Geld, Gerät, GI’S und der eiserne Riegel

Polens korrigierte Verteidigungsdoktrin.

Mit dem Krieg in der Ukraine steigen die polnischen Verteidigungsausgaben stetig und die Polen, das Schicksal der Ermordeten von Butscha und Irpin vor Augen, nehmen das billigend in Kauf.

In einer Umfrage, die Anfang April 2023 das Wochenmagazin „Sieci“ („Netzwerk”) in Auftrag gab, wurde gefragt, welche Art von Armee Polen haben sollte. Nur 32 Prozent der Befragten antworteten, dass eine Armee, die das Land so lange verteidigen kann, bis  die Alliierten Polen zur Hilfe kommen, ausreicht. Dagegen waren 68 Prozent der Meinung, dass es eine Armee geben muss, die in der Lage wäre, einen feindlichen Angriff aus eigener Kraft abzuwehren.

Daraus lassen sich mehrere Schlussfolgerungen ziehen. Die Polen unterschätzen den Krieg in der Ukraine nicht und er macht ihnen Angst. Diese Angst jedoch, und das ist eine weitere Beobachtung, lähmt sie nicht und macht sie nicht zu Defätisten, die zu weitreichenden Zugeständnissen bereit wären, nur um sich in einer trügerischen Sicherheit wähnen zu können. Für die meisten Polen ist die Verteidigung ihres Landes, das bekunden sie zumindest, eine selbstverständliche Antwort auf einen möglichen Überfall.

Und schließlich die vielleicht wichtigste Schlussfolgerung. Polen sollte sich in einem eventuellen Krieg in erster Linie auf sich selbst verlassen. Das zeigt schlussendlich, dass die Polen in der Lage sind, aus dem bisherigen Verlauf des Krieges in der Ukraine und aus ihrer eigenen Geschichte zu lernen.

Ernüchterung

Der Krieg wirkte ernüchternd und hat so manche frühere polnische Illusion zunichtegemacht. Die Ukraine war in der Lage gewesen, den russischen Überfall in den ersten Kriegswochen aus eigener Kraft abzuwehren. Erst dann erhielt sie nennenswerte militärische Unterstützung. Vorher bekam der ukrainische Botschafter in Berlin von deutschen Spitzenpolitikern, wie Christian Lindner, zu hören „Euch bleiben nur wenige Stunden“ und deswegen könne man nur humanitären Beistand leisten.

Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass es versteckte, aber erhebliche Unterschiede in der Politik der einzelnen Nato-Mitglieder im Umgang mit dem Aggressor gibt. Während die am stärksten bedrohten Staaten Ostmitteleuropas eine entschlossene Reaktion forderten, reagierten andere, vor allem Deutschland und Frankreich, mit Zögern und Zaudern, in der Hoffnung, mit Moskau bald einen Deal machen zu können, selbst wenn das auf Kosten der Ukraine gehen sollte. Bei vielen Polen weckte das sofort Assoziationen an die Vergangenheit, als verschiedene europäische Mächte, trotz Unterstützungszusagen, Polen den Aggressoren zum Fraß vorwarfen.

Ein solches Verhalten der Franzosen, Deutschen und manch anderer in Westeuropa gibt Anlass zur Sorge. Es stellt deren Glaubwürdigkeit als  Verbündete in Frage und untergräbt das Vertrauen innerhalb der Nato. Wird sich ihre Reaktion nicht, wie im Falle Englands und Frankreichs im September 1939, in leeren Gesten erschöpfen? Die haben damals zwar dem Dritten Reich den Krieg erklärt, aber zu Hilfe gekommen sind sie dem überfallenen Polen nicht.

Umso mehr als der berühmte Artikel 5 des Nordatlantikvertrags, der im Falle eines Angriffs zur Anwendung kommt, von der Verpflichtung der Vertragsparteien spricht, Maßnahmen zu ergreifen, die sie als notwendig erachten, um einem angegriffenen Verbündeten beizustehen. Das muss nicht unbedingt militärisches Eingreifen sein. Man kann sich auch, wie Deutschland zu Beginn des Ukrainekrieges, darauf beschränken, 5.000 Helme zu schicken. Zumal der lang anhaltende Frieden und der daraus resultierende Wohlstand  Westeuropa geistig demobilisiert und militärisch impotent gemacht haben.

Das bedeutet natürlich nicht, dass die Nato wenig wert ist. Sie ist viel wert. Das aber nur, wenn sich das Bündnis weiterhin nicht nur auf Berlin, Paris und einige andere Partner stützt, die mut- und hoffnungslos die eigene Sache für aussichtslos halten und glauben, ohne Russland nicht auskommen zu können. Hätten allein sie das Sagen, stünde Putin schon längst an der polnischen Grenze. Daran gibt es leider keinen Zweifel. Deswegen gilt, frei nach Vergil, die Einschränkung, „traut nicht den Deutschen, auch wenn sie eine Zeitenwende verkünden”.

Hilf dir selbst, dann hilft dir Amerika

Die Stärke und Lebenskraft der Nato wird nach wie vor von den Vereinigten Staaten bestimmt, zu denen die Polen mit wesentlich mehr Vertrauen aufschauen als so manche westeuropäische Bündnismitglieder. Nur sind die Amerikaner ziemlich weit weg und haben nicht nur Probleme mit Russland, sondern auch mit China. Gerade deshalb muss sich Polen selbst helfen, damit ihm die Amerikaner helfen wollen und können.

Die ukrainische Erfahrung beeinflusst heute stark das Denken amerikanischer Strategen. Das „Wall Street Journal” veröffentlichte Anfang April einen Artikel von John Bolton, eines Diplomaten und zeitweisen Beraters von Donald Trump. Bolton schrieb unter anderem, dass die Vereinigten Staaten in erster Linie auf jene Verbündeten setzen sollten, die Amerikas Stärke stärken, also auf aktive und gut bewaffnete Verbündete, die in der Lage sind, einen Angriff aus eigener Kraft abzuwehren. Denn nur sie sind es wert, dass man ihnen hilft. Da ist kein Platz für Abtrünnige, die kostenlos vom amerikanischen Militärschirm profitieren. In dieser Denkweise, die auch von Joe Bidens demokratischem Team weitgehend geteilt zu werden scheint, macht der Aufbau einer starken Armee Polen zu einem wertvollen und schützenswerten Partner für Amerika.

Die Zahl der amerikanischen Truppen in Polen, die heute auf über 10.000 geschätzt wird, mag nicht überwältigend sein, aber drei Dinge sind erwähnenswert.

Erstens: Amerikanische GIs sind in Polen stationiert, was noch vor wenigen Jahren undenkbar schien.

Zweitens: In Poznań wurde ein vorgeschobenes Kommando des V. Landkorps der US-Armee eingerichtet, der erste ständige Stützpunkt der amerikanischen Streitkräfte auf polnischem Territorium.

Drittens: Seit Anfang April gibt es in Powidz, etwa 80 Kilometer östlich von Poznań, ein Dienstleistungs- und Rüstungslager der US-Armee, das schon bald mehrere Tausend Panzer und Kampffahrzeuge beherbergen soll. So wird sich die amerikanische Reaktionszeit auf eine russische Bedrohung von anderthalb Monaten auf wenige Tage verkürzen. Es wird lediglich erforderlich sein, die GI-Besatzungen nach Polen zu verlegen.

Umsonst kann man nicht in Frieden  leben

Die amerikanische Unterstützung bekommt dadurch einen greifbaren Charakter, der nicht nur mit der Verschärfung der Lage in Europa, sondern auch mit dem Aufbau der Glaubwürdigkeit Polens als Verbündeter zusammenhängt. In diesem Sinne ist auch die Verteidigungspolitik der derzeitigen Regierung zu verstehen, die davon ausgeht, dass Polen in diesem Jahr über 130 Milliarden Zloty (ca. 28.2 Milliarden Euro) für das Militär ausgeben wird. Das sind etwa 4 Prozent des polnischen BIP und damit doppelt so viel wie das auf dem Nato-Gipfel im September 2014 in Newport/Wales festgelegte Minimum von 2 Prozent. Im Jahr 2022 gehörte Polen mit Ausgaben in Höhe von 2,45 Prozent des BIP bereits  zu den lediglich neun NatoMitgliedern, die ihre Verpflichtungen erfüllten.

Durch den Krieg in der Ukraine wird der Unterhalt der Armee immer teurer, aber es gibt keine Alternative. Denn die Alternative zu diesen Kosten könnte das Schicksal der ermordeten Einwohner von Butscha und Irpin sein. Mit anderen Worten: umsonst kann man nicht in Frieden leben.

Eine Brandmauer

Die Aggression Moskaus gegen die Ukraine hat viele bisherige Verteidigungspläne auf den Kopf gestellt. Bisher war man davon ausgegangen, dass die Hauptverteidigungslinie gegen einen Angriff aus dem Osten entlang der Weichsel verlaufen würde. Die polnische Armee sollte dort kämpfend auf die Unterstützung der Alliierten warten.

Heute wissen wir viel mehr. Erstens ist klar, dass eine solche Strategie mit dem Abschlachten von Zivilisten in den von Moskau besetzten Gebieten enden könnte, wie man es in der Ukraine gesehen hat. Zweitens darf man nicht erwarten, dass die Unterstützung der Alliierten vollständig und sofort erfolgt. Ohne die amerikanische Präsenz, müsste Polen möglicherweise sehr lange darauf warten. Und es wäre nicht sicher, dass die Russen bis dahin nicht Warschau eingenommen und eine ihnen genehme Marionettenregierung eingesetzt hätten.

Jetzt müssen die Verteidigungspläne, unter Berücksichtigung der Geschehnisse in der Ukraine, neu erstellt werden. Es kommt nicht mehr in Frage, den Feind auf polnisches Gebiet einzulassen. Dazu bedarf es  einer starken Brandmauer aus Raketenartillerie und Panzern. Ein eiserner Riegel soll durch den Kauf von 506 amerikanischen HIMARS-Raketenwerfern, die Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern abfeuern können, und 218 südkoreanischen K239 Chunmoo Geschosswerfern (Reichweite je nach Rakete bis zu 290 Kilometer) geschaffen werden.

Die ersten der 20 HIMARS-Raketenwerfer, die Polen 2019 bestellt hat, werden im Mai bzw. Juni 2023 eintreffen, aber auf die nächsten 486 wird man noch einige Jahre lang warten müssen. Genau aus diesem Grund hat man entschieden, zusätzlich südkoreanische Raketenwerfer zu kaufen, die schneller beschafft werden können. Im September werden 18 K239 Chunmoo zur Bewaffnung der 18. mechanisierten Division gehören, und der Rest soll bis 2027 nach und nach an Polen geliefert werden.

Auch Panzer, die von vielen Theoretikern der Kriegskunst vorschnell zum Aussterben verurteilt wurden, haben bewiesen, dass sie in den europäischen Ebenen noch immer unverzichtbar sind. Zumal ein potenzieller Gegner seine Bodentruppen gerade auf gepanzerte Waffen und Artillerie stützt. Polen, das den größten Teil seiner T-72- und PT-91-Twardy-Panzer an die ukrainische Armee abgegeben hat, gleicht das Defizit nun durch den Kauf von wesentlich moderneren Waffen aus.

Dabei handelt es sich vor allem um schwere Abrams-Panzer. Premierminister Morawiecki, der Mitte April 2023 das Werk in Alabama besuchte, in dem die Abrams-Panzer hergestellt werden, bestätigte, dass die ersten Fahrzeuge im Juni in Polen eintreffen werden. Dabei handelt es sich um eine Charge von 14 aufgerüsteten Panzern aus dem Bestand der Marines. Insgesamt hat Polen 116 solcher Maschinen gekauft. Die USA werden außerdem 250 Abrams in der neuesten Version liefern, wobei die Lieferungen 2026 enden sollen.

Das ist noch nicht alles an Panzerwaffen, denn jetzt kommt der südkoreanische K2-Panzer ins Arsenal – ein leichterer, weniger gepanzerter, aber hoch automatisierter Panzer mit einer Langstrecken-Kanone, die einen besseren Schutz vor feindlichem Feuer ermöglicht. Es sollen 1.000 solcher Panzer angeschafft werden, von denen mindestens die Hälfte in Polen, in den Militärischen Motorenwerken (WZM) in Poznań hergestellt werden soll.

Zu den Panzerwaffen gehören die Kanonenhaubitzen vom polnischen Typ Krab und ihre koreanischen Gegenstücke vom Typ K9, die zur Beschleunigung der Modernisierung der Armee angeschafft wurden. Ende März 2023 unterzeichnete die Regierung außerdem einen Vertrag über die Lieferung von 1.400 der neuesten Borsuk-Schützenpanzer des polnischen Herstellers Huta Stalowa Wola.

Solche Waffen hatte Polen noch nie

Obwohl die Verstärkung der Landstreitkräfte, wie die ukrainischen Erfahrungen zeigen, Vorrang hat, geht es bei den Anschaffungen auch um andere Waffen. Im kommenden Jahr werden polnische Piloten hinter dem Steuer des modernsten Flugzeugs der fünften Generation, der amerikanischen F-35 sitzen. Ursprünglich war die Pilotenausbildung in den USA für zwei Jahre geplant und die Maschinen sollten 2026 in Polen in Dienst gestellt werden, aber unter den aktuellen Umständen soll der Termin vorverlegt werden. Die neuen Flugzeuge, aber auch die  älteren F-16, die die polnische Luftwaffe bereits besitzt, sollen mit den neuesten JASSM-XR-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 1.800 Kilometern bewaffnet werden, die gerade in den Werken von Lockheed Martin in Produktion gehen.

Polen hat noch nie eine Waffe mit solch einer Reichweite besessen. Und es geht nicht nur darum, mit diesen Raketen Moskau zu treffen, sondern auch darum, dass die Flugzeuge im Falle eines Angriffs an der polnischen Grenze Ziele aus einer sehr sicheren Entfernung, nämlich außerhalb der Reichweite des Feindes, treffen könnten.

Hinzu kommen ebenfalls südkoreanische Flugzeuge des Typs FA-50, die bereits in diesem Jahr auf dem Stützpunkt in Minsk-Mazowiecki unweit von Warschau eintreffen werden, sowie AW101 Merlin-Seehubschrauber und AW149-Mehrzweckhubschrauber. Derweil bereitet sich das polnische Verteidigungsministerium auf Gespräche über die Lieferung von Apache-Kampfmaschinen und MQ-9B Reaper-Drohnen vor. Andere Drohnen, die berühmten türkischen Bayraktar TB2, sind bereits auf dem Stützpunkt in Mirosławiec in Pommern eingetroffen, wo die Ausbildung an der neuen Waffe begonnen hat.

Der Umbau der Luftverteidigung ist seit einigen Jahren im Gange, beginnend mit dem Mittelstreckensystem Vistula (Patriot-Batterien) und endend mit dem Kurzstreckensystem Pilica Plus.

Auch zur See gibt es Veränderungen: Minenzerstörer vom Typ Kormoran II werden in Dienst gestellt. Drei von ihnen sind bereits im Einsatz, und die Produktion eines weiteren hat gerade begonnen. Dennoch bleiben die Seestreitkräfte das größte Sorgenkind der polnischen Armee. Ersatz für alle aus Altersgründen ausgemusterten U-Boote und für die zwei altersschwachen Fregatten ist nicht in Sicht.

Trotz aller Investitionen gibt es noch viel zu tun. Die polnische Armee braucht eine bessere Aufklärung, die nicht nur notwendig ist, um die Absichten des Feindes zu durchschauen, sondern auch, um weit entfernte Ziele für die eigene Artillerie und Raketen ausfindig zu machen. Die Luft- und Seeverteidigung muss kontinuierlich verstärkt werden. Und schließlich müssen Zehntausende von Soldaten gefunden und ausgebildet werden, um das alles zu bewältigen.

Vielleicht wäre dieser Aufwand heute geringer, wenn die Regierung Donald Tusk in den Jahren 2007 bis 2015 im Rahmen eines aufgezwungenen Reset mit Russland die polnische Armee im Osten des Landes nicht entwaffnet hätte. Fast alle militärischen Standorte östlich der Weichsel wurden geschlossen, die wenigen verbliebenen hatten Symbolcharakter. Die gesamte polnische Armee mit 60.000 Soldaten und Offizieren konnte bequem im Warschauer Nationalstadion Platz finden. Heute zählt sie knapp 170.000 Mann. Deswegen ist es so wichtig, die Verteidigungskapazitäten wieder aufzubauen, und zwar in einem beschleunigten Tempo. Dabei weiß niemand, wie viel Zeit Polen dafür bleibt.

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Stiefkind Kriegsmarine. Polens Verwundbarkeit an der Ostsee

Windparks, die Baltic Pipe, Öl- und Gastanker, Handelsrouten und Häfen stehen auf dem Spiel.

Von Russland abgekoppelt, hat sich Polens  Energieversorgung in den letzten Jahren zu einem beachtlichen Teil auf die Ostsee verlagert. Auch wenn das Baltische Meer durch den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens zu einer (beinahe) Nato-See geworden ist, gibt die Verwundbarkeit der polnischen Energieanlagen in und an der Ostsee Anlass zur Sorge, vor allem wenn man seinen Blick auf die Schwäche der polnischen Marine richtet.

Die Sabotage-Sprengungen an den Erdgasleitungen Nord Stream 1 und 2 Ende September 2022 haben die bis dahin in der Ostsee herrschende Ruhe empfindlich gestört und die polnische Freude über die mit viel Aufwand betriebene energiepolitische Loslösung von Russland gedämpft.

Gemeinsamer Nenner

Erdölterminal im Nordhafen von Gdańsk.

Erreicht wurde dieses Ziel durch den Ausbau des Ölterminals in Gdańsk/Danzig, der pro Jahr bis zu 36 Millionen Tonnen Erdöl aufnehmen kann. Dadurch wird der polnische Erdölverbrauch von rund 30 Millionen Tonnen pro Jahr vollständig abgedeckt. Die noch verbleibende Menge kann für den Export verwendet werden, auch für Lieferungen an Raffinerien in Deutschland.

LNG-Terminal Lech Kaczyński in Świnoujście/Swinemünde.

Eine weitere, weitaus größere, teurere und aufwendigere Maßnahme war die vollständige Loslösung Polens vom russischen Erdgas. Um das zu erreichen, wurde zunächst der Bau des 2016 in Betrieb genommenen LNG-Terminals Lech Kaczyński in Świnoujście/Swinemünde in Angriff genommen. Im Oktober 2022 kam die Erdgasleitung Baltic Pipe hinzu, die die Gasvorkommen auf dem norwegischen Schelf mit Polen verbindet. Inzwischen laufen die Vorbereitungen für die Errichtung eines schwimmenden LNG-Terminals in der Danziger Bucht auf Hochtouren.

Erdgasleitung Baltic Pipe.

In jüngster Zeit sind große Steinkohleeinfuhren aus Übersee, etwa 10 Millionen Tonnen, hinzugekommen. Durch die EU-Klimapolitik gezwungen, den eigenen Steinkohlebergbau zu reduzieren, importierte Polen in den vergangenen zehn Jahren auf der Schiene eine ständig wachsende Menge Steinkohle aus Russland. Im Jahr 2021 waren es gut 10 Millionen Tonnen, die ausschließlich in Privathaushalten und in der kommunalen Fernwärmeversorgung verfeuert wurden. Die gesamte polnische Steinkohleförderung (ca. 55 Millionen Tonnen) ging an die großen Kraftwerke.

Kohleterminal im Hafen von Gdynia.

Mit der Verhängung von Sanktionen gegen Russland, zu denen auch ein Kohle-Importstopp gehört, musste sich das Land innerhalb kürzester Zeit, vor Beginn des Winters, auf Kohleimporte aus Asien, Afrika und Australien umstellen. Die Versorgung der Privathaushalte mit genügend Kohle musste gesichert sein. Dieses gigantische Vorhaben wird ausschließlich über die polnischen Ostseehäfen abgewickelt.

Bauarbeiten am Windpark in der Ostsee.

Spätestens in zehn Jahren werden, dank des gerade beginnenden Baus von Offshore-Windparks in der Ostsee, mehr als 25 Prozent der in Polen verbrauchten Energie von dort kommen. Auch diese Anlagen müssen geschützt werden.

Getreideterminal im Hafen von Gdańsk.

Seit Neuestem, fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, die vor allem auf die von Russland genehmigte Transportroute zwischen Odessa und der türkischen Schwarzmeerenge schaut, läuft der Abtransport des sich angestauten ukrainischen Weizens auch über die polnischen Ostseehäfen. Bis Ende 2022 sollen auf diesem Weg etwa eine Million Tonnen umgeschlagen werden. Der gemeinsame Nenner all dieses Tuns ist die Ostsee.

Zudem wird der größte Teil des polnischen Außenhandels über polnische Häfen abgewickelt. Auch ist die Endstation für den Seetransport von Waren aus Asien nach Osteuropa nicht mehr, wie früher, ausschließlich Hamburg, wo das Löschgut auf kleinere Schiffe, die Bahn und LKWs umgeladen wurden, um nach Polen zu gelangen. Die größten Containerschiffe der Welt, die in die Ostsee einfahren können, beenden heute immer öfter ihre Fahrt in Polen. Die drei führenden Häfen Gdańsk, Gdynia und Szczecin-Swinoujście haben im Jahr 2021 mehr als 114 Millionen Tonnen Fracht umgeschlagen und dem Staat umgerechnet etwa 11 Milliarden Euro an unterschiedlichen Steuereinnahmen gebracht.

Ein erschüttertes Gefühl der Sicherheit

All das bedeutet, dass Polen durch seine Unabhängigkeit von Russland abhängig geworden ist… von der Ostsee. Russland ist sich dessen bewusst, und man kann sicher sein, dass Putin und der russische Staatsapparat keine Gelegenheit auslassen werden, um Polen auch hier Probleme zu bereiten.

Dabei geht es keineswegs allein um direkte Angriffe. Um die Gefahr zu steigern, müsste nicht gleich Sabotage an Energie- und Hafeninfrastruktur verübt werden. Da könnte eine vor Jahren auf einem versunkenen Schiff zurückgelassene Seemine in die Luft gehen. Es können auf dem Grund des Bornholmer Beckens liegende Behälter aus dem Zweiten Weltkrieg mit chemischen Waffen entsiegelt werden. Man kann auch die Ladung des seit dem Zweiten Weltkrieg in der Danziger Bucht liegenden deutschen Tankers „Franken“ zum Auslaufen bringen.

In der Ostsee vor der polnischen Küste versenkte Giftgasbehälter aus dem Zweiten Weltkrieg.

Jede dieser Maßnahmen würde das Gefühl der Sicherheit erschüttern. Und Russland ist dazu in der Lage. Es hat „Forschungsschiffe“, Miniatur-U-Boote, Tauchboote, unbemannte Fahrzeuge oder speziell ausgebildete Taucher. Solche Angriffe könnten das tägliche Funktionieren der polnischen Wirtschaft nachhaltig beeinträchtigen und die Ostsee in den Augen der Energie-, Schifffahrts- und Versicherungsunternehmen zu einem gefährlichen Gewässer machen. Eine sich anschließende Erhöhung der Versicherungsprämien für den Transport von LNG oder Öl würde den Preis für diese Rohstoffe anziehen lassen.

 

Wir brauchen Schiffe

Deshalb muss das polnische Sicherheitskonzept für die Offshore-Energieinfrastruktur, die Baltic Pipe, die Hafenanlagen angemessene Schutzmaßnahmen vorsehen. Vor allem eine tiefgreifende Modernisierung der polnischen Marine tut not. Seit 1990 hat sie kein einziges neu produziertes Kampfschiff erhalten. Zwei gebraucht erworbene amerikanische Fregatten (Baujahr 1978 und 1979) sowie norwegische U-Boote der Kobben-Klasse sind in den letzten Jahren am Limit ihrer Einsatzfähigkeit angelangt, mussten ausgemustert werden oder stehen kurz davor. Das einzige sich noch im Dienst befindliche U-Boot dient im Grunde nur noch zu Ausbildungszwecken, damit qualifiziertes Personal bereitsteht, wenn neue U-Boote angeschafft werden. Doch wann das passieren wird, ist nicht bekannt. Die erste der drei in Zusammenarbeit mit den Briten gebauten Fregatten soll erst 2028 in Dienst gehen.

Polen braucht keine Hochseeflotte mit Zerstörern oder gar Kreuzern. Gefragt sind maßgeschneiderte Schiffe, die Windparks auf hoher See, Pipelines, Containerterminals, Gas- und Ölhäfen, sowie in der Zukunft auch das erste polnische Kernkraftwerk und die Nachschubrouten in der Ostsee schützen.

Anders als die Luftwaffe und das Heer, die in der letzten Zeit durch massive Einkäufe amerikanischen und südkoreanischen Geräts erheblich verstärkt und modernisiert werden, bleibt die Marine ein Stiefkind des nachkommunistischen Polens. Alle reden darüber, aber Taten lassen bis jetzt auf sich warten. Das kann böse Folgen haben.

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Haubitzen, Kampfjets, Panzer. Polens Jahrhundertkauf in Südkorea

Viel Kriegsgerät für fünfzehn Milliarden Dollar.

Entsprechende Verträge wurden Ende August 2022 unterzeichnet, aber es dauerte noch eine Zeit lang, bis sich die Öffentlichkeit, aus den nach und nach durchsickernden Einzelheiten, ein Bild von dem gewaltigen Umfang des Geschäfts machen konnte.

Für die polnischen Einkäufer waren bei der Auswahl südkoreanischer Rüstungsgüter die beinahe sofortige Verfügbarkeit (die ersten 180 Panzer sollen bis Ende 2022 eintreffen, die ersten Flugzeuge Mitte 2023), der neueste Stand der Technik, die Leistungsfähigkeit, die Zuverlässigkeit und der nachweislich effiziente Service ausschlaggebend. Nur Südkorea war in der Lage, so schnell, so viel gutes Gerät zu liefern: knapp 1.000 Panzer des Typs K2 Black Panther, fast 700 Panzerhaubitzen des Typs K9 und 48 leichte FA-50 Kampfflugzeuge. Hinzu kam, dass ein Großteil der Panzer und Geschütze in Polen gebaut werden soll.

Deutschland ausgestochen

Deutsche Rüstungskonzerne wie Rheinmetall oder Krauss-Maffei Wegmann (KMW) erhielten keine Aufträge aus Warschau. Zu lang seien, so polnische Stellen, deren Lieferzeiten angesichts der russischen Bedrohung. Zu unberechenbar zudem die deutsche Politik und Öffentlichkeit. Zu groß das Risiko bei einem russischen Angriff auf Polen, wie dem auf die Ukraine heute, Opfer des deutschen Zauderns und Hamletisierens zu werden, während Munition und Ersatzteile an der Abwehrfront sofort benötigt werden.

Zudem zeigt das Korea-Geschäft erneut, wie realitätsfern die Ringtauschkonzepte der deutschen Regierung sind. Polen hat bereits 250 schwere amerikanische Abrams-Panzer gekauft, die nach und nach geliefert werden. Jetzt sollen 1.000 hochmoderne, leichtere Kampfpanzer aus Südkorea hinzukommen. Gleichzeitig gingen alle etwa 250 T-72 und PT-91 Twardy Panzer (eine rundum modernisierte Version des T-72) aus polnischen Beständen in die Ukraine. Dafür bot Berlin Polen, im Ringtausch, 100 uralte Leopard 1 an. Ein Modell aus der Mottenkiste, welches dem sowjetrussischen T-72 unterlegen ist. Und auch die deutsche Idee, Warschau mit 20 halbwegs modernen Leopard 2 (lieferbar nach und nach innerhalb von fünf Jahren) unter die Arme zu greifen, wirkte so befremdlich, dass sie von Polen verworfen wurde.

Leopard 2 Panzer der polnischen Armee.

Die polnische Initiative dürfte Berlin zudem unter Druck setzen. Wenn Polen mit seinen knapp 40 Millionen Einwohnern seine Streitkräfte mit 1.500 Kampfpanzern (Leopard 2, Abrams und die K2 aus Südkorea) sowie etwa 800 eigenen und koreanischen Panzerhaubitzen aufrüstet, wird die Bundesrepublik weiterhin, zumindest theoretisch, nicht mit nur etwa 300 Kampfpanzern und 119 Haubitzen operieren können. Die Verbündeten, allen voran die USA, werden von Deutschland eine vergleichbare Anstrengung erwarten. Berlin hat solchen Erwartungen in der Vergangenheit zumeist wenig Beachtung geschenkt, wovon der heutige Zustand der Bundeswehr zeugt.

Jedenfalls, bezogen auf die doppelte Einwohnerzahl und die höhere Wirtschaftskraft im Vergleich zu Polen, wären es dann weit über 2.000 Kampfpanzer, über die die deutschen Streitkräfte verfügen müssten. Das ist, unter den heutigen in Deutschland herrschenden politischen Verhältnissen, ein schwer vorstellbares Szenario.

Sobald der K2 in großer Stückzahl in Polen einsatzfähig ist, wird er in Ostmitteleuropa vieles in der sicherheitspolitischen Landschaft verändern. Der K2-PL ist dem russischen Standardpanzer T-72 weit überlegen. Nur die modernste Variante des russischen T-90 und der immer noch nicht einsatzfähige T-14 Armata sind ihm gewachsen. Von beiden Modellen müsste Moskau große Mengen beschaffen, wollte es den 1.500 modernen Kampfpanzern Polens entgegentreten. Eine für einen Angriff erforderliche Überlegenheit von 3 zu 1 oder gar 4 zu 1, wäre von Moskau nicht finanzierbar.

Der K2-Panzer. Verlockendes Angebot aus Korea

Der Zeitdruck ist groß. Die erste Lieferung der 180 Panzer wird in der „normalen“ K2 Ausführung erfolgen. Danach werden die Modelle den polnischen Bedürfnissen angepasst. Die polnische Variante nennt sich dann K2-PL. Davon sollen ab 2026 weitere 820 Stück gebaut und die bereits gelieferten K2 modernisiert werden.

Der Hersteller Hyundai Rotem, eine Tochtergesellschaft der Hyundai Motor Group, hat den Bau einer neuen Fabrik für deren Produktion in Polen angekündigt. Dort sollen ebenfalls gemeinsam mit der Polnischen Rüstungsgruppe (PGZ), neue Fahrzeuge, einschließlich Infanterietransporter, entwickelt werden.

K-2 ist der weltweit modernste Kampfpanzer im Nato-Standard, der bereits gebaut wird und tatsächlich lieferbar ist.

Wie die „PL“ Ausführung letztendlich genau aussehen wird, ist derzeit nicht bekannt. Es wurde aber bereits ein K2 PL „Wolf“ gezeigt. Bei ihm fiel auf, dass die Wanne des Panzers um einen Satz Laufräder verlängert wurde. Zusammen mit einem neuen kompakteren Antrieb könnte diese Erweiterung dazu dienen, im Panzer ein von der Besatzung komplett getrenntes Munitionsdepot einzurichten und die Mannschaft in einer besonders geschützten Zelle unterzubringen.

Polen hat auch 250 amerikanische Abrams-Panzer gekauft.

Auf der polnischen Wunschliste stehen ebenfalls eine verstärkte Panzerung, ein 360-Grad-Beobachtungssystem und ein verbessertes aktives Schutzsystem gegen Raketen und Artilleriegeschosse. Als gewiss gilt, dass der K2 über ein polnisches Kommunikationssystem und ein Gefechtsführungssystem verfügen soll, beides wird mit anderen in der polnischen Armee verwendeten Systemen kompatibel sein.

Modernster westlicher Panzer

Mit dem „normalen“ K2 hat sich Warschau für den weltweit modernsten Kampfpanzer im Nato-Standard entschieden, der bereits gebaut wird und tatsächlich lieferbar ist. Der K2 stammt nicht aus dem Kalten Krieg, er wird seit 2014 hergestellt und gehört zur Standardausrüstung der südkoreanischen Armee. Er ist mit einer automatisch geladenen 120-mm-Glattrohrkanone sowie einem 12,7-mm-Maschinengewehr ausgerüstet und verfügt über Selbstverteidigungssysteme, die unter anderem in der Lage sind, in seine Richtung abgefeuerte Geschosse zu zerstören oder zu „blenden“. Er ist dieselbetrieben, kann bis zu 4,10 Meter tiefe Wasserhindernisse überwinden und wiegt 55 Tonnen.

Der K2 ist kein revolutionärer Wurf, aber weit moderner als die Modelle aus dem Kalten Krieg. Gerade vom Leopard 2 hat der K2 viel übernommen, insbesondere die Bordwaffe. Es ist jedoch der einzige Panzer in der westlichen Welt, der über einen Autolader für die Kanonen verfügt. Der Ladeschütze an Bord entfällt. Die Mannschaft besteht aus drei Personen. Bei den neuesten Modellen des K2 Black Panther wird wiederum eine vierte Person eingeplant, die Luftdrohnen oder unbemannte Unterstützungsfahrzeuge steuern könnte.

Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak unterzeichnet den K2-Kaufvertrag am 26. August 2022.

Der K2 verfügte von Beginn an über Innovationen, die der deutsche Leopard erst jetzt, im Zuge von Modernisierungen erhält und das auch nur teilweise. Abgesehen von dem schon erwähnten aktiven Selbstschutzsystem, das angreifende Raketen abwehrt, kann der K2 durch sein hydropneumatisches Fahrwerk eine unterschiedliche Bodenfreiheit herstellen.

Mit einem Gewicht von nur 55 Tonnen folgt der K2 eher den russischen Vorbildern und ist wesentlich leichter als die westlichen Modelle. Mit 1.500 PS verfügt er daher über ein exzellentes Verhältnis von PS zu Gewicht. Motor, Getriebe und Kanone der ersten Baugruppe stammen aus Deutschland beziehungsweise wurden in Lizenz hergestellt und werden jetzt auf modernere koreanische Entwicklungen umgestellt.

Eine weitere Besonderheit ist das offene Konzept des Hyundai-Konzerns. Es ermöglicht Weiterentwicklungen des Panzers von Baugruppe zu Baugruppe, ebenso kundenspezifische Lösungen für den Export. Das Angebot von Hyundai ist aufgrund des Technologietransfers und der Schulung der Mitarbeiter vor Ort  für die Bestellländer attraktiv.

Das enorme Volumen des polnischen Auftrags hat eine Signalwirkung. Letztlich wollen alle Länder im östlichen Europa ihre Panzerflotten modernisieren. Für sie wird der K2 jetzt noch interessanter. Die entscheidenden Gründe, die Polen für den K2 haben votieren lassen, gelten auch für andere. Die deutsche Industrie kann nur dann wieder ins Spiel kommen, wenn sie in der Lage ist, schnell eine deutliche Weiterentwicklung des Leopard 2 anzubieten, zusammen mit einem Konzept, wie dieser Panzer in großer Stückzahl im Land der Abnehmer gebaut werden kann.

In Warschau heißt es, was die Einführung eines weiteren Panzertyps in der polnischen Armee angeht, dass, entsprechend der angestrebten Struktur der polnischen Panzertruppe, sich die schweren amerikanischen Abrams operativ mit dem leichteren K2-Modell ergänzen sollen. Der K2 Panzer verfügt gegenüber dem amerikanischen Abrams über eine größere Geländegängigkeit und Manövrierfähigkeit sowie die Fähigkeit, Wasserläufe zu überqueren. Zusätzlich besitzt er wirksamere Elemente der Feuerleitanlage.

Die K9-PL-Haubitzen

Die südkoreanische Panzerhaubitze K9 Thunder ist mit einer 155-mm-Kanone bewaffnet und hat eine Reichweite von 40 Kilometern. Es ist ein rein südkoreanisches Produkt und keine Kombination von Bestandteilen aus mehreren Ländern, wie die vergleichbare, in Polen hergestellte Panzerhaubitze Krab. Ihr Turm kommt aus England, das Fahrgestell aus Südkorea, Motor und Getriebe aus Deutschland, der Rest ist polnisch. Die Geschützreichweite der Krab beträgt 4,5 bis 40 Kilometer und die maximale Geschwindigkeit 60 km/h. Sie feuert zwei bis drei Schuss pro Minute. Die polnische Armee hat 92 Krabs bestellt, wovon bis Mitte 2022 80 Stück geliefert wurden.

Panzerhaubitze K9 Thunder.

18 Krab Haubitzen hat Polen der Ukraine geschenkt, woraufhin die Ukrainer 54 Stück für umgerechnet ca. 640 Millionen Euro in Polen in Auftrag gegeben haben. Sie sind voll des Lobes über deren hohe Mobilität und Treffsicherheit. Dennoch, so ist in polnischen Fachkreisen zu hören, die sehr gute Kanonenhaubitze Krab, die jetzt die ukrainischen Streitkräfte bei der Aggressionsabwehr unterstützt, besteht aus vielen Komponenten, die unter verschiedenen Lizenzen hergestellt werden. Dies bringt Komplikationen mit sich.

Für die Haubitze K9-PL, die in Polen, in polnisch-koreanischer Zusammenarbeit produziert werden soll, wird es nur eine ausländische Quelle geben – Südkorea. Der große Vorteil der K9 ist das automatische Ladegerät, das in polnischen Haubitzen nicht vorhanden ist.

Polnische Panzerhaubitze Krab.

Die ersten K9 sollen noch 2022 geliefert werden, auch, um die Lücke nach dem Rüstungstransfer in die Ukraine zu schließen. Die geplante PL-Variante soll ebenfalls eine automatische Nachladevorrichtung haben und eine höhere Feuerrate aufweisen als die der Krabs.

Der Kaufvertrag sieht in der ersten Stufe die Lieferung von 48 Kanonenhaubitzen vor, die nächste Stufe beinhaltet die Lieferung von mehr als 600 Geschützen ab 2024. Ab 2026 sollen die K9 in Polen gefertigt werden. Alle K9 sollen von Anfang an mit polnischen Kommunikationssystemen ausgestattet und an das integrierte Kampfmanagementsystem Topaz angeschlossen sein.

Der Kampfjet FA-50

Polen ist 2022 eines von nur noch drei Nato-Ländern mit MiG-29-Kampfflugzeugen (23 Maschinen) und das einzige, das noch die Su-22 (18 Flugzeuge) einsetzt. Die in die Jahre gekommenen Jets aus der Sowjet-Ära wurden mehrfach aufwendig aufgerüstet, um ihre Systeme Nato-kompatibel zu halten. Es wird jedoch zunehmend schwieriger, dafür zu sorgen, dass sie auch kampftauglich bleiben, zumal eine schrumpfende Nutzerzahl und Sanktionen gegen Russland die Verfügbarkeit von Ersatzteilen einschränken.

Der staatliche Rüstungskonzern Polska Grupa Zbrojeniowa (PGZ) stellt MiG-29 Ersatzteile im eigenen Land her, wartet auch die polnischen MiG-29 und Su-22. Allerdings kann das Unternehmen keine MiG-29 Triebwerke produzieren. Außerdem wurden im Inland hergestellte Komponenten mit einem tödlichen Absturz im Jahr 2018 in Verbindung gebracht, der zur vorübergehenden Stilllegung der polnischen MiG-29-Flotte führte.

FA-50 beim Start.

Polen verfügt bereits über 36 F-16 aus US-amerikanischer Produktion und hat bei den USA 32 F-35A Tarnkappenjets bestellt. Die 48 Flugzeuge des Typs FA-50 aus Südkorea sollen Warschau helfen, die Modernisierung voranzutreiben.

Die FA-50 ist ein leichtes Kampfflugzeug. Es kann Überschallgeschwindigkeiten von Mach 1,5 erreichen und verschiedene Bomben sowie Luft-Luft- und Luft-Boden-Raketen mit bis zu vier Tonnen Gewicht tragen. Die maximale Flughöhe beträgt 16.800 Meter. Polen wird das verbesserte Block-20-Modell erhalten, das mit Nato-Systemen kompatibel ist.

In Warschau entschied man sich für die FA-50 jedoch nicht nur wegen ihrer Kampffähigkeit, sondern wiederum auch  wegen der Schnelligkeit, mit der sie beschafft werden konnte. Man hatte auch andere Flugzeuge in Betracht gezogen, darunter weitere F-16, aber keines konnte schnell genug geliefert werden. Die polnischen Luftstreitkräfte sollen die ersten zwölf FA-50 bis Mitte 2023 erhalten.

Außerdem basiert die FA-50 auf dem südkoreanischen Trainings- und leichten Kampfflugzeug T-50, das Korea Aerospace Industries in Zusammenarbeit mit Lockheed Martin, dem Hersteller der F-16, entwickelt hat. Ein Pilot, der auf einer F-16 ausgebildet wurde, braucht daher wenige Trainingsstunden, um auch eine FA-50 selbständig fliegen zu können. Die Kosten für die Ausbildung als solche sind dadurch viel geringer, und man kann mehr Piloten ausbilden.

Staatspräsident Andrzej Duda (Bildmitte) und Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak begutachten ein FA-50 Modell während der Militärtechnikmesse in Kielce am 5. September 2022.

Gemäß dem Vertrag mit Südkorea wird es bis 2026 eine FA-50 Wartungs- und Serviceeinrichtung in Polen geben. Auf diese Weise erhält das Land eine verlässliche Option für Ersatzteile, was besonders im Falle von Konflikten mit hoher Intensität wichtig ist, wenn Lieferketten unterbrochen werden können. Auf diese Weise kann die Einsatzbereitschaft von Kampfflugzeugen auf höchstem Niveau gehalten werden. Zudem haben die amerikanischen F-16 und südkoreanischen FA-50 viele identische Bauteile, sodass zwei Lieferketten bestehen, eine koreanische und eine amerikanische, die sich im Falle von Störungen gegenseitig ergänzen können.

Die polnischen FA-50 Kampfflugzeuge sollen in ihrer endgültigen Konfiguration FA-50PL das AESA-Radar, die hochmodernen AIM-9X Sidewinder Kurzstreckenraketen und längerfristig auch die AIM-129 AMRAAM Mittelstreckenraketen erhalten. Da das Flugzeug mit einem Scharfschützenzielgerät ausgestattet sein wird, können die Raketen nicht nur per Radar, sondern auch durch Laser gelenkt werden.

Damit werden die FA-50PL die Fähigkeiten der MiG-29 Kampfflugzeuge deutlich übertreffen und eine vollwertige Ergänzung zu den F-16 Flugzeugen sein.

Die Folgen

Der Südkorea-Großeinkauf, gepaart mit weiteren Anschaffungen in den USA, soll Polen innerhalb kurzer Zeit in den Rang der militärisch stärksten europäischen Nato-Partner hieven und einen Abschreckungseffekt erzielen, der Russland dauerhaft von einem Überfall abhält. Diesem Ziel dient auch die amerikanische Militärpräsenz in Polen.

Sollte es Russland dennoch wagen Polen, anzugreifen, will das Land hartnäckigen Widerstand leisten können und, das Schicksal der ukrainischen Bevölkerung in den russisch besetzten Gebieten vor Augen, dem Angreifer möglichst keine Geländegewinne gestatten. Mit einem unsicheren Kantonisten wie Deutschland im Rücken, gilt es vielleicht sogar den Russen einige Wochen lang Widerstand zu leisten, bis der amerikanische Entsatz kommt.

Eine so schnelle und umfangreiche Neubewaffnung stellt Staat und Armee vor riesige Aufgaben. Kampfpersonal und Wartungsdienste müssen erheblich aufgestockt und ausgebildet werden. Angesichts des gewaltigen Material- und Munitionsverbrauchs in der Ukraine, gilt es große Reserven anzulegen und die Munitionsherstellung im Land deutlich zu erhöhen. Umfangreiche Baumaßnahmen sind unumgänglich. Das alles ist sehr teuer, aber immer noch viel billiger als die Folgen eines von Russland entfachten Vernichtungskrieges auf eigenem Territorium.

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@ RdP




Beruhigen oder verteidigen?

Wozu werden US-Truppen in Polen stationiert.

In Europa befinden sich bereits 100.000 amerikanische Soldaten. Die meisten von ihnen sind jedoch immer noch in Ländern stationiert, die der Gefahr eines russischen Überfalls am wenigsten ausgesetzt sind.

Polnisch-amerikanischer Soldatenhandschlag.

Die Angaben über die wachsende Anwesenheit der US-Armee in Europa kann man auf zweierlei Weise darstellen. Ist das Glas halb voll oder halb leer? In diesem Fall geht es jedoch nicht darum, ob man die Wirklichkeit optimistisch (halb voll) oder pessimistisch (halb leer) wahrnimmt. Gefragt ist eine nüchterne Analyse der (Un-)Möglichkeiten, die durch eine sinnvolle Kräfteverteilung entstehen.

Aufteilung der Kräfte

Etwa 100.000 amerikanische Soldaten, die insgesamt in Europa stationiert sind, das ist in der Tat die höchste Zahl seit zwei Jahrzehnten. Auf den ersten Blick vermittelt sie den Eindruck, dass sich der Alte Kontinent in Sicherheit wähnen kann. Vor allem wenn man bedenkt, dass sich die USA noch vor wenigen Jahren langsam aus Europa zurückziehen wollten, was die europäischen Staaten dazu zwingen sollte, mehr für ihre eigene Verteidigung auszugeben.

Ehrlicherweise muss man auch eingestehen, dass gut 12.000 von den in diesem Jahr neu entsandten 20.000 US-Soldaten in Mittel- und Osteuropa angekommen sind, die meisten davon (etwa 10.000) in Polen. Doch die verstärkte amerikanische Präsenz an der Nato-Ostflanke hebt das bestehende Missverhältnis noch immer nicht auf. Gut 80 Prozent der amerikanischen Truppen sind nach wie vor in westeuropäischen Ländern stationiert, die einen russischen Angriff am wenigsten zu befürchten haben.

Nato- und US-Army-Stützpunkte in Polen.

Warum hat sich an diesem Missverhältnis, trotz der wachsenden Bedrohung durch Russland im Laufe der Jahre, nichts geändert? Das entscheidende Übergewicht der amerikanischen Truppenpräsenz in Deutschland oder Italien lässt sich nicht mehr allein mit historischen Gründen erklären. Und wenn Washington noch vor zehn oder gar fünf Jahren zögerte, das US-Militärkontingent in Polen und in den baltischen Staaten erheblich (nicht nur symbolisch) zu erhöhen, so ist heute jegliche „Vorsicht“ in dieser Angelegenheit einfach nicht mehr zeitgemäß.

Wenn es so gut ist…

Doch kann man von Vorsicht sprechen, wo sich doch die militärische Präsenz der USA in Mittel- und Osteuropa allein seit Januar 2022 mehr als verdoppelt hat? Sind Zweifel angesagt, wenn neben den Amerikanern die Ostflanke durch die Anwesenheit von fast 10.000 NATO-Soldaten aus anderen Mitgliedstaaten zusätzlich verstärkt wird?

Warum sollte man sich auf den leeren Teil des Glases konzentrieren, wenn die Amerikaner, ungeachtet der weiteren Verstärkung ihrer ständigen Brigaden in Deutschland und Italien, gleichzeitig eine Luftlandebrigade in Polen und zwei gepanzerte Brigaden mit Raketenartillerieunterstützung, aufgeteilt auf Deutschland, Polen und Litauen, aufgestellt haben?

US-Präsident Joe Biden mit Soldaten der 82. Luftlandedivision bei seinem Besuch in Polen am 25. März 2022.

Gibt es Gründe sich zu beschweren, wenn wir sogar von der Verlegung amerikanischer Streitkräfte aus Deutschland profitiert haben? Die Amerikaner haben zwei Patriot-Raketen-Batterien von Deutschland nach Polen gebracht, 1.000 Soldaten wurden nach Rumänien verlegt und gleichzeitig sind mehrere Hundert amerikanische Soldaten von Italien in die baltischen Staaten geschickt worden.

Hinzu kommen zahlreiche amerikanische Übungen gemeinsam mit polnischen Truppen und die Verstärkung der Luftpatrouillen in der gesamten Region. Ist das nicht genug, um gut zu schlafen und keinen Angriff aus Russland zu befürchten?

Schwäche in der Stärke?

Die Antwort finden wir in den Zahlen und in den Erklärungen der amerikanischen Regierung. Um es klar zu sagen: 20.000 amerikanische Soldaten in Polen, von denen die meisten, und das ist wichtig, nicht in der Nähe der Ostgrenze stationiert sind, reichen nicht aus, um Russland abzuschrecken. Denn es geht um Abschreckung und nicht darum, einen Angriff hinzunehmen in der Hoffnung, dass die polnische Armee mit Unterstützung der Verbündeten den Gegner besiegt. Die furchtbaren Zerstörungen und die russischen Verbrechen in der Ukraine sprechen eine deutliche Sprache.

Zweitens gibt es immer noch kein klares Signal aus Washington, dass die Stützpunkte, die in Polen eingerichtet werden, auf Dauer bestehen bleiben werden, so wie in Deutschland. Bislang beschränken sich die Erklärungen von Leuten aus dem Umfeld von Joe Biden (und davor Donald Trump) eher auf Aussagen, dass alle jüngsten Verlegungen von US-Truppen nach Europa nur vorübergehend seien, um „die Verbündeten zu beruhigen“.

In diesen Erklärungen ist Schwäche erkennbar: Das Ziel ist die „Beruhigung“ der Länder an der Ostflanke der NATO. Und das ist definitiv etwas anderes als die echte Abschreckung eines Aggressors.

Die Maßnahmen der Amerikaner mögen uns zwar „beruhigen“, aber in Wirklichkeit ändern sie nicht viel an der Verteidigungsfähigkeit, geschweige denn an der Abschreckung. Die erwähnte Verlegung von ein paar Hundert Soldaten aus Italien in die baltischen Staaten mutet wie ein Scherz an.

Dabei haben die in den letzten Jahren von führenden europäischen und US-amerikanischen Think Tanks veröffentlichten Berichte deutlich gezeigt, dass Litauen, Lettland und Estland im Falle eines Angriffs sehr lange auf starke Unterstützung durch die Verbündeten warten müssten, um diesen erfolgreich abwehren zu können.

US-Interessen

Auch wenn die Situation in Polen theoretisch etwas besser zu sein scheint, fehlt es an den verwundbarsten Stellen an einer wirklichen Abschreckungsstreitmacht. Es ist schwer zu verstehen, warum die sogenannte Suwałki-Lücke, deren Besetzung es den Russen ermöglichen würde, von weißrussischem Territorium aus eine Verbindung nach Kaliningrad herzustellen, heute nicht zu den am besten geschützten Gebieten in Europa gehört, obwohl die Nato in ihren eigenen Analysen diese Region als eine der sensibelsten der Welt bezeichnet.

Um es unverblümt zu sagen: Wenn amerikanische Truppen wirklich eine abschreckende Wirkung auf den Feind haben sollen, dann müssten 100.000 Soldaten der US-Armee heute nicht über ganz Europa verstreut sein, mit dem Schwerpunkt im sicheren Deutschland oder Italien, sondern sie müssten entlang der östlichen Nato-Grenze von Estland über Polen bis Rumänien stehen. Und im „alten“ Europa müsste es zusätzliche 50.000 Mann geben.

Solche Größenverhältnisse sind sinnvoll. Nicht nur für die polnische Sicherheit. Schließlich haben auch die Amerikaner ein Interesse daran, dass Europa nicht noch einmal zum Schauplatz eines Weltkrieges wird. Es liegt ebenso im Interesse der USA, dass die amerikanische Luft- und Seeverteidigung Orte wie z. B. das Flüssiggas-Terminal in Świnoujście/Swinemünde schützt, das unter anderem mit Gas aus den USA beliefert wird.

Auf wessen Kosten?

Auf dem Nato-Gipfel in Madrid am 29. und 30. Juni 2022 haben sich die Amerikaner durchgerungen zu verkünden, dass die Kommandozentrale des V. US-Korps, das die amerikanischen Streitkräfte an der Nato-Ostflanke befehligen soll, dauerhaft in Polen stationiert wird. Die in Polen angesiedelten US-Truppen sollen jedoch wie bisher weiterhin regelmäßig ausgetauscht werden.

Polen wird also weiterhin nichts anderes übrig bleiben, als auf die Amerikaner einzuwirken, damit sie endlich ständige US-Militärstützpunkte im Land einrichten. Natürlich gibt es hier viele Probleme, denen das Weiße Haus Rechnung tragen muss. Die logistische Herausforderung wäre enorm. Es müssten bedeutende Truppenkontingente von Deutschland nach Polen verlegt werden. Dabei ist zu bedenken, dass es sich um eine Aufgabe handelt, die nicht nur die Soldaten, sondern auch deren Familien betrifft und somit die Errichtung einer enormen Infrastruktur erfordert.

Amerikanische Soldaten in Krakau.

Polen müsste in diesem Fall einen erheblichen finanziellen Beitrag leisten. Südkorea und Japan zahlen für die Anwesenheit amerikanischer Soldaten enorme Summen. In Polen herrscht diesbezüglich die Meinung vor, dass die Aufrechterhaltung ständiger US-Stützpunkte auf polnischem Territorium eine gute Investition in die Sicherheit darstellt, ebenso wie der Kauf von modernster Waffentechnik.

Atomwaffen an der Weichsel?

Vieles hängt davon ab, wie sich die Lage an der Frontlinie des russischen Krieges gegen die Ukraine entwickelt. Vielleicht werden die Amerikaner beschließen, dass es ausreicht, die Ukrainer schwer zu bewaffnen und Russland weiterhin mit Sanktionen zu schwächen, um die Gefahr einer Ausbreitung des Krieges auf ganz Europa wirksam hinauszuschieben. Und dann wäre das Thema ständiger US-Stützpunkte in Polen auch in den Vereinigten Staaten vom Tisch.

Das jedoch, würde das Problem lediglich verschieben. Denn selbst wenn es den Ukrainern gelingen sollte, den Aggressor zu vertreiben, denkt im Westen niemand an eine echte Niederlage Russlands. Und das bedeutet, dass das Problem Russland in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wachsen wird. Es könnte ein weiterer Krieg drohen. Die Ukrainer mögen für Europa ein paar Jahre Frieden erkämpfen, aber bei der strategischen Planung denkt man Jahrzehnte voraus.

Das erfordert eine Neudefinition der amerikanischen Präsenz in Europa, ständige Stützpunkte in Litauen, Polen oder Rumänien. Atomwaffen auf polnischem Gebiet? Das ist keine Science-Fiction mehr, sondern ein Szenario, das von militärischen und politischen Strategen ernsthaft in Betracht gezogen werden muss. Und vieles deutet darauf hin, dass solche Überlegungen eine gute Chance haben, in die Tat umgesetzt zu werden.

@ RdP




Leistungsstark, sicher, umstritten. Abrams-Panzer für Polen

Werden die US-Riesen die Sicherheit des Landes ausreichend stärken?

 In der Wüste hat er sich bewährt. Wird er sich in Ostpolen bewähren? Der Abrams übertrifft, zumindest auf dem Papier, die russischen Panzer um Längen.

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Die erste Lieferung von 28 Geräten soll noch in diesem Jahr in Polen eintreffen. Es werden Schulungspanzer sein. Anschließend sollen nach und nach 220 vollwertige Kampfpanzer geliefert werden. Der Auftrag im Wert von über 23 Milliarden Zloty (gut 5 Milliarden Euro) soll bis 2026 abgeschlossen sein. Danach wird die polnische Armee mit einem der modernsten Panzer ausgestattet sein, die es heute gibt. Das heißt aber nicht, dass der Abrams nur Vorzüge hat.

Der Name des Panzers erinnert an General Creighton Abrams, der im Zweiten Weltkrieg ein Panzerbataillon und gut zwanzig Jahre später das gesamte amerikanische Truppenkontingent in Vietnam befehligte. Das Fahrzeug wurde von der Firma Chrysler Defense entwickelt, die später von General Dynamics übernommen und in General Dynamics Land Systems umbenannt wurde. Die Konstruktion entstand bereits in den 1970er-Jahren, die Serienproduktion begann 1980. Anfangs war die Leistung des Panzers seinen europäischen Konkurrenten unterlegen, doch später wurde das Kampffahrzeug wiederholt verbessert. Insgesamt gibt es inzwischen mehr als ein Dutzend Abrams-Versionen. Über zehntausend Stück wurden produziert.

Außer in den Vereinigten Staaten werden sie von den Armeen Marokkos, Kuwaits, Iraks, Ägyptens, Australiens, Saudi-Arabiens und bald auch Taiwans eingesetzt. Die Amerikaner nutzen sie in Europa, u. a. auch in ihrem Stützpunkt in Powidz, ungefähr einhundert Kilometer östlich von Poznań/Posen. Polen wird das neueste Modell, die M1A2 SEP v3, erhalten, das 2020 in Dienst gestellt wurde.

Schwer zu knacken

Ende der 1980er-Jahre war unklar, ob der Abrams auf dem modernen Schlachtfeld noch etwas ausrichten kann. Dann hat er sich jedoch während der Befreiung Kuwaits zwischen Januar und März 1991 (Operation Wüstensturm) sehr gut bewährt und war dem T-72 aus der Sowjetzeit, der von den Irakern eingesetzt wurde, haushoch überlegen. Die geringen Verluste gaben Anlass zu Optimismus. Nach Angaben des Rüstungs-Fachportals Defence24 wurden von den 1.800 M1, die damals in den Kampf fuhren, nur 23 zerstört oder schwer beschädigt, zwei davon von den eigenen Besatzungen, um zu verhindern, dass die Fahrzeuge in feindliche Hände fallen.

Im Dritten Golfkrieg, gegen Saddam Hussein, im Frühjahr 2003 erwies sich der Abrams erneut als schwer zerstörbar. Bis 2005 waren 1.100 dieser Panzer im Irak im Einsatz. Siebenhundert von ihnen wurden getroffen, aber im Allgemeinen entstanden minimale Schäden. Nur achtzig mussten in den Vereinigten Staaten überholt werden.

Nach dem Krieg rüsteten die Amerikaner die neue irakische Armee mit Abrams-Panzern aus. Bei den Kämpfen gegen den Islamischen Staat verloren die Iraker über fünfzehn von ihnen. Etliche weitere wurden von den Dschihadisten erbeutet und dann gegen die irakische Armee eingesetzt. Nun waren es die Amerikaner, die mit der Jagd auf den Abrams aus der Luft begannen und viele zerstörten.

Nach 2015 kam er im Krieg im Jemen durch die saudi-arabische Armee zum Einsatz. Hier wurden durch die Huthi-Rebellen mindestens dreiundzwanzig Panzer außer Gefecht gesetzt. Nach offiziellen Angaben wurden in all den erwähnten Konflikten nur fünfzig bis sechzig Abrams vollständig zerstört. In Wirklichkeit waren die Verluste höher, denn einige Maschinen, die lediglich als beschädigt eingestuft wurden, mussten fast von Grund auf neu gebaut werden. Ausgerechnet russische Granatwerfer, darunter die uralte Kornet und der noch ältere RPG-29, können den amerikanischen Panzern etwas anhaben.

Auf den ersten Blick

Dennoch ist der Abrams auf den ersten Blick ein sehr guter, wenn nicht der beste Panzer der Welt. Sehr wenige Schwachstellen, ein allgemein gelungenes Konstruktionssystem mit isolierten Magazinen zur sicheren Aufbewahrung der Munition, dicke Kammern der Spezialpanzerung und in der Version M1A2 SEP v.3, die Polen erwerben will, auch die modernsten Lösungen im Bereich der zur Panzerung verwendeten Materialien (NGAP-Verbundpanzerung), ein verbessertes Feuerleitsystem (SKO) und ein Hilfsenergiesystem. Diese und andere Vorteile ließen sich lange aufzählen.

Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak und der stellv. Ministerpräsident Jarosław Kaczyński bei der Verkündung der Entscheidung, Abrams-Panzer für die polnische Armee zu kaufen, in der 1. Warschauer Panzerbrigade in Wesoła bei Warschau am 14. Juli 2021.

In der Kabine ist Platz für vier Soldaten. Die Hauptbewaffnung ist eine 120-mm-Kanone aus deutscher Produktion. Sie kann u. a. mit Panzerabwehrraketen aus abgereichertem Uran und Munition für den Abschuss von Tieffliegern bestückt werden. Kleinere Ziele werden mit Kanonen des Kalibers 12,7 mm oder 7,62 mm und einer ferngesteuerten Kanone, die zum TUSK-Set für den Stadtkampf gehört, beschossen.

Vorerst wird der polnische Abrams nicht mit einem aktiven Schutzsystem ausgestattet, aber die Armeeführung erwägt die Anschaffung. Hier könnten das israelische Trophy oder das amerikanische MAPS-System zum Einsatz kommen. Das Gefechtsführungssystem, die sogenannte Joint Battle Command Platform, gilt als sehr modern, und die Kommunikation der Abrams soll mit dem polnischen System Jaśmin synchronisiert werden.

Wie General Maciej Jabłoński, Inspekteur der Bodentruppen im Generalkommando der Streitkräfte, in einem Interview mit der Monatszeitschrift „Polska Zbrojna“ („Bewaffnetes Polen“) betonte, schätzt die NATO das Potenzial des Abrams im Vergleich mit dem in Russland beliebten T-80, der sich heute in der Ukraine im Einsatz befindet, als doppelt so hoch ein.

Ein Nichtschwimmer

Einer der größten Nachteile des Abrams ist sein Gewicht von mehr als 60, bei einigen Modellen sogar bis zu 70 Tonnen. Das ist der Preis einer soliden Panzerung. Zum Vergleich: Russische Panzer wiegen nicht mehr als 45 Tonnen.

Leopard-Panzer der polnischen Armee.

In der Wüste kann ein Panzer schwer sein. In dem von Flüssen durchzogenen Mitteleuropa ist das anders. Viele polnische Brücken halten nicht einmal dem Gewicht des Leopard stand, der ohnehin etwas leichter ist als der Abrams. Außerdem kann der deutsche Panzer, ebenso wie die russischen, über den Grund eines Flusses fahren. Der amerikanische Konkurrent benötigt schon eine spezielle Ausrüstung, um bis auf die Höhe der Einstiegsluken abtauchen zu können.

Daher würde er bei Einsätzen im Nordosten Polens, dem Ausgangspunkt eines möglichen Konflikts mit Russland und Weißrussland, nicht von Nutzen sein. Das russische Gerät würde es ebenfalls in den Unwägbarkeiten Masurens und der Suwałki-Seenplatte nicht leicht haben, aber auf die Abrams würde es wahrscheinlich erst im Vorfeld von Warschau stoßen.

Ein weiterer Nachteil des M1 ist der Kraftstoffverbrauch. Er kann mit Diesel, Flugbenzin JP-8 oder niederoktanigem Benzin angetrieben werden. Für 100 Kilometer benötigt er fast 150 Liter Öl. Der Leopard braucht nur 70 Liter, der polnische PT-91 50 Liter. Der Abrams kann mit einer Betankung 420 Kilometer weit fahren, in schwierigem Gelände sogar nur 150 Kilometer. Die Motorleistung unterscheidet sich nicht von den Möglichkeiten der modernen Konkurrenz. Er hat 1.500 PS und erreicht damit eine Geschwindigkeit von 70 km/h in leichtem Gelände und weniger als 50 km/h in ungünstigerem Terrain. Ein Vorteil ist seine gute Beschleunigung.

Die Art und Weise, wie die Munition in die Bordkanone geladen wird, hat Vor- und Nachteile. Während viele Hersteller den Vorgang automatisiert haben, setzen die Amerikaner bis heute auf die manuelle Beladung. Die Feuerrate des Panzers beträgt maximal zwölf Schuss pro Minute, realistisch sind etwa neun.

Die Russen verwenden einen Mechanismus, bei dem die Granaten im Turm wie die Speichen eines Rades angeordnet sind. Die Besatzungen zahlen jedoch einen hohen Preis für diesen Komfort. Wird der Turm getroffen, explodieren die Geschosse, töten alle und zerstören den Panzer vollständig. Beim Leopard befindet sich die Geschützmunition teilweise in abgeschotteten Magazinen, beim Abrams vollständig. Nur die Besatzungen der Abrams haben dadurch gute Chancen, den Treffer in den Munitionsvorrat zu überleben.

Eile ist ratsam

Wie bei der Bundeswehr zu Zeiten des Kalten Krieges soll in Polen eine bewegliche und kampfstarke Vorwärtsverteidigung durch Panzer eine russische Attacke bereits in Grenznähe abfangen. Das jenseits der Grenze liegende Weißrussland ist hierbei in der polnischen Wahrnehmung ausschließlich das perfekte Einfallstor für den Gegner.

Bei der Wahl eines Panzers für die Armee musste Polen jahrelange Vernachlässigungen ausgleichen. Zu Beginn des Jahrhunderts verfügten die polnischen Streitkräfte über 1.500 Panzer, doch ein großer Teil davon waren sowjetische T-55, die an die Zeit von Chruschtschow erinnerten und entsorgt werden mussten.

Später wurden deutsche Leopard gekauft, aber ansonsten passierte nicht viel. Heute verfügt die Armee über 250 Panzer aus Deutschland, die recht gut sind, aber modernisiert werden müssen, was nur sehr langsam geschieht. Darüber hinaus gab es bis vor Kurzem etwas weniger als dreihundert T-72, die allesamt der Ukraine übergeben wurden. Außerdem gibt es 230 Stück der in Polen modifizierten Version des T-72, die als PT-91 Twardy bekannt ist.

Der PT-91 Twardy, eine in Polen modifizierte Version des sowjetischen T-72.

Panzer ähnlicher Kategorie wie der des Abrams, die heute weltweit produziert werden, sind der koreanische K2, die neueste Version des Leopard, der britische Challenger 3 und der russische T14 Armata (letzterer wird noch nicht in Serie produziert). Neben dem Kauf neuer Maschinen wurde auch erwogen, die polnischen Geräte durch einheimische Ingenieure modernisieren zu lassen oder sogar eine eigene Konstruktion zu entwickeln.

Kritiker der Entscheidung, Abrams zu kaufen, weisen darauf hin, dass die polnische Rüstungsindustrie nichts von diesem Kauf haben wird, außer vielleicht der Möglichkeit, eigene Munition zu entwickeln. Polen erhält von den Amerikanern fertige Fahrzeuge und die Amerikaner werden diese auch warten.

Die Pläne für den Bau eines polnischen Panzers kann man getrost vergessen, denn wenn erst einmal 23 Milliarden Zloty für den amerikanischen Panzer ausgegeben sind, wird es schwierig sein, weiteres Geld für einen ähnlichen Zweck zu beschaffen. Die Entscheidung über den Kauf wurde durch die Situation hinter der polnischen Ostgrenze beschleunigt. Ein eigenes polnisches Programm würde sich über Jahre erstrecken. Derweil können Panzer schon bald benötigt werden.

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@ RdP

 




Polens Territorialverteidigung, der Ukraine-Krieg, die Schlüsse

Gut aufgestellt, aber mit 32.000 Mann zu klein.

  Der Verteidigungskrieg in der Ukraine hat bewiesen, wie falsch es war, mathematischen Modellen zu vertrauen, die die Potenziale der Gegner berechnen und so den Verlauf eines Konflikts in Computersimulationen vorhersagen, sagt General Wiesław Kukuła, Kommandeur der Territorialen Verteidigungskräfte.

Oberst Wiesław Kukuła (Jahrgang 1972) wurde am 23. September 2016 zum Kommandeur der Territorialen Verteidigungskräfte berufen und nachfolgend im November 2016 zum Brigadegeneral, im August 2018 zum Divisionsgeneral und im November 2021 zum Waffengeneral befördert. Damit bekleidet Kukuła den zweithöchsten (nach dem Armeegeneral) Dienstgrad, zu dem ein Offizier der polnischen Armee in Friedenszeiten befördert werden kann. Der Rang ist mit dem Generalleutnant in anderen Nato-Staaten vergleichbar.

Wiesław Kukuła.

Kukuła ist Diplomingenieur für Fernmeldewesen (Studium an der Warschauer Militärtechnischen Akademie WAT) und stieg zwischen 1996 und 2016 vom Zugführer zum Kommandeur des Fallschirmjägerregiments 4101 auf. Während dieser Zeit leistete er Dienst beim polnischen Truppenkontingent im Irak (2003 – 2004), des Weiteren absolvierte er Nato- und US-Schulungen für Kommandeure von Spezialeinheiten.

Frage: Wie lauten Ihre wichtigsten Schlussfolgerungen mit Blick auf den Krieg in der Ukraine?

„Immer bereit, stets in der Nähe“. Truppen der Territorialen Verteidigung. Briefmarke von 2021.

General Wiesław Kukuła: Die erste, für mich sehr naheliegende, lautet: Wir konnten die Art und Weise, wie die Russische Föderation den Krieg führen wird, weitgehend vorhersagen. Die Annahmen, die dem Aufbau der Territorialen Verteidigungskräfte (TV) zugrunde lagen, haben sich somit als richtig erwiesen. Wir sehen in der Ukraine, dass ein solcher militärischer Verband, wie die TV, zusammen mit den operativen Truppen, den Feind wirksam abschrecken und zerstören kann, und zwar dadurch, dass er die Geländebedingungen genau kennt sowie spezifische Waffen, wie Panzerabwehrlenkraketen, schultergestützte Boden-Luft-Raketen oder Artillerie, nutzt.

Werden die Territorialen Verteidigungskräfte ihre eigene Artillerie haben?

Es ist dringend erforderlich, mit der Ausbildung von vorgeschobenen Beobachtern in den leichten Infanteriekompanien der TV zu beginnen. Sie sollen das Feuer der Artillerie lenken.

Wir arbeiten in den Territorialen Verteidigungsbrigaden an der Platzierung von Untereinheiten geschult für hochmobile Haubitzen Kaliber 105 Millimeter mit einer Schussweite von bis zu 20 Kilometern. Ebenso wichtig ist es jedoch, mit der Ausbildung von vorgeschobenen Beobachtern in den leichten Infanteriekompanien zu beginnen. Diese Soldaten werden in der Lage sein, nicht nur das Feuer der eigenen Einheiten, sondern auch die Artillerie der Einsatzkräfte zu lenken.

Soldat der TV mit Aufklärungsdrohne.

Unsere Möglichkeiten in diesem Bereich werden durch Aufklärungsdrohnen erweitert, die wir heute schon recht intensiv nutzen, und durch Kurzstrecken-Kampfdrohnen, die ebenfalls zu unserer Ausrüstung gehören. Nach der Bildung von Panzerjägergruppen ist das ein weiteres Vorhaben in unserem Verband.

Wie lauten die weiteren Schlussfolgerungen aus dem Ukraine-Krieg?

Durch Bürgernähe den Widerstandswillen lokaler Gruppen stärken.

Die zweite, eher strategische Schlussfolgerung ist die Bestätigung, dass sich die sogenannte allgemeine Verteidigung als Modell der Verteidigung des Staates bewährt hat, und die Territorialen Verteidigungskräfte als deren Bestandteil spielen eine wichtige Rolle. Die TV aktivieren durch ihre Bürgernähe den Widerstandswillen lokaler Gruppen und prägen die positive Einstellung der Bürger zur Verteidigung.

Es wäre naiv, an die Einhaltung des Kriegsvölkerrechts durch den russischen Aggressor zu glauben. Deshalb ist es so wichtig, Strukturen des Widerstands vorzubereiten.

Drittens. Der Ukraine-Krieg hat uns drastisch vor Augen geführt, dass die Territorialen Verteidigungskräfte lernen müssen, die Selbstverteidigung lokaler Gruppen in vorübergehend verloren gegangenen Gebieten zu unterstützen. Egal welches Verteidigungsmodell wir wählen, es besteht immer die Gefahr, dass der Gegner vorübergehend auf unser Territorium vordringt. Es wäre naiv, an die Einhaltung des Kriegsvölkerrechts durch einen solchen Aggressor in den besetzten Gebieten zu glauben. Deshalb ist es so wichtig, Strukturen des Widerstands vorzubereiten.

Die in den ersten Kriegstagen aufgekommenen Behauptungen, dass die leichte Infanterie die gesamte Verteidigungsarbeit geleistet hat, haben sich als unwahr erwiesen?

Seit dem ersten Tag des Verteidigungskrieges wird die Ukraine von den operativen Streitkräften die dem Verteidigungsministerium unterstehen und den Territorialen Verteidigungskräften, die in der Ukraine dem Innenministerium unterstellt sind, verteidigt. Die leichten Infanterieformationen der TV waren am Anfang, insbesondere in den Städten, sehr sichtbar. Sie und ihre Aktionen wurden mit Handys gefilmt und ins Netz gestellt, die Bilder gingen um die Welt.

Die TV haben die operativen Kräfte, also die reguläre Armee, die sich für einen „Guerillakrieg“ nicht besonders eignet, hervorragend ergänzt. In der Anfangsphase der Operationen, als russische Panzerverbände, ohne Infanteriebegleitung, weit ins ukrainische Gebiet vorstießen und sich in Ortschaften Angriffen aus dem Hinterhalt aussetzten, verkörperten ukrainische Infanteristen der Territorialen Verteidigungskräfte mit Javelin- oder Thunderbird-Flugabwehrraketen in den Augen der Öffentlichkeit den Widerstand.

Einer der größten Nachteile der leichten Infanterie ist jedoch ihre begrenzte Manövrierfähigkeit in größeren Verbänden. Ihre Mobilität ist gering, und sie ist auch nicht in der Lage, sich allein länger in einem zur Verteidigung vorbereiteten Gelände zu halten. Angesichts der Masse der russischen Panzer mussten sich die Verteidigungsoperationen auf massive Truppenbewegungen von Großkampfverbänden stützen. Mechanisierte oder gepanzerte Einheiten und auch die Artillerie begannen auf der ukrainischen Seite eine entscheidende Rolle zu spielen.

Ist die Artillerie immer noch die Königin des Krieges?

Die Kriegsführung ist ein Zusammenspiel von Systemen, von technisch und verfahrenstechnisch miteinander verbundenen Messwertgebern. Es sind viele Umstände, vor allem nichtmaterielle, die ihre Wirkung bestimmen: Kompetenz, Moral, Führungsstärke. In diesem Verständnis gibt es keinen Platz für „Königinnen“. Jeder Soldat hat eine Aufgabe zu erfüllen. Für einen wirksamen Artilleriebeschuss sind beispielsweise gute Aufklärungssysteme und Systeme zum Datenaustausch in Echtzeit unerlässlich. Doch all diese Technologien müssen vom Willen zum Kampf und dem Glauben an den Sieg getragen werden.

Der Verteidigungskrieg in der Ukraine hat bereits bewiesen, wie falsch es war, grenzenloses Vertrauen in mathematische Modelle zu setzen, die die Potenziale beider Seiten berechnen und einen Verlauf in Computersimulationen vorhersagen. Thesen über einen „Drei-Tage-Krieg“ sind genau anhand solch oberflächlicher Berechnungen entstanden.

Auch in Polen hat wahrscheinlich die Mehrheit der Militärs und der Experten so gedacht

Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich davon überzeugt werden sollte, dass ein Verband wie die Territorialen Verteidigungskräfte von den russischen „Speznas“-Elitekommandos vernichtet werden würde. Es gab noch vor Kurzem eine große Zahl von Leuten in Polen, die deren Unbesiegbarkeit priesen.

Als ich zusammen mit meinen Untergebenen beschrieb, wie die afghanischen Mudschahedin in den 1980er Jahren die sowjetischen Spezialeinheiten bekämpften, wurde das nicht zur Kenntnis genommen. Als ich sagte, dass Panzerabteilungen ein härterer Gegner für die leichte Infanterie sind als „Speznas“, wurde das als ein Scherz gewertet. Erfahrung und Gespür von Soldaten, die viele Jahre im Irak oder in Afghanistan gedient hatten und so viel Kampferfahrung angehäuft hatten, sie wurden ignoriert .

Heute empfinde ich deswegen keine Genugtuung. Was zählt ist die Vorbereitung auf einen bevorstehenden Krieg. Ihn durch Abschreckung zu verhindern und wenn das nicht hilft, bereit zu sein, siegreich zu kämpfen. Sicherlich wird unser Gegner Lehren aus dem gegenwärtigen Ukraine-Krieg ziehen. Wichtig ist, dass wir ihm immer einen Schritt voraus sind. Die Absichten der Russischen Föderation sind inzwischen wahrscheinlich für jeden offensichtlich.

Zu Beginn des Krieges zählte die ukrainische Territorialverteidigung einige tausend Soldaten, jetzt sind es über einhunderttausend.

Das unterscheidet uns, denn die Ukrainer begannen mit dem Aufbau ihrer Territorialen Verteidigungskräfte, so wie wir sie verstehen, erst sehr spät, kurz vor Kriegsbeginn. Der zweite Unterschied besteht darin, dass sehr viele Soldaten der ukrainischen TV Reservisten sind, die über Erfahrungen aus dem Grundwehrdienst und sogar aus den Kämpfen im Donbass verfügen. Das begünstigt natürlich eine schnelle Rekrutierung ungemein.

Diese Soldaten wissen bereits, dass nicht jede Kugel, die in ihre Richtung abgefeuert wird, trifft, und sie kennen auch die Wirkung ihres eigenen Feuers. Wir haben kaum so erfahrene Reservisten, und der Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Soldaten macht eben die Erfahrung aus.

Die Ukrainer haben in wenigen Wochen über einhunderttausend Freiwillige aufgenommen. Wie hoch ist das Aufnahmepotenzial in Polen? Wenn fünfzigtausend Menschen über Nacht zu Ihnen kommen und sagen: Wir wollen dienen, werden Sie sie aufnehmen?

Das ist auch in Polen möglich. In unseren TV haben wir eine große Anzahl von Ausbildern, die wir noch ständig vergrößern. Aber es geht darum, vor dem Krieg zu trainieren, um zu verhindern, dass unvorbereitete Menschen in den Krieg ziehen oder Kriegsaufgaben von heute auf morgen übernehmen müssen. Deshalb wollen wir uns jetzt stärker der allgemeinen Kampfausbildung widmen. Das neue Landesverteidigungsgesetz macht das möglich.

Heiratsantrag nach der Übung. Kampftechniken vermitteln, mit minimalen Auswirkungen auf das Familien- und Berufsleben.

Dank dieses Gesetzes können wir das Potenzial der Streitkräfte erweitern, die positive Einstellung zur Landesverteidigung besser gestalten und die Bürger für eine neue Form des Militärdienstes, die aktive Reserve gewinnen. Sie macht die Vermittlung grundlegender Kampftechniken und deren Beibehaltung mit minimalen Auswirkungen auf das Familien- und Berufsleben des Reservisten möglich.

In der Ukraine gibt es genügend sehr taugliche Reservisten, und schließlich konnte man auch die Ausrüstung für sie auftreiben, vor allem dank der Hilfe aus dem Westen. Haben wir in Polen genügend Ausrüstung?

Es gibt nie genug Ausrüstung. Jeder Krieg ist ein Beweis dafür. Die Fähigkeit, sie nicht nur aus eigenen Vorräten und nationaler Herstellung aufzufüllen, ist einer der am meisten unterschätzten Vorteile unserer Nato-Mitgliedschaft. Ich möchte das Beispiel der berühmten Javelin, einer tragbaren Fire-and-Forget-Panzerabwehrlenkwaffe, anführen.

Panzerjäger der TV richten eine Panzerabwehrlenkwaffe

Viele Fachleute waren überrascht, dass wir bei der ersten Beschaffung vor einigen Jahren viel Simulationsausrüstung und verhältnismäßig wenige Raketen gekauft haben. Schon die Tatsache, dass gerade diese Panzerabwehrlenkwaffe gewählt wurde, war für sie überraschend. Doch das ist die am häufigsten verwendete Panzerabwehrwaffe in der Nato. Im Kriegsfall ist sie am schnellsten lieferbar. Deswegen werden Ende 2022 mehr als tausend polnische Soldaten in der Lage sein, Panzer mit diesem Gerät zu zerstören. Wir werden ihre Zahl jedes Jahr vervielfachen. Ich möchte nochmals betonen, dass es am wichtigsten ist, Kampffähigkeiten vor dem Kriegsausbruch zu vermitteln.

Seit Beginn des Ukraine-Krieges rennen euch die Freiwilligen die Türen ein.

Ja, die Zahl der Interessenten ist siebenmal höher als früher, aber wir beobachten auch eine neue Erscheinung. Nicht jeder Interessierte will Soldat werden. Viele Freiwillige wollen lernen, wie man kämpft, ohne in Friedenszeiten dauerhaft an die Streitkräfte gebunden zu sein. Wir spüren auch einen zunehmenden Druck, die Wartezeit für die Einberufung zur Ausbildung so kurz wie möglich zu halten. Das ist heute eine ziemliche Herausforderung, denn die Ausbildungsstätten befinden sich noch im Aufbau.

Derzeit befinden sich zweitausend Soldaten der Territorialen Verteidigungskräfte an der Grenze zu Weißrussland, aber das ist nur ein kleiner Teil der polnischen Streitkräfte, die dort im Einsatz sind. Ist es nicht ein Versagen, dass die TV nicht in der Lage sind, dort die regulären Soldaten vollständig zu ersetzen?

Das ist eine falsche These. Die Territorialen Verteidigungskräfte sollen weder die regulären Truppen ersetzen, noch sind sie deren Reserve, wie einige Experten immer noch fälschlicherweise glauben. Die TV und die Einsatzkräfte sind nicht identisch, sondern ergänzen sich vielmehr.

Viele Soldaten der TV sind Abiturienten und Studenten.

Der Dienst in den TV ist territorialer Natur. Soldaten sollten dort dienen, wo sie leben und arbeiten. Es ist ein sehr spezifischer Dienst, weil er mit dem Familien- und Berufsleben verbunden ist. Viele unserer Soldaten sind Abiturienten und Studenten, und wenn wir sie jetzt an die polnisch-weißrussische Grenze schicken, dann haben sie Probleme mit der Vorbereitung auf Prüfungen.

Das ist ein banales Problem, aber ein wichtiges, denn im Mittelpunkt der Ausbildung steht der Soldat. Für uns ist das eine gute Lehre, um die Verwaltung der Personalressourcen zu verbessern. Interessanterweise gab es während der COVID-19-Pandemie weniger Behinderungen, weil damals viele Arbeitgeber die Tätigkeit ihrer Firmen einschränkten.

Die Leute hatten keine Arbeit, also wollten sie zum Militär gehen?

In gewisser Weise, ja. Ich erinnere mich, dass auch schon behauptet wurde, die Territorialen Verteidigungskräfte seien eine Arbeitslosenarmee, was sich als unwahr erwies. Etwa 90 Prozent unserer Soldaten studieren oder arbeiten, was ihre Verfügbarkeit für einen langfristigen Dienst in Friedenszeiten einschränkt.

Aus nachvollziehbaren Gründen akzeptieren einige Arbeitgeber eine so lange Abwesenheit ihrer Mitarbeiter nicht. Andererseits gibt es erste Arbeitgeber, die beschließen, Programme zur Unterstützung von Mitarbeitern, die Soldaten der Territorialen Verteidigungskräfte sind, zu starten. Dabei nutzen die Firmen ihre eigene Leistungskraft, um in der Arbeitnehmerschaft verteidigungsfreundliche Einstellungen und Kompetenzen zu fördern. Gute Beispiele sind die Polnische Post oder die Staatswälder.

In unserer Gesellschaft steckt ein sehr großes Potenzial, und wir sollten die Voraussetzungen für die Entwicklung der Verteidigungskompetenzen aller interessierten Bürger schaffen. Auf diese Weise bauen wir das Fundament für die allgemeine Verteidigung. Ein solches Modell der Selbstbehauptung gewährleistet nicht nur die Abschreckung, sondern auch eine siegreiche Verteidigung.

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RdP

Das Gespräch erschien am 24. April 2022 in der Tageszeitung „Dziennik Gazeta Prawna“ (Tagblatt Juristenblatt“).




Wie stark ist die polnische Armee…

…und welche Lehren sie aus dem Ukraine-Krieg ziehen sollte.

  
Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine begann am 24. Februar 2022  der erste große reguläre Krieg in Europa seit 1945. Er wird von zwei großen Staaten geführt, die sich auf einem ähnlichen technologischen Entwicklungsstand befinden, und zeichnet sich durch eine enorme Intensität der Kampfhandlungen aus. Die erste Phase dieses Krieges, die mit einer strategischen Niederlage Russlands endete, lässt Schlussfolgerungen zu, die für die polnische Verteidigungsplanung sehr nützlich sein können. Denn wie im Falle der Ukraine, kann Polens Gegner nur Russland heißen, und auf ihn gilt es sich einzustellen.

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Das Aus für die „Armee neuen Typs“

LEHRE 1. Als völlig unbrauchbar erweist sich angesichts des Ukraine-Krieges das Armee-Konzept, welches die Regierung Donald Tusk in ihrer Amtszeit (2007 bis 2015) umgesetzt hat. Durch massive Ausgabeneinschränkungen und Standortschließungen wurde Polens Berufsarmee bis zum Jahr 2014 auf 96.000 Mann reduziert. Davon waren nicht mehr als 60.000 einsatztauglich.

Voraussichtliches Kampfgebiet im Nordosten Polens.

Diese eher kleine Kampftruppe, bestehend aus allen drei Waffengattungen, sollte auf einem beschränkten Gebiet im Nordosten des Landes (d. h.  entlang der Grenzen zum Kaliningrader Gebiet, zu Litauen und Weißrussland, die mittlere Weichsel mit Warschau im Rücken) versuchen, die Russen aufzuhalten. Sie hätte keine Möglichkeit gehabt, ihre Verluste durch Reservisten auszugleichen, denn seit 2008 wurden aus Kostengründen keine Reservisten mehr zu Übungen eingezogen. Im selben Jahr wurde ebenfalls der Wehrdienst abgeschafft.

Die polnische Armee war damals auf einen kurzen Abwehrkrieg ausgerichtet. Sie sollte durchhalten bis der Nato-Entsatz in die Kämpfe eingreift. Doch bis der eingetroffen wäre, könnten die Russen bereits Warschau eingenommen haben. Zu Tusks Zeiten gab es in Ostpolen keine Nato- und US-Stützpunkte wie heute.

Dagegenhalten, bis Hilfe kommt

LEHRE 2. Würde sich die Ukraine nicht derart vehement und erfolgreich zur Wehr setzen, sondern hätte nach wenigen Tagen die Waffen gestreckt, hätte der Westen sie schnell abgeschrieben, ihr seine Hilfe versagt und „notgedrungen“ bald wieder mit Putin kooperiert.

Auch wenn Polen Nato-Mitglied ist und eigentlich Anspruch auf Beistand, laut Art. 5 des Nato-Vertrages hat, so könnte ein schneller Zusammenbruch der polnischen Verteidigung die Alliierten, allen voran das benachbarte Deutschland, dazu veranlassen, sich auf Kosten Polens mit den geschaffenen Tatsachen abzufinden. Im Verteidigungsfall kann es Wochen dauern, bis die Nato-Alliierten Polen effektiv zur Hilfe kommen wollen und können. So lange muss die polnische Armee in der Lage sein, die Russen hinzuhalten.

Eine große, schlagkräftige Armee tut not

Die polnischen Streitkräfte zählen heute knapp 150.000 Soldaten, davon gehören 32.000 der Territorialverteidigung an.

Die Ukraine, die sich seit der russischen Besetzung der Krim 2014 auf eine große Auseinandersetzung mit Russland vorbereitete, hat ihre Einsatztruppen auf 200.000 Soldaten aufgestockt und verfügte Anfang 2022 über 240.000 Reservisten. Die meisten von ihnen haben Fronterfahrung aus den Kämpfen durch die sie in den letzten acht Jahren im Donbass gegangen sind.

Zudem hat die Ukraine ihre gepanzerten Truppen stark ausgebaut, indem sie alle, auch die ältesten Panzer und Truppentransporter, überholt und modernisiert  hat, anstatt sie zu entsorgen. Sie hat auch ihre Grenzverteidigung ausgebaut, um den Gegner vom ersten Augenblick des Krieges an in schwere Kämpfe zu verwickeln. Im Norden haben die Ukrainer aufgrund dessen einen Sieg errungen, im Süden dagegen waren die Erfolge nur begrenzt.

Für eine wirksame Landesverteidigung Polens bedarf es nicht nur einer gut ausgerüsteten, sondern auch einer zahlenmäßig starken Armee.

Unter den Bedingungen der modernen Kriegsführung können Luftwaffe, Raketen- und Luftlandekräfte jenseits der Frontlinie jederzeit schmerzhaft zuschlagen. In solch territorial ausgedehnten Staaten wie Polen und der Ukraine würden die Sicherung strategisch oder operativ wichtiger Regionen, der Schutz überlebenswichtiger Infrastruktur (Eisenbahn, Pipelines usw.) und der Schutz von Einrichtungen, die wichtig sind für das Empfangen alliierter Unterstützung (Häfen, Flughäfen, Kommunikationswege, Kriegsmateriallager u. Ä.) die Fähigkeiten jeder elitären, notgedrungen zahlenmäßig kleinen Berufsarmee übersteigen. Denn selbst der am besten ausgebildete und ausgerüstete Soldat hat an einem Ort, an dem er nicht anwesend ist, keinerlei Kampfwert.

Russisches Gemetzel im Warschauer Vorort Praga am 4.11.1794 auf Befehl Feldmarschall Alexander Suworows. Ca. 23.000 Ermordete. Gemälde von Aleksander Orłowski.

LEHRE 3. Deswegen bedarf es im Abwehrkampf gegen Russland einer zahlenstarken, mobilen, gut gepanzerten Armee, die auf  trainierte und motivierte Reservisten zurückgreifen kann.

Russische Massenverbrechen und der Zivilschutz

Russischer Massenterror nach der Niederschlagung des polnischen Nationalaufstandes von 1863. Ca. 5.000 Gehängte.

LEHRE 4. Die jetzigen Erfahrungen aus der Ukraine, aber auch die aus Syrien und Tschetschenien sowie alle historischen Erfahrungen Polens, der baltischen Staaten und der Ukraine aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert weisen auf den Vernichtungscharakter der von Russland geführten Kriege hin.

Deren Ziel ist es, die politischen Eliten der eroberten Nationen zu beseitigen und der verbleibenden Bevölkerung so große Verluste zuzufügen, dass deren Fähigkeit zum Widerstand gebrochen wird.

Massenmorde auf Befehl des NKWD-Chefs Beria in den Gefängnissen (hier in Lwów/Lemberg) des von den Sowjets zwischen 1939 und 1941 besetzten Ostpolens, unmittelbar nach dem deutschen Überfall im Juni 1941. Ca. 30.000 Mordopfer.

Das bedeutet, dass die polnische Armee in der Lage sein muss, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um das räumliche und zeitliche Ausmaß der Besetzung polnischen Territoriums durch die Russen so gering wie möglich zu halten, da die  betroffene Bevölkerung Opfer von Massenverbrechen der Angreifer sein würde.

LEHRE 5. Die oberste russische Kriegsleitung und die Kommandeure vor Ort haben keine Hemmungen, Kampffortschritte durch gezielte Bombardierungen von Wohngegenden und Krankenhäusern zu erzielen. Nicht auszuschließen ist auch der Einsatz von Massenvernichtungswaffen.

Der Schutz der Zivilbevölkerung ist unter diesen Bedingungen von großer Bedeutung. Doch ein ganzheitliches Zivilschutzsystem zur Abschirmung der Bevölkerung, der Arbeitsplätze, der öffentlichen Einrichtungen, der Kulturgüter gibt es nicht. Vernachlässigt wurde auch die Ausbildung der Bevölkerung für den Umgang mit Kriegssituationen.

Massengrab der auf Befehl Stalins im April und Mai 1940 erschossenen polnischen Offiziere nach der Entdeckung durch deutsche Truppen 1943. Etwa 25.000 Mordopfer.

Die wenigen übriggebliebenen öffentlichen Schutzräume aus der kommunistischen Zeit wurden entweder mutwillig zerstört oder zweckentfremdet. Sichere Notunterkünfte für Krankenhäuser gibt es ebenso wenig wie bombensichere Wasserbrunnen und Notkraftwerke zur Stromversorgung. Die polnische Bevölkerung wäre bei einem russischen Angriff, wie ihn jetzt die Ukraine erlebt, praktisch schutzlos.

Verlassene Zivilschutzanlage in Warschau.

Territoriale Verteidigungskräfte versus Einsatzkräfte

LEHRE 6. Die Wirksamkeit der ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte (TV) ist beeindruckend und bestätigt die Richtigkeit der Entscheidung, diese Art von Truppen 2015 in Polen ins Leben zu rufen. Die Opposition und mit ihr die westlichen Medien behaupteten damals, es würden rechtsradikale Schlägertrupps in staatlicher Regie gegründet. Eine „Privatarmee“ des Ideengebers dieser Einheiten, Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, die gewaltsam den zivilen Widerstand gegen die nationalkonservative Regierung unterdrücken soll. Ansonsten seien diese Einheiten, so hieß es, „Kanonenfutter“, eine „Pfadfinderarmee“, die von den russischen „Speznas“-Elitekommandos im Nu aufgerieben würde.

Die polnischen Territorialen Verteidigungskräfte sind schlagkräftig, aber mit ca. 32.000 Soldaten viel zu klein.

Der enorme Zulauf von Freiwilligen, sieben Jahre Dienst im Katastrophenschutz, die Einsätze in der Corona-Epidemie, bei der Sicherung der Grenze zu Weißrussland gegen die von Lukaschenka gesteuerte Migrantenflut und die die ukrainischen Erfahrungen haben gezeigt, wie absurd die anfänglichen Unterstellungen waren.

LEHRE 7. Die Anzahl der polnischen Territorialen Verteidigungskräfte ist viel geringer als die der ukrainischen (aktuell ca. 32.000, Endziel: 50.000). Das sind viel zu wenige. Sie müssen zumindest auf mehr als einhunderttausend Reservisten ausgeweitet werden.

Die ukrainischen Einheiten der TV haben die vorrückenden Russen in der dichten Bebauung der Großstädte (Charkiw, Sumy, Tschernihiw, Mariupol) erfolgreich aufgehalten und in den Ortschaften am Rande von großen Ballungsräumen (z.B. rund um Kiew) die russischen Nachschubkolonnen siegreich abgewehrt.

Ein unscheinbares ziviles Auto nähert sich einer solchen Kolonne auf etwa zweihundert Meter. Zwei ukrainische Soldaten springen heraus, feuern ihre Panzerfäuste ab und fliehen mit dem Auto, während Explosionen den Konvoi in Panik versetzen. Auf Twitter konnte man mehrere Male solche Attacken sehen.

Soldaten der polnischen Territorialen Verteidigungskräfte richten eine amerikanische Panzerabwehrrakete vom Typ Javelin.

Es ist fast unmöglich, die Territorialen Verteidigungskräfte, die in kleinen, beweglichen Trupps operieren und über keine schwere Ausrüstung verfügen, mit Luft- und Raketenangriffen zu bekämpfen. Deswegen ist ihre Tarnung in den sozialen Medien relativ locker. Man kann dort unzählige Berichte über ihre Aktivitäten sehen.

LEHRE 8. Für die Einsatztruppen gilt genau das Gegenteil. Es gibt kaum Fotos oder Videos von sich bewegenden ukrainischen gepanzerten und mechanisierten Kolonnen im Internet. Militärische Disziplin und ein hohes Maß an staatsbürgerlichem Bewusstsein (Zivilisten filmen ihre eigenen Truppen nicht und stellen solches Material nicht ins Internet) ermöglichen es, das notwendige Maß an militärischer Geheimhaltung über die Aktivitäten der Einsatztruppen zu wahren. Das verzerrt jedoch in den Augen der Öffentlichkeit das Ausmaß ihrer tatsächlichen Rolle in diesem Krieg.

Ohne dadurch die Bedeutung der Territorialen Verteidigungskräfte  schmälern zu wollen, sei daher betont, dass diese ihre eigentlichen Aufgaben, nämlich die Verzögerung des Vormarsches, die Bindung von Kräften und die Lähmung des gegnerischen Nachschubs, sehr gut erfüllen. Die angreifenden russischen Verbände jedoch werden, in erster Linie, von ukrainischen Einsatztruppen mit einem großen Anteil an Artillerie, gepanzerten und mechanisierten Kräften und unter Anwendung von Drohnen abgewehrt.

Polnische Panzerhaubitze Krab. Schussreichweite bis zu 40 Kilometer.

LEHRE 9. Die polnische Armee entwickelt daher zu Recht die Artillerie (mit Panzerhaubitzen Krab, selbstfahrende Mörser Rak usw.) und die Panzertruppen (mit PT90 Twardy, Leopard 2, Abrams) weiter. Ohne schweres Gerät ist es weder möglich, die russischen Bataillonsverbände wirksam zu bekämpfen, noch die vom Angreifer eroberten Gebiete zurückzugewinnen. Die zum Gegenangriff übergehenden Truppen müssen in der Lage sein, große Feuerkraft und große Beweglichkeit miteinander zu verknüpfen. Dafür sind Panzer, selbstfahrende Artillerie- und Flugabwehrsysteme, Schützenpanzer mit großer Feuerkraft notwendig.

Amerikanischer Abrams-Panzer. Polen hat 250 Stück gekauft.

LEHRE 10. Voraussetzungen für den Erfolg der Ukrainer sind die gute Zusammenarbeit beider Truppengattungen: territorial und operativ, ihre ausreichende Zahlenstärke, um den Russen an allen, nicht nur an ausgewählten, Angriffsfronten entgegentreten zu können, und eine hohe Kampfmoral.

Ein Grund zur Zufriedenheit für Polen ist, dass die 2019 in Polen entwickelten Einsatzrichtlinien für die Territorialen Verteidigungskräfte im Jahr 2020 an die ukrainischen Streitkräfte weitergegeben wurden. Die Ukrainer haben sie mit ihren eigenen, reichen Erfahrungen aus dem Donbass kreativ kombiniert und so die erwähnte hohe Wirksamkeit erzielt.

Raketenabwehr, Flugabwehr und Schiffsabwehr

Russland ist im Krieg gegen die Ukraine in Bezug auf die Luftwaffe und die Mittel- und Langstreckenraketensysteme im Vorteil. Dieser Vorteil ist jedoch geringer als erwartet. Die Russen haben die Vorherrschaft in der Luft nicht errungen, und nach dem Abfeuern von etwa zweitausend Mittelstreckenraketen, bei einer jährlichen Produktion von etwa einhundert eigener Raketen, beginnen sie, ihren Mangel zu spüren.

Die Erfahrungen Großbritanniens und Frankreichs (beides Länder, die in der Produktion wesentlich effizienter sind als Russland) in Libyen im Jahr 2011  zeigen, dass das in modernen Kriegen eine häufig auftretende Erscheinung ist. Der Verbrauch an intelligenter Munition in der ersten Phase eines hochintensiven Konflikts, übersteigt die Herstellungsmöglichkeiten von Staaten, deren Wirtschaft nicht vollständig auf Kriegsproduktion umgestellt ist. Die mit Sanktionen belegte russische Wirtschaft wird in den kommenden Jahren nicht in der Lage sein, ihren Bestand an moderneren Kampfsystemen aufzufüllen.

Lehre 11. Polen sollte daher in der Lage sein, die im Kaliningrader Gebiet und möglicherweise auch in Weißrussland stationierten russischen Raketensysteme zu zerstören, bevor sie zum Einsatz kommen, und mit seinen eigenen Raketenabwehrsystemen (z.B. vom Typ Patriot) Angriffe durch evtl. nicht zerstörte Waffen zu verhindern.

US-Mehrzweckkampfflugzeuge F-16 (oben, Polen hat 32 davon) und F-35 (unten, Polen hat 32 Stück gekauft, sie werden ab 2025 eintreffen) bilden das Rückgrat der polnischen Luftwaffe.

Die russischen Iskander-Raketen sind billiger als die amerikanischen Patriots, und Polen wird den quantitativen Wettlauf Rakete gegen Antirakete nicht gewinnen. Darum ist der genaue Ablauf entscheidend. Zunächst zerstören polnische Langstreckenartillerie und mit Raketen bestückte Kampfflugzeuge (z. B. die F-35), die weit entfernte Ziele treffen können, ausgemachte russische Raketensysteme, und erst dann können polnische Raketenabwehrsysteme mit deren Überresten fertig werden.

Kurzstrecken-Flugabwehrsystem „Narew“. Eine polnisch-britische Konstruktion zur Bekämpfung von Flugzeugen, Hubschraubern und Raketen. Bestellt sind 23. Die ersten beiden sind bereits im Einsatz.

Lehre 12. Die Ukrainer sind nicht in der Lage, russische Raketensysteme zu erreichen, um sie zu zerstören. Darunter leidet die Bevölkerung. Die russischen Luftangriffe sind nicht spektakulär, aber sie fordern Opfer, was die Richtigkeit der Entwicklung eines mehrstöckigen Luftverteidigungssystems (das Kurzstrecken-Flugabwehrsystem „Narew“ und das Mittelstrecken-Flugabwehr- und Raketenabwehrsystem „Wisła“) bestätigt. Es ist daher erfreulich, dass die polnische Armee noch in diesem Jahr mit den ersten „Narew“- Systemen ausgerüstet wird. Das Fehlen effizienter Raketenabwehrsysteme war bis jetzt ein Grundübel, das die polnischen Streitkräfte geradezu wehrlos machte.

Mittelstrecken-Flugabwehr- und Raketenabwehrsystem „Wisła“. So nennen sich in Polen die bekannten „Patriot“-Raketen. Polen hat zwei Abschussvorrichtungen gekauft. Für mehr reicht vorerst das Geld nicht aus,

Lehre 13. Eine wirksame Verteidigung muss mit der Fähigkeit einhergehen, den Feind wirksam anzugreifen. Der schnelle Verbrauch von intelligenten Lenkwaffen, vor allem Drohnen, bestätigt die Notwendigkeit, die eigene Herstellung solcher Angriffsmittel zu entwickeln. Die russischen Kolonnen, die viele Tage lang in den Außenbezirken von Kiew und Charkiw standen und geradezu auf einen Schlag aus der Luft warteten, beweisen das. Ein erkannter und unbeweglicher Gegner, der nicht angegriffen wird, kann nur eines bedeuten: das Fehlen eigener Mittel zur Zerstörung. Das darf nicht passieren.

Die türkischen Drohnen Bayraktar TB2 haben sich auf Seiten der ukrainischen Streitkräfte hervorragend bewährt. Polen hat 24 Stück davon gekauft.

Lehre 14. Das zögernde Verhalten Deutschlands, das im Kriegsfall für Polen , wenn auch nicht politisch, so doch geografisch das wäre, was Polen für die Ukraine ist (das Haupttransitland für Kriegsmateriallieferungen), beweist, dass diese Hilfe Polen möglicherweise gar nicht oder nur unter Schwierigkeiten erreichen könnte. Polen muss daher über eigene Produktionskapazitäten für Grundausrüstung und Munition verfügen.

Der Küstenschutz

Die Versenkung des Raketenkreuzers „Moskwa“ zeigt wie wirksam die von den Küstenbatterien abgefeuerten Schiffsabwehrraketen sein können. Polen verfügt über solche Systeme und sollte sie ausbauen.

Lehre 15. Die Stützpunkte der russischen Ostseeflotte im Kaliningrader Gebiet und im Raum St. Petersburg sind leicht zu blockieren. Polen sollte im Einvernehmen mit Estland auch die Ausfahrt aus dem Finnischen Meerbusen mit zusätzlichen Schiffsabwehrraketensystemen schließen.

Die polnische Küstenverteidigung verfügt über eine mobile Batterie, ausgestattet mit norwegischen NSM-Seeziel-Marschflugkörpern mit einer Reichweite von bis zu 180 Kilometern.

Lehre 16. Die Reichweite polnischer Antischiffsraketen reicht aus, um Schiffe in den für Polen wichtigen Teilen der Ostsee zu treffen. Ein Problem bleibt die Erfassung von Zielen jenseits der Horizontlinie. Das kann man nur mit Hilfe von Satellitensystemen. Polen muss sich ein solches System zulegen. Es ist in jedem Fall für die effiziente Durchführung der meisten modernen Kampfhandlungen unverzichtbar.

Seit mehreren Jahren laufen die Vorbereitungen im Rahmen des „Orka“-Programms. Es sieht vor, dass Polen moderne U-Boote mit Langstrecken-Marschflugkörpern kauft, die Ziele tief in Russland treffen können. Sie werden als ein wichtiges polnisches Abschreckungsinstrument angepriesen.

Lehre 17. Angesichts der ukrainischen Erfahrungen erweist sich diese Anschaffung als sinnlos. Der Abschuss von ein paar Dutzend Raketen mit konventionellen Sprengköpfen durch polnische U-Boote wird Russland nicht sonderlich beeindrucken. Der enorme finanzielle Auffand stünde in keinem Verhältnis zu den Resultaten, wenn man bedenkt, dass der bereits erwähnte russische Abschuss von mehr als zweitausend solcher Raketen auf ukrainische Ziele im Endeffekt nicht viel Wirkung zeigte.

Satellitensystem und Drohnen

Das amerikanische Satelliten-Zielerfassungssystem spielt eine Schlüsselrolle wenn es um die Genauigkeit der ukrainischen Artillerie- und Drohnenangriffe geht. Dieses System ist derzeit nicht überlastet.

Lehre 18. Polen kann sich nicht darauf verlassen, dass das auch der Fall ist, wenn es angegriffen wird. Denn unter den Bedingungen eines Nato-weiten Koalitionskrieges wäre die Warteschlange derer, die das amerikanische System nutzen wollen, lang. Ein autonomes polnisches Satelliten-Zielerfassungssystem für die Bedürfnisse der polnischen Armee ist daher notwendig.

Zusammengefasst

Die polnische Armee muss zahlenmäßig in der Lage sein, langfristig das gesamte Staatsgebiet zu verteidigen und auf dem Gebiet der verbündeten Länder an der Ostflanke der NATO und der Ukraine zu operieren. Schließlich ist kaum anzunehmen, dass Russland Polen angreifen und gleichzeitig die Ukraine in Ruhe lassen wird. Der Schutz der Bevölkerung setzt voraus, dass die polnischen Streitkräfte in der Lage sind, das Ausmaß des Eindringens des Feindes, der in den besetzten Gebieten Vernichtungsaktionen durchführen wird, zu minimieren.

Die polnischen Streitkräfte müssen nicht nur eine russische Offensive stoppen können, bei der die Aktivitäten der Territorialen Verteidigungskräfte eine wichtige Rolle spielen werden, sondern auch fähig sein, vom Feind besetzte Teile des Landes zurückzuerobern und daher offensive Operationen von Einsatztruppen durchzuführen. Diese müssen in den Bereichen Führung, Kommunikation, Aufklärung, Zielerfassung und Gefechtsfeldkontrolle durch ein eigenes Satellitensystem unterstützt und kontinuierlich mit dem notwendigen Kriegsmaterial versorgt werden.

Lehre 19. Die von den Russen in der Ukraine begangenen Verbrechen erinnern auch an eine andere tragische Wahrheit, die seit Jahrhunderten bekannt ist: Im Falle einer russischen Aggression ist die Kapitulation keine Möglichkeit, das eigene Leben zu retten. Die einzige Überlebenschance ist der Kampf.

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© RdP




Pausenlose Feindberührung. Die Cyberverteidigung der Polnischen Armee

Im Kampf gegen russische und weißrussische Eindringlinge.

Ein Gespräch mit Brigadegeneral Karol Molenda, dem Kommandeur des Nationalen Zentrums für Cybersicherheit (NCBC).

Brigadegeneral Karol Molenda, Jahrgang 1980, ist seit Februar 2019 Bevollmächtigter des Verteidigungsministeriums für den Aufbau der Cyber-Verteidigungstruppen. Sie sollen bis Ende 2024 ihre volle Kampfkraft erreichen und ab dann als die sechste Teilstreitkraft der polnischen Armee fungieren, neben dem Heer, der Luftwaffe, der Marine, den Spezialtruppen und der Territorialverteidigung. Zum Brigadegeneral (es ist der unterste der vier Generalsränge) wurde Molenda im März 2019 befördert.

Er ist Absolvent der Warschauer Technischen Militärakademie (Master-Abschluss als Ingenieur an der Elektronik-Fakultät und postgraduales MBA-Studium an der Fakultät für Kybernetik auf dem Gebiet der Cybersicherheit) sowie der Hochschule für Management in Warschau.

Molenda gilt als ein geborenes Organisationstalent und genießt zugleich den Ruf eines hervorragenden IT-Analytikers. Zwischen 2007 und 2019 war er beim Militärischen Abschirmdienst tätig, wo er zuletzt die Abteilung für Cyber-Spionageabwehr leitete.

General Molenda im Serverraum, dem Herzstück des Nationalen Zentrums für Cybersicherheit (NCBC) in Legionowo bei Warschau.

Er gibt zu, dass er sich schon immer sehr für Informations- und Kommunikationssicherheit interessiert hat. „Ich habe mich mit allem befasst, was Systeme zur Verarbeitung von Verschlusssachen angeht: Zertifizierung von Geräten und Verfahren, die zum Schutz eingesetzt werden, IKT-Sicherheitsakkreditierung, Härtung und Audits von IKT-Systemen und deren Überwachung“.

Molenda gilt als Experte für das Reagieren auf Computerzwischenfälle, für Computerforensik und die gezielte Suche nach Bedrohungen. Er war maßgeblich beteiligt an der Einrichtung eines der technisch fortschrittlichsten Labore für Computerforensik in Polen und wahrscheinlich in ganz Europa.

Seit Februar 2019 leitet Molenda das Nationale Zentrum für Cybersicherheit (NCBC). Es hat seinen Sitz auf einem streng abgeschirmten Gelände in Legionowo, einer Kleinstadt vor den Toren Warschaus. Von dort aus werden rund um die Uhr die gesamten Online-Aktivitäten der polnischen Armee überwacht, abgeschirmt und Cyberattacken abgewehrt.

Lageraum des Nationalen Zentrums für Cybersicherheit.

Frage: Im vor uns liegenden Jahr wird das Nationale Zentrum für Cybersicherheit drei Jahre alt. Wie stark hat die Bedrohung durch Cyberangriffe auf das polnische Militär und seine Einrichtungen in dieser Zeit zugenommen?

Wir haben hart gearbeitet, um die damit verbundenen Risiken so klein wie möglich zu halten. Noch vor wenigen Jahren war das Nationale Kryptologiezentrum für die Cybersicherheit in der Armee zuständig, und die Funktionsfähigkeit der militärischen Systeme wurde von der IT-Inspektion gewährleistet. Es handelte sich um zwei separate Einheiten mit unterschiedlichen Zielen, da ein System nicht gleichzeitig sicher sein und alle vom Nutzer erwarteten Funktionen bieten kann.

Februar 2019. Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak beruft (damals noch) Oberst Karol Molenda zum Bevollmächtigten des Verteidigungsministeriums für den Aufbau der Cyber-Verteidigungstruppen.

Vor drei Jahren wurden die beiden Einrichtungen im NCBC zusammengeführt. Wir haben unsere Systeme gestrafft und das Sicherheitsniveau deutlich erhöht, manchmal auch auf Kosten der Funktionsvielfalt. Eine der ersten Maßnahmen war die Einführung von MFA (Multifactor Authentication) für die offizielle Post, d. h. eine mehrstufige Nutzer-Identifizierung, die zuvor weder im Verteidigungsministerium noch bei den Streitkräften Standard war.

Darüber hinaus haben wir die Systeme so eingestellt, dass eine Anmeldung ausschließlich über Dienstgeräte oder spezielle Zugänge (von NCBC entwickelt und installiert) möglich ist. Vieles davon konnte schnell erledigt werden, da das NCBC gleichzeitig Eigentümer aller Computersysteme in der Armee geworden ist.

Wenn also ein System in der Armee nicht mehr funktioniert oder ein Cyberangriff erfolgt, ist das NCBC dafür verantwortlich?

Wir sind das digitale Herz der Armee. Wir sind und fühlen uns für den Betrieb und den Schutz der gesamten militärischen Informations- und Kommunikationstechnik verantwortlich. Nur wir sind berechtigt, sämtliche Sicherheitslösungen in der gesamten militärischen Infrastruktur umzusetzen.

Das Warschauer Kreisgericht verhandelt gegen den ehemaligen Leiter der polnischen Huawei-Niederlassung, dem Spionage vorgeworfen wird und der, nach Angaben der Ermittler, ein verdeckter chinesischer Geheimdienstmitarbeiter war. Die Amerikaner weisen seit langem auf Gefahren hin, die mit dem Einsatz von Systemen und Geräten aus chinesischer Produktion verbunden sind. Verwendet die polnische Armee derartige Produkte?

Wir haben keine chinesische Technologie in unsere militärische Infrastruktur eingebaut. Wir verlassen uns ausschließlich auf die Lösungen unserer NATO-Partner, hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union. Auch diese Systeme und Lösungen werden von uns in Bezug auf ihre Sicherheit bewertet, bevor sie bei der Armee eingeführt werden.

„Wir haben keine chinesische Technologie in unsere militärische Infrastruktur eingebaut.“

Wir überprüfen auch alle Systemaktualisierungen. Für sich genommen, enthalten sie vielleicht keine Schwachstellen, aber sobald sie eingebaut sind, könnten sie Pforten öffnen, durch die versucht werden kann, in das System einzudringen. Deswegen bewerten wir vor der Einführung von Aktualisierungen, welche Veränderungen sie in unserem Netz verursachen könnten. Das gilt sowohl für nicht klassifizierte als auch für klassifizierte Systeme. Darüber hinaus unterliegen auch klassifizierte Systeme, gemäß dem Gesetz zum Schutz von Verschlusssachen, einer Sicherheitsakkreditierung, d. h. sie werden von den zuständigen Diensten automatisch auf ihre Sicherheit überprüft.

Chinesische Systeme und Ausrüstung sind für die polnische Armee also inakzeptabel?

China ist weder unser Partner noch ein Verbündeter der NATO oder der Europäischen Union. Außerdem sind chinesische Unternehmen gesetzlich verpflichtet, bestimmte Daten der von ihnen hergestellten Geräte an die dortigen Geheimdienste weiterzugeben. Das birgt erhebliche Gefahren. Deshalb verwenden wir keine chinesische Hardware.

So die aktuelle Praxis. Ich hoffe, dass die Änderung des Gesetzes über das nationale Cybersicherheitssystem uns auch die einwandfreie juristische Handhabe geben wird, die Nutzung nicht vertrauenswürdiger Systeme und Geräte, die eine Bedrohung für die Sicherheit darstellen könnten, vollständig zu blockieren.

Wie werden die private Ausstattung und die privaten E-Mail-Postfächer der Offiziere und der Beamten des Verteidigungsministeriums geschützt?

Kein System kann vollständig vor Missbrauch geschützt werden. Die Amerikaner haben dafür ein gutes Sprichwort: „There is no patch for human stupidity“ – sinngemäß, „Gegen menschliche Dummheit ist kein Kraut gewachsen“.

Daher können wir die Risiken nur durch Schulung und Beratung verringern. Ein Großteil unserer Arbeit besteht deswegen aus eindringlicher Bewusstmachung, wie wichtig Cyberhygiene ist. Das sind gemeinschaftliche Vorsichtsmaßnahmen von Sicherheitsfachleuten, Administratoren und Nutzern, um sich vor Angriffen zu schützen.

Wer sich ausschließlich auf Security-Experten verlässt, übergeht die Rolle, die ein einzelner Mitarbeiter bei der Gewährleistung der Sicherheit spielen kann. Wenn Mitarbeiter und alle Endanwender die grundlegenden Praktiken der IT-Hygiene verstehen, spielen sie eine wichtige Rolle beim Schutz der Geräte und Netzwerke.

„Selbst der elektronische Schriftverkehr zwischen Soldaten findet innerhalb des geschlossenen Systems statt. In den gesamten Streitkräften ist das der elementare Kommunikationskanal, der vollständig überwacht wird“.

Es geht also nicht nur um die ranghöchsten VIP‘s, die die vertraulichsten Geheimnisse des Verteidigungswesens kennen, sondern auch um all die Soldaten und Ministerialbeamten, die Zugang zu den von uns geschützten Netzwerken haben. Um sie alle in Sachen IT-Hygiene auf dem Laufenden zu halten, haben wir das Zentrum für IT-Sicherheitsschulung eingerichtet. Außerdem dürfen nach den Richtlinien des Verteidigungsministeriums dienstliche Informationen nur in den vom Ministerium verwalteten Systemen verarbeitet werden. Private E-Mail-Postfächer dürfen nur für den Versand privater Informationen genutzt werden.

In der Armee ist es also unmöglich, dienstliche Nachrichten an ein privates E-Mail-Postfach zu senden?

Das klassifizierte System, das u.a. alle Datenbanken umfasst, läuft vollständig separat, wodurch so etwas nicht möglich ist. In offenen Systemen hingegen, werden dienstliche E-Mails speziell gekennzeichnet und überwacht. So wird jede E-Mail, die an ein Postfach außerhalb des Verteidigungsministeriums geht detailliert ausgewertet.

Das ist notwendig, denn schließlich muss sich das Ministerium mit Institutionen außerhalb des Militärs elektronisch austauschen können. Private Postfächer dürfen hierfür jedoch nicht verwendet werden. Das offene militärische IT-System dient somit nur der notwendigen Unterstützung bei Kontakten nach außen. Jede Auffälligkeit bei der Nutzung wird eingehend analysiert, und die zuständige Sicherheitsdienststelle informiert im Zweifelsfall den Militärischen Abschirmdienst.

Selbst der elektronische Schriftverkehr zwischen Soldaten findet innerhalb des geschlossenen Systems statt. In den gesamten Streitkräften ist das der elementare Kommunikationskanal, der vollständig überwacht wird. Es ist nicht möglich, einen privaten, nicht verifizierten Datenträger an das Dienstsystem anzuschließen. So etwas wird sofort erkannt, blockiert und geahndet. Es gibt somit keine Möglichkeit, dass jemand beispielsweise Arbeit mit nach Hause nehmen würde.

Einem Bericht des amerikanischen Cyber-Sicherheitsunternehmens Mandiant zufolge ist Polen in letzter Zeit zu einem der Hauptziele massiver Cyberangriffe geworden. Sie werden von Gruppen durchgeführt, die mit den Geheimdiensten Russlands und Weißrusslands in Verbindung stehen. Können Sie das bestätigen?

Militärische Systeme sind ein gefundenes Fressen für ausgeklügelte, gut strukturierte Hackergruppen, die im Auftrag und Schutz ausländischer Geheimdienste arbeiten. Im Augenblick sind einige von ihnen sehr aktiv. Doch wir warten nicht darauf, bis wir von ihnen angegriffen werden, sondern machen mit Hilfe von Überwachungssystemen Jagd auf sie.

Gegner sind ausgeklügelte, gut strukturierte Hackergruppen, die im Auftrag und Schutz ausländischer Geheimdienste arbeiten.

Wir gehen ständig davon aus, dass sich jemand Zugang zu unserem System verschafft haben könnte. Wir suchen nach jeder Spur einer solchen Tätigkeit. Wir erstellen und aktualisieren Datenbanken über die Taktiken, Techniken und Verfahren, die unsere potenziellen Gegner anwenden. Sobald sich deren Arbeitsweise ändert oder sie ein neues Verfahren anwenden, setzen wir diese als Modell auf unseren Geräten ein, um so die neuartigen Aufklärungs- oder Eindringungsversuche zu erkennen.

Darüber hinaus, und das ist das Wichtigste, haben wir sehr stark in die Sicherheit unserer Netzlösungen investiert. Daher glaube ich, dass die Kosten eines Angriffs derzeit in keinem Verhältnis zu den Ergebnissen stehen würden. Es dürfte sich für einen Angreifer nicht lohnen, so viel Geld zu investieren, um in unser Netz einzudringen und sofort entdeckt zu werden. Daher ist es für solche Gruppen heute leichter, psychologische Operationen durchzuführen. Sie erstellen gefälschte Konten, verbreiten Desinformationen, dringen in private E-Mail-Postfächer ein.

Damit sind wir bei der „E-Mail-Affäre“, d. h. dem Durchsickern von Korrespondenz aus den elektronischen Postfächern der wichtigsten polnischen Beamten. Wie viele Vertreter der Armee und des Verteidigungsministeriums wurden gehackt, in wie viele private E-Mail-Postfächer wurde erfolgreich eingebrochen?

Uns liegen Informationen vor, wonach versucht wurde, auf diese Weise aktive wie auch pensionierte Offiziere anzugreifen. Es waren mehrere Personen. Jede von ihnen ist von uns informiert worden.

Wurden die Postfächer dieser Personen kopiert?

Das ist keine Frage für uns. Wir überwachen keine privaten E-Mail-Postfächer. Das liegt nicht in unserer Zuständigkeit. Für die gesamte Cyber-Spionageabwehr sind die Geheimdienste zuständig: der Militärische Abschirmdienst SKW und der Inlandsgeheimdienst ABW.

Wir können die Betroffenen nur dazu ermutigen, die Regeln der Cyberhygiene auch privat anzuwenden. Wir haben eine spezielle Online-Schulung dazu vorbereitet, wie sie ihren privaten Mailverkehr mittels mehrstufiger Nutzer-Identifizierung (MFA) sichern können und warum auch ihre nächsten Angehörigen dieses Instrument nutzen sollten.

„Ein Großteil unserer Arbeit besteht deswegen aus eindringlicher Bewusstmachung, wie wichtig Cyberhygiene ist“.

Jeder Mensch hat sein Privatleben und oftmals ist es nicht möglich, sich hier einzumischen oder jemanden zu zwingen bestimmte Verhaltensweisen zu beachten.

Meiner Meinung nach, war einer der Gründe, weshalb unsere Gegner in private E-Mail-Postfächer eingedrungen sind, dass sie es nicht schaffen unsere militärischen IT-Systeme zu knacken. In vielen Fällen war hierzu bei den privaten E-Mail-Adressen lediglich ein Login und ein Passwort erforderlich, was für jeden, der auch nur ein bisschen Ahnung von Social Engineering hat, ein Kinderspiel ist. Diese Methoden sind seit den Zeiten von Kevin Mitnick bekannt, der in den 1980er Jahren per Telefon Passwörter zu geheimen Systemen des US-Außenministeriums ausspionierte.

Kann man erwarten, dass die Hintermänner dieser Hackerangriffe auf E-Mail-Lacks bestraft werden?

Solche gefährlichen Aktivitäten im Cyberspace werden uns so lange begleiten, bis die Internetnutzer sich der damit verbundenen Risiken bewusst werden. Leider ist dies ein globales Problem. Nicht nur in Polen sind E-Mails von wichtigen Beamten durchgesickert. In den Vereinigten Staaten sind solche Vorfälle fast an der Tagesordnung, obwohl das Land enorme Ressourcen für die Cybersicherheit bereitstellt.

Denn wenn man die Internetnutzer wirksam vor solchen Lacks schützen wollte, müsste man ihre privaten Postfächer überwachen, und wir möchten nicht in einem Land leben, in dem es eine Institution mit solchen Befugnissen gibt. Deshalb können wir nur Hinweise geben und warnen.

Bald, nach vier Jahren der Vorbereitung, wird es endlich eine neue Komponente der Streitkräfte geben: Cyber-Verteidigungskräfte (WOC). Wann werden wir bereit sein, einen Angriff auf den Feind zu starten?

Unsere Teams bauen solche Kompetenzen auf oder haben sie bereits aufgebaut. Zurzeit nutzen wir unsere offensiven Ressourcen, um die Sicherheit unserer Systeme zu überprüfen. Denn es müssen rechtliche Lösungen gefunden werden, um beispielsweise zu definieren, wie militärische Teams in Friedenszeiten für Cyberoperationen eingesetzt werden können.

Dieses Thema wird im Rahmen der Arbeiten am Gesetzentwurf zur Landesverteidigung erörtert, in dem die Definition der Cyber-Verteidigungskräfte enthalten ist. Diese Frage erfordert eine Entscheidung auf strategischer Ebene.

„Wir sollten von den Erfahrungen unserer Partner profitieren“.

Wir sollten von den Erfahrungen unserer Partner profitieren. In den Vereinigten Staaten verfügt der Befehlshaber einer Cyber-Armee über eine sogenannte Executive Order – eine Ermächtigung des Präsidenten, im Falle eines Cyberangriffs auf die USA eine angemessene Vergeltungsmaßnahme durchzuführen. Er kann also sofort reagieren. Wenn er auf die Genehmigung des Präsidenten warten müsste, könnte das Stunden oder Tage dauern, und bei einem Cyberangriff ist das eine sehr lange Zeit.

Warschau im Juni 2019. US-Brigadegeneralin Maria Biank und Brigadegeneral Karol Molenda nach der Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens zwischen dem United States Cyber Command und dem polnischen Nationalen Zentrums für Cybersicherheit.

Wie viele Soldaten werden in den Cyber-Verteidigungskräften (WOC) dienen?

Die genaue Zahl wird nicht mitgeteilt. Derzeit umfasst unsere Struktur – NCBC und direkt unterstellte Einheiten – mehr als 6.000 Vollzeitsoldaten und zivile Mitarbeiter. Diese Personen sind nicht nur für den Cyberspace, sondern auch für IT oder Kryptologie zuständig. Das mag nicht viel erscheinen, aber im Vergleich dazu hat das US-Cyber-Militär 7.000 bis 8.000 Soldaten.

NCBC-Erkennungsmerkmal. Aufnäher am rechten Uniformärmel.

Wichtig ist nicht die Quantität, sondern die Qualität. Die größte Herausforderung besteht heute darin, kompetente Teams aus hochrangigen Spezialisten zusammenzustellen. Das ist sehr schwierig. Schätzungen zufolge fehlen allein in Europa drei Millionen Cyber-Sicherheitsexperten.

Wie also kann man Fachleute mit einzigartigen Fähigkeiten davon überzeugen, dass es sich lohnt, den WOC beizutreten?

Wir zeigen die Perspektiven auf, die sich hochkarätigen Experten, die bei uns dienen, eröffnen. Natürlich kann man auf dem privaten Markt mehr Geld verdienen, aber dann ist man nur ein Rädchen, das Gewinne für die Konzerne erwirtschaftet.

Internetanzeige. „Das Militär baut eine Cyber-Armee auf und sucht Informatiker.“

Andererseits können sie bei uns ihrem Heimatland dienen und unmittelbar mit dem Feind in Berührung kommen, z. B. mit den sich weiterentwickelnden APT-Gruppen, die komplexe, zielgerichtete und sehr effektive Angriffe auf kritische IT-Infrastrukturen und vertrauliche Armeedaten starten. Sich mit ihnen zu messen ist eine der anspruchsvollsten Herausforderungen für einen IT-Experten.

Und was ist mit dem Geld? Wie viel kann ein solcher Spitzenexperte heutzutage in der Armee verdienen?

Wie ich bereits sagte, werden auf dem privaten Markt heute höhere Gehälter gezahlt als bei uns am NCBC. Das könnte sich jedoch bald ändern. Es ist ein Gesetz in Kraft getreten, das es ermöglicht, Cyber-Sicherheitsexperten mit einzigartigen Kompetenzen angemessen zu entlohnen.

Derzeit wird in der Kanzlei des Premierministers an einer Verordnung gearbeitet, in der alle damit zusammenhängenden Einzelheiten, einschließlich der möglichen Gehaltsspannen, festgelegt werden. Ich möchte zum jetzigen Zeitpunkt keine konkreten Beträge nennen, aber ich bin optimistisch.

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Wohin marschiert die polnische Armee

RdP

Das Gespräch erschien im Wochenmagazin „Gazeta Polska“ („Polnische Zeitung“) vom 6. Januar 2022.




Froh die einen, andere betreten. Kommen nach Polen US-Atomraketen?

Nach dem Scheitern des INF-Vertrages.

Die SPIEGEL ONLINE-Redaktion hat zu dick aufgetragen, als sie am 1. Februar 2019 titelte: „Polens Auβenminister fordert US-Atomraketen in Europa“. Warschau schob kurz darauf eine Klarstellung nach: der Minister habe in dem SPIEGEL-Gespräch die Stationierung nicht gefordert, sondern „nicht ausgeschlossen“. Die Hamburger Redaktion besserte umgehend nach. Doch so oder so, die Frage, ob es in Polen schon bald US-Atomraketen geben wird bleibt bestehen.

Die Verstöβe Russlands gegen und daraufhin der Ausstieg der USA aus dem Washingtoner Abkommen über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) am 1. Februar 2019, haben jedenfalls eine Kette von Ereignissen in Bewegung gesetzt, die zur Stationierung amerikanischer Nuklearwaffen in Polen führen könnten.

US-Präsident Reagan (r,) und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow (l.) unterzeichnen den INF-Vertrag im Weißen Haus am 8. Dezember 1987.

Das zu Grabe getragene amerikanisch-sowjetische (russische) INF-Abkommen vom Dezember 1987 galt als ein Meilenstein in Sachen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Nach siebenjährigen Verhandlungen haben sich damals Amerikaner und Russen verpflichtet, alle bestehenden landgestützten Flugkörper kürzerer, beziehungsweise mittlerer Reichweite (500 bis 5.500 Kilometer) zu vernichten sowie keine neuen herzustellen und zu testen.

Briefmarke der sowjetischen Post von 1987 aus Anlass der INF-Vertragsunterzeichnung.

Mobil, genau, verheerend

Gerade die landgestützten Marschflugkörper gelten als besonders gefährlich. Ihr Start ist schwieriger auszumachen als Abschüsse von Flugzeugen oder Schiffen. Auf geländegängigen Lkw montiert, mit einem nuklearen Gefechtskopf versehen, steuert sich der Lenkflugkörper selbst ins Ziel und fliegt dabei in einer Höhe zwischen fünfzehn und hundert Metern so niedrig, dass er nur schwer vom gegnerischen Radar erfasst werden kann.

Abgefeuert werden können auch taktische ballistische Mittelstreckenraketen, die mit bis zu siebenfacher Schallgeschwindigkeit auf eine Höhe von bis zu fünfzig Kilometern gebracht werden, ehe sie in der absteigenden Flugphase das Ziel punktgenau anpeilen. In beiden Fällen sind sie blitzschnell am Ziel. Den Verteidigern bleiben lediglich Minuten, um sie zu vernichten.

Vertragsgemäβ haben bis Mai 1991 die Amerikaner 846 ihrer Pershing- und Gryphonraketen, die Russen 1.846 ihrer SS-4, SS-5, SS-20 und SS-22 Raketen zerstört. Die Franzosen folgten 1996 diesem Beispiel. Zum ersten Mal wurden keine Obergrenzen festgelegt. Stattdessen hat man eine ganze Waffenfamilie aus Europa verbannt und das mit wirksamen Kontrollverfahren verbunden, die im Mai 2001 endeten.

Russland steigt aus

Putin am 10. Februar 2007 während seiner berüchtigten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Die Idylle dauerte jedoch nicht lange. Nach der Machtübernahme Wladimir Putins im Jahr 2000 begann Russland die INF-Verträge in Frage zu stellen. Vor allem, so hieβ es, weil Staaten wie China, Indien, Pakistan, Nordkorea oder Israel über diese Raketen verfügen. INF befriedige nicht mehr die Interessen Russlands. „Es ist offensichtlich, dass wir unter diesen Bedingungen darüber nachdenken müssen, unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten“, so Putin am 10. Februar 2007 in seiner berüchtigten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Zudem gefielen den Russen die US-Pläne nicht, ein europäisches Raketenabwehrprogramm mit SM-3-Block-IIA-Raketen und X-Band-Radaren in Tschechien und Polen umzusetzen. Es sollte zwar ein Schutzschild gegen eventuelle Angriffe von Langstreckenraketen aus dem Iran und Nordkorea sein, aber Moskau gab vor, dem nicht zu trauen.

Aus amerikanischer- und Nato-Sicht hatte Moskau bereits Anfang der 2000er-Jahre beschlossen, den Vertrag auszuhöhlen, um erneut ein nukleares Drohpotential in Mitteleuropa aufzubauen. Schon 2013 bemühten sich die Amerikaner, auch Präsident Obama persönlich, die Russen von ihrem Vorhaben abzubringen. Wie leider üblich, so Dan Coats, Direktor der nationalen Nachrichtendienste im Januar 2018, „leugneten die Russen ihre Versuche. Sie gaben die Existenz des Marschflugkörpers erst dann zu, als wir ihnen zum Beweis die russische Bezeichnung des Geräts, 9M729, auf den Tisch gelegt haben“.

Startvorbereitungen einer Iskander-Rakete.

Im Juli 2014 machte das US-Verteidigungsministerium publik, Russland habe landgestützte Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern getestet und damit gegen das Verbot verstoßen. Medienberichten zufolge handelte es sich um 9K720 Iskander-K. Dieser Typ wurde erstmals bereits 2007 erprobt.

Im Februar 2017 hieβ es aus Washington, Russland habe den INF-Vertrag gebrochen, indem es Mittelstreckenraketen nicht nur herstelle und teste, sondern bereits zwei aktive Bataillone seiner Streitkräfte damit ausgerüstet habe. Die Waffen seien von Startvorrichtungen auf Lastwagen aus einsetzbar.

Apokalyptische Bedrohung für Polen

Seit Juni 2018 sind Iskander-M-Abschussvorrichtungen mit ballistischen 9M723-Raketen bei Tschernjachowsk/ Insterburg im Gebiet Kaliningrad stationiert. Ihre Reichweite beträgt mindestens 700 Kilometer. Mit siebenfacher Schallgeschwindigkeit erreichen sie jedes Ziel in Polen in spätestens drei bis vier Minuten. Das amerikanische Flugabwehrsystem Patriot ist weitgehend machtlos gegen sie.

Noch heikler wird die Lage werden, sollten die Russen ihre Drohung wahr machen und die Iskander-K-Abschussvorrichtungen mit ballistischen 9M729-Raketen in die Gegend von Kaliningrad verlegen. Mit ihrer Reichweite können sie jede beliebige Stadt in Westeuropa, mit Ausnahme Portugals, einäschern.

Für Polen ergibt sich daraus eine geradezu apokalyptische Bedrohung. Das in eine Atomartilleriefestung verwandelte Kaliningrader Gebiet erlaubt den Russen, Polen in eine atomare Todeszone zu verwandeln. Sie soll Russland wirksam von den übrigen Nato-Staaten trennen und diese Staaten davon abhalten eine Gegenoffensive zu starten.

Das INF-Ende läutet eine neue Runde im atomaren Rüstungswettlauf ein. Die Amerikaner werden sehr schnell neue Kurz- und Mittelstreckenraketen haben und sie in Europa stationieren wollen. Dass es sich dabei um eine wirksame Abschreckungsmethode handelt, beweist die Entstehungsgeschichte des INF-Vertrages. Moskau sah sich erst genötigt ihn zu unterschreiben, nachdem die USA 1983 ihre Preshing-2 Flugkörper, wider den gigantischen Proteststurm der „Friedensbewegung“, nach Westeuropa gebracht hatten.

So wird es wahrscheinlich auch dieses Mal sein. Doch wohin mit den neuen US-Kurz- und Mittelstreckenraketen? Polen wird einer der ersten Staaten sein, bei denen Washington nachfragen dürfte.

Was spricht für ein polnisches „Ja“?

Ein russischer Angriff auf die Abschussvorrichtungen in Polen, egal ob atomar oder konventionell, würde einen sofortigen Nato-Vergeltungsschlag nach sich ziehen. Ohne Nato-Raketen in Polen könnten Russlands Kriegsplaner dem Trugschluss erliegen, die Nato werde keinen Atomkonflikt für Polen riskieren, auch wenn sie in dem Land Stützpunkte unterhält und diese verloren geben müsste.

Testabschuss einer Iskander-Rakete.

Oder wäre es gar kein Trugschluss? Ein konventioneller russischer Blitzangriff aus dem Stand, die schnelle Einnahme der baltischen Staaten und Polens bis zur Weichsel, bevor sich die Nato zu einer Gegenoffensive aufrafft, sind ein Szenario, das in den russischen Stäben immer wieder durchgespielt wird. Unmittelbar darauf folgen, soll ein öffentlichkeitswirksames Ultimatum Moskaus: eine Nato-Gegenoffensive zur Befreiung der besetzten Gebiete werde einen russischen atomaren Angriff auslösen.

Man kann sich leicht den ungeheuren Druck der westeuropäischen Öffentlichkeit vorstellen mit Moskau zu verhandeln und die Nato-Ostflanke lieber den Russen zu überlassen. Umfragen sprechen da eine deutliche Sprache: knapp sechzig Prozent der Deutschen sind strikt dagegen, östlichen Bündnismitgliedern wie Estland, Polen oder Lettland militärisch beizustehen, wenn sie von Russland angegriffen werden.

So gesehen, würde die Stationierung amerikanischer Atomraketen in Polen die Hemmschwelle gegen einen russischen Angriff deutlich anheben. Stärke schreckt ab, Schwäche (siehe Georgien 2008, Ukraine – Krim 2014 und Donbass seit 2014) verleitet die russische Politik traditionell zur Gewaltanwendung.

Wird es zu einer Stationierung kommen? Sollte sie aufgrund eines gemeinsamen Nato-Beschlusses erfolgen, dürfte es schwierig werden. Vor allem ist ein vehementer Widerstand aus Deutschland geradezu vorprogrammiert.

© RdP




Wohin marschiert die polnische Armee

Stärke braucht Geld und Geist.

Der stornierte Kauf von französischen Caracal-Hubschraubern, die Schaffung der Territorialverteidigung, personelle Veränderungen in der Armeeführung. Wenn überhaupt, dann wissen deutschsprachige Medien nur Negatives über die Verteidigungspolitik der nationalkonservativen polnischen Regierung zu berichten. Wie aber ist deren eigene Sicht der Dinge?

Der stellvertretende polnische Verteidigungsminister Bartosz Kownacki (fonetisch Kownatski) hat sich den Fragen des Wochenmagazins „wSieci“ („imNetztwerk“) vom 18.06.2017 gestellt.

Karmia Kownacki fot.
Stellv. Verteidigungsminister Bartosz Kownacki.

Kownacki (Jahrgang 1979) ist von der Ausbildung her Jurist, er leitete zwischen 2003 und 2005 seine eigene Anwaltskanzlei in Warschau, arbeitete 2005 – 2007 beim Militärischen Abschirmdienst und 2007 – 2010 in der Kanzlei von Staatspräsident Lech Kaczyński. Er ist seit 2011 Abgeordneter (2015 wiedergewählt) von Recht und Gerechtigkeit im Sejm und war bis zu seiner Berufung ins Verteidigungsministerium im parlamentarischen Verteidigungsauschuss tätig.

Vor einigen Wochen sagte Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, Polen werde erst in etwa zehn bis zwölf Jahren in der Lage sein sich selbst zu verteidigen. Wie darf man das verstehen?

Wir sind heute in einer sehr schwierigen Lage, sowohl was unsere geostrategische Situation angeht, wie auch den Zustand der polnischen Streitkräfte. Auf den ersten Umstand haben wir kaum Einfluss, aber auf den zweiten sehr wohl. Allerdings lassen sich die Modernisierung und die Instandsetzung der Armee nicht in wenigen Monaten bewerkstelligen, nicht einmal in einer Legislaturperiode. Da kann man nur mit der Arbeit beginnen. Die Zerstörung, die Auflösung einer Armee hingegen, geht viel einfacher vonstatten. Es genügt das Gros der Soldaten zu entlassen, die Ausrüstung zu entsorgen und die Kasernen zu verkaufen.

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Verteidigungsminster Antoni Macierewicz.

Wie ist die Regierung der Bürgerplattform unter Donald Tusk zwischen 2007 und 2015 mit der Armee umgegangen?

Ein bitterer Witz aus jener Zeit lautet: „Wozu braucht Tusk die Armee? Zum Sparen!“ Die Streitkräfte wurden in dieser Zeit systematisch beschnitten und in einen Beamtenapparat verwandelt.

Erstes Beispiel: die rigorose Entlassung aller Zeitsoldaten nach nur zwölfjähriger Dienstdauer, damit sie in Zukunft keine direkten Armee-Rentenansprüche erwerben (die Renten von ehemaligen Armeeangehörigen werden in Polen nicht aus der Sozialversicherungskasse sondern aus dem Verteidigungshaushalt gezahlt – Anm. RdP). Es handelte sich dabei meistens um Soldaten und Unteroffiziere im Alter zwischen 32 und 35 Jahren, oft mit sehr großer praktischer Erfahrung, und nicht selten hat ihre Ausbildung viel Geld gekostet. Aber es gab kein Pardon, sie mussten gehen.

Armia Tusk fot.
Ehem. Ministerpräsident Donald Tusk brauchte die Armee zum Sparen.

Das haben wir bereits im Januar 2016 durch ein Gesetz geändert. Wäre das nicht geschehen, hätten im Jahr 2016 knapp eintausend Soldaten die Armee verlassen müssen, 2017 wären es schon  tausendzweihundert, 2018 – tausendneunhundert, 2020 – siebentausendachthundert, 2021 – dreitausendfünfhundert und im Jahr 2022 – noch einmal dreitausenddreihundert Soldaten gewesen.

Zweites Beispiel: wir haben durchgesetzt, dass, wenn Fachstellen (Juristen, Programmierer usw.) mit niedrigeren Diensträngen besetzt werden, diese Leute, wenn nötig, wie ein Oberleutnant oder Oberst bezahlt werden können, ohne dass man sie befördern muss. Bis jetzt war das nicht möglich, und so haben wir ein Verteidigungsministerium vorgefunden, in dem allein gut siebenhundert Oberste arbeiteten.

Generell hat unsere Armee viel zu viele „Häuptlinge“, und die Tusk-Regierung hat acht Jahre lang nicht nur nichts dagegen unternommen sondern diesen Zustand noch verstärkt. Ungefähr vierzehntausend Offiziere, ca. zweiunddreißigtausend Unteroffiziere und etwa achtunddreißigtausend Schützen gibt es heute in der polnischen Armee, d. h. auf einen Kommandeur entfallen 0,9 Soldaten. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das Verhältnis 1 : 4, in der US-Armee beträgt es heute 1 : 5.

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Auf einen Unteroffizier und Offizier entfällt weniger als ein Soldat.

Eine weitere Katastrophe wurde durch die überstürzte Abschaffung der Wehrpflicht im Sommer 2008 ausgelöst. Man kann sich das kaum vorstellen, aber zwischen 2009 und 2014 wurden in Polen keine Reservisten mehr zu Übungen einberufen! Als dann die Russen die Krim besetzten und der Konflikt in der Ostukraine ausbrach, bekamen unsere Vorgänger plötzlich kalte Füße und haben im Oktober 2014 auf einmal begonnen über vierzigtausend Altreservisten aus der Wehrpflichtzeit vor 2008 einzuberufen, was in einem Chaos endete.

Polen solle eine „Berufsarmee“ bekommen, das hatte Tusk seinen Wählern versprochen, doch die entsteht nicht automatisch mit der vorschnellen Abschaffung der Wehrpflicht. Der Wechsel kam abrupt, es wurde nicht mehr Geld zur Verfügung gestellt, obwohl eine Berufsarmee deutlich teurer ist als eine Armee aus Wehrpflichtigen. Im Gegenteil, es hieß, jetzt könne man erst recht sparen. Und so bekamen wir an den meisten Standorten einen Fehlstand von bis zu sechzig Prozent, also wahre „Geistereinheiten“, die nur auf dem Papier einen Kampfwert hatten. Zudem wurden Standorte reihenweise geschlossen. Liegenschaften des Militärs fielen oft genug einer Raubprivatisierung zum Opfer. Auf die Moral der Truppe wirkte sich das alles verheerend aus.

Die Armee als fünftes Rad am Wagen?

So kann man das auch beschreiben. Wozu eine Armee, wenn es keine Bedrohung mehr gibt für Polen? Der russische Krieg gegen Georgien von 2008 war gerade vorbei, als unsere Vorgänger ihr neues wehrpolitisches Credo vorstellten. Sie glaubten wirklich an den guten Willen Moskaus und daraus ergab sich ihr unverantwortliches Handeln. Außenminister Radosław Sikorski plädierte sogar für die Aufnahme Russlands in die Nato.

Die Jahresetats für Modernisierung von Bewaffnung und Ausrüstung wurden regelmäßig nicht ausgeschöpft. Dann haben unsere Vorgänger in den letzten Jahren ihres Amtierens ein gewaltiges Modernisierungsprogramm für die Armee im Wert von 300 Milliarden Zloty (ca. 72 Mrd. Euro – Anm. RdP) aufgestellt. In Wirklichkeit standen ihnen jedoch nur 70 Milliarden Zloty zur Verfügung (ca. 17 Mrd. Euro – Anm. RdP). Es endete damit, dass die damalige Regierung begann von allem ein bisschen was zu beschaffen.

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Die Armee wurde so lange verkleinert bis man mit allen Angehörigen der Landstreitkräfte nicht einmal das Warschauer Nationalstadion mit knapp 60.000 Plätzen füllen konnte.

Während die einsatztaugliche Truppe schrumpfte, wuchs gleichzeitig der bürokratische Wasserkopf der Armee. Im Jahr 2014 konnte man mit allen Offizieren und Soldaten der polnischen Landstreitkräfte nicht einmal das neue Nationalstadion in Warschau mit seinen knapp sechzigtausend Sitzplätzen füllen, und das in einem Land mit 38 Millionen Einwohnern.

Verteidigungsminister Antoni Macierewicz wird vorgeworfen, er hätte verdiente und kompetente oberste Armee-Kommandeure rigoros gefeuert und durch ihm ergebene, inkompetente Offiziere ersetzt, um sich die Armee gefügig zu machen.

Zwischen dem 16. November 2015 als Antoni Macierewicz das Ministerium übernahm und dem 31. Januar 2017 sind 34 Generäle und 47 Oberste aus dem Dienst ausgeschieden. Einige wegen familiären und gesundheitlichen Problemen. Einige, weil sie das Rentenalter erreicht haben. Einige, weil sie sich die Zusammenarbeit mit uns nicht vorstellen konnten, und einigen haben wir den Abschied nahegelegt.

In den letzten beiden Gruppen waren ganz gewiss auch gute Fachleute mit guten Kontakten zur Nato. Doch sie haben die Zustände, die ich geschildert habe, entweder schweigend mitgetragen oder gar mitverursacht. Das war keine gute Empfehlung für die Zusammenarbeit mit uns.

Von Inkompetenz ihrer Nachfolger kann keine Rede sein. Alle weisen die erforderlichen Qualifikationen vor, viele haben zudem Kommandeurskurse und Studiengänge in den USA und anderen Nato-Staaten belegt. Das Adjektiv „ergeben sein“ würde ich durch das Adjektiv „loyal“ ersetzen. Nur mit Kommandeuren, die generell unsere Vorstellungen teilen und unsere Vorhaben mittragen, können wir die Armee instand setzen und modernisieren.

Es heißt, bei einem konventionellen Angriff auf Polen stünden russische Einheiten innerhalb von 36 Stunden vor Warschau.

Ja, noch vor zwei Jahren war das sehr wahrscheinlich. Unsere Landstreitkräfte bestanden damals aus dreizehn Brigaden. Jede kann wirksam einen Abschnitt von maximal fünfzehn Kilometern verteidigen. Das macht insgesamt knapp zweihundert Kilometer aus, aber unsere Ostgrenze ist tausendzweihundert Kilometer lang!

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Steht die russische Armee innerhalb von zwei Tagen vor Warschau?

Hinzu kommt, dass es damals auf dem riesigen Nato-Gebiet zwischen Estland und Bulgarien, also in zehn Nato-Frontstaaten, weit und breit keine amerikanischen oder anderen westlichen Nato-Truppen gab, auβer einigen Stäben und Ausbildungszentren. Die Nato-Kampfverbände erschienen nur ab und an zu Übungen. Bis etwa 2010 hatte die Nato nicht einmal Verteidigungspläne für den östlichen Teil des Bündnisses. Unsere Nato-Mitgliedschaft war damals eine fast rein politische.

Was die Tusk-Regierung hinsichtlich der Armee betrieb, war auch deswegen ein Spiel mit dem Feuer. Russland hat seit dem Machtantritt Putins im Jahr 2000 seine Armee völlig umgekrempelt und gewaltig modernisiert. Sie ist heute in der Lage, aus dem Stand, Blitzangriffe vorzunehmen und z. B. die baltischen Staaten oder Teile von Polen im Handstreich zu erobern, bevor sich die Nato für einen Gegenschlag entschließt. Und dann käme aus Moskau die Warnung, dass jeder Versuch der Nato diese Gebiete zu befreien mit einem russischen Atomschlag beantwortet werde.

Man kann sich leicht vorstellen, wie westliche Politik und Öffentlichkeit, vor allem in Deutschland, reagieren würden: Ein Atomkrieg wegen des Baltikums oder Polens? Niemals! Lasst uns verhandeln, man muss „die legitimen Interessen Russlands berücksichtigen“ usw., usf. Wie mit der russischen Annexion der Krim, würde man sich schnell auch mit der russischen Annexion des Baltikums und/oder Polens abfinden.

Nato-Gipfel in Warschau. Briefmarke von 2016.

Zum Glück hat sich das seit den Nato-Gipfeln in Newport (2014) und vor allem in Warschau (2016) grundlegend geändert. US-Truppen sind in Ostmitteleuropa, auch in Polen, stationiert und das bedeutet: ein Angriff auf Polen ist auch ein direkter Angriff auf amerikanische Streitkräfte. Das senkt die russische Risikobereitschaft erheblich.

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Nato-Gipfel in Warschau Juli 2016.

Was kann und sollte Polen also im Falle eines russischen Angriffs tun?

Wir müssen fähig sein den Angreifer bis zu zwei Wochen lang selbst aufzuhalten, damit die Nato-Verbündeten Zeit haben uns zur Hilfe zu kommen. Und dabei kann es sich nicht um die Verteidigung eines umzingelten Warschaus handeln, sondern das Ganze muss sich deutlich weiter im Osten abspielen. Schafft es der Gegner Warschau schnell zu erobern, dann kann er eine ihm genehme Regierung einsetzen und die Friedensbedingungen diktieren. Riskiert er langwierige Kampfhandlungen, ohne den Durchbruch zu erlangen, wächst für ihn das Risiko erheblich. Deswegen ist auch die Schaffung der Territorialverteidigung, die wir jetzt vornehmen so wichtig.

Eine Armee so groß und so stark wie die russische werden wir nie haben.

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Polnische Truppen im Irak.

Natürlich nicht, brauchen wir auch nicht. Unsere Vorgänger haben jedoch lange Zeit behauptet, Polen muss eine reine Expeditionsarmee haben, die unsere Verbündeten in Auslandsmissionen unterstützt.

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Polnische Truppen in Afghanistan.

So hat man das auch in Deutschland lange Zeit in Bezug auf die Bundeswehr gesehen. Mit heute beklagenswerten Folgen für die dortige Armee.

Expeditionsarmee: also kaufte man hier ein paar Hubschrauber, da gepanzerte Patrouillenfahrzeuge usw., was man gerade im Irak, in Afghanistan, in Mali so brauchte. Doch wenn es darauf ankommt unser Land zu verteidigen, werden Fähigkeiten und Ausrüstung, die zur Guerillabekämpfung taugen, kaum von Wert sein.

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Polnische Truppen in Mali.

Wir brauchen also eine ganz andere Bewaffnung und Ausrüstung. Wir müssen vor allem eine gute Aufklärung haben. Wieder ein Beispiel: die Tusk-Verwaltung hat gute Zielflugkörper-Küstenverteidigungsbatterien in Norwegen gekauft, aber sie können nur bedingt auf größere Distanz erkennen, was sich da unseren Grenzen nähert, weil ihr Radar nicht ausreichend ist.

Satelliten, Aufklärungsflugzeuge, Drohnen – das müssen unsere Prioritäten sein. Außerdem die sehr vernachlässigte Flugabwehr und schließlich die Möglichkeit, dem Gegner einen schweren Schlag auf seinem eigenen Gebiet zuzufügen. Dazu brauchen wir Schiffe und Flugzeuge mit Marschflugkörpern. Wir wollen weder Moskau noch ein anderes Stück von Russland erobern, aber sollten wir angegriffen werden, dann soll sich der Angreifer auf seinem Territorium nicht sicher fühlen.

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Caracal-Hubschrauber. Kauf storniert.

Gerade ist die Strategische Verteidigungs-Bestandsaufnahme abgeschlossen worden. Können wir sagen: der Weg hin zu einer leistungsfähigen, wirksamen Armee ist klar vorgezeichnet, wir wissen was wir wollen?

Wir haben in dieser Bestandsaufnahme festgelegt, was dringend notwendig ist und was erst einmal warten kann. Hinzu kommt die Erhöhung der Verteidigungsausgaben.

Werden es 2018 mehr als zwei Prozent des Bruttosozialproduktes sein?

Im nächsten Jahr bleibt es noch bei den zwei Prozent. Im Jahr darauf, 2019, soll eine Erhöhung auf 2,2 Prozent folgen, und bis 2030 wollen wir bei 2,5 Prozent ankommen.

Wie stark soll die polnische Armee sein? Zweihunderttausend Soldaten? Mehr?

Zweihunderttausend, die Territorialverteidigung mit eingeschlossen, das ist ein vernünftiges Minimum. Der jetzige Koeffizient der Zahl von Soldaten pro eintausend Einwohner platziert uns ziemlich weit unten in der europäischen Tabelle, dort wo sich Staaten befinden, die von anderen Nato-Ländern umgeben sind. Wir dagegen sind ein Frontstaat des Bündnisses. Wir reden also hier von einer Rückkehr zur Normalität, was sie Stärke unserer Armee angeht und nicht von irgendwelchen Hirngespinsten.

Sie sprachen davon, dass eine Vielzahl an neuer Bewaffnung und Ausrüstung angeschafft werden muss. Doch ihre politische Mannschaft hat gleich zu Beginn ihrer Amtsführung den Kauf der französischen Caracal-Hubschrauber storniert.

Erstens. Unsere Vorgänger haben den Kauf unmittelbar vor den Wahlen vereinbart. Uns aber haben sie die Verhandlungen über die Gegenleistungen des französischen Partners überlassen. Die Franzosen sprachen in den Medien viel von angeblich sechstausend neuen Arbeitsplätzen, die sie in Polen schaffen wollten, in einem Gegenwert von Milliarden von Euro. Nicht unser Verteidigungsressort sondern das Wirtschaftsministerium hat mit ihnen knapp ein Jahr lang darüber verhandelt. In Wirklichkeit wollten die Franzosen im jetzigen Hubschrauber-Reparaturwerk in Łódź ihre Maschinen aus angelieferten Fertigmodulen zusammenschrauben. Dazu brauchten sie nicht mehr als fünfhundert Leute. Sie gingen wohl davon aus, Polen werde es nicht wagen die Bestellung zu stornieren.

Zweitens. Der schwere Caracal-Hubschrauber sollte, in abgewandelter Form, als Transporthubschrauber dienen, als Marinehubschrauber zur Bekämpfung von U-Booten, als Rettungshubschrauber zur Evakuierung von Verwundeten, als Transportmittel für Spezialeinheiten bei ihren Operationen usw. Das konnte nicht gut gehen.

Auch bei der französischen Armee ist der Caracal nicht gerade ein Renner: etwa zwanzig Maschinen hat sie seit 2005 gekauft. Die Bundeswehr keine einzige, obwohl er von der französisch-deutschen Unternehmensgruppe Airbus Helicopters hergestellt wird. Unsere Vorgänger wollten gleich fünfzig Stück für einen extrem hohen Preis von knapp 14 Milliarden Zloty (knapp 3,4 Mrd. Euro) kaufen.

Drittens. Wir haben in Polen zwei Hubschrauberfabriken, geführt von zwei großen internationalen Konzernen, die viel investiert haben und etwa fünftausend Mitarbeiter beschäftigen. Diese Betriebe müssten ihre Produktion drastisch drosseln oder sogar schließen.

Viertens. Unsere jetzigen Hubschrauber können wir noch bis 2035 nutzen. Das sind die sowjetischen oder bei uns nachgebauten sowjetischen Modelle Mi-8, Mi-17, Mi-2 und W-3. Die Sache ist also nicht ganz so dringend.

Fünftens. Statt einem schweren Einheitshubschrauber brauchen wir Maschinen, die am besten die Aufgaben meistern, für die sie bestimmt sind.

Fazit. Unsere Vorgänger haben eine falsche Entscheidung getroffen. Es gab mindestens fünf gewichtige Gründe diesen chaotischen Kauf nicht zu tätigen.

Bei solchen großen Modernisierungsprogrammen sind riesige Gelder im Spiel, begleitet von heftigem Lobbyismus. Bei dem Caracal-Geschäft war der Druck gewaltig. Es hieß „Polen isoliere sich in der EU“ (Deutschlandfunk), „Polens rechtskonservative Regierung unter der PiS-Partei verliert sämtliche Sympathien im Ausland.“ („Handelsblatt“) usw., usf. Ein Teil der polnischen Medien verhielt sich genauso.

Der Lobbyismus ist wahrlich heftig. Zielpersonen sind oft unsere Parlamentarier, aber noch mehr macht er sich in den Medien bemerkbar. Zuerst kommen die Berichte, die das Fehlen irgendwelcher Waffen oder Ausrüstungen anmahnen, oder dass sie veraltet sind, dann werden konkrete Produkte vorgestellt und eine Kampagne beginnt, sie anzuschaffen. Manche Medien verhalten sich wie Handelsvertreter der Rüstungskonzerne.

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„Moderne Ausrüstung der polnischen Armee“. F-16 US-Mehrzweckkampfflugzeug. Briefmarke der Polnischen Post von 2013.

Wann werden all die Anschaffungen, die sie vorhaben, sich zu einem Ganzen zusammenfügen und einen richtigen qualitativen Sprung in der polnischen Verteidigungsfähigkeit bewirken?

Das ist ein Prozess. Auf die neuen U-Boote, die wir dringend brauchen, werden wir fünf, sechs Jahre warten müssen. So lange dauert der Bau. Für die Flugabwehr benötigen wir mindestens acht Batterien von Mittelstrecken-Flugabwehrraketen zur Bekämpfung von Flugzeugen, Marschflugkörpern und taktischen ballistischen Mittelstreckenraketen. Sie zu bauen dauert auch seine Zeit.

(Das Interview wurde einige Tage vor dem Besuch von US-Präsident Donald Trump am 6. Juli 2017 geführt. Ein Tag zuvor, am 5. Juli 2017, fand in Washington ebenfalls noch die Unterzeichnung eines polnisch-amerikanischen Vorvertrages statt, Polen wird in den USA die ersten zwei Batterien von Patriot-Flugabwehr-Mittelstreckenraketen der neuesten Generation  kaufen. Diese sollen bis 2023 einsatzbereit sein – Anm. RdP).

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„Moderne Ausrüstung der polnischen Armee.“ Radkampfpanzer „Rosomak“ („Bärenmarder“) in finnischer Lizenz in Polen gebaut. Briefmarke der Polnischen Post von 2013.

Außerdem, man kann keine Verträge über Millionen oder Milliarden von Euro hastig verhandeln. Wir müssen unser aller Geld schonen, erst nach harten Verhandlungen ausgeben, sonst haben nur Lobbyisten und die Rüstungskonzerne etwas davon. Wir müssen auch gewährleisten, dass im Zuge der Großeinkäufe moderne Technologien nach Polen kommen und Arbeitsplätze entstehen. Hätten wir, wie unsere Vorgänger, acht Jahre lang regiert, dann wäre der Modernisierungsprozess bereits weit gediehen. Doch schon gegen Ende unserer ersten Amtsperiode, 2019, wird vieles gemacht sein. Dann wird man von uns Rechenschaft einfordern können.

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„Moderne Ausrüstung der polnischen Armee.“ Minenräumbefehlsboot „Konteradmiral Xawery Czernicki.“ Briefmarke der Polnischen Post von 2013.

Wieviel von den Einkäufen wird das Verteidigungsministerium in polnischen Firmen vornehmen?

Soviel wie möglich. Die staatlichen Rüstungsfirmen, zusammengefasst im Rüstungskonzern Polska Grupa Zbrojeniowa SA (Polnische Rüstungsgruppe AG – Anm. RdP) und unsere Privatfirmen verfügen über ein sehr großes Potential. Wir brauchen nicht immer das Modernste. Es reicht oftmals aus, gutes Gerät zu einem guten Preis zu kaufen.

Auf den Straßen begegnet man heutzutage kaum noch Soldaten. Gibt es so wenige von ihnen oder ziehen sie sich um, wenn sie vom Dienst in die Öffentlichkeit gehen?

Ja, die Soldaten ziehen sich um, wenn sie aus den Kasernen gehen. Mir fällt es schwer das nachzuvollziehen, denn für mich ist das Recht eine Uniform zu tragen sehr prestigeträchtig. Mir, als einem zivilen, politischen Beamten steht dieses Recht nicht zu. Polnische Soldaten genossen in der langen Geschichte unseres Landes ein hohes Ansehen. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde die Armee regelrecht schlecht geredet.

Eine der wichtigsten Errungenschaften von Verteidigungsminister Macierewicz ist die, dass es ihm gelang die Moral der Truppe deutlich zu verbessern.

Zu dem Thema empfehlen wir auch folgende Beiträge:

Pausenlose Feindberührung. Die Cyberverteidigung der polnischen Armee

Blanke Ostflanke

Des Hauses Schwelle eine Festungswehr

»Leo« Polski 

RdP




»Leo« Polski

In die Jahre gekommen. Dem deutschen Panzer der Superlative steht die Polonisierung bevor.

Der Anlauf hat einige Jahre  lang gedauert, jetzt geht es an die Arbeit. Für umgerechnet gut 560 Mio. Euro sollen 128 »Leopard« 2A4 Panzer der polnischen Armee bis 2020 aufgerüstet und modernisiert werden. Knapp die Hälfte der Auftragssumme erhält der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall AG. Am Ende soll sich der deutsche »Leopard« 2A4 in einen »Leoparden« 2PL verwandeln. Ist hier gar ein »Leo« Polski im Werden? Daran scheiden sich noch die Geister.

Der erste Posten, 124 Stück des »Leopard« 2A4, traf zwischen August 2002 und Juni 2003 in Polen ein. Dabei handelte es sich um ursprünglich „eingemottete“ Exemplare, hergestellt zwischen 1985 und 1987. Sie sind es, die jetzt erneuert werden sollen.

Zur Lieferung gehörten damals ebenfalls zehn Bergepanzer 2, gepanzerte Reparaturfahrzeuge zur Instandsetzung und Bergung von beschädigten Kampfpanzern. Auβerdem 35 leichte, gepanzerte Transporter M113, die als mobile Feuerleitstellen und Gefechtsstände oder zur Bergung von Verwundeten eingesetzt werden, 6 Tieflader, knapp 120 Lastkraftwagen und 25 Geländewagen. Polen zahlte dafür gerade einmal etwa 25 Mio. Euro.

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»Leopard« 2A4 bei Truppenparade in Warschau.

Die internationale Lage war damals entspannt. Wegen zu hoher Lagerungskosten wollte die Bundeswehr daher enorme Bestände ihres ausgemusterten Fuhrparks aus der Zeit des Ost-West-Konfliktes loswerden. Der Bundesrechnungshof nahm ihr im Nachhinein den „Polen-Deal“, als zu preiswert, übel.

Im November 2013 kaufte Polen dann, für ca. 180 Mio. Euro, weitere 105 gebrauchte (Fertigungszeit zwischen 1995 und 1997) »Leopard«-Panzer der Version A4 und A5, sowie mehr als 200 Fahrzeuge der taktischen und technischen Unterstützung. Gebraucht, aber in sehr gutem Zustand. „Die Deutschen haben sie kaum genutzt und hervorragend gewartet“, hieß es damals von polnischer Seite.

2A4 – Unverwundbarkeitsmythos begraben

Inzwischen harren die ersten, im Jahr 2002 gekauften, 124 Panzer, die alle um die dreiβig Jahre alt sind, dringend einer Modernisierung. Wie sehr, das zeigte sich, als Ende August 2016 die Türkei die Operation “Schutzschild Euphrat” startete, mit dem Ziel an ihrer südlichen Grenze eine Sicherheitszone zu schaffen.

Anfang Dezember 2016 kamen in der Gegend der syrischen Stadt al-Bab rund 45 türkische »Leopard« 2A4 zum Einsatz. Bis zu zehn von ihnen wurden von IS-Kämpfern zerstört oder zumindest kampfuntauglich gemacht.

Damit war der Unverwundbarkeitsmythos des guten alten »Leopard« 2A4 begraben. Entstanden war dieser Mythos im Kosovo und in Afghanistan, wo es keine Verluste gab. Die neuesten Panzerabwehrlenkwaffen jedoch, wie die US-amerikanische TOW-2A der kurdischen Partisanen, aber auch die russischen 9K111 »Fagot« oder 9K135 »Kornet« der IS-Kämpfer, sind in der Lage die bereits etwas betagten »Leos« ernsthaft zu verwunden.

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Zerstörte türkische »Leopard« 2A4 in Syrien. Dezember 2016.

Der grundlegende Entwurf des Panzers stammt aus den 1970er-Jahren und war darauf ausgerichtet Frontalangriffe riesiger sowjetischer Panzerverbände abzuwehren. Seine Vorderpanzerung ist sehr stark, wobei speziell die Turmfront für panzerbrechende Geschosse bis heute nahezu undurchdringlich ist. Um Gewicht zu sparen und die Mobilität zu verbessern wurden jedoch vor allem die Seiten der Wanne wesentlich schwächer gepanzert und müssen daher um jeden Preis abgesichert werden. Die Türken hatten dies offensichtlich versäumt.

Übrigens sind bei den neueren »Leos« der Typen A5 bis A7 diese Defizite weitgehend behoben. Dies soll bei dem 2A4 nun nachgeholt werden. Davon abgesehen ist, am Rande bemerkt, generell der Einsatz von einzelnen Panzern oder kleinen Gruppen, wie es die türkische Armee in Syrien praktiziert hat, ein gefährliches Unterfangen. Panzer müssen in gröβeren Verbänden eingesetzt werden.

Selbst ist der Pole

Das polnische Verteidigungsministerium hat den Groβauftrag zur Nachrüstung mit einem am 28. Dezember 2016 unterzeichneten Vertrag an den staatlichen polnischen Rüstungskonzern Polska Grupa Zbrojeniowa SA (Polnische Rüstungsgruppe AG – PGZ SA) vergeben. Acht von insgesamt sechzig PGZ-Betrieben sollen sich an der »Leo«-Modernisierung beteiligen.

Der Umbau wird in den Montage- und Reparaturhallen der Zakłady Mechaniczne (Mechanische Werke) Bumar-Łabędy SA im oberschlesischen Gliwice/Gleiwitz vorgenommen. Ihnen zuarbeiten sollen u. a. die Mechanischen Werke in Poznań/Posen (Antriebssysteme) und Tarnów (Richtantriebe für den Panzerturm), die Gleiwitzer OBRUM GmbH (übernimmt die notwendige Anpassung der Ausbildungsmittel und Simulatoren), das Warschauer Przemysłowe Centrum Optyki SA (Zentrum der Optischen Industrie AG) – Lieferant von Wärmebildgeräten der neusten Generation, die oberschlesische Rosomak SA, zuständig für eine neue rundum Turmpanzerung.

Für die polnische Seite war es wichtig, dass von dem Groβauftrag für die eigene Rüstungsindustrie so viel wie möglich an Wertschöpfung, hochqualifizierten Arbeitsplätzen und wehrtechnischem Know-how „hängen“ bleibt. Die Warschauer nationalkonservative Regierung hat sich nämlich die Wiederbelebung und Modernisierung der polnischen Industrie ganz groβ auf ihre Fahnen geschrieben.

Weg vom Billiglohnland, hin zu Hochtechnologien, lautet die Devise einer Politik, zu der die Rüstungsindustrie einen gehörigen Beitrag beisteuern soll. Ob es um die Beschaffung neuer Armeehubschrauber (Polen hat gleich zwei Helikopterfabriken: PZL Mielec des US-Konzerns Lockheed Martin und PZL Swidnik des italienischen Konzerns Finmeccanica-Leonardo), die Ausrüstung und Ausstattung der neu geschaffenen Territorialtruppen oder die Modernisierung der Marine geht, ausländische Rüstungsanbieter haben aktuell nur dann eine Chance, wenn sie die heimische Industrie kräftig mit einbinden.

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Bumar-Łabędy-Werke. Szenen einer »Leo«-Kampfwertsteigerung 1.

Eingeweihte wissen zu berichten, dass Rheinmetall in dieser Hinsicht ein schwieriger Gesprächspartner war. Der Konzern wollte gerne auf alle polnischen Wünsche eingehen. Allerdings, indem er eigene technische Lösungen liefert, und zwar am besten solche, die bereits in der bestehenden Angebotspalette enthalten waren. Neue, polnische Komponenten sahen die deutschen Rüstungskaufleute nur ungern, besonders wenn sie bereits ähnliche anbieten konnten. Übel nehmen kann man diese Einstellung den deutschen Rüstungskaufleuten nicht, doch die Polen hatten noch ein wichtiges Ziel vor Augen: ihre »Leos« in Zukunft möglichst ohne fremde Hilfe nutzen und warten zu können.

Am Ende der Verhandlungen stand ein Vertrag, den der polnische Hauptauftragnehmer, die Mechanischen Werke Bumar-Łabędy, am 18. Februar 2017 mit Rheinmetall abschloss. Beide Seiten verkündeten, sie hätten einen Erfolg davongetragen.

Das deutsche Unternehmen brüstete sich damit einen dicken Auftrag an Land gezogen zu haben und gab bekannt, „der strategische Partner“ zu sein, der „entscheidende Schlüsseltechnologien in der Elektronik und Waffentechnik“ zu dem »Leo«-Modernisierungsprogramm beisteuere. Den Polen hingegen war es wichtig, dass sie in Zukunft in Eigenregie Überholungs- und Reparaturpläne aufstellen sowie in Polen hergestellte »Leo«-Ersatzteile verwenden können. Dieser Aspekt wurde daher von polnischer Seite besonders herausgestellt.

»Leo« mit neuen Krallen

Fachleute sprechen bei diesem Vorhaben nicht von einer Generalüberholung sondern von einer Kampfwertsteigerung. Dennoch werden die »Leopard« 2PL keine neuen Glattrohrkanonen vom Typ L/55 bekommen. Die L/55 sind um 25 Prozent länger als ihre Vorgänger (die aktuell montierten L/44), haben eine deutlich höhere Mündungsgeschwindigkeit und erreichen damit eine entsprechend höhere Durchschlagsfähigkeit der Geschosse (bis zu 810 Millimeter Panzerstahl auf eine Entfernung von 2 Kilometern).

Da auf den polnischen »Leos« auch keine neuen Türme montiert werden sollen, kann leicht der Eindruck entstehen, es sei mehr oder weniger Kosmetik, die an den Kampfpanzern vorgenommen wird. Dem ist nicht so.

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Bumar-Łabędy-Werke. Szenen einer »Leo«-Kampfwertsteigerung 2.

Ihre Silhouette wird sich durch das Anbringen der ausgeklügelten modularen AMAP-Panzerung verändern. Diese dünne und leichte keramische Beschichtung erzeugt ein vierstufiges aktives Schutzsystem. Es erschwert erheblich die Erfassung des Panzers durch die feindliche Ortung. Es zerstört anfliegende Geschosse oder Lenkflugkörper. Gelingt das nicht, dann soll die eigentliche Panzerung den Durchschlag verhindern. Bei einem Treffer schützt sie die Besatzung vor den Auswirkungen. Das Technikwunder des deutschen Unternehmens IBD Deisenroth Engineering GmbH wird die polnische Rosomak SA in Lizenz herstellen. Zudem sollen minensichere Sitze und eine neue Feuerlösch- und Brandunterdrückungsanlage eingebaut werden.

Der Turm wird auf elektrische Richtantriebe der deutschen Firma Jenoptik AG (Lizenzhersteller Mechanische Werke Tarnów) umgestellt. Das erhöht die Präzision, schafft mehr Platz und vermindert die Gefährdung der Besatzung. Die bisherigen hydraulischen Richtantriebe wurden nämlich von einer leicht entflammbaren Flüssigkeit bewegt. Sie zirkulierte in Schläuchen, die im Turm verlegt sind.

Ein neuer Hilfsgenerator, in der Wanne eingebaut, ermöglicht die Stromversorgung des Fahrzeugs bei ausgeschaltetem Hauptmotor, was die Treibstoffkosten deutlich senken dürfte.

Die bisherige L/44-Kanone soll u.a. ein neues Rohrrücklaufsystem, einen neunen Verschluss und eine neue Mündungsbremse bekommen, sodass sie die modernsten Munitionssorten verwenden kann, die in der Lage sind die Panzerung der russischen Kampfpanzer T-90A und T-72B3 zu durchschlagen. Die herkömmlichen L/44-Kanonen konnten das nicht, bzw. nur bedingt.

Verbessert oder ersetzt werden noch viele andere Bestandteile und Systeme. Ganz wichtig ist dabei die Einhaltung der Gewichtsobergrenze von 60 Tonnen, damit die Aufhängung nicht verstärkt werden muss.

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Bumar-Łabędy-Werke. Szenen einer »Leo«-Kampfwertsteigerung 3.

Der Zeitplan ist sehr eng. Er sieht vor, dass Rheinmetall zusammen mit seinen polnischen Partnern bis Ende 2017 einen Prototyp an die Streitkräfte ausliefert. Nach Prüfung sollen diese dann die Serienproduktion freigeben. Die ersten fünf Serienfahrzeuge werden 2018 von Rheinmetall umgerüstet. Im gleichen Jahr sollen weitere zwölf Kampfpanzer unter Einbeziehung polnischer Subunternehmer bei Bumar-Łabędy auf gleiche Weise modernisiert werden. Dabei bildet Rheinmetall das Personal am Arbeitsplatz vor Ort aus. Ab dem 18. Fahrzeug übernimmt die polnische Seite die Projektleitung, das 124. Fahrzeug soll abschließend 2020 ausgeliefert werden.

Die jetzt anstehenden Modernisierungsmaßnahmen sind dringend erforderlich, damit die polnische Landesverteidigung glaubhaft und wirksam bleibt. Sie machen aus dem »Leoparden« keinen polnischen Panzer. Dass es jedoch bei den Verhandlungen gelang, dem Rheinmetall-Konzern viele Zugeständnisse in Sachen Lizenzen, Wertschöpfung und moderner Arbeitsplätze abzutrotzen, wird der Verteidigungsbereitschaft des Landes und seiner Industrie gut tun.

Zu diesem Thema auch:

„Nicht jeder Schuss ein Russ“

„Des Hauses Schwelle eine Festungswehr“

© RdP




Des Hauses Schwelle eine Festungswehr

Neue Truppen der Territorialverteidigung. Ein ABC.

Polens Armee bekommt eine fünfte Teilstreitkraft. Neben dem Heer, der Luftwaffe, der Marine und den Spezialeinheiten entstehen seit Neuestem die Truppen der Territorialverteidigung. Angesichts der Drohgebärden Russlands und des Kriegsgeschehens in der Ukraine folgt das Land dem Beispiel Finnlands, Groβbritanniens, Schwedens und vieler anderer Staaten, indem es auch auf Verteidigung und Katastrophenschutz vor Ort, „an der eigenen Hausschwelle“, setzt.

Doch deutsche Medien wissen es besser.

Parteiarmee, rechter Schlägertrupp, Freizeitpartisanen…

„Parteiarmee im Aufbau?“, titelt die „Junge Welt“ (08.11.2016) und unterstellt: „die leichte Bewaffnung der Territorialverteidigung ist völlig ausreichend, um zum Beispiel Streiks oder Demonstrationen niederzuschlagen. Bei einer Sejm-Debatte in der vergangenen Woche warf die Opposition denn auch das Stichwort von der »Parteiarmee der PiS« oder gar »Macierewiczs SA« (Verteidigungsminister Polens – Anm. RdP) in die Diskussion“.

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Polens Verteidigungsminister Antoni Macierewicz mit seiner deutschen Amtskollegin Ursula von der Leyen in Berlin während der polnisch-deutschen Regierungskonsultationen am 22. Juni 2016.

„Die Opposition“, so die Zeitung weiter „befürchtet, dass sich vor allem Rechte freiwillig zur Territorialverteidigung melden könnten. Das ist nicht auszuschließen. Die PiS umwirbt die polnische Faschistenszene politisch, verteidigte sie etwa gegen »Zensur«, als kürzlich Facebook eine Faschistenseite wegen rassistischer Inhalte schloss, und sie lehnt es ausdrücklich ab, Rechte bei der Bewerbung zum Dienst in der Territorialverteidigung »auszugrenzen«”.

Dass die heutige Regierungspartei sie umwirbt, sollte man erst einmal handfest beweisen, was nicht leicht fallen dürfte.

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Polnische Meisterschaften der Wehrorganisationen in Giżycko/Lötzen im August 2014.

Ähnlich alarmistische Töne („Säbelrasseln? Polen und der Nato-Gipfel“) schlagen die „Polen-Analysen“ (Nr. 185 vom 05.07.2016) an und satteln noch drauf: „Insgesamt ist die Aufstellung der „Territorialverteidigung“ Teil des Bemühens der Nationalkonservativen, die polnische Gesellschaft in ihrem politisch-ideologischen Sinne zu mobilisieren und zu militarisieren.“

In Wirklichkeit muss sich die Regierung in Warschau keineswegs „bemühen“. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges im Frühjahr 2014, also noch zur Ära Tusk, erfahren die polnischen Wehrvereine einen enormen spontanen Zulauf. Die Tusk-Regierung hat das ignoriert, ihre Nachfolger wollen es zur Stärkung der Landesverteidigung nutzen.

„Rechtspopulistische Regierung. Triumph der polnischen Freizeitpartisanen”, spöttelt die „Süddeutsche Zeitung” (13.06.2016) und fügt hinzu: „Experten sehen den militärischen Wert der paramilitärischen Einheiten kritisch.” Zwar sehen bei weitem nicht alle Experten es so, aber auch das braucht der Leser nicht zu wissen.

… und das Dementi

Diese und ähnliche Behauptungen haben das Verteidigungsministerium (VM) am 17.11.2016 zu einer Erklärung veranlasst:

„Im Zusammenhang mit Berichten, »Truppen der Territorialverteidigung (TdT) sollen öffentliche Unruhen bekämpfen« und in einer besonderen Weise dem Verteidigungsminister unterstellt sein, teilt das VM folgendes mit:
Gemäβ der vor Kurzem im Parlament diskutierten Novelle zum »Gesetz über die allgemeine Verteidigungspflicht«, werden solche Vorhaben keinesfalls zum Aufgabenbereich der Territorialverteidigung gehören. Die TdT sollen die Fähigkeiten der Armee erweitern und ergänzen. Sie sollen in der Lage sein mit anderen Teilstreitkräften zusammenzuwirken, eigenverantwortlich Rettungsmaβnahmen vorzunehmen sowie die Selbstverteidigung vor Ort zu führen und zu organisieren.

Die TdT werden die fünfte Teilstreitkraft der Armee sein. Ihr Kommandeur wird in gleicher Weise wie die Kommandeure der übrigen Streitkräfte dem Verteidigungsminister unterstellt sein.
Ein bewusstes Verbreiten falscher Informationen über die TdT schädigt das Verteidigungssystem des Staates“, so die Erklärung des Verteidigungsministeriums.

Polnische Territorialverteidigung in Schlagworten

Arbeitgeber von Freiwilligen
Müssen rechtzeitig über geplante Übungen ihrer Arbeiter und Angestellten benachrichtigt werden. Können Kostenerstattung beantragen, wenn ihnen Verluste aufgrund von Abwesenheit des Freiwilligen am Arbeitsplatz entstanden sind, falls z. B. eine Ersatzkraft angeheuert werden musste.

Arbeitsplatz
Der Freiwillige darf wegen seiner Teilnahme an Übungen, Rettungsaktionen oder Kampfeinsätzen nicht gekündigt werden. Dies gilt nicht bei Konkurs sowie für Einstellungen auf Probe und bei Zeitverträgen.

Ausrüstung
Das Gros der 364 TdT-Kompanien (jeweils ca. 100 Soldaten) soll aus leichter Infanterie bestehen. Im Osten des Landes wird es auch einige TdT-Unterstützungs- und Einsatzkompanien geben, ausnahmslos ausgestattet mit neuer, leichter Flakartillerie, Ein-Mann-Boden-Luft-Raketen, tragbaren Antipanzerraketen.
Die Urheber des TdT-Programms legen groβen Wert darauf, dass die Ausstattung und Ausrüstung der neuen Einheiten weitestgehend aus polnischer Fertigung stammen wird. Vorgesehen sind u. a:

● die PR-15 RAGUN-Pistole,

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Made in Poland. Die PR-15 RAGUN-Pistole.

● „Beryl“, das auf der „Kalaschnikow“ basierende Sturmgewehr im NATO-Kaliber,

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Made in Poland. Beryl-Strurmgewehr.

● das Modulare Zubehörteil-Schusswaffensystem MSBS, ein Sturmgewehr im Nato- und im 7,53-Kaliber, mit einfach abnehmbarem Kolben, das, nach Bedarf, mit einem Granatwerfer, einem Zielfernrohr versehen werden kann oder auch, mit einem gröβeren Munitionsmagazin, als ein leichtes Maschinengewehr verwendet werden kann,

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Made in Poland. Das modulare MSBS-Sturmgewehr als leichte Infanteriewaffe (oben) und mit allem Zubehör (unten).

● die GROM-Ein-Mann-Boden-Luft-Rakete, die Hubschrauber, Flugzeuge, Marschflugkörper und Drohnen bei Tag und Nacht in einer Höhe zwischen 10 und 4000 Metern und einer Entfernung zwischen 500 und 6000 Metern mit enormer Treffsicherheit bekämpfen kann.

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Made in Poland. Die GROM-Ein-Mann-Boden-Luft-Rakete.

Hersteller dieser und anderer Waffen für die TdT ist der staatliche Rüstungskonzern PGZ SA (Polnische Rüstungsgruppe AG) mit seinen 33 Betrieben, an den gerade die ersten Groβaufträge vergeben werden.

Berufssoldaten
An der Spitze einer jeden TdT-Freiwilligenkompanie wird ein Berufssoldat stehen. Die ersten 66 Fähnriche (darunter 21 Frauen) haben Mitte November 2016 einen diesbezüglichen, einjährigen Lehrgang in der Heeresoffiziersschule in Wrocław/ Breslau begonnen. Insgesamt sollen Berufssoldaten etwa 10 Prozent der TdT ausmachen.

Devise
„Zawsze gotowi, zawsze w pobliżu“ – „Immer bereit, immer in der Nähe“.

Dienstdauer
Soll im Regelfall zwischen zwei und sechs Jahren liegen. Kann im Anschluss verlängert werden.

Emblem

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Entgelt
Es gelten dieselben Tagessätze pro Übungstag, wie bei den übrigen Streitkräften. Ein Gefreiter erhält – 112,33 Zloty (ca. 26 Euro), ein Stabsgefreiter – 118,67 Zloty (ca. 28 Euro), ein Fähnrich – 128,33 Zloty (ca. 30 Euro). Der TdT-Kompaniechef erhält als Berufssoldat eine Monatszulage von 600 Zloty (ca. 140 Euro).

Frauen
Werden nach den allgemein geltenden Kriterien in die TdT aufgenommen.

Gliederung
Polen ist in sechzehn Woiwodschaften (Provinzen) unterteilt. In jeder soll es eine TdT-Brigade (ca. 3000 Soldaten) geben. In der zentral gelegenen Woiwodschaft Mazowsze/ Masowien, mit der Hauptstadt Warschau, sind zwei Brigaden vorgesehen. Insgesamt also 17 Brigaden (jeweils 3 bis 4 Bataillone (4 bis 5 Kompanien). In jedem der 364 polnischen Landkreise soll eine TdT-Kompanie (ca. 100 Soldaten) als die kleinste Einheit der neuen Truppe wirken.

Hierarchie
Das am 1. Juli 2016 ins Leben gerufene Büro zur Schaffung der Territorialverteidigung soll bis zum 31. März 2017 in das Kommando der Territorialverteidigung umgewandelt werden. Sein Sitz ist Warschau. Dem Kommando werden die Stäbe der 17 Brigaden der TdT im ganzen Land unterstellt sein.

Juristische Grundlage
Es wurde kein separates Gesetz über die Schaffung der TdT verabschiedet, sondern eine diesbezügliche Novelle zum Gesetz über die allgemeine Pflicht zur Verteidigung der Republik Polen (Ustawa o powszechnym obowiązku obrony Rzeczypospolitej Polskiej). Am 16. November stimmten im Sejm 269 Abgeordnete dafür, 170 waren dagegen.

Demnach bilden die TdT die fünfte Teilstreitkraft der polnischen Armee und es wird eine neue Art des aktiven Militärdienstes geschaffen: der territoriale Militärdienst. Die Novelle tritt am 1. Januar 2017 in Kraft.

Katastrophenschutz
Auf allen Ebenen der Verwaltung (Woiwodschaft, Kreis, Gemeinde) existiert bei den Behörden eine Abteilung S-5 für die militärisch-zivile Zusammenarbeit im Kriegs- und Katastrophenfall. Die neuen TdT werden in dieses System eingegliedert. Der bisher geltende Grundsatz bleibt auch für die TdT gültig: im Ernstfall empfangen die Soldaten ihre Befehle und Anweisungen nur von ihren jeweiligen Vorgesetzten, die Befehlsgewalt über die Truppe geht nicht an die Zivilbehörden vor Ort über.

Kosten – Nutzen                                                                                                   Zwischen 2017 und 2020 sind für die TdT etwa 1,5 Mrd. Zloty (ca. 350 Mio. Euro) pro Jahr veranschlagt, das sind ca. 10 Prozent des Modernisierungsfonds der polnischen Armee. Sind die groβen Anschaffungen bezahlt, soll der Anteil am Modernisierungsfond auf 3 Prozent reduziert werden.

Gleichzeitig wird sich die Zahl der Soldaten des Heeres im Vergleich zu 2016 um mehr als die Hälfte erhöhen. Auf diese Weise soll kostensparend und schnell die Landesverteidigung verbessert und das Abschreckungspotential erhöht werden.

Leitung

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TdT-Chef Brigadegeneral Wiesław Kukuła.

Zum Kommandeur der TdT wurde am 23. September 2016 Oberst Wiesław Kukuła (Jahrgang 1972) berufen und am 23. November 2016 zum Brigadegeneral befördert.

Kukuła ist Diplomingenieur für Fernmeldewesen (Studium an der Warschauer Militärtechnischen Akademie WAT) und diente sich ab 1996 vom Zugführer zum Kommandeur des Fallschirmjägerregiments 4101 im Jahr 2012 hoch. Während dieser Zeit leistete er ebenfalls Dienst beim polnischen Truppenkontingent im Irak (2003 – 2004), des Weiteren absolvierte er Nato- und US-Kurse für Kommandeure von Spezialeinheiten.

Mobilität                                                                                                                               Ein Teil der TdT-Kompanien in den Landkreisen ist für den Objektschutz vorgesehen (wichtige militärische Einrichtungen, Brücken, Kraftwerke, Staudämme usw.). Der Rest soll im Landkreis bzw. in der Woiwodschaft vor allem helfen Sabotage im Hinterland der regulären Truppen zu bekämpfen und im Falle einer eventuellen Besetzung des Landes Widerstand organisieren und leisten. Eine gute soziale Einbindung und Ortskenntnisse sind dabei von groβer Bedeutung.

Patriotismus, Politik
„Vor fast zehn Jahren wurden unsere Streitkräfte in eine Berufsarmee umgewandelt, verkleinert (auf gut 90.000 Mann – Anm. RdP) und auf eine immer wieder reduzierte Zahl von Standorten und Übungsplätzen verteilt.“ (Zu Zeiten der Tusk-Regierung wurden fünf Jahre lang keine Reservisten mehr zu Übungen eingezogen und der Witz „Wozu dient die polnische Armee? Zum Sparen“ machte die Runde – Anm. RdP). „Die Armee hat sich von der Gesellschaft entfernt. Die TdT bedeuten eine Chance, das wieder zu beheben“ (TdT-Kommandeur Gen. Kukuła im Interview mit der Zeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 17- 18.12.2016).

„In den letzten Jahren geschah vieles, was unser Sicherheitsgefühl erschüttert hat. Leider auch in unmittelbarer Nähe unserer Grenzen. Das prägt die Haltung. Vor allem unter den jungen Männern wächst das Gefühl, man sei verpflichtet die eigene Familie, die Gemeinschaft, das Land zu verteidigen. Oftmals gehört dies zu unserem Lebensstil und unseren Werten und ist damit etwas, was wir normalerweise gar nicht besonders bemerken. Diese Leute sind „das Salz dieser Erde“. Ich bin sehr stolz eine solche Haltung zu beobachten und sehe mich mit ihr im Einklang“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

Wie allen anderen Soldaten in Polen, soll es den TdT-Angehörigen untersagt sein politischen Parteien, Gewerkschaften, Vereinigungen anzugehören. Auch das öffentliche Auftreten von Soldaten unterliegt, qua Gesetz, weitgehenden Einschränkungen.

Regionale Bezogenheit
„Unser Motto lautet »Immer bereit, immer in der Nähe«. Die Einbindung der TdT in das soziale Gefüge der Region ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Verteidigung. Sie sind dazu da, die Menschen vor Ort und die Einrichtungen, die sie nutzen zu verteidigen oder vor Naturkatastrophen zu schützen.“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

Training
Für Reservisten nach dem Armeedienst: ein bis zwei Wochenenden pro Monat und einmal im Jahr eine zweiwöchige Übung auf dem Truppenübungsplatz.
Für Anfänger: ein viermonatiger durchgehender Vorbereitungsdienst, danach Übungen, entsprechend den Reservisten, s. o.
Die Wochenendübungen finden zwischen September und Juni, die zweiwöchigen Übungen im Juli bzw. August statt.

Waffenaufbewahrung
„Man ist anfänglich davon ausgegangen, dass die Waffen zu Hause aufbewahrt werden. Das war nicht realistisch, weil zur Ausrüstung der leichten Infanterie u. a. schwere Maschinengewehre, Präzisionsgewehre, Granatwerfer, panzerbrechende Waffen usw. gehören. Dieses Kriegsgerät muss in Friedenszeiten unter Aufsicht bleiben. Es wird für jede Brigade, teilweise auch jedes Bataillon, zentral gelagert, zu den jeweiligen Übungen und Manövern gebracht und am Ende wieder eingesammelt. Im Ernstfall werden die Waffen unbefristet „an den Mann“ ausgehändigt.“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

Wehrorganisationen
Während in Deutschland die Schützenvereine überwiegend in Bierzelten kämpfen, übt ihre polnische Entsprechung an den Wochenenden im Gelände. Uniformen und Militärgerät müssen sie sich selbst kaufen und bezahlen, über Waffen verfügen sie nicht. Diese werden ihnen nur zeitweise, meistens für einige Stunden, zu Schieβübungen unter Aufsicht des Militärs zur Verfügung gestellt und danach wieder eingesammelt.

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Mitglieder von Wehrorganisationen üben an Waffen nur unter Aufsicht der Armee.

Der Patriotismus, der dort gepflegt wird knüpft an die vielfältigen freiheitlichen Traditionen des polnischen Unabhängigkeitskampfes vom 18. bis zum 20. Jahrhundert an. Oft sind diese Organisationen eng verknüpft mit der Pfadfinderbewegung. Das Augenmerk konzentriert sich dabei auf die Landesvereidigung. Weder lehnen sie die parlamentarische Demokratie ab, noch verstehen sie sich als Speerspitze eines Umsturzes. Von einschlägigen deutschen rechtsextremen Vereinigungen, wie der berüchtigten „Wehrsportgruppe Hoffmann“ sind sie Lichtjahre entfernt. Auch kriminelle Verstrickungen, wie z. B. im Falle der deutschen „Wehrsportgruppe Rohwer“ sind nirgendwo festgestellt worden.

Mitglieder der Wehrvereinigungen können einzeln oder gruppenweise in die TdT eintreten, wenn sie alle vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllen. Nach drei Jahren TdT-Dienst können sie sich bevorzugt um Aufnahme in die Armee als Berufssoldaten bewerben.

Voraussetzungen für Freiwillige
Polnische Staatsangehörigkeit. Alter: 18 bis 50 Jahre. Vor der Aufnahme in die TdT findet eine musterungsärztliche Begutachtung statt. Freiwillige in den TdT stehen in einem Dienstverhältnis. Alle Verstöβe gegen die Militärdisziplin bei Übungen, Manövern und Einsätzen werden nach dem Militärrecht geahndet.

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Bei der Aufnahme in den territorialen Wehrdienst gelten dieselben Musterungskriterien, wie bei der Aufnahme in die Berufsarmee.

Zeitplan                                                                                                                                       Bis Mitte 2017 sollen die ersten drei Brigaden im Osten des Landes entstehen, in den Woiwodschaften Lublin, Podlaskie (mit Białystok) und Karpatenvorland (mit Rzeszów).

Bis Ende 2017 soll es zwei weitere geben: die erste in der Woiwodschaft Masowien (mit Warschau) – hier sind zwei Brigaden geplant, und in Ermland-Masuren (mit Olsztyn/Allenstein).

2018 – Kujawien-Pommern (mit Bydgoszcz/Bromberg), Pommern (mit Gdańsk/Danzig), Heilgkreuz (mit Kielce), Kleinpolen (mit Kraków) und Łódź.

2019 – die letzten sechs Brigaden: Schlesien (mit Katowice), Opole/Oppeln, Groβpolen (mit Poznań), Westpommern (mit Szczecin), Niederschlesien (mit Wrocław/Breslau) und Lebus (mit Zielona Góra/Grünberg).

2021 soll die Bildung der TdT abgeschlossen sein. Truppenstärke: 53.000.

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Zweifel

1. Eine Armee von Amateuren und Freizeitpartisanen?                            „Diese Bezeichnung ist nicht gerechtfertigt. Nehmen wir einmal die Kraftfahrer. Auch sie werde in Profis und Amateure unterteilt. Die meisten Kraftfahrer sind dabei keine Profis, jedoch viele von ihnen legen Jahr für Jahr um die fünfzigtausend Kilometer im Auto zurück, haben viel Erfahrung, fahren sicher und zuverlässig. Oft sind sie den Profis ebenbürtig.

In den USA werden die Soldaten der Nationalgarde, zusammen mit Berufssoldaten, zu Auslandseinsätzen geschickt. Die künftigen polnischen Soldaten der TdT sind sehr motiviert, das wissen wir schon heute, und sie sollen ähnlich geschult werden wie ihre US-Kollegen. Von Amateuren kann keine Rede sein.“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

2. Eine Wach- und Schlieβgesellschaft?
„So wie in der Militärdoktrin des Warschauer Paktes, stellen manche Fachleute die neue Truppe als eine Ansammlung von Wacheinheiten, die an Brücken und Straβen Posten stehen oder als eine Armee zweiter Klasse dar, die das abgenutzte Gerät der Landstreitkräfte benutzen darf. Das werden die TdT nicht sein“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

3. Gegen erfahrene russische Fallschirmjäger-Sabotagetrupps keine Chance?
„Ein Soldat genießt nicht den Komfort sich seinen Gegner aussuchen zu können. Meine Aufgabe ist es also, die Soldaten auf den Kampf mit jedem vorzubereiten, der die Souveränität und Sicherheit des Landes bedroht. Wenn es feindliche Spezialkräfte sein sollten, so haben auch die viele Schwächen. Glauben Sie mir, als ehemaliger Kommandeur eines Fallschirmjägerregiments weiβ ich wovon ich rede.

Angefangen bei der Struktur, über das Training bis hin zur Bewaffnung der Truppen der Territorialverteidigung bereiten wir uns darauf vor, den Kampf mit jedem Gegner aufzunehmen. Unsere Bewaffnung muss gewährleisten, dass wir in jedem  Fall einen Kampf auf gleicher Augenhöhe führen können. Wir sind bereit für das Vaterland zu sterben, aber unser wichtigstes Ziel ist die Bezwingung des Gegners, damit wir Polen weiterhin dienen können.

Ein Aspekt wird oft vergessen: die TdT gehören zu unserem Abschreckungspotential, denn sie sind auch dazu da den allgemeinen Widerstand gegen einen Angreifer oder Besatzer zu organisieren“ (Gen. Kukuła, Interview wie oben).

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