

8. Gesundheit

Für die gesamte Amtszeit eines Richters wird die Möglichkeit zur Beurlaubung zum Zweck der Rehabilitation von maximal einem Jahr (im Anschluss an eine maximal sechsmonatige Krankschreibung) eingeführt, vorausgesetzt es besteht keine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit. Während der Beurlaubung werden fünfundsiebzig Prozent der Bezüge gezahlt.

Bis jetzt konnten Richter, aufgrund ärztlicher Atteste, jedoch ohne Feststellung einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit in den vorgezogenen Ruhestand (mit hundert Prozent der Bezüge) gehen. Während einer Beurlaubung zur Rehabilitation und im vorgezogenen Ruhestand müssen sich Richter ab jetzt regelmäβig Untersuchungen durch eine Ärztekommission der staatlichen Sozialversicherungsanstalt unterziehen, um den Missbrauch, den es in der Vergangenheit gab, zu unterbinden.

9. Entsendungen

Auβer ins Justizministerium können Richter ab jetzt auch in die Kanzlei des Staatspräsidenten und ins Auβenministerium entsandt werden und dort jede Beamtenstelle übernehmen, für die ihr Fachwissen benötigt wird, mit Ausnahme der des Generaldirektors der drei Behörden. Den Antrag auf Entsendung stellen der Justiz- bzw. der Auβenminister oder der Staatspräsident. Etwa einhundertfünfzig Richter arbeiten bereits im Justizministerium. Weitere Entsendungen, und damit noch mehr fehlende Richter, so die Kritiker, werden sich negativ auf die Arbeit der Gerichte auswirken.

10. Ruhestand

Da Polen zu dem von der Regierung Tusk 2013 abgeschafften Renteneintrittsalter (Frauen mit sechzig Jahren, Männer mit fünfundsechzig) zurückkehrt, wurde auch im neuen Gerichtsverfassungsgesetz das Ruhestandseintrittsalter für Richter diesem Niveau angepasst. Richterinnen die bis zum 65. Lebensjahr arbeiten wollen entscheiden das selbst. Die Tusk-Reform hatte das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre für Frauen und Männer festgelegt.

Richter, die maximal drei Jahre länger als bis zum 65. Lebensjahr arbeiten wollen müssen den Justizminister um Erlaubnis bitten. Bis jetzt musste der Justizminister lediglich von solchen Plänen in Kenntnis gesetzt und ein Arbeitstauglichkeitsnachweis vorgelegt werden.

Richter zahlen in Polen keine Sozialversicherungsbeiträge. Ihre gesamte Sozialversorgung, das Ruhestandsgeld eingeschlossen, wird aus dem Staatshaushalt bezahlt.

11. Auslandsbevollmächtigter

An allen Gerichten wird es zukünftig einen sogenannten Auslandsbevollmächtigten geben, der seine Richterkollegen bei Rechtsangelegenheiten mit Auslandsbezug, deren Zahl zunimmt, beraten soll.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

© RdP




Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat

Was wurde wie verändert.

Neufassungen von drei wichtigen Regelwerken bilden das Fundament der polnischen Justizreform:  die  des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Gesetze über den Landesjustizrat (LJR) sowie die des Obersten Gerichts (OG). Wir stellen sie vor. 

Mitte Dezember 2017 verabschiedete das Parlament die Gesetze über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht. Es war der zweite Anlauf.

Beim ersten Mal, im Juli 2017, wurden auch diese beiden Gesetze zwar vom Parlament verabschiedet, aber Staatspräsident Andrzej Duda brachte sie zu Fall, indem er seine Unterschrift verweigerte. Über die erforderliche Mehrheit von 3/5 der Stimmen im Parlament, um das Veto des Staatspräsidenten zu überstimmen, verfügt das Regierungsbündnis, mit Recht und Gerechtigkeit als stärkster Partei, nicht. Die Gesetze traten nicht in Kraft.

Staatspräsident Andrzej Duda war mit der rigorosen Art, in der die regierende Mehrheit den Landesjustizrat und das Oberste Gericht reformieren wollte nicht einverstanden. Er versprach, bis Ende September 2017 eigene Gesetzentwürfe im Parlament einzubringen.

Im August und September 2017 fanden daraufhin vier streng vertrauliche Gesprächsrunden zwischen Staatspräsident Andrzej Duda und dem Parteichef von Recht und Gerechtigkeit, Jarosław Kaczynski, statt. Über Detailfragen einigten sich anschließend zwei bevollmächtigte Fachleute. Man wollte im Vorfeld alle Streitpunkte ausräumen, um dieses Mal eine reibungslose Verabschiedung der Gesetzesvorlagen zu gewährleisten. Die so vorbereiteten Entwürfe brachte der Staatspräsident schließlich Ende September 2017 im Parlament ein.

Nach einer weiteren Konsultationsrunde über die Justizreform. Staatspräsident Andrzej Duda bringt Jarosław Kaczyński zur Tür.

War die Reform des LJR mit der polnischen Verfassung vereinbar?

Der Artikel 187 4 der polnischen Verfassung besagt: „Den Aufbau, den Tätigkeitsbereich und die Arbeitsweise des Landesjustizrates und das Verfahren bei der Wahl seiner Mitglieder regelt ein Gesetz.”

Ein diesbezügliches Gesetz wurde ordnungsgemäβ am 12. Dezember 2017 durch das Parlament verabschiedet.

Was ist der LJR?

Ein in der polnischen Verfassung vorgesehenes Gremium. Artikel 186 1: „Der Landesjustizrat wacht über die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter.“

Der Sitz des Landesjustizrates in Warschau.

Zusammensetzung des LJR (unverändert)

Diese regelt der Artikel 187 1 der polnischen Verfassung. Der Landesjustizrat besteht aus 25 Mitgliedern. Dies sind:

1. Von Amtswegen: die Präsidenten des Obersten Gerichtes und des Obersten Verwaltungsgerichtes sowie der Justizminister. Alle Drei bleiben im LJR so lange sie ihre Ämter innehaben.

2. Ein Vertreter, ernannt und abberufen durch den Staatspräsidenten.

3. Vier Abgeordnete, gewählt vom Sejm (untere Kammer des Parlaments), zwei Senatoren, gewählt vom Senat (obere Parlamentskammer).

4. Fünfzehn Richter (zwei vom Obersten Gericht, zwei von den Appellationsgerichten, zwei von den Verwaltungsgerichten, acht von Kreisgerichten und einer aus der Militärgerichtsbarkeit. Das richterliche „Fuβvolk“ der Amtsgerichte war bisher im LJR nicht vertreten.

Amtsperiode des LJR (verändert)

Die Amtsperiode der gewählten Mitglieder des LJR beträgt nach wie vor vier Jahre. Bisher wurden frei gewordene Positionen fortlaufend für vier Jahre neu besetzt. Es fand also ein kontinuierlicher Wechsel statt.

Jetzt sollen alle gewählten Mitglieder des LJR gleichzeitig ihre Amtsperiode beginnen und beenden. Vorzeitig ausscheidende, gewählte Mitglieder soll eine Nachwahl durch das Parlament bestimmen. Die Amtsperiode der Nachgewählten endet mit der laufenden Amtsperiode des gesamten Landesjustizrates.

Der amtierende, entsprechend des alten Prinzips funktionierende LJR soll nach der Wahl des neuen Landesjustizrates (wahrscheinlich im Januar 2018) seine Tätigkeit automatisch beenden.

Zuständigkeiten (teilweise verändert)

Der LJR:

● wendet sich im Bedarfsfall an das Verfassungsgericht, mit dem Antrag alle Regelungen, die die richterliche Unabhängigkeit und die Unabhängigkeit der Gerichte betreffen auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung zu überprüfen (wie gehabt).

Der LJR ist auβerdem zuständig für:

● die Auswahl, Überprüfung und Zulassung von Kandidaten auf das Richteramt, die der Staatspräsident ernennt (wie gehabt),

● die Auswahl, Überprüfung und Zulassung von Richter-Kandidaten zur Beförderung in Gerichte einer höheren Instanz, die der Staatspräsident ernennt (wie gehabt),

● die Auswahl, Überprüfung und Zulassung von Richter-Kandidaten auf die Verwaltungsposten der Gerichtspräsidenten und ihrer Vertreter (entfällt. Diese Ernennungen und Abberufungen nimmt nach dem neuen Gerichtsverfassungsgesetzt der Justizminister vor),

● die Versetzung von Richtern in den Ruhestand nach dem 65. Lebensjahr, Aktivierung von Ruheständlern (wie gehabt).

● die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen Richter vor Disziplinargerichten (wird ergänzt. Ein entsprechendes Verfahren kann jetzt auch der Justizminister anregen, entweder vor den Disziplinarkammern der  Gerichte oder vor der neugegründeten Disziplinarkammer am Obersten Gericht).

Die Hinzuwahl der Richter in den LJR. Bisher.

Bis jetzt haben Mitglieder des LJR, durch Mehrheitsbeschluss, neue Richter in den Rat berufen, es galt also der Grundsatz der Kooptation.

Warum die Zuwahl in den LJR abgeschafft wurde.

Kooptation ist die Hinzuwahl von neuen Mitgliedern durch die bereits bestehenden Mitglieder einer Gemeinschaft, eines Gremiums.

„Für die Wahl von Regierungen, Parlamenten oder anderen Vertretungsorganen ist das Verfahren der Kooptation nicht mit einem demokratischen und rechtsstaatlichen Verständnis vereinbar. Hier hat die Zuwahl einen gänzlich undemokratischen, oligarchischen Charakter“. (Siehe dazu Karl Loewenstein: „Kooptation und Zuwahl. Über die autonome Bildung privilegierter Gruppen”, Frankfurt a. M. 1973).

Nach 1989 fand in Polen keine Überprüfung der Richter aus der kommunistischen Zeit statt. Bis auf ganz wenige Ausnahmen verblieben alle, darunter viele ehemalige aktive Mitglieder der kommunistischen Partei sowie Richter, die politische Unrechtsurteile gesprochen haben, in ihrem Amt. Viele sind zwischenzeitlich aus Altersgründen ausgeschieden, viele sind aber auch aufgestiegen und haben noch heute leitende Positionen im Justizwesen inne. Durch den Landesjustizrat und andere hohe Ämter formten und bestimmten sie seit 1989 den Richternachwuchs.

Es war, als würde man in der vereinigten Bundesrepublik alle DDR-Richter auf ihren Posten belassen und ihnen eine absolute Autonomie gewähren. Sie würden, wie in Polen durch den LJR, über die Berufung des Nachwuchses in den Richterstand, über Beförderungen in höhere Gerichtsinstanzen, über die Bestrafung oder Nichtbestrafung von Kollegen in Disziplinarverfahren bestimmen.

Über zwei Jahrzehnte lang führte dieses in sich geschlossene System zu vielen Missständen und einer wachsenden Entfremdung des Justizwesens von der sozialen Wirklichkeit und seinen eigentlichen Aufgaben, hin zu einem auf das eigene Wohlergehen orientierten Dasein. Auf der Strecke blieb eine beträchtliche Anzahl von Bürgern, die das zunehmend lahmende, ineffiziente Justizwesen im Stich lieβ.

Jeder Versuch das zu ändern prallte an diesem System ab, wurde und wird zudem, bis heute, als ein Anschlag auf die richterliche Unabhängigkeit ausgelegt. Im Gegensatz dazu genieβt die Justizreform eine enorme (laut Umfragen mehr als 80 Prozent) Zustimmung in der Bevölkerung.

Sogar die Venedig-Kommission bemerkte 2014 in einem ihrer Berichte: „In Körperschaften wie den Landesjustizräten darf es keine eindeutige Vorherrschaft der Richter geben, ansonsten könnten dort Kungeleien, Berufsdünkel und Cliquenbildung die Oberhand gewinnen“.

Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stellte in einem ihrer Berichte fest: „Auf internationaler Ebene ist man allgemein der Meinung, dass die Landesjustizräte nicht ausschlieβlich oder mehrheitlich aus Vertretern der Justiz bestehen sollten. Es geht darum Eigennutz, gegenseitiges Decken, Kungeleien, Berufsdünkel zu vermeiden“.

Die Wahl der Richter in den LJR. Künftig

● Die fünfzehn Richter werden vom Parlament in den LJR gewählt.

● Jeweils ein Kandidat wird entweder von einer Gruppe von mindestens zweitausend Bürgern oder mindestens fünfundzwanzig Richtern vorgeschlagen. Die Kandidaturen werden dem Parlamentspräsidenten mitgeteilt, der die Überprüfung der Anträge (Zahl der Unterschriften, ihre Authentizität usw.) und der Kandidaten (Personalien, vorgesehene fachliche, berufliche, moralische Kompetenz usw.) anordnet.

● Im parlamentarischen Justizausschuss wird, in Absprache zwischen der Regierungsmehrheit und der Opposition, eine fünfzehnköpfige Kandidatenliste erstellt. Neun Richter-Kandidaten bestimmt die Regierungsmehrheit, sechs die Opposition.

● Das Parlament wählt die so vereinbarte Liste mit einer 3/5 Mehrheit.

● Die Opposition hat bereits einige Male gedroht, sie werde an der Prozedur nicht teilnehmen und so die Entstehung eines neuen LJR unmöglich machen. Um eine solche dauerhafte Blockade zu vermeiden, ist eine Notlösung vorgesehen.

Kommt es nicht zu einer einvernehmlichen Einigung im parlamentarischen Justizausschuss, wählt das Parlament aus einer Liste, die alle (auf jeden Fall mehr als fünfzehn) Kandidaturen umfasst, fünfzehn Richter in den LJR. Dies geschieht in einer namentlichen Abstimmung. Die Abgeordneten werden aufgerufen und werfen ihre namentliche Stimmkarte in eine Urne, wobei jeder Abgeordnete nur einen Kandidaten auf der Liste ankreuzen darf. Die fünfzehn Kandidaten mit den meisten Stimmen gelten als gewählt.

● Alle in den LJR gewählten Richter sind nicht abrufbar und denjenigen, die ihre Kandidatur unterstützt haben keine Rechenschaft schuldig. Eine Wiederwahl ist ausgeschlossen, was ihre Unabhängigkeit zusätzlich stärken soll.

● Die zehn übrigen LJR-Mitglieder, die keine Richter sind, werden nach den bisherigen, unveränderten Regeln gewählt bzw. ernannt.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz.

Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht.

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

© RdP




Polens Justizreform genau betrachtet 3. Das Oberste Gericht

Was wurde wie verändert.

Das Fundament der polnischen Justizreform bilden die Neufassungen von drei wichtigen Regelwerken: des Gerichtsverfassungsgesetzes sowie der Gesetze über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht (OG). Wir stellen sie vor. 

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht.

Mitte Dezember 2017 verabschiedete das Parlament die Gesetze über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht. Es war der zweite Anlauf. Beim ersten Mal, im Juli 2017, wurden auch diese beiden Gesetze zwar vom Parlament verabschiedet, aber Staatspräsident Andrzej Duda brachte sie zu Fall, indem er seine Unterschrift verweigerte. Über die erforderliche Mehrheit von 3/5 der Stimmen im Parlament, um das Veto des Staatspräsidenten zu überstimmen, verfügt das Regierungsbündnis, mit Recht und Gerechtigkeit als stärkster Partei, nicht.

Staatspräsident Andrzej Duda war mit der rigorosen Art, in der die regierende Mehrheit den Landesjustizrat und das Oberste Gericht reformieren wollte nicht einverstanden. Er versprach, bis Ende September 2017 eigene Gesetzentwürfe im Parlament einzubringen.

Im August und September 2017 fanden daraufhin vier streng vertrauliche Konsultationen zwischen Staatspräsident Andrzej Duda und dem Parteichef von Recht und Gerechtigkeit, Jarosław Kaczynski, statt. Über Detailfragen einigten sich anschlieβend zwei bevollmächtigte Fachleute. Man wollte im Vorfeld alle Streitpunkte ausräumen, um dieses Mal eine reibungslose Verabschiedung der Gesetzesvorlagen zu gewährleisten. Die so vorbereiteten Entwürfe brachte der Staatspräsident Ende September 2017 im Parlament ein.

Sehr lesenswert hierzu: Polens Justizreform. Die andere Meinung. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat.

Karyatiden vor dem Eingang zum Obersten Gericht in Warschau.

1. War die Reform des Obersten Gerichtes mit der polnischen Verfassung vereinbar?

Artikel 176.2 der polnischen Verfassung besagt: „Den Aufbau und die Zuständigkeit der Gerichte sowie das Verfahren vor den Gerichten regeln die Gesetze”.

Ein Gesetz über Veränderungen im Aufbau sowie über zwei neue Zuständigkeitsbereiche des Obersten Gerichtes wurde am 12. Dezember 2017 ordnungsgemäβ durch das Parlament verabschiedet.

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht mit dem Denkmal des Warschauer Aufstandes von 1944.

2. Was ist das Oberste Gericht?

Es ist das höchste Gericht der Republik Polen für letztinstanzliche Entscheidungen in Verfahren der ordentlichen sowie der Militärgerichtsbarkeit.

3. Der Aufbau, die Aufgaben des Obersten Gerichtes (verändert)

Anders als in der Bundesrepublik, wo für die wichtigsten Rechtsgebiete in letzter Instanz fünf separate Bundesgerichte zuständig sind, gibt es in Polen nur zwei gesonderte höchste Gerichte. Das Oberste Verwaltungsgericht sowie das Oberste Gericht, das durch mehrere Kammern alle anderen Rechtsgebiete abgedeckt.

Neben den beiden Obersten Gerichten existiert in Polen, wie in Deutschland, das Verfassungsgericht, das, wenn es angerufen wird, Urteile der Fachgerichte dahingehend überprüft, ob diese im Einklang mit der Verfassung stehen. Eine Prüfung der korrekten Anwendung des jeweiligen Fachrechtes ist in beiden Ländern nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtes, sondern der Obersten Gerichte.

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht.

Das Oberste Gericht besteht aus folgenden Kammern:

● Strafkammer, ● Zivilkammer, ● Kammer für Arbeit, Sozialversicherungswesen und Öffentliche Angelegenheiten ● Kammer für Sonderkontrolle und Öffentliche Angelegenheiten (neu eingerichtet), ● Disziplinarkammer (neu eingerichtet) und ● Militärkammer (wird abgeschafft).

Die neue Kammer für Sonderkontrolle und Öffentliche Angelegenheiten des OG ist zuständig u. a. für:

die Feststellung der Gültigkeit von Wahlen und Volksbefragungen auf Antrag des Staatlichen Wahlausschusses;

die Prüfung von Einsprüchen gegen die Wahl (diese müssen spätestens sieben Tage nach Verkündung der Amtlichen Wahlergebnisse durch den Staatlichen Wahlausschuss eingereicht werden). Beide Zuständigkeiten oblagen bisher der Kammer für Arbeit, Sozialversicherungswesen und Öffentliche Angelegenheiten.

Kassationsklagen (Anfechtungsklagen) aus dem Bereich des Konkurrenz- und Verbraucherrechts.

Sowie:

Sonderrevisionsklagen.

Diese neue Einspruchsform, die Andrzej Duda in seinem Wahlkampf oft zur Sprache gebracht hat, ist auf ausdrücklichen Wunsch des heutigen Staatspräsidenten eingeführt worden. Es gehe ihm um mehr Bürgernähe und die Demokratisierung des Justizwesens.

„Ich bin fest davon überzeugt, dass dank dessen viele Bürger, die sich ungerecht behandelt fühlen, denen Unrecht widerfahren ist, den Glauben daran zurückerlangen werden, dass Polen ein ehrlicher und gerechter Staat ist, der sich um seine Bürger kümmert“, sagte Duda als er das neue Gesetz unterschrieb.

Die Sonderrevision soll für alle rechtskräftigen Urteilen gelten, „wenn diese die garantierten bürgerlichen und Freiheitsrechte einschränken, das geltende Recht offensichtlich falsch auslegen oder anwenden, bzw. im offensichtlichen Widerspruch zur festgestellten Beweislage stehen“, so Dudas Erläuterung.

Ausgenommen sind Scheidungsurteile, wenn eine oder beide Parteien neu geheiratet haben.

Das Oberste Gericht in Warschau. Der groβe Verhandlungssaal.

Der Sonderrevision werden Urteile unterliegen, die im Rahmen anderer Einspruchsverfahren nicht mehr abgeändert werden können. Sie dürfen nicht länger als fünf Jahre lang rechtskräftig sein.

Eine Sonderrevision dürfen, auf Antrag des betroffenen Bürgers und nach gründlicher Prüfung, beim OG beantragen: der Generalstaatsanwalt, der Bürgerbeauftragte des Parlaments, eine Gruppe von 30 Sejm-Abgeordneten oder 20 Senatoren und (in ihrem Zuständigkeitsbereich) der Beauftragte für Kinderrechte, der Beauftragte für Patientenrechte, der Chef der Staatlichen Finanzaufsicht, der Chef des Kartell- und Verbraucheramtes.

Wird der Sonderrevision vor dem OG stattgegeben, kann das Gericht in der Sache selbst ein Urteil fällen oder den Fall zur Wiederaufnahme an das zuständige Gericht weiterleiten. Bei Entscheidung des OG zugunsten einer Partei ist keine weitere Sonderrevision zulässig.

Wie die Sonderrevision in der Praxis funktionieren wird, muss abgewartet werden. Die Beurteilungen in Fachkreisen reichen von Lob und Zuversicht, dass Richter dadurch zu mehr Bedacht und Sorgfalt in der Rechtsprechung gezwungen werden, bis zu Horrorszenarien, die Anarchie, das Ende der Rechtssicherheit und sogar einen neuen Bolschewismus aufkommen sehen. In der Öffentlichkeit ist Dudas Vorstoβ mit viel Applaus aufgenommen worden.

Briefmarke der Polnischen Post von 2018 zum 100. Jahrestag der Gründung des polnischen Obersten Gerichtes.

Noch spannender wird es durch eine weitere Neuerung: an den Sonderrevisionsverfahren am Obersten Gericht sollen Beisitzer teilnehmen, die es bis jetzt nicht gab.

Sie werden von der oberen Parlamentskammer, dem Senat, für vier Jahre gewählt. Juristische Kenntnisse sind nicht zwingend vorgeschrieben. Kandidaten vorschlagen dürfen Verbände, Gewerkschaften oder Gruppen von mindestens einhundert Bürgern. Politische Parteien sind davon ausgeschlossen.

100 Jahre Oberstes Gericht. Ersttagsbrief der Polnischen Post von 2018.

Die neue Disziplinarkammer des OG

Zuständig für Disziplinarverfahren gegen Vertreter aller juristischen Berufe: Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Rechtsbeistände (in Polen, anders als in Deutschland, ein eingetragener, verbreiteter juristischer Beruf mit eigener Disziplinargerichtsbarkeit), Notare und Gerichtsvollzieher.

Es gilt die Zweiinstanzlichkeit. Die erste Instanz bilden die Disziplinargerichte der jeweiligen Gerichte, bzw. die Disziplinargerichte der oben erwähnten juristischen Berufe. Zweite Instanz ist die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts: bestehend aus zwei Richtern und einem Beisitzer.

Für Richter am OG besteht die erste Instanz aus einem Spruchkörper mit zwei Richtern und einem Beisitzer der Disziplinarkammer. Die zweite Instanz bilden drei Richter und zwei Beisitzer.

Ankläger in den Disziplinarverfahren vor dem OG sind die Disziplinarbeauftragten der jeweiligen Gerichte bzw. Berufe. Der Beschuldigte wird vertreten durch einen Verteidiger seiner Wahl (Anwalt, Richter, Staatsanwalt, Rechtsbeistand).

Mögliche Strafen: ● Abmahnung ● Verweis ● Gehaltsminderung zwischen fünf und fünfzig Prozent für mindestens sechs, maximal vierundzwanzig Monate ● Enthebung von der Funktion ● Entfernung aus dem Richterstand.

Die Disziplinarkammer wird am Obersten Gericht eine herausgehobene Position haben, mit einer eigenen Kanzlei und einem eigenen Kanzleichef. Sie ist jedoch Bestandteil der Kanzlei des OG-Präsidenten, die allen anderen Kammern verwaltungstechnisch zuarbeitet.

Das Oberste Gericht in Warschau. Auβenansicht.

Die Militärkammer des OG (abgeschafft)

War die höchste Instanz der Militärgerichtsbarkeit, zuständig u. a. für Kassationsklagen gegen Urteile der zwei Oberen Militärgerichte (Warschau, Poznań). Im Jahr 2016 hatte sie lediglich 65 Verfahren durchzuführen (im Vergleich arbeitete das gesamte OG im selben Zeitraum an 11.102 Verfahren).

Gründe: Abschaffung der Wehrpflicht 2009. Zudem wurden seit 2008 Soldaten von Militärgerichten nur noch für Straftaten, die unmittelbar mit dem Militärdienst im Zusammenhang standen verurteilt und nicht, wie früher, für alle Straftaten. Mangels Auslastung haben die sechs Militärrichter an der Strafkammer des Obersten Gerichts „ausgeholfen“. Sie werden jetzt alle (drei sind über 65) in den Ruhestand versetzt.

Die Aufgaben der Militärkammer übernimmt die Strafkammer des OG.

Das Ruhestandsalter

Artikel 180.4 der polnischen Verfassung besagt: „Das Gesetz regelt die Altersgrenzen für den Ruhestand der Richter”.

Der Artikel 180.5 der polnischen Verfassung besagt: „Der Richter darf im Falle der Änderung des Aufbaus der Gerichte oder der Änderung der Grenzen der Gerichtsbezirke an ein anderes Gericht oder, unter Beibehaltung seiner vollen Bezüge, in den Ruhestand versetzt werden“.

Beim Entwerfen des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht hat Staatpräsident Andrzej Duda von beiden Bestimmungen Gebrauch gemacht.

Das Eintrittsalter in den Ruhestand wurde auch für die Richter am OG von 70 auf 65 Jahre herabgesetzt und damit den allgemein in Polen, auch in der übrigen Gerichtsbarkeit, geltenden Regelungen angepasst: 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen, wobei Richterinnen dieses Alters allein entscheiden, ob sie in den Ruhestand gehen möchten oder bis 65 weitermachen wollen.

Wer 65 wird und maximal noch drei Jahre länger als Richter arbeiten möchte, muss ein Gesuch an den Staatspräsidenten stellen und ein Arbeitstauglichkeitsattest beilegen. Die Entscheidung darüber (genauso wie bei Berufungen ins Richteramt und bei der Bestätigung von Beförderungen) liegt allein beim Staatspräsidenten und muss von ihm nicht begründet werden.

Präsidentin des Obersten Gerichtes, Małgorzata Gersdorf ist eine der Führungspersonen des Widerstandes gegen die Justizreform. Hier bei der Protestkundgebung in Warschau am 24. Juli 2017.

Das neue Gesetz über das Oberste Gericht trat am 3. Juli 2018 in Kraft. An diesem Tag arbeiteten am OG 73 Richter, von denen 27 unter die neue Ruhestandsregelung fallen.

Sechzehn von ihnen haben ein Gesuch um Verlängerung an den Staatspräsidenten gerichtet. Acht dieser Gesuche entsprechen nicht dem neuen OG-Gesetz, sondern berufen sich nur auf Art. 180.1 der Verfassung: „Die Richter sind unabsetzbar“, ignorieren also Ausnahmen (Art. 180.4 und 180.5), die die Verfassung vorsieht und auf die sich der Staatspräsident in seinem von der Parlamentsmehrheit verabschiedeten Gesetzentwurf beruft.

Nur acht der Verlängerungsgesuche der Richter am OG entsprechen dem neuen Gesetz und haben eine Chance darauf positiv beschieden zu werden.

Die Präsidentin des OG, Prof. Małgorzata Gersdorf (sie ist im November 2017 fünfundsechzig Jahre alt geworden) hat es abgelehnt ein Gesuch auf Verlängerung zu stellen. Die Amtszeit des OG-Präsidenten beträgt sechs Jahre, d. h. sie müsste/könnte als Gerichtspräsidentin noch bis 2020 amtieren.  Da sie aber kein  Gesuch auf Verlängerung gestellt hat, ist sie mit ihren knapp 66 Jahren ab dem 4. Juli 2018 automatisch Richterin im Ruhestand, und als solche kann sie nicht Gerichtspräsidentin sein.

Frau Gersdorf lehnt die Einhaltung des neuen OG-Gesetzes ab und will bis 2020 amtieren. Sie ist eine der Führungspersonen des Widerstandes gegen die Justizreform, woran sie mit ihren Auftritten bei Protestdemonstrationen und radikalen politischen Stellungnahmen keine Zweifel aufkommen lässt.

Geplant ist eine Aufstockung der Richterzahl am OG auf 120.

Ausführlich über die polnische Justizreform berichten wir in folgenden Beiträgen:

Polens Justizreform. Warum Staatspräsident Duda unterschrieben hat. 

Polens Justizreform genau betrachtet 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz.

Polens Justizreform genau betrachtet 2. Der Landesjustizrat. 

Polens Justizreform. Der tiefe Fall der Richter. 

Polens Justizreform. Mythen und Fakten. 

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Das Wichtigste aus Polen 10. Dezember – 23. Dezember 2017

Kommentator Prof. Marek Cichocki und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦  EU-Kommission zündet „Atombombe“, eröffnet das Sanktionsverfahren gegen Polen. Beifall in Deutschland ♦ Ziele und Maβnahmen der polnischen Justizreform. ♦ Regierungserklärung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Wofür steht der neue Regierungschef in der Innen- und Auβenpolitik? ♦ Von Polen aus gesehen. Koalitionsverhandlungen. Deutschland beschäftigt sich mit sich selbst und das ist gut so.




Das Wichtigste aus Polen 20. August – 16. September 2017

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Polen wartet gespannt auf zwei Gesetzentwürfe des Staatspräsidenten zur Justizreform. Wie weit hat sich Andrzej Duda politisch von den Nationalkonservativen entfernt? ♦ Jean Claude Junckers neueste Europa-Visionen  stoβen auf wenig Gegenliebe in Polen. ♦ Kriegsreparationen von Deutschland sind ein  heiβes Eisen.

Lesen Sie das polnische Rechtsgutachten – deutscher Text.

♦ Der deutsche Bundestagswahlkampf mit polnischen Augen gesehen.




Das Wichtigste aus Polen 23. Juli – 5. August 2017

Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen. ♦ Das Veto des Staatspräsidenten bremst die Justizreform aus. Reformbefürworter und Reformgegner mit den angekündigten eigenen Gesetzesvorlagen zufriedenzustellen gleicht fast dem Versuch die Quadratur des Kreises zu lösen. Duda traut es sich zu. Man darf gespannt sein. ♦ Veto hin, Veto her, die EU droht wie immer mit Sanktionen. ♦ Auch Moskau will Polen mit Sanktionen belegen und zwar wegen des geplanten Abbaus der noch verbliebnenen sowjetischen Heldendenkmäler ♦ Brüssel und Moskau drohen, die Geburtenrate steigt.




Das Wichtigste aus Polen 18. Juni – 22. Juli 2017

Kommentatorin Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die  wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen.  ♦ Die Justizreform ist unter Dach und Fach. ♦ Die Visite des britischen Thronfolgerpaares hatte auch eine politische Dimension ♦ Aus der Distanz. Was hat der Trump-Besuch in Warschau gebracht? ♦ Von Tallin via Warschau nach Sofia. Die Dreimeeresinitiative: deutsche Ablehnung und die Wirklichkeit.