Bitterer Ernst. Den Polen schmeckt der Wodka nicht

Noch stärker haben sie sich vom Bier abgewandt.

Die Ergebnisse des Alkoholumsatzes in Polen im Jahr 2021 erscheinen wie ein Traum von Suchttherapeuten und Abstinenzaktivisten, die seit Jahren verschiedene Ideen zur Einschränkung des Konsums ins Gespräch bringen. Für die Spirituosen- und Brauereiindustrie hingegen sind solche Resultate eine wirtschaftliche Katastrophe.

Schon während der Pandemie zeigte sich, dass die Polen seltener zur Flasche greifen. Man könnte annehmen, dass Menschen, die zu Hause eingesperrt sind, dazu neigen, sich mit Alkohol aufzuheitern oder ihren Kummer darin zu ertränken.

In der anderen Waagschale jedoch lagen Partys, die nicht stattfanden , geschlossene Restaurants und Kneipen. Das war letztendlich ausschlaggebend für den Rückgang des Verbrauchs. Im Jahr 2020, als alle Angst vor COVID-19 hatten, kauften die Polen 51,4 Millionen Liter Alkohol weniger als im Jahr zuvor.

Die Auswahl an alkoholischen Getränken ist in Polen schier unermesslich.

Am meisten darunter gelitten haben die den Markt anführenden Brauereien . Der Biermarkt schrumpfte damals um 2,1 Prozent, d. h. im Laufe des Jahres 2020 wurden 135 Millionen Halbliterflaschen Bier weniger verkauft. Die Hersteller von Wodka, des am zweithäufigsten gekauften alkoholischen Getränks, verzeichneten einen Umsatzrückgang von 0,8 Prozent.

Gleichzeitig wurden weitere Veränderungen in der Nachfrage immer offensichtlicher.  Gefragter sind teurere, hochwertige Spirituosen. Zu den Spitzenreitern beim Umsatzwachstum gehört der Whisky, von dem 2020, also während der Pandemie, gut 20 Prozent mehr verkauft wurden als 2019.

Der Apfelwein. Eine flüchtige Liebe

Mit dieser Entwicklung enden auch die überzogenen Hoffnungen, Polen werde sich zu einer Apfelwein-Macht entwickeln. Wach sind noch die Erinnerungen daran, als vor einigen Jahren prophezeit wurde, dass dieser Markt, bei einer solchen Apfelproduktion, und Polen ist der drittgrößte Hersteller der Welt, geradezu zum Erfolg verdammt sei. Schlagzeilen verkündeten damals: „Die Polen haben sich in den Apfelwein verliebt“.

Den besten Apfelwein (polnisch: cydr) gibt es angeblich in der Gegend von Lublin.

Doch es war eine flüchtige Liebe. Seit mindestens fünf Jahren schrumpft der Apfelweinmarkt stetig. Allein im Jahr 2020 wurden 21 Prozent weniger verkauft als im Jahr zuvor.  Die Abwärtsspirale wurde durch die Hersteller selbst in Gang gesetzt, als sie versuchten,   statt eines wohlschmeckenden und relativ günstigen Getränks, vergleichsweise teure und geschmacklich  mäßige Apfelweine an den Mann zu bringen. Bisher schafft die Branche es nicht, da wieder herauszukommen.

Bierbäuche so klein wie vor zehn Jahren

Heute wissen wir, dass das polnische Trinkverhalten im Pandemiejahr 2020 Bestandteil eines schon früher begonnenen Trends gewesen ist: In Polen wird einfach immer weniger Alkohol getrunken.

Der Markt ist im Jahr 2021 noch weiter geschrumpft, und wiederum war das Bier am stärksten betroffen. Bereits im Jahr 2020 lag der Verbrauch in Polen bei 96 Liter pro Kopf und war damit der niedrigste in den letzten zehn Jahren. Im Jahr 2021 ging der Bierabsatz um weitere 4 Prozent zurück.

„Witajcie“ – „Seid willkommen“. Bierfest im oberschlesischen Katowice/Kattowitz.

Das ist ein schwerer Schlag für die Brauereien, denn nicht nur der Trend des sinkenden Absatzes hat sich verfestigt, sondern auch das Umsatzergebnis ist zum ersten Mal gesunken (um 1,1 Prozent): von 18 Milliarden Zloty (ca. 3,83 Milliarden Euro) im Jahr 2020 auf 17,8 Milliarden Zloty (ca. 3,79 Milliarden Euro) im Jahr 2021.

Der markanteste Rückgang ist vor allem bei den beliebtesten, den schlichten und preiswerten Lagerbieren zu verzeichnen. Sie machen zwar immer noch einen großen Teil des gesamten Bierabsatzes (80,3 Prozent) aus, verlieren aber seit Jahren einige Prozentpunkte an alkoholfreie Biere und aromatisierte Lagerbiere.

Im Jahr 2021 lag der Einbruch bei Lagerbieren bei bis zu 5 Prozent im Vergleich zu 2020. Der Verkauf von Starkbieren, mit einem höheren Alkoholgehalt, war in gleicher Weise rückläufig.

Woher dieser Wandel? Fachleute sprechen von einer Kombination aus mehreren Umständen. Da war die Pandemie mit einer langen Phase, in der die Gelegenheit zum geselligen Treffen „auf ein Bier“ gefehlt hat. Die Gewohnheiten der Menschen scheinen sich durch die Pandemie dauerhaft etwas verändert zu haben. Hinzu kommt die Inflation. Nicht nur Energie, Kraftstoffe und Lebensmittel, auch das Bier wird teurer. Zudem wurde die Verbrauchssteuer auf Alkohol leicht angehoben. Da wird eben auf Geselligkeiten, die oft mit dem Biertrinken verbunden sind, verzichtet.

Unwiderstehliche Äffchen

Und warum trinken die Polen weniger Wodka? Einer der Gründe ist die Einführung der Zuckersteuer, denn viele polnische Wodkasorten sind süß. Es ging vor allem darum, den gigantischen Absatz von sogenannten Äffchen einzuschränken. So heißen im Volksmund preiswerte Flachmänner mit 0,1 l Füllmenge.

Äffchen. Bescheidene Auswahl aus einem reichhaltigen Angebot.

Tag für Tag gingen in Polen drei Millionen von ihnen über den Ladentisch, davon eine Million bereits bis zwölf Uhr mittags. Jährlich eine Milliarde Stück. Die „Kurzen“ mit 0,1 l Inhalt lagen noch im Jahr 2020 mit gut 40 Prozent an erster Stelle aller in Polen verkauften Wodkaflaschen. Es folgten die 0,25 l-Fläschchen mit 30 Prozent, der halbe Liter kam auf einen Marktanteil von 26 Prozent. Die restlichen 4 Prozent machten die 0,7 l sowie die Literflaschen aus.

Forscher haben seinerzeit knapp zweihundert Verkäufer befragt und mehr als zehntausend Kassenquittungen eingesehen. Ergebnis: drei Viertel der Kunden kauften nur das Äffchen, beziehungsweise sie nahmen noch ein Getränk zum „Nachspülen“ und/oder eine Kleinigkeit (Schokoriegel, verpacktes Würstchen u. ä.) als Zubiss dazu.

Der Flachmann ist rasch beschafft: im Laden oder an der Tankstelle. Er lässt sich unauffällig verstauen: im Handschuhfach, in der Mantel-, Hand- oder Aktentasche. Er ist fix geleert: beim Gassi gehen mit dem Hund, auf dem Nachhauseweg von der Arbeit, in der Mittagspause, auf der Parkbank, in der Bürotoilette. Die leere Flasche landet diskret im städtischen Müllbehälter oder irgendwo im Grünen.

Wer seinen Alkoholspiegel kurzfristig erhöhen möchte ohne gleich aufzufallen, ist heute mit etwa 8 Zloty (ca.1,70 Euro) dabei. Der Inhalt der „Kurzen“ wird in Polen nur geringfügig teurer angeboten als in der normalen Flasche. In Deutschland sind Preisunterschiede von rund einhundert Prozent bei Flachmännern im Vergleich zu den handelsüblichen Flaschen die Regel, nicht selten ist das sogar die untere Grenze.

Wodka muss in Polen mindestens 37,5 Prozent Alkohol aufweisen. Meistens hat er 40 Prozent. Anders verhält es sich mit Äffchen-Eigenkreationen der Brennereien, die in gröβere Flaschen gar nicht erst abgefüllt werden.

Ausgetrunkene Äffchen. Schnell gekauft, schnell getrunken, schnell entsorgt.

Deren Inhalt hat etwas weniger Prozente, wird dementsprechend geringer besteuert und als „Spirituosengetränke“ geführt, was den meisten Käufern erst gar nicht auffällt. Kirsche und Zitrone, dicht gefolgt vom Quitten- und Himbeergeschmack sind die Renner. Aromastoffe und der hohe Zuckeranteil kaschieren die schlechtere Qualität des Wodkas. Der Gewinn steigt, neue Kunden, vor allem Frauen, werden angelockt.

Die neue Zuckersteuer auf stark gesüßte alkoholische und nichtalkoholische Getränke, und eine Sonderabgabe für Wodka und „Spirituosengetränke“ in Flaschen bis zu 0,3 l Inhalt sollten die Äffchen-Vorherrschaft brechen. Auf die Sonderabgabe regierten die Brennereien, noch bevor sie in Kraft trat, indem sie Flaschen mit… 0.35 l auf den Markt brachten.

Die Zuckersteuer traf den Absatz von Äffchen besonders hart. Der Preis für ein 0,1 l Fläschchen stieg von 5,70 bis 6,50 Zloty (ca. 1,20 – 1,40 Euro) auf 8 bis 8,50 Zloty (um die 1,70 Euro)  an. Das genügte, um den Verkauf um 30 Prozent zu reduzieren. Es war der größte Rückgang im Wodka-Segment im Jahr 2021. Insgesamt betrug er 11 Prozent im Vergleich zu 2020.

Hersteller von Limonaden und Fruchtsäften begannen schnell, den Zuckergehalt zu verringern. Bei den Äffchen ist das nicht möglich. Angesichts der minderen Qualität des Alkohols wären sie ungesüßt oder deutlich weniger gesüßt für ihre Liebhaber ungenießbar.

Mehr geht nicht

Jahrelang glaubte man, dass die Polen ein besonderes Problem mit dem Alkohol hätten. Denn an der Weichsel stieg der Verbrauch, während er sich in Westeuropa eher stabilisierte bzw. rückläufig war. Schließlich pendelte sich der durchschnittliche europäische Konsum bei etwa 10 Litern reinen Alkohols pro Kopf und Jahr ein. Inzwischen hat der polnische Pro-Kopf-Verbrauch den europäischen Durchschnitt erreicht und zeigt keine Tendenz, erneut anzusteigen.

Da nun nicht mehr die Menge das Problem war, begann man von der falschen Art des Trinkens als einem polnischen Problem zu reden. Es wurde behauptet, dass die Polen immer noch nicht wegen des Geschmacks, oder um einen Anlass zu feiern, sondern zumeist ohne Anlass sehr exzessiv trinken. Aber auch das ist schon lange nicht mehr der Fall. Aus Untersuchungen geht mittlerweile hervor, dass gerade mal 7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung die Hälfte des in Polen konsumierten Alkohols trinken. Das sind all diejenigen, die ein Alkoholproblem haben.

Die Polen trinken weniger, aber das heißt noch lange nicht, dass der Wodka bald nur noch ein Nischendasein im Warschauer Museum des Polnischen Wodkas fristen wird.

Die Mehrheit übt sich eher in Zurückhaltung. Die Zahl der Autos steigt und mit ihr die erzwungene Enthaltsamkeit. Es ist inzwischen undenkbar, was in der kommunistischen Zeit gang und gäbe war: ausuferndes Trinken am Arbeitsplatz. Zudem zeichnet sich schon seit mindestens einem Jahrzehnt eine stete Abkehr von starken Getränken, hauptsächlich zugunsten des Bieres, ab.

Polen wurde zu einem Land der Biertrinker. Der Bierkonsum stieg seinerzeit so rasant, dass Prophezeiungen laut wurden, die Polen werden sogar die Tschechen im Biertrinken überholen. Die Wirklichkeit hat diese hurraoptimistischen Vorhersagen etwas zurechtgestutzt. Während ein Tscheche 182 Liter Bier pro Jahr konsumiert, trinkt ein Pole 96 Liter. Damit trinkt er zwei Liter weniger als ein Österreicher, aber immerhin knapp 4 Liter mehr als ein Deutscher.

Die Absatzzahlen für 2021 zeigen, dass Polen beim Alkoholkonsum den Höhepunkt eindeutig überschritten hat. Der Rückgang zeigt, dass die Polen nicht zu dem Trinkstil zurückgekehrt sind, der ihnen früher, ein wenig zu Unrecht, kollektiv unterstellt wurde, nämlich so zu trinken, dass es möglichst schnell zu Kopfe steigt.

Wie sieht die Zukunft des Trinkens an der Weichsel aus? Mittlerweile ist bekannt, dass die Polen im ersten Quartal 2022 noch weniger Wodka gekauft haben. Der Absatz war um 10 Prozent geringer als im ersten Quartal 2021.

Auch das Brauereiwesen zeichnet die Zukunft in dunklen Farben. Es erwartet keine Umsatzsteigerung und wäre bereits froh, wenn sich der Rückgang verlangsamen würde.

Konkrete Prognosen wagt niemand abzugeben. Zu viele nicht kalkulierbare Umstände gilt es zu berücksichtigen: Corona, steigende Produktionskosten, die schwankende Verfügbarkeit von Rohstoffen und Verpackungen, der Krieg in der Ukraine und schließlich das Wetter. Denn davon, wie sonnig der Sommer wird, hängt der Bierverkauf am meisten ab.

© RdP

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Was essen die Polen

Suppen, Soßen, polski Kebap. Neue und alte polnische Ernährungsvorlieben in Zeiten der Globalisierung.

Gibt es noch so etwas wie die polnische Nationalküche? Oder gab es sie vielleicht früher, aber die Globalisierung hat sie inzwischen verdrängt?

Nicht erst seit heute unterliegen das Essen und die damit verbundenen Rituale einerseits einem enormen Druck von außen, zeichnen sich jedoch zugleich durch ein ausgesprochenes Maß an Beständigkeit aus. Letzteres hat vor allem mit dem Klima, dem Lebenswandel und dem Erbe der materiellen Kultur einzelner Bevölkerungsgruppen zu tun. An der so umschriebenen Beständigkeit prallen viele Moden und Einflüsse ab oder sie werden den vorhandenen Vorlieben und Gewohnheiten angepasst.

Paweł Bravo, der die Fragen beantwortet, Jahrgang 1967, ist einer der führenden polnischen Journalisten, die sich auf Essen und Gastronomie spezialisiert haben. Er arbeitete bei den Zeitungen „Gazeta Wyborcza” und „Rzeczpospolita” („Republik“), der Zeitschrift „Forum”, dem Sender Radio ZET und ist jetzt Redaktionsmitglied bei der Krakauer „Tygodnik Powszechny” („Allgemeine Wochenzeitung”).

Ein gutes Beispiel dafür sind die Polen. Alle Befragungen und Forschungen der letzten Jahre enden immer wieder mit derselben Feststellung: Die Polen lehnen mehrheitlich, bewusst oder unbewusst, einen beachtlichen Teil neuer Ernährungstrends, die ihnen von globalen Konzernen oder von der Agrarindustrie aufgedrängt werden, ab. Alternativ passen sie diese Neuerungen ihrem Geschmack an.

Wie äußert sich das?

Das wichtigste Bollwerk der kulinarischen Tradition bleibt in Polen das Mittagessen. Es wird in der Regel am späteren Nachmittag eingenommen. Es muss unbedingt warm serviert werden und aus einer Suppe und einem Hauptgericht bestehen.

Die erste Verteidigungslinie des Althergebrachten bilden offensichtlich die Suppen.

Die polnische Vorliebe für Suppen ist unverwüstlich. Ein Pole, ob Kind, Erwachsener oder Greis, löffelt im Jahr (Angaben von 2020) bis zu 110 Liter Suppe aus. Das platziert ihn, neben den Asiaten, an der Weltspitze, so die Ernährungsstatistiker. Die vielen altbewährten, saisonal variierenden, Suppen werden immer noch ganz selbstverständlich, sowohl in den Haushalten als auch in Kantinen und Mensen sowie in der gehobenen Gastronomie, tagtäglich gereicht.

Suppe muss sein, auch im Wahlkampf. Bauernpartei-Chef Władysław Kosiniak-Kamysz (i. d. M.) beim Stimmenfang auf dem Land.

Dazu gehören barszcz (Rote-Bete-Suppe), żurek (fonetisch: schurek, Sauermehlsuppe), rosół (Hühnersuppe polnische Art), zupa grzybowa (fonetisch: gschibowa, Pilzsuppe), pomidorowa (Tomatensuppe polnische Art), ogórkowa (fonetisch: ogurkowa, Saure-Gurken-Suppe), szczawiowa (fonetisch: schtschawiowa, Sauerampfersuppe), grochowa (Erbsensuppe polnische Art), pokrzywowa (fonetisch; pokschiwowa, Brennnesselsuppe), kapuśniak (Sauerkrautsuppe), krupnik (Graupensuppe), botwina (Suppe aus jungen Rote-Bete-Pflanzen), gramatka oder farmuszka (Biersuppe aus der Fastentradition).

Polnische Suppen sind selten vegetarisch. Zumeist nehmen die Köche als Grundlage Rindfleisch, Geflügel oder Schweinefleisch (Speck, geräucherte Schweinerippchen).

Ungebrochen ist auch die Beliebtheit der kalten Sommersuppen. Vor allem erfreuen sich Fruchtsuppen großen Zuspruchs, wie etwa die traditionelle zupa jagodowa (Heidelbeersuppe mit kleinen, selbstgemachten Nudeln) oder die chłodnik, eine geeiste Cremesuppe aus Roter Bete mit eingerührtem Sauerrahm und gekochten Eihälften als Einlage.

Und das Hauptgericht?

Die meisten Polen sind nach wie vor davon überzeugt, dass eine ordentliche, vollwertige Mahlzeit eine gehörige Portion Fleisch beinhalten muss.

Mit Soße.

Mit viel Soße. Wobei die traditionelle polnische Küche zu jedem Fleischgericht eine eigene Soße vorsieht, die den Geschmack hervorragend abrundet. Hier kommt oft der Koriander zur Anwendung, der inzwischen in Polen angebaut wird. Die hohe Kunst des Soßenzubereitens ist mittlerweile jedoch, leider, immer weniger verbreitet.

Dazu Kartoffeln.

Unbedingt. Die Polen verschmähen zwar weder Reis noch Nudeln, aber Kartoffeln und Buchweizengrütze sind bis dato die beliebtesten Beilagen.

Kartoffeln, die mit Abstand beliebteste Beilage.

Der eigentümliche Geschmack vieler als typisch polnisch geltender Gerichte wird durch das Würzen erzielt.

Wie anderswo auch. Wobei man unterstreichen muss, dass die polnische Küche Extreme vermeidet. Diese erlebt man eher in Ungarn und auf dem Balkan, wo der Mund beim Essen dermaßen stark brennen kann, dass man am liebsten die Feuerwehr rufen möchte.

Am polnischen Herd wird Salz in Maßen verwendet, damit der eigentliche Geschmack der verarbeiteten Produkte voll zur Geltung kommt. Viele Deutsche etwa, die nach Polen kommen, wissen das nicht zu schätzen und greifen sofort zum Salzstreuer. Hauptgewürze, neben dem Pfeffer, den man ebenso sparsam einsetzt wie das Salz, sind Dill, Petersilienwurzel, Majoran, Wacholder, Lorbeerblatt und Kümmel. Sie machen den Reiz der polnischen Küche aus.

Wie weit verbreitet ist die polnische Küche in Reinkultur noch?

Um ihre ganze Reichhaltigkeit kennenzulernen, muss man schon etwas länger im Land bleiben. Aber auch wer nur ein paar Tage hier verbringt und sich nicht durch Vorurteile davon abhalten lässt, kann schnell auf den Geschmack der polnischen Küche kommen.

Bei meinen Reisen durch Polen staune ich oft selbst, wie viele, ganz gewöhnliche Restaurants und sogar Betriebskantinen gute polnische Kost anbieten. Sehr von Vorteil erweist sich dabei, dass offensichtlich fast nirgendwo Halbfertigprodukte verwendet werden. Nein, da stellt sich das Personal jeden Morgen hin und schält die Kartoffeln, putzt das Gemüse, kocht frisch drei, vier typisch polnische Suppen, wickelt die Kohlrouladen, bereitet das Fleisch zu und würzt das alles wie es sich gehört.

Viele Menschen aus dem deutschsprachigen europäischen Raum, die zu uns kommen, das hört man immer wieder, begegnen der polnischen Küche mit erheblichen Vorbehalten.

Man sollte nicht allzu sehr verallgemeinern, aber viele von ihnen sind tatsächlich an das Essen von Suppen nicht gewöhnt. Ihre Mittagessen bestehen meistens nur aus dem Hauptgericht. Zudem lehnen viele Fleisch ab und begreifen den Vegetarismus als eine Mission, die viel mehr beinhaltet als nur den Fleischverzicht. Ihre Feindseligkeit gegenüber der heutigen Landwirtschaft stößt in Polen, wo fast jeder noch Verwandte auf dem Land hat, auf viel Unverständnis.

Die Generationenlücke zwischen der Zeit als das Gros der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeitete und der allgemeinen Industrialisierung ist in Polen kleiner als im Westen. Wenn jemand bei uns auf die Idee kommt aufs Land zurückzukehren und einen Bauernhof zu gründen, dann findet er zumeist in seiner Familie jemanden, bei dem er sich praktischen Rat holen kann. In Norditalien dagegen erstreckt sich diese Lücke oft auf vier Generationen. Da muss man bei Null anfangen.

Jedenfalls haben sich die Essgewohnheiten gerade im deutschsprachigen Raum, denn in Frankreich, Italien, Spanien ist das bei Weitem nicht so ausgeprägt, in den letzten Jahrzehnten sehr geändert. Die traditionelle deutsche Küche, die in manchem der polnischen ähnelt, ist auf Anhieb kaum mehr zu finden und außerdem in Verruf geraten.

Wer, wie viele in Deutschland, täglich von Müsli, Obstsalaten, Joghurt, Blattsalat mit Feta oder Thunfisch und gedünstetem Gemüse lebt, der wird beim Anblick von bigos oder zrazy, den vorzüglichen Rindfleischwickeln mit kleingehackten Salzgurken, Zwiebeln und Speck, nur die Augen verdrehen. Schon mancher Pole, der in seiner spontanen Gastlichkeit seinen deutschen Gästen etwas Gutes tun wollte, hat diese traurige Erfahrung gemacht,.

Wir schwärmen hier von der polnischen Küche so vor uns hin, aber auch in Polen gibt es zur Genüge McDonald’s- und KFC-Restaurants.

Warschau im Juni 1992. Anstehen vor dem ersten polnischen McDonald’s.

Ja, das ist der Druck von außen auf unsere traditionelle Esskultur, von dem ich eingangs gesprochen habe. Als im Juni 1992 der erste McDonald’s in Polen eröffnet wurde hieß es, es sei nur eine Frage von wenigen Jahren, schnell würden die alten Essgewohnheiten in Vergessenheit geraten. Das ist nicht passiert.

McDonald’s, KFC & Co. ziehen vor allem Kinder und Jugendliche magnetisch an. Doch irgendwann kommt die Ernüchterung, und mit ihr zumeist die erneute Hinwendung zu dem was Oma und Mama gekocht haben.

Vegetarisches, Veganes, die minimalistische japanische Küche, Griechisches, Koreanisches, Chinesisches, Italienisches, Indisches und vieles mehr. Schaut man sich um in Warschau, fällt der Vormarsch der neuen kulinarischen Trends sofort ins Auge.

Es besteht kein Anlass zur Sorge, solange die eigene traditionelle Kochkunst hochgehalten wird. Sie ist ein wichtiger Bestandteil unserer Identität, aber die Leute wollen natürlich auch etwas anderes ausprobieren, und sie haben jetzt eine Vielzahl an zusätzlichen Möglichkeiten.

Mancher kommt dauerhaft auf einen neuen Geschmack, andere wiederum merken erst durch den Vergleich, was sie an der polnischen Küche haben. Wobei ich gleich hinzufügen muss, dass, statistisch gesehen, Vegetarier, Veganer und leidenschaftliche Sushi-Esser bei uns immer noch eine sehr kleine Gruppe sind, die sich zumeist aus der gut situierten, großstädtischen Oberschicht rekrutiert. Solches Essen widerspricht deutlich der gängigen polnischen Vorstellung von einer ordentlichen, vollwertigen Mahlzeit.

Sie haben davon gesprochen, dass viele gastronomische Trends und Einflüsse den vorhandenen Vorlieben und Gewohnheiten angepasst werden. Wie äußert sich das in Polen?

Ich bin viel unterwegs im Land und stoße in der Provinz immer wieder auf die Ergebnisse einer solchen Anpassung. Oft müssen dafür die Pizzen herhalten. Einige Zusammenstellungen muten geradezu skurril an: Pizza mit Wurst, dünnen Kartoffelscheiben und saurer Gurke, Pizza mit bigos belegt, Pizza mit Gehacktem, Zwiebeln und Speck sind mir noch gut in Erinnerung, nicht selten mit Dill, Kümmel oder Majoran bestreut. Sie schmeckten nicht schlecht aber vor allem sehr vertraut und darum geht es ja vor allem.

„Echter Kebap beim echten Polen“ in Lublin.

Da sind noch die unzähligen „bary orientalne”: Buden und Kioske, in denen vietnamesisches Essen, zumeist als „chinesisch” bezeichnet, und Kebap serviert werden.

Dabei sind es inzwischen oft Ukrainer, die sie betreiben.

„Echt polnisches“ Kebap-Lokal in Częstochowa/Tschenstochau. Werbung.

Ein gutes Beispiel für gastronomisches Multi-Kulti, könnte man meinen.

Vordergründig ja, aber bei genauerem Hinschauen erweist sich das als ein Trugschluss. Was dort gereicht wird, sind Mittagsgerichte nach polnischem Geschmack, die Orientalisches vortäuschen: Schnell sättigende, warme Fleischmahlzeiten mit viel Soße. In China, Vietnam und in der Türkei würde man sich sehr wundern.

Polens König Johann III. Sobieski, Bezwinger der Türken vor Wien 1683 als Schirmherr einer „Echt polnischen“ Kebap-Bude.

Es gibt natürlich auch hier Ausnahmen: ein Paar Schickimicki Orient-Bars hie und da, einige Kebap-Kultbuden in Warschau, allgemein bekannte „Geheimtipps” in einigen Großstädten, wo man sich an die Originalrezepte hält. Der Rest steht vor dem Dilemma: sich polonisieren oder pleitegehen.

Bleibt noch die Frage, inwieweit das Essen in Polen dazu dient sich satt zu essen und inwiefern es ein Wert an sich ist, wie beispielsweise im europäischen Mittelmeerraum?

Ersteres trifft eher zu. Die polnische Küche kann man getrost genießen ohne in Völlerei zu verfallen. Und wenn man dazu noch in Maßen die guten polnischen Wodkas trinkt, ist das ein kulinarisches Gedicht.

Wir sind Erben einer Kultur, die vielfach von Armut und Hunger geprägt war, obwohl natürlich inzwischen der Abstand zu diesen Zeiten größer wird.

Hinzu kam das ungünstige Klima, in dem es viele Monate lang kalt ist und die Vegetationszyklen kurz sind. Zwischen Oktober und April musste man sich davon ernähren, was lange Zeit aufbewahrt werden konnte ohne seinen Nährwert zu verlieren. Um die harten Winter zu überleben, galt es möglichst viele Kalorien aufzunehmen. Daran schlossen sich die Kriegszeit und der Kommunismus mit seiner Mangelwirtschaft an.

Deswegen wird bei uns bis heute viel und kalorienreich gegessen. Unsere Ernährungsgewohnheiten sind auf Umstände wie Kälte und Hunger programmiert, die es so nicht mehr gibt. Damit sich das ändert, muss offensichtlich noch viel mehr Zeit vergehen.

Das Gespräch erschien in der Vierteljahreszeitschrift „Nowy Obywatel” („Der Neue Staatsbürger”), Winterausgabe 2020/2021.

RdP

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Äffchen mögen kein Bier

Wodka aus dem Flachmann schmeckt den Polen am besten.

Lange Zeit von der sinkenden Nachfrage geplagt, haben die polnischen Wodkahersteller inzwischen wieder viel Land gutgemacht. Ihre Wunderwaffe heiβt małpka (fonetisch maupka) – das Äffchen.

So nennt der Volksmund die kleinen gläsernen Flachmänner mit 0,1 L Füllvolumen. Wie in Russland, so heiβt diese Menge Wodka auch in Polen seit eh und je „sto gram“ – „hundert Gramm“.

Äffchen. Eine Milliarde von ihnen pro Jahr werden in Polen getrunken.

Die bunten Fläschchen bereiten der Bierbranche und den Alkoholismus-Fachleuten gleichermaβen Sorgen. Den Brauern rauben sie wertvolle Marktanteile am lukrativen polnischen Alkoholmarkt. Mediziner und Soziologen schlagen Alarm, weil sie zu wissen glauben, dass die Kurzen der Trunksucht Vorschub leisten.

Der Wodka hat‘s nicht leicht

Die Bier- und Wodkahersteller bekriegen sich in Polen seit Jahren aufs Schärfste. Gutachten, Umfragen, Untersuchungen und PR-Kampagnen sind ihre Kampfmittel.

Anfang 2019 nachdem die Regierung bekannt gegeben hatte, sie werde ab dem 1. Januar 2020 die Alkoholsteuer für alle Alkoholika um drei Prozent erhöhen loderte der Krieg erneut auf. Dies sei die  erste derartige Maβnahme seit sechs Jahren und eine „sehr zurückhaltende“ Anpassung an den allgemeinen Preisanstieg, so die Behörden. Das vorherige Mal hatte die Tusk-Regierung 2013 die Alkoholsteuer gleich um fünfzehn Prozent angehoben, und zwar auschließlich für Spirituosen.

Deren Hersteller klagen vor allem über zu geringe Gewinne und sehen diese durch die geplante Erhöhung noch stärker gefährdet. Ein halber Liter einfachen vierzigprozentigen Wodkas kostet heute im Laden um die 20 Zloty (knapp fünf Euro). Davon entfallen 11,41 Zloty auf die Alkoholsteuer und 3,74 Zloty auf die Mehrwertsteuer. Für Handel und Hersteller bleiben 4,85 Zloty übrig.

Der Steueranteil ist hoch. In Deutschland kassiert der Staat an Alkoholsteuer zum Vergleich umgerechnet 10,89 Zloty, in der Slowakei 9,03, in Tschechien 8,68 und in der Ukraine gar nur 3,81 Zloty.

Im Preis einer 0,5-Liter-Flasche Bier für drei Zloty (gut 70 Cent) sind 0,49 Zloty Alkoholsteuer und 0,56 Zloty Mehrwertsteuer. enthalten. Bleiben 1,95 Zloty für Herstellung und Vertrieb.

Am wenigsten verdient der polnische Staat am Wein. Kostet eine 0,7-Liter-Flasche 15 Zloty, dann kassiert er 1,05 Zloty an Alkohol- und 2,80 Zloty an Mehrwertsteuer. Übrig bleiben 11,15 Zloty.

Der Aufzählung kurzer Sinn: Die Alkoholsteuer für Wodka beträgt in Polen 57 Prozent, für Bier 16 und für Wein nur 7 Prozent.

Äffchen. Zeitgenössische Künstlervision.

Der Interessenverband der Wodkahersteller, er heiβt Polska Wódka, sieht darin eine schreiende Ungerechtigkeit. „Längst hat sich in Polen eine Wende hin zum Bier vollzogen. Heute entfallen nur noch 35 Prozent des polnischen Alkoholkonsums auf Wodka, aber wir zahlen 65 Prozent des gesamten polnischen Alkoholsteueraufkommens. So kann es nicht weitergehen.“

Tatsächlich gaben die Polen 2018 für Bier 16,7 Milliarden Zloty (knapp 4 Milliarden Euro) und für Spirituosen 11 Milliarden Zloty (ca. 2,6 Milliarden Euro) aus.

Noch 1995 trank ein Pole, egal ob Säugling oder Greis, statistisch gesehen 39 Liter Bier im Jahr. 2018 waren es 100 Liter, Tendenz steigend. Hinzu kamen 5 Liter Wodka und 7 Liter Wein. Die Deutschen tranken 2018 im Schnitt 102 Liter Bier, Tendenz sinkend. Österreicher 105 Liter. Die Tschechen, Weltrekordhalter im Biertrinken, 138 Liter.

Bier macht dick, Wodka ist nicht schick

Die groβen ausländischen Konzerne, allen voran der japanische Asahi Beer (Kompania Piwowarska), Heineken (Grupa Żywiec) und Carlsberg (Carlsberg Polska), überschwemmen das Land mit ihren Erzeugnissen. Ständig kommt etwas Neues auf den Markt: Dunkelbier, Eisbier, Honigbier, Biermixgetränke, niedrigalkoholische und alkoholfreie Biere. So wird das einstige Männergetränk Bier mit Erfolg auch Frauen schmackhaft gemacht.

Die Marktführer geben jährlich 500 Millionen Zloty (ca. 120 Millionen Euro) für Werbung aus. Hauptsächlich geworben wird im Fernsehen. Dort ist das Bier vor allem Durstlöscher, Feierabendbegleiter, es besiegelt und festigt Freundschaften, hebt die Stimmung am Lagerfeuer daheim und in der fernen Südsee, auf Yachten, die ausnahmslos schöne, smarte, ausgelassen urlaubende Yuppies beherbergen. Bierbäuche sind nicht zu sehen.

Auf diese Weise verwandelt sich ein Alkoholgetränk in der Wahrnehmung in erfrischende Brause, obwohl ein halber Liter Bier um die 18 Gramm reinen Ethylalkohol enthält.

Werbung für Spirituosen hingegen ist in Polen nicht erlaubt. Das zu ändern dürfte den Wodkaherstellern in der heutigen Zeit kaum mehr gelingen. Genauso wenige Chancen auf Erfolg hat ihre Forderung, die Alkoholsteuer für Wodka, Bier und Wein zu vereinheitlichen.

„So etwas gibt es nirgendwo auf der Welt“, kontern die Bierbrauer. Gewiss, Alkohol ist Alkohol, ob im Wodka oder im Bier, das räumen sie freimütig ein. Doch das Bierbrauen ist eine Kunst, während die Gewinnung von Spiritus zur Wodkaherstellung nur ein simpler chemischer Vorgang ist. Zudem kann es keinen alkoholfreien Wodka geben. Der Alkoholgehalt ist seine alleinige Daseinsberechtigung. Bier kann im gegensatz dazu sehr gut ohne Alkohol auskommen.

Bier ist die Einstiegsdroge für Alkoholiker. Nein, Bier bewahrt die Jugendlichen vor viel Schlimmerem: dem Wodkatrinken. Bier macht dick, Wodka ist provinziell, usw., usf.

Man könnte über diesen nicht enden wollenden Pingpong nur lachen, wäre da nicht die Tatsache, dass Polen immer noch der gröβte EU-Wodkamarkt ist und beim Bierverbrauch an vierter Stelle in der EU rangiert. Im Jahr 2018 wurden mit Bier und Wodka insgesamt 28 Milliarden Zloty (also knapp 7 Milliarden Euro) umgesetzt. Schon Bruchteile von nur einem Prozent an diesem Markt sind sehr viel Geld wert.

Eine Milliarde Äffchen im Jahr

In diesem harten Konkurrenzkampf holten die polnischen Bierbrauer vor Kurzem zu einem weiteren Schlag aus. Sie gaben eine Untersuchung in Auftrag, die den Wodka-Kleinflaschenverkauf erforschen sollte.

Die Ergebnisse, die die Wodkabranche nicht in Frage stellt, machen Eindruck. Tag für Tag gehen in Polen drei Millionen Klein-Flachmänner über den Ladentisch, davon eine Million bereits bis zwölf Uhr mittags. Jährlich eine Milliarde Stück.

Mittlerweile liegen die Kurzen mit 0,1 L Inhalt mit gut 40 Prozent an erster Stelle aller in Polen verkauften Wodkaflaschen. Es folgen die 0,25 L-Fläschchen mit 30 Prozent, der halbe Liter kommt auf einen Marktanteil von  26 Prozent. Die restlichen  4 Prozent machen die 0,7 L und die Literflaschen aus.

Die Forscher haben knapp zweihundert Verkäufer befragt und mehr als zehntausend Kassenquittungen eingesehen. Ergebnis: drei viertel der Kunden kauften nur das Äffchen, beziehungsweise sie nehmen noch ein Getränk zum „Nachspülen“ und/oder eine Kleinigkeit (Schokoriegel, verpacktes Würstchen u. ä.) als Zubiss dazu.

Äffchen. Leicht zu verstauen, fix getrunken.

Der Flachmann ist schnell beschafft: im Laden oder an der Tankstelle. Er lässt sich unauffällig verstauen: im Handschuhfach, in der Mantel-, Hand- oder Aktentasche. Er ist fix geleert: beim Gassi-Gehen mit dem Hund, auf dem Nachhauseweg von der Arbeit, in der Mittagspause, auf der Parkbank, in der Bürotoilette. Die leere Flasche landet diskret im städtischen Müllbehälter oder irgendwo im Grünen.

Wer seinen Alkoholspiegel schnell erhöhen muss ohne gleich aufzufallen, ist mit 5,50 bis 6,50 Zloty (etwa 1,30 bis 1,60 Euro) dabei. Der Inhalt der „Kurzen“ wird in Polen nur geringfügig teurer angeboten als in der normalen Flasche. In Deutschland sind Preisunterschiede von rund einhundert Prozent bei Flachmännern im Vergleich mit den handelsüblichen Flaschen die Regel, nicht selten ist das sogar die untere Grenze.

Wodka muss in Polen mindestens 37,5 Prozent Alkohol aufweisen. Meistens hat er 40 Prozent. Anders verhält es sich mit Äffchen-Eigenkreationen der Brennereien, die in gröβere Flaschen gar nicht erst abgefüllt werden.

Diese Flachmänner haben etwas weniger Prozente, werden dementsprechend geringer besteuert und als „Spirituosengetränke“ geführt, was den meisten Käufern erst gar nicht auffällt. Kirsche und Zitrone, dicht gefolgt vom Quitten- und Himbeergeschmack sind die Renner. Aromastoffe und der hohe Zuckeranteil kaschieren die schlechtere Spiritusqualität. Der Gewinn steigt, neue Kunden, vor allem Frauen, werden angelockt.

Äffchenleichen.

Es gab 2017 und 2018 ernsthafte Erwägungen, die Äffchen zu verbieten. In Supermarktregalen sind die Fläschchen mit Alkohol eine zu groβe Versuchung für Ladendiebe. Deswegen werden sie fast nur über den Ladentisch verkauft.

Damit käme ein Verbot dem Todesurteil für Tausende von Kleinstläden gleich. Bier und die Flachmänner machen einen Groβteil ihres Umsatzes aus. Die nationalkonservative Regierung, die sich das Wohl polnischer Kleinunternehmen an ihre Fahnen heftete, konnte sich das nicht leisten.

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Was tragen die Polen

Praktisch vor modisch.

Das Erscheinungsbild des Publikums auf den Straβen polnischer Groβstädte unterscheidet sich kaum mehr von dem in Westeuropa. Die Mode ist gleich, aber einige Unterschiede gibt es immer noch.

Das unförmige, graue, in den Kaufhäusern des Ostblocks erhältliche Outfit jedenfalls ist längst Vergangenheit, an die manchmal noch die Kleidung älterer Menschen in der Provinz erinnert.

Löcher stopfen, Löcher machen

Modische Polinnen in Warschau Anfang der Sechziger….

Die Polinnen haben übrigens während der Zeit des Kommunismus trotz aller Widrigkeiten ihr Modebewusstsein sehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Es wurde genäht, gestrickt, gehäkelt, umgeändert und gefärbt was das Zeug hielt. Gab es keine Schnittmuster, mussten Fotos aus westlichen Illustrierten und Modejournalen reichen, die ihren Weg hinter den eisernen Vorhang gefunden hatten. Es gab im kommunistischen Polen häufig Anlass sich nach schicken Mädchen umzudrehen. Besucher aus dem Westen waren ebenfalls sehr angetan.

…und in den Siebzigern.

Heute wissen junge Polen, teilweise auch schon ihre Eltern, gar nicht mehr, wie das Land ohne H&M oder Zara existieren konnte.

Längst verschwunden sind aus dem Straβenbild die kleinen Anlaufpunkte, in denen Laufmaschen in Damenstrümpfen- und Strumpfhosen repariert wurden. Maschenware war teuer und, wie fast alles im Kommunismus, schwer zu bekommen.

Laufmaschenstoppen. Irgendwo in Polen in den sechziger Jahren.

Noch vor fünfzig, sechzig Jahren war der Kauf eines Wintermantels für viele Familien eine wahre finanzielle Herausforderung. Der alte wurde also zu Hause oder in der Änderungsschneiderei aufgetrennt, hie und da aufgearbeitet, umgedreht, zusammengenäht und die jüngeren Kinder trugen ihn noch jahrelang. Die heutigen Winterjacken gibt es günstig im Angebot und umdrehen lassen sie sich auch nicht.

Groβmütter oder Mütter stopften abends Socken. Das ist jetzt nicht mehr so, und nicht nur weil sich die heutigen Socken nur schwer stopfen lassen. Heute machen sich auch polnische Jugendliche Gedanken darüber, wie sie Löcher in Markenjeans hinkriegen, weil zerrissene Jeans im Laden mehr kosten als solche die ganz sind.

Groβer Markt kleiner Geldsäckel

Der uniformlastige Kommunismus ging unter, der Kapitalismus kam und mit ihm die neue Vereinheitlichung des Outfits. Weltumspannende Bekleidungsketten ziehen die Polen genauso an, wie gleichaltrige Tschechen, Ungarn, Belgier, Deutsche. Knapp siebzig Prozent der Polen geben an dort Stammkunden zu sein.

Reserved-Filiale in Gdańsk.

Ein groβes Netz von Geschäften unterhalten auch Reserved, Cropp, House, Sinsay, Mohito. Hinter diesen ausgesprochen westlich klingenden Namen verbirgt sich das polnische Groβunternehmen LPP mit Sitz in Gdańsk. Es unterhält knapp zweitausend Filialen in Europa und Nahost, davon dreiβig in Deutschland unter dem Label Reserved. Der Umsatz beträgt inzwischen knapp 1,5 Milliarden Euro.

Jeder dritte Pole räumt ein, wenigstens einmal im Monat etwas zum Anziehen zu kaufen. Jeder elfte tut das seltener als einmal im Jahr. Für Kleidung geben die Polen im Durchschnitt umgerechnet 310 Euro pro Jahr aus, genauso viel wie Tschechen und Slowaken, und etwas mehr als die Ungarn, Serben und Bulgaren. Der EU-Durchschnitt liegt bei 800 Euro.

Dabei sind die Preise bei H&M, Zara oder P&C in Polen dieselben wie in Deutschland oder Skandinavien, manchmal sogar etwas höher. Deutsche oder Schweden geben jedoch, dank ihres deutlich höheren Einkommens, viermal so viel (etwa 1.200 Euro jährlich) für Bekleidung und Schuhe aus wie die Polen.

Knapp 50 Prozent der Polen sagen, dass sie weniger als zehn Prozent ihres Monatseinkommens für eigene Bekleidung ausgeben. Gut 30 Prozent beziffern ihre Ausgaben auf bis zu 25 Prozent des Monatseinkommens. Bei nur 6 Prozent erreicht dieser Anteil 40 Prozent des monatlichen Verdienstes.

Muss der Einzelne beim Shoppen zumeist kleine Brötchen backen, so ist der polnische Bekleidungsmarkt als Ganzes mit seinen etwa achtunddreiβig Millionen Verbrauchern durchaus verlockend. Immerhin wurden 2018 im Land, mit Bekleidung einschlieβlich Schuhen, umgerechnet gut acht Milliarden Euro umgesetzt. Das plaziert Polen an achter Stelle in Europa. Viele, nicht nur die Bekleidungsketten, wollen an diesem Kuchen teilhaben.

Basare, lumpeksy, Louis Vuitton

Jeder fünfte Pole versorgt sich mit Textilien überwiegend auf Märkten, die in Polen „bazar“ heiβen und wie in Nahost und Asien aus dem Straβenbild nicht wegzudenken sind. Zwischen Obst-, Gemüse-, Fleisch,- und Ramschständen gibt es Billiges zum Anziehen aus der Türkei, der Ukraine und aus Asien zu kaufen, fast ausnahmslos bei Vietnamesen.

Basar-Anprobe.

Vor allem die Provinz kleidet sich auf den Basaren ein. Zu Tausenden wiegen sich dort an der frischen Luft Nachahmungen von Modellen aus den groβstädtischen Bekleidungsketten: billige Stoffe, oft lieblos zugeschnitten und nicht gerade sorgfältig verarbeitet, aber preiswert.

Nicht jede Polin ist für Leggins geschaffen.

Bergeweise werden dort auch Leggins verkauft. Es ist die Lieblingskluft des femininen Teils der unteren sozialen Schichten. Und dieser scheint sich zumeist nicht im Geringsten darum zu scheren, wie er von hinten betrachtet aussieht.

Stark im Bekleidungsgeschäft vertreten ist die Second-Hand-Branche. Polens Städte sind sehr gut bestückt mit Läden, in denen im trostlosen Neonlicht zumeist kiloweise gebrauchte Kleidung angeboten wird. Im Volksmund heiβen sie „lumpeks“ (Mehrzahl „lumpeksy“). Leute mit wenig Geld geben sich dort die Klinke mit durchaus gut situierten Schnäppchenjägern in die Hand.

Lumpeks-Kundschaft vor…

…und im Laden.

Die „lumpeksy“ buhlen um Kundschaft, indem sie sich spezialisieren: auf „heiβe Klamotten direkt aus Amerika“, „gute deutsche Ware“ oder „echten französischen Chic“. Alles angeliefert in Groβcontainern von irgendwoher auf Welt.

Andererseits ist man, so ist es zu hören, bei Louis Vuitton in Warschau ebenfalls mit den Umsätzen sehr zufrieden. Ab und zu sollen in dem Verkaufssalon sogar Warteschlangen an der Kasse gesichtet worden sein. Rabattaktionen gibt es bei Louis Vuitton nie, denn offensichtlich gibt es genug Kunden, die bereit sind umgerechnet gut 400 Euro für Plastik-Flip-Flops zu bezahlen. Auch die berühmten Handtaschen verkaufen sich gut.

Fünf Hosen im Schrank

Zugleich brummt das Internet-Geschäft. Allein bei Allegro gehen 2019 in ganz Polen pro Stunde 170 Blusen, 183 Röcke und 39 Sweatshirts über den virtuellen Ladentisch. Ganze 75 Prozent der Käufer räumten ein, innerhalb der letzten sechs Monate vor der Befragung Kleidung im Internet gekauft zu haben. Mehr als die Hälfte von ihnen hat noch niemals auf diesem Wege gekaufte Textilien oder Schuhe zurückgeschickt.

In 63 Prozent der polnischen Kleiderschränke, man staunt, hängen nur bis zu fünf Paar Hosen sowie bis zu fünf Jacken oder Mäntel, stehen maximal fünf Paar Schuhe. Gerademal 14 Prozent der Befragten gaben an, bis zu zwanzig Stück der erwähnten Kleidung beziehungsweise Paar Schuhe zu besitzen.

Die Kleidung soll vor allem bequem, preiswert und geschmackvoll sein. Praktisch geht vor modisch. Nur 21 Prozent kaufen das was aktuell Mode ist. Etwa 18 Prozent erwerben ausschlieβlich beste Qualität, fast genauso viele geben an, mit den gekauften Sachen die Unvollkommenheiten ihrer Figur kaschieren zu wollen. Ausgefallenes mag und kauft jeder zwölfte Pole. Jedem/jeder Fünfzigsten ist es vor allem wichtig mit seinem/ihrem Outfit das andere Geschlecht zu beeindrucken.

Etwa ein Fünftel der Polen sagen von sich, sie seinen modebewusst. Noch vor gut zehn Jahren waren es einige wenige Internetportale und bunte Zeitschriften, in denen sie sich über neue Trends informieren konnten. Inzwischen ist deren Zahl fast schon unüberschaubar geworden, und auch die Trends ändern sich wie in einem Kaleidoskop.

Promis machen Mode

Die meisten Fashion-Fans machen es sich inzwischen leichter, indem sie die Prominenz der Regenbogenmedien nachahmen. Auch polnische Modeportale sind dazu übergegangen vor allem darüber zu berichten, was Promis bei Modeschauen anhatten. Was sich der Modeschöpfer ausgedacht und gezeigt hat, wird nur am Rande oder gar nicht erwähnt.

Promis machen Mode.

Auch die Farbvorlieben sind inzwischen gut erforscht. Die meisten Polen mögen’s nicht so schrill. Bevorzugt werden Sachen in Schwarz, Dunkelblau, Anthrazit, Indigoblau, Violett, Karminrot. Bei Frauen kommt noch Braun in verschiedenen Schattierungen hinzu. Man traut sich eben nicht aufzufallen, so sehen es jedenfalls die polnischen Modefachleute.

Plakat des polnischen Auftritts auf der Berliner Fashion Week 2019.

Natürlich gibt es auch in Polen eine kreative Modeszene, die sich im Januar 2019 auf der Berliner Fashion Week wieder einmal von ihrer besten Seite gezeigt hat. „Wear polish“ hieβ der polnische Auftritt auf der BFW. Im polnischen Pavillon präsentierten führende polnische Marken ihre nachhaltigen und unter ökologischen Gesichtspunkten kreierten Produkte. Orska, Pat Guzik, Nago, Surplus, Szymańska, Wearso.organic sind junge, vielversprechende Designer, die herausragendes Schneiderhandwerk mit Kreativität verbinden und sich zumeist an zeitlosen, minimalistischen Trends orientieren.

Der Einfluss solcher Mode-Künstler auf die allgemeinen Kleidungsgepflogenheiten ist in Polen jedoch genauso gering wie überall sonst auf der Welt. Zudem gibt es, wie überall so auch in Polen, auf dem Bekleidungsmarkt, wie bereits beschrieben, Erscheinungen, die einen auch nur halbwegs der Anmut verpflichteten Menschen die Flucht ergreifen lassen, sobald er ihrer ansichtig wird.

Um wegzurennen braucht man Schuhe und die, so Marktanalysen und Umfragen, sind für jeden vierten Polen ausschlaggebend für sein Aussehen. Sportschuhe befinden sich dabei eindeutig auf dem Vormarsch. Längst werden Nikes, Adidas, Pumas und Convers auch zum Anzug und zum Kleid getragen. Dass sie bei Jugendlichen zu Kultobjekten werden, ist ein ganz anderes Paar Schuhe.

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Vier Frauen, ein Kühlschrank

Feminismus in Polen.

Vier Damen hatten beschlossen einen Kühlschrank in die vierte Etage zu tragen. Es bleibt natürlich jeder Frau unbenommen Kühlschränke zu schleppen, so oft und so hoch hinauf wie sie will, doch gerade diese konkrete Plackerei, stattgefunden vor nicht allzu langer Zeit, ist es wert sich nicht unbemerkt in der Finsternis der verflossenen Zeit aufzulösen.

Es handelte sich dabei nämlich um kein normales Schleppen. Dieses Schleppen verkündete eine Botschaft. Es war ein feministisches Schleppen und offenbarte beiläufig die ganze Kuriosität dieser Ideologie.

Die Damen stellten sich dieser Herausforderung, weil ein Sejm-Abgeordneter im Rundfunk gesagt hatte „der Feminismus endet dort, wo es einen Kühlschrank in die vierte Etage ohne Fahrstuhl zu bringen gilt“.

Dem ist nicht immer so. Manchmal beginnt der Feminismus genau dort, wo der Abgeordnete sein Ende sah. Das passiert dann, wenn Frauen einem Mannsbild etwas beweisen oder sich an ihm rächen wollen, und sich dadurch selbst schaden.

Die Sinnlosigkeit des ganzen Unterfangens ist mehr als offensichtlich. Für das Herauftragen eines Kühlschranks in die vierte Etage zahlt man etwa vierzig Zloty (knapp zehn Euro – Anm. RdP). Üblicherweise machen das zwei Männer, die Tragegurte und eine Transportkarre mitbringen. Sie benötigen dafür etwa eine halbe Stunde. Die vier Damen brauchten dafür viel mehr Zeit und haben sich dabei auch noch, wie es heiβt, etliche blaue Flecke und Schürfwunden zugezogen.

Wozu das alles? Die Feministinnen sagen, dass sie es nicht hinnehmen können und wollen wenn Frauen wegen ihres Geschlechts herabgesetzt werden. Die Behauptung des Abgeordneten, sagen sie, erfülle diesen Tatbestand, woraus man schlieβen kann, sie seien der Meinung, Frauen sind körperlich genauso gebaut wie Männer.

Jetzt muss nur noch ein feministisches Gremium vor Empörung erbeben, da Frauen für das Treppenhinauftragen von Kühlschränken halb so viel Lohn erhalten wie Männer. Schlussendlich müssen sie ja die vierzig Zloty durch vier teilen.

Ich weiβ, es klingt absurd, aber viele andere feministische Einfälle sind es auch, nur wir merken es nicht mehr. Der Feminismus ist inzwischen überall, und man bekommt es sogar beim Kühlschranköffnen mit der Angst zu tun, er könnte uns auch dort begegnen.

Gewiss, wir Frauen haben viele Probleme. Doch der Feminismus hilft uns nicht mit diesen Problemen fertig zu werden. Viel eher vergröβert er sie und schafft neue, indem er so tut als seien wir Männer und uns zu all dem auch noch  Kühlschränke schleppen lässt.

Die Glosse von Joanna Operacz (Foto) erschien im Wochenmagazin „Niedziela“ („Der Sonntag“) vom 8. Oktober 2017.

RdP




Wie trinken die Polen

Alte Regeln und neueste Wodka-Erkenntnisse aus dem Land des weissen Adlers.

In Olszowo (Name geändert) haben sie nichts gehört von den neuesten Untersuchungsergebnissen des Polnischen Verbandes der Spirituosenindustrie vom Juni 2017 über das Trinkverhalten der Polen, die kürzlich hier und da in den Medien zitiert wurden. Hier wird nicht geforscht sondern eifrig praktiziert, und deswegen gibt es in Olszowo kein Erbarmen für den Gast und kein Entkommen.

Auf gutes Gelingen, auf die Heimat, auf dass das Wetter uns nie im Stich lässt, auf, auf, auf . . . Unzählige Trinksprüche, der Kopf wird schwerer und schwerer, immer heftiger werden die Umarmungen, die Freundschaftsausbrüche über den Tisch hinweg.

Irgendwann, sichtlich bewegt und Ruhe erbittend, erhebt sich der Kommandant und spricht allen Anwesenden aus dem Herzen: „Trinken wir auf uns, auf die freiwillige Feuerwehr von Olszowo, die seit Generationen Brände und Durst gleichermaßen gut zu löschen versteht.“ Ringsum feuchte Augen, also hoch mit dem erlahmten Arm und das randvolle Glas, mit weiteren fünfzig Gramm Wodka, „auf ex“ heruntergekippt.

Sofort, wie von Geisterhand, wird nachgefüllt. Alles sprudelt: der Alkohol, die Reden, die Großzügigkeit. Anrührende, ländliche Gastfreundschaft als Heimsuchung, keine Chance, den Fünfziggrammkelch des Leidens bis zur bitteren Neige nicht zu leeren. Noch ist der grausame Morgen danach weit.

Wódka Star fot.
Vom Durstlöschen bezahlt. Löschfahrzeug der einheimischen Marke Star, Baujahr 1999.

Anders als der Wodka macht Olszowo nicht gerade schwindlig. Vielleicht achthundert Seelen, ein Laden, die große Kapelle, eine kleine Schule und die „remiza“, das Spritzenhaus: hochtrabende Bezeichnung für einen Geräteschuppen nebst bescheidener Feuerwehrgarage für ein Löschfahrzeug der einheimischen Marke Star, Baujahr 1999.

Wand an Wand zu der Garage das schlichte Klubhaus aus weißem Klinker, Eigentum der freiwilligen Feuerwehr von Olszowo und der Stolz ihres Kommandanten. Versammlungsort und Dorfdisko, Schauplatz von zahllosen Hochzeitsfeiern, Leichenschmäusen, Festen, Gelagen, Raufereien.

Man trinkt hier gegen die Melancholie, gegen die Misslichkeiten des Alltags und auf die Freude. Zelebriert wird da nicht viel, doch gibt es einen Verhaltenskodex. Dessen Kenntnis macht das Trinken für Außenstehende zwar nicht leichter, aber auf jeden Fall nachvollziehbarer.

Regel eins lautet:

Wer allein zur Flasche greift, ist ein Säufer. Also: Trinke nur in Gesellschaft.

Nun wird es höchste Zeit, den Toast auszubringen auf die nie verblassende Schönheit der anwesenden Weiblichkeit, die genauso wacker zum Wodka greift. Der ist ja im Polnischen auch weiblichen Geschlechts.

Und man merke sich bei der Gelegenheit die

Regel zwei:

Es gibt auf der Welt keine hässlichen Frauen, es gibt nur zu wenig Wodka.

Gelöst die Stimmung, immer leidenschaftlicher die Lieder. Viel zu trinken ist bei solchen Festen oberste Bürgerpflicht. Denn wie hier in Olszowo sind Saalmieten und Erlöse vom Alkoholverkauf oft die wichtigsten Finanzierungsquellen für Polens freiwillige Feuerwehren. Benzingeld, neue Schläuche, kleine Aufwandsentschädigungen für die Feuerwehrleute, dunkelblaue Ausgehuniformen und eine schmucke Fahne, die bei der Fronleichnamsprozession nie fehlen darf. . .

Es muss schon einiges hinter die Binde gekippt werden, um das alles zu bezahlen.

Sehr, sehr viele Kilometer trennen Olszowo und Warschau. Die Hauptstadt liegt mitten in der Moderne, das Dorf dagegen noch hinter solch traurigen Provinznestern wie Łomża und Ostrołęka, eigentlich schon hinterm Mond.

Wódka Pawlak 1
Waldemar „Waldek“ Pawlak. Chef aller freiwilligen Feuerwehrmänner. Mit der „Feuerwehrklausel“ im Alkoholgesetz in die Geschichte eingegangen.

Große Politik, bestehend aus politischen Krächen, vertrackten Korruptionsskandalen, Nato-Ostflanke-Verstärkungsdebatten finden in einer Welt statt, die um Lichtjahre von Olszowo entfernt liegt. Verstanden wird hier nur, was einen unmittelbar betrifft. Zum Beispiel wenn sich, wie einst geschehen, Warschauer Politiker erdreisten, freiwilligen Feuerwehren das Gewohnheitsrecht zu entziehen, nach Belieben Alkohol bei ihren Festen auszuschenken.

Also erheben wir jetzt die Gläser auf „unseren Waldek“. Nur dank Waldeks rechtzeitigem Eingreifen können wir heute so schön beisammensitzen.

Waldemar Pawlak, ehemaliger Ministerpräsident (1993 – 1995), bis vor ein paar Jahren Vorsitzender der Bauernpartei und seit 1992 bis heute oberster Chef aller freiwilligen Feuerwehrmänner zwischen Oder und Bug, hat als erster Alarm im Parlament geschlagen. Das war inzwischen vor knapp einem Vierteljahrhundert, aber Heldentaten leben ewig, gemeiβelt in den Marmor der Legende. Auf sein Betreiben hin wurde das verschärfte Antialkoholgesetz mit einer „Feuerwehrklausel“ versehen. „Zum Wohl also!“

Die Russen mögen Wodka, der so richtig im Hals kratzt. Die Polen lieben es milder.

Regel drei

jedoch gilt in beiden klassischen Wodka-Ländern: Trinke nie ohne Zubiss, polnisch: zakąska (phonetisch: sakonska), russisch: sakuska. Dass in Warschau, wie im Westen, bereits „einfach so“ getrunken werden soll, erregt in Olszowo ungläubiges Kopfschütteln und echtes Mitgefühl. Hering und Aal schwimmen im polnischen Wodka besonders gern.

Wódka PRL 1 fot.
Kommunistische Tristesse der 70er Jahre. Man trank gegen die Melancholie, die Misslichkeiten des Alltags. „Wodkaleichen“ an der Haltestelle.

Der Korrektheit wegen darf man noch einen weiteren Unterschied nicht unerwähnt lassen. Die Russen trinken Wodka, auf Polnisch aber schreibt sich das Wort: “wódka“, und ausgesprochen wird es “wutka“. Wahre Kenner und Feinschmecker unter den Wodkafreunden wissen natürlich, dass nicht nur der Querstrich über dem „o“ den Unterschied zwischen Wodka Moskowskaja und Wódka Wyborowa ausmacht.

Wódka w PRL 2
„Ein kultivierter Mensch betrinkt sich nicht“. Antialkoholpropaganda im kommunistischen Polen.

Früher, als die Kommunisten, angeführt von General Jaruzelski, den Alkoholgenuss streng reglementierten, als Kneipen und Monopolläden erst von dreizehn Uhr an Hochprozentiges verkaufen durften, auf dass das Proletariat wenigstens am Vormittag nüchtern sei, da blühten die „melinas“, Schlupfwinkel.

Zumeist pensionierte Prostituierte vom Straβenstrich verwandelten ihre grausamen „Liebesnester“ in Alkohollager, zu denen sich durstige Eingeweihte durch bestimmte Klopfzeichen zu jeder Tages- und Nachtzeit Zutritt verschaffen konnten. Bei der „melina“-„Spekulantin“ kostete die Flasche das Vier- bis Fünffache des Ladenpreises.

Im Jahre 1983 konnte man für ein polnisches Durchschnittsgehalt gerade mal 22 Halbliterflaschen Wodka kaufen, 1997 waren es etwa 65, heute sind es 175. Jetzt bedarf es keiner guten Beziehungen zum Oberkellner mehr, um vor dreizehn Uhr Mineralwasser „mit Strom“ zu ergattern. Auch die „melinas“ sind mit dem Kommunismus in der Versenkung verschwunden.

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Wódka 1 fot.
Viele Polen wenig Flaschen, viele Flaschen wenig Polen oder der Triumph der Marktwirtschaft.

Dutzende neuer Wodka-Marken füllen die Regale, verkauft wird in den Geschäften rund um die Uhr, aber gekauft wird weniger. Dreiβig Halbliterflaschen im Jahr trinkt ein erwachsener Pole weg. Bier und Wein sind im Kommen. Von den gut zwölf Litern reinen Alkohols, die durchschnittlich im Jahr jeder mündige Einwohner des Landes verzehrt, entfallen 54 Prozent auf Bier, 39 Prozent auf Wodka und 7 Prozent auf Wein.

Das Trinken am Arbeitsplatz, einst eine Plage, hat ohne jegliche Appelle und Propaganda-Kampagnen erheblich abgenommen, weil Arbeit kostbar geworden ist. Dennoch: Es sind knapp eine Million Menschen, die in Polen als alkoholabhängig gelten.

Mehr als fünftausend Polen machen sich jeden Tag auf den Weg, um landesweit in Wodkafabriken und Brauereien für den Nachschub zu sorgen. Gut 750.000 Tonnen Getreide aber auch 50.000 Tonnen Kartoffeln sind dafür im Jahr notwendig, denn gerade aus den Erdäpfeln versteht man in Polen hervorragenden Wodka zu zaubern. Weitere 89.000 Leute verdienen ihr Geld als Zulieferer der Alkoholindustrie, besorgen den Transport und Verkauf der hochprozentigen Ware.

Wódka Himmilsbach bimber fot.
Nichts geht über einen guten „bimber‘, den Selbsgebrannten, aber nur wenn man seine Herkunft kennt. Filmszene aus dem polnischen Kinostreifen (1984) „Smażalnia story“ („Grillstuben-Story“) mit Iwona Kubisz und Jan Himmilsbach.

Der allerbilligste halbe Liter Wodka kostet beim Discounter um die 15 Zloty (knapp 4 Euro). Doch egal wie hoch der Preis ist, der Staat kassiert immer mit, und zwar knapp 60 Prozent des Preises. Auf diese Weise gelangten im Jahr 2016 gut 12,5 Milliarden Zloty (ca. 3 Milliarden Euro) in die polnische Staatskasse. Zum Vergleich: die jährliche EU-Förderung beträgt im Durchschnitt 9 Milliarden Euro.

Den Kommunismus vorzüglich überlebt hat „bimber“, auch, wie in Russland, „samogon“ genannt: Zucker. Karamell, Hefe, Tomatenmark, sogar alkoholhaltiger Tischlerleim verschwinden vor allem in ärmeren Gegenden aus den Regalen, sobald jemand herausfindet, dass sie sich billig zu Trinkbarem verarbeiten lassen. Der Selbstgebrannte hat schon manches Opfer gefordert, also sollte man die

Regel vier

unbedingt beherzigen: Von Flaschen ohne Steuerbanderole lieber die Finger lassen.

Die Nacht wird lang, der Schlaf kommt und so mancher Feuerwehrfest-Teilnehmer fällt mit dem Gesicht direkt ins Schweinskotelett. Die Tische haben sich längst in Schlachtfelder verwandelt. Kreuz und quer über die Reste von diversen Mayonnaisesalaten, Karpfenplatten in Gelee und Mohnkuchen-Rückständen hinweg finden Verbrüderungen statt. Doch nirgendwo ist eine einzige leere Wodka-Flasche zu sehen, denn

Regel fünf besagt:

Leere Flaschen auf dem Tisch bringen Unglück.

Wódka kieliszki fot.
Aus solchen Gläsern schmeckt der polnische Wodka natürlich noch besser.

 

Der nächste Tag ist natürlich hin. Doch je übler der Morgen danach, so

die Regel sechs,

desto besser war die Feier. Dem Katzenjammer nach dem Aufwachen kann man am besten mit einem Hundertgrammglas „auf ex“ beikommen. „Ein Keil treibt den anderen“:

Regel sieben.

Das Titelbild entstammt der polnischen Kult-TV-Serie „Alternatywy-Strasse 4“ (1983), hier mit dem Schauspieler Witold Pyrkosz. Der Name des Ortes wurde geändert.

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Polen – Volk ohne Waffen

Lieber Schutzpatronen als Patronen.

Es war nicht der erste Vorstoβ dieser Art seit dem Ende des Kommunismus in Polen: „Lasst uns das Waffengesetz lockern. Wer möchte und dazu geeignet ist, soll Waffen legal kaufen können“. Dieses Mal war es die Kukiz-Bewegung, eine politische Protestgruppierung, die bei den letzten Parlamentswahlen 33  Mandate errang, die diese Idee wieder aufgriff, um sich mit dem Ruf nach mehr privater Aufrüstung in Szene zu setzten. Doch die Polen wollen nicht.

Kikiz broń fot. 1 Kukiz broń fot. 2

Kukiz broń fot. 3
Wollte u. a. der Waffenfabrik in Radom mehr Absatz bescheren. Paweł Kukiz beim Besuch in Polens gröβter Waffenschmiede am 11.04.2016.

Knapp 80 Prozent der Befragten in einer Erhebung, die die Zeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) Anfang Dezember 2016 in Auftrag gab, sprachen sich gegen die Liberalisierung des Schusswaffengesetzes aus. Der entsprechende Gesetzesvorschlag der Kukiz-Bewegung (der Rock-Musiker Paweł Kukiz war 2015 ihr Begründer und Namensgeber) wurde inzwischen im Parlament auf die lange Bank geschoben, mit wenig Chancen auf Verabschiedung.

Kaczyński ist kein Waffennarr

Die mit absoluter Mehrheit regierende Partei Recht und Gerechtigkeit sieht keinen Bedarf für eine Liberalisierung. Ihr Vorsitzender Jarosław Kaczyński (auf dem Titelbild von 2006 als Ministerpräsident zu Besuch in der Waffenfabrik „Łucznik“ in Radom, ein Fabrikat testend) soll selbst einen Waffenschein besitzen und wird stets von zwei Leibwächtern begleitet. Angesichts der Morddrohungen, die er bekommt, handelt es sich dabei um durchaus verständliche Maβnahmen.

Broń Tusk fot.
Ministerpräsident Donald Tusk zu Besuch in der Radom-Waffenfabrik am 05.03.2014.

Sein späterer politischer Erzfeind Donald Tusk kolportiert seit 2007, er sei 1991 mit Kaczyński in einem Fahrstuhl gefahren. Kaczyński soll während der Fahrt mit einer Pistole hantiert und gesagt haben: „Dich umzubringen wäre für mich so leicht wie einmal spucken“. Der Betroffene bestreitet den Vorfall. Zeugen gibt es nicht. Weitere Zwischenfälle, die Kaczyński als einen Waffennarren entlarven würden, sind nicht bekannt. Dafür ist seine öffentliche Ablehnung (u. a. in Gdańsk am 15.01.2017) der Lockerung des aktuell in Polen geltenden Waffenrechts eine Tatsache.

Ohne Pistole im Hosenbund

Damit dürften die Polen weiterhin, was die privaten Haushalte angeht, eine der am schwächsten bewaffneten Nationen der Welt bleiben. Nach Angaben von 2016 entfielen auf einhundert Einwohner 1,3 legale Waffen in Privatbesitz. In Deutschland waren es 30, in der Schweiz – etwa 45, in den USA – 90 Waffen pro einhundert Einwohner. Hinter den Polen liegen in der Waffenstatistik nur noch die Südkoreaner und Japaner.

Insgesamt besaßen im Jahr 2016 gut 192.000 Personen einen Waffenschein und insgesamt 390.000 Waffen befanden sich legal in Privatbesitz. 283.000 davon waren Jagdwaffen. Jedes Jahr kommen um die 5.000 neue Waffenscheine hinzu, während etwa 3.000 verfallen oder eingezogen werden. Um die 12.000 Waffen gehen in dieser Zeit legal über den Ladentisch, in Deutschland sind es zehnmal so viel.

Warum wollen sich die Polen nicht bewaffnen? Im Kommentar zu ihrer Umfrage, schrieb die „Rzeczpospolita“ (am 06.12.2016):

„Zum einen ist das Land weitgehend sicher. Die Zeiten mit hohen Kriminalitätsraten zwischen 1990 bis etwa 2005, mit Auftragsmorden, Bandenkriegen, massenhaftem Autodiebstahl, riesigem Alkohol- und Drogenschmuggel sind, Gott sei Dank, vorbei. Die Notwendigkeit mit der Pistole im Hosenbund herumzulaufen gibt es nicht.

Zum anderen, zweifeln die Leute offensichtlich ernsthaft daran, ob ein leichterer Zugang zu Waffen tatsächlich ihre Sicherheit erhöhen würde. Aktuell gibt es in Polen wenig Verbrechen mit Schusswaffengebrauch. Dagegen steht ein hoher Alkoholkonsum und eine Vielzahl damit verbundener Straftaten. Daher würden mehr Waffen in der Öffentlichkeit das Risiko von Tragödien stark erhöhen.  Ein guter Grund, weshalb die Politik in diesem Fall Volkes Stimme uneingeschränkt folgen sollte.“ Was sie, wie man sieht, ja auch tut.

Broń Kopacz fot.
Die Waffen der Frau. Ministerpräsidentin Ewa Kopacz inspiziert die Radom-Waffenfabrik am 15.12.2014.

Die Statistik: 2015 wurden in Polen 836 Straftaten mit Schusswaffen verübt, darunter auch mit Gas- und Luftdruckwaffen. Ein Jahr später, 2016, waren es nur noch 526.

Ein Erbe des Kommunismus

Die Befürworter eines leichteren Zugangs zu Schusswaffen sehen in der heutigen in Polen geltenden rigorosen Beschränkungspraxis ein Erbe des Kommunismus. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten die zu dieser Zeit zuständigen polnischen Landratsämter durchaus groβzügig Waffenscheine ausgestellt. Die Strafen für illegalen Besitz waren nicht hoch (bis zu drei Monaten Haft; heute sind es bis zu acht Jahre).

Unmittelbar nach dem Krieg, als sich vor allem zwischen 1945 und 1948 der antikommunistische Untergrund den Sowjets und den polnischen Kommunisten heftig widersetze, stand auf illegalen Waffenbesitz die Todesstrafe. Bis Mitte der fünfziger Jahre wurden etwa ein Drittel aller Todesstrafen im kommunistischen Polen wegen dieser Straftat verhängt und zumeist auch vollstreckt.

Jäger, Sammler, Nachinszenierer

Erst 2011 wurde das auch in nachkommunistischer Zeit weiterhin strenge, Recht auf Waffenbesitz gelockert. Seither muss die Polizei  einen entsprechenden Waffenschein ausstellen und zwar allen, die:

● einen gültigen Jagdschein vorweisen, ● eine Sportschützenlizenz haben, ● registrierte Sammler historischer Waffen sind, ● oder einem Reenactment-Verein angehören (Neuinszenierung historischer Ereignisse, zumeist von Schlachten, in möglichst authentischer Weise).

Broń rekonstruktorz fot.
Reenactment auf Polnisch. Am 01.08.2015 Nachinszenierung der ersten Stunden des Warschauer Aufstandes, der am 1. August 1944 ausgebrochen war. Anders als damals wurde jetzt nur mit Platzpatronen geschossen.

Im letzteren Fall gibt es eine Erlaubnis nur für platzpatronentaugliche Schuss- und Kriegswaffen. Sammler wiederum müssen ihre Waffen „dauerhaft schiessunfähig“ machen.

Eine interessante Kategorie stellen Waffen dar, die man geschenkt bekommen oder geerbt hat. Wenn z. B. der Ehemann seiner Frau zu Weihnachten seine legal gekaufte 44er Magnum schenkt, dann bleibt der Polizei nichts anderes übrig, als der Dame einen entsprechenden Waffenschein auszustellen.

Alle diese Leute müssen sich jedoch vorher einer psychologischen und psychiatrischen Überprüfung unterziehen. Wer sie nicht besteht, verwirkt das automatische Anrecht auf den Waffenschein.

Eine Erlaubnis wird ebenfalls nicht erteilt an Personen, die: ● wegen vorsätzlicher Straftaten oder wegen fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung verurteilt wurden, ● einen Urteilsspruch wegen Trunkenheit oder Drogen am Steuer erhalten haben, ● Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder minderjährig sind. Ebenso erhalten Ausländer keinen Waffenschein.

Nach dem Gesetz ist man in Polen zwar mit achtzehn Jahren volljährig, aber, so die gängige Praxis, wer nicht mindestens 21 Jahre alt ist, erhält keinen Waffenschein .

Muss es die Polizei sein?

Anders als den Jägern, Sportschützen, Sammlern usw. ergeht es allen, deren „Leben, Gesundheit oder Eigentum einer ständigen, realen und überdurchschnittlichen Bedrohung ausgesetzt ist“. Ob die Bedrohung wirklich gegeben ist, darüber befindet die Behörde, die den Waffenschein ausstellt – die Polizei.

In den Augen der Befürworter einer Lockerung des Waffenrechts dürfte das nicht sein. Warum? Weil die Polizei zugleich Waffenscheine ausstellt und Waffenbesitzer kontrolliert. Je weniger Waffenscheine, umso weniger Arbeit durch vorgeschriebene Kontrollen.

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„»Dirty Radek«. Radosław Sikorski (51 Jahre) hat eine Kanone wie der berühmte Draufgänger“. Abbildung aus der Boulevardzeitung „Super Express“ vom 06.08.2014.

Der erhebliche Ermessenspielraum, den die Polizei augenblicklich hat, treibt manchmal seltsame Blüten. Der Auβenminister in der Tusk-Regierung, Radosław Sikorski berief sich darauf, dass sich drei Kilometer entfernt von seiner Sommerresidenz eine Strafvollzugsanstalt befindet und bekam den Waffenschein. Ein überfallener Wechselstubenbesitzer bekam ihn nicht.

Zum persönlichen Schutz sind in Polen Pistolen und Revolver mit einem Kaliber von bis zu 12 Millimetern erlaubt.

Wer eine solche Waffe haben will, muss zuerst Schießen lernen. Das kann man in einer Schieβanlage.

  • Das billigste Basispaket für Einsteiger in Warschau umfasst: 1,5 Stunden, 50 Stück Munition, Betreuung durch einen Instrukteur, Vermittlung von Grundkenntnissen: Sicherheit, Bauweise und Funktionsprinzip der Waffe, richtige Körperhaltung. Preis 400 Zloty (ca.95 Euro).
  • Das teuerste Paket (Stufe 3) in Warschau beinhaltet: 4 Stunden, 200 Stück Munition, Betreuung durch einen Instrukteur, Beibringen von Fähigkeiten, wie Schieβen mit einer Hand, schnelles Wechseln von Haltung und Position, Schieβen aus dem Laufen u. e. m. Preis 1.000 Zloty (ca. 280 Euro).

Am Ende steht die Prüfung

Erst nach einem Lehrgang empfiehlt es sich den Antrag auf einen Waffenschein in der zuständigen Woiwodschafts-Kommandantur der Polizei (es gibt sechzehn davon im Land) zu stellen.

Erforderliche Dokumente: ● ein allgemeinärztliches und ein psychiatrisches Tauglichkeitsgutachten. ● Nachweise (wie Jagdschein, Sportlizenz, Mitgliedschaft im Sammlerverein usw., bzw. die Begründung dafür weshalb eine Waffe zum eigenen Schutz gebraucht wird, inklusive der Bestätigung der „Gefahrenlage“ durch die örtliche Polizei oder eine andere Behörde vor Ort). ● Zwei Passfotos.

Gebühr: 250 Zloty (ca. 60 Euro). Bearbeitungsdauer: bis zu 60 Tage.

Abgesehen von Jägern, Sportschützen und Antragstellern, die im Berufsleben ständigen Umgang mit Waffen haben (Soldaten, Polizisten u. ä.) werden alle anderen von der Polizei zur Prüfung vorgeladen.

Zuerst gilt es einen Test mit zehn Fragen zu bestehen. Dieser ist nicht einfach, weil alle Fragen richtig beantwortet werden müssen und zwar mit dem genauen Wortlaut des Waffengesetzes. Beispiel: „Sind nur Schusswaffenpatronen Munition oder umfasst der Begriff Munition Schusswaffen- und Gaswaffenpatronen?“ In Polen ist die erste Antwort richtig.

Der praktische Teil: Fragen nach Sicherheitsbestimmungen, Aufbewahrungsregeln und das Zerlegen und Zusammenbauen einer Pistole. Zur Auswahl stehen meistens eine Glock 17, eine P-64 oder eine P-83 (bei den beiden letzten Modellen handelt es sich um polnische Konstruktionen). Die beiden wichtigsten Regeln: als erstes das Magazin entfernen und niemals den Lauf auf andere richten.

Die Ablehnungsquote lag in den letzten Jahren bei etwa 10 Prozent.

Illegale Waffen

Wer diese Prozeduren umgeht und sich illegal eine Waffe beschafft, riskiert bis zu acht Jahren Freiheitsentzug. Im Jahr 2016 beschlagnahmte die Polizei im ganzen Land 552 illegale Waffen und ca. 45.000 Stück Munition. Das ist nicht sehr viel, aber darunter befanden sich so gefährliche Tötungswerkzeuge, wie Skorpion- und Kalaschnikow-Maschinenpistolen.

Die größte „Ausbeute“ brachte eine groβangelegte Razzia in Oberschlesien, wo nicht nur knapp einhundert Waffen sichergestellt wurden, sondern auch eine gut ausgestattete Büchsenmacherwerkstatt mit u.a. knapp 50 hervorragend nachgebauten Schalldämpfern.

Davon, dass die Justiz in Polen keinen Spaβ in Sachen illegale Waffen versteht, zeugt der bedauerliche Vorfall aus dem 20.000-Einwohner-Ort Końskie unweit von Kielce in Mittelpolen.

Der 87-jährige Rentner Feliks Przyborowski (fonetisch: Pschiborowski) kämpfte während der deutschen Besatzung in einer Partisaneneinheit der Heimatarmee (AK) und weitere zwei Jahre lang nach dem Krieg gegen die Kommunisten. Als die Lage aussichtslos wurde, gelang es ihm sich ins zivile Leben abzusetzen. Vorher versteckte er seine britische Sten-Maschinenpistole, die die Royal Air Force bei ihren Versorgungsflügen für die Heimatarmee während des Krieges über dem besetzten Polen abgeworfen hatte.

Broń Feliks Przyborowski fot.
Feliks Przyborowskis patriotische Geschenkidee handelte ihm eine Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes ein.

Erst Mitte 2016 barg der Rentner seine Waffe aus dem Versteck und wollte sie  dem örtlichen Heimatmuseum zur Verfügung stellen. Der dortige Leiter war verpflichtet die Polizei zu informieren, was er auch tat. Das wiederum handelte Herrn Przyborowski von Amtswegen eine Anzeige wegen unerlaubten Waffenbesitzes ein. Die Boulevardpresse brachte den Fall an die Öffentlichkeit mit der Alarmmeldung, dem Veteranen des Freiheitskampfes drohe auf seine alten Tage Haft.

Broń Przyborowski Sten fot.
Przyborowskis britische Sten-Maschinenpistole.

Justizminister Zbigniew Ziobro, der seit Anfang 2016, aufgrund der Rückkehr zu der bis 2010 geltenden Regelung, wieder das Amt des Justizministers und das des Generalstaatsanwaltes in Personalunion ausübt und somit die Aufsicht über die Staatsanwaltschaft inne hat, wies die zuständige Anklagebehörde an das Verfahren einzustellen.

Der vielbemühte Spruch, eine Waffe sei ein Feind, selbst für ihren Besitzer, hat sich wieder einmal (fast) bewahrheitet.

© RdP




Euro? Nein! Lieber ein neuer Zloty-Schein

Die 500-Zloty-Banknote und ihre Deutungen.

Wenn es eines weiteren Beweises für die Unabhängigkeit der Polnischen Nationalbank bedurfte, so liefert sie dieser Geldschein. Gegen den ausdrücklichen Willen der nationalkonservativen Regierung brachte Polens Zentralbank die 500-Zloty-Note in Umlauf. Bisher war der 200-Zloty-Schein die gröβte Einheit.

Złoty Glapiński fot.
Nationalbankpräsident Prof. Adam Glapiński.

 

Złoty Kościński fot.
Stellv. Wirtschaftsminister Tadeusz Kościnski,

„Sehr geehrter Herr Präsident,

in Anbetracht der aktuellen ökonomischen Bedürfnisse Polens, möchte ich Sie höflichst darum ersuchen, noch einmal die Notwendigkeit abzuwägen, die 500-Zloty-Banknote in Umlauf zu bringen, eventuell diese Banknote nur für den Zahlungsverkehr zwischen den Banken zuzulassen.“

Der stellv. Wirtschaftsminister Tadeusz Kościnski, Autor dieses Schreibens, machte es publik, um so die Wichtigkeit des Regierungsanliegens zu unterstreichen. Doch der Empfänger, Prof. Adam Glapiński, im Juni 2016 von der regierenden Mehrheit zum Präsidenten der Polnischen Nationalbank gewählt und einst enger politischer Weggefährte Jaroslaw Kaczyńskis, lieβ sich in der Ausübung seiner neuen Funktion nicht beirren.

Złotówka Kaczyński u Glapiński styczeń 1993 fot.
Politische Kampfgefährten Jarosław Kaczyński und Adam Glapiński (beide Bildmitte) 1993.

 Nationalbank kämpft nicht

Polens nationalkonservative Regierung unter Beata Szydło hat der Wirtschaftskriminalität den Krieg erklärt. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass eine neue Bande von Mehrwertsteuerbetrügern, illegalen Zigarettenherstellern oder Kraftstoffschmugglern dingfest gemacht wird. Die Verluste, die diese Leute den Staatsfinanzen zufügen, erreichten Millionen von Euro.

Neue Regulierungen und Verfahren, eine drastische Erhöhung der Strafen für den ganz groβen Steuerbetrug (bis zu 25 Jahre Haft), die Verschmelzung von Steuerverwaltung und Zoll zu einer Behörde, sollen diese Vergehen eindämmen, die Staatseinnahmen erhöhen helfen. Ein Indiz dafür, dass der Kampf Erfolg hat, ist der legale Verkauf von Kraftstoffen, der zwischen Januar 2016 und Januar 2017 einen Anstieg um 24 Prozent (!) verzeichnete.

Eine weitere Bekämpfungsmethode ist die Eindämmung des Bargeldverkehrs. Seit dem 1. Januar 2017 dürfen in der Wirtschaft alle Zahlungen von mehr als 15.000 Zloty (ca. 3.500 Euro) nur noch per Überweisung getätigt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt lag das Limit bei einem Gegenwert von 15.000 Euro (ca. 64.000 Zloty).

„Trotz der dynamischen Entwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs“, so Kościński in seinem Brief an den Nationalbankpräsidenten weiter, „u.a. beim Einkaufen mit kontaktlosen Bank- und Kreditkarten, hat sich in den letzten sechs Jahren der Wert des sich im Umlauf befindlichen Bargeldes beinahe verdoppelt, auf fast 180 Mrd. Zloty (ca. 42 Mrd. Euro – Anm. RdP).“

Und mit der Einführung des 500-Zloty-Scheins dürfte diese Geldmenge weiterhin schnell steigen.

Fälschen fällt schwer

Der neue Geldschein ist hervorragend gesichert durch Hologramme, diverse Wasserzeichen, einen Sicherheitsfaden, er wechselt, gegen das Licht betrachtet, seine Farbe u. e. m.

Generell, so die Polnische Nationalbank, fällt die Zahl gefälschter Banknoten kontinuierlich. Im Jahr 2016 wurden 3,6 Falsifikate pro eine Million Banknoten im Umlauf festgestellt. Zwischen 2012 und 2015 waren es noch fünf bis acht. Seit der Verbesserung der Sicherheitsmerkmale beim Druck der 10-, 20-, 50-, 100- und 200-Zloty-Scheine ab April 2014, befinden sich weniger Fälschungen auf dem Markt. Die älteren, leichter zu fälschenden Geldscheine verschwinden allmählich.

Schwach, stärker, am stärksten

Auf der neuen 500-Zloty-Banknote ist König Jan III. Sobieski zu sehen. Dieser polnische Monarch stand 1683 an der Spitze eines polnischen Entsatz-Heeres, das in der Schlacht bei Wien das damalige Mitteleuropa vor dem Einfall und der Besetzung durch eine riesige türkische Invasionsarmee gerettet hatte. Einen Grund, hierin etwa eine tieferliegende Bedeutung in Zeiten des Emigranten-Ansturms aus Nahost und Afrika zu suchen, gibt es jedoch nicht.

Złoty banknot 500 zł Jadwiga fot.
Der 500-Zloty-Schein von 1994 mit Königin Jadwiga kam nicht in den Umlauf.

Bereits 1995 lagen schon einmal 500-Zloty-Scheine ausgabebereit in den Tresoren der Polnischen Nationalbank, doch sie wurden nicht in Umlauf gebracht. Im Jahr 1995 nämlich erlebte Polen eine Umstellung, bei der jeweils zehntausend alte Zloty durch einen neuen ersetzt wurden. Bis dahin rechneten die Polen nur noch in Hunderttausenden und Millionen. Damals gab es keine Münzen mehr, dafür achtzehn verschiedene Banknoten, von denen die höchste einen Nennwert von zwei Millionen Zloty hatte.

Złoty banknot dwa miliony fot.
Der Zweimillionen-Zloty-Schein von vor der Umstellung auf neue Zloty 1995.

Die Umstellung von 1995 war Ausdruck dafür, dass das Land die hochinflationäre Entwicklung aus den ersten Jahren der Marktwirtschaft überwunden hatte. Im Jahr 1989 betrug die Inflation in Polen 251 Prozent, im Jahr der Währungsumstellung 1995 immerhin noch 27 Prozent, 2005 – 2,1 Prozent. In den Jahren 2015 und 2016 herrschte eine Deflation, die Preise fielen um 0,9 bzw. 0,6 Prozent.

Der Name „Zloty“, der vielen Ausländern Rätsel aufgibt, heiβt übrigens auf Deutsch nichts anderes als „der Goldene“ („Gulden“) und leitet sich von Gold (polnisch: złoto) ab. Es war die Währung des Königreiches Polen vom 14. bis zum 18. Jahrhundert.

Złoty marka polska fot.
Zehn Millionen Polnische Mark von 1923. Bald darauf durch den Zloty ersetzt.

Danach war Polen 123 Jahre lang, bis 1918, dreigeteilt. Erst 1924, im sechsten Jahr der Unabhängigkeit, bekam das Land seinen Zloty wieder. Er ersetzte die Polnische Mark (Marka Polska), die die Deutschen 1916 in Umlauf brachten, nachdem sie während des Ersten Weltkrieges den russischen Teil Polens mit Warschau besetzt hatten. Die Einführung des Zloty 1924, der eine Goldparität hatte (1 Zloty = 0,1687 Gramm Gold = 1.800.000 Polnische Mark) beendete in Polen die Zeit der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg und das damit verbundene Währungschaos.

Seit der Umstellung von 1995 (10.000 alte Zloty = 1 neuer Zloty) erwies sich die polnische Währung, bis heute, als sehr stabil. Von kurzzeitigen Ausschlägen nach oben oder unten abgesehen, erhält man seither immer um die vier Zloty für einen Euro.

Złotówka Andrzej Heirdich fot.
Graphiker Andrzej Heidrich .

Entworfen hatte die Noten von 1995, der Warschauer Graphiker Andrzej Heidrich (1928-2019), der auch den neuen Fünfhunderter konzipiert hat. Heidrich war ebenfalls ein leidenschaftlicher Gestalter neuer Briefmarken. Hergestellt werden die Banknoten in der Polnischen Staatlichen Wertpapierdruckerei AG (Polska Wytwórnia Papierów Wartościowych Spółka Akcyjna – PWPW SA) in Warschau.

Mehr über die interessante Geschichte dieser Wertpapierdruckerei und die exotischen Druckaufträge für Banknoten, die sie erhält, lesen Sie bitte hier.

Bei der Währungsumstellung von 1995 kamen 10-, 20-, 50,- 100- und 200-Zloty–Scheine in Umlauf. Der Modus, also der statistisch am häufigsten gezahlte Lohn, betrug damals in Polen etwa 500 Zloty (ca. 115 Euro). Die Ausgabe eines 500-Zloty-Scheines erachtete man in Anbetracht dessen als verfrüht. Heute, da der Modus fast genau 1.700 Zloty (nach Abzug der Sozialabgaben, vor Steuern) d.h. ca. 400 Euro beträgt, sah die Nationalbank die Zeit des 500-Zloty-Scheins für gekommen.

Mehr zu den Löhnen in Polen lesen Sie bitte hier.

Jadwigas Verbannung

Doch die 1995 vorbereitete Banknote kam nicht auf den Markt, aus zwei Gründen. Zum einen war der Fälschungsschutz nach mehr als zwanzig Jahren nicht mehr zeitgemäβ. Zum anderen befand sich auf dem Schein das Konterfrei der Königin Jadwiga (Hedwig) und das hätte die Chronologie auf den polnischen Geldscheinen durcheinandergebracht.

Złoty banknot 10 zł fot.

Die braune 10-Zloty-Note schmückt das Portrait des polnischen Staatsgründers, Fürst Mieszko I. (945-992).

 

 

 

Złoty banknot 20 zł fot.

 

 

 

Auf dem roten 20-Zloty-Schein wurde Bolesław I. der Tapfere (967-1025), der erste gekrönte König Polens platziert.

Złoty banknot 50 zł fot.

 

Auf dem blauen 50-Zloty-Schein ist Kasimir III. der Groβe (1310-1370) zu sehen. Der letzte Herrscher aus der Piasten-Dynastie, der, wie ein geflügeltes Wort verkündet „zastał Polskę drewnianą, a zostawił murowaną” („ein hölzernes Polen vorfand und ein gemauertes hinterlieβ”) und das Land in eine europäische Groβmacht verwandelte.

Złoty banknot 100 zł fot.Vom grünen 100-Zloty-Schein blickt Władysław I. Jagliełło (1362-1434). Der heidnische litauische Fürst lieβ sich taufen, heiratete in Kraków die junge Königin Jadwiga (Hedwig) und wurde König von Polen. Die so begründete Jagiellonen-Dynastie regierte das Land während der nächsten knapp zweihundert Jahre. Die damals entstandene polnisch-litauische Union überdauerte die nächsten vierhundert Jahre. In die Geschichte ging der König vor allem als der Sieger über den Deutschen Orden bei Grunwald (Tannenberg) im Jahr 1410 ein.

Złoty banknot 200 zł fot.Die Gelbe 200-Zloty-Note wurde mit dem Portrait Sigismund I. dem Alten (1467-1548) versehen. Die Zeit seiner Herrschaft (41 Jahre) wird als das goldene polnische Zeitalter beschrieben. Die wirtschaftlich blühende, militärisch starke polnisch-litauische Adelsrepublik reichte damals von der Ostsee bis ans Schwarze Meer.

Złotówka 500 złotych fot.
Neu im Umlauf. Der 500-Złoty-Schein.

Seit dem 8. Februar 2017 hat sich nun zu den fünf Banknoten ein sechster Geldschein, mit dem Konterfei König Jan III. Sobieskis (1629-1696), hinzu gesellt. Der Verzicht auf die ursprüngliche 500-Zloty-Note mit Königin Jadwiga (1374-1399), der späteren Ehefrau Władysław Jagiełłos (zu sehen auf dem 100-Zloty-Schein) glich somit der endgültigen Verbannung der einzigen Frau aus dem polnischen Bargeldumlauf.

Bar auf die Hand

Und der Bargeldumlauf wächst. Allein 2016 vergröβerte er sich um 200 Millionen Stück auf ca. 1,9 Milliarden. Banknoten Anfang 2017. Dabei tätigen die Polen, unverändert, knapp 80 Prozent aller ihrer Einkäufe mit Bargeld. Im Umlauf befinden sich inzwischen 1,2 Milliarden. 100-Zloty-Scheine und 250 Millionen 200-Zloty-Noten. Letztere waren noch vor wenigen Jahren eine Rarität, jetzt stiegt die Nachfrage jedoch schnell. Deswegen mussten die Fünfhunderter her. Etwa 50 Millionen Stück von ihnen sollen vorerst den Bargeldumlauf anreichern.

Je mehr Geldscheine benötigt werden, umso gröβer die Herstellungskosten. Allein Im Jahr 2016 bezahlte die Polnische Nationalbank 250 Millionen Zloty (ca. 58 Mio. Euro) für das Gelddrucken. Das ist nicht wenig, auch wenn der Gewinn, den Polens Zentralbank 2016 an den Staatshaushalt abführte, 8 Milliarden. Zloty (ca. 1,9 Mrd. Euro) betrug. Von daher ist die Überlegung denkbar einfach: der Druck eines 500-Zloty-Scheins kostet viereinhalbmal weniger als der Druck von fünf 100-Zloty-Scheinen.

Die Entwicklung in Polen läuft damit allerdings in die entgegengesetzte Richtung als in der Euro-Zone, wo der 200-Euro-Schein eine Seltenheit geworden ist und es den 500-Euro-Schein bald nicht mehr geben soll. Andererseits ist gerade Polen, was den Wert seines gröβten Geldscheines angeht, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, weit zurückgeblieben.

In Tschechien findet man eine 5.000-Kronen-Note, die 800 Zloty wert ist. In Dänemark gibt es 1.000 Kronen und in Kroatien 1.000 Kuna, beide jeweils im Gegenwert von 600 Zloty. Der 1.000 Schweizer Franken Schein ergibt umgerechnet ca. 4.000 Zloty.

Bloβ keinen Euro

Aufmerksame Beobachter sehen in der 500-Zloty-Schein-Einführung ein weiteres Indiz dafür, dass Polen in absehbarer Zeit der Euro-Zone nicht beitreten wird. Das Land hat sich zwar, wie alle anderen Kandidaten, mit dem EU-Beitritt 2004 verpflichtet den Euro zu übernehmen, doch es gibt keinen festgelegten Termin hierfür. Jedes Land, wenn es die Beitrittskriterien erfüllt, entscheidet über den Zeitpunkt selbst.

Doch bis zu 70 Prozent der Polen sprechen sich, laut Umfragen, kontinuierlich dagegen aus, und die neue nationalkonservative Regierung hat, gemäβ ihren Wahlkampf-Versprechungen, jegliche Vorbereitungen auf die Währungsumstellung aus der Tusk-Zeit beendet.

Spürbare Preiserhöhungen für Lebensmittel und Dienstleistungen bei den nächsten Nachbarn, der Slowakei und Litauen, die den Euro 2010 bzw. 2015 eingeführt haben, nähren in Polen die Ablehnung des Euro. Polnische Grenzregionen werden an jedem Wochenende von einer großen Zahl einkaufswilliger Litauer und Slowaken besucht, für die in Polen praktisch alles billiger ist. Vor der dortigen Euro-Einführung fuhren die Polen zum billigeren Einkaufen zu ihnen über die Grenze.

Abschreckend wirkt die Aussicht für die Rettung griechischer Banken aufkommen zu müssen. Auβerdem fördert in schweren Zeiten die Abwertung des Zloty den Export. Zudem kann das Land seine Leitzinsen, nach Bedarf, selbst festlegen.

Fazit der Regierenden: der Euro kommt erst dann, wenn Polen wenigstens 80 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung erreicht, was frühestens in eineinhalb Jahrzehnten eintreten könnte.

Der neue Fünfhunderter hat also eine Zukunft.

© RdP




Obama von Słupsk und die falsche Hexe

Wenn Kirchenfeindschaft den Verstand trübt.

Es sollte ein historischer Akt der Gerechtigkeit sein und zugleich eine saftige Ohrfeige für die katholische Kirche. Robert Biedroń, Bürgermeister von Słupsk/Stolp, hatte beschlossen „eine Frau, ein Opfer der katholischen Inquisition“, die in seiner Stadt „auf dem Scheiterhaufen endete“ zu rehabilitieren, und einen Kreisel nach ihr zu benennen.

Seit den letzten Kommunalwahlen im November 2014 regiert Robert Biedroń (Jahrgang 1976), der seine Homosexualität offen lebt und als sein politisches Markenzeichen führt, die neunzigtausend Einwohner zählende Kreisstadt Słupsk/Stolp nahe der Ostseeküste. In Polen selbst hat sein Wahlsieg für weit weniger Aufregung gesorgt als z.B. in den deutschsprachigen Medien, wo Biedrońs Einzug in die Kommunalpolitik als ein kolossaler Triumph des Fortschritts in dem stets „konservativen“, „erzkatholischen“, „intoleranten“ und „verstaubten“ Polen dargestellt wurde.

Mit seinem Auftreten und den enormen Hoffnungen, die er zu entfesseln vermochte, hat er sich in den Boulevardmedien den Beinamen „Obama von Słupsk“ eigehandelt.

Über Biedrońs politische Karriere und die Gründe für seinen Wahlsieg, lesen Sie bitte ausführlich hier.

Skandalnudel bleibt Skandalnudel

Eigentlich, so hieβ es gleich nach seiner Wahl zum Bürgermeister, Ende 2014, habe Biedroń einen Reifungsprozess durchgemacht, sich von der „Skandalnudel“ in einen fleiβigen, ernstzunehmenden Politiker verwandelt. Nach knapp zwei Jahren im Amt nehmen sich Biedrońs Erfolge bei der Sanierung der hochverschuldeten Stadt jedoch eher dürftig aus. Auch die von ihm versprochene Belebung der sündhaft teuren Investitionsruine eines Aquaparks, die ihm sein Vorgänger hinterlassen hatte, ist längst noch nicht erfolgt. Biedroń wiedźma papież 1 fot.

Biedroń wiedźma paiez  2 fot.
Das Amtszimmer des Bürgermeisters von Słupsk mit Papstbild ohne Biedroń (oben) und mit Biedroń (unten rechts) ohne Papstblid.

Der vermeintliche Sieg des Fortschritts ging in Biedrońs Fall nicht automatisch einher mit einem Triumph der Vernunft. In die Schlagzeilen gerät der Bürgermeister regelmäβig lediglich dank seines leeren Aktionismus, seiner kleinen und gröβeren Provokationen, für die er in seiner Anfangszeit als Warschauer Sejm-Politiker auch schon bekannt war. Viele Menschen stöβt das ab, viele klatschen ihm aber auch Beifall, zieht doch wenigstens auf diese Weise, die ansonsten vergessene Provinzstadt, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich.

Nachfolgend einige Schlagzeilen.

April 2015. „Biedroń gesteht im TV! Ich bin immer weniger kompetent in Sex-Fragen. Bin 39 und fange langsam an zu vergessen was Sex ist.“

Juni 2015. „Biedroń wirft Portrait Johannes Paul II. aus seinem Amtszimmer weg.“ Der heiliggesprochene Papst ist Ehrenbürger der Stadt. Das so entsorgte Bild wurde anschließend feierlich in der Słupsker Marienkirche aufgehängt.

September 2015. Biedroń verfügt „Allgemeine Erfassung aller Kruzifixe in Schulklassen und Kindergärten in Słupsk. Eltern befürchten ein Verbot.“ Ein erzwungenes Abhängen fand nicht statt.

September 2015. „Biedroń will neue Straβen ausschließlich nach Frauen benennen. Männeranteil ist bereits viel zu hoch“. Die Medien berichten darüber groß und breit, es blieb aber alles beim Alten.

Dezember 2015. „Biedroń verbietet Weihnachtsbaum und Weihnachtsschmuck vor dem Rathaus.“ Nach Protesten lieβ er sich doch noch umstimmen.

Dezember 2015. Für Biedroń ist „Weihnachten nur ein verlängertes Wochenende“.

Februar 2016. „Biedroń stellt sich hinter Wałęsa“, als der Ende 2015 endgültig seiner bezahlten Spitzeltätigkeit für die polnische Stasi Anfang der 70er Jahre überführt wurde.

Februar 2016. „Biedrońs Skandal-Interview“ im Fernsehen. „Wenn man gut im Bett ist, dann muss man ein wenig herumhuren. Wenn man aber Politiker ist, dann muss man das unbedingt tun.“

Mai 2016. „Biedroń will ausdrücklich kommunistische Straβen-Namensgeber in Słupsk beibehalten“.

Biedroń setzt auf Provokation und Polarisierung, und nicht selten sind dabei Unwissenheit und Verblendung seine Wegweiser. So wie jüngst bei der „Rehabilitierung“ von Trina Papistin, die als Hexe 1701 in Stolp verbrannt wurde.

Doch nicht „unsere“ Hexe

„Es soll die Wiederherstellung der Ehre eines Opfers der römisch-katholischen Kirche sein, es soll zeigen, wie auch die Kirche Frauen gequält hat. Wir wollen, dass „unsere“ Hexe nicht vergessen wird, und wollen laut kundtun, wie man Frauen, auch in unserem Land, behandelt hat“, hieβ es auf der offiziellen Internetseite der Stadt.

Inzwischen wurde die Eintragung gelöscht. Zu groβ war die Blamage.

Biedroń wiedźmy fot. 1 Trina war der Kosename von Katherina, eigentlich Katarzyna, denn Trina war Polin und verheiratet mit dem Kaschuben Martin (Marcin) Nipkow. Sie wurde Papistin genannt, weil sie katholisch war. Nach Nipkows Tod heiratete sie den Metzger Andreas Zimmermann.

Trina trug damals ihr Katholischsein so offen zur Schau, „wie Biedroń heute seine Homosexualität“, schrieb ein Regionalhistoriker, als der stets auftrumpfende Biedroń seiner Ignoranz überführt wurde. Das damalige Stolp war, bis auf wenige Ausnahmen, zu denen Trina gehörte, rein protestantisch. Und das Land, in dem sie ermordet wurde, war nicht „unser Land“ sondern hieβ Preuβen. Polnisch wurde Stolp erst 1945, also 244 Jahre nach Trinas Verbrennung.

Trina, als „Papistin“ verspottet, war eine ausgewiesene Heilkräuterkennerin, die oft um Hilfe gebeten wurde. Das konnte den örtlichen Quacksalbern und Apothekern gar nicht gefallen. Und es war tatsächlich der Apotheker Zienecker, der am 4. Mai 1701 beim Stolper Magistrat gegen Katherina Zimmermann, früher Nipkow, genannt Trina Papistin, Beschwerde wegen Hexerei einlegte.

Und so nahm das Unheil seinen Lauf. Stadtrat Holz wandte sich an die Juristische Fakultät der protestantischen Universität Rostock, die im Juli 1701 das Martern einer Katholikin als rechtens befand. Eine der ältesten Universitäten Deutschlands, und nicht die katholische Heilige Inquisition, brachte daher Trina, die vermeintliche Hexe, auf den Scheiterhaufen.

Biedroń wiedźmy fot. 2 Am 11. August 1701 begann das Foltern. Trinas Extremitäten wurden in einen Stock geklemmt, mittels Schraubstöcken brach man ihr die Beine und Arme. Sie gestand, widerrief, wurde daraufhin, einige Tage später, mit glühenden Eisen traktiert, blieb nunmehr jedoch standhaft bis an ihr Ende. Am 30. August 1701 starb sie auf dem Scheiterhaufen, zurück blieben ihr Ehemann und die Kinder.

Die Kirche hat zu danken

Einen Rückzieher konnte sich Biedroń nicht erlauben. Am 29. Juni 2016 fasste der 24-köpfige Stadtrat von Słupsk einen Beschluss über die Benennung von elf Kreiseln im Verlauf der neuen Umgehungsstraβe, die den Stadtkern entlasten soll. Auf diese Weise kam eine polnische, katholische Märtyrerin in Słupsk posthum zu Berühmtheit und Ehren.

Stadtpräsident Biedroń machte gute Miene zum unerwarteten Ausgang seiner Aktion. Dass sich der örtliche Bischof ausdrücklich bei ihm bedankte und erwägt, wie es heiβt, zum Todestag der Märtyrerin am Kreisel eine groβe heilige Messe zu feiern, war so nicht geplant.

Vor Ignoranz und ihren Folgen schützt auch der angeblich so rationale Atheismus offensichtlich nicht.

© RdP




Brot auf dem Rückzug

Polnische Bäcker haben Grund zur Sorge.

Trotz aller Bemühungen der Bäcker, schmeckt das tägliche Brot den Menschen hierzulande offensichtlich immer weniger. Die Bilanz des Jahres 2014, die die Vereinigung des Bäckerhandwerks der Republik Polen (SRP RP) Mitte April 2015 in Warschau vorgestellt hat, machte diesbezüglich leider jegliche in eine andere Richtung deutende Illusion zunichte.

Knapp dreihundert Bäckereibetriebe haben 2014 schließen müssen. Neuntausend gibt es noch im ganzen Land, etwa dreitausend weniger als vor zehn Jahren.

Grund dafür ist der seit dem Ende des Kommunismus stetig zurückgehende Brotverzehr. Mitte der 80er Jahre betrug er im Durchschnitt 85 kg pro Jahr und Person. Im Jahre 2005 waren es 70,8 kg, 2013 noch 49,7 kg, im letzten Jahr verringerte er sich wiederum auf 47,8 kg. Damit liegen die Polen um gut ein Kilogramm vor den als leidenschaftliche Brotesser geltenden Deutschen, doch das dürfte für die polnischen Bäcker kaum ein Trost sein.

Der rapide Rückgang des Brotkonsums sofort nach dem Ende des Kommunismus hatte vor allem mit der Aufhebung des amtlich festgelegten, niedrigen Brotpreises zu tun. Auch wenn sonst die Regale leer waren, Brot, als das elementarste Grundnahrungsmittel, musste immer vorrätig sein. Billig zu haben, wurde es oft in zu groβen Mengen gekauft und später, alt und hart geworden, weggeworfen. Wer für den Eigenbedarf Tiere hielt, verfütterte es in Unmengen an Kaninchen, Hühner, Tauben, kleinere Bauernbetriebe an Pferde. Brot war eben billiger und leichter zu haben als die stets raren Futtermittel.

Die Abschaffung der staatlichen Preisbindung nach 1990 wirkte wahre Wunder gegen diese Verschwendung. Sehr schnell lernten die Menschen nur so viel zu kaufen, wie unbedingt notwendig war. Inzwischen kostet ein Kilogramm des billigsten Brotes etwa 8 Zloty (ca. 2 Euro).

Der zweite Grund für den nachlassenden Brotkonsum sind die veränderten Essgewohnheiten. Kinder und junge Leute greifen beim Frühstück lieber zu Cornflakes, Müsli und Yoghurt. Das früher allgegenwärtige Broteschmieren für die Arbeits- und Schulpause hat sehr nachgelassen. Yuppies essen mittags lieber einen Salat, Schülern schmecken fruchtige Kornriegel oder Chips besser. Zudem beinhaltet jede Schlankheitsdiät die Empfehlung unbedingt auf Brot zu verzichten.

Die auf dem Balkan und in Russland weit verbreitete Sitte, zu jeder warmen Mahlzeit, auch wenn reichlich Kartoffeln gereicht werden, Brot zu essen, hat in Polen nie Fuβ gefasst. Dafür wird schon mal gerne Brot zur Suppe serviert, ohne die ein normales polnisches Mittagessen undenkbar wäre.

Sehr zu schaffen machen den Bäckern die Discounterketten, seitdem diese dazu übergegangen sind in ihren Filialen ofenfrische Backwaren anzubieten. Aus gefrorenem Teig, der aus Rumänien importiert wird, entstehen brot- und brötchenähnliche Produkte ohne jegliche Nährstoffe, luftgefüllt, dafür aber zu traumhaft niedrigen Preisen. Ein Brötchen kostet 16 Groszy (4 Cent). Für ein anständiges Brötchen vom Bäcker zahlt man mindestens 35 Groszy (ca. 9 Cent). Im Niedriglohnland Polen, wo das statistische Durchschnittsgehalt bei 3.200 Zloty brutto (ca. 800 Euro) und der gesetzliche Mindestlohn bei 1200 Zloty brutto (ca. 300 Euro) liegt, bestimmt zu achtzig Prozent (so das Ergebnis von Untersuchungen) der Preis das Kaufverhalten.

Eine Nische, die die polnische Bäckereibranche zu erschließen versucht, sind Brot und Brötchen von gehobener Qualität, die man in eigenen Geschäften an den Kunden bringen möchte. Stefan Putka, Chef der Wartschauer Bäckerinnung, der in seinen siebzig Läden in der Hauptstadt und deren Umgebung u.a. schmackhaftes Schwarzbrot zu 20 Zloty das Kilogramm anbietet, klagt keineswegs über mangelnde Nachfrage.

Der Massenverkauf jedoch findet zunehmend in den Discounterketten statt, die sich von industriellen Groβbäckereien beliefern lassen, weil Gummibrötchen aus rumänischem Tiefkühlteig nun mal nicht die gesamte Nachfrage abdecken. Für die kleinen und mittleren Betriebe bleibt daher tatsächlich nur noch der Direktverkauf in eigenen Läden in günstiger Lage, mit möglichst viel Laufkundschaft. Das Ganze meistens in Verbindung mit einem guten Angebot an Sandwiches und dem Verkauf von Kaffee und Tee.

In dieser Nische ist nicht viel Platz, und wer ihn ergattern will, muss einiges an Investitionskapital aufbringen. Ausgefallenere Backwaren finden Abnehmer unter Leckermäulern und in einer dünnen, großstädtischen Schicht von Gutverdienenden. Die erhoffte Trendumkehr für die ganze Branche wird dadurch kaum eintreten, darüber macht man sich bei den Innungen und bei der polnischen Bäckervereinigung keine Illusionen.

© RdP




Exotische Scheine druckfrisch aus Polen

In Warschau gemacht: Guarani, Lari, Quetzal und Lempira.

Sorgsam befüllt und gut bewacht verlieβen dieser Tage Container mit dreiβig Tonnen Banknoten Warschau, an Bord einer vom Abnehmer gecharterten Transportmaschine. Soviel wiegen 28 Millionen Geldscheine im Nennwert von zehn- und zwanzigtausend Guarani. Zielflughafen war Asunción, die Hauptstadt Paraguays.

10.000 Guarani aus Polen.
10.000 Guarani aus Polen.

Die Polnische Staatliche Wertpapierdruckerei AG (Polska Wytwórnia Papierów Wartościowych Spółka Akcyjna – PWPW S.A.) hat damit einen weiteren Druckauftrag für ausländische Geldscheine, dieses Mal im Wert von 8 Mio. Zloty (ca. 2 Mio. Euro), erfolgreich abgewickelt. Bereits 2012 verlieβen die ersten 20 Mio. Zehntausend-Guarani-Banknoten die Warschauer Notenpresse.

20.000 Guarani aus Polen.
20.000 Guarani aus Polen.

Zuvor bestellte im Jahr 2011 die Nationalbank Georgiens bei der Polnischen Wertpapierdruckerei 44 Mio. Zehn-Lari-Scheine. 2014 lieferte die Firma 30 Mio. Zehn-Quetzal-Noten an die Bank von Guatemala aus. Aktuell sind 30 Mio. Zwanzig-Lempira-Banknoten in Arbeit, die die Banco Central de Honduras in Auftrag gegeben hat. Verhandlungen mit Zentralbanken weiterer Mittel- und Südamerikanischer Staaten über ähnliche Bestellungen sind, so heiβt es, bereits weit gediehen.

10 Quetzal aus Polen.
10 Quetzal aus Polen.

Die Einnahmen der PWPW aus Exportaufträgen belaufen sich auf etwa 50 Mio. Zloty (knapp 12,5 Mio. Euro) jährlich. Sie flossen in den letzten Jahren aus Aufträgen, wie dem Druck von Sicherheitspapier mit Wasserzeichen für Österreich, Griechenland, Holland, Lettland, Schweden und die Türkei oder, erst kürzlich, aus der Herstellung von Reisepässen für Armenien, Bangladesch und Litauen.

20 Lempira aus Polen.
20 Lempira aus Polen.

Gemessen an den 460 Mio. Zloty (knapp 115 Mio. Euro) Jahreseinnahmen und 160 Mio. Zloty (knapp 40 Mio. Euro) Jahresgewinn erscheint das nicht viel. Das Gros macht natürlich das Inlandsgeschäft aus: die Herstellung von Banknoten im Auftrag der Polnischen Nationalbank (NBP), von polnischen Reisepässen und biometrischen Personalausweisen, von Briefmarken, Steuerbanderolen, Führerscheinen, Zulassungsbescheinigungen und Blanko-Zahlkarten.

10 Lari aus Polen.
10 Lari aus Polen.

Aufträge aus dem Ausland jedoch sind sehr wichtig für das Renommee des Unternehmens. Und das lässt sich durchaus sehen. Immerhin verfügt PWPW inzwischen über eine Zulassung der Europäischen Zentralbank, es erfüllt die Voraussetzungen im Bereich des Qualitätsmanagementsystems und der Produktionssicherheit, und könnte ab sofort den Druck von Eurobanknoten übernehmen. Das jedoch dürfte ferne Zukunftsmusik sein, da die Polen die Einführung des Euro seit Jahren mehrheitlich ablehnen. Das Unternehmen beschäftigt heute rund 2.100 Mitarbeiter.

Die zu einhundert Prozent im Eigentum des Staatsschatzes befindliche Aktiengesellschaft ist Ende der 90er Jahre nur knapp dem damals grassierenden Privatisierungswahn und Ausverkaufseifer von Staatseigentum entgangen. Sie wurde zu diesem Zweck 1999 zu einer Holding umgebildet, um bestehende Beteiligungen integrieren zu können bzw. neue Beteiligungen zu ermöglichen. Inzwischen befindet sich die PWPW auf der Liste der wichtigen Staatsunternehmen („Lista spółek o istotnym znaczeniu dla porządku lub bezpieczeństwa publicznego“).

Die Polnische Wertpapierdruckerei blickt auf eine interessante und durchaus stolze Geschichte zurück. Die Staatlichen Grafischen Werke (Państwowe Zakłady Graficzne) wurden am 25. Januar 1919 basierend auf einems Beschluss der Regierung Ignacy Jan Paderewskis gegründet. Nach 123 Jahren staatlicher Nichtexistenz und der Wiederherstellung der Unabhängigkeit im November 1918, brauchte Polen eine staatliche Druckerei. Im Jahre 1925 erfolgte die Umwandlung zur Polska Wytwórnia Papierów Wartościowych S.A.

Ein Jahr nach der Firmengründung wurde die erste Banknote hergestellt: einhundert polnische Mark, nach einem Entwurf von Adam Jerzy Półtawski. Im Jahr 1932 entstand die erste Banknote im Rotogravur-Verfahren – ein Einhundert-Zloty-Schein, gestaltet von Józef Mehoffer.

Auf der Internationalen Briefmarkenausstellung in Wien 1933 erhielten in der PWPW entworfene und gedruckte Briefmarken eine Ehrung. In den 1930er Jahren wurden viele von namhaften polnischen Künstlern ihrer Zeit gestaltete Banknoten, Briefmarken, Staatsanleihen hergestellt – die Vorlagen wurden entworfen von Zofia Stryjeńska, Wacław Borowski, Zygmunt Kamiński, Ryszard Kleczewski, Marian Romuald Polak und Włodzimierz Vacek, später auch von Czesław Słania.

Das PWPW-Gebäude vor dem Krieg.
Das PWPW-Gebäude vor dem Krieg.

Der Gebäudekomplex der PWPW mit seinen drei Innenhöfen liegt am nördlichen Ende der Warschauer Neustadt. Er wurde in den Jahren 1926 bis 1929 nach einem Entwurf des Architekten Antoni Dygat errichtet.

Das PWPW-Gebäude nach den schweren Kämpfen während des Warschauer Aufstandes im August 1944.
Das PWPW-Gebäude nach den schweren Kämpfen während des Warschauer Aufstandes im August 1944.

In Deutsche Staatsdruckerei und Münze umbenannt, musste die PWPW während der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg Besatzungsgeld, Kennkarten, Rationsmarken und diverse deutsche Amtsdokumente drucken. Im Geheimen stellte gleichzeitig eine Gruppe von Mitarbeitern (Podziemna Wytwórnia Banknotów) der PWPW Unterlagen für den polnischen Widerstand her.

Am 2. August 1944 nahmen die Warschauer Aufständischen, nach schweren Kämpfen, das Gebäude ein. Aus Stahlbeton errichtet, weitverzweigt unterkellert, bildete es ein Bollwerk, das den Deutschen den Zugang zur Altstadt versperrte. Nach 27 Tagen der Verteidigung musste es am 29 August 1944, nach schweren Angriffen durch deutsche Kampfflugzeuge und einem Generalsturm durch etwa 1.500 deutsche Soldaten, von den Aufständischen geräumt werden. Dieses Ereignis leitete den Fall der bereits eingekreisten Altstadt und die nachfolgenden schrecklichen Massaker an seiner Zivilbevölkerung ein. In den Kämpfen um die PWPW fielen bis zu 200 Soldaten der polnischen Heimatarmee, auf deutscher Seite gab es mindestens genauso viele Tote.

PWPW heute.
PWPW heute.

Das Gebäude lag in Trümmern und wurde nach dem Krieg, 1950 wiederhergestellt. Eine Gedenktafel erinnert an die Ereignisse. An den Metallstäben des Zauns, der das Gebäude umgibt sind bis heute die Spuren von Geschossen und Granatsplittern sichtbar. © RdP




Polnische Reisepässe – weniger Einlässe

Polen benötigen mehr Visa als Deutsche.

Fast die ganze Welt steht offen vor den Briten, Finnen und Schweden. Ohne Visa können sie in 173 Staaten einreisen. An zweiter Stelle befinden sich US-Amerikaner, Dänen, Deutsche und Luxemburger, die eine visafreie Einreise in 172 Staaten haben. Platz drei nehmen Belgier, Holländer und Italiener ein – 171.
Für die Polen besteht kein Visumzwang in 153 Ländern, was sie auf Rang 13. der Aufstellung platziert. Das geht aus einem Bericht des polnischen Auβenministeriums hervor.

Ein ungarischer Pass öffnet sofort die Türen zu 157 Staaten. Pässe aus Tschechien, der Slowakei und Slowenien gewähren uneingeschränkten Einlass in 155 Länder. Dicht hinter Polen befinden sich Estland, Hongkong und Lettland – 152.

Am schwierigsten haben es die Afghanen, die ohne Visum nur in 28 Staaten der Welt einreisen dürfen, die Iraker – in 31, Pakistani und Somalier – in 32.

Am empfindlichsten trifft die Polen die Tatsache, dass sie sich, als letzte EU-Bürger neben den Rumänen und den Bulgaren, immer noch den umständlichen und sehr teuren US-amerikanischen Einreisevisa-Prozeduren in Polen unterziehen müssen. Die Zahl der Polen, die ihren Aufenthalt in den USA eigenmächtig verlängern und/oder unerlaubterweise arbeiten, sinke zwar kontinuierlich, liege aber immer noch über den festgelegten Grenzen. Aus diesem Grund, so amerikanische Stellen, sei es noch zu früh für die Aufhebung des Visumszwangs für polnische Bürger. US-Amerikaner können seit 1992 ohne Visum nach Polen reisen.

@ RdP