Furor Polonicus

Am 24. April 2015 starb Władysław Bartoszewski.

Niemand ist so vortrefflich, dass kein Makel an ihm wäre. Władysław Bartoszewski wird in allen Nachrufen in Deutschland als ein Mann der Versöhnung und Verständigung dargestellt. Doch Bartoszewski war auch ein Mann des unerbittlichen politischen Kampfes, um ein hartes, oft sehr verletzendes Wort nicht verlegen. Er trat ein in die Geschichte als Widerstandskämpfer gegen die nazideutsche und als Oppositioneller gegen die kommunistische Tyrannei, dessen Verdienste nicht genug gewürdigt werden können. Mit ihm ist zugleich ein Parteipolitiker gestorben, der sich in den letzten Jahren seines Lebens voller Zorn und Verbissenheit mitten ins Gewirr der politischen Konfrontation in Polen stürzte. Er konnte hart austeilen, schrie aber Zeter und Mordio wenn man es ihm mit gleicher Münze zurückzahlte. Schade, dass sehr viele seiner Landsleute ihn vor allem so in Erinnerung behalten werden.

Die Enttäuschung über das einstige Idol spiegelt sich in dem Nachruf von Piotr Zaremba wider, eines sehr nachdenklichen, umsichtigen, konservativen Beobachters der polnischen politischen Szene, geschrieben für das Internetportal „wPolityce.pl“ (“inderPolitik.pl“).

„Was für eine Biografie!“

„Zum ersten Mal habe ich ihn als Gymnasialschüler 1981, während der ersten Solidarność, nicht lange vor der Verhängung des Kriegsrechts, bei einem Vortrag über die polnische Geschichte erlebt, gehalten in einem Warschauer Studentenheim. Es war eine durch und durch oppositionelle Veranstaltung. Der schnell sprechende Herr erwies sich als ein faszinierender Cicerone durch eine Welt, die mit der offiziellen Propaganda nichts zu tun hatte.

Menschen mit konservativen Überzeugungen, polnische Patrioten, die sich den besten Traditionen unserer Geschichte verpflichtet fühlen, sind heute verblüfft, wenn man sie daran erinnert, dass Bartoszewski damals einer von ihnen war. Ein halbes Jahr in Auschwitz, dann in der Heimatarmee, im Warschauer Aufstand, in Mikołajczyks Bauernpartei nach 1945, sechs Jahre in kommunistischen Kerkern, fünf Monate Internierung nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen am 13. Dezember 1981… Bartoszewski pflegte damals ausschließlich Umgang mit grundanständigen Menschen, die, wie er, viel Schlimmes im kommunistischen Polen hatten durchleiden müssen. Er zeichnete sich durch Zivilcourage aus. Was für eine wunderbare Biografie, und was ist aus ihr geworden!“, schreibt Zaremba.

Der symbolische Professor

Władysław Bartoszewski wurde 1922 in Warschau geboren. Der Vater war Bankdirektor. Das Abitur machte er im Juni 1939, am 1. September marschierten die Deutschen in Polen ein. Es war ihm nicht vergönnt jemals ein Hochschulstudium abzuschlieβen. Bartoszewski studierte während der deutschen Besatzung, ab 1941, Polonistik an der Warschauer Untergrunduniversität, es folgten zwei weitere Anläufe nach dem Krieg: ab 1948 und ab 1958. Der Ausbruch des Warschauer Aufstandes, die Verhaftung nach dem Krieg und zuletzt berufliche und familiäre Verpflichtungen machten jedoch einen Abschluss, geschweige denn das Schreiben einer Doktorarbeit und einer Habilitationsschrift, unmöglich.

Der Professorentitel, mit dem er meistens angesprochen und angeschrieben wurde, war ein symbolischer. Bartoszewski genoss es, vermied konsequent den Sachverhalt richtigzustellen und konnte sehr ungehalten werden, wenn andere es taten.

Dennoch, der beredte, vielbelesene, lebenserfahrene und hochintelligente „nur Abiturient“ war ein gefragter Dozent und Referent in Sachen Politik und neue Geschichte an der Katholischen Universität Lublin, an deutschen Universitäten wie München, Eichstätt und Augsburg. Zwölf Hochschulen in Polen, Deutschland, Israel und den USA haben ihm die Ehrendoktorwürde verliehen. Einige der in den 60er und 70er Jahren erschienenen Forschungen des begabten Autodidakten über das Grauen der deutschen Besatzung in Warschau würden ohnehin den Anforderungen, die an eine Doktorarbeit gestellt werden, mehr als genügen.

Keine Angst vor deutschen Offizieren

Der knapp volljährige Władek folgte dem Rat des Vaters und besorgte sich eine Anstellung beim Polnischen Roten Kreuz, einer der wenigen polnischen Institutionen, die die Deutschen nicht verboten hatten. Doch die Hoffnung, ein Ausweis des PRK würde ihn schützen, trog. Am 19. September 1940 wurde Bartoszewski während einer groβangelegten Razzia in seiner Wohnung in Warschau verhaftet. Mit einem Transport von gut eintausend Warschauer Männern landete er drei Tage später im Konzentrationslager Auschwitz, das damals, in seiner Anfangsphase, für Polen bestimmt war. Der zweite Abschnitt, Birkenau, in dem vor allem Juden, aber auch Zigeuner, Polen und Russen vergast wurden, war noch nicht gebaut.

Zweihundert Tage lang dauerte seine Haft, bis ihn das Rote Kreuz im April 1941 herausholen konnte. Es war ein sehr seltener Glücksfall, aber damals noch möglich.

Kaum wieder zu sich gekommen, engagierte sich Bartoszewski in den Strukturen des Polnischen Untergrundstaates, die der polnischen Exilregierung in London unterstanden. Geleitet von einem konspirativen „Beauftragten der Regierung für die Heimat“, stets auf der Hut vor der Gestapo, überwachten und beeinflussten sie, so gut sie konnten, im Verborgenen alle Lebensbereiche des besetzten Staates. Die konspirative Heimatarmee (AK) war keine „Partisanenbewegung“ sondern ein Teil der Staatsstruktur, eine Armee im Untergrund, die einer zivilen Kontrolle unterstand.

Bartoszewski wurde nach dem Krieg nicht müde, das Wissen und die Erinnerung an dieses damals im besetzten Europa einmalige Gefüge zu pflegen. Die Feststellung „Polen hatte keine Widerstandsbewegung, sondern einen Staat im Untergrund“, war ihm extrem wichtig. Die Kommunisten, die im Nachhinein der legalen Exilregierung jede Legitimation absprechen wollten, hassten ihn dafür.

Er engagierte sich im Propagandawesen des Untergrunds und war zugleich, ab September 1942, im Untergrund-„Innendepartement“ stellvertretender Leiter des Judenreferates und Mitglied des konspirativen, ehrenamtlichen Rates für Judenhilfe (Deckname „Zegota“), in dem sich viele gutwillige Menschen engagierten. Falsche Papiere wurden besorgt, jüdische Kleinkinder in Klöstern untergebracht, Netzwerke der Rettung organisiert, Informationen über den Massenmord an den Juden gesammelt und nach London weitergeleitet, wo die polnische Exilregierung die Alliierten für das Problem zu interessieren versuchte. Auf die Hilfe für Juden stand im besetzten Polen, anders als etwa im okkupierten Frankreich, Holland oder Dänemark, die sofortige Todesstrafe für die Retter und diejenigen, die gerettet werden sollten.

Deswegen rieben sich viele an der Weichsel die Augen, als sie plötzlich in einem Interview für „Die Welt“ im Februar 2011 Bartoszewskis Worte lasen: „Wenn jemand Angst hatte, dann nicht vor den Deutschen. Wenn ein Offizier mich auf der Straße sah und nicht den Befehl hatte, mich festzunehmen, musste ich nichts fürchten. Aber der polnische Nachbar, der bemerkte, dass ich mehr Brot kaufte als üblich, vor dem musste ich Angst haben“.

Schweigen in Israel

Die Organisation zur Rettung von Juden galt als einzigartig im gesamten deutsch-besetzten Europa. 1965 zeichnete die Jerusalemer Holocaust- Gedenkstätte Yad Vashem Bartoszewski mit der Medaille „Gerechter unter den Völkern“ aus. 1991 erhielt er zum Dank die Ehrenbürgerschaft Israels, wo er viele Freunde und Bewunderer hatte.

Umso mehr war man in Polen bestürzt, als Bartoszewski im Juni 2002, als polnischer Auβenminister, eine vielbeachtete Rede im israelischen Parlament hielt, ihm aber seitens etlicher Abgeordneter, mit Knesset-Vizepräsident Reuven Rivlin an der Spitze, blanker Hass entgegenschlug. Der kuriose Kernsatz in der Erwiderung Rivlins lautete: „Allein die Tatsache, dass ein Land sich unter fremder Besatzung im Zweiten Weltkrieg befand, befreit dieses Land nicht von der Verantwortung für alles, was auf seinem Territorium passierte.“

Stumm saβ Bartoszewski, ansonsten ein ungezügelter Polterer und ein Vulkan der Rhetorik, da und hörte sich an, dass die Polen dieselbe Schuld am Holocaust trifft wie die Deutschen. Wer war mehr berufen als er, würdig und besonnen auf solche Verleumdungen zu reagieren, wenigstens den Saal zu verlassen? Rivlin, 1939 in Palästina geboren, ist seit Juli 2014 israelischer Staatspräsident.

Lob für Deutschland

Beachtlich sind auch Bartoszewskis Leistungen auf dem Gebiet der Verständigung mit Deutschland, zu dem er bereits in den 80er Jahren enge Kontakte knüpfte. Als 1995 Bundeskanzler Kohl Polens damaligen Staatspräsidenten Lech Wałęsa nicht zum 50. Jahrestag des Kriegsendes nach Berlin einladen wollte, und die FAZ auf der ersten Seite höhnte: „Polen will fünfte Groβmacht sein“, sprach Bartoszewski wenige Tage vor dem 8. Mai vor dem Bundestag in Bonn. Das unwürdige Einladungsspektakel erwähnte er mit keinem Wort. Doch seine große Versöhnungsrede ging in die Geschichte ein.

Er wurde in Deutschland hofiert, bewundert, mit Auszeichnungen, Ehrentiteln und Stipendien geradezu überhäuft. Er nahm sie gerne an. Allein die Bosch-Stiftung unterstützte sein Buch über die deutsch-polnische Verständigung mit 132.000 D-Mark, heiβt es.

Doch musste er ausgerechnet auch noch die Stresemann-Medaille in Mainz im November 1996 entgegennehmen? Viele in Polen konnten ihr Befremden darüber nicht verbergen. Ohne auch nur ein kritisches Wort in seiner Dankesrede zu sagen, nahm Bartoszewski eine Auszeichnung an, die an einen Politiker erinnert, der als deutscher Auβenminister zwischen 1923 und 1929 den jungen polnischen Staat bekämpfte wo er nur konnte, der aus seiner tiefen Abneigung gegen Polen und seiner de facto auf die Beseitigung Polens abzielenden Revisionspolitik nie ein Hehl gemacht hat. Der Zollkrieg gegen Polen und Locarno sind in diesem Fall nicht die einzigen, aber die wichtigsten Stichworte.

„Im Sommer 2000“, erinnerte sich dieser Tage der Journalist Jedrzej Bielecki in der Zeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) vom 24. April, „habe ich erlebt, wie er als polnischer Auβenminister an den EU-Beitrittsverhandlungen teilnahm. Der EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen zählte mit monotoner Stimme alle damaligen polnischen Unzulänglichkeiten auf: Probleme mit der Bakterienzahl in der Milch, zu viel Staatsunterstützung für die Stahlwerke… Irgendwann unterbrach Bartoszewski Verheugen lautstark: »Ich habe Auschwitz ausgehalten, ich werde auch die Verhandlungen mit der EU aushalten!« Damit war das Aufzählen beendet.“, schreibt Bielecki.

Drei Tage später konnte man in derselben Zeitung ein Verheugen-Interview lesen, und in ihm die Feststellung: „Er hat nicht versucht die historische Schuld Deutschlands dazu zu benutzen, um auf mich Druck auszuüben“.

Tadel für Polen

Bartoszewski polterte oft. Nicht wenige in Polen machte das verlegen, sie fanden es unpassend. Manchmal war das ein Poltern auf wahrlich sehr dünnem Eis. Nicht gerade beliebt macht sich ein Auβenminister, der von Deutschland in den höchsten Tönen schwärmt („ein vorbildlicher europäischer Rechtsstaat, ein Land der Toleranz, von dem wir nur lernen können“), in der israelischen Knesset den Kopf in den Sand steckt, angesichts geradezu ungeheuerlicher Anschuldigungen , und im eigenen Parlament wutentbrannt der Opposition, die nach den EU-Beitrittsbedingungen fragt, entgegenschmettert: „Polen (im Polnischen ist Polska weiblich – Anm. RdP) ist eine hässliche Braut ohne Aussteuer, die nicht wählerisch sein kann.“ Bitter waren die Kommentare: „An so einer Braut kann sich ja jeder vergreifen“, schrieb der Publizist Rafal Ziemkiewicz.

Kurz nach Kriegsende ging Bartoszewski als Journalist zur „Gazeta Ludowa“ („Volkszeitung“). Es war das Presseorgan der einzigen noch zugelassenen Oppositionspartei, der Polnischen Bauernpartei unter der Leitung des aus London zurückgelehrten Exilpolitikers Stanisław Mikolajczyk. Die PB war damals eine groβe Volkspartei, die die Kommunisten Schritt für Schritt mit brutalsten Methoden vernichteten. Bartoszewski trat in die PB ein. Dafür wurde er im November 1946 verhaftet und erst im April 1948 entlassen. Die zweite Verhaftung erfolgte im Dezember 1949. Er kam erst im August 1954 wieder frei.

Menschen wie Bartoszewski konnten im kommunistischen Polen nur am Rande der Gesellschaft leben und arbeiten. Für einen Mann, der gerne im Mittelpunkt stand, war das kein angenehmer Zustand. Drei Jahrzehnte lang fristete er dieses Randdasein. Damals entstanden seine wertvollsten Bücher und Artikel, damals hielt er seine interessantesten Vorlesungen. Er und seinesgleichen wurden zum Symbol dafür, dass man auch in dem wie ein Krebsgeschwür alle Gewebe der Gesellschaft durchdringenden Kommunismus, der zumeist auf die niedrigsten Instinkte baute: Anpassung, Lüge, Denunziantentum, dennoch in Würde und mit Anstand leben konnte. Bartoszewski wurde bis 1989 ständig bespitzelt, abgehört, Provokationen ausgesetzt, das geht eindeutig aus den Akten der polnischen Stasi hervor.

Putins Klugheit

Und wieder fragt man sich, was einen Menschenrechtler und Demokraten, wie Bartoszewski bewog im März 2014, auf dem Höhepunkt der Krim-Krise, in der „Thüringer Allgemeinen“ ein Hohelied auf Wladimir Putin anzustimmen: „In einem Fernsehinterview habe ich gesagt, dass ich die Intelligenz von Herrn Putin schätze (…) Ich glaube an Putin, vielleicht mehr als viele andere. Ich schätze seine Klugheit und seine Berechenbarkeit. Berechenbarkeit gehört zum europäischen Denken.“

Verheugen erinnert sich in dem schon zitierten Interview: „Einmal sagte er mir: so viele Jahre lang hat man mir nicht erlaubt zu reden. Jetzt muss ich das nachholen, reden soviel ich nur kann“. Es war für ihn nicht immer von Vorteil.

Der Brückenbauer nach Auβen verwandelte sich im eigenen Land zunehmend in einen rhetorischen Rammbock, grob und ausfallend, grenzenlos von sich selbst überzeugt, bei Retourkutschen aber stets in seiner verdienst- und leidensvollen Biografie Schutz suchend.

Die Selbstblamage einer Koryphäe schmerzt

Piotr Zaremba erinnert in seinem Nachruf: „Noch 2006 hatten wir es mit einem Mann zu tun, der allgemein hohes Ansehen genoss. Die von ihm kurze Zeit später gnadenlos verunglimpften Brüder Kaczyński, die damals regierten, hatten ihn zum Chef des wissenschaftlichen Beirates des angesehenen Polnischen Instituts für Internationale Beziehungen gemacht. Von ihnen nahm er den hochdotierten Posten des Chefs des Aufsichtsrates der staatlichen Fluggesellschaft LOT an. In der linken „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“) pries er den Dialog mit Deutschland, in der konservativen Presse lobte er die von der „Gazeta Wyborcza“ aufs Schärfste bekämpfte Aussonderung von ehemahligen Stasi-Spitzeln aus dem Staatsdienst und den von ihr ebenso verachteten traditionellen Patriotismus“.

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Bartoszewski-Gedenkbriefmarke der Polnischen Post von 2015 mit Bartoszewski-Spruch „Es lohnt sich anständig zu sein“, der ihn leider vor Selbstblamage nicht bewahrt hat.

Die radikale Wende, die sich in seinem Verhalten 2007 vollzog sucht nach Erklärungen. Plötzlich erlebte Polen einen alten Mann, der sich bedingungslos auf eine Seite der politischen Auseinandersetzung stellte, und ab dann bis zuletzt auf Parteitagen von Tusks Bürgerplattform seine politischen Gegner vor johlendem Publikum aufs Übelste beschimpfte. Sie waren für ihn „Vieh“ („bydło“), „Frustrierte“, „Perverslinge“, „Spinnner“, „Trotteldiplomaten“ „vor Hass aufgebläht“, „Nerztierzüchter“ (Anspielung auf Jarosław Kaczyńskis Katze), „Fälle für den Psychiater“…

Sogar die Kommentatorin der ansonsten Kaczyński-feindlichen „Gazeta Wyborcza“ bemerkte im Oktober 2007, dass solche Worte „Bartoszewski nicht gut zu Gesichte stünden.“

Der Kommentator der „Rzeczpospolita“ schrieb damals: „Die Worte Batroszewskis haben mir weh getan, weil die Selbstblamage einer Koryphäe schmerzt. Beleidigungen sind keine Argumente. Er lieβ seinem Unmut und seiner Wut freien Lauf. Damit beschädigte er sich selbst und das Land, dem er so lange gut gedient hatte“.

Władysław Bartoszewski starb im Alter von 93 Jahren in Warschau.

© RdP




Das wichtigste aus Polen 26. April – 2. Mai 2015

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche in Polen ein: polnischer Justizminister Cezary Grabarczyk in Verruf geraten und zurückgetreten. Polnisch-deutsche Regierungskonsultationen in Warschau – viel Wirbel, wenig Ertrag. Russische „Nachtwölfe“, polnische Hysterie. „Polnische Todeslager“, „polnische Gaskammern“ und polnischer Widerspruch gegen Geschichtsfälschung.




Das Unbehagen an Dachau

Es ist an der Zeit der polnischen Opfer angemessen zu gedenken.

Zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau unweit von München, hat die katholische Kirche Polens eine große Wallfahrt in die Gedenkstätte ausgerichtet. Mehr als 700 polnische Geistliche, darunter 40 Bischöfe, gedachten am 29. April 2015 unserer dort ermordeten Landsleute. Zugleich lieferte der Jahrestag den Medien in Polen den Anlass zu einigen kritischen Anmerkungen, gerichtet an die deutschen, aber auch an die eigenen Behörden.

„Unser deutscher Begleiter durch das Museum in Dachau informiert uns schon in seiner Einführung, dass in dem KZ überwiegend Juden, Kommunisten und Homosexuelle zu Tode gekommen sind. Kein Wort darüber, dass dies auch der gröβte Friedhof polnischer Priester in der Geschichte unserer Kirche sei.“, beginnt Grzegorz Górny seinen Bericht im Wochenmagazin „wSieci“ (‚imNetztwerk“) vom 27. April 2015.

Das KZ Dachau hat für Polen eine besonders qualvolle Bedeutung, vor allem für die katholische Kirche. Mit knapp 41.000 Inhaftierten waren die Polen die größte Gruppe der Gefangenen. 8.332 überlebten Dachau nicht.

Die Kirche hat das Schicksal der Nation uneingeschränkt geteilt. Daher rührt ihr Ansehen. Pfarren helfen beim Ausgeben von Laufgräben währen der Verteidigung Warschaus im September 1939.
Die Kirche hat das Schicksal der Nation uneingeschränkt geteilt. Auch daher rührt ihr Ansehen. Pfarren helfen beim Ausheben von Laufgräben während der Verteidigung Warschaus im September 1939.

Ab Ende 1940 machten die SS-Behörden Dachau zum Hauptlager für 2.720 katholische, evangelische und orthodoxe Pfarrer aus ganz Europa, 1.780 von ihnen waren polnische katholische Geistliche. Von den insgesamt 1.030 Geistlichen, die durch pseudomedizinische Versuche, Hunger, Krankheiten oder auf andere grausame Weise in Dachau umgebracht wurden, waren 868 Polen.

PFarrer warten in Bydgoszcz/Bromberg im September 1939 auf Ihre Erschiessung zusammen mit anderen polnischen Geiseln.
Pfarrer warten in Bydgoszcz/Bromberg im September 1939 auf Ihre Erschiessung zusammen mit anderen polnischen Geiseln (oben und unten).

Polscy księza ofiary foto 2 Im Ganzen hat jeder fünfte polnische Geistliche die deutsche Besatzungszeit nicht überlebt. Darunter waren 1.932 Diözesanpriester, 580 Mönche und 289 Nonnen. Die Sowjets haben weitere etwa 700 polnische Geistliche auf dem Gewissen. Ukrainische Nationalisten haben während der Wolhynien-Massaker von 1943-1944, mit deutscher Duldung, etwa 60.000 Polen grausamst ermordet, darunter waren gut 70 weitere Priester.

Ein herausragendes Beispiel für das Martyrium der polnischen Geistlichen ist das Schicksal von Pater Maksymilian Kolbe. Im Sommer 1941 ging er in Auschwitz freiwillig in den gausamen  Tod im Hungerbunker, um einem Mithäftling das Leben zu retten. (Hierzu empfehlen wir Ihnen eine ausführliche Sendung).

Ein Pfarrer segnet die von den Sowjets in Katyń b. Smolensk ermordeten polnischen Offiziere während der von den Deutschen angeordneten Exhumierungen im Frühjahr 1943.
Ein Pfarrer segnet die von den Sowjets in Katyń b. Smolensk ermordeten polnischen Offiziere während der von den Deutschen angeordneten Exhumierungen im Frühjahr 1943.

Der spätere Bischof Franciszek Korszyński erinnerte sich nach dem Krieg: „In Dachau gab es keine Zugtiere. Zugtiere waren die Priester. Sie wurden vor Wagen, Eggen, Pflüge, Straβenwalzen gespannt. Unter diesen Sklaven habe ich noch heute Pfarrer Józef Straszewski vor Augen, ausgezehrt, ein menschliches Skelett mit Haut bespannt.“

Pfarrer Stefan Stępień berichtete nach der Befreiung: „Nacheinander hat man uns in den Behandlungsraum gestoβen. Jeder bekam von einem deutschen Arzt eine Spritze, 3 Kubikzentimeter Eiter der bei der Phlegmone-Erkrankung entsteht. Die einen in den rechten, die anderen in den linken Unterschenkel. In der Nacht kam das Fieber, das Bein schwoll an, wurde schwarz. Man dachte es platzt. Es tat weh, als würde jemand mit einem brennenden Eisen darin herumstochern. Bei manchen schwollen die Beine zu monströsen Ausmaβen an. Wir bekamen furchtbare Halluzinationen. Die meisten verloren das Bewusstsein, ein Teil von uns fiel in Agonie, starb unter schrecklichen Qualen. Wer überlebte und zu sich kam, muβte erneut ins Behandlungszimmer. Manche von uns wurden auf diese Weise sechs, sogar sieben Mal »operiert«“.

Pfarrer Stefan Frelichowski starb, weil er sich mit Typhus ansteckte. Selbst ausgehungert und schwach, spendete er bis zuletzt den Kranken und Sterbenden letzte Ölung und Trost. Zusammen mit 41 weiteren polnischen Dachau-Priestern hat ihn Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

Der spätere Erzbischof Kazimierz Majdański überlebte bestialische Experimente, denen man ihn in einer Druckkammer ausgesetzt hatte. Dutzende von Priestern wurden zu Tode geprügelt, weil sie nicht den Rosenkranz zertrampeln wollten, der im Lager verboten war und bei ihnen entdeckt wurde. Jegliche Form der Religionsausübung war den Polen untersagt und wurde bestialisch geahndet. Deutsche Geistliche waren in dieser Hinsicht besser gestellt.

Ein Pfarrer nimmt den Warschauer Aufsändischen im August 1944 den Eid ab.
Ein Pfarrer nimmt den Warschauer Aufsändischen im August 1944 den Eid ab.

„Fast siebzig Jahre lang“, schreibt in seinem ganzseitigen Artikel Piotr Semka in der Zeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) vom 28. April 2015, „versammelten sich die polnischen Priester, die Dachau überlebt haben, an jedem 29. April bei einer heiligen Messe in der Basilika zum Heiligen Josef in der Stadt Kalisz. Geraume Zeit konnten sie nicht ins ehemalige Lager fahren. Es lag hinter dem Eisernen Vorhang. Auβerden befand sich zwanzig Jahre lang auf dem Gelände ein Quartier für deutsche Ausgesiedelte aus den früheren Ostgebieten.

Im kommunistischen Polen wurden die Leiden der Priester nicht hervorgehoben. Manchem der Dachau-Priester drohten Beamte der politischen Polizei gar mit neuen Misshandlungen, um sie zu brechen und zum Denunziantentum zu zwingen. Im Westen war das Martyrium der Priester nicht bekannt“, schreibt Semka.

„Erst der ehemalige Häftling Johannes Neuhäusler, Weihbischof von München und Freising setzte 1960 durch die Einweihung der Todesangst-Christi-Kapelle und die Unterstützung der Gründung des Schweigeklosters Heilig Blut der Karmelitinnen am Rande des ehemaligen KZ-Geländes ein Zeichen. Die KZ-Gedenkstätte Dachau entstand erst 1965. Drei Jahre später wurde das „Nie wieder“-Denkmal enthüllt. Zu lesen ist die Mahnung auf Englisch, Französisch, Deutsch, Russisch, Hebräisch. Auf Polnisch nicht, obwohl die meisten Insassen Polen waren.

Ab 1970 hing eine Informationstafel über polnische Häftlinge an der Auβenwand des Museums. Nicht lange. Seit ewigen Zeiten steht sie in einem Nebenraum des Museums auf dem Boden, an die Wand gelehnt. Im Krematorium gibt es sogar eine Tafel, gewidmet vier Offizieren des britischen Geheimdienstes deren Leichen dort verbrannt wurden. Von den Polen kein Wort. Und wie viele wurden hier eingeäschert?“

Die einzige sichtbare Erinnerung an das Martyrium der polnischen Priester ist eine Tafel, die die Überlebenden 1972 selbst, drauβen, an der Hinterwand der Todesangst-Christi-Kapelle angebracht haben. Der Hauptstrom der Besucher allerdings bekommt sie nicht zu sehen.

Einladung der Polnischen Bischofskonferenz zur Teilnahme an der Wallfahrt nach Dachau am 29. April 2015.
Einladung der Polnischen Bischofskonferenz zur Teilnahme an der Wallfahrt nach Dachau am 29. April 2015.

„Bei den Kennzeichnungen, die die Standorte der einzelnen Baracken markieren sollen, gibt es keinen Hinweis auf die Massenunterkünfte polnischer Priester. Man weiβ nicht, wo man seine Kerze hinstellen soll. In der Austellung des angeschlossenenen Museums gehen die polnischen Priester in einer Vielzahl anderer Themen völlig unter“, berichtet Semka. „In der Buchhandlung gibt es nicht einmal eine Broschüre zu dem Thema.“

„Nach polnischen Spuren sucht man heute in Dachau mit der Lupe“, schreibt auch Adam Kruczek in seinem umfassenden Bericht im „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 29. April 2015. „Die etwa eine Million Besucher, die jedes Jahr hierher kommen, erfahren viel von Leiden der deutschen Antifaschisten, der Juden, der Homosexuellen und des »europäischen« Klerus“. Auf Anfrage gibt es polnisch sprachige Führungen und Audioguides, auch sie vermitteln diese eine Botschaft.

Es gehe nicht darum, so die Autoren, einen „Opferwettbewerb“ zu entfachen, sondern, ohne die anderen herunterzustufen, einen wichtigen Teil der historischen Wahrheit am Ort des Geschehens wiederherzustellen. Es ist ein delikates, aber machbares Vorhaben. Die Polnische Katholische Mission in München und das polnische Generalkonsulat dort, haben, so heiβt es in den Berichten, immer wieder Versuche unternommen diesen Zustand zu ändern. Wie man sieht, mit wenig Erfolg.

Es geht ihnen vor allem darum, in die ständige Ausstellung einen deutlichen Hinweis auf das Martyrium der polnischen Geistlichen in Dachau einzubringen, und wenigstens eine Broschüre in mehreren Sprachen zu diesem Thema zu drucken.

Polen jedenfalls, wie die zitierten Berichte und die groβe Wallfahrt nach Dachau belegen, hat das Opfer seiner Seelsorger nicht vergessen.

© RdP




Nicht jeder Schuss ein Russ

Streit um Tauglichkeit der Leopard-Panzer schwappte von Deutschland nach Polen über.

Die deutsche Zeitung „Welt am Sonntag“ hat Ende April 2015 einen publizistischen Schuss abgefeuert, der nicht nur im deutschen Blätterwald, sondern auch in den polnischen Medien einschlug wie eine echte Panzergranate. Das Echo hallt immer noch nach. Die Kernaussage des „WamS“-Artikels: „Mit dem »Leopard« 2 verfügt die Bundeswehr zwar über einen der besten Kampfpanzer weltweit. Den Soldaten fehlt jedoch eine ausreichend schlagkräftige Munition. Heißt: keine Chance gegen russische Panzer“.

Die Nachricht, dass „die auf Wolframbasis hergestellte Pfeilmunition der Bundeswehr nicht genügend kinetische Energie produziert, um die technologisch anspruchsvolle Panzerung der neuesten russischen Gefechtsfahrzeuge vom Typ T90 und modernisierter T80 zu durchschlagen“, sorgte in Polen für Aufregung. Schlieβlich rüstet das Land seit zehn Jahren kontinuierlich auf »Leopard«-Panzer um, und das denkbare Risiko eines bewaffneten Konfliktes mit Russland ist seit der Krim-Besetzung und dem Ausbruch der Kämpfe im Donbas deutlich gestiegen. „Polens Panzer: für den Krieg oder fürs Museum?“, titelte am 9. Mai 2015 das viel gelesene Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“).

Zum Schnäppchenpreis

Die erste Partie, 124 Stück des »Leopard« 2A4, traf in Polen zwischen August 2002 und Juni 2003 ein. Es waren ursprünglich „eingemottete“ Exemplare, hergestellt zwischen 1985 und 1987. Dazu gab es zehn Bergepanzer 2. Hierbei handelt es sich um gepanzerte Reparaturfahrzeuge zur Instandsetzung und Bergung von beschädigten Kampfpanzern. Auβerdem 35 leichte, gepanzerte Transporter M113, die als Feuerleitpanzer, mobile Gefechtsstände und zur Bergung von Verwundeten eingesetzt werden, 6 Tieflader, knapp 120 Lkws und 25 Geländewagen. Polen zahlte dafür gerademal in etwa 25 Mio. Euro.

Die internationale Lage war damals sehr entspannt. Wegen zu hoher Lagerungskosten wollte die Bundeswehr ihre enormen ausgemusterten Bestände aus der Zeit des Ost-West-Konfliktes loswerden. Der Bundesrechnungshof hat ihr im Nachhinein den „Polen-Deal“, als zu preiswert, übelgenommen.

Ertüchtigung des alten Eisens

Zwischen 2014 und 2019 sollen die ersten polnischen »Leos« nach und nach modernisiert werden. Konkrete Gespräche mit dem Hersteller, der Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG in München sind, wie es heiβt, sehr fortgeschritten. Krauss-Maffei soll eine der beiden polnischen Staatsfirmen (Bumar-Labedy in Gliwice/Gleiwitz oder die Militärischen Motorenwerke WZM in Poznań/Posen), die um den Auftrag ringen, unterstützen. Kosten: ca. 250 Mio. Euro.

Tomasz Siemoniak, Verteidigungsminister im Kabinett Ewa Kopacz, nahm am 23. Januar 2015 in Zielona Góra/Hirschberg offiziell zu der Modernisierung Stellung und demonstrierte zugleich eine verblüffende Hilflosigkeit seiner Regierung in Anbetracht des ruinösen Wettkampfes, in den sich die beiden staatlichen Firmen gestürzt haben, anstatt sich den groβen Staatsauftrag einvernehmlich zu teilen, um hier wie dort die Arbeitsplätze zu sichern. „Ich habe das den beiden Direktoren erklärt, aber jeder von ihnen will den ganzen Kuchen bekommen, nicht den halben“, sagte Siemoniak. Es sieht so aus, als hätte der Staat als Eigentümer in diesem Fall abgedankt.

Panzer der Superlative

Im November 2013 kaufte Polen für ca. 180 Mio. Euro weitere 105 gebrauchte (Jg. 1995-1997) »Leopard“-Panzer der Version A4 und A5, samt mehr als 200 Fahrzeugen der taktischen und technischen Unterstützung. Gebraucht, aber in sehr gutem Zustand. „Die Deutschen haben sie kaum genutzt und hervorragend gewartet“, heiβt es damals von polnischer Seite. Da die polnische Bahn nur zwölf Tiefladerwaggons besitzt, die solche Sechzigtonnen-Kolosse befördern können, wird die Anschaffung erst nach und nach über die Schiene ausgeliefert.

Sie könnten auch ganz alleine kommen. Die polnischen Kommandeure sind voll des Lobes darüber, wie die praktisch veranlagten Deutschen dafür gesorgt haben, dass die Panzer problemlos auf normalen Straβen fahren können. Die Giganten verfügen über die erforderlichen Rückspiegel, Blinker, Stopplichter, Scheinwerfer, Nummernschilder, die Ketten bekommen Gummiaufsätze und der Druck pro Achse ist mit dem bei einem schweren Lkw vergleichbar. Allein der Dieselverbrauch von rund 8 Litern auf 1 km schreckt ab.

„Das ist ein geradezu genial konzipiertes Fahrzeug. Alles an ihm ist so gemacht, dass der Soldat sich auf seinem Auftrag konzentrieren kann und nicht durch Nebensächlichkeiten abgelenkt wird.“, zitierte das Wochenmagazin „Polityka“ vom 11. Juni 2014 Feldwebel Tomasz Potęga, der seit 2002 einen »Leopard« fährt.

Er war sehr überrascht, als er das erste Mal sah, wie das riesige Gefährt, ebenso wie ein Pkw, mit einem kleinen Zündschüssel angelassen wird. Sowjetische Panzer, die er früher fuhr, haben drei verschiedene Zündmechanismen und man muss bis zu achtzehn Handgriffe vornehmen, bis sie sich von der Stelle bewegen.
Feldwebel Potęga kann stundenlang über die Vorteile seines Gefährtes berichten. Einen »Leopard« lenkt man fast so leicht wie einen Pkw. Mit zwei Universal-Schraubschlüsseln kann man bequem an alle Bauteile gelangen und selbst im Gelände lässt sich der Motor in nur einer halben Stunde ausbauen.

Die 60 Tonnen Stahl fahren bis zu 70 km/h schnell, dennoch bringen die Bremsen sie auch bei dieser Geschwindigkeit sofort zum Stehen. Man muss sich nur sehr gut festhalten. Egal wie schnell der Panzer fährt, egal wie groβ die Bodenunebenheiten sind, die Kanone bleibt dank eines perfekten Stabilisierungssystems stets auf das Ziel gerichtet. Die 120-mm-Glattrohrkanone hat eine Rekordreichweite von vier Kilometern. Kurzum: der »Leopard« ist ein Panzer der Superlative.

Vor Görlitz abgeschnitten

Man fragt sich natürlich, warum die beiden Einheiten, auf die die 250 polnischen »Leopard«-Panzer verteilt wurden (10. Panzer-Kavalleriebrigade und die 34. Panzer-Kavalleriebrigade) dicht nebeneinander (in Sędziszów/Neuhammer am Queis und Żagań/Sagan), im äuβersten Südwesten des Landes, kurz vor Görlitz, stationiert sind. Die Antwort lautet: seit 1989 hat man es nicht geschafft Truppenstandorte im Osten des Landes aufzubauen.

Die Verteilung der mageren polnischen Streitkräfte bleibt so, wie sie zur Zeit des Warschauer Paktes war, d.h. sie konzentriert sich fast ausschlieβlich im Westen. Die beiden »Leopard«-Panzerbrigaden sind etwa 500 km weit entfernt von der Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad und zu Weiβrussland stationiert. Während eines Überraschungsangriffs auf Polen, das weiβ man inzwischen, planen die Russen die sofortige Zerstörung aus der Luft von allen Brücken über die das Land teilende Weichsel. Die Panzer, samt der wenigen Kampfeinheiten der polnischen Armee, wären westlich der Weichsel abgeschnitten.

Ganz lahm sind die Leos nicht

Zur brenzligen Frage der Munition befragte die Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) am 2. Mai 2015 Oberstleutnant Dr. Krzysztof Gaj, einen bis vor Kurzem aktiven Offizier der Panzertruppe, der mittlerweile am Nationalen Zentrum für Strategische Studien arbeitet.

Der Bericht der „WamS“ enthält, seiner Ansicht nach, nur die halbe Wahrheit. Dass die »Leopard«-Munition nicht gerade zur wirksamsten gehört, weiβ man nicht erst seit heute. Doch das lässt sich durch gute Kampftaktik ausgleichen.

Der Einsatz von einzelnen Panzern oder kleinen Gruppen sei ein gefährliches Missverständnis. Panzer müssen in gröβeren Verbänden eingesetzt werden. Die Kommandeure können dann dafür sorgen, dass sie die feindlichen Gerätschaften von der Seite angreifen, wo die Panzerung deutlich dünner sei. Auf diese Weise kann ein »Leopard« auch den modernsten russischen T90-Panzer vernichten. Die Kampftaktik entscheidet alles. Woher kommen also solche alarmistischen Berichte? Bei Tests zur Messung der Durchschlagskraft der Munition wird vornehmlich auf die Stirnseite eines Panzers gefeuert.

Die Wirksamkeit der Munition erhöht sich deutlich, wenn sie aus längeren Kanonenläufen abgeschossen wird. In den neuen »Leopard« A6-Panzern wurde die alte 5,28 m lange L/44 120-mm-Glattrohrkanone durch die 6,60 m lange L/55 ersetzt. Dieselbe Munition bekommt dadurch eine erheblich gröβere Durchschlagskraft. Bei der Modernisierung der polnischen »Leos« muss also auch diese Veränderung übernommen werden. Eine weitere deutliche Verbesserung brächte der Austausch der heutigen Wolfram-Pfeilgeschosse gegen Uranmunition, was in Deutschland auf Widerstand der SPD und der Grünen stöβt.

So hilflos jedenfalls, wie das augenblicklich dargestellt wird, so Oberstleutnant Gaj, ist der »Leopard« bei weitem nicht.

Lesenswert zu diesem Thema auch : „»Leo« Polski“

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Weiss, weisser, deutsch

Noch gibt es kein Heilmittel gegen die polnische Waschpulverparanoia.

Praktisch, solide, zuverlässig. Deutsche Marken genießen einen sehr guten Ruf in Polen. Das gilt vor allem, ganz klar, für Autos Made in Germany. Doch die Wertschätzung der Automobile wird noch übertroffen von dem felsenfesten Glauben vieler Polen an die ungemeine Reinigungskraft der Wasch- und Putzmittel, die direkt aus Deutschland kommen.

Wer als Deutscher nach Polen reist und auch nur ein kleines bisschen Polnisch versteht, der wird sich fragen, was es auf sich hat mit Läden, die mit der groβen Aufschrift „Chemia z Niemiec“ auf sich aufmerksam machen. Wörtlich übersetzt heiβt das „Chemie aus Deutschland“, doch wer reinschaut merkt sofort, dass es sich hier ausschließlich um Haushaltschemie handelt und dabei durchweg um Produkte, die unmittelbar aus Deutschland eingeführt wurden.

Lupenrein

Dieser Handel, früher nur auf Märkten und in Vorstädten anzutreffen, hat inzwischen in elegante Galerien, wie der Warschauer Blue City, Einzug gehalten. In Anlehnung an den in Deutschland so beliebten Begriff „lupenrein“, nennt sich die Ladenkette „Laboratorium Pani Domu“ – „Laboratorium der Hausfrau“ und hat schon vier Filialen in den gröβten hauptstädtischen Einkaufszentren errichtet. Weitere sollen folgen.

Am Eingang in die Boutique für Haushaltschemie- liegen auf Tischchen bunte „Sprudelbomben“. In die Badewanne geworfen setzten sie Düfte und Öle frei, enthärten das Badewasser, glätten die Haut und heben gar die Stimmung. Die Regale biegen sich unter penibel aufgestellten Plastikflaschen, Zerstäubern, Waschmittelpackungen von Persil, Ariel, Vizir, Perwoll. Bis unter die Decke ragt imposant eine Pyramide aus Sechs-Kilogramm-Omo-Boxen. Daneben findet man in Hülle und Fülle Waschkapseln, Geschirrspültabs, Spülmittel, Duftsprays, das eine oder andere zum Fensterputzen, zum Entfernen von Bratresten im Backofen, zum Badewannenschrubben.

Und zwischen all dem, von weitem sichtbar, das Glaubensbekenntnis: „Wenn Du deutsches Waschpulver verwendest, benötigst Du 30% weniger Pulver, dank höherer Konzentration. Damit die Wäsche sauber wird reichen nur 66 Gramm. Von dem für den polnischen Markt hergestellten Äquivalent hingegen werden 100 Gramm benötigt. 6 Kilogramm deutschen Waschmittels reichen für neunzig Waschmaschinenfüllungen, mit einem für den polnischen Markt hergestellten Waschmittel kannst Du nur sechzigmal waschen.“

„Waschen auch Sie mit deutschem Waschpulver?“ Die ältere Verkäuferin macht einen sehr überzeugenden Eindruck, wenn sie darauf antwortet: „Ausschlieβlich! Und das sage ich nicht, weil ich hier arbeite“. Es folgt ein weiteres Glaubensbekenntnis aus ihrem Mund, dass da lautet: Waschmittel, die für den polnischen Markt hergestellt werden, bestehen hauptsächlich aus Soda und Kreide. Die deutschen hingegen beinhalten „intelligente Substanzen“, deren komplizierte Namen sie in einem Atemzug aufzählt. „Sie waschen hervorragend bei jedem Härtegrad des Wassers, der Duft hält länger an. Kaufen Sie. Die Sechs-Kilo-Packung kostet 60 Zloty“ (gut 13 Euro) Die gleiche Packungsgröße kostet im normalen Laden etwa 40 Zloty (knapp 9 Euro). „Das ist nicht teuer“, meint die Verkäuferin. „Rechnen Sie mal die Qualität dagegen“.

Sauber und rein

Viele Polen meinen „nicht nur sauber sondern rein“ waschen und putzen zu müssen, wie die Deutschen. Immer mehr Polen wollen auch daran verdienen. Die Zahl, vor allem der Kleinimporteure, wächst. Mit jenseits der Oder gekauften Waschmitteln vollbeladen, gelangen Kleintransporter und Minibusse in die hintersten Winkel des Landes. Deutsche Supermärkte und Discounter an der polnischen Grenze verkaufen inzwischen nur drei Waschmittelkartons pro Händler, weil sonst der Nachschub für normale Kunden ins Stocken gerät. Viele polnische Wiederverkäufer haben daraufhin deutsche Groβhandlungen ausfindig gemacht und sind mittlerweile dort zufriedene Kunden geworden.

Alles was sie herankarren gelangt meistens in Buden und Stände auf den Märkten und an Straβenrändern. Die Preise sind um ein Drittel höher als für herkömmliche Produkte. Am günstigsten bekommt man sie bei fliegenden Händlern, die direkt vom LKW herunter und aus Kleintransportern verkaufen.

Reiner geht’s nicht

Die Litanei der Vorzüge der „echten deutschen“ Fabrikate, die Händler und ihre Kunden herunterbeten, ist lang. Wie Jurek, ein beleibter Mittfünfziger, der seine “Chemia z Niemiec“- Bude an der Schnellstraße Warschau – Lublin schwarz, rot und gold angestrichen hat. Der Renner ist bei ihm, neben Waschpulver und Geschirrspültabs, deutsches Mottenpapier, das, wie er sagt, die Insekten „im Nu totmacht“. Alle Wasch- und Putzmittel reichen länger, wirken besser, schonen das Gewebe und, Jurek hebt die Hand zum Schwur, „es gibt keine Probleme mit den Abflussrohren“. Sie waren bei ihm oft verstopft, bis der Klempner weiβe Ablagerungen ausfindig machte. Schuld daran, Jurek ist davon felsenfest überzeugt, war das falsche, nicht deutsche Waschmittel.

Auf etlichen Internetforen zum Thema „Chemia z NIemiec“ werden die wenigen Zweifler verhöhnt und durch Erfahrungsberichte zum Schweigen gebracht. Die gängige These: Westfirmen packen weniger Wirkstoffe in ihre Erzeugnisse, akzeptieren im Stillen eine mindere Qualität, damit sich die armen Osteuropäer ihre Markenprodukte auch leisten können.

Die Hersteller werden nicht müde zu dementieren. Henkel Polska lieβ vor kurzem verlautbaren, dass es so etwas wie „deutsches Persil“ nicht gibt, weil das Waschpulver für Ost und West im Henkel-Werk in Racibórz/Ratibor hergestellt und von dort in ganz Europa vertrieben wird.

Es ist ein Glaubenskrieg der hier stattfindet. Die einen glauben an die Reinigungskraft deutscher Haushaltschemie, die anderen nicht. Gespeist wird das Ganze, behaupten Psychologen, aus Minderwertigkeitskomplexen.

Wie auch immer, der Mythos „Chemia z Niemiec“ ist, vorläufig wenigstens, ungebrochen.

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Donald der Gehorsame

100 Tage EU-Ratspräsident Tusk. Alle enttäuscht nur Frau Merkel nicht.

Der offizielle Jubel kannte keine Grenzen als Donald Tusk im September 2014 EU-Ratspräsident wurde. Es soll, so hat man tatsächlich behauptet, ein Ereignis gewesen sein, das sich gerade noch so mit der Wahl des Krakauer Erzbischofs Karol Wojtyła zum Papst vergleichen lieβ. Im Oktober 1978 hieβ es in Rom „habemus Papam“. Jetzt hieβ es in Warschau allen Ernstes „habemus Praesidentem Europae“.

So formulierte es damals der, nie um eine Peinlichkeit verlegene, Auβenminister Sikorski. Andere Politiker aus dem Regierungslager und regierungstreue Medien verkündeten mit Emphase, der „König Europas“ sei gerade gekürt worden. Die damals allgemein wie selbstverständlich verwendete Bezeichnung „Präsident Europas“ klang dagegen geradezu bescheiden.

Ereignis von epochaler Bedeutung

Diejenigen Polen, die anhaltend an tiefen Minderwertigkeitskomplexen leiden, und das ist ein nicht geringer Teil der Nation, konnten sich wieder einmal kurz aufrichten. Ähnlich wie in jenen Momenten, wenn es einem polnischen Sportler oder Team ausnahmsweise mal gelingt eine Goldmedaille oder einen Meistertitel zu erlangen. Oder, so geschehen im Sommer 2009, als der farblose Jerzy Buzek, an den sich heute in Europa kaum jemand mehr erinnert, für zweieinhalb Jahre EU-Parlamentspräsident wurde, und dann im Sommer 2011, als Polen die damals noch im Rotationsprinzip halbjährlich wechselnde und fast bedeutungslose EU-Ratspräsidentschaft übernahm. Beide Male waren das in der offiziellen Darstellung der Tusk-Regierung „Ereignisse von epochaler Bedeutung“.

Überhört oder niedergejubelt wurde von der Regierungspropaganda bei der Wahl Tusks zum EU-Ratspräsidenten der Einwand, es stimme doch sehr nachdenklich, dass kein(e) sich im Amt befindliche Regierungschef(in) Westeuropas, auch nicht Frau Merkel oder David Cameron, sich darum gerissen haben, „König(in) von Europa“ zu werden.

Polnischer Jubel 1: Tusk, der neue König Europas.
Tusk-Jubel 1: „Tusk, der neue König Europas “ (links Frau Mogherini).

„Wir können stolz sein!“, verkündete „Fakt“, Springers polnische „Bild-Zeitung“. „Zehn Jahre nach unserem EU-Beitritt wurde ein Pole EU-Ratschef, informell der Präsident der ganzen Union! Kein polnischer Politiker wagte es jemals von der Position zu träumen, die jetzt Donald Tusk einnehmen wird“.

Tusk-Jubel 2: Tusk erwartet in Brüsel Luxus. Der König Europas mietet eine Wohnung für (umgerechnet) viertausend Euro.
Tusk-Jubel 2: „Tusk erwartet in Brüsel Luxus. Der König Europas mietet eine Wohnung für (umgerechnet) viertausend Euro“.

Schwache einhundert Tage

Nun, nach einhundert Tagen seines Amtierens in Brüssel, konnten sich auch Tusks gröβte polnische Enthusiasten nicht dazu durchringen Begeisterung an den Tag zu legen. Diesmal zierte sein Gesicht weder die Titelseite der linken Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“), noch die des linken Wochenblattes „Polityka“. „Gazeta Wyborcza“ versteckte ihre erste Bilanz des „Königs von Europa“ auf Seite sechs unter der Überschrift „Tusks schwache hundert Tage“.

Tusk-Jubel 3: "Donald Tusk hat mit seiner neuen Frisur alle überrascht"
Tusk-Jubel 3: „Donald Tusk hat mit seiner neuen Frisur alle überrascht. Neuer Stil des Königs von Europa.“

Besser angebracht wäre sicherlich der Titel „Donald der Schweigsame“, weil der „Präsident Europas“ kaum zu vernehmen ist. Niemand weiβ, was „Unser Mann in Brüssel“ von der Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk im Ukraine-Konflikt hält. Niemand kennt seine Meinung über die Idee der Briten, Waffen in die Ukraine zu liefern. Journalisten haben keine Chance ihn danach zu fragen, weil der neue EU-Ratsvorsitzende die Medien scheut, wie der Teufel das Weihwasser.

Tusk-Jubel 4 "Der König Europas. Doald Tusk zum  Präsidenten Europas gewählt. Er wird nach Polen als Millionär zurückkehren. Überzeuge Dich selbst davon wie die Erste Dame (Tuskas Frau) feiert. Die Meinungen der Welt zu Tusks Wahl."
Tusk-Jubel 4: „Der König Europas. Donald Tusk zum Präsidenten Europas gewählt. Er wird nach Polen als Millionär zurückkehren. Überzeuge Dich selbst davon, wie die Erste Dame (Tusks Frau) feiert. Die Meinungen der Welt zu Tusks Wahl.“

Seine Verteidiger behaupten nun allen Ernstes, dass der „Präsident Europas“ sich ohne Absprache mit den 28 Staats- und Regierungschefs der EU nicht zum Ukraine-Konflikt äuβern kann und darf. Die Erklärung, warum jedoch Angela Merkel und François Hollande sich mit den übrigen 26 EU-Staaten nicht im Geringsten absprechen müssen, wenn sie zu Putin aufbrechen und mit ihm, im Namen der EU, Vereinbarungen treffen, bleiben die Tusk-Fürsprecher schuldig.

Tusk kenne eben die Rangordnung, hege keine Illusionen, wer in Wirklichkeit die EU regiere und ihre Auβenpolitik gestalte, lautet ein weiteres Argument. Wie denn das? Ist Tusk plötzlich nicht mehr der „Präsident“, der „König Europas“, der er noch im September 2014 angeblich gewesen ist?

Der osteuropäische Musterschüler

In Ernst Hemingways berühmter Novelle müht sich der alte Mann sehr lange damit ab, den Fisch ins Boot zu bekommen, und als er ihn endlich dort hat, sieht er ein von anderen Fischen abgenagtes Skelett. Tusk ergeht es nicht anders, nur, dass ihm das nichts ausmacht.

Die Wahl ins EU-Amt war die Krönung seiner langjährigen Träume von einer groβen europäischen Karriere. Den Anlauf, den er dazu benötigte, war verhältnismäβig kurz und leicht.

Die polnische "Bild-Zeitung"-Ausgabe. Groβer Erfolg Donald Tusks! Der wichtigste Mann in Europa. Wird er Polen helfen? Ab Dezember wird es bei den Sitzungen des Europäischen Rates zwei polen geben (mit Ministerpräsidentin Kopacz).
Tusk-Jubel 5. „Fakt“, die polnische „Bild-Zeitung“: „Groβer Erfolg Donald Tusks! Der wichtigste Mann in Europa. Wird er Polen helfen? Ab Dezember wird es bei den Sitzungen des Europäischen Rates zwei Polen geben (mit Ministerpräsidentin Kopacz).

In Deutschland hat man im Herbst 2005 geradezu hysterisch auf den Sieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), sowohl in den Präsidentschafts- wie auch in den Parlamentswahlen reagiert. Jeder, der die „schrecklichen“ Zwillingsbrüder Lech (Staatspräsident) und Jarosław (Ministerpräsident) Kaczyński entmachtete, und ihre selbstbewuβte und eigensinnige Europa- und Russlandpolitik zu Fall brachte, konnte auf die Dankbarkeit Angela Merkels zählen.

Tusk, der es geschafft hatte, im Herbst 2007, bei vorgezogenen Parlamentswahlen, die Regierung von Jarosław-Kaczyński abzulösen und dessen Bruder Lech auf dem Posten des Staatspräsidenten zunehmend zu isolieren, bis der am 10. April 2010 in der Smolensk-Flugzeugkatastrophe ums Leben kam, war Frau Merkel von Anfang an sympathisch. Umso mehr, als er gerne bereit war einzugestehen, dass für alle polnisch-deutschen Konflikte und Irritationen der Jahre 2005 bis 2007 allein sein Land, Polen die Schuld trug.

Deutsche "Bild-Zeitung" ausgabe. Tusk verglichen mit einem kleinen Ganoven, der dem Mafioso Vito Corleone die Hand küsst.
Deutsche „Bild-Zeitung“ online.. Tusk verglichen mit einem kleinen Ganoven, der im Film „Der Pate“ Mafioso Vito Corleone die Hand küsst.

Genauso verfuhr Tusk im Verhältnis zu Moskau, doch erwies sich der von ihm umgarnte Partner Wladimir Putin weit weniger loyal. Putin nahm Tusks Huldigungen und Zugeständnisse (u.a. die vollständige Übertragung der Untersuchungen des Flugzeugabsturzes von Smolensk an die Russen) gerne entgegen, und vertröstete ihn mit vagen Versprechungen, die er nicht einzulösen gedachte.

Tusk schlüpfte derweil gekonnt in die Rolle des osteuropäischen EU-Musterschülers. Zu Höherem geweiht wurde er 2010 in Aachen, bei der Verleihung des Karlspreises. Die Laudatio zu seinen Ehren hielt Angela Merkel persönlich. Der Lissabonner Vertrag, der die gescheiterte EU-Verfassung ersetzte und im Dezember 2009 in Kraft trat, hat jedoch Tusks heutiges Amt deutlich geschwächt.

Brav sein ist alles

Für den Vorsitzenden der EU-Kommission (heute Jean-Claude Juncker) wurde eine fünfjährige Amtsperiode beibehalten. Dem in seiner Art neu geschaffenen Amt des EU-Ratspräsidenten (heute Tusk) wurde jedoch nur eine zweieinhalbjährige Amtsperiode zugebilligt, mit der Möglichkeit sie einmal zu verlängern. Je kürzer aber die Amtsperiode, umso schwächer die politische Position des jeweiligen Amtsinhabers.

Tusk hat das nicht gestört, seine Entschlossenheit EU-Karriere zu machen nicht gemindert. Den Absprung nach Brüssel betrachtete er als die beste Rettung vor den wachsenden politischen Schwierigkeiten in Polen, und als ein Heilmittel gegen seine Amtsmüdigkeit als Ministerpräsident. Er hat lange Zeit falsche Fährten gelegt, behauptet er denke gar nicht daran nach Brüssel zu gehen, weil er zu Hause noch viel zu tun habe. Insgeheim lernte er intensiv Englisch, bekam von Frau Merkel fortlaufend diskrete Ratschläge und Anweisungen, was er zu tun und zu lassen habe, um seine Chancen nicht zu gefährden.

Tusk ist heute 58 Jahre alt. Sein Plan: fünf Jahre lang, bis Ende 2019, in Brüssel ausharren. Im Frühjahr 2020, noch vom Glorienschein des ehemaligen „Präsidenten Europas“ umgeben, die Wahlen gewinnen und polnischer Staatspräsident werden.

Dazu bedarf es aber Mitte 2017 unbedingt einer Verlängerung der Amtsperiode um 2,5 Jahre. Frau Merkels Wort wird dabei, wie bei der Ernennung im Sommer 2014, das gröβte Gewicht haben. Brav sein, der politischen Ziehmutter keine Schwierigkeiten machen, keine kesse Lippe riskieren, das sind für Donald Tusk die Schlüssel zum eigenen Wohlergehen. Die ersten einhundert Tage seiner Amtsperiode haben gezeigt, dass er diese Taktik ganz und gar beherzigt hat.

Die Frage nach dem EU-Gemeinwohl, nach konstruktiven Zielen, die es zu erreichen gilt, stellt sich für Tusk nicht. Ernsthafte Überlegungen zu den Problemen Europas? Fehlanzeige.

Macht war für Tusk immer nur ein Selbstzweck und sie durfte den Rotwein- und Zigarrengenieβer nicht zu sehr belasten. Der Ministerpräsident verlieβ Warschau für gewöhnlich am Donnerstagnachmittag an Bord einer Maschine in Richtung Sopot/ Zoppot, wo er ein Haus hat, und er erschien nicht vor Montagnachmittag wieder im Dienst. Diesen Rhythmus versucht er so gut es geht auch in Brüssel beizubehalten.

Wie es um sein EU-Amt bestellt sein würde, konnte man derweil schon im Juni 2014 absehen. Aus Anlass des 70. Jahrestages der alliierten Landung in der Normandie, hatten Merkel und Frankreichs Staatspräsident Hollande beschlossen sich mit Putin und dem ukrainischen Ministerpräsidenten in Deauville zu treffen. Der damalige EU-Ratspräsident (Van Rompuy) und die EU-Chefdiplomatin (Frau Ashton) wurden nicht dazu geladen.

Schnell zur Sache

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde klar, wer in der EU die Entscheidungen fällt. Niemand stellte laut die Frage, wozu eigentlich die EU die beiden neuen Ämter geschaffen hat. Eine ehrliche Antwort lautet bis dato: zur Dekoration.

Noch zur Zeit des Tusk-Vorgängers, Herman Van Rompuys, haben sich Deutschland und Frankreich immerhin bemüht, den von ihnen erzwungenen Lösungen einen europäischen Anstrich zu geben. Inzwischen hat das keine Bedeutung mehr. Vor allem deutsche Politiker sind es müde um den heiβen Brei herumzureden. Man möchte schnell zur Sache kommen, und EU-Ratspräsident Tusk spurt.

Tusk dzwoneczek foto

Amersten abend des zweitägigen EU-Gipfels, es war der 19. März 2015, rief er, wie befohlen, einen Mini-Gipfel zum Thema Griechenland ein. Teilnehmer waren: Frau Merkel, François Hollande, Ministerpräsident Tsipras sowie Vertreter der wichtigsten EU-Finanzinstitutionen.

Da konnte der belgische Regierungschef Charles Michel vor der geschlossenen Tür noch so laut toben und Tusk beschimpfen: „Was sind das für Ideen? Weder Deutschland, noch Frankreich haben ein Mandat, um Belgien zu vertreten. Wollen Sie die Union in wichtige und weniger wichtige Länder spalten?“

Da konnte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann Tusk darauf hinweisen, dass er wenigstens den Vorsitzenden des EU-Paralaments Martin Schulz hätte dazu einladen sollen. Tusk begnügte sich mit einer 47-sekündigen Erklärung in „holprigem“ (so die Presseagentur AP), schwer verständlichem Englisch darüber, was hinter geschlossenen Türen zu Griechenland gesagt wurde.

Sehr bezeichnend war auch der Besuch des „Präsidenten Europas“ bei US-Präsident Obama in Washington am 9. März 2015. Irgendeine eigene Aussage, eine Idee Tusks zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa, zu den wichtigsten Problemen der Weltpolitik? Fehlanzeige. Stattdessen Smalltalk, Shakehands, gemeinsames Foto, aber keine, wie sonst üblich, gemeinsame Pressekonferenz mit Obama. Keine Erwähnung des Besuches in einem der wichtigen amerikanischen TV-Sender, kein Kommentar oder Artikel in der „New York Times“ (dort erschien ein Tusk-Interview vor dem Besuch), in der „Washington Post“, im „Wall Street Journal“.

Kein Ansehen, keine Macht

Die Show wurde Tusk zudem von Peter Wittig gestohlen, dem deutschen Botschafter in Washington, der ausgerechnet am Tag des Washington-Besuches von Tusk das Medieninteresse auf sich zog, als er öffentlich enthüllte, unter welchen Umständen sich Obama entschlossen hatte, keine „todbringenden Verteidigungswaffen“ in die Ukraine zu liefern. Die Entscheidung war, so Wittig, auf Betreiben Deutschlands beim Merkel-Besuch im Weiβen Haus am 9. Februar 2015 gefallen. Der deutsche Botschafter machte damit der amerikanischen Öffentlichkeit auf einen Schlag klar, wer in der EU die Politik macht und wer nur repräsentiert.

„Undurchsichtig, unsichtbar, nebulös, stammelnd“, so umschrieben ausländische Korrespondenten in Brüssel Tusks Wirken, als polnische Medien sie nach ihrer Einschätzung der ersten einhundert Tage des neuen EU-Ratspräsidenten fragten. Viel mehr fiel den Brüsseler Journalisten zu Tusk nicht ein.

„Viel Ansehen, keine Macht“, so umschreiben EU-Kenner die Funktion des EU-Ratspräsidenten. Der EU-Rat, das sind die Gipfeltreffen der Regierungschefs der EU-Staaten, die einige Male im Jahr stattfinden, bei denen manchmal wichtige Entscheidungen getroffen werden. Der EU-Ratspräsident soll sie vorbereiten und ihren Verlauf überwachen, mitunter vermitteln.

Tusks Vorgänger Van Rompuy, der flieβend Englisch und Französisch (letzteres beherrscht Tusk überhaupt nicht) sprach, viel Diplomatie- und Verwaltungserfahrung hatte, hat diese Aufgabe zuverlässig und geschickt gemeistert. Sein Nachfolger hat diese Erfahrung und Routine nicht. Aber er braucht sie auch nicht zu haben. Hauptsache Frau Merkel ist mit seinen Handreichungen zufrieden. Nur das zählt.

@ RdP




Verfechter des Nachgebens

Deutsche „Russlandversteher“ mit polnischen Augen gesehen.

Unter der Überschrift „Verfechter des Nachgebens“ kommentiert der angesehene sicherheitspolitische Analytiker Przemysław Żurawski vel Grajewski den Aufruf von 65 deutschen Intellektuellen (u.a. Mario Adorf, Luitpold Prinz von Bayern, Roman Herzog, Otto Schily, Gerhard Schröder, Horst Teltschik) vom 4. Dezember 2014 zum Dialog mit Russland. „Dieser Aufruf“, schreibt Grajewski in der Tageszeitung „Gazeta Polska Codziennie“ („Die Polnische Zeitung Täglich“) vom 9. Dezember 2014, „strotz nur so von Entstellungen und falschen Behauptungen“.

Der Text, mit dem er scharf ins Gericht geht, hat folgenden Wortlaut

Eine prägnante Einschätzung der „Gattung“ deutscher „Russlandversteher“ gab aus diesem Anlass der ZEIT-Herausgeber Josef Joffe

Die polnische Einschätzung liest sich, nach dem Grajewski die wichtigsten Thesen des Aufrufs wiedergegeben hat, so:

Przemysław Zurawski vel Grajewski
Przemysław Zurawski vel Grajewski

„(…) Der Aufruf der 65 legt kein gutes Zeugnis über die intellektuelle Verfassung der deutschen Elite ab. Die Vielzahl der Verzerrungen, in einem von solch namhaften Leuten signierten Text, spottet jeder Beschreibung. Jedenfalls entsprechen die Behauptungen der Unterzeichner nicht der Wahrheit in Bezug auf Ereignisse und Entscheidungen, die vor noch gar nicht langer Zeit stattgefunden haben oder stattgefunden haben sollen. (…)

Eine falsche Auslegung der Wirklichkeit

Zwischen 1989 und 2004 haben die einst von den Sowjets in den Jahren 1939 – 1945 unterjochten Völker Mitteleuropas ihre Freiheit wiedergewonnen“, schreibt Grajewski und bemerkt, dass durch die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs Hitler Stalin und die Sowjets nach Mittteleuropa geholt hat. Deswegen seien die Deutschen „das letzte Volk, das ein moralisches Recht habe zu bedauern, dass diese Völker die Ergebnisse der einstigen deutschen Politik rückgängig gemacht haben. (…)

Die Triebfeder für die Nato- und die EU-Osterweiterung lag in Mitteleuropa, nicht in Brüssel, Berlin oder Washington. Wir haben die Nato und die EU zu überzeugen versucht, dass sie uns aufnehmen sollen, und nicht umgekehrt. Es war unser politischer Wille, der sich letztendlich durchgesetzt hat. (…) Immer noch fällt es aber manchen an deutschen Universitäten ausgebildeten Intellektuellen und Politikern schwer zu verstehen, dass es zwischen Deutschland und Russland jemanden gibt, der seine eigenen Interessen, seinen politischen Willen und ein eigenes Handlungspotential hat.

Sie sind offensichtlich nicht fähig eine Wechselbeziehung zu verstehen und aus ihr Schlüsse zu ziehen“, schreibt Grajewski und erläutert, dass die Vormachtstellung Russlands in Europa als Folge des endgültigen Untergangs der polnischen Adelsrepublik nach der dritten Teilung Polens 1795 entstand. Es ist also nur allzu verständlich, dass, so lange es unabhängige Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Russisch-Polens gibt, eine solche Position russischer Vormacht nicht haltbar sei. „Wer diese Position anerkennt und unterstützt, arbeitet gegen die Interessen der Völker dieser Staaten (…) Wenn die Ukraine die russische Einflusszone verlässt, dann untergräbt das die Position Moskaus in Europa. Diese beiden Angelegenheiten sind miteinander nicht vereinbar: die Unabhängigkeit der Ukraine (Polens, der baltischen Staaten und Weiβrusslands) mit der Vormachtstellung Russlands auf unserem Kontinent.

Ein Deutschland, so Grajewski weiter, das die russischen Ambitionen unterstützt, würde sich in einen offenen Gegner unserer Freiheit verwandeln, und so sollte es behandelt werden. Die Deutschen Intellektuellen sollten ihre Regierung davor warnen, und nicht dazu ermuntern.

Eine falsche Auslegung der Tatsachen

Die Unterzeichner irren hinsichtlich der Tatsachen. (…) Es stimmt nämlich nicht, dass der Westen nicht für eine „Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau“ gesorgt hätte. Schon im November 1993 haben Staatspräsident Boris Jelzin, der Europäische Rat und die Europäische Kommission angekündigt ein System regelmäβiger Konsultationen zwischen Russland und der EU zu schaffen. 1994 wurde ein »Partnerschafts- und Kooperationsabkommen« (PKA) unterzeichnet. Das war der Beginn des Aufbaus eines strukturellen Dialoges zwischen Moskau und Brüssel. Die damals geschaffene Struktur umfasste:

● die Russland-EU-Gipfeltreffen, die seit 1998 jedes halbe Jahr einberufen wurden;
● einen Partnerschaftsrat, der einmal im Jahr unter Teilnahme des russischen und aller EU-Auβenminister tagte. 2003, auf dem EU-Russland-Gipfel in Rom, wurde er in einen Ständigen Partnerschaftsrat umgewandelt. Seine erste Tagung fand im April 2004 statt;
● einen EU-Russland Kooperationsausschuss, der nach Bedarf (seit April 1998 praktisch einmal im Jahr) auf der Ebene höherer Beamter tagt und die Treffen des Ständigen Partnerschaftsrates vorbereitet, in dem er u. a. Unterausschüsse und Arbeitsgruppen zur Lösung konkreter Fragen einsetzt;
● einen parlamentarischen Kooperationsausschuss EU-Russland, bestehend aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der Duma. Seine erste Sitzung fand vom 1. bis 3. Dezember 1997 statt.

Eine solch ausgebaute Dialogstruktur hat die EU mit keinem anderen Land der Welt. Unter den einstigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion bekam Russland zudem die gröβte EU-Finanzhilfe in den 90er Jahren“, stellt Grajewski fest, und schreibt weiter:

„Ähnlich verhielt sich die Nato. 1994 rief die Allianz die »Partnerschaft für den Frieden« ins Leben, an der auch Russland teilnahm.1997 wurde ein ständiger Nato-Russland-Rat ins Leben gerufen. 2002 verlieh man ihm eine neue, für Russland bequemere Struktur: anstatt »19+1« (also die 19 Nato-Staaten plus Russland) waren es nun »20«, d. h. Moskau beteiligte sich ab jetzt an der Diskussion, noch bevor die Nato-Staaten eine gemeinsame Position in einer Angelegenheit ausgearbeitet haben“.

Die Unterzeichner des Aufrufs der 65, so Grajewski, entstellen die Tatsachen auch, wenn sie schreiben: „Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden“. In Wirklichkeit, erinnert Grajewski, „wurde der Heranführungsplan (Membership-Action-Plan, MAP) für die Ukraine und Georgien auf dem Nato-Gipfeltreffen in Bukarest im April 2008 zwar diskutiert, aber wegen des Widerstandes Deutschlands und Frankreichs den beiden Staaten nie unterbreitet, was Russland zum Angriff auf Georgien im August 2008 ermunterte. (…)

Im Jahr 1996 wurde Russland in den Europarat aufgenommen, trotz massenhafter Verletzungen der Menschenrechte in Tschetschenien. 1997 wurde Russland Mitglied der G7, die somit zur G8 erweitert wurde. 2012 wurde Russland Mitglied in der Welthandelsorganisation (WTO). Es ist Mitglied vieler kleinerer Organisationen, wie z. B. des Rates der Ostseestaaten.

Russland will keine Zusammenarbeit

(…) Die Moskau zur Verfügung gestellten Foren der Zusammenarbeit dienten jedoch ausschlieβlich der Förderung russischer Interessen. Wenn man Russland aufforderte, es solle die Regeln der mitunterzeichneten Verträge befolgen, bezichtigte Russland den Westen der Einmischung in innere Angelegenheiten oder der Verletzung russischer Einflusszonen“, fasst Grajewski zusammen und gelangt zu dem Fazit:

„Die Deutschen sind nicht fähig zu einer politischen Konfrontation mit Russland wenn es um die Interessen Mitteleuropas geht. Umgekehrt, sie würden gerne mit unseren Interessen bezahlen um ihre Ruhe zu haben. Die von Berlin dominierte EU „präzisierte“ gerade (wie das polnische Auβenministerium es formulierte) Sanktionen, mit denen die russische Ölbranche und die russischen Banken belegt wurden. Russland darf wieder lang- und mittelfristige Kredite in der EU aufnehmen. Es darf auch wieder neue Fördertechnologien kaufen. Zum Glück sind es nicht die EU-Sanktionen, die Russland in die Knie zwingen, sondern es ist der Druck der USA, Kanadas, Australiens, Groβbritanniens und der reichen arabischen Staaten. Putin hat Barack Obama in Syrien der Lächerlichkeit preisgegeben und beendete den von Obama verkündeten »Reset« in den Beziehungen zu Russland. Er hat viele Australier in dem über der Ukraine abgeschossenen malaysischen Verkehrsflugzeug ermordet. Er hat die in Kanada sehr einflussreiche ukrainische Diaspora gegen sich aufgebracht. Er hat sich die Saudis zu Feinden gemacht, in dem er sich auf die Seite des syrischen Diktators Baschar al-Assad stellte. Jetzt zahlt er dafür und er wird verlieren, egal was die deutschen »Intellektuellen« denken.“

RdP




Schrottgeld aufs Konto

Metallkriminalität eindämmen.

In Polen und Deutschland will man Metalldieben gemeinsam das Handwerk legen. Bereits am 27. November 2014 haben der polnische Zusammenschluss „Memorandum gegen Infrastrukturdiebstähle“ (MPKI) und die entsprechende deutsche Vereinigung „Sicherheitspartnerschaft gegen Metalldiebstahl“ (SIPAM) in Warschau eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Gemeinsame Schulungen, Konferenzen, ein Erfahrungsaustausch sollen helfen die in beiden Ländern ausgeprägte Metallkriminalität einzudämmen.

Szenen wie die nachfolgenden spielen sich an Polens Bahnstrecken immer wieder ab: Am 23. Dezember 2014 überraschten Beamte des Bahnschutzes (Straż Ochrony Kolei) einen Mann zwischen den Haltestellen Wrocław Kuźniki/Breslau Schmiedefeld und Wrocław Pracze/Breslau Herrenprotsch beim Diebstahl von etwa 50 m Signalkabel. Bei der Festnahme stieβ der Dieb einen der Beamten zu Boden und versuchte zu flüchten. Zwei Warnschüsse brachten ihn schließlich dazu stehen zu bleiben. Am 21. Dezember 2014 haben Bahnschutzbeamte an der Strecke Węgliniec/Kohlfurt – Bielawa Dolna/Nieder Bielau, in Niederschlesien, nahe der deutschen Grenze, nach einer fast einstündigen Auto-Verfolgungsjagd eine Bande gestellt, die u. a. 300 m Oberleitungsdraht und andere Metallgegenstände im Wert von gut 40.000 Zloty (knapp 10.000 Euro) bereits zum Abtransport bereitgelegt hatten.

Im Jahr 2013 wurden in ganz Polen knapp 14 Tausend Metall-Diebstähle bei der Bahn, im Energie- und Fernmeldewesen sowie im Kanalisationssystems festgestellt. Der Gesamtschaden belief sich auf 50 Mio. Zloty (ca. 12,5 Mio. Euro). Die Diebe haben es auf Fahrleitungsdrähte, Fahrleitungsdrahtgewichte, Tragseile, Telefondrähte, Energie- und Erdungskabel, Kleineisenteile, Verbindungsstücke und sogar ganze Schienenstücke sowie Kanaldeckel abgesehen. Mehr als 6 Tausend Züge hatten dadurch Verspätungen, etwa 80 Tausend Telekom-Kunden mussten zeitweilig auf Telefon und Internetverbindungen verzichten.

Mittlerweile ist der Bahnschutz dazu übergegangen an nicht gekennzeichneten Kleinbussen lange Ausleger mit Kameras zu installieren, um so das Bahngeländ besser überwachen zu können. Metallteile ersetzen Kunststoffe , besonders gefährdete Anlagen werden in stark umzäunte Container und Boxen verlegt.

Das „Memorandum gegen Infrastrukturdiebstähle“ wurde 2012 vom Staatlichen Eisenbahnamt (entspricht dem deutschen Eisenbahn-Bundesamt) und den Zentralämtern für Elektronische Kommunikation und Energieregulierung gegründet. Angeschlossen haben sich inzwischen viele Energiefirmen und die Bahn. Das „Memorandum“ fordert vor allem eine bessere Kontrolle der in Polen immer noch ungebremst wachsenden Schrottbranche. Allein in der Woiwodschaft Lebus (Lubuskie, mit Gorzów Wielkopolski/Landsberg a. d. Warthe) gibt es 170 Schrottaufkaufstellen. Die Abnahmepreise gleichen den deutschen, was angesichts der eindeutig niedrigeren polnischen Einkommen Sammler und Diebe hierzulande sehr motiviert und die Einfuhr von Metall-Diebesgut aus Deutschland fördert. Polizeikontrollen- und Razzien helfen nur bedingt.

Das „Memorandum“ fordert die Verabschiedung einer Novelle im polnischen Abfallgesetz. Schrottsammler, die Mengen anliefern, deren Wert ein vorgeschriebenes Limit übersteigt, sollen den Gegenwert der Lieferung nur aufs Konto überwiesen bekommen. Erfahrungen von Staaten, die eine solche Regelung eingeführt haben zeigen, dass die bargeldlose Abwicklung des Schrotthandels der Metallkriminalität weitgehend den Boden entzieht.

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Das wichtigste aus Polen 22. – 28. März 2015

Kommentator Janusz Tycner und Joachim Ciecierski gehen auf die wichtigsten Ereignisse der Woche in Polen ein: Präsidentschaftswahlkampf nimmt Gestallt an. Polnische Transportunternehmer protestieren gegen deutschen Mindestlohn. Werden alte PKWs aus den Stadtzentren verbannt? Zu viele Elche machen Sorgen.




MiLo über alles

Deutschland diktiert, Polen pariert.

Die Mindestlohnregelung für LKW-Fahrer ist vorläufig nur im Transit durch Deutschland ausgesetzt worden. Von und nach Deutschland gilt sie weiterhin und hält so die Konkurrenz aus dem Osten fern.

Treffen in Warschau. Ministerpräsidentin Kopacz fragt in die Runde: „Was gibt’s neues in Berlin?“ Der Wirtschaftsminister: „Die Deutschen fordern, wir sollen den polnischen LKW-Fahrern, die durch ihr Land fahren, die Löhne erhöhen…“ „Noch etwas?“, fragt die Regierungschefin. „Aber sie weigern sich die Löhne der Angestellten ihrer Discounter-Ketten in Polen zu erhöhen“, antwortet die polnische EU-Kommissarin Bieńkowska.
Der Foto-Scherz aus der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 28. Januar 2015 gibt die Befindlichkeit eines nicht kleinen Teils der polnischen Öffentlichkeit wieder, der Deutschland ohnehin nicht über den Weg traut.

Płaca minimalna fot.Die Bombe platzte am 7. Januar 2015. Während einer Pressekonferenz in Berlin verkündeten die Vertreter der deutschen Ministerien für Finanzen und Arbeit, dass der gerade in Deutschland eingeführte flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde auch für Ausländer gelte, und zwar für jede Stunde, die sie in Deutschland arbeiten, z. B. auch für polnische LKW-Chauffeure, wenn sie aus Polen durch Süddeutschland nach Italien fahren.

Am 30. Januar 2015 hat die deutsche Regierung die Anwendung des Gesetzes auf ausländische Lkw-Fahrer im reinen Transitverkehr vorerst (bis zur Klärung in Brüssel) ausgesetzt. Zu monströs war der Unsinn dieses Vorhabens, wären doch von der Maβnahme jährlich rund 1,8 Millionen Transitfahrten, allein polnischer Speditionen, durch Deutschland betroffen. Doch

die Kuh ist noch längst nicht vom Eis.

Lkw-Chauffeure, deren Anhänger in Deutschland be- und entladen werden, müssen nämlich weiterhin mindestens 8,50 Euro in der Stunde verdienen.
Um das zu gewährleisten, wurde eine beachtliche bürokratische Prozedur in Gang gesetzt. Die Spediteure müssen den Einsatzplan des Fahrers der von oder nach Deutschland fährt, vorab, mittels eines umfangreichen Formulars bei der deutschen Zollverwaltung anmelden und anschließend die Daten, welcher Fahrer wie lange durch Deutschland gefahren ist, für Kontrollzwecke aufbewahren. Zudem muss der Fahrer folgende Dokumente dabei haben: den Arbeitsvertag, sein ausgefülltes Arbeitszeitformular, seine Lohnabrechnung und den Vorab-Überweisungsbeleg der beweist, dass sein auf Deutschland entfallender Stundenlohn bereits auf sein Konto überwiesen wurde. Alles natürlich auf Deutsch. Auf Anfrage aus Warschau haben deutsche Behörden mitgeteilt, dass sie auch auf Englisch und Französisch ausgefüllte Unterlagen zu akzeptieren gedenken.

Die Vorschriften seien unpräzise, klagen polnische Spediteure. Harte Strafen, die in die Hunderttausende von Euro gehen können, drohen sowohl ihnen, wie auch ihren deutschen Auftraggebern.

Zwei Wochen lang hielt die, was Berlin angeht, stets konfliktscheue Regierung in Warschau still, bis sie von den zornerfüllten Transportunternehmer-Verbänden u. a. mit ganzseitigen Zeitungsannoncen zum Handeln gezwungen wurde. Es gab am 21. Januar 2015 ein Telefongespräch der polnischen Regierungschefin mit Frau Merkel und einige eher theatralisch wirkende Gemütsäuβerungen, die die Medien Wirtschaftsminister Piechociński („Skandalös, was die Deutschen da Europa vorschlagen“) und Auβenminister Schetyna („Kuriose Vorschriften“) entlocken konnten. Dass der „wichtige Freund Deutschland“, wie es die Ministerpräsidentin formulierte, dermaβen brachial vorgehen konnte, und man sich plötzlich gezwungen sah Widerspruch zu äuβern, war für die Regierungskreise ungewohnt und unangenehm.
Polen ist nun Mal mit einem Anteil von 25% das Land mit dem höchsten Lkw-Frachtaufkommen in der EU.

Ein lästiger Konkurrent,

dessen man sich in Berlin mit einem Schlag auf diese Weise zu entledigen hoffte? Jan Rokita, (einst führender Politiker der regierenden Bürgerplattform, von Tusk als politischer Rivale ausgebootet, heute Publizist) hegte diesbezüglich keine Zweifel, als er im Nachrichtenmagazin „W Sieci“ („Im Netztwerk“) vom 27. Januar 2015 schrieb:
„Offensichtlich ist man irgendwo in den Berliner Ministerien auf die Idee gekommen, das MiLo-Gestetz dazu zu benutzen polnische (und nicht nur polnische) Transportunternehmer von den deutschen Straβen zu verbannen, und auf dem Verwaltungswege den deutschen Straβengütertransport nur den Deutschen zu überlassen. Der deutsche Staat mache sich in diesem Fall zu einem Werkzeug der Wirtschafslobbyisten.“

Tomasz Budnikowski, Ökonomieprofessor am Westinstitut in Poznań, bemerkte in der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) vom 28. Januar 2015:

„Den Mindestlohn gibt es in den meisten europäischen Ländern. In keinem von ihnen jedoch hat man sich entschieden dermaβen brutal in die Lohnmechanismen ausländischer Transportunternehmen einzugreifen. Na ja, nicht seit heute wissen wir, dass wenn man in Deutschland etwas in Angriff nimmt, dann gründlich, und nicht selten gibt man sich dabei der Lächerlichkeit preis.“
Um einiges schwerere Geschütze fuhr der konservative Kommentator Jacek Karnowski im viel gelesenen Internet-Portal „W.Polityce.pl“ (In.derPolitik.pl“) am 25 Januar 2015 auf:

„Es zeigt sich, dass die Vorherrschaft auf dem polnischen Markt Berlin nicht mehr genügt: das diskrete Erzwingen der Stilllegung beachtlicher Teile der Industrie, einschlieβlich der Werften, die schnelle Übernahme des Einzelhandels. Jetzt zielen sie auf Branchen ab, die sie bisher als eine Art Gnadenbrot den armen „Freunden“ aus dem Osten überlassen haben: Z. B. auf die Transportdienstleistungen. (…) Das ist eindeutig eine neue Phase. Der deutsche Staat führt Regulierungen ein, die in innere Wirtschaftsbelange der Nachbarn eingreifen.“

Karnowski sieht bereits eine weitere Forderung Berlins kommen: “Wenn die neuen Vorschriften wirklich wirksam vollstreckt werden sollen, dann müssen deutsche Kontrollen direkt in den polnischen Firmen stattfinden, anders lässt es sich nicht effektiv nachvollziehen, ob der polnische Fahrer den deutschen Mindestlohn bekommen hat.“, und fährt fort: „Das wäre eine beispiellose Einmischung. Das ist schon etwas mehr als die herkömmliche »soft power«“, mit der man die Eliten und die Jugend des Landes für sich gewinnt: Stipendien, Honorare, Forschungsgelder, Auszeichnungen, üppig finanzierte Projekte, Austausche, „das Korrumpieren polnischer Minister oder gar des Ministerpräsidenten mit Posten in Brüssel. Das hier aber ist eine offensichtliche Nötigung, ausgerichtet darauf, die Einnahmen des deutschen Staates zu erhöhen.“

Prof. Budnikowski weist auf einen weiteren Aspekt hin: „Den Standpunkt der deutschen Fahrer und Spediteure kann man soweit verstehen. Sie sehen in der Maβnahme eine erhebliche Schwächung der ausländischen Konkurrenz zu ihren Gunsten. Was erstaunt, ist die Position einiger polnischen Gewerkschaftler, die verkünden, dass es keinen Grund dafür gebe, dass polnische Fahrer nicht genauso viel wie ihre deutschen Kollegen verdienen. Was aber sollen dazu die polnischen Krankenschwestern, Eisenbahner, Universitätsprofessoren sagen?“

Wie geht es weiter?

Im Transportverkehr von und nach Deutschland haben die deutschen Behörden den ausländischen Spediteuren einen Mühlstein um den Hals gehängt: Voranmeldung beim deutschen Zoll, eine monströse Dokumentationspflicht, Vorkasse für den Fahrer, wage Formulierungen, Androhung enormer Strafen für Transportunternehmen und Auftraggeber. Da nimmt man ab jetzt lieber gleich eine deutsche Firma.

Obschon vor Berlins einstweiligem Transit-Rückzieher am 30. Januar 2015 geschrieben, bleibt Jan Rokitas Einschätzung ganz und gar aktuell: „Es sieht danach aus, dass (…) die Regierung in Berlin Höflichkeit und den Willen alles zu erklären und zu besprechen an den Tag legen, aber im Kern hart bleiben wird. (…) In dieser Situation muss sich die Regierung Kopacz bewusst werden, dass in diesem Konflikt ohne Gegenmaβnahmen seitens der EU sowie Polens und seiner Verbündeten, die Bereitschaft Berlins Zugeständnisse zu machen, sehr beschränkt sein dürfte.“

Jacek Karnowski ist dahingehend jedoch sehr pessimistisch: „Beachten wir: dem polnischen Staat kommt es nicht einmal in den Sinn eine der Lage angemessene Gegenmaβnahme zu erwägen, die die deutschen Spediteure treffen würde: eine zusätzliche Versicherung oder Gebühr. Das würde gegen EU-Regeln verstoßen? Die deutschen Regulierungen verstoβen allem Anschein nach gegen das Prinzip staatlicher Souveränität, und sollen dennoch in Kraft treten.“

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„Willkommen in Warschau, Herr Sikorski“

Der deutschlandpolitische Schmusekurs der Regierung Tusk stößt nicht bei allen Beobachtern in Warschau auf Verständnis.

Der Publizist Marek Magierowski gab diese Befindlichkeit wieder, indem er im Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“) vom 28. Juli 2014 seine Glosse, siehe oben, auf Deutsch betitelte.

Seiner Zeit, so Magierowski, „lud Auβenminister Radosław Sikorski den deutschen Auβenminister Frank-Walter Steinmeier auf seinen Landsitz in Chobielin bei Bydgoszcz ein. Steinmeier revanchierte sich am letzten Mittwoch (23. Juli 2014 – Anm. RdP), indem er ihn aus Brüssel nach Warschau mitnahm.
Auf dem offiziellen Twitter-Konto des Auswärtigen Amtes tauchte eine Serie von Fotos aus dem Inneren der Maschine und von der Ankunft auf dem Warschauer Okęcie-Flughafen auf, wo der Botschafter Deutschlands Rolf Nikel die beiden Gentlemen in Empfang nahm“.

Soweit so gut, meint der Autor, denn: „Eigentlich verlief alles gemäß dem diplomatischen Protokoll. Eigentlich sind unsere Staaten Verbündete und arbeiten auf vielen Feldern zusammen. Eigentlich sind Sikorski und Steinmeier befreundet. Dementsprechend dürfte es keinen Anlass zur Verwunderung, geschweige denn zur Empörung geben“, gibt Magierowski zu bedenken.

Dennoch habe er die Fotos mit wachsendem Staunen betrachtet und schreibt:

„Da kommt der Auβenminister der Republik, der sich auf einer Dienstreise befindet, nach Warschau zurückgeflogen, an Bord einer Luftwaffen-Maschine, als Gast seines Kollegen aus Deutschland. Auf dem Rollfeld begrüβt ihn der Vertreter der Regierung in Berlin. Ein durchschnittlich aufgeweckter Student der Internationalen Beziehungen hätte wahrscheinlich ein besseres Gefühl dafür gehabt, was sich in der Diplomatie gehört und was man lieber lassen sollte. Besonders im Falle der Beziehungen zu Deutschland, das von vielen Europäern als ein Land angesehen wird, das den ganzen Kontinent herumkommandiert und diesem mit Vehemenz seinen Willen aufzwingt“, stellt Magierowski fest, und fährt fort:
„Könnt ihr euch den Auβenminister Griechenlands vorstellen, der mit einer deutschen Regierungsmaschine nach Athen kommt und vom dortigen deutschen Botschafter begrüβt wird? Noch am selben Tag würden ihn die Medien in Stücke reissen.

Nur, der griechische Minister kämpft nicht um einen Posten in Brüssel.“

Anmerkung RdP

Auβenminister Sikorski machte sich im Sommer 2014 groβe Hoffnungen auf den Posten des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik (umgangssprachlich EU-Auβenminister genannt). Sikorski wurde letztendlich von seinem Chef, Ministerpräsident Donald Tusk, der lange stillhielt und so tat, als sei er an EU-Posten nicht interessiert, ausgetrickst. Frau Merkels Favorit Tusk bekam den Posten des EU-Ratspräsidenten, was Sikorskis Vorhaben automatisch zunichte machte.Tusks Nachfolgerin, Ministerpräsidentin Ewa Kopacz, entließ Sikorski aus dem Kabinett und schob ihn auf den Posten des Sejm-Präsidenten ab.

RdP




Das heutige Deutschland und der Erste Weltkrieg

Polnische Beobachtungen und Meinungen.

Rechtzeitig zum einhundertsten Jahrestag des Attentates in Sarajevo am 28. Juni 1914, widmeten sich Polens führende Deutschland-Kommentatoren dem Verhältnis des heutigen Deutschlands zum Ersten Wettkrieg.

Piotr Semka, ein stets aufmerksamer Beobachter des Nachbarlandes auf dem konservativen Flügel der polnischen Publizistik, veröffentlichte seine Einschätzungen im Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“) vom 7. Juli 2014 unter dem Titel:

Keine Asche aufs Haupt

(…) Dieses Foto haben die meisten jungen Franzosen und Deutschen in ihren Schulbüchern gesehen. Aufgenommen wurde es am 22. September 1984 vor der Gedenkstätte in Verdun. Zum ersten Mal wurde damals, an diesem Ort, neben der „Marseillaise“, die westdeutsche Nationalhymne mit der Melodie „Deutschland, Deutschland über alles“ gespielt. Vor dem westdeutschen Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten stand ein in die deutsche und die französische Fahne gehüllter Sarg. Helmut Kohl und Francois Mitterrand fassten sich minutenlag an den Händen, als Zeichen der Freundschaft beider Nationen. Damals verstand man diese Zeremonie als eine Weiterführung des von General Charles de Gaulle und Konrad Adenauer 1959 angestoβenen Versöhnungsprozesses zwischen den beiden Staaten, die im 20. Jahrhundert gleich zweimal. einen Kampf auf Leben und Tod ausgetragen haben.

Dreißig Jahre später trat die deutsche Botschafterin in Paris, Dr. Susanne Wasum-Rainer als Schirmherrin bei der Vorstellung des Buches von Christopher Clark „Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ in Frankreich auf. Clark ist ein australischer Historiker, der sich von der deutschen Geschichte begeistern lieβ, und 2006 auf dem deutschen Buchmarkt seinen Bestseller „Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600 – 1947“ platzierte. Das Buch, das viele Deutsche mit Begeisterung aufnahmen, sollte nachweisen, dass Preuβen keineswegs die Verkörperung des Bösen gewesen ist, und vieles, was dem preuβischen Staat an Schuld zugeschrieben wird, als bedingt anzusehen ist.

Zum einhundertsten Jahrestag des Groβen Krieges hat Clark nun ein Buch mit der These geschrieben, das Kaiserreich trage nicht die Hauptschuld am Kriegsausbruch und man solle die Verantwortung dafür auf alle europäischen Mächte verteilen. Zum wiederholten Male bestätigte sich damit die Regel, dass die Deutschen es lieben, gefällige Ausländer zu benutzen, um zu verkünden, was sie selbst insgeheim denken.

Kein Wunder also, dass es ein Australier war, der den Franzosen verkünden sollte, auch ihre Republik sei für den Ersten Weltkrieg mitverantwortlich. In Frankreich jedoch stieβ Clark auf streitbaren Widerstand. Der ehemalige Ministerpräsident Jan-Pierre Chevènement schleuderte den von Deutschland aus geworfenen Ball zurück und wiederholte: „Der Krieg von 1914 ist das Ergebnis des Wettlaufs zwischen London und Berlin um die Vorherrschaft auf den Meeren gewesen“. Etwas also hat sich doch verändert seit dem Händehalten Kohls und Mitterands. Die Versöhnung mit Deutschland ist das eine, etwas anderes ist es, wenn zur Kenntnis genommen werden soll, Frankreich sei genauso wie der Kaiserstaat vom nationalistischen Taumel erfasst gewesen.

Blicken wir aber zurück auf einen weiteren runden Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges, auf das Jahr 1974. Damals erschien das Buch von Stefan Lorant „Eine deutsche Bildgeschichte von Bismarck zu Hitler“. Auf dem Umschlag wurde Hitler beileibe nicht im braunen SA-Hemd dargestellt, sondern in der kaiserlichen Uniform Wilhelm II. Das ganze Album ist eine einzige Verbildlichung der Behauptung, und damals wurde sie noch als selbstverständlich angesehen, dass es zwischen dem preuβischen Militarismus und dem Nationalsozialismus eine direkte Verbindung gibt, und dass der Zweite Weltkrieg eine natürliche Fortsetzung des Strebens nach Zielen gewesen sei, die die Deutschen im Ersten Weltkrieg nicht zu erreichen vermocht hatten. Mehr noch, wir haben inzwischen auch schon polnische Historiker, die die neuen Prinzipien der politischen Korrektheit bei der Darstellung der deutschen Geschichte gut heiβen und sich über angebliche „Vereinfachungen“, wie sie z. B. Lorant veröffentlichte, entrüsten.

Das soll nicht heiβen, in Deutschland gäbe es keine Historiker, die daran erinnern, wie eroberungslustig und hemmungslos die Pläne für Besitzergreifungen gewesen sind, die die Fachleute vom kaiserlichen Auswärtigen Amt oder vom Generalstab schufen. Stark ist weiterhin auch die allgemeinpazifistische Strömung, die der Kriegsschulddiskussion ausweicht und an dieser Stelle nur verkündet, dass alle im damaligen Europa „versagt“ haben.

Man kommt nicht um die Feststellung herum, dass die Beliebtheit des Buches von Christopher Clark ein Ergebnis wesentlicher Veränderungen in der deutschen historischen Politik ist. Ähnlich wie die von der deutschen Linken gebilligten und geteilten Behauptungen, dass es der Versailler Vertrag und seine strengen Bestimmungen gewesen sind, die Deutschland in den Zweiten Weltkrieg getrieben haben sollen. Zwar hat die Bonner Republik von 1949 bis 1989 schweigend die Schuld der Deutschen am Krieg von 1914 hingenommen, doch junge bundesdeutsche Historiker verspüren immer weniger Lust sich Asche aufs Haupt zu streuen.

Wie immer, wenn es um die deutsche soft power, die weiche Macht geht (politische Machtausübung, Einflussnahme und Erlangung der Deutungshoheit auf der Grundlage kultureller und wissenschaftlicher Aktivitäten – Anm. RdP), wird auch in diesem Fall nicht allzu eindringlich und herausfordernd gehandelt. Es wird stets darauf hingewiesen, dass es sich um einen wissenschaftlichen Gedankenaustausch handelt, dass alle das Recht auf ihre Meinung haben, und es wird höflich angemerkt, dass es in der Bundesrepublik selbst unterschiedliche Ansichten darüber gibt.

Es fällt jedoch nicht schwer zu erkennen, dass die deutsche Diplomatie auch auf dem Feld der Geschichte aktiv zu sein pflegt. Im August 2013 lieβ ein Teil der britischen Presse durchsickern, deutsche Diplomaten versuchten es den Briten ans Herz zu legen, sie mögen die Feierlichkeiten zum hundertsten Jahrestag des Groβen Krieges in deren Wichtigkeit nicht zu hoch ansiedeln. Das deutsche Auswärtige Amt stellte schnell in Abrede, dass es solche Andeutungen gegeben habe, doch vermuteten viele britische Publizisten damals, das Foreign Office wollte mittels einer solchen Indiskretion den allzu selbstbewussten deutschen Diplomaten einen Nasenstüber versetzen.

Irgendetwas jedenfalls muss dran gewesen sein. Einem Land, das Europa führt, ihm Fiskalpakte aufzwingt und bestimmt, wer der nächste Vorsitzende der Europäischen Kommission sein soll, fällt es immer schwerer, die Rolle des auβergewöhnlichen Bösewichts des 20. Jh. zu ertragen. Das gilt ganz besonders für die Auseinandersetzung um die Schuld am Kriegsausbruch 1914.

Das alles bewirkte, dass Groβbritannien und Frankreich ihre Feierlichkeiten deutlich „nationaler“ gestaltet haben. Gewiss, britische und französische Historiker werden weiterhin Einladungen zu Tagungen an deutschen Universitäten annehmen, doch die wichtigsten Feierlichkeiten werden im Kreise der alten Entente stattfinden.

Auch die betagtesten Veteranen des Ersten Weltkrieges leben inzwischen nicht mehr. 2008 verstarb im Alter von 107 Jahren Erich Kästner, der älteste deutsche Kriegsteilnehmer. Ein Jahr später starb, mit 111 Jahren, der britische Soldat Harry Patch. Bezeichnend, dass die „Spiegel“-Journalistin Frederike Heine, die im August 2013 über die Einstellung beider Nationen zum Ersten Weltkrieg schrieb, nicht umhinkam zu beanstanden, dass Kästners Tod in Deutschland unbemerkt blieb, während Harry Patch mit einem feierlichen Gottesdienst in der Kathedrale von Wells verbschiedet wurde, und die Berichte von seiner Beerdigung die Fernsehnachrichten an der Themse eröffneten. Heine jedoch stellte sich nicht die Frage, welche Rolle der Militarismus in der deutschen und welche in der britischen Geschichte gespielt hat. Es ist sehr bezeichnend, dass die Deutschen, ins Pazifistenkostüm gekleidet, beginnen andere zur Rede zu stellen, weil diese in ihre Kriegstradition allzu sehr verliebt seien. (…)

Dasselbe Thema beschäftigte auch Piotr Jendroszczyk, den deutschlandpolitischen Kommentator der Tagezeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) am 5. Juli 2014.

Die These des Artikels lautet: „Berlin vom Gedächtnisschwund befallen. Die Regierung tut so, als wäre vor einhundert Jahren nichts Bemerkenswertes passiert.“

Der Autor schreibt unter der Überschrift:

Kein Platz mehr für Reue

u. a.: (…) Tausende von themenbezogenen Treffen, öffentliche Diskussionen, fünfzig neue Bücher, Dutzende von Dokumentarfilmen… Das alles steht in einem krassen Gegensatz zu dem fehlenden Interesse der offiziellen Vertreter des Staates an einem Ereignis, ohne das es wahrscheinlich weder Stalin noch Hitler gegeben hätte. Die britische Presse schlägt Alarm: „Deutschland will sich nicht mehr an die Geschichte erinnern“ und gibt zu bedenken, dass die Regierung von Angela Merkel nur 4,7 Mio. Euro für staatliche Feierlichkeiten aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums zum Ausbruch der groβen Katastrophe veranschlagt hat, etwa genauso viel, wie für Festveranstaltungen zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls vor fünf Jahren.

– Eigentlich gibt es da nichts zu gedenken. Für Deutschland war es eine Zeit der Wirren, des Todes und der Nachkriegsarmut. Eine Zeit der Erniedrigung durch den Versailler Vertrag, in dem eindeutig festgehalten wurde, dass Deutschland allein am Kriegsausbruch schuld sei. Es waren die strengen Bestimmungen, die dem Verlierer aufgezwungen worden waren, vor allem durch Frankreich. Daher die Zurückhaltung der Offiziellen gegenüber diesem Jahrestag – sagt Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte in München. – Auβerdem gibt es in Deutschland keine groβen Schlachtfelder und Ehrenfriedhöfe aus dieser Zeit, wie in Frankreich oder Belgien.

Das gröβte Hindernis für das Gedenken in Deutschland ist der Zweite Weltkrieg. – Auch in meiner Familie war der Zweite Weltkrieg allgegenwärtig – sagte Kanzlerin Angela Merkel bei der Eröffnung der Ausstellung zum Ersten Weltkrieg im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Sie will des Jahrestages gedenken indem sie nach Ypern fährt. Das ist bis jetzt die einzige internationale Verpflichtung der Kanzlerin aus diesem Anlass.

Bundespräsident Joachim Gauck wird am 3. August im Elsass, auf einer Anhöhe, bei der 25 Tausend Franzosen und Deutsche fielen, Francois Hollande begegnen, und er will nach Brüssel fahren, zum feierlichen Treffen der Vertreter der Kriegsteilnehmerländer. Das ist alles. Derweil geht aus einer Befragung der Illustrierten „Stern“ hervor, dass zwei Drittel der Deutschen sich für die Kriegskatastrophe von vor einem Jahrhundert interessieren.

Die niederschmetternde Niederlage und der demütigende Artikel 231 des Versailler Vertrages, der von der Alleinschuld Deutschlands an der Entfesselung des Ersten Weltkrieges handelt, sind zweifelsohne ein starker psychologischer Impuls für den offiziellen deutschen Gedächtnisschwund. Ein noch wichtigerer Grund ist der Holocaust. Die Deutschen wurden nicht nur schuldig befunden für den Kriegsausbruch und die Naziverbrechen. Sie haben sich zu ihrer Schuld bekannt, sie haben sich Asche aufs Haupt gestreut und tun das weiterhin. Sie entschuldigen sich, sie leisten Abbitte und erinnern sich. Da ist kein Platz mehr dafür, sich auch noch für den Ersten Weltkrieg an die Brust zu schlagen. (…)

Ich erinnere mich an eine Diskussion von vor Jahren zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Martin Walser, in der die beiden sich geradezu darin überboten zu beweisen, dass das ganze Übel in Versailles begonnen habe, wo die Deutschen einen für sie erniedrigenden Vertrag unterschreiben mussten.
-Das ist eine zu groβe Vereinfachung, aber sie enthält ein Körnchen Wahrheit – sagt Hartmann. Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Deutschen von dem ihnen angetanen Unrecht überzeugt. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt schon die politische Korrektheit, und entsprechend den Thesen des Hamburger Historikers Fritz Fischer in seinem Buch „Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschlands 1914-1918“, wurde Deutschland zu recht für die Entfesselung des Ersten Weltkrieges verantwortlich gemacht. Die Strafe für die Schuld an den beiden Kriegen war die Teilung Deutschlands. Und so sollte es sein. Nicht alle waren damit einverstanden. Fischers Buch entfesselte eine heftige Diskussion, aber im Prinzip galt das Anzweifeln der deutschen Schuld als geschichtlicher Revisionismus und wurde verurteilt. (…)

Die Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist nicht so einfach zu erklären, wie die für den Zweiten Weltkrieg. Daran erinnert der in Cambridge lehrende Christopher Clark in seinem neusten Buch „Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“. Er beweist, dass man mit der Schuld für diesen Krieg auch andere Teilnehmer belasten kann: Österreich-Ungarn, das Serbien ein Ultimatum nach dem Attentat auf Erzherzog Ferdinand und seine Frau stellte. Russland, das sich schützend vor die Slawen auf dem Balkan stellen wollte. Frankreich, den gröβten Feind Deutschlands und ein Verbündeter Russlands, und auch Groβbritannien, das sein Imperium verteidigte. Das alles gefällt in Deutschland sehr. (…).

RdP