25.08.2023. Referendum. Was Polen dürfen, dürfen Deutsche nicht
Mit wachsendem Erstaunen liest man die deutschen Kommentare zu dem Referendum, das zusammen mit den polnischen Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 abgehalten werden soll. Dass die deutschen Medien ungefähr zweimal pro Woche das Ende der Demokratie in Polen ausrufen, daran hat man sich gewöhnt. Seit dem ersten, 2019 wiederholten, Wahlsieg der Nationalkonservativen im Herbst 2015 sind schließlich acht Jahre vergangen.
Dass die deutsche mediale Einheitsfront, ob ARD, ZDF, FAZ oder TAZ, ausschließlich das weitergibt, was ihr Polens totale Opposition, wie sie sich selbst bezeichnet, in die Notizblöcke diktiert, ist auch nichts Neues. Doch die Idee, dass eine Volksbefragung sich gegen die Demokratie richtet und ein Boykott die Demokratie stärkt, bleibt für das Erste sehr gewöhnungsbedürftig.
Schließlich gibt es kaum eine demokratischere Form der Willensbekundung durch den Souverän. Alle Bürger können über wichtige Fragen zur Zukunft des Landes und des politischen Systems bestimmen. Haben am Referendum mehr als fünfzig Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen, so die polnische Verfassung, ist das Ergebnis für die amtierenden und künftigen Regierungen und Parlamente bindend.
Die Fragen lauten:
1. Unterstützen Sie den Ausverkauf von Staatsvermögen an ausländische Unternehmen, der zu einem Verlust der Kontrolle der Polinnen und Polen über strategische Wirtschaftsbereiche führt?
2. Unterstützen Sie eine Anhebung des Rentenalters, einschließlich der Wiedereinführung eines höheren Renteneintrittsalters von 67 Jahren für Frauen und Männer?
3. Unterstützen Sie die Beseitigung der Barriere an der Grenze zwischen der Republik Polen und der Republik Weißrussland?
4. Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika gemäß dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Zwangsumsiedlungsmechanismus?
Alle diese hochbrisanten Themen bilden die Hauptachse, um die sich die politische Auseinandersetzung in Polen dreht. Die Bürger sind aufgerufen zu entscheiden, wie sie es haben wollen.
Privatisierung. In den acht Jahren der Tusk-Regierung zwischen 2007 und 2015 wurden etwa 1.200 Staatsbetriebe und Banken verkauft, viele unter dubiosen Umständen. Der Gesamterlös von 57 Milliarden Zloty (ca. 13 Milliarden Euro) verflüchtigte sich in den laufenden Staatsausgaben. Die verbliebenen Staatsunternehmen, wie die Fluglinie LOT, der Kupfergigant KGHM, der Energiekonzern Orlen, die einzige noch bestehende größere polnische Bank PKO BP u. e. m. dümpelten vor sich hin und harrten der Privatisierung.
Heute erwirtschaften sie für den Staatshaushalt satte Gewinne (Orlen 2022 nach Steuern knapp 4,5 Milliarden Euro, KGHM gut 1 Milliarde Euro, PKO BP 750 Millionen Euro), expandieren im In- und Ausland, waren und sind in Zeiten der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges wichtige Instrumente des Staates zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen dieser beiden Heimsuchungen.
Die Donald-Tusk-Partei Bürgerplattform (BP) hat kein Programm für Polen vorgelegt und will es auch nicht tun. Sie setzt ausschließlich auf das Hochkochen von Emotionen: „Kaczyński hat Polen in eine Hölle auf Erden verwandelt! Kaczyński muss weg! Er gehört eingesperrt! Auch Ministerpräsident Morawiecki, seine Vorgängerin Frau Szydło, Staatspräsident Duda, Justizminister Ziobro und viele andere sollen sich auf Jahre hinter Gittern gefasst machen!” Und ansonsten? Nach dem Wahlsieg sehen wir weiter. Das muss als Programm genügen.
Offiziell hütet sich Tusk, zu eventuellen Privatisierungen etwas zu sagen, doch die Stimmen aus seinem Umfeld lassen keinen Zweifel daran aufkommen: Die großen Staatsunternehmen, aber auch alle Häfen, Flughäfen, die Eisenbahn muss man „dringend” „verkaufen”, „zerschlagen”, „privatisieren”.
Renten. Tusk verspricht, das Renteneintrittsalter, das die jetzt Regierenden wieder auf das alte Niveau von 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer gebracht haben, nicht zu erhöhen. Doch das hat er auch im Wahlkampf 2007 hoch und heilig versprochen. Nach seinem damaligen Wahlsieg erhöhte er es schlagartig auf 67 Jahre für beide Geschlechter. Für die Frauen war es ein Anstieg um sieben Jahre. Wird er es wieder tun?
Grenzbarriere. Als der weißrussische Diktator Lukaschenka ab Juli 2021 massenweise gut zahlende Migranten aus dem Mittleren Osten und Afrika in sein Land holte, um sie über die Grenze nach Polen zu treiben und das Land so zu destabilisieren, stimmte die Tusk-Partei im Sejm gegen den Bau des fünf Meter hohen elektronikgestützten Metallzauns entlang der Grenze. BP-Politiker, auch Tusk selbst, sprachen sich vehement gegen die Anlage aus, forderten ihren Abriss.
Zwangsverteilung von Migranten. Im Herbst 2015, während der großen „Wir schaffen das”-Migrantenkrise, als Tusk bereits nach Brüssel abgereist war, um EU-Ratspräsident zu werden, stimmte seine Nachfolgerin Ewa Kopacz der zwangsweisen Umverteilung von Migranten zu. Der Wahlsieg der Nationalkonservativen hat das verhindert. Tusk drohte daraufhin aus Brüssel seinem Land mit Sanktionen und finanziellen Strafen. Es ist davon auszugehen, dass er nach seinem eventuellen Wahlsieg diesem Dauermechanismus zustimmt.
Es sei denn, die Ergebnisse des Referendums hindern ihn daran.
Ein weiterer deutscher Vorwurf lautet: Die Volksbefragung verfolgt einen politischen Zweck. Gewiss, aber welches Referendum tut das nicht? Es heißt auch, es handelt sich um eine Manipulation. Doch was um alles in der Welt soll denn hier manipuliert werden? Schließlich steht es jedem frei, die Antwort zu geben, die er für richtig hält, oder gar keine.
Doch der waghalsigste Drahtseilakt, den deutsche Medien in diesem Fall vollbringen müssen, ist, dem Durchschnittsdeutschen, der selbst gerne eine Volksbefragung über die Einwanderung hätte, zu erklären, dass das Referendum in Polen ein demokratiefeindliches Vorhaben und das Nichtabhalten einer solchen Bürgerbefragung in Deutschland ein löblicher Akt der Demokratie ist.
RdP
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Migranten attackieren Polens katholische Gewissen
Nicht jeder ist ein Gast.
Wie sollen Katholiken mit den Geschehnissen an der polnischen Ostgrenze umgehen? Steht die Empfindsamkeit des Herzens der Vernunft des Handelns im Wege? Soll man jenen helfen, die sich den Eintritt in unser Haus mit Gewalt verschaffen? Wie kann man helfen, ohne die Gesetze zu brechen?
Auf diese und viele andere Fragen geht ein hoher katholischer Geistlicher ein, der sein seelsorgerisches Amt unmittelbar am Ort des Geschehens versieht.
Erzbischof Józef Jan Guzdek,
ist Jahrgang 1956 und Doktor der theologischen Wissenschaften. Er wurde 1981 zum Priester geweiht und empfing 2004 das bischöfliche Sakrament. Guzdek war Weihbischof der Erzdiözese Krakau und ist seit 2010 Militärbischof der polnischen Armee. In dieser Eigenschaft wurde er 2015 zum Brigadegeneral befördert. Im Juli 2021 ernannte ihn Papst Franziskus zum Erzbischof von Białystok.
Die östliche Grenze der Diözese Białystok stimmt auf einer Länge von etwa 200 Kilometern mit dem Verlauf der polnisch-weißrussischen Grenze überein. Guzdek soll nach dem Willen des Papstes das Amt als Militärbischof bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterbekleiden.
Kürzlich haben Sie in einer Ihrer Predigten gesagt, dass Migranten, die versuchen, unsere Ostgrenze zu überqueren, auf verantwortungsvolle Weise geholfen werden sollte. Welche Art von Hilfe haben Sie gemeint?
Ein Christ, der einen Menschen in Not sieht, sollte nicht nach dessen Herkunft, Wohnort oder Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft fragen. Gemäß dem Geist des Evangeliums ist er verpflichtet, ihn als Nächsten zu sehen, an dem man nicht einfach vorbeigehen darf und der versorgt werden muss.
Allerdings muss jeder karitativen Hilfe eine Abwägung vorausgehen, was der in Not geratene Mensch braucht: Eine einmalige, vorübergehende Unterstützung oder eine langfristig angelegte Hilfe? Außerdem ist es wichtig, solche Menschen, wo immer möglich, dazu anspornen, selbst zurechtzukommen.
In jüngster Zeit sehen wir, wie notwendig es ist, Flüchtlingen und Migranten zu helfen, die nach dem Überqueren der polnisch-weißrussischen Grenze in Wäldern kampieren und dort vor allem durch Erschöpfung, Unterernährung, niedrige Temperaturen und manchmal durch Krankheiten dem Tod ausgesetzt sind. Die Botschaft des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter besteht darin, die Empfindsamkeit des Herzens mit der Vernunft des Handelns, mit Sachverstand und einer gewissen Ordnung zu verbinden.
Deswegen ist es wichtig, an dieser Stelle den Rat des Apostels Paulus anzuführen: „Wer aber für seine Verwandten, besonders für die eigenen Hausgenossen, nicht sorgt, der verleugnet damit den Glauben und ist schlimmer als ein Ungläubiger“ (1. Timotheus 5,8). Einen ähnlichen Hinweis gab seinerzeit der Primas von Polen Stefan Kardinal Wyszyński (1901-1981 – Anm. RdP), der seit dem 12. September 2021 zum Kreis der Seligen gehört. Man solle zuerst an die „Pflichten gegenüber den Kindern der eigenen Nation“ denken und erst dann anderen Völkern helfen.
Viele Katholiken fragen sich, was sie in der gegenwärtigen Situation tun sollen. Die Grenze für Migranten öffnen oder sie schließen und niemanden hineinlassen? Und wenn doch jemand durchkommt, sollen wir ihm helfen oder die staatlichen Stellen informieren?
Migranten, die die Grenze illegal überquert haben, müssen unbedingt die notwendige Unterstützung erhalten: Lebensmittel, warme Kleidung, Gelegenheit zum Aufwärmen. Das darf jedoch nicht zu Rechtsverstößen führen, zum Beispiel zur Beförderung von Migranten ins Landesinnere oder in ein anderes Land. Migranten, die in unserem Land Schutz und Betreuung benötigen, müssen die für solche Fälle vorgesehene Rechtsordnung respektieren und entsprechende Verfahren durchlaufen. Es gibt Möglichkeiten, einen ordnungsgemäßen Asylantrag zu stellen.
Es ist nicht die Aufgabe eines barmherzigen Menschen, die Motive eines illegalen Migranten zu beurteilen. Ob es sich um einen Menschen handelt, der ein besseres Leben sucht, oder um jemanden, der Verbrechen begangen hat und vor der Justiz flieht. Jemand der hilft ist auch nicht in der Lage zu erkennen, ob der Ankömmling in mafiöse oder terroristische Aktivitäten verwickelt ist. Dafür sind entsprechende staatliche Stellen da. Sie müssen jeden überprüfen, der über die grüne Grenze gekommen ist.
Polen ist für seine Gastfreundschaft bekannt. Aber bezeichnen wir jemanden, der im Schutze der Dunkelheit oft unter Anwendung von brutaler Gewalt in unser Haus einbricht, als einen Gast? Jeder, der bei klarem Verstand ist, denkt darüber nach, wie er sein Haus sichern kann, damit ein Einbruch oder Überfall nicht vorkommt.
Allein in den letzten Jahren haben Hunderttausende von Ukrainern in Polen Zuflucht und Arbeit gefunden. Im letzten und in diesem Jahr kamen mehr als 30.000 Menschen aus Weißrussland. Sie sind mit offenem Herzen aufgenommen worden.
Doch verdienen diejenigen, die illegal und sogar gewaltsam in unser Land eindringen, dazu unsere Soldaten, Grenzschutzbeamten und Polizisten angreifen, einen gastfreundlichen Empfang? Emotionale Erpressung ist besonders unehrlich. Vor allem die Verwendung von Zitaten aus dem Evangelium durch radikale Aktivisten, die oft selbst Gewalt anwenden und nichts mit dem Dekalog, mit den Leitlinien des Evangeliums zu tun haben wollen.
Einige Migranten schaffen es über die Grenze und verstecken sich in den Wäldern. Sie haben oft nichts zu essen. Humanitäre Organisationen versuchen, ihnen zu helfen. Andererseits gibt es die Meinung, dass wir auf diese Weise andere dazu ermutigen, die Grenze zu überwinden. Wie stehen Sie zu dieser Frage?
Bei Treffen mit der Leitung der Caritas Polska und der Caritas der Erzdiözese Białystok haben wir betont, dass Hilfe nicht unter Verletzung der Gesetze geleistet werden darf.
Als Metropolit der Erzdiözese Białystok, die an der polnisch-weißrussischen Grenze liegt, kann ich reinen Herzens bezeugen, dass die Pfarrgemeinden, mit denen ich in ständigem Kontakt stehe, die Prüfung der christlichen Empfindsamkeit bestehen und den bedürftigen Migranten, wo sie nur können, helfen.
Meine Diözese sieht Migranten als Mitmenschen und eilt ihnen zu Hilfe. In den „Zelten der Hoffnung“ gibt es das Nötigste für erschöpfte, frierende und schwache Ankömmlinge. Jeder, der glaubt, eine solche Person treffen zu können, kann hier ein Hilfspaket bekommen. Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass die Migranten von sich aus an solche Orte kommen werden. Sie versuchen, die Grenzdörfer und -städte zu meiden und unbemerkt ihr Ziel zu erreichen, das in der Regel Deutschland ist.
Es liegt in seiner eigenen Verantwortung, wie sich der Bewohner eines Grenzgebiets verhält, wenn er auf Migranten trifft, und ob er die staatlichen Stellen informiert oder nicht. Es ist richtig, dass wir auch für die Sicherheit der Europäischen Union verantwortlich sind, der wir angehören. Ich bin überrascht über Aussagen wie: „Gib ihnen zu essen, gib ihnen zu trinken und lass sie dann ihren Weg gehen… nach Deutschland“. Sollen wir etwa die Sicherheit eines Nachbarlandes außer Acht lassen?
Sie haben sich mit Priestern von Kirchengemeinden im Grenzgebiet getroffen. Wie beurteilen sie die Situation? Wie ist die Stimmung unter den Menschen, die in der Nähe der Grenze leben?
Ich war in der Grenzregion und habe mehrere Berichte von Geistlichen erhalten, und ich möchte noch einmal betonen, dass mich die Haltung der Pfarrer und Gemeindemitglieder der Grenzdörfer ermutigt. Seit August dieses Jahres teilen sie das, was sie haben, mit Migranten in Not. Die Caritas Polska und die Erzdiözese Bialystok haben außerdem weitere Lebensmittel- und Kleidungslieferungen bereitgestellt, als dies notwendig war, um einer größeren Gruppe, die den Weg nach Polen gefunden hat, zu helfen. Darüber hinaus sollen die ständig vor Ort anwesenden Caritas-Vertreter den aktuellen Bedarf ermitteln.
Die Gemeindepfarrer erwähnten auch eine gewisse Angst unter Menschen, die abgeschieden leben. Sie berichteten davon, dass Lebensmittel aus Wohnungen entwendet und Autos aufgebrochen wurden. Sie betonten auch, dass sich die Einwohner inzwischen, dank der Anwesenheit von Soldaten und Beamten, sicher fühlen.
Sie sagten, Herr Erzbischof, dass viele Bewohner der Grenzgebiete Fragen zu den Motiven und dem Verhalten der Migranten , die an der polnisch-weißrussischen Grenze auftauchen, stellen.
Die jüngsten Ereignisse an der Grenze, bei denen sich nicht wenige Migranten aggressiv gegenüber Beamten und Soldaten verhielten, haben zur Polarisierung der Einstellung gegenüber diesen Menschen beigetragen. Viele fragen sich, ob es wirklich so ist, dass sie in die Europäische Union kommen wollen, um unter Wahrung der europäischen Kultur und Sitten zu leben und zu arbeiten.
Die Gläubigen wollen den Bedürftigen helfen. Gleichzeitig wird das Bild des armen, hilfsbedürftigen Migranten oft mit teuren Handys und Designerkleidung sowie aggressiven, wütenden Verhaltensweisen, die sie an den Tag legen, in Verbindung gebracht. Das dämpft den Eifer.
Auch die Absichten mancher Politiker, Promis und Aktivisten, die ihre Hilfsbereitschaft kundtun, wirken zweifelhaft. Es stellt sich die Frage, ob sie wirklich diejenigen unterstützen wollen, die Hilfe brauchen. Oder vielleicht benutzen diese Menschen sie nur dazu, um sich in den Medien darzustellen?
Sie trafen sich mit Soldaten, den Beamten des Grenzschutzes und der Polizei, die die Grenze bewachen und Angriffe von Migranten abwehren. Wie beurteilen Sie die Haltung, den Zustand und die Moral dieser Menschen?
Ich beobachte das Engagement und eine bewundernswerte Gelassenheit der Beamten und Soldaten. Sie müssen auf Gewalt mit Gewalt reagieren, aber sie tun es stets angemessen zur Bedrohung. In anderen Ländern hätten die Ordnungskräfte auf solche gewalttätigen Angriffe mit mehr Nachdruck reagiert.
Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass die Beamten, die die Grenze verteidigen, nicht aus Stahl sind. Die andauernde Anspannung erschöpft sie körperlich und geistig. Für manche sind die bösartigen Unterstellungen, die verächtlichen Äußerungen einiger Prominenter und Politiker, die abschätzigen Kommentare von Journalisten eine zusätzliche psychologische Belastung. Sie zielen darauf ab, die Moral der Soldaten und Offiziere zu schwächen.
Aktivisten, Promis und Oppositionspolitiker haben sie öffentlich mit SS-Bewachern von KZs, mit Wachleuten an der Berliner Mauer verglichen. Sie wurden von ihnen als „Abschaum“, „Müll“, „Hunderudel“, als „herz- und gehirnlose Maschinen“ bezeichnet.
Deshalb ist es so wichtig, den Menschen in Uniform Wohlwollen und Herzlichkeit entgegenzubringen.
Werden Soldaten, die an der Grenze zu Weißrussland Dienst tun, von Seelsorgern unterstützt?
Die Soldaten wurden von verschiedenen Einheiten aus dem Landesinneren, in denen Seelsorger Dienst tun, an die Grenze geschickt. Ihre Pfarrer besuchen sie vor Ort, sprechen mit ihnen und feiern, bei günstigen Umständen, mit ihnen die Heilige Messe. Da die Geistlichen die Soldaten und Beamten kennen und diese ihnen vertrauen, können sie deren Moral heben und sie psychisch aufbauen. Unter den Grenzschutzbeamten befindet sich auch ein Kaplan der Grenzschutzabteilung Podlachien, der in meiner Diözese dient. Mehrere Seelsorger bleiben über längere Zeit bei den Soldaten und Beamten an verschiedenen Orten, um sie geistig und psychologisch zu begleiten
Wie können wir den Soldaten und Beamten helfen, die unsere Grenze verteidigen?
Sie brauchen unser Wohlwollen, unsere moralische Unterstützung und vor allem unser Gebet. In den Garnisonkirchen werden beim gemeinsamen Gebet zwei Anrufungen hinzugefügt: eine für die Migranten und eine für die Soldaten und Beamten, die an der Ostgrenze Dienst tun.
Die Bewohner der Grenzregion bringen ihnen viel Dankbarkeit entgegen. Obwohl Soldaten und Beamte gut verpflegt werden, fällt es schwer, nicht gerührt zu sein, wenn ältere Menschen mit heißem Tee, Kaffee, Butterbroten und einem Stück Kuchen, aus den umliegenden Häusern zu ihnen zur Grenze kommen.
Ich hoffe, dass nicht nur die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage eine gute Gelegenheit sein werden, all jenen zu danken, die die Grenzen unseres Landes verteidigen.
Das Gespräch erschien im katholischen Wochenmagazin „Gość Niedzielny“ („Der Sonntagsgast“) vom 28.11.2021.
RdP
Migranten-Attacken. Widerstehen und gewinnen
Warum Polen so und nicht anders handelte.
Mitte November 2021 hat die Europäische Kommission Polen ein Angebot gemacht. Sie sei bereit, zwei Prozent der Kosten für die Sicherung der Grenze zu Weißrussland zu übernehmen, erwarte aber im Gegenzug, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex sich an den Asylverfahren für Migranten, die versuchen aus Weißrussland nach Polen zu gelangen, beteiligt. Polen lehnte das ab.
Zu groß war die Befürchtung, die Kontrolle über das Geschehen an der Grenze zu verlieren und zugleich einen weiteren Bestandteil staatlicher Souveränität an die EU abzutreten. Und das alles, wie aus Warschau zu vernehmen war, für 6,8 Millionen Euro. Soviel macht nämlich der Anteil der von der EU angebotenen Summe an den mit ca. 340 Millionen Euro veranschlagten Gesamtkosten des geplanten modernen, elektronisch vielfach gesicherten Grenzzauns zu Weißrussland aus.
Die polnische Ostgrenze ist auch die Ostgrenze der EU. Aber nach den Verträgen, die aus polnischer Sicht von der EU zunehmend verletzt und zuungunsten der Nationalstaaten überinterpretiert werden, sind die einzelnen Mitgliedsländer für den Schutz ihrer Grenzen verantwortlich. Das geht ganz klar aus den Artikeln 4 und 5 des Maastrichter Vertrages von 1992 und den Artikeln 3, 4 und 79 Abs. 5 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union von 2009 hervor.Es besteht also keine Verpflichtung, so die offizielle polnische Haltung, die Grenze einer EU-Überwachung zu unterziehen.
Die Einbindung von Frontex, der EU-Grenzschutzagentur und womöglich noch des EASO, des EU-Büros für Asylfragen, in die Asylverfahren an der weißrussischen Grenze, hätte, so die Befürchtung, fatale Folgen für Polen haben können.
Von den weißrussischen Grenztruppen herangefahren und ausgestattet, stürmten die Migranten bis Ende November 2021 die Grenze jede Nacht in 50 bis 200 Mann zählenden Trupps an zwei, manchmal drei voneinander entfernten Stellen. Zuerst bewarfen sie die polnischen Grenzpatrouillen mit Steinen und Holzteilen, dann wurde der Grenzzaun mit Stahlscheren zerschnitten. Darüber geworfene Holzstege sollen den Weg nach Polen bahnen, während weißrussische Uniformierte die polnischen Posten mit Laserstrahlen und extrem hellem Taschenlampenlicht zu blenden versuchen. Einige Dutzend Meter tief auf polnischem Gebiet gestellt, werden die Eindringlinge wieder an die Grenzlinie gebracht und müssen auf weißrussisches Territorium zurückweichen.
Gibt es unter ihnen Verwundete oder Kranke, wird für sie ärztliche Hilfe geholt. Wer nach dem Verarzten laufen kann, muss zurück nach Weißrussland. Ist eine Person schwer krank oder besteht der Verdacht auf eine schwere Erkrankung, erfolgt die Einweisung in ein polnisches Krankenhaus.
Bei den Verhören durch den polnischen Grenzschutz ergibt sich immer wieder dasselbe Bild. Es handelt sich zuallermeist nicht um Flüchtlinge, sondern um nicht schlecht situierte junge Leute, die in spezialisierten Reiseagenturen, für Tausende von Dollar, ein Pauschalpaket erstanden haben: Flug nach Minsk und mehrtägige Unterbringung im Hotel. Weitere Hunderte von Dollar bezahlen sie für Taxis, die sie an die Grenze bringen. Dort treibt sie der weißrussische Grenzschutz immer wieder zu den nächtlichen Attacken auf die polnischen Grenzsicherungsanlagen an. Lukaschenka hat sie geholt, er ist für ihr Wohlergehen verantwortlich, so die strikte Haltung Warschaus.
Die ausländischen Frontex-Beamten würden die Zurückweisungen dieser oft sehr gewalttätigen Flüchtlinge zu verhindern versuchen. Menschen, die eigentlich wegen Gewaltanwendung und Sachbeschädigung strafrechtlich belangt werden sollten, würden von Frontex und EASO dazu ermutigt Asyl in Polen zu beantragen. Keiner von diesen Beamten jedoch wäre für das weitere Schicksal der Asylbewerber verantwortlich. Gemäß dem Grundsatz, der besagt, dass ein Einwanderer keinen erneuten Asylantrag in einem anderen EU-Land stellen darf, müssten die Migranten in Polen bleiben. Ein Seitentor für eine Einwanderung, die Polen unbedingt unterbinden will, wäre damit sperrangelweit geöffnet.
Die vermeintlichen Asylanten, die angeblich Schutz in Polen suchen, wären zudem nicht im Geringsten daran interessiert in Polen zu bleiben. Das könnte zu weiteren Problemen, dieses Mal an der polnisch-deutschen Grenze führen. Aus Litauen, das etwa viertausend der Lukaschenka Import-Asylanten im Juli und August 2021 aufgenommen hat, sind inzwischen die meisten nach Deutschland geflohen.
Sollten die durch die Frontex-Asylverfahren nach Polen hereingelassenen Migranten ebenfalls in größerem Umfang nach Deutschland weiterziehen, wäre es nicht auszuschließen, dass Berlin das Schengen-Abkommen an der polnischen Westgrenze aussetzen würde. Also ist es aus der Sicht der Warschauer Behörden besser, an der derzeitigen Strategie einer klaren Abweisung von illegalen Grenzüberquerern festzuhalten und die Kontrolle über die weißrussische Grenze unter keinen Umständen aufzugeben.
Polen weiß sich zu helfen
Zudem ist Frontex, das seine Zentrale in Warschau hat, anders als von manchen Medien suggeriert, keine Supereinheit, die Kommandotruppen einsetzen könnte, die die Weißrussen zur Flucht nach Minsk und die Einwanderer zur Rückkehr nach Afghanistan, Syrien und in den Irak bewegen würde. Vielmehr handelt es sich um eine Agentur mit 1.300 Schreibtisch-Beamten, deren Hauptaufgabe darin besteht, die Grenzpolitik zu koordinieren, Informationen auszutauschen und zu analysieren, und in Notfällen Hilfe zu organisieren.
Übrigens hat sich Frontex-Chef Fabrice Leggeri am 4. Oktober 2021 vor Ort ein Bild von der Lage an der polnisch-weißrussischen Grenze gemacht.
„Fabrice Leggeri verschaffte sich einen Überblick über die Aktivitäten des Grenzschutzes und zeigte sich beeindruckt von den Maßnahmen, die zur angemessenen Sicherung der Grenze getroffen wurden. Er dankte Polen für die Zusammenarbeit mit Frontex seit Beginn der Krise, für den ständigen Informationsaustausch und die Bereitstellung von Angaben über die Situation am polnischen Abschnitt der EU-Außengrenze“, hieß es nach dem Besuch im offiziellen Kommuniqué.
Frontex verfügt über keine eigenen Grenzbeamten. Als Litauen, das sich als erstes Land der Invasion von Lukaschenka-Migranten stellen musste, im Sommer 2021 Hilfe anforderte, bat Frontex Polen darum, 50 Grenzschutzbeamte und Polizisten sowie einen Hubschrauber nach Litauen zu entsenden. Polen kam diesem Ersuchen nach. Polnische Grenzschutzbeamte versehen außerdem ihren Dienst bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung in Slowenien, Mazedonien und Süditalien.
Frontex könnte also nur andere Mitgliedsstaaten bitten, ihre eigenen Grenzbeamten zu schicken, um Polen zu helfen. Polen aber hat derzeit 16.000 eigene Grenzschutzbeamte, Polizisten und Soldaten an seiner gut 400 Kilometer langen Grenze zu Weißrussland stationiert und kann diese Zahl im Bedarfsfall erheblich erhöhen. Was könnten da einige Dutzend Beamte aus anderen EU-Ländern, die man unterbringen, verpflegen und durch Dolmetscher unterstützen müsste Weiteres ausrichten, außer zusehen und Polen daran hindern die Eindringlinge zurückzuschicken?
Politische Ziele im Schatten der Krise
Die Forderungen, Frontex soll an der polnisch-weißrussischen Grenze aktiv werden, waren jedoch nicht auf mangelndes Wissen zurückzuführen. Aus der Sicht der Warschauer Behörden war die Sache klar. Die der jetzigen polnischen Regierung feindlich gesinnten EU-Bürokraten, aber auch ähnlich eingestellte westliche Medien, Aktivisten und die „totale“, wie sie sich selbst nennt, Opposition in Polen selbst, wollten damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Zum einen sollte bewiesen werden, dass das Warschauer „Regime“ mit der Situation alleine nicht zurechtkommt und auf die Hilfe der EU zurückgreifen muss. Folglich sollte die Regierung sich auch in anderen Forderungen der EU beugen. Andererseits setzte die polnische „totale“ Opposition darauf, dass es dank Frontex und EASO möglich sein würde, die Lukaschenka-Migranten nach Polen hineinzulassen.
Der weißrussische Diktator würde schnell weitere Kontingente „anliefern“. Die „Vorräte“ im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika sind geradezu unerschöpflich. Und wenn man erst einigen Tausend Einlass gewährt hätte, dann gäbe es keinen Grund „unmenschlich“ zu sein und die Einreise von weiteren Zehn- und Hunderttausenden zu verwehren. Ein goldenes Geschäft für Lukaschenka.
Hinzu kämen Unmut und Chaos, die in Polen ausbrechen würden, so die offen zum Ausdruck gebrachte Hoffnung der polnischen „totalen“ Opposition. Dies könnte ihr endlich den Weg zur Macht freimachen. Wen wundert es, dass in Anbetracht solcher Aussichten die jetzigen polnischen Regierenden den einzigen Ausweg darin sahen, hart zu bleiben und nicht um einen Zentimeter Lukaschenkas Erpressung nachzugeben.
Mediale Inszenierungen, seriöser Journalismus hat das Nachsehen
Aus derselben Ecke kamen immer wieder die lautstarken Forderungen, dass die Medien an die Grenze zurückkehren sollen, um die „Wahrheit“ über die Vorgänge dort herauszufinden. Drei Monate lang, vom 2. September 2021 an, war ein drei Kilometer breiter Streifen auf der polnischen Seite der Grenze eine für Fremde unzugängliche Sperrzone, wo das Ausnahmerecht galt.
Seit Anfang Dezember 2021 gelten, da das Ausnahmerecht nicht mehr verlängert werden konnte, dort besondere, geordnete Zugangsregeln für die Medien. Im Dorf Popławce unweit der Achtzehntausend-Einwohner-Kreisstadt Sokółka, im nördlichen Abschnitt der polnisch-weißrussischen Grenze, hat der polnische Grenzschutz ein Pressezentrum eingerichtet. Journalisten müssen sich dort akkreditieren, werden über die Gefahren belehrt und können sich in der drei Kilometer breiten Zone nur in Begleitung eines Grenzschutzbeamten bewegen, wie es in fast allen Frontgebieten der Welt üblich ist.
Die Errichtung der Sperrzone war nach mehreren Wochen unguter Erfahrungen mit Medien und sogenannten Aktivisten erfolgt. Letztere behinderten massiv die Arbeit des Grenzschutzes und scheuten sich nicht, die gerade errichteten Grenzsicherungsanlagen zu zerstören. Immer wieder versuchten sie die Grenzlinie zu durchbrechen, um die auf weißrussischem Territorium kampierenden Migranten, für die Lukaschenka zuständig war, zu versorgen. Angesichts der angespannten Lage und der massiven bewaffneten Präsenz von Sicherheitskräften auf beiden Seiten, hätten solche Aktivisten-Aktionen schnell zu schweren Zwischenfällen führen können.
Nebenbei bemerkt haben polnische Behörden drei Mal Hilfskonvois mit Verpflegung, Decken, Medikamenten für die Migranten losgeschickt. Alle wurden an weißrussischen Grenzübergängen abgewiesen.
Die meisten Aktivisten-Auftritte an der Grenze waren medienwirksam inszeniert. Es ging darum künstlich Fakten zu schaffen, Emotionen zu schüren, die Abwehrmaßnahmen ausschließlich in ein schlechtes Licht zu rücken, Grenzschutzbeamte, Polizisten, Soldaten psychisch zu zermürben, kurzum dem Warschauer „Regime“ so viele Ohrfeigen wie möglich zu verpassen. An eine ausgewogene Berichterstattung war nicht zu denken.
Es wäre anders, wenn die meisten Medien in Polen, aber auch im Ausland, sich nicht so sehr von der Logik der „totalen“ Kriegsführung gegen die ungeliebte Regierung in Warschau leiten ließen. Ihre uneingeschränkte Anwesenheit an einer Grenze, die zur Front eines hybriden Krieges geworden ist, musste, wie es unter Kriegsbedingungen üblich ist, eingeschränkt werden.
Wenn einige Medien ihre eigene Regierung als den Hauptfeind betrachten, so offizielle Stellen in Warschau, unterstützen sie zwangsläufig, wenn auch nicht unbedingt absichtlich, den weißrussischen Diktator und seinen Gönner im Kreml in ihrem Kampf gegen Polen. Lukaschenka wusste das geschickt zu nutzen. Seriöser Journalismus hatte unter diesen Umständen leider das Nachsehen.
Was die Spanier dürfen, dürfen die Polen nicht
Die Europäische Kommission wollte Frontex nutzen, um ihre Befugnisse zu erweitern. Diesmal ging es um die Grenzen der Mitgliedsstaaten und ihre Asylpolitik. Sollte das gelingen, würde Polen, so die Befürchtungen in Warschau, wahrscheinlich bald von Einwanderern via Weißrussland überschwemmt werden, aus denen die reicheren Länder mittels der Umverteilung diejenigen aussieben würden, die ihre Arbeitsmärkte brauchen könnten.
Die zurückbleibende Mehrheit würde sich in Lagern auf polnischem Gebiet aufhalten und ständig versuchen, aus diesen zu entkommen. Die Verantwortung für ihre Flucht trüge Polen und müsste die Migranten nach einer Abschiebung aus Deutschland erneut aufnehmen. Mit welcher Begründung sollten polnische Behörden jemanden mit Gewalt im Land festhalten? Das ist nicht bekannt.
Auf diese Weise hätte die Europäische Union Polen so etwas wie die 2015 geplante und glücklicherweise blockierte Umverteilung von Migranten beschert. Damals ging es darum, dass Polen und die anderen Länder Ostmitteleuropas einen Teil von den Hunderttausenden Afghanen, Arabern, Kurden und Afrikanern, die Deutschland zu sich eingeladen hatte und die ausschließlich nach Deutschland wollten, übernehmen sollten.
Der Verdacht hinsichtlich der Absichten der Europäischen Kommission ist insofern berechtigt, weil EU-Institutionen, wie man mehr als einmal gesehen hat, unterschiedliche Standards für verschiedene Länder anwenden. Dies gilt auch für Fragen der Pushbacks, d. h. der Zurückdrängung von illegalen Einwanderern, die die Grenze überschritten haben.
Es ist allgemein anerkannt, dass einem Einwanderer, der illegal in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Union eingereist ist, Asyl gewährt werden sollte, wenn er darum bittet. Das Problem ist, dass die Lukaschenka-Einwanderer, die Polens Grenzen im Osten stürmen, dort nicht um Asyl bitten, weil sie das in ihrem Wunschland Deutschland, Frankreich oder Schweden beantragen wollen. Deswegen werden sie von polnischen Beamten zurückgeschickt.
Die EU wollte jedoch ursprünglich, dass sie nicht zurückgeschickt, sondern in Polen aufgenommen werden, und hierbei wäre die Anwesenheit von Frontex eine wirksame Hilfe. Warschau hielt dagegen, dass dieselbe EU keine Skrupel hatte, als afrikanische Eindringlinge die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla an der marokkanischen Küste stürmten. Dort war das Zurückdrängen erlaubt. Aber Spanien wird schließlich von der Linken regiert, der die EU-Kommission sehr wohlgesonnen ist, so die offiziellen Kommentare in Warschau.
Über polnische Köpfe hinweg
Die Versuche von Frau Merkel und Präsident Macron über polnische Köpfe hinweg mit Lukaschenka und Putin zu verhandeln, waren, aus Warschauer Sicht nur ein weiterer Beleg dafür, dass die Spitzenpolitiker der EU Polen und die anderen Länder der Region nicht wie gleichwertige Partner behandeln. Nur zu gerne, und das zur Freude der polnischen „totalen“ Opposition, würden sie auch die Sicherheits- und Ausländerpolitik Polens und des Baltikums in ihre Hände nehmen.
Lukaschenka, der seit den gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 9. August 2020 vom Westen boykottiert wird, hat nur auf eine solche Gelegenheit gewartet. Unmittelbar nach seinem Gespräch mit Frau Merkel nahm der Druck auf die polnische Grenze weiter zu. Migranten wurden von weißrussischen Beamten angestachelt einen Angriff auf den polnischen Grenzübergang in Kuźnica zu unternehmen. Zur Verteidigung setzten die Polen Wasserwerfer ein. Neun polnische Polizisten wurden verletzt, einer von ihnen erlitt einen Schädelbruch.
Das war nicht die Art von Unterstützung oder Internationalisierung des Konflikts, die sich das offizielle Polen wünschte. Diese Herangehensweise hatte ihren Ursprung in der von den Medien und linken Politikern immer wieder vorgebrachten Behauptung, an der polnisch-weißrussischen Grenze handele es sich um eine „humanitäre Krise“. In Wirklichkeit war es von Anfang an eine handfeste internationale politische Krise in Form eines gegen Polen zynisch geführten hybriden Angriffskrieges.
Deswegen startete Warschau eine diplomatische Blitzoffensive. Vom 21. November 2021 an besuchte Regierungschef Mateusz Morawiecki innerhalb einer Woche, zu Spitzengesprächen, Tallinn, Riga, Vilnius, Budapest (Treffen mit den Visegrád-Ministerpräsidenten Ungarns, Tschechiens und der Slowakei), Zagreb, Paris, Ljubljana, Berlin und London. Staatspräsident Andrzej Duda traf sich in dieser Zeit mit den Staatspräsidenten Deutschlands, der Ukraine und mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Es gelang eine Wende herbeizuführen. Überall, sogar in Berlin aus dem Munde von Frau Merkel, flossen Worte der Unterstützung und Solidarität mit der polnischen Haltung und der Ablehnung für Lukaschenkas Vorgehen. Eine EU-Einheitsfront entstand, aus der, wie es scheint, keiner so leicht ausbrechen kann und will. Selbst Deutschland hat es abgelehnt die Lukaschenka-Migranten aufzunehmen. Die etwas späte Einsicht in die Notwendigkeit der Erpressung zu widerstehen hat sich auf polnisches Betreiben hin durchgesetzt. Für wie lange?
Das Wichtigste aus Polen 8. August bis 18. September 2021
Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Ausnahmezustand, Stacheldrahtzaun, Armeeverstärkung. Migranteninvasion an der weißrussisch-polnischen Grenze – Lukaschenkas Kampfansage an Polen und seine polnischen Verbündeten ♦ Justizreform stoppen, Mediengesetz nicht verabschieden, Homo-Ehen einführen, Anfrage des Ministerpräsidenten an das Verfassungsgericht zurücknehmen – die EU fordert und droht ♦ Was brachten die 16 Angela-Merkel-Bundeskanzlerjahre Polen? Eine kritische Bilanz.
Tschetschenien. Polens erkaltete Liebe
Ein Mythos und sein Ende.
Am 18. Oktober 2020 erstach und enthauptete ein 18-jähriger Tschetschene den Lehrer Samuel Paty unweit von Paris auf offener Straße. Die Polizei erschoss den Täter. Sein Name: Abdullach Nawzorow . Er war drei Jahre alt, als seine Familie in Polen den Asylantrag stellte. Sie wurde abgewiesen.
Die Familie Nawzorow kam im August 2005 nach Polen. Die Behörden schenkten den Schilderungen des Familienvaters keinen Glauben. Er soll den antirussischen Partisanen geholfen haben, dafür dann von uniformierten Männern entführt und einige Tage lang misshandelt worden sein. Als den Nawzorows das Asyl verweigert worden war, fuhren sie nach Russland zurück und versuchten es zwei Jahre später in Frankreich. Mit Erfolg. Dreizehn Jahre danach ereignete sich die Tragödie.
Diese Geschichte, breit kolportiert von den Medien in Polen, dürfte einen Großteil der polnischen Öffentlichkeit wieder einmal darin bestärkt haben, es sei richtig, islamische Migranten möglichst nicht ins Land zu lassen und ihnen, wenn nötig, lieber vor Ort zu helfen. So mancher wird sich dabei auch mit Unbehagen an Zeiten erinnert haben, als in Polen ausgerechnet den Tschetschenen Tür und Tor offen standen, und ihnen eine Woge der Sympathie entgegenschlug. Knapp 95.000 von ihnen hat das Land seit Anfang der neunziger Jahre aufgenommen.
Hätte Abdullach Nawzorow auch in Polen seine Tat begangen? Terrorismus-Expertin Prof. Aleksandra Gasztold von der Warschauer Universität hält das für möglich. Der Auslöser, sagte sie dem Wochenmagazin „Sieci“ („Netzwerk“), müssten nicht Mohammed-Karikaturen sein, die der Lehrer Paty im Unterricht gezeigt hatte. In Polen finden diese keine Beachtung. Seinen Zorn hätte stattdessen z. B. ebenso einer der nicht selten erheblich manipulierten Dokumentarfilme auf Youtube über geheime CIA-Gefängnisse in Polen wecken können.
Um terroristische Anschläge zu verüben, sind gewisse psychische Voraussetzungen notwendig. Die meisten radikalen Islamisten leben ihre Frustrationen und ihren Zorn im Internet aus und gehen nie darüber hinaus. Beim jungen Nawzorow nahm der Drang zur Tat überhand. Er ähnelte einer tickenden psychischen Zeitbombe, die letztendlich explodierte. So etwas kann überall passieren, meinte Prof. Gasztold.
Dr. Daniel Boćkowski von der Universität Białystok dagegen, einer der besten Kenner der tschetschenischen Gemeinde hierzulande, sagte in „Sieci“, dass der Jugendliche keine Gelegenheit gehabt hätte sein Attentat in Polen zu verüben. Schlicht und einfach deshalb, weil seine Familie, wie so viele andere, über kurz oder lang das Land ohnehin in Richtung Westeuropa verlassen hätte.
Wie wir heute wissen, fühlte sich die radikalisierte Familie Nawzorow wohl in Frankreich, in dem extrem islamistischen Milieu der Salafisten, das sie umgab. Abdullachs Großeltern, sein Vater und sein Bruder sind nach dem Mord schnell ins Fadenkreuz der französischen Polizei geraten. Auch ein Nachbar, der im Internet dazu aufgerufen hatte den Lehrer Paty zu „bestrafen“. Ebenso muslimische Schüler, die dem Attentäter Paty gezeigt haben sollen. Solche Parallelwelten gibt es in Polen nicht.
Die polnische Drehtür
Um zu verhindern, dass sie entstehen können, weigert sich die polnische Grenzpolizei seit einigen Jahren Asylanträge von Tschetschenen an der polnisch-weißrussischen Grenze entgegenzunehmen. Bis Corona ausbrach, kampierten Dutzende tschetschenische Familien wochenlang auf dem Bahnhof und in den umliegenden Billighotels im weißrussischen Brest. Jeden Morgen nahmen sie den Zug nach Polen und wurden an der polnischen Grenzstation Terespol als Wirtschaftsflüchtlinge zurückgeschickt. Nur ab und an durften einige wenige den Asylantrag stellen.
Im Juli 2020 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Polen deswegen zur Zahlung von jeweils 34.000 Euro an zwei tschetschenische Familien und einen Mann. Sie wurden zwischen 2016 und 2017 regelmäßig in Terespol abgewiesen. Das Land sei preiswert davongekommen, so der Tenor der Internet-Kommentare damals. Schließlich gehe es darum, potentielle Gefährder nicht ins Land zu lassen, da seien gut 100.000 Euro kein Geld.
Es heißt, solche Praktiken wie in Terespol widersprechen den geltenden internationalen Regelungen. Ein Asylantrag muss, von jedem der sich verfolgt fühlt, im ersten sicheren Staat entgegengenommen werden und wer ihn stellt, muss Aufnahme finden solange sein Ersuchen geprüft wird. Das dauert in Polen mindestens ein Jahr.
Leider widerspricht das Verhalten der allermeisten aufgenommenen Tschetschenen stark den geltenden Regelungen. Ohne auch nur den Beginn des Asylverfahrens abzuwarten, machen sie sich fast ausnahmslos auf und davon, vorzugsweise nach Deutschland, Frankreich, Belgien und Schweden. Dort leben ihre Verwandten aus dem Familienclan. Dort haben ihre Landsleute islamisch-tschetschenische Netzwerke geschaffen, die sich in Parallelwelten verwandeln. Ausnahmsweise einmal aufgegriffen und im Polizeikonvoi nach Polen überstellt, flüchten sie erneut. Drehtüreffekt nennt man das.
Der polnische Vertreter bei der Verhandlung in Straßburg hat diese Argumente vorgebracht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sie nicht berücksichtigt.
In Deutschland, wo inzwischen schätzungsweise 12.000 Tschetschenen leben, sind Berichte wie der vom Mai 2019 im „Spiegel“ fast schon an der Tagesordnung: „BKA warnt vor Tschetschenen-Mafia. Banden aus Tschetschenien sind in Deutschland auf dem Vormarsch – zu dieser Einschätzung kommt das Bundeskriminalamt in einer vertraulichen Analyse.“
„Brutal, vernetzt, abgeschottet. Bedrohung durch Kriminelle aus dem Kaukasus“, so der Titel eines ZDF-Berichtes im September 2019.
„Schutzgeld-Mafia: Lange Haftstrafen für Tschetschenen“ titelte im Januar 2020 die „Sächsische Zeitung“. Ähnliche Schlagzeilen aus deutschen Medien findet man im Internet zuhauf.
In Polen nicht heimisch geworden
In Polen haben zwischen 2003 und 2019 knapp 95.000 Tschetschenen um Asyl nachgesucht. Etwa 71.000 Verfahren wurden eingestellt, weil die Antragsteller nach Westeuropa ausgereist waren. Etwa 18.000 Fälle wurden negativ beschieden, woraufhin die Betroffenen Polen Hals über Kopf ebenfalls in Richtung Westen verlassen haben. Dasselbe taten die meisten der gut 6.000 Tschetschenen, denen in Polen Asyl gewährt wurde. Heute leben in Polen etwa 2.500 Tschetschenen mit Asyl oder Duldung. Hinzu kommen ca. 1.000, deren Verfahren noch laufen.
Doch ob in Polen oder in Deutschland, sie gelten den Behörden als eine besonders schwierige Gruppe und die tschetschenischen Männer als besonders gewaltbereit, weil sie schnell zum Messer greifen, ihre Frauen oder Kinder verprügeln. Der Hang zur Gewalt hat mit der Kriegermentalität, dem Ehrenkodex und dem ausgeprägten Männlichkeitskult der kaukasischen Bergbewohner zu tun. Zudem bleiben die Clan-Strukturen, in denen sie sich seit Jahrhunderten in ihrer Heimat organisieren, auch außerhalb der Heimat erhalten. In ihnen spielt sich das Leben der Tschetschenen auch in der Fremde ab.
So kommt es, dass, anders als die Vietnamesen, Weißrussen oder Ukrainer, sich die Tschetschenen in Polen nicht integrieren. Auch nach zehn und mehr Jahren Aufenthalt sprechen sie kein Polnisch, leben vom Geld, das ihnen Clan-Mitglieder aus Westeuropa schicken.
Als das Arbeitsamt in Łomża, in Nordostpolen, wo die meisten Tschetschenen in zwei Einrichtungen untergebracht sind, 2017 für achtzig von ihnen einen Lehrgang organisierte, nahm im Anschluss nur ein Teilnehmer eine reguläre Arbeit auf. Nicht anders war es im Jahr darauf.
„Als Einzelpersonen fallen sie nicht auf, sind zurückhaltend und höflich. Es genügt aber, dass sie zwei, drei Landsleute treffen, gleich werden sie laut, herausfordernd, streitsuchend, belästigen vorbeigehende Frauen. Obwohl Moslems, trinken sie so, wie man in Russland, von wo sie kommen, üblicherweise trinkt: viel und gerne, und dann wird es richtig gefährlich.“ In Łomża und Umgebung bekommt man das oft zu hören.
Raubüberfälle, Körperverletzung, Diebstahl, räuberische Erpressung, selten ein Mord. Wegen dieser Straftaten geraten Tschetschenen immer wieder in Polen hinter Gitter. Haben sie die Hälfte oder zwei Drittel der Strafe verbüßt, werden sie des Landes verwiesen, ohne Recht auf Rückkehr. Das rigide Vorgehen der Grenzpolizei an der weißrussischen Grenze und die Abwanderung der Tschetschenen in den Westen Europas, ersparte Polen das Entstehen von extrem gewalttätigen „Banden aus Tschetschenien“, vor denen das deutsche Bundeskriminalamt so eindringlich warnt.
Auch in Polen muss der Staatsschutz ein waches Auge auf die Tschetschenen haben. Mancher junge Asylant sucht den Kontakt zum Islamischen Staat, will als Kämpfer nach Syrien oder Afghanistan reisen. Es wird immer wieder mal Geld für den „heiligen Krieg“ gesammelt. Bis jetzt gelingt es solche Betätigungen im Ansatz zu unterbinden, aber Nachrichten darüber ruinieren den Ruf der Ankömmlinge zunehmend.
Dabei sind die Tschetschenen mit ihrem Ansehensverlust wahrlich von einem hohen Sockel gestürzt.
„Polen und der Kaukasus. Russlands offene Wunden“
In Polen, das selbst, unter den Zaren und unter den sowjetischen Kommunisten, knapp drei Jahrhunderte lang die brutale russische Vorherrschaft erleiden musste, wurde der tschetschenische Freiheitskampf Anfang der neunziger Jahre, kurz nach dem Zerfall des Ostblocks, mit großer Sympathie bedacht. Sie war so stark, weil zugleich ein Mythos wiedererwachte, der seit zweihundert Jahren immer wieder aufs Neue in Polen die Herzen höher schlagen ließ: Die Überlieferung von der polnisch-tschetschenischen, bzw. polnisch-kaukasischen Schicksalsgemeinschaft.
Anfang des 19. Jahrhunderts hatte Russland zur endgültigen Eroberung des Kaukasus angesetzt. Sie verschlang knapp ein halbes Jahrhundert (1817 bis 1864), so erbittert war der Widerstand der Tschetschenen, Inguschen. Karatschaier, Mescheten und der anderen Kaukasus-Völker.
Ende Mai 1851 kam der junge Fähnrich Leo Tolstoi (1828-1910) dorthin. Bis Januar 1854 kämpfte er gegen die Einheimischen in einer Artilleriebrigade. Tolstoi verarbeitete seine Beobachtungen und Erfahrungen in den Kaukasus-Erzählungen. Mit ihnen begann sein Schriftstellerruhm.
In der Novelle „Hadschi Murat“ legt Tolstoi dem russischen Generalgouverneur der baltischen Provinzen, Baron Wilhelm Lieven, eine Aussage in den Mund, die im damaligen Russland eine weit verbreitete Überzeugung wiedergab. An der Tafel des Zaren Nikolaus I. (1796-1855) sagt Lieven zum preußischen Gesandten: „Polen und der Kaukasus, das sind die beiden offenen Wunden Russlands. Wir brauchen jeweils etwa einhunderttausend Mann in diesen beiden Gegenden“.
An den zwei entgegengesetzten Rändern des russischen Imperiums brachen nämlich regelmäßig nationale Aufstände aus. Russische Truppen, die sie bekämpften, hatten nicht selten dieselben Kommandeure. Dazu gehörte Iwan Paskewitsch (1782-1856), einer der fähigsten und grausamsten russischen Heerführer im 19. Jahrhundert.
Der Feldmarschall unterwarf zwischen 1826 und 1830 nacheinander die Reste von Aserbaidschan und Armenien, und die Bergvölker Dagestans. Zar Nikolaus I. beorderte Paskewitsch im Frühjahr 1831 direkt aus dem Kaukasus nach Polen, zur Niederwerfung des Ende November 1830 ausgebrochenen großen nationalen Aufstandes.
Wie im Kaukasus säumten Hunderte von Galgen den Weg seiner Truppen, dazu Leichen von Opfern der Erschießungskommandos, Kolonnen in Ketten gelegter Aufständischer, die von berittenen Kosaken zu Fuß nach Sibirien getrieben wurden. Niedergebrannte Dörfer aber auch zerstörte katholische Kirchen und Klöster, da sie die lokalen geistigen Hochburgen des Widerstandes waren.
Im Zuge der Expansionspolitik des Zarenreiches entzückte und beflügelte der Kaukasus mit seiner atemberaubenden Bergwelt und den dort seit alters her ansässigen Völkern mit unterschiedlichen Religionen, Sitten und Gebräuchen die Fantasie der größten Größen der russischen Literatur und Dichtung. Für die Romantiker Alexander Puschkin, Alexander Bestuschew, Michail Lermontow war der vielgestaltige Kaukasus ein mit Mythen gesättigter Ort romantischer Sehnsucht, orientalischer Fantasien, eine majestätische, „imperiale Landschaft“, die nur des Zarenreiches würdig sei. Dort fanden auch die Kriegsteilnehmer Bestuschew (1837) und Lermontow (1841) den Tod.
Beim Knechten verheizt
Tolstois Erzählungen vom Kaukasuskrieg dagegen sind schonungslose Schilderungen von Heldenmut, Fanatismus, Rohheit, Gräuel und Verrat. In diese Hölle schickte das Zarenregime immer wieder Tausende von Polen. Der Freiheit beraubt und in russische Uniformen gesteckt, wurden sie beim Knechten der kaukasischen Bergvölker verheizt.
„Gibt es eine polnische Familie, die niemanden im Kaukasus hätte?“, fragte rein rhetorisch Hipolit Jaworski in seinen 1877 erschienenen „Erinnerungen aus dem Kaukasus“. Im 19. Jahrhundert waren solche Familien im russischen Teilungsgebiet Polens eine Seltenheit. Jaworski, Kämpfer im polnischen Nationalaufstand von 1830, bezahlte für sein patriotisches Engagement mit zwölf Jahren Zwangsdienst im Kaukasus.
Den Anfang aber machten einige Tausend gefangen genommene Teilnehmer der nationalen Erhebung von 1794. Es war ein verzweifelter Versuch die dritte Teilung Polens, die 1795 stattfand, und das Verschwinden des Landes von der Europa-Karte doch noch abzuwenden.
Auf russische Einheiten verteilt, gingen die Polen in Nordossetien und Nordtschetschenien nach und nach zugrunde. Kälte, Krankheiten und die Hinterhalte der Partisanen des Scheichs Mansur Uschurma und seiner Nachfolger rissen sie reihenweise aus dem Leben.
Ihnen folgten ab 1816 etwa 12.000 gefangene polnische Soldaten der Armeen Napoleons. Es waren die ersten Jahre des fast ein halbes Jahrhundert währenden Kaukasuskrieges. In den unzugänglichen Bergen, befeuert von radikalen Imamen, leisteten die Tschetschenen und zahlreiche Bergvölker Dagestans erbitterten Widerstand.
Wochenlange Märsche im rauen Hochgebirgsklima, durch schneebedeckte Gebirgszüge und über schwindelerregende Pässe, zermürbten die russischen Truppen. Ihre Kriegsführung wurde immer rücksichtsloser und grausamer. Ausrottung sollte dem Widerstand den Boden entziehen. Die ansässige Bevölkerung zahlte es den Angreifern mit gleicher Münze heim.
Danach kamen die besiegten Kämpfer der beiden großen polnischen Aufstände gegen die russische Herrschaft von 1830 und 1861 in den Kaukasus. Außerdem zogen die Russen seit 1835 in ihrem polnischen Teilungsgebiet Jahr für Jahr, mittels brutaler Razzien („Branka“), Rekruten ein. Wer ihnen in Fänge geriet, verschwand für 25 Jahre hinter russischen Kasernentoren. Nicht selten im Kaukasus.
Der französische Konsul in der georgischen Hauptstadt Tiflis schätzte 1840 den Anteil der Polen im russischen Kaukasus-Heer, das zeitweise gut 200.000 Mann zählte, auf 16 bis 19 Prozent. In diesem Bereich schwankte die polnische Quote bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts, als es den Russen gelang den Kaukasus vollends zu erobern.
Deserteure, Sklaven, Mitkämpfer
Auf Schritt und Tritt überwacht, oft drangsaliert, fielen die Polen zudem, genauso wie ihre russischen Kameraden, dem weit verbreiteten Hang der zaristischen Generäle zum Opfer, ihre Untergebenen in aussichtslosen Attacken und Verfolgungsmärschen sinnlos dem Tod preiszugeben.
Wie viele Polen in russischer Uniform in ihrer Verzweiflung zu den Kaukasiern übergelaufen sind oder sich von ihnen gefangen nehmen ließen, lässt sich im Nachhinein nicht feststellen. Sicher ist, dass sie ein ungewisses Schicksal erwartete.
Manchen gelang im Anschluss die Flucht nach Persien oder in die Türkei. Wegen ihres Dauerkonfliktes mit Russland begegneten die Türken den polnischen Freiheitsbestrebungen stets mit Wohlwollen. Die Türkei war jahrzehntelang Zufluchtsort Tausender polnischer Verfolgter des Zarenregimes. In Istanbul starb im November 1855 der polnische Nationaldichter Adam Mickiewicz als er dabei war eine polnische Legion, die gegen die Russen kämpfen sollte, mit aufzustellen.
Im Februar 1857 kehrten etwa achtzig polnische Deserteure aus der Zaren-Armee unter der Führung des zum Islam übergetretenen Artillerie-Obristen Teofil Łapiński (Tefik Bey) aus der Türkei in den Kaukasus zurück. Bis zur Kapitulation des Widerstandführers Imam Schamil 1859 zogen sie zwei Jahre lang an seiner Seite ins Feld gegen die Russen.
Die zweite polnische Expedition aus der Türkei stand unter dem Kommando von Hauptmann Klemens Przewłocki (fonetisch Pschewuotski), auch er war als Klementi Bey zum Islam konvertiert. Als sie im August 1863 im Kaukasus auftauchten, begann der Widerstand zu erlöschen. Nach schweren Kämpfen, teilweise von den Russen aufgerieben, traten die Überlebenden im April 1864 den mühsamen Weg zurück in die Türkei an.
Schafften sie es nicht in die Türkei, gerieten viele polnische Deserteure aus der russischen Armee oft vom Regen in die Traufe. Manche Clanführer der Tscherkessen und Tschetschenen behandelten sie, vor allem am Anfang des 19. Jahrhunderts, wie Arbeitssklaven. Wer von den Geflüchteten in den entlegenen Bergdörfern überleben wollte, war gut beraten zum Islam überzutreten. Die Sitten dort waren streng, das Leben karg und eintönig, die Angst an die Russen ausgeliefert zu werden ein ständiger Begleiter.
Das konnte durchaus passieren, denn die Clans und Stämme kämpften zwar gegen die Eroberer, aber immer wieder kam es auch zu Auseinandersetzungen untereinander. Während solcher unerbittlichen Fehden stellte sich dann nicht selten die eine Konfliktpartei in ihrem blinden Hass auf den gegnerischen Clan auf die Seite der Russen. Blutrache, Verrat, Betrug, das Ausspielen der Clans gegeneinander, die Geschichte der russischen Kaukasuseroberung ist reich an solch düsteren Vorkommnissen.
Entsetzlich war das Schicksal der polnischen Deserteure, wenn sie unter diesen Umständen in die Hände der Russen gerieten. Vielfach zu Hunderten von Stockhieben verurteilt, starben sie einen grausamen Tod.
Erst als es Imam Schamil (1797-1871), einem charismatischen religiösen und politischen Führer gelang den Widerstand der Bergvölker Dagestans und Tschetscheniens zu vereinigen, begann auch eine bessere Zeit für die Überläufer.
Nach einigen schweren Niederlagen begann Schamil um 1840 mit dem Aufbau eines mehr oder weniger geordneten Staates, um dem Widerstand eine solidere Grundlage zu geben. Dazu schuf er eine dreistufige Hierarchie von Dorfvorstehern, Gebietschefs und schließlich seiner eigenen Zentralregierung. Der Staat erhielt ein stehendes Heer, Postwesen, Steuerverwaltung und ein eigenes islamisches Gerichtswesen. Polnische Deserteure konnten nun ihr Können als Artilleristen, Pioniere, Kartografen oder Feldschere unter Beweis stellen.
Knapp zwanzig Jahre lang, in denen er der russischen Armee einige vernichtende Niederlagen zufügte, konnte Schamil sich halten. Etwa einhundertfünfzig Polen sollen ihm während dieser zwei Jahrzehnte beigestanden haben. Als er sich schließlich 1859 ergab, gingen noch etwa fünf Jahre ins Land bis die Russen den Kaukasus endlich ihr eigen nennen konnten.
Jetzt konnten sie einen Großteil ihrer Truppen nach und nach abziehen, damit verkleinerte sich allmählich auch die Zahl der Polen im Kaukasus. Zudem reduzierten sechs Teilamnestien zwischen 1866 und 1883 die Verbannungsstrafen für verschiedene Gruppen polnischer Deportierter im Kaukasus und in Sibirien oder hoben sie ganz auf.
Geologen, Ingenieure, Architekten
Der Krieg war zu Ende. Russland begann den Kaukasus zu erschließen und verkehrstechnisch an das übrige Reich anzubinden. Jetzt schlug die Stunde der Landvermesser, Geologen, Kartografen, Ingenieure, Architekten, Bauplaner. Erneut waren unter ihnen die Polen überdurchschnittlich oft vertreten und wieder einmal hatte das mit der Situation im russischen Teilungsgebiet Polens zu tun.
Seit der Niederschlagung des großen nationalen Aufstandes von 1830 weigerten sich russische Behörden nämlich in ihrem Teil Polens die Gründung einer Technischen Hochschule zuzulassen. Im Rahmen derselben Vergeltungsmaßnahmen wurde 1831 die polnische Warschauer Universität geschlossen. Hochschulen galten den Russen als gefährliche Keimzellen des nationalen Widerstandes.
Erst 1870 errichteten sie eine ausschließlich russischsprachige Kaiserliche Warschauer Universität. Das russischsprachige Kaiser-Nikolaus II.-Warschauer-Polytechnische-Institut wurde dann endlich knapp dreißig Jahre später, 1898 genehmigt, und das nachdem die Behörden der polnischen Bevölkerung die gesamten Entstehungskosten in Höhe von 3,5 Millionen Goldrubel durch Sammlungen abgenötigt hatten.
Im 19. Jahrhundert konnten Polen aus dem russischen Teilungsgebiet somit nur in Russland studieren, unter den wachsamen Augen der Ochrana, der russischen Geheimpolizei. Die meisten von ihnen lernten an den Petersburger Instituten für Zivilingenieure, Bergbau, Technologie und Medizin. Nur wenige waren vermögend genug, um das Studium bezahlen zu können. Der Rest wurde auf Staatskosten ausgebildet. Im Gegenzug durften die Behörden entscheiden, in welcher Gegend Russlands die Staats-Stipendiaten ihre ersten fünf Berufsjahre abzuarbeiten hatten.
Gemäß der zaristischen Teile-und-Herrsche-Politik wurden nach Russisch-Polen vorzugsweise Russen und Baltendeutsche beordert. Während die Polen vorwiegend in den neuen Industriezentren am Ural und im Kaukasus landeten. Dort arbeiteten sie in den Gouvernement-, Landkreis- und Stadtämtern, im Gesundheitswesen, bei der Staatlichen Technischen Überwachung, im Straßen- und Brückenbau, bei der Errichtung von Raffinerien und Kanalisationen.
Die Rechnung der Behörden ging zumeist auf. Die Polen lebten sich ein, heirateten vor Ort und kletterten die Karriereleiter hinauf. Die erste allrussische Volkszählung von 1897 ergab etwa 60.000 im Nord- und Südkaukasus lebende Polen: Ehemalige Soldaten und Neuankömmlinge.
Unter den letzteren befand sich der damalige Oberbürgermeister von Baku, Stanisław Despot-Zenowicz (1833-1900). Ebenso wie die Ingenieure Stanisław Kierbedź (1845-1910) und sein Vetter Michał Kierbedź (1854-1932), die Miterbauer der 2.500 Kilometer langen Wladikawkas-Bahn, die den Kaukasus mit Russland verband. Technischer Leiter der Bahn war lange Zeit der polnische Ingenieur Wacław Łopuszyński (1856-1929). In dem 1902 erstellten Verzeichnis des leitenden und mittleren technischen Personals der Wladikawkas-Bahn befanden sich unter den gut eintausend Namen 194 mit dem Vermerk „Nationalität: Pole“.
Beim Bau der Bahn verwendete man die ersten genauen Kaukasus-Karten, die Józef Chodźko (1800-1881) seit 1855 erstellt hatte. Der polnische Landkartentechniker aus Wilna verbrachte Jahrzehnte im Kaukasus und starb in Tiflis. Er brachte es im kartografischen Dienst der russischen Armee bis zum Generalleutnant und durfte seine Kaukasus-Karten Zar Alexander II. persönlich präsentieren. Nebenbei erwähnt: Ein anderer Pole, Ignacy Hryniewiecki, tötete Alexander II. und sich selbst in einem Bombenattentat am 13. März 1881 in St. Petersburg.
Ein Mythos entsteht,…
Als die Eroberung des Kaukasus durch Russland 1864 kurz vor ihrer Vollendung stand, erlebte Russisch-Polen eine Zeit verheerender Verfolgungen nach der Niederschlagung des letzten großen antirussischen Aufstandes, der im Januar 1863 ausgebrochen war.
Am 5. August 1864 wurden in Warschau die letzten fünf Anführer der Erhebung öffentlich gehängt. Etwa eintausend Hinrichtungen hatten bis dahin stattgefunden oder sollten noch folgen. 60.000 Bewohner Polen-Litauens traten damals zu Fuß den Weg in die Katorga, die oft lebenslange Verbannung zu schwerster Zwangsarbeit in Sibirien an. Zur Strafe verloren Tausende durch Zwangsenteignungen, Haus und Hof. Die polnische Sprache wurde aus dem öffentlichen Leben verbannt, der Name „Polen“ getilgt und durch „Weichselland“ ersetzt.
Es war eine Zeit der Verzweiflung, der nationalen Trauer und des sprachlosen Protestes. Dies äußerte sich im Tragen schwarzer Kleidung und darin, dass Frauen schwarzen Blech- und Eisenschmuck trugen. In den patriotischen Schriften sowie in der mündlichen Überlieferung von damals wurde der hartnäckige Widerstand der kaukasischen Bergvölker zu einem heroischen, urwüchsigen Kampf der Guten und Gerechten gegen die Niedertracht des Bösen verklärt. Zu einem Kampf, in dem auch die Polen, selbst im fernen Kaukasus, der russischen Despotie die Stirn boten.
…ein Mythos lebt auf.
Dieser Mythos lebte vier Generationen später auf, als Präsident Dschochar Dudajew (1944-1996) im Jahr 1992 die Unabhängigkeit Tschetscheniens ausrief und der Kaukasuskrieg gegen die Russen nach knapp 130 Jahren eine Neuauflage erlebte.
Die Überlieferung von der Schicksalsgemeinschaft der beiden Völker war inzwischen um eine weitere Gemeinsamkeit reicher geworden: Die der grausamen sowjetrussischen Deportationen in die unendlichen, unwirtlichen Weiten Sibiriens, Kasachstans, Usbekistans. Etwa dreihunderttausend Polen fielen ihnen knapp zwei Jahre lang, nach dem Einmarsch der Sowjets am 17. September 1939 in Ostpolen bis zum Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges im Juni 1941, zum Opfer. Die Tschetschenen ließ Stalin im Februar 1944 mit brutaler Gewalt komplett nach Sowjet-Asien verschleppen. Sie durften 1957 zurückkehren.
Es war frappierend zu beobachten, wie sich die Geschichte in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts wiederholte. Erneut bekriegten sich die Tschetschenen untereinander und kämpften gleichzeitig gegen die Russen, die Mitte 1996 eine demütigende Niederlage hinnehmen und im Waffenstillstand von Chassawjurt die faktische Unabhängigkeit Tschetscheniens anerkennen mussten. Dschochar Dudajew schien der neue Imam Schamil zu sein.
Doch wie zu Schamils Zeiten war auch jetzt der eigene Staat nicht von Dauer. Besser vorbereitet, fielen die Russen im Oktober 1999 erneut in Tschetschenien ein. Sie brauchten zehn Jahre, um am 16. April 2009 den Endsieg zu verkünden. Die Kampfmethoden waren modern, dementsprechend war das Resultat aus Zerstörung und Töten um ein Vielfaches höher als vor einhundertdreißig Jahren. Grosny, die Hauptstadt Tschetscheniens, glich einem Ruinenmeer.
Die Ernüchterung
In fast allen polnischen Großstädten entstanden damals spontan Solidaritätskomitees mit Tschetschenien. Protestdemonstrationen und Mahnwachen vor russischen Vertretungen in Polen waren lange Zeit an der Tagesordnung, ähnlich wie polnische Hilfskonvois, die das Nötigste in das Kriegsgebiet brachten. Das sprach sich herum in Tschetschenien. In den Jahren 2000 bis 2007 haben gut 35.000 Tschetschenen in Polen um Asyl nachgesucht.
Doch das Schwarz-Weiß-Schema, die klare Trennung: Hier das Gute, dort das Böse versagten zunehmend. Die Russen und ihre tschetschenischen Handlanger gingen barbarisch vor. Wohin sie gelangten, waren Gruppenerschießungen, Misshandlungen, Vertreibungen, Erniedrigungen, Vergewaltigungen, Raub, mutwillige Zerstörungen an der Tagesordnung.
Auf der Gegenseite jedoch verwob sich der Befreiungskampf zunehmend mit einem ausufernden Bandenwesen, mit dunklen Erdöl-, Rauschgift- und Waffengeschäften, mit Blutrache, Verrat und Betrug zu einem politisch-kriminellen Dickicht, vor dem es irgendwann auch den gutwilligsten Freunden des freien Tschetschenien graute.
Zudem führten die Selbstmordattentate vom 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center der Welt schlagartig die Gefahr des islamistischen Terrorismus vor Augen. Gerade zu dieser Zeit aber ergriff der islamistische Extremismus von der antirussischen Widerstandsbewegung in Tschetschenien Besitz.
Schon vorher, im Juni 1995 und Januar 1996, nahmen die tschetschenischen Feldkommandanten Schamli Bassajew und Salman Radujew Hunderte von Geiseln in den Krankenhäusern von Budjonnowsk in Südrussland und in Kisljar in Dagestan. In Budjonnowsk starben mehr als 120 Menschen, in Kisljar gut 200. Der Angriff eines Tschetschenen-Kommandos auf das Moskauer Dubrowka-Theater im Oktober 2002 kostete 130 Menschen das Leben. Beim Angriff auf die Schule von Beslan in Nordossetien im September 2004 fanden knapp 350 Geiseln, überwiegend Kinder, den Tod.
Das Bild der tapferen Kämpfer wich unter dem Eindruck dieser Tragöden dem Bild rücksichtsloser Terroristen und hat sich seitdem in Polen dauerhaft verfestigt. Auch wenn es in allen vier Fällen die russischen Spezialkräfte waren, die bei ihrer rücksichtslosen Erstürmung wahre Massaker angerichtet haben.
Dr. Daniel Boćkowski von der Universität Białystok hat die Haltung der Polen zu Tschetschenien und den Tschetschenen in den letzten fünfundzwanzig Jahren, bis 2020, untersucht. Es ist die Geschichte eines langsam erkaltenden Enthusiasmus und einer enttäuschten Zuneigung.
Während 1995 gut 70 Prozent der Polen den Kampf der Tschetschenen mit Sympathie verfolgten, waren es nach dem Angriff auf das Moskauer Dubrowka-Theater noch 26 Prozent. Nach Beslan 2004 sank die Zustimmung auf 13 Prozent. Heute rangiert sie bei etwa 5 Prozent.
Ein Tschetschenien-Freund wendet sich ab
„Wir hatten Glück, dass die Familie des Mörders von Lehrer Samuel Paty kein Asyl in Polen bekommen hat. Meine Einstellung zur Einwanderung aus Tschetschenien ist heute anders als früher, eindeutig negativ“, sagte dem magazin „Sieci“ Adam Borowski, Vorsitzender des Komitees Polen-Tschetschenien.
Er war lange Jahre Ehrenkonsul der Tschetschenischen Republik Itschkerien in Polen, eines von den Separatisten 1991 ausgerufenen, international nicht anerkannten unabhängigen Staates. Im September 2010 geriet Borowski ins Rampenlicht der Weltpresse, als polnische Behörden Achmed Sakajew, den Chef der tschetschenischen Exilregierung in Warschau, aufgrund eines in Russland ausgestellten internationalen Haftbefehls, festgenommen haben. Sakajew kam nach Polen zum Weltkongress der Exil-Tschetschenen. Das zuständige Gericht lehnte den Antrag auf Untersuchungshaft ab. Sakajew kam frei, Borowski wich ihm damals nicht von der Seite.
Seine Worte haben Gewicht. Der bekannte antikommunistische Solidarność-Aktivist im Jaruzelski-Polen, war lange Jahre die Galionsfigur der polnischen Pro-Tschetschenien-Bewegung. Danach gefragt wie vielen Tschetschenen er zur Einreise nach Polen verholfen habe, sagt er, es seien bestimmt mehr als zweihundert gewesen. Oft waren das sehr komplizierte Vorhaben, wenn es galt verwundete Kämpfer, die sich im Kaukasus versteckt hielten herauszuholen und in Polen zu betreuen.
„Das waren aber ganz andere Leute als diejenigen, die jetzt kommen wollen. Heute sind das im besten Fall Wirtschaftsflüchtlinge, im schlimmsten Fall russische Agenten oder Kriminelle“, sagt Borowski. Deswegen lehnt er es ab, sich für die an der weißrussischen Grenze abgewiesenen Tschetschenen zu engagieren, auch wenn ihm das humanitäre Organisationen sehr übel nehmen.
Borowski beobachtet, wie sich das Benehmen der Tschetschenen in Polen verändert. „Noch vor einigen Jahren regelte das Adat, das ungeschriebene kaukasische Gewohnheitsrecht, das tägliche und zeremonielle Leben. Inzwischen tut dies zunehmend der Islam. Junge Frauen tragen immer öfter den Hidschab. Die Männer lassen sich Salafistenbärtchen wachsen und nehmen sich Zweitfrauen. Die Gemeinschaft kapselt sich immer mehr ab.“
„Die Missstände häufen sich“, so ein Beamter der Ausländerbehörde in Warschau, der seit langem mit den Tschetschenen zu tun hat. „Nicht wenige von ihnen bekommen verlockende Angebote aus der kriminellen Unterwelt und nehmen sie an. Die junge Generation begeistert sich zunehmend für den Dschihad. Manche sind nach Syrien in den Krieg gezogen. Einige weil sie religiöse Fanatiker geworden sind. Die meisten jedoch wollen sich als Söldner verdingen, weil sie auf Abenteuer und viel Geld hoffen.“
Das Wichtigste aus Polen 16.Februar – 14.März 2020
Aleksandra Rybińska und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Polen stellt sich dem Coronavirus. Wo bleibt die EU? Ein funktionierender Zentralstaat bewährt sich in Krisensituationen ♦ Präsidentschaftswahlkampf im Schatten der Seuche. Kommt es zu einer Terminverlegung? ♦ Der Migrantenansturm in Griechenland mit polnischen Augen gesehen.
Ukrainer in Polen. Nutzen und Gefahren
Einblicke in eine nationale Debatte. Auf dem Weg zum Zweivölkerstaat?
Etwa eineinhalb Millionen Ukrainer halten sich ständig in Polen auf. Um das zu erfahren, braucht man sich nur auf die Straβen einer beliebigen gröβeren Stadt in Polen zu begeben.
Auf Schritt und Tritt hört man Ukrainisch oder auch Russisch, das die meisten Ankömmlinge aus der Ostukraine sprechen. Sie sind zumeist jung, kommen nach Polen, um zu studieren oder zu arbeiten. Gut vierzigtausend Ukrainer lernen inzwischen an polnischen Hochschulen. Ob an der Supermarktkasse, in Kneipen, auf dem Bau, am Flieβband oder am Steuer städtischer Busse, die weiche, singende Art, Polnisch zu sprechen, verrät auf Anhieb, mit wem man es zu tun hat.
Arbeitskräfte sind rar geworden in Polen. Die Arbeitslosigkeit rutschte im Juli 2019 unter die Vier-Prozent-Marke. Vehement fordern Arbeitgeber die Behörden auf, alle administrativen Hürden zu beseitigen. Der Staat soll vor allem den Ukrainern, die arbeiten wollen, das Tor nach Polen sperrangelweit öffnen.
Die meisten Arbeitsgenehmigungen werden für 180 Tage erteilt. Wer darüber hinaus in Polen Geld verdienen möchte, muss spätestens nach drei Monaten anfangen, sich um eine Verlängerung beim Ausländeramt zu kümmern. Es ist eine mühsame Angelegenheit. Viele belassen es lieber bei dem halben Jahr, reisen aus und kommen anschließend wieder. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.
Inzwischen jedoch, haben etwa 200.000 Ukrainer eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre. Weitere 50.000 dürfen unbefristet in Polen bleiben. In den letzten Jahren wuchs die Zahl der genehmigten Langzeitaufenthalte um jeweils fünfzehn Prozent.
Insgesamt, so Eurostat, das Statistische Amt der EU, war Polen bereits 2017 mit 597.000 Genehmigungen einsamer EU-Spitzenreiter, wenn es um „die Ausgabe von erstmalig erteilten Aufenthaltstiteln zum Zweck der Erwerbstätigkeit an Nicht-EU-Ausländer“ ging. Die mit Abstand meisten erhielten hierbei Bürger der Ukraine. Weit abgeschlagen auf Platz 2 stand Groβbritannien mit 180.000 Genehmigungen von Erwerbs-Aufenthaltstiteln, gefolgt von Deutschland mit 157.000.
Alles spricht dafür, aber…
Argumente, die für eine ukrainische Masseneinwanderung nach Polen sprechen, sind sattsam bekannt. Es kommen Menschen, so heiβt es, deren Sprache, Mentalität und Religion Polen sehr nahestehen. Sie leben sich leicht ein und sie wissen die geistige und geografische Nähe Polens zu ihrer Heimat sehr zu schätzen.
Deswegen ziehen sie so häufig Polen den westeuropäischen Ländern vor. Dort ist der Verdienst zwar höher, aber mit ihm steigen auch die Lebenshaltungskosten in einer Umgebung, die ihnen viel fremder erscheint als die polnische. Wer Heimweh hat, ist von Polen aus schnell zu Hause.
Sehr viele Ukrainer strömen nach Polen, so ein weiteres Argument, aber bisher leiden der innere und soziale Frieden nicht im Geringsten darunter. Sie kommen, um zu arbeiten, wohlwissend, dass die polnischen Sozialleistungen knapp bemessen und für sie, solange sie die polnische Staatsangehörigkeit nicht besitzen, unzugänglich sind.
Auch Fachleute für Bevölkerungsentwicklung geraten ins Schwärmen. Die polnische Geburtenrate ist karg. Geburten und Todesfälle halten sich seit Jahren die Waage. Je mehr Ukrainer in Polen Familien gründen oder sie nach Polen mitbringen, umso besser für die Bevölkerungsstatistik.
Wo die meisten ukrainischen Einwanderer und Saisonarbeiter in Polen leben, zeigt eine Karte, die anhand ihrer Handys Anfang 2019 erstellt wurde. Ermittelt wurden alle Benutzer, die ihre Telefone auf die ukrainische oder russische Sprache umgestellt hatten und die wenigstens einmal in zwölf Monaten in die Ukraine gereist sind beziehungsweise eine ukrainische SIM-Karte in ihren Apparat einlegten. Auif diese Weise hat man etwa achthunderttausend Menschen erfasst.
Davon waren 56 Prozent Männer. Sie arbeiten meistens auf dem Lande oder in Kleinstädten. Ukrainerinnen hingegen suchten sich überwiegend eine Beschäftigung in den Metropolen. Knapp 40 Prozent der ausgewerteten „polnischen“ Ukrainer waren zwischen 21 und 30, etwa 40 Prozent bis 40 Jahre und nur 7 Prozent waren älter als 50 Jahre alt.
Etwa jede sechste Ukrainerin bis 30 Jahre benutzte eine Schwangerschaftsplanungs-App, woraus man unter Umständen schlieβen kann, dass sie dauerhaft bleiben möchten. Jedenfalls wurden 2018 in Polen knapp 1500 polnisch-ukrainische Ehen geschlossen. Ukrainerinnen gebaren in Polen in demselben Jahr gut 2100 Kinder.
Die meisten Polen sind sich nicht bewusst, dass die Ukrainer in ihrem eigegnen Land in zwei voneinander weitgehend abgeschotteten Welten leben. Die Westukrainer sprechen aus Überzeugung nur ukrainisch, sind in der ukrainischen Tradition verwurzelt, patriotisch, etliche frönen gar unverhohlen dem ukrainischen Nationalismus. Sie sind religiös, feiern die Feste, wie es die Ukrainische griechisch-katholische Kirche vorschreibt. Nur was ukrainisch ist: Unterhaltungsmusik, Filme, das Fernsehen, Gedrucktes wird akzeptiert.
Die Ostukrainer dagegen sprechen russisch, haben ihre eigenen Kneipen und Treffpunkte, feiern im Rhythmus russischer Pop-Musik. Ihre Religiosität ist, wenn überhaupt, zumeist sehr lau. Oft schauen sie auf ihre westukrainischen Landsleute von oben herab: „Dörfler“.
… es gibt auch Kehrseiten.
Noch entwickelt sich die ukrainische Anwesenheit in Polen weitgehend harmonisch, aber wird das auf Dauer so bleiben? Es gibt Warner und Rufer, die das bezweifeln.
Das Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“) vom 11.07.2019 bündelte all ihre Bedenken und Befürchtungen und brachte sie zu Papier. Ob diese wirklich berechtigt sind, darüber wird gestritten. Sie geben auf jeden Fall den Gemütszustand, die Denkweise und die Argumente der polnischen Migrationsgegner wieder.
Erstens. Nach 2004 lieβen sich innerhalb von fünfzehn Jahren etwa eine Million Polen in Groβbritannien und Irland nieder. Gewiss, das war viel und passierte schnell. Doch diese Zahlen verblassen in Anbetracht der Tatsache, dass die 1,5 Millionen Ukrainer während der letzten vier, höchstens fünf Jahre in Polen angekommen sind. Solch ein Einwanderungstempo kommt sonst nur bei groβen Flüchtlingsbewegungen zustande, aufgrund von Kriegen oder gewaltigen Naturkatastrophen. Der lokale Krieg im Donbas taugt in diesem Fall nur bedingt als Ursachenerklärung.
Zweitens. Die plötzliche Verpflanzung einer weitgehend einheitlichen ethnischen Gruppe, einer sofort „gebrauchsfähigen“ Minderheit, stellt ein Experiment dar mit einem sehr ungewissen Ausgang dar.
Drittens. Hält das Einwanderungstempo an, wird die Assimilierungsfähigkeit immer geringer. Die Ankömmlinge werden zunehmend unter sich bleiben wollen, sich eigene Lebensräume schaffen mit eigenen Läden, Schulen, Verbänden, Kultur- und Kultuseinrichtungen, wo man ohne Berührung mit der Sprache und Kultur der Einheimischen leben kann.
Viertens. Man muss auch laut fragen, ob uns irgendjemand gefragt hat, bevor der Masseneinwanderung aus dem Osten Tür und Torgeöffnet wurden? In welchem Wahlprogramm wurde diese Maβnahme angekündigt?
Niemand hat die polnische Gesellschaft danach gefragt. Es gab keine Parlamentsdebatte zu diesem Thema, keine Volksbefragung. Die Masseneinwanderung erfolgte aufgrund der Änderung drittrangiger Verwaltungsvorschriften durch anonyme Abteilungsleiter im Innen- oder Auβenministerium, nach dem Motto: Wir müssen den Andrang besser bewältigen, also die Prozeduren vereinfachen, Fristen verkürzen, Aufnahmekriterien ausdünnen usw.
Fünftens. Wie einst im Nachkriegs-Westdeutschland übt jetzt in Polen die Wirtschaft enormen Druck aus, Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen. „Wir brauchen Leute!“, hallt es von der Ostsee bis zur Hohen Tatra, vom Bug bis an die Oder. Doch diese Leute sind keine Roboter, sondern Menschen, die Familien gründen, die ihre Kinder, Ehefrauen, Eltern nachholen wollen, was man ihnen nicht verübeln, geschweige denn verwehren kann.
Doch dieselben Arbeitgeber haben nicht die geringsten Hemmungen, die Leute wieder zu entlassen, wenn die Rezession ihre Auftragsbücher leerfegt. Das Problem überlassen sie dann dem Staat und der Gesellschaft. Die westdeutsche Bredouille infolge der Massenansiedlung von Türken sollten hier ein warnendes Beispiel sein.
Sechstens. Wirtschaft, Bevölkerungswissenschaftler, linksliberale Medien fordern vehement, man solle allen Ukrainern sofort ein ständiges Bleiberecht einräumen oder, noch besser, im Schnellverfahren die polnische Staatsangehörigkeit verleihen, verbunden mit dem Recht, Angehörige nachzuholen. Man darf davon ausgehen, dass unter solchen Umständen zehn- wenn nicht hunderttausende jetziger ukrainischer 180-Tage-Pendler dauerhaft bleiben würden.
Polkraine in Sicht?
Siebtens. Holt jeder der jetzt in Polen arbeitenden Ukrainer nur zwei Verwandte nach, würde ihre Gesamtzahl auf bis zu 4,5 Millionen ansteigen. Polen zählt 38 Millionen Einwohner. Das wären auf Anhieb etwa 12 Prozent der Bevölkerung.
In Deutschland und Groβbritannien ist der Ausländeranteil noch gröβer. In Polen jedoch wären dies Menschen ausschlieβlich einer Nationalität, praktisch ein zweites Staatsvolk.
Achtens. Seine Ansprüche und Erwartungen würden das Leben in Polen schnell verändern. Forderungen nach Zweisprachigkeit im öffentlichen Leben, nach politischer Einflussnahme, Forderungen im Namen der Toleranz, die polnische Identität und Lebensart zu ändern, dort wo sie mit der ukrainischen kollidiert, was ebenfalls die bestehenden und damit verbundenen unvermeidlichen Gegensätze, Auseinandersetzungen, Fehden einschließt. Der soziale und der innere Frieden gerieten so schnell in Gefahr.
Neuntens. Seitdem groβe Teile der heutigen Ukraine 1569 durch Sigismund II. August, den letzten König aus der Jagiellonen-Dynastie, Polen einverleibt wurden, besteht die Geschichte der polnisch-ukrainischen Beziehungen aus einer beinahe unendlichen Kette von Konflikten. Ihr wichtigster gemeinsamer Nenner waren schier beispiellose Grausamkeiten.
Ihr Höhepunkt, die Wolhynien-Massaker von 1943, als ukrainische Nationalisten unter deutscher Besatzungs-Schirmherrschaft etwa einhunderttausend Wolhynien-Polen buchstäblich abschlachteten, bestätigte diese historische Regel.
Dieses Kapitel ist bis heute nicht aufgearbeitet. Die Ukrainische Aufständische Armee wird vor allem in der Westukraine als Heldin des Kampfes gegen die Sowjets nach 1945 gefeiert. Ihre Wolhynien-Morde und die Massenmorde an Juden, von denen dieser Landstrich gesäubert werden sollte, bleiben unerwähnt oder werden verharmlost.
Die Ideengeber und Anführer dieser Mordfeldzüge: Stepan Bandera, Roman Suchewytsch, Dmytro Kljatschkiwskyj und andere genieβen in der heutigen Westukraine Heldenstatus, ihre Denkmäler säumen Plätze und Hauptstraβen.
Die sterblichen Überreste ihrer polnischen und jüdischen Opfer dagegen liegen auf Feldern und in Wäldern namenlos verscharrt und dürfen bis heute nicht geborgen werden. Einige hundert Orte, die sie bewohnt hatten, wurden niedergebrannt und umgepflügt. Nichts ist übriggeblieben auβer den Nachkommen der Opfer, die nicht einsehen wollen, dass ihren Vorfahren auch jetzt noch in der Ukraine menschenwürdige Ruhestätten verwehrt werden.
Zehntens. Der Konflikt um diese Vergangenheit belastet heute die polnisch-ukrainischen Beziehungen schwer. Sich ihn mit der neuen ukrainischen Groß-Minderheit noch ins Land zu holen, denn Bandera-Verehrer gibt es unter den Ukrainern viele, wäre mehr als leichtsinnig.
Elftens. Die ukrainische Minderheit im heutigen Polen zählt, laut Volkszählung von 2011, knapp 40.000 Menschen. Vor dem Krieg lebten in Polen, gemäβ der Volkszählung von 1931, nicht ganz 3,5 Millionen Ukrainer. Das waren zehn Prozent der gesamten damaligen Landesbevölkerung. Die Erfahrungen des polnisch-ukrainischen Zusammenlebens aus jener Zeit sind nicht gut. Wer garantiert, dass die Dämonen der Vergangenheit nicht wieder aufleben?
So streiten im Polen die „Verharmloser“ und die „Alarmisten“ um die Handhabung der ukrainischen Zuwanderung. Beide bringen viele gewichtige Argumente ins Spiel, die wir hier zusammengestellt haben.
Jedenfalls gilt auch in diesem Fall: vor dem Schaden klug sein kann man nur, wenn es keine Denkverbote gibt.
Das Wichtigste aus Polen 11. November – 8. Dezember 2018
Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Schwere Wolken, geringer Niederschlag. Skandal um Chef der Finanzaufsicht hat sich auf sein wahres Mass reduziert ♦ Polen lehnt UN-Migrationspakt ab ♦ Warschauer US-Botschafterin blamiert sich und entfacht einen Sturm der Entrüstung ♦ Ukraine-Russland-Krieg. Warum geht die polnische Öffentlichkeit zunehmend auf Distanz zur Ukraine ohne für Russland zu sein?
Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Die Wunde vernarbt nur langsam. Der unrühmliche Abgang der polnischen Nationalelf von der Fußball WM-Bühne in Russland und seine Folgen ♦ Die Reform des Obersten Gerichts: Argumente und Emotionen ♦ Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hält vor dem Europäischen Parlament eine Rede über die Zukunft der EU und erntet keinen Beifall ♦ Israel und Polen legen Streit über Holocaust-Gesetz bei ♦ Amerikaner erwägen Truppenverlegung aus Deutschland nach Polen. Die meisten Deutschen freuen sich. Die meisten Polen auch.
Das Wichtigste aus Polen 3.Juni – 22.Juni 2018
Kommentatorin Olga Doleśniak-Harczuk und Janusz Tycner diskutieren die wichtigsten Ereignisse der letzten Zeit in Polen ♦ Aus der Traum. Polens schwacher Auftritt bei der Fußball WM ♦ Andrzej Duda, ein Staatspräsident, der Rätsel aufgibt ♦ Braucht Polen eine neue Verfassung? Staatspräsident Duda bringt eine Debatte in Gang und was nun? ♦ EU-Rechtstaatlichkeitsverfahren gegen Polen und kein Ende. Migranten, Brexit und Trump sind Brüssel nicht genug. ♦ Seehofer gegen Merkel. Wie soll sich Polen verhalten?
Migranten aufnehmen? Bedenken aus Polen zum Lesen empfohlen
Sicherheit für das Land. Hilfe vor Ort. Aus den Fehlern anderer lernen.
Der Reporter und Publizist Witold Gadowski gilt als einer der besten polnischen Kenner des Nahen Ostens auf der konservativen Seite des politischen Spektrums. Ob man sie nun teilt oder nicht, es ist aufschlussreich seine Beobachtungen und Einschätzungen kennenzulernen, denn sie machen die Einstellung der meisten Polen nachvollziehbar und bilden zugleich die Grundlage für die offizielle Haltung Warschaus in dieser Frage.
Das Gespräch erschien im Wochenmagazin „Sieci“ („Netzwerk““) vom 14.01.2018.
Wissen wir inzwischen warum 2015 mehr als eine Million Migranten nach Europa reingelassen wurden? War das Zufall, eine Regung der Menschlichkeit, ein gut durchdachter Plan?
Der Streit darüber dauert an, ein Ende ist nicht abzusehen. Einerseits haben wir da die Ideologie der naiven Zuversicht. Der arabische Frühling war eine wunderbare Erscheinung. Die arabischen Gesellschaften sind endlich erwacht.
Die groβe Völkerwanderung war eine Folge des Zusammenbruchs von Willkürregimen im Nahen Osten und Nordafrika. Europa wird nun durch Menschen anderer Kulturen bereichert. Engstirnige nationale Eigenbefindlichkeiten werden zerschlagen. Europa öffnet sich einer neuen, lichten Zukunft, in der die heutigen Völker sich wie in einem Schmelztiegel endlich auflösen werden.
Alle Völker? Keine Inseln, die die Aufnahme von Migranten verweigern?
Keine Ausnahmen. Die Verfechter der naiven Zuversicht sind nicht so naiv um nicht zu wissen, dass Völker mit einem starken nationalen Zusammenhalt ihrer Vorstellung vom Umbau Europas gefährlich werden könnten. Der Patriotismus dieser Völker, den sie mutwillig mit Nationalismus gleichsetzten oder unwissentlich damit verwechseln, könnte das Feuer unter ihrem Schmelztiegel auspusten.
Wer ist der Erfinder der Ideologie der naiven Zuversicht?
Schwer zu sagen. Einer der ganz groβen Verfechter ist George Soros, ein allseits bekannter Schirmherr und groβzügiger Gönner des Kultes um die sogenannte offene Gesellschaft.
Und die andere Sichtweise?
Sie ist unromantisch und lebensecht. Es gab flächendeckend keinen spontanen arabischen Frühling. Dahinter verbargen sich nicht selten die ziemlich kurzlebigen Interessen anderer Staaten, standen oftmals der amerikanische, französische, britische, israelische oder russische Geheimdienst.
Der Schutzwall Europas wurde immer dünner bis er brach. Gaddafis Regime in Libyen war sein wichtigster Bestandteil. Auch das ägyptische Einfallstor wurde weit aufgerissen. Hinzu kamen die Zerschlagung des Irak und der Zusammenbruch Syriens. Bis dahin war das Durchqueren dieser Staaten schwierig. Die Diktaturen mit ihren funktionierenden Sicherheitskräften blockierten den Weg.
Doch es waren zugleich sehr brutale Regime.
Ja, aber welche dienlichen Ergebnisse brachte deren Zerschlagung? Wir haben jetzt mehrere gescheiterte Staaten. In Libyen gibt es drei Machtzentren die sich bekämpfen. Der Lebensstandard ist im Vergleich zu Gaddafis Zeiten dramatisch gesunken. Ägypten ist in den Strudel einer noch schwerwiegenderen Wirtschaftskrise geraten als jemals zuvor und wird vom Militär regiert. In Syrien kehrt Assad blutig an die Macht zurück. Der Irak besteht heute aus drei voneinander losgelösten Gebieten. Es herrscht Chaos.
Keine Staaten, keine Grenzen.
Eine Völkerwanderung ist ausgebrochen und der Krieg heizt sie noch an, denn unter den Menschen, die nach Europa wollen sind auch Kriegsflüchtlinge. Die meisten Kriegsflüchtlinge jedoch sitzen fest in Lagern ihrer benachbarten Staaten und haben keine Chance von dort wegzukommen. Das Ergebnis: nach Europa strömen überwiegend diejenigen, die die Schlepper teuer bezahlen. Diese Menschen sind oft sehr fordernd und stehen der europäischen Kultur ablehnend gegenüber. Das schafft eine Verfeindung, die sich vertiefen wird.
Glaubwürdige Untersuchungen, wie die des Pew Research Center, gehen davon aus, dass in Schweden im Jahr 2050 Moslems gut dreiβig Prozent der Bevölkerung ausmachen werden. Das ist ein Anteil, der eine Machtübernahme auf demokratischem Weg möglich machen würde.
Michel Houellebecq hat in seinem Roman „Unterwerfung“ ein solches Szenario bereits vorhegesagt. Er beschreibt, wie eine Moslem-Partei in Frankreich legal an die Macht kommt. In Schweden ist so etwas denkbar. Es ist ein Land mit einer zahlenmäβig sehr überschaubaren Bevölkerung und dementsprechend treten dort Veränderungen schneller ein.
Spöttelnd könnte man sagen, das Kalifat Malmö gibt es bereits. Man braucht ja nur die dort wohnenden Schweden zu fragen. Der Bürgermeister von London ist ein Moslem, der zwar unaufhörlich seinen Liberalismus zur Schau stellt, was man als eine Zwischenetappe betrachten kann.
In der britischen Presse erschien 2015 ein Foto von der Wahlveranstaltung eines Labour-Kandidaten in einem muslimischen Viertel von Birmingham. Frauen und Männer sitzen streng voneinander getrennt.
Ja. Die auf Frauenrechte so fixierte Linke übergeht und überhört geflissentlich, wie Frauen in den muslimischen Gesellschaften in Europa behandelt werden. Viele Polen, die in Groβbritannien leben haben mir berichtet, auf welche Probe sie gestellt werden, wenn sie durch die Wand oder durch die Decke hören wie muslimische Ehemänner oder Väter Frauen misshandeln.
Manche waren unvorsichtig genug einzuschreiten und haben sich dadurch selbst in Schwierigkeiten gebracht. Die Gewalt ging nämlich weiter, während sie ins Visier der Polizei und der Sozialbehörde gerieten. Sie mussten sich rechtfertigen, sie zahlten Strafen wegen Hausfriedensbruchs, wurden von ihren muslimischen Nachbarn verklagt und mussten rasch ihren Wohnort wechseln.
Das ist schwer zu glauben.
Solche und ähnliche Geschichten höre ich von unseren Landsleuten jedes Mal wenn ich in Groβbritannien bin.
Moslems genieβen mehr Schutz in europäischen Staaten als Europäer?
Im (polnischen privaten – Anm. RdP) Fernsehsender TVN (am 27. Mai 2017 – Anm. RdP) sagte eine Dame (die Mitarbeiterin der „Gazeta Wyborcza“, Anna Pamula – Anm. RdP), dass, wenn Polen, wie von der EU gefordert, siebentausend Migranten aufnimmt und einer von ihnen eine Bombe zündet, die zehn Polen tötet, wir dann immer noch 6.999 Leben gerettet haben.
Als ich das hörte, wurde mit bewusst, dass ich dieses Denken von anderswoher kenne. Ich habe seinerzeit Isabelle Coutant-Peyre interviewt, die jetzige Ehefrau des internationalen Terroristen Carlos. Ich habe zu ihr gesagt, dass ihr Mann unschuldige Menschen umgebracht hat, indem er Bomben in Hochgeschwindigkeitszügen und Restaurants zündete. „Das ist die Ökonomie der menschlichen Leben“, antwortete sie darauf. Das heiβt, wenn man eine Revolution machen will, dann muss es Opfer geben. Das sagte eine gefragte Pariser Anwältin!
Wenn wir uns dem Massenzustrom von Migranten widersetzen, hören wir: „Was sollen wir tun? Die Boote nach Afrika zurückschleppen, auf Leute, die die Grenzen stürmen schieβen? Würdest Du schieβen?“
Die Migration ist eng verwoben mit der Stimmung in Europa. Wenn hier eine wohlwollende Einstellung vorherrscht oder sogar Enthusiasmus, dann wird dieses Signal in den betroffenen Gebieten sofort wahrgenommen über Internet, iPhones, Satelliten-TV. Die Menschen dort sehen, dass sie in Europa mit Blumen empfangen werden, wie es ja zu Beginn war, und dass sie „Dschizya“ bekommen, die den Ungläubigen auferlegte Steuer.
Sie meinen Sozialhilfe?
Ja. Europäer glauben, sie zeigen sich so von der groβzügigen Seite und erwarten Dankbarkeit. Doch es wird keine Dankbarkeit geben, denn die Ankömmlinge sind überzeugt, Allah beschere ihnen dieses Geld und die „ungläubigen Hunde“ versuchen die Auszahlung hinauszuzögern und möglichst niedrig zu halten.
Der anfängliche Enthusiasmus der Europäer, das „Refugees welcome“ hat das die Migration angekurbelt?
Selbstverständlich! Doch das ist vorbei. Meine deutschen Bekannten wohnen auf Sylt. Anfänglich wollten alle dort den Ankömmlingen helfen. Als dann aber zweihundert Leute ankamen, als im November 2015 der erste Mord geschah, als reitende Frauen grob belästigt wurden, bekamen die Menschen Angst. Heute wollen sie niemanden mehr aufnehmen, aber die alte Idylle ist Vergangenheit.
Dieser Umschwung müsste eigentlich den Politikern erlauben, endlich die Grenzen zu sichern.
Der anfängliche Willkommens-Enthusiasmus ist zwar vorbei, aber eine eindeutige Verteidigungsbereitschaft ist auch nicht zu erkennen. Der Westen passt sich langsam den neuen Gegebenheiten an. Einige Dutzend abgebrannte Autos in der letzten Silvesternacht in Deutschland, eine brutal zusammengeschlagene Polizistin in Frankreich. LKW-Fahrer, die durch Calais nach Groβbritannien fahren, werden von dunkelhäutigen Banden überfallen.
Alle sehen wie die Zustände sind, aber kaum jemand mag durchgreifen. In Berlin habe ich eine Demonstration von Arabern beobachtet. Nicht wenige Polizisten, die sie begleiteten waren derselben Abstammung. Man sah ihnen förmlich ihr Desinteresse an, einige hatten zu Zöpfen zusammengeflochtene Bärtchen. So eine Polizei weckt keinen Respekt.
Was werden die Politiker tun, wenn eine neue Migranten-Welle aufkommt? Wer von ihnen wird die Grenzen verteidigen wollen? Die Migranten wissen, dass so etwas nicht passieren wird.
Hier stellt sich die Frage: will Brüssel, will der Westen die Migrationswelle aufhalten oder einen Einsaug-Mechanismus schaffen?
Viktor Orban hat sich in Ungarn zu entschiedenen Maβnahmen durchgerungen. Er hat einen doppelten Grenzzaun bauen und scharf bewachen lassen.
Und die Bulgaren gucken weg, wenn Mafia-Banden an der Grenze Jagd auf Migranten machen. Die Kunde hat sich schnell verbreitet, dass man Bulgarien unbedingt meiden sollte. Komischerweise hat der Westen hier, bis auf einige Medienberichte, weggeschaut. Orban hingegen hat zu legalen, administrativen Maβnahmen gegriffen und handelte sich dadurch viel Ärger ein.
Der Westen zaudert, gibt sich weitgehend lustlos und handlungsunfähig. Die Staaten unserer Region, Polen, Ungarn, die Slowakei und sogar das vom Atheismus durch und durch geprägte Tschechien leisten Widerstand.
Es sind Staaten, die durch Fremdherrschaft und fremde Willkür schwer geprüft wurden. Staaten, ohne jegliche koloniale und imperiale Vergangenheit. Es sind weitgehend gewachsene Nationalstaaten, was dort als ein Vorteil angesehen wird. Nach langer Fremdherrschaft sind sie dabei ihre nationale Staatlichkeit einzurichten. Eine nicht endende Umverteilung von Migranten, wie sie anfänglich von der EU gefordert wurde, würde ihre innere Stabilität zugrunde richten.
Wir sehen was in Schweden, Frankreich, Deutschland, Belgien, Italien passiert. Alle diese Länder hatten „ihre“ islamistischen Terrorattentate, verübt mit Bomben, Maschinenpistolen, Messern, Lkw. Man sagt den Bürgern dort, sie müssen sich nun mal daran gewöhnen, am besten so tun als wäre nichts gewesen usw. Polen hat „sein“ islamistisches Terrorattentat bis jetzt noch nicht gehabt, und das soll so bleiben. Wir wollen nicht aus dem Schaden lernen, sondern vor dem Schaden klug handeln.
Man kann sich auch leicht vorstellen, wie diese Umverteilung aussehen würde. Im Westen bleiben die Ärzte, Ingenieure, Facharbeiter. Hirten, Arbeitslose und Ungelernte werden in den Osten „gegangen“. Aus fremder Haut ist gut Riemen schneiden.
Als die Vorgängerregierung von Frau Kopacz im Frühherbst 2015, kurz vor den Parlamentswahlen, der Aufnahme von siebentausend Migranten zustimmte, da wurde Polen ein EU-Zuschuss von 6.000 Euro pro Person in Aussicht gestellt. Als sich die Nachfolgeregierung weigerte die Leute aufzunehmen, hieβ es plötzlich, ein Land kann sich „freikaufen“ wenn es 250.000 Euro pro nicht aufgenommenen Migranten zahlt. Das alles ist unglaublich!
Wir hören immer wieder den guten Rat: nehmt doch die siebentausend Migranten aus Italien und Griechenland auf, dann lässt euch die EU in Ruhe. Siebentausend, das ist doch nicht viel.
Sie würde uns nicht in Ruhe lassen.
Wenn wir die Tür einen Spaltbreit öffnen, kriegen wir sie nie wieder zu?
Nein. Die EU ist wie der Zauberlehrling. Sie hat etwas entfesselt, sich auf etwas eingelassen, was sie nicht beherrscht. Sie würde immer wieder die Umverteilung in Gang setzen. Deswegen darf man sich nicht darauf einlassen. Anschlieβend käme die Familienzusammenführung.
Groβbritannien und Dänemark wurden aus diesem System von vorneherein ausgenommen. Brüssel weiβ, dass die Regierungen dieser Länder auf ihre Wähler hören müssen. Es ist an der Zeit Brüssel daran zu gewöhnen, dass die jetzige polnische Regierung das auch tun muss.
Inwieweit hat die strikte Weigerung von Recht und Gerechtigkeit Migranten aufzunehmen zu ihrem Wahlsieg 2015 beigetragen?
Wesentlich. Die meisten Polen spüren instinktiv, dass hier eine Utopie verwirklicht werden soll, die Multikulti-Gesellschaft.
Würden diese Menschen an unsere Küsten angespült, natürlich würden wir uns um sie vor Ort kümmern. Doch sie legen oft Tausende von Kilometern zurück durch sichere Drittstaaten, um nach Europa zu kommen. Sie wollen nach Deutschland, Schweden, Frankreich, Belgien gelangen.
Dort sind oft schon ihre Verwandten, existieren ganze Netzwerke, die sie auffangen: Moscheen, Koranschulen, Läden, kulturbedingte Dienstleistungen, eigene Stadtbezirke oder Straβenzüge, ausgedehnte Integrationsmaβnahmen, eine einigermaβen anständige Sozialhilfe.
Niemand von diesen Leuten will nach Polen, Ungarn, Slowenien oder Lettland gehen, Polnisch, Ungarisch, Slowenisch oder Lettisch lernen.
Die Umverteilung wäre also eine reine Zwangsmaβnahme. Die meisten würden alles tun, um von uns aus wieder in den Westen Europas zu gelangen. Sollen wir sie in bewachte Lager stecken? Ihnen an der Grenze Handschellen anlegen, wenn sie uns von den deutschen Behörden nach der Flucht zwangsüberstellt werden? Denn so war es vorgesehen. Wer „umverteilt“ wurde, der müsste an Ort und Stelle bleiben.
Das Hereinlassen einer groβen Zahl von Menschen aus einem fernen Kulturkreis schafft eine groβe Verantwortung.
Anfang der neunziger Jahre halfen meine Kollegen von der Solidarność dem Kinderheim in Beiuş, in Rumänien, wo schreckliche Zustände herrschten. Sie haben einige der Waisen nach Polen geholt. Am Anfang war alles wunderbar, aber nach einiger Zeit schwand das Interesse für sie. Es gab niemanden, der sich intensiv um die Erziehung dieser Jungs gekümmert hätte. Bis es zu einer brutalen Vergewaltigung in einem Freibad in Kraków kam. Die Täter waren die Jungs aus Beiuş.
So geschieht es auch mit den Migranten.
Im Nahen Osten, in Nordafrika sind sie unter der Aufsicht ihrer Gemeinschaft, ihrer Familien. In Europa sind sie meistens auf sich gestellt. Aus einer Welt, wo Frauen wie das Eigentum von Männern behandelt werden, wo man dem Vater für die künftige Ehefrau zahlen muss, gelangen sie in eine Welt, wo Sexualität offen ausgelebt, zur Schau getragen wird. Das nimmt in ihrem Fall oft ein böses Ende.
Das dauerhafte Zusammenleben mit einer Vielzahl von Menschen, die einer anderen Kultur entstammen und sich häufig nicht integrieren können und oft auch nicht wollen, gestaltet sich schwierig.
Stellen sie sich eine Kleinstadt in Polen vor. Nach der Sonntagsandacht kommen die Leute aus der Kirche. Auf der Straβe geht eine Migrantenfamilie, der Mann verliert die Geduld, schlägt seine Frau. Einige Männer versuchen ihn daran zu hindern. Was werden die Medien berichten? Polnische Rassisten haben einen Migranten zusammengeschlagen. Migranten üben Vergeltung. Die Polen auch. Die Hölle öffnet sich.
Die Antwort darauf lautet: auch in Polen gibt es Gewalt.
Aber natürlich, wie überall. Aber von unserer eigenen Gewalt haben wir mehr als genug, weitere brauchen wir nicht noch zusätzlich zu importieren.
Junge Moslems aus gewissen Kreisen erachten Frauenbelästigung als einen aufregenden Zeitvertreib. Wollen wir das auch bei uns? Es gibt zudem eine Erscheinung, die als „Gangasta-Islam“ umschrieben wird. Aus ihrer Gemeinschaft herausgelöste junge Moslems rotten sich zu kriminellen Banden zusammen, terrorisieren im Geiste des Islam ihre Umgebung, islamisieren die Gefängnisse. Es entsteht eine Parallelwelt, aus der die Einheimischen flüchten und wo die Polizei am liebsten wegschaut.
Wie das funktioniert habe ich vor Kurzem im dänischen Aarhus gesehen, wo sich der einst lichte, moderne Stadtteil Brabrand in einen Slum verwandelt hat. In Betonschachteln, die auf einer schlammigen Wiese stehen, leben ein paar Tausend Menschen auf engem Raum: Palästinenser, Libanesen, Syrer, Sudanesen, Jemeniten, Somalier, Algerier, Ägypter, Nigerianer. Dänen sieht man dort nicht.
Trotz aller Integrationsanstrengungen.
Ja. In allen Ländern, von denen wir hier reden wurden in etlichen Anläufen aufwendige Integrationsprogramme aufgelegt, wie z.B. in Frankreich: kleine Sportzentren, Jugendhäuser, Kultureinrichtungen, Sozialarbeiter. Das alles ist gescheitert.
Entstanden sind in allen französischen Groβstädten Territorien, wo die Sitten, der Handel, die Kleidung, der gesellschaftliche Umgang (Frauen sind weder in den Cafés noch auf den Straßen zu sehen) muslimisch sind, wo Salafisten das französische Gesetz durch die Scharia ersetzt haben. Hinzu kommen eine hohe Kriminalität, Drogenhandel, unkontrollierte Einwanderung, überforderte Schulen.
Und linke Gutmenschen, die behaupten die christliche Tradition provoziere die Migranten.
Es gibt drei Phasen. In der ersten Phase, in der es nur wenige Migranten gibt, sind die Ankömmlinge friedlich und höflich. In der zweiten Phase stellen sie Forderungen. Sie sind in den Kommunen vertreten, erzwingen Halal-Fleisch in den Schulkantinen, die Schlieβung von Pubs, das Abnehmen der Kreuze. Dann kommt die dritte Phase, in der sie das Sagen haben, auf einem eigenen Territorium.
Papst Franziskus ruft ständig dazu auf Migranten aufzunehmen.
Papst Franziskus wusch und küsste die Füβe von Moslems in der Gründonnerstagsmesse 2016. Er holte Moslemfamilien von der Insel Lesbos. Das sind eindrucksvolle christliche Gesten. Nur sollten solche Gesten an jene gerichtet sein, die sie im christlichen Sinne verstehen. Das ist genauso wie mit dem Hinhalten der anderen Wange. Halten wir sie einem Dummkopf hin, dann wird er dadurch noch dreister.
Die Gesten des Papstes, vor denen ich mich verneige, werden in der Welt des Islam durchgehend als Unterwerfungsgesten Roms gegenüber dem Propheten ausgelegt. Das stärkt nur den kriegerischen Islam. Wir müssen besonnen handeln. Der katholische Glaube ist kein dumpfer Glaube.
Oder vielleicht doch? Einer unserer führenden katholischen Publizisten, Tomasz Terlikowski hat neulich über den in Polen vor kurzem begangenen „Tag des Islams in der katholischen Kirche“ eine kurze, sehr treffende Glosse geschrieben.
„Es gab Begegnungen, Vorträge, alle gewidmet »der Sorge um das gemeinsame Haus«“, schreibt Terlikowski. „Im Dialog gelang es festzustellen, dass Katholiken und Moslems die Natur lieben. Es wurde gemeinsam aus der Bibel und aus dem Koran gelesen. In derselben Zeit sterben aus der Hand von Moslems Tausende von Christen. Ihre Kirchen werden niedergebrannt. Christinnen werden entführt, zum Übertritt zum Islam gezwungen, in Harems gesteckt, brutal miβbraucht.“, so Terlikowski
„Das geschieht nicht gegen den Koran, sondern unter ausdrücklicher Berufung auf ihn und auf das Beispiel Mohammeds. Sie tun dasselbe, was er getan hat. Mohammed ist Vorbild für sie, so wie er tötete, betrog, sich kleine Mädchen als Frauen nahm.
Doch das scheint bei diesem Dialog niemanden zu stören. Dialog und politische Korrektheit sind wichtiger“, schreibt Terlikowski.
Ja, das ist schon sehr bedrückend.
Es heiβt, die Polen wollen den Kriegsopfern nicht helfen.
Das stimmt nicht. Man muss nur zwischen tatsächlicher Hilfe und der Umsetzung einer gefährlichen politischen Multikulti-Utopie unterscheiden. Polen hilft vor Ort und sollte auch Kriegsopfer aufnehmen, aber nur zu unseren Bedingungen.
Wen im Einzelnen?
Wir haben einen wichtigen Trumpf, das sind die hervorragenden Ortskenntnisse unserer kirchlichen Hilfsorganisationen, die vor Ort tätig sind. Sie kennen die Orte, wo es Christen gibt, die wirklich nicht mehr weiterwissen. Sie sollten wir aufnehmen.
Wie viele?
Einige Hundert Familien. Generell wollen die Christen Syrien nicht verlassen und wir sollten alles tun, um sie darin mit unserer Hilfe vor Ort zu bestärken. Es gibt aber leider auch solche, für die es kein Zurück gibt, weil sie Gefahr laufen von ihren muslimischen Nachbarn ermordet zu werden.
Um wen geht es konkret?
Es sind überwiegend Assyrer, Menschen einer uralten Kultur, mit einer in der ganzen Welt weitverbreiteten Diaspora. Hervorragende Geschäftsleute. Sie sind fleiβig, umsichtig, gebildet.
Wie können wir vor Ort, in Nahost helfen?
Viele Hilfsorganisationen betreiben im Grunde ein Geschäft und verbrauchen bis zu dreiβig Prozent der Hilfsmittel selbst. Banden vor Ort stehlen ein weiteres Drittel. So darf man es nicht machen.
Sondern wie?
Man muss die Notleidenden vor Ort ausfindig machen und ihnen helfen. Zusammen mit einigen Kollegen von der Stiftung Orla Straż (Adlerwache – Anm. RdP) helfen wir der altertümlichen christlichen Stadt Karakosch im Irak. Dort lebten einst 55.000 Menschen, davon waren neunzig Prozent Christen.
Sie wurden vom IS vertrieben. Jetzt kommen sie in die verminten Ruinen zurück. Es gibt keine Schulen, Krankenhäuser, Läden. Ich habe in meinen Fernsehsendungen um Spenden gebeten. Es sind 500.000 Zloty (ca. 120.000 Euro – Anm. RdP) zusammengekommen.
Von diesem Geld haben wir eine Schlosserei wiederaufgebaut, eine Schweiβerei ausgestattet, Druckmaschinen für Schulbücher gekauft, einem Laden das Startkapital gegeben. Jetzt helfen wir beim Wiederaufbau des Gesundheitszentrums und wir haben eine Weihnachtsfeier für Kinder unterstützt.
Das Geld bekommen Leute, die wir kennen. Für diese halbe Million Zloty konnte man dort fünfmal so viel erreichen wie bei uns, wenn man hier Migranten aufnähme.