Blinder Bulle, blinde Kuh

Die zweitgrößte Wisentherde Polens ist vom Aussterben bedroht.

Den Bieszczady-Wisenten wird es langsam zu eng. Sie richten Schäden an, vor allem aber werden sie immer kränker. In freier Wildbahn kann man  diese Tiere nicht erfolgreich behandeln. Sie müssen erlegt werden.

Bieszczady. Ein Gebirge im Länderdreieck Polen, Ukraine, Slowakei

Die Wisente wurden im Herbst 1963 im Bieszczady-Gebirge, das sich im südöstlichsten Zipfel Polens erstreckt, angesiedelt. Aus einigen Kühen und Bullen entstand eine Herde der niederländisch-kaukasischen Rasse, die einzige ihrer Art in Polen. Sie vergrößerte sich im Laufe der Jahre und wurde zum Stolz der Förster und Naturforscher. Legendär wurde ein Bulle namens „Pulpit”, zu deutsch „Pult”, er begeisterte die Menschen in ganz Polen. Nachdem er im Herbst 1964 aus einem Gehege ausgebrochen war, zog er monatelang durch das Land und besuchte sogar Städte.

Der Wisent (Bison bonasus) ist Europas größtes wild lebendes pflanzenfressendes Säugetier. Er ist in Polen gesetzlich geschützt. Das Gewicht eines Bullen erreicht bis zu 900 Kilogramm, während die Kühe etwas leichter sind und bis zu 650 Kilogramm auf die Waage bringen. Der tägliche Futterbedarf für ein erwachsenes Tier liegt bei bis zu 30 Kilogramm Biomasse. In Polen leben Wisente an sechs Standorten in freier Wildbahn: im Bieszczady-Gebirge, in den Wäldern von Białowieża, Knyszyn und Augustów, in der Puszcza Borecka/Borkener Forst sowie in den westpommerischen Wäldern um Piła/Schneidemühl.

Tödliche Invasion

Als in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre die ersten Tuberkulosefälle in der Bieszczady-Population auftraten, ahnte noch niemand, dass dies nur der Anfang zahlreicher Probleme sein würde. Damals musste eine Herde aus der Oberförsterei Brzegi Dolne (jetzt Ustrzyki Dolne) bis auf das letzte Tier gekeult werden. Die Wisente sind bis heute nicht in diese Gegend zurückgekehrt. Später befiel diese Infektionskrankheit Herden in den Oberförstereien Lutowiska und Stuposiany, danach war Baligród an der Reihe. Jedes Mal mussten die Förster mit Hilfe der Veterinärdienste die angesteckten Tiere aufspüren und erschießen, da es keine Möglichkeit gibt, Wisente in freier Wildbahn zu behandeln.

Ein von Thelaziose befallenes Wisentauge

Die Tuberkulose bekam man zwar in den Griff, doch bald darauf folgte die Thelaziose. Sie wurde 2012 bei einem verendeten Bullen festgestellt, der vier Jahre zuvor aus Irland nach Polen gebracht worden war. Im Jahr 2019 begann die Krankheit weitere Wisente zu befallen, vor allem in den Oberförstereien Baligród und Komańcza. Und sie erwies sich als ein äußerst gefährlicher Gegner. Zumal die Förster wenig darüber wussten. Die letzten Fälle von Thelaziose wurden in den 1960er-Jahren im Urwald von Białowieża und in den Gehegen in Niepołomice/Niepolomitz unweit von Kraków sowie in Pszczyna/Pless in Oberschlesien verzeichnet.

Briefmarke von 1954

Die durch Fruchtfliegen übertragene Krankheit wird durch Fadenwürmer  der Gattung Thelazia verursacht. „Wisente infizieren sich im Frühsommer, und die Krankheitssymptome treten verstärkt im Juli, August und September auf“, erklärt Stanisław Kaczor, stellvertretender Bezirkstierarzt in Sanok. „Infizierte Tiere weisen eine Hornhauttrübung auf. Erosionen und Ulzerationen, die sogar zu einer Schädigung der Augenlinse führen, sind keine Seltenheit. Auch die Bindehaut schwillt stark an, sodass sich das Augenlid nicht mehr öffnen lässt. Eine eitrige Augenentzündung kann zu einer unumkehrbaren Erblindung führen.”

„Thelaziose ist eine sich sehr rasch ausbreitende Krankheit. Wenn sie bei einem Tier auftritt, greift sie leicht auf andere über“, erklärt Professor Wanda Olech-Piasecka von der Warschauer Universität für Biowissenschaften, eine Expertin für Wisente. Ihrer Meinung nach wird die Übertragung von Tuberkulose und Thelaziose durch die Herdenhaltung dieser Tiere begünstigt.

Briefmarke von 1965

„Eine gewisse Rolle könnte dabei auch eine reduzierte Immunität spielen, die durch eine sehr geringe genetische Vielfalt verursacht wird, obwohl eine solche Auswirkung der Inzucht beim Wisent bisher nicht bestätigt wurde“, sagt Professor Kajetan Perzanowski, ein pensionierter Mitarbeiter des Museums und Instituts für Zoologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau. Er hat die Bieszczady-Wisente viele Jahre lang untersucht. „Die Ausbreitung der Thelaziose kann auch mit den jüngsten milden Wintern zusammenhängen, die eine geringe Sterblichkeit der Wirbellosen begünstigen.”

Eine traurige Notwendigkeit

Die von diesem gefährlichen Parasiten befallenen Wisente sind aggressiv (z. B. gehen sie mit ihren Hörnern auf andere Tiere in der Herde los), haben Schwierigkeiten bei der Nahrungssuche, verlieren ihren natürlichen Instinkt und haben keine Angst mehr vor Menschen. Manchmal verstümmeln sie sich selbst. In einem Fall tötete ein entfesselter Bulle sich selbst, indem er mit dem Kopf gegen einen Baum schlug. „Und dann ist da noch das sogenannte weiße Auge, ein offensichtliches Erkennungsmerkmal der Thelaziose. Die Tiere leiden furchtbar“, sagt Wojciech Głuszko, der Oberförster von Baligród. „Es ist unmöglich, gleichgültig zu bleiben, wenn man einen Wisent sieht, der sich sein eigenes krankes Auge ausgeschlagen hat.”

Briefmarken von 1981

Noch vor wenigen Jahren war der Begriff Thelaziose den meisten Förstern völlig unbekannt. Niemand hatte erwartet, dass sich die Krankheit so schnell ausbreiten und fast die gesamte Bieszczady-Population des Bison bonasus, die hier seit sechzig Jahren gezüchtet wird, befallen würde. An den bisherigen Maßnahmen, wie der Überwachung der Herden und dem Abschuss kranker Tiere, hat sich nicht viel geändert, aber, wie Förster Głuszko betont, sie müssen fortgesetzt werden, denn bisher hat noch niemand eine wirksame Methode zur Behandlung frei lebender Wisente gefunden. „Wann immer Informationen über die Tötung eines geschützten Tieres bekannt werden, empören sich die Aktivisten. Sie verstehen nicht, dass niemand so etwas aus Vergnügen tut. Es ist eine Notwendigkeit.”

Ein einzelnes Tier in einer Herde zu töten, ist nicht möglich. Zu groß ist das Risiko, ein gesundes Tier zu erschießen und die anderen zu verschrecken. Ein einzelnes infiziertes Tier aufzuspüren, ist ebenfalls kein leichtes Unterfangen. Diese Wiederkäuer können sich tief im Wald verstecken und sind manchmal nicht einmal mit einem Fernglas zu erkennen. Der Schuss muss aber sicher sein, auf ein deutlich sichtbares Ziel, damit das Tier nicht leidet. „Die Jagd auf Wisente erfordert Zeit und Geduld, außerdem tragen die für die Sanierungsjagd ausgewählten Jäger eine große Verantwortung, weil es sich um eine streng geschützte Art handelt“, betont Wojciech Głuszko.

Schnelle Reaktion

Laut Professor Kajetan Perzanowski, dem Verfasser des Programms zum Schutz des europäischen Bisons in den Karpaten, sollte die Zahl dieser Tiere im polnischen Bieszczady-Gebirge 400 bis 450 Exemplare nicht überschreiten. Das ist die optimale Dichte für den Wisent und andere Nutzer des Gebiets. „Bei höheren Zahlen führt die Dichte zu mehr Schäden“, fügt Professor Wanda Olech-Piasecka hinzu. „Wisente sind eine Tierart mit geringer Wanderneigung. Bullen wandern manchmal über große Entfernungen, aber die Kühe bleiben im angestammten Gebiet. Daher nimmt die Bedrohung durch Krankheiten und Parasiten zu.“

Briefmarken von 1996

Derzeit gibt es im Bieszczady-Gebirge zwei Teilpopulationen (die östliche und die westliche), die Ende 2022 insgesamt etwa 750 Wisente zählten. Bei einer solchen Anzahl verursachen die Tiere immer mehr Schäden in den Wäldern und geraten auch in Konflikt mit den Landwirten, da sie manchmal dieselben Wiesen nutzen, auf denen das Hausvieh weidet. Und dann ist es nur noch ein Schritt zur Verbreitung der einen oder anderen Krankheit. Die ersten Bieszczady-Wisente steckten sich vor Jahren bei Hausrindern mit Tuberkulose an.

Nur in der Gegend von Baligród gibt es vom Frühjahr bis zum Spätherbst etwa 300 Wisente (sie ziehen zum Überwintern in die Oberförsterei Lesko). Die Anzahl der Wisente in den Oberförstereien Komańcza, Lutowiska, Cisna und Stuposiany liegt etwas niedriger. Lediglich im Revier von Stupisiany wurden bisher keine an Thelaziose erkrankten Wisente beobachtet.

Eine kleine Herde im oberen San-Tal ist die einzige, die bisher die von Fachleuten und Förstern genannten Bedingungen für einen angemessenen Schutz der Wisente erfüllt. Die Idee ist, dass einzelne Herden getrennt voneinander leben sollten. Dann ist es möglich, die Tiere wirksam zu überwachen und schnell auf Bedrohungen zu reagieren. Außerdem werden kleine Gruppen von der lokalen Bevölkerung viel eher akzeptiert. „Sie akzeptiert die Auswirkungen, die dieses große Säugetier auf landwirtschaftliche Kulturen und den Wald hat“, betont Jan Mazur, stellvertretender Leiter der Regionaldirektion der Staatswälder in Krosno.

Briefmarke von 2011

Ein erheblicher Anteil älterer Tiere schwächt zusätzlich den Zustand der Population, sie ist anfälliger für Krankheitserreger. In großen Wisentherden ist die Überwachung des Gesundheitszustands definitiv schwierig. Andererseits ist jeder Eingriff, der im Austausch von Tieren zwischen den einzelnen Herden besteht (die sogenannte Zuführung frischen Blutes), sinnlos geworden, weil sich die Inzucht in einer genetisch armen Population ohnehin ständig verstärkt.

Bisse, Zusammenstöße, Ertrinken

In den Jahren 2021 und 2022 wurden im Bieszczady-Gebirge 80 Wisente aufgrund von Thelaziose erlegt. Zwei Jahre zuvor waren es nur vier. Wisente verenden ebenfalls aus anderen Gründen, wenn auch in weitaus geringerer Zahl. Dazu gehören Stürze mit gebrochenen Gliedmaßen und anderen schweren Verletzungen, Bisse von Wölfen und Bären. Einzelne Tiere ertranken im Solina-Stausee, verendeten aufgrund eines Herz-Kreislauf-Versagens oder durch Zusammenstöße mit Kraftfahrzeugen. Insgesamt verendeten aus diesen Gründen in den Jahren 2021-2022 vierundzwanzig Tiere. Bei weiteren zehn konnte die Ursache nicht ermittelt werden.

Ständige Überwachung

Heute besteht die wichtigste Aufgabe darin, die Thelaziose zu bekämpfen. Am 25. Januar erteilte der Generaldirektor für Umweltschutz eine Genehmigung zum Abschuss von bis zu einhundert Wisenten im Bieszczady-Gebirge in den Jahren 2023 bis 2025. In dieser Zeit sollen einige gesunde Exemplare, insbesondere Jungtiere, gefangen und in das Niedere Beskidengebirge in der Nähe von Przemyśl umgesiedelt werden. Die Schaffung neuer isolierter Teilpopulationen ist notwendig. Ob sie wirksam sein wird, wird sich erst in einigen Jahren herausstellen. Außerdem müssen die Lebensräume, die die künftige Nahrungsgrundlage für den König des Waldes bilden, entsprechend gestaltet werden.

Briefmarke von 2022

Eine solche Maßnahme würde zum einen die möglichen Auswirkungen der Überpräsenz der Wisente abmildern, zum anderen ist die Ausweitung des Populationsgebietes der beste Weg, ihren Fortbestand im Falle epidemischer Krankheiten zu sichern. Außerdem ist eine routinemäßige Überwachung erforderlich, die auch scheinbar gesunde Tiere einschließt. Alle bisherigen Erkenntnisse wurden durch die Untersuchungen von tot aufgefundenen oder wegen Erkrankung erlegter Wisente gewonnen.

Die Umsiedlung von gesunden Tieren und die Bildung kleiner Herden von bis zu 30-40 Exemplaren könnte die letzte Chance sein, den Bieszczady-Wisent zu retten.

© RdP




Polen kleinhalten. Das Ringen an Oder und Neisse

Wie Deutschland sämtliche polnische Modernisierungsvorhaben torpediert.

Dass es einen starken Interessenkonflikt zwischen Polen und Deutschland gibt, lässt sich am deutlichsten an Oder und Neiße erkennen. Entlang dieser Flüsse verläuft die Linie einer der schärfsten Auseinandersetzungen innerhalb der Europäischen Union. Vom Ausgang dieses Ringens hängt die zukünftige Stellung Polens in Europa ab.

Am 25. März 2022 wurde in Gdańsk/Danzig der Verein „Ostsee-SOS“ registriert. Sein Ziel ist, „die natürlichen Küstengebiete gegen die Bedrohung durch nukleare Infrastruktur zu verteidigen“.

In Anbetracht der Tatsache, dass in Choczewo, einem pommerschen Dorf auf halbem Weg zwischen Karwia/Karwen und Łeba/Leba, das erste Kernkraftwerk Polens mit amerikanischer Technologie gebaut werden soll, liegt der Schluss nahe, dass das Ziel von „Ostsee-SOS” darin bestehen wird, den Bau des Kraftwerks zu verhindern.

Deutsche Medien, deutsche Behörden, deutsche Aktivisten, deutsches Geld

Während in Polen, abgesehen von der unmittelbaren Nachbarschaft des geplanten AKW, niemand von dem etwa zwanzig Mitglieder zählenden Verein Kenntnis genommen hat, erlangte er in Deutschland bereits landesweite Berühmtheit. Das ARD-Fernsehen, die Berliner Zeitung, der Deutschlandfunk, die TAZ und etliche andere deutsche Medien berichten in gewohnter Manier von „Angst”, „Protest”, „Befürchtungen” und dem „Kampf” der Umweltaktivisten, die sich beim genaueren Hinsehen fast ausnahmslos als die knapp zwei Dutzend Eigentümer von Ferienhäusern und Wohnungen entpuppten. Sie machen sich verständlicherweise Sorgen um ihre Investitionen, während die Kommunalpolitiker und die meisten Einwohner darauf hoffen, dass der AKW-Bau ihnen z.B. die lang ersehnte Kanalisation beschert.

„Ostsee-SOS“-Protest. Ein kleiner Verband, in Deutschland berühmt, in Polen kaum bekannt

Die deutsche Medienattacke geht einher mit einer unverblümten offiziellen Drohung, die der „Tagesspiegel” so betitelte: „Vier Bundesländer schreiten ein: Polen will Atomkraftwerk an der Ostsee bauen. Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen wollen das Vorhaben stoppen”. Dass man es ernst meint und dass es sich hier um eine konzertierte Aktion handelt, davon zeugen die Beteuerungen deutscher Aktivisten, ihr Know-how beizusteuern und selbstverständlich an den Blockaden der künftigen Baustelle teilzunehmen. Hinzu kommen erste Andeutungen, dass deutsche Umweltorganisationen Vereine wie den „Ostsee-SOS” mitfinanzieren wollen.

Polnische AKW-Pläne. Deutsche Darstellung

Doch nicht nur in Choczewo fährt Deutschland die geballte Kraft seiner Möglichkeiten gegen polnische Modernisierungsvorhaben auf. Die heute noch bescheidene „Ostsee-SOS”, die deutscherseits aufgepäppelt werden soll, ist eng mit der Initiative „Rettet die Oder“ verbunden. Letztere arbeitet mit der finanzmächtigen deutschen Umweltorganisation BUND zusammen. Ihre Mitglieder blockieren gemeinsam mit polnischen Umweltaktivisten seit einiger Zeit die Wiederherstellung der Binnenschifffahrt auf der Oder.

Deutsche Aktivisten gegen polnische AKW. Frankfurt Oder im Juli 2021

Alle Wege führen nach Deutschland

Worum geht es? Die Oder ist ein sehr attraktiver Schifffahrtsweg, der genutzt werden kann, um Fracht aus Schlesien und Tschechien zu den Häfen von Szczecin/Stettin und Świnoujście/Swinemünde zu befördern. Ein mittelgroßer Lastkahn kann 500 Tonnen Ladung an Bord nehmen, die sonst auf etwa 25 Schwerlastwagen transportiert werden. Und da Binnenschiffe in der Regel nicht allein, sondern im Verband fahren, muss diese Zahl noch multipliziert werden. Die Vorteile der Binnenschifffahrt liegen also auf der Hand: Die Verringerung des Lkw-Aufkommens auf den Straßen wirkt sich auf die Sicherheit, die Umwelt und auch auf die Kosten aus, denn für den Transport von vielen Hunderten Tonnen Ladung sind nur wenige Binnenschiffsbesatzungen anstelle von Dutzenden von Fahrern erforderlich. Der Nachteil ist die Geschwindigkeit, aber bei Schwertransporten, z.B. von Rohstoffen, Zuschlagstoffen und Baumaterialien, ist das nicht so wichtig.

Vor einem halben Jahrhundert wurden auf der Oder jährlich mehrere Millionen Tonnen an Gütern transportiert. Mit dem Ende des kommunistischen Polens begann die Nutzung der Oder jedoch zu sinken. Einer der Gründe dafür war die Vernachlässigung der Wasserstraßen, die ebenso wie die Straßen an Land einer ständigen Pflege bedürfen. In diesem Fall: die Vertiefung der Fahrrinne, Wartung der Anlagen, Schleusen usw. Es stellt sich natürlich die Frage, inwieweit diese Vernachlässigung eine Begleiterscheinung des schlechten Zustands war oder inwieweit sie beabsichtigt war.

In den 1990er-Jahren und im darauffolgenden Jahrzehnt wurde Polen allmählich zu einem Reservoir billiger Arbeitskräfte für die größten EU-Länder, allen voran Deutschland, was erhebliche infrastrukturelle Veränderungen mit sich brachte. Welchen Sinn hatte die Aufrechterhaltung von Nord-Süd-Verkehrswegen (und die Oder ist einer davon), wenn fast der gesamte polnische Handel und Transit in Ost-West-Richtung verlief? Waren wurden von Polen nach Deutschland und zurück sowie zwischen Deutschland und Russland und den postsowjetischen Staaten transportiert.

Der Zusammenbruch des Nord-Süd-Verkehrs war daher ein deutlicher Hinweis auf den Verlust der wirtschaftlichen Unabhängigkeit Polens und die Unterordnung der polnischen Verkehrsinfrastruktur unter die Bedürfnisse unserer stärkeren EU-Partner. Daher wurden vor allem die durch Polen verlaufenden Ost-West-Strecken neugebaut und modernisiert. Das waren die Autobahnen A2 und A4, deren fehlende Abschnitte unter der Regierung Tusk in aller Eile fertiggestellt wurden. Eine solche Politik verschärfte Polens infrastrukturelle Nachteile, mit all ihren Folgen für seine gesamte Wirtschaft.

Nur über Hamburg

Polens Flüsse hingegen fließen nicht quer durch das Land, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Binnenschifffahrt praktisch ausgestorben ist. Mit dem zunehmenden Stillstand auf der Oder begann das Sterben des Stettiner Hafens und machte die einst  prosperierende Hafen- und Schiffbaustadt zu einem armen Vorposten Berlins. Swinemünde hat dank seiner Lage am offenen Meer, einem kleinen Marinehafen und einem Terminal, von dem aus regelmäßig Fähren nach Schweden verkehren, überlebt.

Die Bedeutung von Świnoujście nahm zu, nachdem auf Wolin 2016 ein Flüssiggashafen fertiggebaut worden war. Nur wenige erinnern sich heute an die heftigen deutschen Proteste gegen diese strategische Investition. Zu den Einwänden gehörten sogar die angeblichen Schäden, die der Gashafen mecklenburgischen Vögeln und Fledermäusen zufügen würde. Vordergründig ging es um Fledermäuse, in Wirklichkeit um die Nord-Stream-Pipeline-2, die zur gleichen Zeit gebaut wurde. Der Gashafen Świnoujście stand in direkter Konkurrenz zu den russischen Gaslieferungen.

Die Deutschen warfen Polen außerdem vor, dass schwere Gastanker die unterseeische Pipeline beschädigen könnten, lehnten aber eine Ausbaggerung der Wasserstraße kategorisch ab. Auf diese Weise versuchte Berlin die polnischen Investitionen so weit wie möglich zu verzögern, was wahrscheinlich auch das langsame Tempo der Arbeiten am Gashafen unter der Regierung Tusk erklärt.

Der Wechsel in der polnischen Politik nach der Machtübernahme der Nationalkonservativen im Jahr 2015 bestand darin, eine starke polnische Eigenständigkeit aufzubauen, was zwangsläufig bedeutete, dass man sich von der früheren Abhängigkeit von deutschen Interessen lösen musste. Die ständigen Einwände Berlins konnten die Entwicklung des Landes nicht mehr aufhalten. Das galt auch für die Oder und die Häfen von Stettin und Swinemünde.

Im Jahr 2008 veröffentlichte das Europäische Parlament einen Bericht mit dem Titel „Die sich wandelnde Rolle der EU-Seehäfen in der globalen maritimen Logistik – Kapazitäten, Herausforderungen und Strategien”. In diesem Bericht wurden die fünf wichtigsten Häfen der Union aufgeführt: Rotterdam, Antwerpen, Hamburg, Marseille und Amsterdam.

Nicht ohne Grund unterhält der Hafen Hamburg seit knapp dreißig Jahren eine Repräsentanz in Warschau

Der deutsche Hafen Hamburg wurde als der wichtigste in Mittel- und Osteuropa aufgeführt. Hamburg sollte der Umschlagplatz für den gesamten Seeverkehr in die Ostseegebiete werden. Waren aus Fernost und den USA sollten zunächst auf Riesen-Containerschiffen nach Hamburg gebracht werden und von dort aus mit kleineren Schiffen in die Ostseehäfen transportiert werden. Der Großteil der Ladungen gelangte jedoch auf Lkws in den Osten.

Die polnischen Ostseehäfen Swinemünde, Stettin und Danzig sollten als sogenannte Zubringerhäfen nur noch Empfänger kleinerer Ladungen aus Hamburg sein. Hamburg sollte zu einer maritimen Drehscheibe aufsteigen und Deutschland, als Vermittler für den Weitertransport von Waren in die Ostsee, Geld verdienen.

So gesehen überrascht es nicht, dass die polnische Entscheidung zum Ausbau des Hafens Szczecin-Świnoujście, die mit der Einrichtung eines Containerterminals in Świnoujście und der Vertiefung der Wasserstraße verbunden ist, in Deutschland eine große Welle des Widerstands auslöste.

Im benachbarten Mecklenburg-Vorpommern gab es sofort einen Aufschrei, weil die Hafenerweiterung und der zunehmende Schwerlastverkehr die Region ökologisch verwüsten und die Erholung in den Ostseebädern auf Usedom stören würden. Deutschland weigerte sich daher, die bestehende Wasserstraße, die teilweise auf seinem Territorium liegt und in den Hafen von Swinemünde führt, zu vertiefen. Die Aufnahme größerer Schiffe wurde somit unmöglich gemacht und der Sinn einer Erweiterung des Hafens von Swinemünde infrage gestellt.

Polen beschloss daraufhin eine neue Wasserstraße von Nordosten her abzustecken, die es den Schiffen ermöglichte, das umstrittene Gebiet zu umgehen, auf das die Deutschen schon seit DDR-Zeiten Anspruch erheben. Die Wasserstraße zwischen Swinemünde und Stettin wurde ebenfalls vertieft, sodass größere Schiffe in Stettin einlaufen können. Der Containerterminal in Świnoujście soll bis 2027 fertiggestellt werden, dann wird Polen nicht mehr auf die Umladungen in Hamburg angewiesen sein.

Die Blockade der Oder

Das deutsche Problem mit Stettin und Swinemünde ist jedoch vielschichtiger. Es geht nicht nur darum, dass die neuen Investitionen es ermöglichen, schwere Tiefseeladungen direkt nach Polen zu bringen und damit dem Hamburger Hafen Arbeit und Gewinne wegzunehmen.

Zwei Wasserwege: der Rhein und die Oder

Es ist die Oder, die genutzt werden könnte, um Güter zwischen Swinemünde und Schlesien sowie Süd- und Osteuropa zu transportieren. Wenn dieser Plan in Erfüllung geht, werden die deutschen Häfen und Logistikzentren nicht nur einen Großteil der polnischen Kunden verlieren, auf die sie bisher angewiesen waren, sondern auch einen großen Teil der Auftraggeber aus Ost-Mitteleuropa.

Das ist, so die Überzeugung in Warschau, der wahre Grund für die Hysterie, die im vergangenen Jahr an der Oder ausgebrochen ist. Gemeint ist die in Deutschland erfundene Behauptung, Polen habe eine Quecksilbervergiftung des Flusses verursacht. Diese Darstellung wurde sofort blindlings von den polnischen Lokalbehörden, die der oppositionellen Bürgerplattform nahestehen, aufgegriffen. Als sich später herausstellte, dass das Fischsterben durch die Algenentwicklung verursacht worden war, hat sich niemand entschuldigt.

Bauarbeiten an der Oder im Frühjahr 2023

Sterbende Fische und die ökologische Argumentation sollten die bereits laufende Vertiefung der Oder, die die Schifffahrt auf dem Fluss wieder ermöglichen soll, dauerhaft stoppen. Derzeit hat die Oder die niedrige Schiffbarkeitsklasse II; die Warschauer Behörden wollen sie auf die Klasse III, die Lastkähne mit bis zu 700 Tonnen zulässt, anheben. Deswegen werden auf polnischer Seite die Sporne, seit Jahrzehnten vernachlässigte Uferbefestigungen, modernisiert, um den Fluss schiffbar zu machen, seinen Strom zu kanalisieren und bei dieser Gelegenheit die Hochwassergefahr zu verringern.

Das ist nur der Anfang eines ehrgeizigen Plans zur Wiederherstellung der Binnenschifffahrt in Polen. Im Jahr 2016 ratifizierte Polen das AGN-Übereinkommen, eine europäische Vereinbarung über Hauptbinnenwasserstraßen von internationaler Bedeutung. Im Rahmen dieses Übereinkommens wurden technische Anforderungen für die drei wichtigsten Flussstraßen Polens festgelegt:

die E30 (die Oder von der Mündung in Richtung Schlesien mit einer möglichen Verlängerung über Kanäle bis zur Donau),

die E40 (von Danzig über die Weichsel, dann durch Weißrussland und die Ukraine bis zum Schwarzen Meer) und

die E70 (die die Oder über die Warta/Warthe und die Noteć/Netze mit der Weichsel verbindet).

Diese Wasserstraßen sollen der fünften Schifffahrtsklasse angehören, was mit erheblichen Kosten verbunden sein wird (z. B. Vertiefung und Verbreiterung der Fahrrinne und Vergrößerung der Durchfahrtshöhe unter den Brücken), aber gleichzeitig einen ununterbrochenen Schiffsverkehr ermöglichen wird. Und obwohl diese Pläne nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus politischen Gründen vorerst nicht umgesetzt werden können (so ist es heute schwer vorstellbar, eine Route durch Weißrussland und die Ukraine zu bauen), müssen ihre Entwürfe in Berlin Anlass zu ernster Sorge geben, weil sie wichtige regionale Handelsrouten auf polnische Häfen umzuleiten drohen.

Wahrscheinlich ganz zufällig, sind die Pläne zur Modernisierung der Flüsse seit mehreren Jahren Gegenstand der Kritik und der Proteste von Umweltaktivisten, insbesondere von solchen, die eng mit deutschen Organisationen zusammenarbeiten. Auch der umweltbewusste WWF kritisierte in seinem Bericht 2020 das Vorhaben zum Ausbau der immerhin sehr umweltfreundlichen Flussschifffahrt und schlug vor, besser auf die Schiene zu setzen. Und vielleicht wäre da auch etwas dran, aber wieso kämpft niemand in vergleichbarem Umfang gegen die ausgebauten Binnenwasserstraßen in Westeuropa, damit aus Rhein, Mosel und Spree endlich wieder naturbelassene Gewässer werden?

Der neue Zentrale Flughafen bei Łódź. Visualisierung

Der Kampf darum, wer im östlichen Teil Europas am Handel verdienen wird, dreht sich nicht nur um Seehäfen und Binnenwasserstraßen. Kaum jemand nimmt zur Kenntnis, dass es bei der aktuellen Auseinandersetzung auch um den in der Nähe von Łódź/Lodz zu bauenden neuen polnischen Zentralen Flughafen geht. Nicht nur der Personenverkehr und die Konkurrenz zum neuen Flughafen Berlin Brandenburg stehen zur Debatte. Von viel größerer Bedeutung ist das gleichzeitig entstehende Schienennetz, das sich an dem geplanten Flughafen zu einem riesigen Eisenbahnknotenpunkt bündeln soll.

Geplanter Eisenbahnknotenpunkt am künftigen Zentralen Flughafen (CPK) bei Łódż, der bis 2027 fertiggestellt werden soll

Zurzeit werden mehr als 60 Prozent der polnischen Luftfracht aus Asien und Amerika über deutsche Flughäfen wie Leipzig oder Frankfurt abgewickelt. Nach der Eröffnung des neuen polnischen Zentralen Flughafens droht diesen Flughäfen, dass sie Kunden aus Polen und einem großen Teil Ost-Mitteleuropas verlieren. Seine Schaffung und der Ausbau der polnischen Ostseehäfen bedrohen die deutsche Dominanz in Ost-Mitteleuropa. Und das ist der eigentliche Grund für den Aufschrei.

Ein rebellisches Rädchen

Die Zeit seit Herbst 2015 war für Polen eine Periode des schnellen Wachstums, trotz der Pandemie und der durch den Krieg in der Ukraine verursachten Krise. Das steht in krassem Gegensatz zu der Zeit von Donald Tusk (2007 bis 2015), als die gerade beschriebenen Großvorhaben rundweg als „unrealistisch” abgelehnt wurden. Damals ging es der polnischen Regierung jedoch hauptsächlich darum, die Interessen anderer zu befriedigen.

Es ist klar, dass eine solche Politik in Deutschland keine Begeisterung hervorruft. Denn Polen, das nur ein Rädchen in der deutschen Wirtschaftsmaschinerie und ein untergeordneter Vollstrecker von Anweisungen aus Berlin sein sollte, strebt plötzlich nach der Position eines gleichberechtigten Partners, entwickelt sich zum Rivalen. Kein Wunder, dass Deutschland um seine Interessen bangt, diese Entwicklung Polens auf unterschiedliche Weise blockiert, um sie zu verhindern.

Dabei ist es bemerkenswert, dass Berlin eine direkte Einmischung vermeiden möchte. Stattdessen nutzt es eine Vielzahl von Instrumenten – von den EU-Institutionen über die Medien bis hin zu Umweltschützern. All dies soll den Eindruck erwecken, dass die derzeitige polnische Politik nicht nur ein deutsches, sondern ein breiteres europäisches Problem ist.

Ein solches Szenario wurde an der Oder angewandt, als die brandenburgische Regierung und Umweltorganisationen die polnische Entscheidung zur Regulierung des Flusses vor einem Verwaltungsgericht anfochten. Das Woiwodschafts-Verwaltungsgericht in Warschau ordnete im Dezember 2022 einen Stopp der Regulierungsarbeiten an, und vier Monate später wurde diese Entscheidung vom Obersten Verwaltungsgericht in Warschau bestätigt.

Deutsche Umweltschützer nutzten hier den Vorwand des letztjährigen Fischsterbens im Fluss und behaupteten, dass die Oder nach dieser Katastrophe renaturiert werden müsse und dass jede weitere Arbeit angeblich ein weiteres Aussterben von Leben im Fluss bedeuten würde. Die Umweltschützer sind jedoch so entgegenkommend, dass sie die Schifffahrt auf der Oder nicht grundsätzlich ablehnen, flache Schiffe werden akzeptiert. Das heißt, Schiffe, die nichts transportieren können. Dadurch würden die derzeitigen Investitionen des Staates in die Oderschifffahrt ihren Sinn verlieren. Daher wird trotz des Urteils des Obersten Verwaltungsgerichts weiter an der Regulierung gearbeitet.

Wie man Polen die Energie entzieht

Die Grenzkonflikte sind nicht auf die Oder beschränkt. Wenn man auf der Karte entlang der Grenze ganz nach Süden scrollt, kommt man nach Turów, wo es einen Braunkohletagebau gibt, um den Polen bereits mit der früheren tschechischen Regierung gestritten hat.

Als dieser Streit beigelegt war, schalteten sich die Deutschen ein und waren, wie die Deutsche Welle unverblümt berichtete, von der polnischen Vereinbarung mit den Tschechen „überrascht“. Der Tagebau in Turów deckt fast 10 Prozent des polnischen Energiebedarfs, sodass seine Schließung ein schwerer Schlag für die polnische Wirtschaft gewesen wäre. Da es jedoch nicht möglich war, den polnischen Tagebau durch tschechische Hände zu schließen, wurde diese Aufgabe von den Behörden der deutschen Stadt Zittau übernommen.

Das Kraftwerk und der Braunkohletagebau in Turów. Von hier kommen knapp 10 Prozent der polnischen Elektrizität

Der Bürgermeister der sächsischen Stadt behauptet, dass der Tagebau in Turów das Bodenniveau um einen Meter senken könnte. Außerdem könnte der polnische Tagebau eine Grundwasserverschmutzung und eine zu große Lärmbelästigung verursachen. Deshalb wird Zittau beim EuGH eine Klage gegen das polnische Bergwerk einreichen. Die Braunkohlegruben auf der deutschen Seite der Grenze stören die Zittauer Behörden natürlich nicht so sehr wie die polnische.

Deutsche Online-Petition gegen polnische AKW

Die Energiewirtschaft, das Rückgrat der Wirtschaft, zu treffen, ist noch gefährlicher als der Kampf um die Vorherrschaft im Handel. Ein Teil des Energiekonflikts ist natürlich das Fit-For-55-Klimapaket, das Polen teilweise umgehen möchte, indem es auf Atomstrom setzt. Und hier kommen wir zurück auf das geplante Kraftwerk in Choczewo und den Verein „Ostsee-SOS”, der sich auf eine Auseinandersetzung mit der polnischen Regierung vorbereitet.

Till Backhaus (SPD), der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern, hat die Regierung in Berlin bereits zum Einschreiten aufgefordert. „Wir sind gegen den Bau eines Atomkraftwerkes, weil diese Technologie nicht beherrschbar ist“, sagte Backhaus und zeigte sich besorgt um die Umwelt. „Die Flora und Fauna der Ostsee wird darunter leiden“, sagte er. So sieht das auch die Umweltorganisation „Ostsee-SOS”. Aber man sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen: Es handelt sich sicherlich um eine zufällige Ähnlichkeit der Ansichten.

Nimmt man alles zusammen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass derzeit ein Konflikt zwischen Polen und Deutschland im Gange ist, in dem es um Entwicklungsperspektiven Polens geht, die Deutschland eindeutig nicht schmecken.

RdP

Der Artikel erschien im Wochenmagazin „Sieci” („Netzwerk”) am 15.05.2023.




Waidmannslust trifft Waidmannsfrust

Was andere kaputt gemacht haben sollen Polens Jäger wieder geradebiegen.

Niederwild verschwindet, Großwild nimmt zu. Wildschäden plagen die Bauern. Vegetarier,  Veganer, Politiker und Gewissensbisse plagen die Jäger.

Ein Gespräch mit Roman Miler, Vorstand von Gobarto S.A., einer der führenden polnischen Firmen auf dem Gebiet der Schweine- und Wildfleischverarbeitung, und gleichzeitig einem passionierten Jäger aus der Gegend von Leszno/Lissa in Westpolen. Das Interview erschien in der Branchenzeitschrift „Wieści Rolnicze“ („Landwirtschaftliche Neuigkeiten“) vom November 2019.

Roman Miler.

Die Erwartungen, die man heute in Polen den Jägern entgegenbringt wären vor dreißig Jahren noch undenkbar gewesen.

Hirsch. Briefmarke 1970.

Milde Winter und eine enorme Erweiterung der Anbauflächen von Mais und Raps haben einen früher unvorstellbaren Anstieg des Wildschwein- und Hirschbestandes verursacht. Vor allem Mais steigert erheblich die Vermehrungsfreudigkeit dieser Tiere.

In den Sechziger- und Siebzigerjahren waren in der Gegend von Leszno, wo sich meine Jagdpächter-Vereinigung befindet, Wildschweine und Hirsche eine Seltenheit. Wurde ein Wildschwein erlegt, kamen Leute aus der Umgebung, um es zu sehen. Hatte man die Fährte eines Hirsches entdeckt, waren alle Jagdinteressierten in heller Aufregung, wollten das Tier sehen oder wenigstens sein Orgeln hören.

Wildschwein. Briefmarke 1970.

Heute verwandeln sich Maisfelder regelmäßig in Brunftplätze. Auf der dringenden Abschussliste in meinem Jagdrevier stehen im Augenblick fünfzehn Hirsche. Noch vor vierzig Jahren waren eine solche Situation unvorstellbar.

Wie hat sich in der letzten Zeit die Artenvielfalt in der freien Wildbahn in Polen verändert?

Hase. Briefmarke 1986.

Noch vor dreißig Jahren überwogen Hasen, Rebhühner und Wachteln, also Niederwild. Auf jedem noch so kleinen Kartoffel- oder Rübenacker hockten Schwärme von Rebhühnern. Heute gibt es sie fast nicht mehr. Manchmal heißt es, die Jäger hätten sie ausgerottet, ebenso wie die Hasen. In Wirklichkeit ist das Niederwild vor allem deswegen von unseren Feldern verschwunden, weil die Monokultur in der Landwirtschaft um sich greift. Einzelne Äcker wurden zu riesigen Feldern zusammengelegt. Feldraine und Sträucher, die ihre natürlichen Brutstätten sind, wurden beseitigt. Zudem dezimieren Krankheiten und Wildschweine, die ja Allesfresser sind, den Bestand des Niederwilds.

Rebhuhn. Briefmarke 1986.

Hat nicht auch die vermehrte Anwendung von Chemie in der Landwirtschaft das Ihre dazu beigetragen?

Auf jeden Fall. Je mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt wurden, umso schneller griff die Unfruchtbarkeit unter den Rebhühnern und Wachteln um sich. Sie begannen auszusterben. Heute züchten wir in vielen Jagdpächter-Vereinigungen Rebhühner und Fasane und setzen sie aus, um sie für die kommenden Generationen zu erhalten.

Fasan. Briefmarke 1970.

Dafür gibt es jetzt viel mehr Füchse.

Der einzige natürliche Feind der Füchse war die Tollwut, aber, um Menschen davor zu schützen, werden seit Jahren flächendeckend Impfköder aus der Luft ausgelegt. Daraufhin ist der Fuchsbestand geradezu explodiert.

All diese ungünstigen Entwicklungen sollen die Jäger wieder geradebiegen?

Fuchs. Briefmarke 1970.

Ja, man erwartet von uns, dass wir die ausufernden Bestände dezimieren und den vom Verschwinden bedrohten Arten wieder ihren ursprünglichen Platz in der Natur verschaffen.

Die Abschusspläne jedenfalls, werden von Jahr zu Jahr umfangreicher. Was Bauern anbauen schmeckt dem Wild, vor allem den Wildschweinen, oft viel besser als das, was sie im Wald finden. Es ist auch viel einfacher zugänglich.

Wildschwein. Briefmarke 1973.

Während der Aussaat ernähren sich die Wildschweine von Saatkartoffeln, aber auch von Weizen- und Maissaaten. Ebenso enorm sind die Schäden, die sie an reifen Feldfrüchten anrichten, insbesondere an Kartoffeln, Weizen, Hafer und Mais. Hinzu kommen die Wiesenschäden. Die Tiere streben, insbesondere im Frühjahr, auf die Wiesen und Weiden, wühlen die Flächen um, auf der Suche nach Engerlingen und Mäusen, um so ihren Eiweiβbedarf zu decken.

Reh. Briefmarke 1973.

Wir beobachten nach Möglichkeit die Felder, stellen Hochsitze auf, errichten Zäune. An manchen Waldrändern muss man inzwischen Draht- und Elektrozäune montieren. Wir bekommen Hilfe von der Forstverwaltung und von den Landwirten, die uns oft kostenlos Transportmittel zur Verfügung stellen.

Es sind die Jagdpächter-Vereinigungen, die für Wildschäden auf den Feldern aufkommen müssen.

Elch. Briefmarke 1954.

Wir haften für Verluste, die durch Wildschweine, Hirsche, Damhirsche und Rehe entstehen. Dieses Wild wird bejagt. Enorme Zerstörungen richten aber auch, vor allem in Westpommern (Gegend um Szczecin/Stettin – Anm. RdP), Elche an, die große Anbauflächen zertrampeln. Genauso heftig wüten, auf ihre Art, die Biber. Da aber sowohl Elche wie auch Biber nicht bejagt werden dürfen, kommt für diese Schäden der Staat auf.

Woher nehmen Sie das Geld für all das?

Elch. Briefmarke 1970.

Aus den Mitgliedsbeiträgen. Aus dem Verkauf von Wildfleisch und Jagdtrophäen, und aus den Erlösen, die uns Jagden ausländischer Jäger einbringen.

Wie entschädigen Sie die Bauern? Nur mit Geld?

Meistens ja, aber ab und zu kommt es vor, dass wir uns mit den Bauern darauf einigen, dass wir ihnen im Frühjahr das Saatgut stellen, wenn Mais vernichtet wurde. Oder, nachdem Wildschweine eine Wiese umwühlt haben, liefern wir manchmal Heu. Es kommt immer darauf an, wie man sich einigt.

Biber. Briefmarke 1954.

Das Verhältnis zwischen den Jägern und den Bauern ist nicht immer von Harmonie geprägt.

Wir haben seit April 2019 ein neues System für die Schätzung von Wildschäden, das viele, früher häufig aufgetretene Missverständnisse und Konflikte ausgeräumt hat. Konflikte gibt es natürlich auch weiterhin. Das Wild vernichtet menschliche Arbeit, wirft somit Kalkulationen und Hoffnungen auf Einnahmen über den Haufen. Da liegen oft die Nerven blank. Die Feststellung und Schätzung der Schäden muss schnell erfolgen, denn Regen und Wind können die Spuren rasch verwischen. Die aber sind ausschlaggebend dafür, wer zahlt, die Vereinigung der Jagdpächter oder der Staat.

Fasan. Briefmarke 1986.

Wir sind auf eine gute Zusammenarbeit mit den Bauern angewiesen. Ohne ihr Wohlwollen, können wir auf Dauer nicht viel ausrichten. Ihre Hilfe ist wichtig, zum Beispiel bitten wir sie immer öfter darum, Schneisen durch die Rapsfelder zu mähen, was uns den Abschuss von Wildschweinen sehr erleichtert. Ein wichtiges Gebot der Jägerethik ist, die erlegten Tiere nicht leiden zu lassen. Bei ungünstigen Bedingungen ist das sehr schwierig, wenn nicht unmöglich.

Rebhühner. Briefmarke 1970.

Der Wildschweinbestand muss drastisch eingeschränkt werden, um die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest einzudämmen. Die Jagdpächter-Vereinigungen sind dazu verpflichtet. Seit jeher geltende Jagdprinzipien wurden deswegen außer Kraft gesetzt.

Ja, man zwingt uns geradezu von Staatswegen, den Bestand um jeden Preis zu verkleinern. Früher gab es eine Schonzeit, um trächtige Bachen und Bachen mit Frischlingen zu schützen.

Wildschwein. Briefmarke 1981.

Nicht alle Jäger akzeptieren diese Veränderung. Sie sagen, der Anblick von Föten, die aus dem Bauch einer trächtigen Sau herausgenommen oder von Ferkeln, die orientierungslos herumlaufen, wenn sich die Sau nicht mehr bewegt, ist nicht zu ertragen.

Das ist wahrlich eine sehr brutale Erfahrung. Niemand will darüber reden, aber, so schlimm es ist, es muss sein. Den Jagdkammeraden, die mit diesem Problem zu mir kommen, rate ich auf die Bauernhöfe zu fahren, wo gerade wegen der Schweinepest trächtige Sauen und Ferkel zu Dutzenden, oft zu Hunderten, abgeschlachtet und in Kadavercontainern abtransportiert werden, und die Bauernfamilien schauen fassungslos zu. Es gab Suizide deswegen.

Gelingt es in Ostpolen, wo die Schweinepest die größten Sorgen bereitet, den Wildschweinbestand auf null zu reduzieren?

Hirsch. Briefmarke 1973.

Das ist nicht das Ziel. Die Statistiken sind verständlicherweise nicht gänzlich präzise, aber sie geben auf jeden Fall die Tendenz wieder. Es heißt, in Polen gab es im Jahr 2000 um die 118.000 Wildschweine. Im Jahr 2014 lag der Bestand bei knapp 290.000 Tieren. Im Jahr 2018 waren es etwa 220.000. Die Behörden wollen, dass künftig im Durchschnitt auf einen Quadratkilometer 0,1 Wildschweine kommen. Polen hat eine Fläche von 312.000 Quadratkilometern. Das wären dann so um die 35.000 Wildschweine. Mal sehen.

Mittlerweile darf man mit Hilfe von Nachtsicht- und Wärmebildgeräten jagen.

Reh. Briefmarke 1981.

Jede Verbesserung kommt uns, und letztendlich auch dem Wild, zugute. Es gibt weniger angeschossene Tiere und der Jäger sieht auch im Dunkeln genau was ihm da vor die Flinte läuft.

Einerseits wird den Jägern gegeben, andererseits genommen. Seit April 2018 dürfen in Polen Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre nicht mehr an Jagden teilnehmen.

Wir sind dabei, Unterschriften für eine Bürger-Gesetzesinitiative zu sammeln, damit diese Bestimmung rückgängig gemacht wird.

(Anm. RdP: Wenn für eine Bürger-Gesetzesinitiative mindestens 100.000 Unterschriften zusammenkommen, dann muss das Parlament die Initiative auf seine Tagesordnung setzen. Das Parlament kann sie aber schon in der ersten Lesung ablehnen. Die meisten der von Bürgern ins Leben gerufenen Gesetzesanträge enden so.

Manchmal schaffen sie es aber auch in die zweite Lesung, das heißt in die Beratungen der zuständigen Ausschüsse, bzw. es wird ein Unterausschuss zu der Bürger-Gesetzesinitiative gegründet. Bis auf eine Ausnahme (Verbot des Sonntagshandels) sind Gesetzesinitiativen von Bürgern in diesen Gremien bis zum Ende der jeweiligen Legislaturperiode „auf Eis“ gelegt worden, weil sie der gerade regierenden Mehrheit nicht in ihr politisches Konzept passten. – Anm. RdP)

Fuchs. Briefmarke 1981.

Eltern haben das Recht ihre Kinder gemäß ihren Überzeugungen zu erziehen. Das betrifft den Glauben, die Weltanschauung und die daraus sich ergebenden Verhaltensweisen.

Das Verbot unsere Kinder auf die Jagd mitzunehmen bedeutet, dass man uns unsere Kinder entzieht, vorenthält. Was jahrhundertelang eine Selbstverständlichkeit war, zum normalen Erwachsenwerden gehörte, wird plötzlich verboten, nur weil radikale Vegetarier und Veganer, radikale Aktivisten, die sich die Vermenschlichung der Tiere auf ihre Fahnen geheftet haben, es so wollen.

Elch. Briefmarke 1981.

Sollen unsere Kinder wirklich glauben, dass die Milch aus dem Supermarkt kommt und Kühe lila sind? Die Hähnchenkeulen, in Folie verpackt, sind okay. Dass man die Hühner vorher schlachten, ausnehmen und zu verwertbarem Fleisch machen muss, gehört aber verboten. Diese Art von Heuchelei prägt leider zunehmend die Gesellschaft.

RdP




Krähen erobern Polen

Es krächzt allerorten.

Über den Dächern polnischer Städte kreisen immer öfter nur noch die Krähen. Sie haben andere Vögel verdrängt. Bald jedoch werden auch sie verschwinden, denn schon sind die Raben im Anmarsch.

Das Wochenmagazin “Do Rzeczy“ (“Zur Sache“) vom 8. Juli 2018 hat dazu einen interessanten Bericht veröffentlicht, den wir hier in deutscher Übersetzung wiedergeben.

Das Gezwitscher der Spatzen, das Singen der Amseln, das Pfeifen, Schnalzen und Zischen der Stare ist dem Krächzen gewichen. Die Krähen sind aggressiv und clever, und nehmen inzwischen sogar Gegenden in Beschlag, die vorher von anderen Rabenvögeln beherrscht wurden, den Elstern.

Alfred Hitchcock lässt grüßen

Viele Warschauer fragen sich, weshalb sie inzwischen Vogelarten nicht mehr zu Gesicht bekommen, die sich vor zwanzig, ja sogar noch vor zehn Jahren in ihrer Umgebung zuhauf tummelten. Mehr noch, es kommt inzwischen immer wieder vor, dass Ärzte von Patienten berichten, die mit Pickwunden zu ihnen kommen. Auch Hunde und Katzen sind betroffen. Alfred Hitchcock, der Regisseur der Horrorstreifens “Die Vögel“, lässt grüßen.

“Die Vögel“ (1963) von Alfred Hitchcock, mit Tippi Hedren.

An der Warschauer Grundschule Nr. 175 musste im Frühjahr 2016 der Bürgersteig für einige Wochen gesperrt werden. „Die Brutezeit der Krähen dauert von März bis Oktober“, berichtet der Biologe Piotr Mostowski von der „Öko-Patrouille“, einer mehrköpfigen Einheit der Warschauer Kommunalpolizei, die bei Zwischenfällen mit Tieren einschreitet, die in der Millionenstadt ständig vorkommen.

Hinweis vor der Warschauer Grundschule Nr. 175. „Achtung. Aus Sicherheitsgründen ist die Benutzung des Bürgersteiges untersagt. Passanten werden von Krähen angegriffen. Die Schule trägt keine Verantwortung für eventuelle Schäden an Personen, die den Bürgersteig trotz des Verbotes betreten sollten.“

„Krähenattacken kommen in der letzten Zeit oft vor. Nebelkrähen sind auβergewöhnlich fürsorgliche Eltern. Wenn sie ihr Nest bedroht sehen, greifen sie Menschen und Tiere mit voller Wucht an“, so Mostowski.

Piotr Mostowski von der Warschauer „Öko-Patrouille“.

Dr. Andzrej Kruszewicz, Ornithologe und Direktor des Warschauer Zoos sagt, dass die Kräheninvasion schon älteren Datums sei. “Wir beobachten sie seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Krähen sind robust, erfinderisch, passen sich schnell an und fressen andere Vögel. Vor allem jedoch ist die Stadt anders geworden. Krähenfreundlich eben.“

Die wachsende Zahl der Krähen beunruhigt die Menschen. “Was sagt ihr zu unserem Marktplatz in Dobrzyń (fonetisch Dobschin – Anm. RdP)? Die schwarzen Monster haben ihn ganz und gar in Beschlag genommen. Die Bänke in der Grünanlage, die Spazierwege, der Parkplatz sind weiß von Krähenkot. Und dazu dieses unsägliche Krächzen am Morgen und am Abend, wie auf einem spukenden Gräberfeld“, so der Eintrag eines Bewohners auf dem Internet-Blog der Stadt Golub-Dobrzyń unweit von Toruń (Thorn).

Ornithologe Dr. Grzegorz Lesiński.

Fachleute jedoch sind einhellig der Meinung, dass die Krähen vor allem Warschau erobert haben. Noch vor nicht allzu langer Zeit gab es in der Hauptstadt die landesweit größte Elsterndichte, doch sie mussten den stärkeren Verwandten weichen. Ein gutes Beispiel ist die Warschauer Plattenbausiedlung aus den Sechzigerjahren, Wrzeciono (fonetisch Fschetsiono), wo der Ornithologe von der Warschauer Landwirtschafshochschule (SGGW) Dr. Grzegorz Lesiński seit 1984 seine Beobachtungen durchführt.

Hecken, Haine, Dickicht gibt es kaum mehr

In den Achtziger- und Neunzigerjahren waren hier die Elstern auf dem Vormarsch, zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen die Krähen und haben die Elstern vertrieben. Elstern gibt es heute nur noch wenige, die Krähen herrschen uneingeschränkt mit einer Dichte von sechzig Paaren pro einhundert Hektar.

“Tatsächlich gibt es in Warschau sehr viele Nebelkrähen, viel mehr als in anderen Städten“, sagt Krzysztof Janus, der sich in der Warschauer Landwirtschaftshochschule auf die Rabenvögel spezialisiert hat. Warum? “Wenn ich das wüsste, bräuchte ich mir um meine Doktorarbeit keine Sorgen zu machen! Aber im Ernst: es gibt wahrscheinlich viele Gründe. Nicht ohne Bedeutung ist die Art, wie die Grünflächen jetzt bewirtschaftet werden. Vorzugsweise werden Ziergehölze und Zierbüsche fremder Herkunft angepflanzt. Oft sind das Nadelgewächse. Hecken, Haine, Dickicht gibt es kaum mehr.“

Warschauer Zoodirektor Andrzej Kruszewicz.

Das bestätigt auch Dr. Kruszewicz. “In den Parks wird Gebüsch gelichtet, damit sich die Spaziergänger sicher fühlen. Doch wenn sich dort kein Sittenstrolch verstecken kann, dann können es die Mönchsgrasmücke und die Amsel auch nicht. Das Dickicht für die Vögel fehlt. Wir verwandeln unsere Umgebung, mit dem Ergebnis, dass sich die einen Vögel zurückziehen und sich solche wie die Krähen breitmachen. Seit einiger Zeit kommen vermehrt die Eichelhäher und es gibt immer mehr Raben, die letztendlich die Herrschaft übernehmen werden.“

Moderne Siedlungen, wo es nur noch gepflegte Rasen und einige wenige Zierbäume gibt, sind keine Orte, an denen Vögel sich verstecken und offene Nester bauen könnten. Für Elstern und Krähen eignen sie sich dagegen hervorragend.

Ein weiterer Grund ist, dass im Take-away-Zeitalter die Rabenvögel nie unter Nahrungsmangel leiden. Hinzu kommen die vielen Katzen und Steinmarder in Warschau. Vogeleier und Nestlinge sind für sie leichte Beute.

Höhlenbrüter leben länger, aber auch nicht lange

Die Kräheninvasion hat andere Vogelarten, die einst gerne ihre Nester in Städten angelegt haben, verdrängt. “Wir unterteilen die Vögel in Höhlenbrüter, die in Baumhöhlen, Häuserspalten und Vogelhäuschen nisten. Die anderen sind diejenigen, die offene Nester bauen: auf dem Boden, auf Bäumen, auf Gebäuden“, berichtet Krzysztof Janus.

Rabenvögel -Fachmann Krzysztof Janus.

“In Warschau, wo wir eine dermaßen überproportionale Herrschaft der Rabenvögel haben, können sich nur die Höhlenbrüter einigermaßen behaupten. Elstern und Krähen kommen an deren Eier und Nestlinge schwer heran. Wir sprechen hier von Spatzen, Feldsperlingen, Staren, Mauerseglern und Meisen. Ihnen gelingt es die Eier so lange zu bebrüten bis die Jungen schlüpfen und flügge werden. Doch dann geraten auch sie in Gefahr. Junge Spatzen, Feldsperlinge, Stare und Meisen zählen wir nur wenige. Die meisten fallen wahrscheinlich den Rabenvögeln zum Opfer“, so Janus.

In Łódź (Lodsch) oder in Skierniewice, einer knapp Fünfzigtausend-Einwohner-Stadt auf halbem Wege zwischen Łódź und Warschau, ist die Vogelwelt weitgehend noch eine heile Welt. Dort gibt es bis heute viele Vögel, die offene Nester bauen: Stieglitze, Grünfinken, Buchfinken, Drosseln, Amseln, Wacholderdrosseln, Turteltauben, Ringeltauben. “In Warschau findet man sie kaum mehr. Nur vereinzelt sieht oder hört man sie in Parks oder auf Friedhöfen“, sagt Janus. “Łódź und Skierniewice, wo ich als Ornithologe auch gezielt unterwegs war, hinken dem städtebaulichen Fortschritt noch deutlich hinterher. Für die Vogelvielfalt ist das lebensrettend.“

In Warschau gab es einst ziemlich viele Haubenlerchen, die ihre Nester am Boden bauen. Bis in die Achtzigerjahre ging es ihnen in der Hauptstadt ganz gut. Ab den Neunzigern, mit dem vermehrten Einzug der Elstern, ging ihre Zahl zurück. Das letzte Paar wurde in Warschau im Jahre 2005 gesichtet.

Wer war der Räuber?

Krähen vertilgen die Nestlinge anderer Vögel. Um das zu belegen, bauen die Ornithologen künstliche Nester, in die sie Wachteleier legen und ein Ei aus Plastilin. An ihm kann man ablesen, wer der Räuber war: ein Steinmarder, eine Katze oder ein Rabenvogel. Nicht selten greifen Elstern und Krähen die Nester anderer Vögel an, ausschließlich um sie zu verwüsten. Die Nestlinge werden tot gepickt und nach draußen geworfen, die Nester unbrauchbar gemacht.

Krähen-Attacke in Wrocław.

“Ich habe Krähen einige Male dabei beobachtet“, erzählt Janus. “Krähen können aber auch ohne weiteres eine Taube erlegen und sie vertilgen. Das sind Aasfresser. Wenn sie einen vom Auto überfahrenen Igel finden, vertilgen sie auch ihn. Sie brauchen viel Eiweiß beim Großziehen ihres Nachwuchses. Das finden sie dort.“

Dr. Andrzej Kruszewicz, der Warschauer Zoodirektor, kommt dienstlich viel herum und weiß, dass auch andere europäische Großstädte ein Krähenproblem haben. “In Wien gibt es kaum Nebelkrähen, wie in Warschau, dafür Schwarzkrähen in Massen. So ist es auch in Moskau, in Berlin.“

Abwarten bis es besser wird

Die Warschauer wollen nicht nur unter Krähen leben, doch die Fachleute geben sich keinen Illusionen hin. Eine Wende zum Besseren ist nicht absehbar. Das Umsiedeln von bedrohten Vogelarten in die Hauptstadt, das Zerstören der Krähennester oder gar das Abschießen haben keinen Sinn.

So lange die Lebensumstände für die Rabenvögel so günstig sind, werden sie immer wieder zurückkehren und anderen Vögeln den Lebensraum streitig machen. In Warschau gibt es inzwischen sehr viele Krähen, die keine Nester mehr bauen. Es gibt kein Platz mehr dafür, so groß ist die Krähendichte.

“Theoretisch kann man alles machen“, sagt Dr. Kruszewicz. “Ich habe vorgeschlagen Kräheneier gegen gekochte Hühnereier zu vertauschen, aber das ist nicht umsetzbar. Man müsste zur richtigen Zeit mit etlichen Hebebühnen vorfahren, um an die Nester heranzukommen. An viele kommt man sowieso nicht heran. Wer soll das koordinieren und vor allem bezahlen? Außerdem brauchte es Jahre bis sich die Lage bessert.“

Die Ornithologen sagen: abwarten.

Was soll man also tun? Die Ornithologen sagen: abwarten. Zum Beispiel härtere Winter, die erfahrungsgemäß die Krähen aus den Städten vertreiben. “Außerdem hat jede Gattung ihre eigene Dynamik“, sagt Krzysztof Janus.

“Es gibt Zeiten, in denen sie sehr zahlreich ist und dann verringert sich ihre Zahl von selbst auf Grund von Umständen, die wir oft gar nicht festmachen können. Außerdem müssen wir unbedingt auf eine vogelfreundliche Bepflanzung in den Städten setzten. Generell jedoch sollten wir uns noch auf lange Jahre des Krächzens einrichten.“

RdP




Smog, Energiearmut und was Polen dagegen tut

Kohle soll sein. Macht gute Sozialpolitik die Luft rein?

Die Winterluft ist in der letzten Zeit oft schlecht in Polen. Noch schlechter sind die Schlagzeilen, mit denen deutsche Medien das Land bedenken: „Smog-Hölle Polen!“ (www.nachrichten.de), „Luftverschmutzung durch Kohle. Polens schwarzer Fluch“ (Rheinische Post) usw. Das aber ist nur ein Teil des Problems. Der andere heiβt Energiearmut, aber die erwähnen die Autoren der Skandal-Schlagzeilen so gut wie nie. Doch nur wenn man sich beider Herausforderungen gleichzeitig annimmt, kann es besser werden. Das ist mühsam und vor allem teuer.

Ende Februar 2018 fällte der Europäische Gerichtshof ein Urteil, in dem er Polen Strafen in Millionenhöhe androht. Polen, so heiβt es, unternehme zu wenig gegen die Luftverschmutzung und bräche damit EU-Recht. Die erlaubten Konzentrationen von Feinstaub seien zwischen 2007 bis 2015 in fünfunddreiβig Gebieten tageweise überschritten worden. In neun Gebieten wurden die Jahresgrenzwerte regelmäßig nicht eingehalten.

Smog in Warschau.

Eine Durchschrift des Urteils hätte der EuGH direkt an den amtierenden EU-Ratsvorsitzenden schicken sollen. Schlieβlich war Donald Tusk genau in der Zeit polnischer Ministerpräsident. Luftverschmutzung und Energiearmut waren zu seiner Zeit kein oder kaum ein Thema. Den Karren aus dem Dreck ziehen, und das sehr schnell, müssen seine Nachfolger.

Morawiecki ist nicht dumm

Das trauen die deutschsprachigen Medien den heute Regierenden jedoch eindeutig nicht zu. Ebenfalls in dieser Hinsicht unterstellen sie ihnen, den „Populisten“, die niedrigsten Beweggründe und die bösesten Absichten.

So auch der Kommentator der „Salzburger Nachrichten“ (12. Februar 2018). Er schrieb, der polnische Smog sei immerhin „patriotisch“, und fuhr fort: „»Kohle ist die Basis unseres Energiesektors. Wir können und wollen sie nicht aufgeben«, betonte der im Dezember neu ins Amt beförderte Premier Mateusz Morawiecki und kündigte die Eröffnung von zwei neuen Kohlenminen an. Noch dümmer ist nur noch Amerikas Präsident Donald Trump“, so der kluge österreichische Kommentator.

Derweil widmete Polens Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung vom 12. Dezember 2017, auf die sich der Autor bezog, die er aber allem Anschein nach nie gelesen hat, dem Smogproblem auβergewöhnlich viel Aufmerksamkeit. Morawiecki sagte:

„In vielen Gegenden Polens, vor allem in Kleinpolen (Region um Krakau – Anm. RdP), in Oberschlesien, aber auch in Masowien (Region um Warschau – Anm. RdP) habe ich Landschaften gesehen, die in dichten, beiβenden Nebel gehüllt waren und Kinder, die auf dem Rückweg von der Schule einen Mundschutz trugen. Saubere Luft ist eine zivilisatorische Herausforderung und das Maβ dessen, ob Polen tatsächlich ein entwickeltes Land ist.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki verliest seine Regierungserklärung im Sejm am 12. Dezember 2017.

Luft, Wasser, der Boden gehören nicht nur uns, sondern auch den künftigen Generationen und der Zustand, in dem wir sie ihnen überlassen, stellt uns ein Zeugnis aus“, so Morawiecki, und weiter:
„Infolge des Smogs sterben jedes Jahr achtundvierzigtausend Polen vorzeitig und der Rauch, der durch die Verbrennung von Müll in Privathaushalten entsteht, steigt nicht nur gen Himmel. Er gelangt in unsere Lungen und in die Lungen unserer Kinder.

Das Smogbekämpfungsprogramm ist zugleich ein Vorhaben zur Unterstützung der Ärmsten, die sich keine Wärmedämmung, keine neuen Fenster und Türen, keine sauberen Brennstoffe leisten können. Nur wenn wir die Energiearmut beseitigen, werden wir die Lebensqualität aller Polen verbessern.

Ich möchte mich auch an dieser Stelle bei allen Vorkämpfern für saubere Luft bedanken. Bei den Nichtregierungsorganisationen, den städtischen Organisationen, die seit einigen Jahren sehr gute Arbeit leisten.

Sehr wichtig ist hier auch die Arbeit der Kommunen. Sie stehen an vorderster Front. Eine gute Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den Kommunen ist in diesem Fall von herausragender Bedeutung.“, sagte Morawiecki.

Damit umschrieb der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung in vollem Umfang das Problem und die angedachte Lösung.

Not verheizt alles

Auf Energiearmut ist man in Polen erst um das Jahr 2015 aufmerksam geworden. Es war ganz am Ende der Ära Tusk, in der Polen, laut der offiziellen Selbstdarstellung, als ein aufstrebendes, dynamisches, sich schnell modernisierendes und EU-begeistertes Land zu gelten hatte. Diese Darstellung wurde von den regierungsnahen Medien äußerst intensiv verbreitet, und von den deutschsprachigen Medien gern übernommen.

Die Millionenschar der Verlierer rücksichtsloser Abwicklungen und zwielichtiger Privatisierungen verschwand dabei fast völlig im Dunklen. Ganz im Geiste des damals salonfähig gewordenen „Lumpenliberalismus“, hieβ es, da kann man nichts tun. Diese Menschen seien selbst schuld an ihrem Schicksal, weil zu unbeholfen, zu faul, trunksüchtig, nicht anpassungsfähig, kinderreich, zu provinziell um ins Ausland auf Arbeitssuche zu gehen usw., usf.

Armut in Polen. Selber schuld?

Die Ergebnisse der ersten beiden Untersuchungen zur Energiearmut in Polen, veröffentlicht Ende 2015, gerade nach dem Regierungswechsel in Warschau, ergaben ein besorgniserregendes Bild. In den Jahren 2000 bis 2014 stiegen die Erdgaspreise in Polen im Durchschnitt um 6 Prozent und die Strompreise um 4 Prozent pro Jahr. Die Kohlepreise, lange Jahre stabil, zogen zwischen 2015 und 2017 um bis zu 30 Prozent an.

Im Jahr 2013 mussten knapp 15 Prozent der Polen, knapp  6 Millionen Menschen, oft drastisch ihren Energieverbrauch einschränken oder ganz und gar auf ihn verzichten. Ihre monatlichen Energieausgaben überstiegen oft bei Weitem 13 Prozent ihres Einkommens und damit die international geltende Grenze zur Energiearmut.

Energiearmut in Polen. Kein Warmwasser, kein Licht, keine Waschmaschine,

Im Jahr 2017 waren hiervon 12 Prozent der Bevölkerung betroffen, somit knapp neunhunderttausend weniger. Fachleute führen das auf die gute Wirtschaftslage und eine neue Sozialleistung zurück: das Kindergeld von monatlich 500 Zloty (ca. 125 Euro) für jedes zweite und weitere in der Familie lebende Kind bis 18 Jahre.

Energiearmut bedeutet: kaum oder nicht beheizte, feuchte Wohnräume, in denen vor allem Kinder und alte Menschen krank werden. Kein Geld um ausstehende Strom- und Gasrechnungen, Reparaturen an Heizung oder Stromleitungen in der Wohnung zu bezahlen. Im Extremfall, dauerhaft gesperrte Energiezulieferung. Kein Warmwasser, kein Licht, keine Möglichkeit den Kühlschrank, die Waschmaschine, den Herd, Rundfunk, Fernsehen, das Internet zu nutzen.

Letzteres war 2013 das Schicksal von etwa sechshunderttausend Menschen in Polen, heute leiden darunter immer noch knapp eine halbe Million Bürger. Der Rest der von Energiearmut Betroffenen muss seinen Energieverbrauch drastisch einschränken. Sie leben bei schlechter Beleuchtung, an kalten Tagen oft nur in einem beheizten Raum, sind gezwungen dickere Straβenkleidung auch zu Hause zu tragen.

Betroffen von diesen Missständen waren im Jahr 2017: 48 Prozent der Einpersonenhaushalte in Polen, 51 Prozent der Rentnerhaushalte, 47 Prozent der Haushalte auf dem Land, 43 Prozent der Haushalte mit Einfamilienhäusern, 51 Prozent der Haushalte in Gebäuden, die bis 1960 errichtet wurden, 23 Prozent aller Haushalte mit vier und mehr Kindern.

All diese Angaben bleiben leider unerwähnt, wenn sich Berichterstatter, wie z. B. die Korrespondentin des österreichischen „Standard“ (am 1. Dezember 2015), darüber mokieren, dass in Polen „viele alles in den Ofen stecken, was irgendwie brennt: Haushaltsabfälle, Lumpen, alte Möbel, leere Plastikflaschen“. Dass hier einem Umweltproblem ein groβes soziales Problem zugrunde liegt, die Armut, erfahren die Leser solcher Berichte nicht.

Umwelt schonen, sozialen Frieden wahren

Es ist ein schnelles und zugleich sehr bedachtes Handeln erforderlich, und manches wird noch lange so bleiben wie es ist. Beispiel Warschau.

Die Stadt wird seit einigen Jahren im Winter immer wieder von einer Smogglocke umhüllt, was deutsche Korrespondenten stets zum Anlass nehmen gegen ihren Feind Nummer Eins zu wettern – die polnische Steinkohle.

Derweil gibt es in der Stadt kaum Hausbrand, gut 95 Prozent der Haushalte sind an die Fernwärme angeschlossen. Es gibt nur wenige Kohleöfen, viele Haushalte  ohne Fernwärme heizen mit Gas oder Strom, was im Winter monatlich pro Haushalt mit bis zu 2.000 Zloty (ca. 500 Euro) zu Buche schlägt. Ein für polnische Verhältnisse enormer Betrag, weswegen die etwa fünfzigtausend betroffenen Warschauer nicht müde werden lauthals den Anschluss an die Fernwärme zu fordern.

Autoverkehr in Warschau.

Smogverursacher in Warschau sind Auspuffabgase. Sie hängen über der Stadt, weil die Verwaltung der seit 2006 regierenden Stadtpräsidentin, und bis vor kurzem noch stellvertretenden Vorsitzenden der Tusk-Partei Bürgerplattform, Hanna Gronkiewicz-Waltz, massenweise Baugenehmigungen vergeben hat für Gebiete, die zuvor als Durchlüftungsschneisen dienten. Früher brachten Winde durch diese Schneisen frische Luft in die Stadt, jetzt prallen sie an der Hochhausbebauung ab.

Alte Autos überwiegen. Neuere sind den meisten Polen zu teuer.

Anfang 2018 waren in Polen knapp 22 Millionen Personenkraftwagen zugelassen. Ihr Durchschnittsalter betrug 15 Jahre (in Deutschland 9 Jahre). In ärmeren Gegenden lag der Prozentsatz noch höher: Woiwodschaft Westpommern mit Stettin knapp 18 Jahre, Woiwodschaften Ermland-Masuren und Lublin gut 16 Jahre.

Bei der in Polen geltenden Einkommenssituation (siehe „Wieviel verdienen die Polen“) können sich die meisten kein Auto leisten, das mehr als umgerechnet 2.500 bis 3.000 Euro kostet und das oft auch nur auf Kredit. Dabei ist ein eigener Wagen längst kein Luxusgut mehr in Polen, sondern ein unabdingbares, überlebenswichtiges Hilfsmittel.

Die Wege zur Arbeit sind länger geworden. Nur mit dem Auto kommt man, sowohl in den Groβstädten, wie in der Provinz, in die billigen Supermärkte, auf die Millionen von Kleinverdienern angewiesen sind. Ein sofortiges Einfuhr- oder Fahrverbot für alte Pkw, und darunter sind viele Dieselautos, würde diesen Menschen den Boden ihrer Existenz unter den Füβen (Rädern) wegziehen und den Weg frei machen für soziale Unruhen, denen keine Regierung gewachsen wäre.

Pauschale Verbote kommen also nicht in Frage. Der einzige Weg in diesem Fall, so die Regierung, führt über technische Kontrollen. Vor allem soll jenen das Handwerk gelegt werden, die, um zu sparen, in ihren Dieselfahrzeugen kaputte Partikelfilter ausbauen ohne sie durch neue zu ersetzen. Das soll in Polen endlich geahndet werden, wie in Deutschland oder Österreich, wo für das Fahren ohne Partikelfilter Geldbuβen von 1.000 bzw. 3.500 Euro drohen.

Womit heizen die Polen?

Auβerhalb Warschaus jedoch verpestet zweifelsohne der Hausbrand die Luft am meisten. Von den 14,2 Millionen polnischen Haushalten wurden 2018 immer noch etwa 5,5 Millionen Haushalte mit Kohleöfen beheizt. Lediglich ungefähr einhunderttausend von ihnen entsprachen den verschärften Emissionsgrenzwerten, die beispielsweise seit 2010 in Deutschland gelten. Der Austausch der verbliebenen Kohleöfen dürfte um die 80 Milliarden Zloty (ca. 20 Milliarden Euro) kosten. Dies entspricht einem Fünftel der jährlichen polnischen Staatsausgaben.

Es wird also eine Weile dauern. Deswegen dürfen, bei begründetem Verdacht, Polizeibeamte und Beamte des städtischen Ordnungsamtes Ofenanlagen in den Haushalten kontrollieren. Auf die Verbrennung von Müll steht eine Geldstrafe von 500 Zloty (ca. 125 Euro). Kommt es zu einer Anzeige, kann sich die Strafe verzehnfachen.

Ofenkontrolle.

Allein in Kraków gab es im November 2017 gut dreitausend solcher Kontrollen. Es wurden 25 Buβgelder wegen Müllverbrennung verhängt.

In Katowice ist eine „Riechdrohne“ regelmäβig über den Dächern unterwegs. Konstruiert von Wissenschaftlern der dortigen Technischen Universität

„Riechdrohne“ im Einsatz. Katowice im Winter 2017/2018.

„inhaliert“ sie den Rauch aus dem Schornstein und übermittelt die Daten an einen im Polizeiauto installierten Computer. Die Beamten verhängen umgehend Buβgelder.

Auβerdem gilt ab dem 1. September 2017 ein Verkaufs- und Verbrennungsverbot für Kohleschlamm und Ballastkohle, schwefelhaltige Abfall- bzw. Nebenprodukte der Steinkohleförderung. Weil sich weite Transportwege nicht lohnten, wurden sie nur in der Bergbauregion Oberschlesien für billiges Geld (100 bis 300 Zloty pro Tonne, ca. 25 bis 75 Euro) verkauft und verpesteten die dortige Luft ungemein.

Mit Kohleschlamm wird nicht mehr geheizt.

Zum Vergleich (Preise vom Februar 2018): 1 Tonne Kohlengrus kostete 560 bis 650 Zloty pro Tonne (ca. 140 bis 160 Euro), Erbsenkohle bis zu 1.100 Zloty pro Tonne (ca. 270 Euro), Koks 1.300 Zloty pro Tonne (ca. 320 Euro), Steinkohlebriketts 700 Zloty pro Tonne (ca. 170 Euro). Mit Kohle heizen 70 Prozent aller Haushalte, die nicht an die Fernwärme angeschlossen sind.

Plakat: „Ich achte meine Nachbarn. Ich verbrenne keine Abfälle“.

Plakat: „Müllverbrennen tötet“.

Holzpellets bis zu 1.000 Zloty pro Tonne (ca. 250 Euro). Mit ihnen heizen 4 Prozent der Haushalte ohne Fernwärme.

Ein Kubikmeter Erdgas kostete den Haushalt 2 Zloty (ca. 0,50 Euro). Mit Gas heizen 13 Prozent der Haushalte ohne Fernwärme.

Plakat: „Müllverbrennen im häuslichen Ofen vergiftet und ruiniert“.

 

 

 

Heizöl spielt in Polen bei der Beheizung von Privathaushalten eine geringe Rolle, weil es die teuerste Variante von allen ist, beginnend mit dem Kauf und Einbau der Anlage. Ein Liter Heizöl kostete im Februar 2018 um die 3,30 Zloty pro Liter (ca. 0,80 Euro) und war um etwa 0,20 Euro teuer als in Deutschland.

Plakat: „Der Ofen ist kein Mülleimer“.

Nur knapp 2 Prozent der Haushalte ohne Fernwärme heizen elektrisch. Auch hier sind die Kosten hoch. Um sie zu senken und die Abnehmer zu einem Umstieg auf Elektrowärme zu ermuntern, haben, auf Geheiβ der Regierung, polnische Stromanbieter im Winter 2017 auf 2018 den Antismog-Tarif eingeführt. Zwischen 22 und 6 Uhr ist der Strom für diese Kunden um bis zu 90 Prozent billiger.

Plakat: „Verbrenne keinen Müll, wenn du Kinder liebst“.

Die Stromanbieter hoffen, dadurch die Nachtauslastung der Kraftwerke, die heruntergefahren werden müssen, zu erhöhen und so Kosten zu sparen.

Die Umrüstung hat begonnen

Im Oktober 2017 ist eine wichtige Verordnung in Kraft getreten. Ab dem 1. Juli 2018 dürfen nur noch modernste Öfen, die maximal bis zu 60 Milligramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft ausstoβen, verkauft und montiert werden. Zum Vergleich: die im Volksmund „kopciuch“ („Stinker“) genannten einfachen Heizöfen produzieren bis zu 1.000 Milligramm Feinstaub pro Kubikmeter und bis zu fünfzig Mal mehr CO2. Bis 2026 müssen alle „Stinker“ beseitigt sein.

Ein typischer „kopciuch“, „Stinker“.

Seit Januar 2016 dürfen Woiwodschaftsparlamente in den einzelnen Provinzen Einschränkungen bei der Verbrennung von Heizmaterial verhängen. In Kleinpolen (Krakau), Oberschlesien und in der Woiwodschaft Opole (Oppeln) wurden solche Beschränkungen inzwischen eingeführt. Sie sehen vor allem die Beseitigung aller „Stinker“ bis 2022 vor.

Die Städte Kraków, Gdańsk und Warschau bezuschussen inzwischen die Umstellung mit 50 bis 90 Prozent der Kosten, die sich auf bis zu 15.000 Zloty (ca. 3.700 Euro) belaufen: den Kaufpreis eines neuen Ofens, den Abbau des alten und den Umbau des Schornsteins.

Muss alle „Stinker“ ersetzen. Ein moderner, emissionsarmer Kohleofen der sogenannten fünften Generation.

Gleichzeitig läuft das staatliche Umstellungsprogramm auf moderne Öfen „Kawka“ („Dohle“). In zwei Jahren (2016 und 2017) verschwanden in sechzig Städten für knapp 700 Millionen Zloty nicht ganz 35.000 „Stinker“.

Wer soll das bezahlen?

Am 22. Februar 2018, kurz nachdem der Europäische Gerichtshof sein Urteil in Sachen Smogbekämpfung in Polen gesprochen hatte, stellte sich Ministerpräsident Morawiecki in Warschau vor die Medien:

„Ich habe nicht vor“, sagte Morawiecki, „das Smogproblem so anzugehen, dass es im Herbst aufkommt, im Winter hochkocht und dann bis zum nächsten Spätherbst in Vergessenheit gerät“.

Danach stellte er das Nationale Smogbekämpfungsprogramm vor, welches vierzehn Maβnahmen umfasst. Vom erwähnten Ofenaustausch bis 2026, über neue Kohle-Qualitätsnormen, erhebliche Wärmedämmungszuschüsse bis hin zu einem umfangreichen Vorhabenkatalog in Sachen Elektroautos- und Busse (Elektromobilität).

Das Antismog-Projekt soll überwiegend aus der Plastiktütenabgabe finanziert werden.

Allein für 2018 und 2019 sind hierfür 1,5 Milliarden Zloty (ca. 370 Mlo. Euro) vorgesehen. Finanzieren will Morawiecki das Antismog-Projekt überwiegend aus der Plastiktütenabgabe. Ab dem 1. Januar 2018 zahlen Kunden in Polen für Tüten, die sie im Supermarkt an der Kasse oder im Geschäft an der Theke bekommen, mindestens 0,2, maximal 1 Zloty, wovon der Staat 0,2 Zloty (ca. 0,04 Euro) an sogenannter Recyclingabgabe kassiert.

Polen macht also ernst mit der Smogbekämpfung. Die Zeit drängt.

Die Sache mit der Steinkohle

Modernste Verbrennungstechnologien erlauben heute eine beinahe emissionsfreie Verstromung der Steinkohle. Diesen Weg will und wird Polen gehen. Steinkohle ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil der polnischen Energie- aber auch Wirtschafts- und Sozialpolitik. Worum es im groβen und ganzen geht, das legte Ministerpräsident Morawiecki in seiner Regierungserklärung dar:

„Die Kohle ist heute die Grundlage unserer Energiewirtschaft. Wir können und wir wollen auf Kohle nicht verzichten. Das sind wichtige, beruhigende Feststellungen für Oberschlesien und das Dombrowaer Kohlenbecken, aber auch für ganz Polen.

„Die Kohle ist heute die Grundlage unserer Energiewirtschaft“.

Wir planen sehr langfristig einen Umbau in diesen beiden benachbarten Regionen. Modernste, umweltschonende Kohletechnologien gepaart mit einer Ansiedlung anderer moderner Hochtechnologien. Ich bin sehr froh darüber, dass die wichtigsten Gewerkschaftsgremien der beiden Regionen unser Programm akzeptiert haben.

Wir müssen uns aber gleichzeitig um erneuerbare Energiequellen in Polen kümmern. Doch das ideologische Denken in dieser Angelegenheit lehnen wir rundweg ab. Die Rechnung muss stimmen. Mehr Nutzen, nicht mehr Kosten für die Menschen.

Mehr Nutzen bedeutet auch mehr Energiesicherheit für unser Land. Recht und Gerechtigkeit lag und liegt die Energiesicherheit Polens sehr am Herzen. Das ist die Bedingung für unsere Unabhängigkeit.

Wir sind ihr ein groβes Stück näher gekommen, dank dem Flüssiggas-Terminal in Świnoujście (Swinemünde – Anm. RdP). Er wäre nicht entstanden, ohne den hartnäckigen politischen Einsatz von Staatspräsident Lech Kaczyńskis. Unsere Abhängigkeit von Gaseinfuhren aus Russland verringert sich, und wir können davon ausgehen, dass es sie nach 2022 überhaupt nicht mehr geben wird.

Wir bauen unsere Gasinfrastruktur aus, um Polen in ein Drehkreuz der Gasversorgung in unserer Region zu verwandeln. Deswegen bauen wir an der Gasverbindung aus Norwegen, über Dänemark, zu uns, an der sogenannten Baltic Pipe.

Unsere Aufgabe ist es, diese Vorhaben erfolgreich zu Ende zu bringen, und so die Energieunabhängigkeit Polens zu gewährleisten bei niedrigen CO2-Emissionen. Daher rührt unsere positive Einstellung zur Atomenergie. (Polen hat bis jetzt kein einziges AKW – Anm. RdP).“

Lesenswert: „Blaue Kohle Chance für Polen. Neuer Brennstoff soll Armen und dem Bergbau helfen“.

 

© RdP




Białowieża-Wald. Es blutet das Försterherz

Verzweifelte Klage über die Borkenkäferplage.

Nichtstun, den Białowieża-Wald dem Borkenkäferbefall preisgeben oder zur Tat schreiten und Rettungsmaβnahmen ergreifen? Der polnischen Staatlichen Forstverwaltung wird in den Berichten der Weltpresse über das Geschehen im Białowieża-Wald die Rolle des Bösewichtes zugedacht. In einer öffentlichen Stellungnahme, die mehrere polnische Zeitungen abgedruckt haben, halten die polnischen Förster dagegen und legen ihre Sicht der Dinge dar.

„Sehr geehrte Damen und Herren,

seit fünf Jahren stirbt ein beträchtlicher Teil des Waldkomplexes von Białowieża vor unseren Augen. Es ist keine für die Natur typische Abfolge des Vergehens und Wiederauflebens. Es ist eine Erscheinung von den Ausmaβen und der Heftigkeit einer Naturkatastrophe, wie es sie in diesem Gebiet seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht mehr gegeben hat.

Der Białowieża-Wald liegt im polnisch-weiβrussischen Grenzgebiet und hat eine Fläche von 1.500 Quadratkilometern, wovon 42 Prozent zu Polen gehören.

Der beispiellos groβe und lang anhaltende Befall durch den Buchdrucker oder Großen achtzähnigen Fichtenborkenkäfer (Ips typographus) verändert den Wald in einer Weise, die Wissenschaftler nicht endgültig vorhersagen können. Menschen, die bisher von diesem Wald bezaubert waren, sind entsetzt. Uns, die Mitarbeiter der Forstverwaltung, erfüllt das mit Trauer. Diese Katastrophe hätte vermieden werden können, hätte man uns nicht zur Tatenlosigkeit gezwungen. Noch ist es jedoch nicht zu spät, um diese Heimsuchung wenigstens zu begrenzen.

Der Białowieża-Wald ist aufgeteilt in drei Oberförstereien: Browsk (oben), Hajnówka (Mitte) und Białowieża (unten). Dort gibt es drei Schutzgebiete, der Rest des Bestandes ist Wirtschaftswald, in dem die Ökologen gegen die aktive Bekämpfung der Borkenkäferplage protestieren. Sie plädieren seit langem dafür, den ganzen Białowieża-Wald in einen riesigen Nationalpark zu verwandeln, was  jedoch die Bewohner der Gegend ablehnen. Der jetzige Białowieża-Nationalpark (rechts) ist von der Borkenkäferplage bis jetzt nicht betroffen.

Die polnische Staatliche Forstverwaltung kümmert sich um den Białowieża-Wald seit knapp einhundert Jahren.

Dank ihrer Bemühungen entstanden in einem Teil des Waldkomplexes nicht nur das abgeschirmte „strenge Schutzgebiet“ des Białowieża-Nationalparks (BNP) sondern auch einige frei zugängliche Schutzgebiete.

Deutsche Rodungen in Białowieża. Originalunterschrift: „Ein Eichenriese mit 1,60 m Durchmesser“.

Es war die polnische Staatliche Forstverwaltung, die den Waldkomplex wiederhergestellt hat, nach den riesigen russischen und vor allem deutschen Kahlschlägen im Ersten Weltkrieg.

(Nach dem verlorenen Krieg gegen Japan (1904 – 1905) entschloss sich die russische Verwaltung, der damals der Białowieża-Wald im dreigeteilten Polen unterstand, die wertvollen Forste industriemäβig auszubeuten. Die Anfänge dieser brutalen Nutzung wurden durch den Einmarsch deutscher Truppen im August 1915 unterbrochen.

Deutsche Rodungen in Bialowieza. Russische Kriegsgefangene schaufeln nach heftigen Schneefällen die Gleise einer der Schmalspurbahnen frei.

Was folgte, war ein Raubbau noch größeren Ausmaβes. Die Deutschen bauten ein dreihundert Kilometer langes Schmalspurbahnnetz, über das sie bis 1918 etwa 5 Millionen Kubikmeter Holz abtransportierten. Dieses wurde in der Umgebung in fünf neugebauten Sägewerken verarbeitet, ergänzt durch eine Fabrik zur Herstellung von Holzwolle, ein Fertighauswerk und die damals gröβte Holzverkohlungsanlage Europas. Die Endprodukte gingen ins Reich.

Deutsche Rodungen in Białowieża waren gedacht als ein Probelauf vor der geplanten industriellen Holzgewinnung in den Urwäldern deutscher Afrikakolonien.

Die Deutschen hinterlieβen einen verwüsteten Białowieża-Wald. Hektarweise zerfurchte Flächen waren tonnenweise bedeckt mit Ästen, Sägemehl, Laub und Nadeln. Hierin lag der Ursprung der eingangs erwähnten riesigen Borkenkäferplage zu Beginn des 20. Jahrhunderts – Anm. RdP).

Bald darauf galt es, den Folgen der rücksichtslosen Rodungen durch die britische Firma The Century Timber Corporation (7.000 Hektar Wald in den Jahren 1924 – 1929) Herr zu werden.

Raubrodungen der britischen Century Timber Corp. Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jh.

(Aus Geldnot vergab die polnische Regierung an Century Timber Corp. eine Rodungslizenz für die Jahre 1924 – 1934, um Rücklagen für die Stabilisierung der damals hochinflationären Landeswährung zu schaffen. Die gigantischen Raubrodungen bester Waldbestände durch die Engländer, ohne Neuanpflanzungen, hinterlieβen riesige kahle Flächen. Im Jahr 1929 kündigte die Regierung vorzeitig den Vertrag und zahlte der Firma 325.000 Pfund Sterling Entschädigung – Anm. RdP).

Ein historischer Augenblick. Nach der Ausrottung setzen polnische Förster am 19. November 1929 die ersten rückgezüchteten Wisente im Białowieża-Wald aus.

Die polnische Staatliche Forstverwaltung hat die Rückzüchtung und die Wiederansiedlung der ausgerotteten Wisente betrieben. Sie wirtschaftete und wirtschaftet im Białowieża-Waldkomplex, schützt ihn in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vor allen erdenklichen Gefahren, pflegt seine Vielfalt, gewinnt Holz für die lokale Bevölkerung ohne jedoch den Bestand und den Naturreichtum zu gefährden.

Heute leben knapp sechshundert Wisente in freier Wildbahn im Białowieza-Wald.

Heute versuchen einige Öko-Aktivisten, Wissenschaftler und Medien der Öffentlichkeit einzureden, die Forstverwaltung vernichte den Białowieża-Wald. Sie unterstellen ihr niedrigste Beweggründe und niederträchtiges Handeln. Wir können nicht zulassen, dass die Arbeit von fast einhundert Jahren und das von der Forstverwaltung geschaffene Werk unwidersprochen auf diese Weise herabgesetzt werden.

Mindestens acht Prozent des Białowieża-Waldes sind bereits abgestorben.

Die Staatliche Forstverwaltung, das sind vor allem Menschen, die dauerhaft mit dem Wald leben, in ihm arbeiten, den Wald verstehen. Sie verfügen über einen groβen Sachverstand und erfüllen mit voller Überzeugung ihren öffentlichen Auftrag. Und sie lieben ihren Białowieża-Wald.

Sowohl angehende, wie auch gestandene Forstleute aus anderen Landesteilen „pilgern“ zu diesem Wald um ihr Wissen zu erweitern, die hiesige Natur zu beobachten und die hier gewonnenen Erfahrungen bei sich zuhause umzusetzen. Der Vorwurf die Staatliche Forstverwaltung will den „Białowieża-Urwald für Geld roden“ kann nicht anders als eine Lüge bezeichnet werden.

Unberührter Urwald im Białowieża-Nationalpark. Die Borkenkäferplage ist hier noch nicht angekommen.

In der Diskussion um den Białowieża-Wald herrscht heute zu viel Aufregung, zu viele einfache Rezepte und Unwahrheiten werden ins Spiel gebracht. Bitte machen Sie sich mit den wichtigsten Tatsachen bekannt, um sich anschließend eine Meinung zu bilden.

Die Forstleute sagten von Anfang an, dass nicht der Borkenkäfer an sich, sondern die Ausmaβe des jetzigen Befalls, des gröβten seit etwa einhundert Jahren, das Problem ist. Mindestens acht Prozent des Białowieża-Waldes sind bereits abgestorben. Auf dem Gebiet der drei Białowieża-Oberförstereien: Białowieża, Browsk und Hajnówka hat der Borkenkäfer innerhalb von wenigen Jahren etwa 900.000 Fichten auf einer Fläche von 7.200 Hektar absterben lassen. Wir verlieren ein bekanntes, schönes und viel bewundertes Naturerbe, das sich dank vielen passiven und aktiven Schutzmaβnahmen gebildet hat.

Vom Borkenkäfer vernichteter Wald in der Oberförsterei Browsk.

● Schafft es die Natur im Alleingang mit der Katastrophe fertig zu werden? Der Białowieża-Wald ist auβergewöhnlich wertvoll. Er ist jedoch nicht groβ genug und unterliegt von allen Seiten einer enormen Belastung aufgrund der Auswirkungen der Zivilisation, mit der Folge, dass ganz und gar unbeeinflusste Naturprozesse in ihm nicht stattfinden können.

Vom Borkenkäfer vernichteter Wald in der Oberförsterei Hajnówka.

Aktive Schutzmaβnahmen sind notwendig

Schon heute beobachten wir, dass, wenn menschliches Zutun unterbunden wird, auf den vom Borkenkäfer vernichteten Flächen, sich vor allem die viel Schatten spendenden Hainbuchen, neben Haselnusssträuchern und invasiven Gräsern ansiedeln.

Tut man nichts, erfolgt eine Reduzierung der natürlichen Vielfalt. So z. B. leben im Bereich der Fichte viel mehr Insektenarten als im Bereich der Hainbuche, also hat das Absterben der Fichten und das Vordringen der Hainbuchen sehr konkrete Folgen.

Öko-Aktivisten behindern Förster. Protest gegen aktive Schutzmaβnahmen.

Spontane Naturprozesse sind selbstverständlich zulässig, aber wir dürfen auch die aktiven Schutzmaβnahmen nicht vernachlässigen, um die riesige Artenvielfalt, für die der Białowieża-Wald bekannt ist, aufrecht zu erhalten.

Protest gegen den Protest: „Pseudoökologen haben den Białowieża-Wald vernichtet“ (oben).“In so einen Zustand haben Pseudoökologen und Ökoterroristen den Białowieża-Wald gebracht“ (unten).

Die wertvollsten und ursprünglichsten Teile des Waldes werden schon seit langem geschützt, im Białowieża Nationalpark (BNP) und in den Schutzgebieten, die sich innerhalb der Białowieża-Oberförstereien befinden.

Der Białowaieża-Nationalpark hat eine Fläche von gut 10.000 Hektar und untersteht der BNP-Direktion. Hinzu kommen die drei Oberförstereien, die den übrigen Teil des Białowieża-Waldes auf einer Fläche von gut 50.000 Hektar bewirtschaften, von denen 12.000 Hektar auf drei Schutzgebiete entfallen.

Białowieża-Nationalpark (BNP).

Die Rettungsmaβnahmen der Staatlichen Forstverwaltung berühren in keinster Weise den Białowieża-Nationalpark (BNP), sondern nur den Waldbestand in den Oberförstereien, der überwiegend aus Anpflanzungen stammt.

● Es war die Staatliche Forstverwaltung, die aus freien Stücken die Fläche der passiven Schutzmaβnahmen vergröβert hat. Ende März 2016 hat sie auf dem Gebiet der Oberförstereien Browsk und Białowieża zusätzlich eine Referenzfläche von 5.600 Hektar ausgewiesen, wo die menschliche Einwirkung auf ein absolutes Minimum eingeschränkt wurde.

Auf diese Weise sind heute von menschlicher Einwirkung 17.600 Hektar (d.h. 33 Prozent) des Białowieża-Waldes ausgenommen, die sich auf dem Gebiet der drei Białowieża-Oberförstereien befinden und der Staatlichen Forstverwaltung unterstehen (Referenzfläche plus die drei Schutzgebiete). Es sind gar 45 Prozent des gesamten Białowieża-Waldes, zählt man den Białowieża-Nationalpark (BNP) hinzu, der nicht der Staatlichen Forstverwaltung untersteht.

Anhand der Referenzfläche und der drei Schutzgebiete wollen wir feststellen, wie sich das Nichteingreifen, das die Öko-Aktivisten fordern, bei diesem gigantischen Borkenkäferbefall auf den Wald auswirkt. Zum Vergleich wird es Flächen geben, auf denen die Staatliche Forstverwaltung aktive Schutzmaβnahmen gegen die Borgenkäferplage betreibt. Wir werden die Auswirkungen beider Methoden in der Praxis vergleichen können.

Eine wirksame Bekämpfung des Borkenkäferbefalls ist möglich. Seit Anfang der 90er Jahre wurden alle vom Borkenkäfer angegriffenen Fichten aus dem Wald entfernt. Das Ausmaβ des Einschlags im Laufe der Jahre war nicht groβ: zwischen einigen Tausend und etwa 25.000 Kubikmeter Holz, abhängig vom Befall.

Eine wirksame Bekämpfung des Borkenkäferbefalls ist möglich.

Der Forstverwaltung wurden die Hände gebunden

Geändert hat sich das mit dem Inkrafttreten der neuen Waldgestaltungspläne 2012 bis 2021 für die Oberförstereien Białowieża, Browsk und Hajnówka. Unter dem Druck der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hat die Leitung des Umweltministeriums (der Regierung Donald Tusk – Anm. RdP) die Obergrenzen für die Holzgewinnung radikal herabgesetzt und weitere Teile des Waldes für die Forstbewirtschaftung gesperrt. Die Forstverwaltung konnte so die befallenen Fichten nicht mehr entfernen. Nicht einmal die wertvollsten, einhundertjährigen Fichtenbestände durften gerettet werden!

Schon im ersten Jahr der neuen Regelungen konnte nur ein Viertel der 23.000 Kubikmeter befallenen Fichten entfernt werden. So nahm das Unheil seinen Lauf. Im Jahr 2013 waren bereits 100.000 Kubikmeter Fichten vom Borkenkäfer befallen, ein Jahr später 200.000 Kubikmeter. Dieser sprunghafte Anstieg dauert an.

Der Forstverwaltung wurden die Hände gebunden. Durch den Borkenkäfer starben innerhalb von fünf Jahren etwa eine Million Kubikmeter Fichten. Davon fortgeschafft wurden nur 190.000 Kubikmeter. Um die Borkenkäferplage abzuwenden hat man 2016 das Holzgewinnungslimit für die Oberförsterei Białowieża erhöht.

Das sind unsere Maβnahmen

Niemand rodet den Białowieza-Wald! Die Behauptung, dass die Rettungsmaβnahmen den gesamten Białowieża-Wald umfassen, dass es dort riesige, gerodete kahle Flächen geben wird ist eine grobe Unterstellung.

Die drei Białowieża-Oberförstereien gewinnen zusammen weniger Holz als eine Oberförsterei in jedem anderen Teil Polens.

So wird Waldwirtschaft nicht einmal in normalen Wäldern betrieben, geschweige denn im Białowieża-Wald. Die drei Białowieża-Oberförstereien gewinnen zusammen weniger Holz als eine Oberförsterei in jedem anderen Teil Polens.
Als 2016 die Öko-Aktivisten Alarm schlugen, dass die Forstverwaltung „den Białowieża-Wald rodet“, haben die drei Białowieża-Oberförstereien zusammen 65.700 Kubikmeter Holz gewonnen, weniger als 2015 mit 83.600 Kubikmetern.

Wie können die Öko-Aktivisten behaupten, dass der Borkenkäfer gar nicht so viele Fichten vernichtet hat und gleichzeitig beteuern, die Beseitigung der Folgen dieser Heimsuchung, die ja gar nicht so groβ sein soll, werde den ganzen Białowieża-Wald vernichten?

Es werden nicht nur kranke Bäume entfernt. In den drei Oberförstereien ist die Forstverwaltung verpflichtet alle die Wälder betreffenden Vorschriften umzusetzen. Dazu gehören der Naturschutz, die öffentliche Sicherheit, die Waldgestaltungspläne, der Schutzplan für das Gebiet Natura 2000 sowie die Anweisungen der Umweltschutzbehörden und der Feuerwehr.

Deswegen werden abgestorbene Fichten, die an Wegen und Pfaden stehen entfernt, denn sie stellen eine Gefahr für die Menschen dar. Sehr groβe, dichte Anhäufungen abgestorbener Fichten werden gelichtet um die hohe Waldbrandgefahr zu vermindern. Fortgeschafft werden auch noch lebende Fichten, die jedoch vom Borkenkäfer befallen sind, damit die Insekten nicht auf gesunde Bäume überspringen. Von allen diesen Maβnahmen sind die Referenzzone und die Schutzgebiete ausdrücklich ausgenommen.

Entfernt werden auch gesunde Bäume, wenn es die Waldgestaltungspläne oder die Schutzmaβnahmen für Natura 2000-Gebiete vorsehen. Letztere regeln u. a. den Schutz und die Pflege von Eichen-Hainbuchen-Wäldern. Aufgrund der Pflegebestimmungen müssen Hainbuchen und Haselnusssträucher beseitigt werden, die den Platz der abgestorbenen Fichten einnehmen. Dasselbe gilt für die vorgeschriebene Erhaltung lichter Eichenwälder, von Orten wo seltene Schmetterlinge vorkommen usw.

Diese Arbeiten werden in den drei Białowieża-Oberförstereien nur in beschränktem Maβe durchgeführt. Vorrang hat die Entfernung toter Fichten an den Wegen und Pfaden, sowie der Einschlag von infizierten Bäumen, um den Borkenkäferbefall auszubremsen.

● Die bereits von allein umgefallenen Bäume werden im Wald gelassen. Dasselbe geschieht mit den eingeschlagenen Stämmen an Wegen und Pfaden in den Schutzgebieten und in der Referenzzone. Der Wald braucht totes Holz, das vielen wertvollen Arten ihren Lebensraum sichert.

Doch in den normal bewirtschafteten Teilen der drei Białowieża-Oberförstereien gibt es bereits so viel totes Holz, dass die volle biologische Artenvielfalt gewährleistet ist. Noch mehr totes Holz wird sie nicht weiter verbessern, dafür aber die Brandgefahr und den CO2-Ausstoβ deutlich erhöhen.

Dass Maschinen für den Einschlag benutzt werden, bedeutet nicht, dass der Umfang des Einschlags gröβer ist. Die Arbeiten in einem Gebiet mit so vielen toten Bäumen sind gefährlich. Der Einsatz des Holzvollernters ist wegen des deutlich verringerten Unfallrisikos sinnvoll. Er wird von nur einem Waldarbeiter, der durch eine verstärkte Kabine geschützt wird, bedient. Der Einsatz des Holzvollernters bedeutet nicht, dass mehr Bäume gefällt werden. Dieselbe Arbeit wird nur schneller durchgeführt.

Der Baumeinschlag durch die Forstverwaltung während der Brutzeit ist völlig legal. Eine ordnungsgemäβ geführte Forstwirtschaft bricht, laut Vorschriften, keine Verbote in Bezug auf den Artenschutz von Pflanzen, Pilzen und Tieren, die im Naturschutzgesetz aufgelistet sind. In Polen und in ganz Europa bleibt die Zahl der Vogelarten stabil oder sie wächst. Wissenschaftler erwähnen die Forstwirtschaft nicht als einen Faktor, der die Vogelbrut und die Vogelzahl wesentlich beeinflussen würde. Deswegen war und ist die Forstwirtschaft von den Brutzeitregelungen befreit, so wie es im Übrigen auch in den anderen EU-Ländern der Fall ist.

Keine Forstarbeiten finden statt in den Schutzzonen um die Nester geschützter Raubvögel, von denen es in den drei Białowieża-Oberförstereien 49 gibt.

Im Białowieża-Wald wird es keine „Baumplantagen“ geben. Werden an einem Ort eine gröβere Anzahl von toten Fichten entfernt, dann pflanzt die Forstverwaltung an dieser Stelle Baumarten, die für diesen Ort typisch sind, und das auch nur, wenn die natürliche Wiederherstellung zu schwach ausfällt.

So geschehen z. B. in der Oberförsterei Browsk, wo im April 2017 auf einigen Hektar freier Fläche, die nach der Entfernung von toten Fichten entstanden ist, die Forstverwaltung 3.500 Eichen, Ahornbäume und Linden gepflanzt hat, als Ergänzung zur Selbstaussaat.

Die Staatliche Forstverwaltung wirkt im Białowieża-Wald nicht mit dem Ziel Gewinne zu machen. Der Einschlag ist notwendig, um Menschen zu schützen, weiteren Waldbestand vor dem Borkenkäferbefall zu bewahren und den Anforderungen der Waldgestaltungspläne und des Naturschutzes gerecht zu werden. Das so gewonnene Holz wird, mit Ausnahme des Anteils, der bewusst liegen bleibt, verkauft, denn sonst würde der Staat, in dessen Namen die Forstverwaltung tätig ist, finanzielle Verluste erleiden.

Doch die groβe Zahl der Naturschutzanforderungen und der Einschränkungen für die Forstwirtschaft, die im Białowieża-Wald gelten, bewirken, dass die drei Białowieża-Oberförstereien naturgemäβ stets defizitär waren und es bleiben werden. Im Jahr 2016 bekamen sie insgesamt einen Zuschuss von 23 Millionen Zloty (ca. 5,5 Millionen Euro – Anm. RdP) aus dem Waldfonds der Staatlichen Forstverwaltung.

Es stimmt nicht, dass die Staatliche Forstverwaltung den Białowieża-Wald für Touristen gesperrt hat. Zeitweilige Zutrittsverbote hatten nur die Oberförstereien Białowieża und Hajnówka eingeführt, doch dies betraf lediglich ausgewählte Orte, an denen entweder tote Bäume entfernt wurden oder ihre Anzahl so groβ war, dass Gefahr drohte. Orte, an denen die Rettungsmaβnahmen abgeschlossen wurden, sind wieder zugänglich.

Aktuelle Karten mit abgesperrten und zugänglichen Flächen findet man auf den Internetseiten der Oberförstereien oder auf der Internetseite der Staatlichen Forstverwaltung www.lasy.gov.pl.

Der gröβte Teil des Białowieża-Waldes und die meist frequentierten Wanderwege sind offen.

Konrad Tomaszewski.

Hochachtungsvoll – Konrad Tomaszewski, Generaldirektor der polnischen Staatlichen Forstverwaltung.“

RdP




Blaue Kohle. Die Chance für Polen

Neuer Brennsoff soll Armen und dem Bergbau helfen.

Moderne, vielversprechende Technologien der Kohlevergasung und der Herstellung von leichtentflammbarem, umweltschonendem Koks eröffnen neue Perspektiven für die polnische Kohleindustrie. Entwickelt wurden sie im Institut für Chemische Kohleverarbeitung (IChPW) im oberschlesischen Zabrze. Die Zeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) sprach am 18. Dezember 2015 mit seinem Direktor, Dr. Ing. Aleksander Sobolewski.

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Dr. Ing. Aleksander Sobolewski

Beim Klimagipfel COP21 in Paris im Dezember 2015, haben Sie versichert, dass die Vergasung polnischer Steinkohle schon heute machbar sei.

Technologisch sind wir inzwischen soweit und können aus heimischer Steinkohle Synthesegas (auch Wassergas genannt), ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff, herstellen, vor allem für die chemische Industrie. Die Entscheidung jedoch liegt bei den Politikern.

Wir haben in den letzten Jahren ein groβes Forschungsprogramm umgesetzt. Am Ende stand die Inbetriebnahme und Untersuchung von Kohlevergasungsreaktoren mit einer Leistungsfähigkeit von 1 Megawatt. Unsere Pilot-Anlage verarbeitet 200 kg Kohle pro Stunde. Eine Industrieanlage dieser Art sollte in derselben Zeit 100 bis 200 Tonnen Kohle vergasen können. Der Baukosten eines Vergasungsbetriebs, der mit unserer Technologie 1 Mio. Tonnen Kohle pro Jahr verarbeiten würde, betrügen zwischen 2 und 3 Mrd. Zloty (ca. 500 bis 700 Mio. Euro – Anm. RdP).

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Forschungsanlagen des Instituts für Chemische Kohleverarbeitung (IChPW) im oberschlesischen Zabrze.

Lohnt es sich heute Steinkohle in Polen zu vergasen?

Auf der ganzen Welt arbeiten zur Zeit um die dreihundert industrielle Kohlevergasungsreaktoren, davon mehr als zweihundert in China. Europa wendet sich derweil von der Steinkohle ab, setzt auf Erdgas aus dem Osten. Die Deutschen bauen Nord Stream 2, von Russland aus, die zweite Erdgaspipeline durch die Ostsee. Dabei stellt sich die Frage, ob die wachsende Energieabhängigkeit der EU von Russland in unserem Interesse ist, und wie sich der Preis für russisches Erdgas auf lange Zeit entwickeln wird.

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Der neue Flüssiggashafen in Świnoujście/Swinemünde.

Um eine Ausweitung der Erdgas-Versorgungsquellen zu gewährleisten haben wir den Flüssiggashafen in Świnoujście (Swinemünde – Anm. RdP) gebaut. Das Gas, das wir über diesen Hafen aus Übersee einführen werden wird teurer als das russische Erdgas sein. Aus Gründen der Energiesicherheit, aber auch deswegen, weil wir einen groβen Steinkohlebergbau in Polen haben, sollten wir auf jeden Fall auch auf unsere eigene Kohlevergasung bauen.

Die aktuellen Rahmenbedingungen hierzu: der Preis der CO2-Zertifikate, die Höhe der Steuern und die einheimischen Förderkosten, machen die Kohlevergasung in Polen rentabel. Berechnungen nach der Internen-Zinsfuß-Methode (IZF) ergeben eine jährliche Rendite von 10%.

Trotz dieser Berechnungen ist die Industrie an der Kohlevergasung nicht interessiert?

Die PGE (Polnische Energiegruppe, gröβtes polnisches Energieunternehmen, zu 60% staatlich, beliefert 5 Mio. Stromabnehmer – Anm. RdP) und die Azoty-Gruppe (Groβhersteller von Stickstoffdünger, zu 60% staatlich – Anm. RdP) überlegen ernsthaft auf diese Technologie zu setzen. Die Banken jedoch erwarten, dass der Investor in seinem Geschäftsplan eine verbindliche Erdgas-Preisprognose für die nächsten zwanzig Jahre vorlegt, was natürlich unter den gegebenen Bedingungen nicht möglich ist. Ähnlich verhält es sich mit den CO2-Zertifikaten. Vor zwei Jahren haben sie 3 Euro pro Tonne gekostet, jetzt kosten sie 8 Euro. Was in zehn Jahren sein wird, vermag niemand vorherzusagen.

Eine groβe Kohlevergasungsanlage braucht etwa drei Jahre, bis sie voll einsatzfähig ist. Ob es dann noch ein rentables Vorhaben sein wird, ist schwer zu sagen.

Also ist das Risiko doch zu groβ?

Auf der anderen Waagschale liegen zwei sehr wichtige Argumente. Zum einen, würde das Synthesegas importiertes Erdgas ersetzten. Zum anderen würde es die Zukunft des heimischen Steinkohlebergbaus mit seinen heute noch mehr als dreihunderttausend Arbeitsplätzen, wenn man die Zulieferer mitrechnet, und damit auch die Zukunft groβer Teile Oberschlesiens und der Region Lublin sichern.

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Bergarbeiterprotest in der Grube „Kazimierz Juliusz“ in Sosnowiec im Dombrowaer Kohlebecken, das im Norden an Oberschlesien grenzt. September 2014.

Was spricht aus der Sicht des Umweltschutzes für die Kohlevergasung?

Die Verfeuerung von Synthesegas ist deutlich ergiebiger als die von Kohle. Unsere Forschungen und Simulationen belegen das. Der wichtigste Vorzug, der an unserem Institut ausgearbeiteten Technologie, ist die CO2-Rückführung. Das in den Vergasungsreaktor zurückgeführte CO2 dient als Rohstoff, es ersetzt teilweise Kohle sowie technischen Sauerstoff und verursacht eine wesentliche Absenkung des CO2-Ausstoβes pro 1000 m3 des erzeugten Synthesegases.

Unsere Technologie ist ein typisches Beispiel für die sogenannte chemische CO2-Abscheidung und das Gegenstück zur umstrittenen unterirdischen CO2-Lagerung. Es ist zugleich die Antwort auf die seit langem bestehende Nachfrage nach Technologien zur Nutzung von groβen CO2-Mengen. Kurzum: aus CO2, das aus den Abgasen gefiltert wird, entsteht ein Marktprodukt, und zwar Methanol.

Kohlevergasung ist nicht das einzige Angebot auf dem Feld neuer Technologien für die Verarbeitung von Steinkohle, das Sie auf der COP21 in Paris vorgestellt haben.

Kohleverfeuerung in veralteten und schlecht genutzten Anlagen verunreinigt die Luft, besonders im Süden Polens. Doch wir müssen nicht auf Kohle verzichten, wenn wir in der Lage sind die schädlichen Emissionen einzuschränken. Die traditionelle Kohle sollte durch einen neuen, ausstoβarmen Brennstoff ersetzt werden, die sogenannte blaue Kohle.

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Wintermorgen in einer südpolnischen Stadt.

In dieser Heizsaison wird unser Institut etwa zweitausend Tonnen blaue Kohle kostenlos nach Kraków, Zabrze (in Oberschlesien, zwischen 1915 und 1945 Hindenburg – Anm. RdP), Żywiec und in einen der niederschlesischen Kurorte liefern. Im Frühjahr 2016 wollen wir eine Umweltbilanz dieses Experiments ziehen. Die Nutzer sind verpflichtet regelmäβig Fragebögen auszufüllen, in denen sie angeben, ob die blaue Kohle staubt, ob sie sich leicht entflammt, welchen Geruch sie erzeugt, wie die Beschaffenheit der Asche ist usw. Ich bin sicher, der neue Brennstoff wird seine hervorragende Eignung bestätigen.

Dann wird das weitere Schicksal dieser Technologie, vor allem ihre Massenanwendung, von den politischen Entscheidungen abhängig sein. Wir hoffen auf staatliche und kommunale Förderung für die ärmsten Bevölkerungsschichten, die sich den Kauf von neuen, automatisch gesteuerten Heizkesseln nicht leisten können.

Was ist das, die blaue Kohle?

Ein neuentdeckter Koksbrennstoff. Es handelt sich dabei um Steinkohle, die fast gänzlich entgast wurde. Von Koks unterscheidet sie sich jedoch in zweierlei Hinsicht. Die blaue Kohle wird aus einfacher Brennkohle, die deutlich billiger ist als Kokskohle, hergestellt. Sie beinhaltet zudem etwa 5% flüchtige Verbindungen. Dank dieser ist sie, anders als Koks, leicht entflammbar und kann daher auch in einfachen Anlagen verfeuert werden. Anders als die normale Kohle, die gelb-orange brennt, ist die Flamme des neuen Brennmaterials blau, wie beim Gas. Daher der Name.

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Blaue Kohle ist ein umweltschonender Brennstoff für die Ärmsten, die ihre Öfen und Kessel nicht so schnell austauschen werden, und die sich Erdgas, das in Polen dreimal so teuer ist, nicht leisten können.

Wie groβ ist der Preisunterschied zwischen der normalen und der blauen Kohle?

Die erste kostet im Augenblick im Handel etwa 500 Zloty (ca. 225 Euro) pro Tonne. Eine Tonne blauer Kohle dürfte um die 1.000 Zloty (ca. 450 Euro) kosten.

Das ist das Doppelte. Für viele könnte das zu teuer sein.

Ein veredelter Brennstoff wird immer teurer sein als der Rohstoff, aus dem er gemacht wurde. Dafür erreichen wir aber eine deutliche Senkung der Emissionen, und zwar auch in den alten, von Hand befüllten Öfen und Kesseln. Es entstehen bis zu siebenmal weniger krebserzeugende, flüchtige organische Verbindungen (VOC) und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH), um bis zu 75% weniger Schwefelmonoxyd und Staub.

Blaue Kohle hat auch einen deutlich höheren Heizwert, also ist die Menge, die verbraucht wird um eine Wohnung oder ein Haus zu beheizen, deutlich geringer als bei normaler Kohle. Es ist ein Brennstoff für die Ärmsten, die ihre Öfen und Kessel nicht so schnell austauschen werden, und die sich Erdgas, das in Polen dreimal so teuer ist, nicht leisten können. Es ist zwar nicht erlaubt, dennoch verfeuern Zehntausende bei uns Müll und Kohleschlamm, weil sogar Kohle für sie unerschwinglich ist. Es wäre am besten, wenn die blaue Kohle, genauso wie bleifreies Benzin, subventioniert werden könnte.

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Arbeitslose suchen nach Kohle auf einer Abraumhalde im oberschlesischen Piekary Ślaskie. Winter 2015.

Wie lange haben sie an dem neuen Brennstoff gearbeitet?

Wir befinden uns im dritten Jahr und sind fast am Ende unserer Arbeit angelangt. Im ersten Jahr haben wir Labortests durchgeführt. Im zweiten Jahr wurde die Verfeuerung unter normalen Bedingungen durchgeführt, hierfür haben wir in Zabrze in etwa 18 Tonnen der blauen Kohle verbrannt. Jetzt erproben wir das Verfeuern in Gegenden mit besonders vielen alten Öfen und Kesseln. Unser Industriepartner ist die Firma Polchar aus Police.

Wieviel Kohle verbrauchen die polnischen Abnehmer pro Jahr, um ihre Wohnungen und Häuser zu beheizen?

Mehr als 10 Mio. Tonnen.

Lesenswert auch: „Smog, Energiearmut und was Polen dagegen tut“. 

RdP




Polens Weg in der Klimapolitik…

…sollte nicht in den Freitod führen.

Die ehrgeizige EU-Klimapolitik stellt für Polen eine geradezu existenzielle Herausforderung dar. In welcher Weise soll sich das Land ihr stellen?

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Dr. Piotr Naimski

Dr. Piotr Naimski ist Biochemiker und  Hochschullehrer. In der kommunistischen Zeit gehörte er zu den Mitbegründern des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR). Heute ist er Politiker, gehört der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an und gilt als ihr prominentester Fachmann in Sachen Energiepolitik.  Naimski ist Sejm-Abgeordneter und leitet den parlamentarischen Europa-Ausschuss. RdP dokumentiert nachfolgend ein Interview des Politikers für den Sender Radio Maria vom 4. Dezember 2015.

In Paris geht in einigen Tagen der Klimagipfel zu Ende. Wem in Europa liegt am meisten daran den Ausstoβ von Treibgasen einzuschränken?

Seit einiger Zeit entsteht in Europa ein neuer Industriezweig: der Anlagenbau für die Gewinnung erneuerbarer Energien. Deren Produktion wird von einigen EU-Staaten stark gefördert und gewinnt dadurch einen erheblichen Vorteil gegenüber den traditionellen Methoden der Stromherstellung, vor allem aus Steinkohle aber auch aus Erdgas. Dieser Vorsprung wird zusätzlich durch geplante EU-Auflagen, die für alle Staaten der Gemeinschaft gelten sollen, vergröβert werden.

Um was genau geht es bei diesen Bestimmungen?

Eine von ihnen besagt, dass Strom aus erneuerbaren Energiequellen vorrangig in die Stromnetzte eingespeist werden muss. Dadurch wird Kohlestrom aus den Netzen verdrängt. Kohlekraftwerke füllen nur Versorgungslücken, falls der Wind nicht stark genug weht oder der Himmel bedeckt ist. Das ist der Kern der EU-Energiepolitik, vor allem aber Deutschlands.

Deutschland kann sich das leisten.

Ja. Die Zuschüsse werden überwiegend über die Stromrechnungen der deutschen Verbraucher finanziert. Der Anteil der Stromkosten am Familienhaushalt macht in Deutschland im Durchschnitt 4 bis 5% aus. In Polen liegen die Stromkosten aktuell bei 10% der Ausgaben, wodurch viele polnische Haushalte sich bereits jetzt an der Grenze zur Energiearmut bewegen. Daher sind polnische Verbraucher nicht in der Lage in demselben Maβe erneuerbare Energien zu bezuschussen wie ihre westlichen Nachbarn.
Deutschland hat enorme Gelder in Forschung und Produktion von Anlagen für erneuerbare Energien investiert. Das soll sich rentieren. Kohleländer, wie Polen, sollten sie zum Kohleausstieg gezwungen werden, sind ein groβer, dankbarer Markt für deutsche Hersteller.
Zudem wird die hoch subventionierte deutsche Energie aus erneuerbaren Quellen an der deutschen Energiebörse angeboten. Bei so hohen Zuschüssen kann der Preis für den aus anderen Quellen gewonnenen Strom nicht mithalten, auch wenn alles, wenigstens dem Anschein nach, gemäß marktwirtschaftlichen Prinzipien abläuft.

In Wirklichkeit jedoch, ist der Strom aus Kohle immer noch die preiswerteste Alternative. Die Entkarbonisierung, die mittlerweile der EU-Energiepolitik zugrunde liegt, begünstigt die Verbannung der Kohle aus der Wirtschaft, vor allem aus der Strom– und Wärmegewinnung.

Woher kommen diese Bestrebungen?

Da der Strom aus erneuerbaren Energiequellen, ohne hohe Zuschüsse, den Konkurrenzkampf gegen Erdgas und Kohle verlieren würde, musste die Politik einschreiten. Die Entkarbonisierung soll, so die Theorie, die CO2-Emissionen senken und somit die Klimaerwärmung aufhalten. An die Stelle von Kohle sollen erneuerbare Energien treten, und die brauchen Unterstützung. Dahinter verbergen sich gigantische Investitionen. Die Investoren wollen natürlich Gewinne sehen. Die Verbannung von Erdgas und Kohle aus der EU sowie der übrigen Welt liegen ihnen deswegen sehr am Herzen.

Hehre Ziele, mit falschen Methoden umgesetzt?

Die Natur ist nun einmal sehr launisch. Bei hoher Windstärke an der Nordsee sind die Leitungsnetze schnell überlastet. Um dies zu verhindern wird der überschüssige deutsche Strom unkontrolliert nach Polen und Tschechien geleitet. Das ist gefährlich und teuer für uns, weil wir abrupt unsere eigene Stromherstellung herunterfahren müssen. Dieses Problem kann man nur mit einem enormen finanziellen Aufwand in den Griff bekommen, aufwendige technische Einrichtungen und vertragliche Regelungen sind hierzu erforderlich. Die, praktisch im Alleingang und über Nacht beschlossene, deutsche Energiewende nach der Katastrophe von Fukushima 2011, macht den Nachbarn Deutschlands das Leben schwer.

Wird es im Ergebnis des Pariser Klimagipfels COP 21 zu einer weiteren Begrenzung der CO2-Emissionen kommen?

Auf dem COP 21-Gipfel soll eine neue internationale Klimaschutz-Vereinbarung in der Nachfolge zum Kyoto-Protokoll verabschiedet werden. Die EU ist als eine Einheit der Klimaschutz-Vereinbarung beigetreten. Deswegen tritt Polen in Paris auch in einer Doppelrolle auf: als Unterzeichner des Kyoto-Protokolls und als EU-Mitglied. Als Staat hat Polen in Sachen CO2-Reduktion, wie alle anderen, seine freiwillige Klimaschutz-Zusage eingereicht. Sie entspricht dem EU-Ziel bis 2030 die CO2-Emissionen um 40% zu senken. Dieses Ziel berücksichtigt allerdings nicht die Besonderheiten der Wirtschaft Polens, die auf dem preiswerten Steinkohle-Strom basieren.

Die Würfel sind also gefallen.

So sieht es aus, aber alles ist noch in Bewegung. Die CO2-Ziele der EU übersteigen jedenfalls bei Weitem die Möglichkeiten und Zusagen vieler Staaten der Welt. Sie bedeuten ebenfalls, dass die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Industrie gegenüber der übrigen Welt weiterhin sinken wird. Auch das ist ein Problem, über das sich die europäischen Politiker ernsthafte Gedanken machen sollten.

Die EU-Klimaziele werden auch eine enorme Belastung für die Wirtschaft Polens sein.

Die Regierung von Frau Ewa Kopacz hat im Herbst 2014 die EU-Klimaziele blindlings akzeptiert: 40% CO2 Emissionen weniger bis 2030 und der Anteil erneuerbarer Energien an der Energieerzeugung soll von aktuell 10 auf 27% steigen.
Das war eine sehr leichtsinnige Zusage. Sie erfordert die Stilllegung des gesamten Stein- und Braunkohlebergbaus, der gesamten noch verbliebenen Stahl-, Zement- und Papierindustrie, ebenso der Schwerchemie, dazu praktisch die komplette Aufgabe der Stromerzeugung aus Kohle, die Notwendigkeit von Stromimporten usw., und das alles innerhalb von fünfzehn Jahren. Dadurch werden wir gigantische ökonomische und soziale Probleme bekommen.

Gibt es einen Ausweg?

Ohne Nachverhandlungen wird es wahrscheinlich nicht gehen. Auβerdem müssen wir bei der ganzen Problematik nicht nur die CO2-Reduktionen durch Stilllegungen ins Auge fassen, sondern auch die Absorption von CO2 durch Wälder. Das erfordert gut durchdachte, mit anderen Staaten, die in gleicher Weise betroffen sind, abgestimmte diplomatische Vorstöβe innerhalb der EU.

Deswegen wahrscheinlich die offiziell bekanntgegebene Konferenzstrategie Polens in Paris.

Polen will der neuen globalen Klima-Vereinbarung zustimmen, vorausgesetzt dreiviertel aller UNO-Mitgliedsstaaten, die insgesamt 90% aller Treibgase erzeugen, treten ihr bei.

Zurück zur EU. Will sie sich durch ihr Vorpreschen vorsätzlich selbst schädigen?

Irgendwann sind die in der EU dominierenden Politiker zu der Überzeugung gekommen, dass sich die EU an die Spitze der CO2- Reduzierer stellen muss, dann wird sie den Rest der Welt nach sich ziehen. Doch der Rest der Welt will und kann das nicht, zumindest nicht in dem Tempo.

Teilen Sie den Eindruck, dass da auch Heuchelei mit im Spiel ist?

Zu einem gewissen Teil, ja. In Europa werden die energieintensiven Industrien wegen CO2-Emissionen stillgelegt. Die Produktion, z. B. von Zement, geht nach Indien und Pakistan, von wo er in groβen Mengen wieder nach Europa importiert wird. Wir verlieren die Arbeitsplätze, die CO2-Emissionen werden lediglich verlagert.

Die EU scheint jedenfalls fest entschlossen zu sein, an ihrem Alleingang festzuhalten.

Deutschland ist in der Lage seine kostspielige Energiewende zu bezahlen. Frankreich hat viele Atomkraftwerke und dementsprechend weniger  CO2-Emissionen. Polen hingegen, befindet sich in einer ganz anderen Lage. Es besitzt z. B. kein einziges Atomkraftwerk. Wir sollten uns der EU-CO2-Politik nicht verweigern, aber unsere Energiepreise müssen unserem Entwicklungsstand entsprechen, unser durch die Transformation erheblich deindustrialisiertes Land darf keine Industriewüste werden. Der polnische Weg in der Klimapolitik muss zwischen diesen beiden Polen verlaufen.

RdP




Kläranlagen schwer zu ertragen

Aus dem russischen Gebiet Kaliningrad gelangen Schlamm- und Schmutzwasser nach Polen.

Das Kaliningrader Büro von Transparency International, einer weltweit agierenden Nichtregierungsorganisation (NGO) mit Sitz in Berlin, die sich zu Gunsten der nationalen und internationalen volks- und betriebswirtschaftlichen Korruptionsbekämpfung engagiert, hat zusammen mit örtlichen Öko-Aktivisten die Tauglichkeit lokaler Kläranlagen untersucht. Es stellte sich heraus, dass die modernen und teuren Anlagen, mit denen sich die Politiker vor Ort gern brüsten, nichts taugen. Der Schadstoffgehalt im Klärwasser übersteigt um ein Vielfaches die Normen.

Den durch die NGO hierzu erstellten Bericht besprach am 24. März 2015 ausführlich, als erste in Polen, die Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“).

Seitdem wissen wir z. B., dass die 2012 fertiggestellte Kläranlage in Gusew/Gumbinnen ihr Klärwasser in den Fluss Pissa pumpt, in dem der Gehalt von Kohlenwasserstoffen 3.800 Mal die Norm überschreitet, der von Sulfaten siebzehn Mal, von Ammoniak zwölf Mal und der Phosphatwert schließlich um das Siebenunddreiβigfache erhöht ist. Sogar der Gehalt von unlöslichen Schwebstoffen (Steine, Schlamm, Schrott usw.) überstieg die Norm um das Zweiundzwanzigfache. Pro Liter Klärwasser wurden zudem 190 mg Öle, Fette und andere erdölhaltige Substanzen festgestellt.

An der Kläranlage wurde sechs Jahre lang gebaut, sie kostete 6,5 Mio. Euro, wovon 3,5 Mio. die EU beisteuerte.

Kläranlage in Gusew.
Kläranlage in Gusew.

Das dreiβigtausend Einwohner zählende Gusew gilt als die Vorzeigestadt der Kaliningrader Exklave. Verwaltungschef dort, war lange Zeit Nikolai Zukanow, ein Günstling des langjährigen Gouverneurs des Gebietes, Georgij Boos. Heute ist Zukanow selbst Gouverneur und Gusew wird weiterhin bei allen Investitionen bevorzugt behandelt. So entstand in der Stadt der erste und bisher einzige Technologiepark „Technopolis“, wo Satellitenschüsseln und Receiver. Fertighäuser, Kartonagen und Dosenkonserven hergestellt werden.

Polen unmittelbar betroffen

„Die Sache ist für uns von besonderer Bedeutung, weil sie uns unmittelbar betrifft. Zalew Wiślany/das Weichselhaff ist in seinem polnischen Teil ein geschlossenes Gewässer ohne eine Verbindung mit der Ostsee. Die Abwässer, die im russischen Teil ins Haff gelangen, lagern sich in unserem Teil ab. Das Haff ist dadurch schon sehr stark eutrophiert (überdüngt – RdP), d.h. die Zunahme von Nährstoffen im Wasser führt zum nutzlosen oder gar schädlichen Wachstum von Pflanzen und Algen“, sagt Prof. Jan Szyszko, ehemaliger polnischer Umweltminister (1997-1999 und 2005-2007).

Das Klärwerk in Gusew hat die slowenische Firma Smelt gebaut, die sich kurz danach gänzlich vom russischen Markt zurückgezogen hat und heute gegen russische Subunternehmer prozessiert. Die Behörden haben stillschweigend ein Nachklärbecken hinzu bauen lassen, doch es hat nichts gebracht.

Die russische Exklave Kaliningrader Gebiet mit knapp 1 Mio. Einwohnern grenzt an Polen und Litauen. Mit Polen teilt sich Russland das Weichselhaff, das mit der Ostsee nur durch die schmale Meerenge von Baltijsk/Pillau verbunden ist. Mit Litauen teilt sich Russland das Kurische Haff.

Kaliningrad mapa

Nach dem Zerfall der Sowjetunion, in der man das Thema Umweltbelastung aufgrund mangelhafter Abwasserentsorgung völlig ignoriert hatte, wuchs der Druck der beiden Nachbarn auf Russland, das Problem endlich in Angriff zu nehmen. Auch Schweden wurde auf diesem Gebiet aktiv.

„Die Angelegenheit wird seit langem hin und her gewälzt. Bereits in meiner Zeit als Umweltminister gab es Vorschläge den Russen beim Kläranlagenbau mit EU-Geldern unter die Arme zu greifen. Es ist schon ein Skandal, dass die EU Geld für gemeinsame Vorhaben mit Russland ausgibt und dann keinen Einfluss auf die Umsetzung hat“, kommentiert Szyszko.

Das Problem stand auf der Tagesordnung bei den Beratungen des Ostseerates. Auch in Mamonowo/Heiligenbeil, nahe der Grenze zu Polen, gab die EU Geld für den Bau einer Kläranlage. Sie befindet sich noch im Bau.

Korruption und Diebereien

Schwer zu glauben, aber die Stadt Kaliningrad/Königsberg mit gut 500.000 Einwohnern, an der Mündung des Flusses Pregola/Pregel ins Weichselhaff, verfügt über keine Kläranlage. Seit 2009 wird an einer Anlage gebaut, aber ein Ende ist nicht abzusehen. Schweden gab das Geld für die technische Ausstattung. Jetzt macht sich in Stockholm Unruhe breit. Die Schweden fordern Rechenschaft von Russland, stoβen aber auf taube Ohren.

Im Jahre 2006 wurde der Bau von sechzehn Kläranlagen im Kaliningrader Gebiet in Aussicht gestellt. Heute gibt es fünf. Das russische Investitions- und Ausschreibungssystem taugt nichts. Es blühen Korruption und Diebereien. Wie anders lässt es sich erklären, dass man in Gusew auf eine Betriebskontrolle der Abwasserreinigungsanlage vor ihrer Fertigstellung einfach verzichtet hat. Die Behörden haben das Objekt abgenommen und bezahlt, noch bevor die Anlage auch nur ein Tropfen Abwasser gereinigt hat.

Ilja Schumanow, Leiter von Transparency International in Kaliningrad.
Ilja Schumanow, Leiter von Transparency International in Kaliningrad.

Ein wahres Hindernis ist das russische Recht. Allein die Überweisung von Geldern aus dem föderalen Zentralhaushalt in Moskau in die Exklave dauert bis zu einem Jahr, und gleichzeitig sollen die Kaliningrader Behörden bereits am Ende desselben Jahres die Ausgaben abrechnen. Genauso sieht es anschlieβend aus mit den Überweisungen aus dem Gebietshaushalt an die einzelnen Bezirke. „In Kaliningrad nutzen wir ein spezielles Föderales Entwicklungsprogramm. In Moskau wird dafür nicht wenig Geld ausgegeben, das später auf diese Art und Weise zerrinnt“, so die Einschätzung Ilja Schumanows, des Leiters von Transparency International in Kaliningrad.

Woher kam die Idee zur Überprüfung der Anlagen? „Bewohner, örtliche Stadtverordnete, Angestellte des Klärwerkes wandten sich an uns. Sie waren über die Qualität des Wassers beunruhigt“, berichtet Schumanow.

Bei der Untersuchung wurde das Klärwasser aus allen fünf im Kaliningrader Gebiet arbeitenden Anlagen auf die Nachweisbarkeit von sechs unerwünschten Stoffen hin untersucht: Kohlenwasserstoffen, Sulfaten, Ammoniak, Phosphaten und Phosphor, Stickstoff sowie unlöslichen Schwebestoffen. Auβerdem wurden zwei allgemeingültige Parameter ermittelt: BSB5 für biologische und CSB für chemische Verunreinigungen. Der Vergleich mit den geltenden Normen und den vorgegebenen Parametern für neugebaute Klärwerke fiel verheerend aus.

Der Ende März 2015 vorgestellte Bericht hat in Kaliningrad, aber auch in Polen und Litauen, groβes Aufsehen erregt. Welche Folgen er für die Umwelt in Kaliningrad und für die Verfasser haben wird ist im Augenblick noch unklar.

RdP




Windparks im Sumpf

Saubere Energie, schmutzige Geschäfte.

Immer mehr Windräder ragen aus der polnischen Landschaft. Ende 2014 gab es im Land 37 Windparks mit 627 Windrädern, die 3,5% des in Polen erzeugten Stroms herstellten.

Wie sehr die saubere Energie durch Korruption, Missachtung der Anwohner, übermäβige Lärmerzeugung und mangelnde technische Überwachung belastetet ist, das zeigte der Ende Juli 2014 veröffentlichte Prüfbericht der Obersten Kontrollkammer (Najwyższa Izba Kontroli – NIK).

Sitz der Obersten Kontrollkammer in der Warschuer Filtrowastrasse
Sitz der Obersten Kontrollkammer in Warschau

NIK ist der oberste polnische Rechnungshof, das höchste Organ der staatlichen Kontrolle im Staat und untersteht dem Sejm. Sie überprüft die Tätigkeit der Organe der Regierungsverwaltung, der Nationalbank, staatliche juristischer Personen und anderer staatlicher Organisationseinheiten unter den Gesichtspunkten der Legalität, der Wirtschaftlichkeit, der Zweckmäßigkeit und der Redlichkeit (nach Art. 203 der Verfassung) Die Oberste Kontrollkammer kann auch unter Legalitäts- und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten die Tätigkeit anderer Organisationseinheiten und Wirtschaftsteilnehmer überprüfen, wenn diese Gelder und Vermögen des Staates oder der Gemeinden nutzen oder finanzielle Verpflichtungen zugunsten des Staates erfüllen.

Krzysztof Kwiatkowski, Chef der Obersten Kontrollkammer NIK
Krzysztof Kwiatkowski, Chef der Obersten Kontrollkammer NIK

Der Präsident der Obersten Kontrollkammer wird vom Sejm mit Zustimmung des Senats für sechs Jahre berufen. Er kann nur einmal erneut berufen werden. Den Posten bekleidet seit 2013 Krzysztof Kwiatkowski (geb. 1971, zwischen 2009 und 2011 Justizminister im Kabinett Tusk). Entgegen vielen Befürchtungen, auch die NIK werde, wie die Zentralbank, die Bankenaufsicht, der Landesrat für Rundfunk und Fernsehen und einige andre Institutionen, ganz und gar im politischen Kampf gegen die Opposition in den Dienst der Tusk-Regierung treten, bewahrte Kwiatkowski die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit des Obersten Rechnungshofes, der in seinen Prüfberichten immer wieder die Korruption und Unfähigkeit der Verwaltung brandmarkt.

Die Kontrolle der Windparks fand zwischen August 2013 und Februar 2014 statt in zehn Woiwodschaften. Sie umfasste 28 Gemeindeämter, 19 Landrats- und 19 Kreis-Bauaufsichtsämter.

Nachstehend, zusammengefasst die wichtigsten Feststellungen des Prüfberichtes.

1.Behörden missachten durchweg Beanstandungen der Anwohner

Keine der kontrollierten Gemeinden hat eine Volksbefragung in Sachen Unterbringung von Windparks durchgeführt, obwohl die Anwohner oft heftig dagegen protestiert haben. Entscheidungen wurden durch Abstimmungen in den Gemeinderäten gefällt. Zwar konnten die Anwohner ihre Argumente gegen einen Windpark in allen Phasen der Entscheidungsfindung vorbringen, doch ihre Beanstandungen wurden in keinem einzigen Fall berücksichtigt.

2. Bestechlichkeit

In 30% der kontrollierten Gemeinden wurden Windparks auf Parzellen errichtet, die Gemeinderatsmitgliedern, Bürgermeistern oder Angestellten der Gemeindeverwaltungen gehörten, Personen also die an der Entscheidungsfindung beteiligt gewesen waren. Interessenkonflikte und Korruptionswahrscheinlichkeit lagen in solchen Fällen auf der Hand.

3. Interessenkonflikte ohne Ahndung

Ein nicht kleiner Anteil von betroffenen Gemeinderatsmitgliedern hat sich aus Abstimmungen über die Errichtung von Windparks nicht ausgeschlossen, was sie nach Art. 25a des Gesetzes über kommunale Selbstverwaltung hätten tun müssen. Leider sieht das Gesetz in solchen Fällen keine Ahndung vor. NIK fordert eine diesbezügliche Änderung des Gesetzes.

4. Der Korruptionsmechanismus

80% der kontrollierten Gemeinden haben ihre Zustimmung zu einem Windpark davon abhängig gemacht, dass der Investor alle Planungsarbeiten für die Anlage finanziert und auβerdem Geldbeträge an die Gemeinde überweist. Das Erste verstöβt eindeutig gegen die geltenden Gesetzte, die solche Planungsarbeiten als alleinige Aufgabe der Gemeinde ansehen und private Finanzierungen ausschlieβen, damit Investoren Planungen nicht im eigenen Interesse beeinflussen können.

5. Lärm

In der polnischen Gesetzgebung ist der Mindestabstand zwischen Windrädern und Wohngebieten nicht festgelegt. In einzelnen EU-Staaten gelten unterschiedliche Regelungen. Für Polen maβgeblich ist der zugelassene Lärmpegel. Die gesetzlich festgelegte Messmethode sieht solche Messergebnisse als verbindlich an, die bei Windstärken von bis zu 5 Meter pro Sekunde festgestellt wurden. Jedoch verursachen Windräder den gröβten Lärm bei Windstärken zwischen 10 und 12 Meter pro Sekunde, doch da wurde nicht gemessen.

6. Infraschall und Stroboskopeffekt

Auch hier sieht die Gesetzgebung keine Mindestwerte vor, deswegen wurden beide Erscheinungen in der Nähe von Windparks seitens staatlicher Stellen nicht erforscht.

7. Keine technische Überwachung

Die Kreis-Bauaufsichtsämter haben nur die Konstruktion der Windräder geprüft (Fundamente, Maste). Völlig undefiniert in der geltenden Gesetzgebung bleibt jedoch, wer und nach welchen Kriterien die Generatoren, die Rotoren samt Gondeln, die Getriebe, die Transformatoren, die Propellerflügel begutachten und zulassen soll. Alle diese Bestandteile der Windräder unterliegen bis heute keiner Überprüfung.

8. Im Baurecht unbekannt

Windräder sind dem polnischen Baurecht bis heute unbekannt. In den Baugenehmigungen tauchen sie als „freistehende Schornsteine und Masten“, als „elektroenergetische Strecken“ oder als „andere Bauten“ auf. Dementsprechend wurde in manchen Landesteilen eine Betriebszulassung verlangt, während in anderen nur die Anmeldung bei Fertigstellung für die Betriebsaufnahme genügte.

9. Verschandelte Landschaft

Das juristische Chaos führte, trotz vieler Proteste, zur Aufstellung von Windrädern in Natur- und Landschaftsschutzgebieten. Sie werden für viele Jahre die Landschaft z. B. die Suwałki-Seenplatte im Nordosten des Landes verunstalten.

10. Ein Beispiel

Als exemplarisch beschreiben die Kontrolleure das Geschehen in der Dreitausendseelen-Landgemeinde Przerośl im Suwałkigebiet, in der Woiwodschaft Białystok. Der dortige Bürgermeister hat mit der spanischen Firma Gamesa Energia einen Vertrag über 691.000 Zloty (ca.170.000 Euro) abgeschlossen. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Gemeinde einen neuen Flächennutzungsplan mit Berücksichtigung der neuen Windparks auszuarbeiten. Von der Firma Eko-Energia bekam die Gemeinde 1,7 Mio. Zloty (ca. 415.000 Euro) für weitere Korrekturen im Flächennutzungsplan, dieses Mal zu Gunsten der Errichtung ihrer Windkraftanlagen. Die Folge: diese Windräder sollen in einer Entfernung von nur 200 m zu den Wohnhäusern aufgestellt werden. Die Gemeinde Przerośl liegt in einem Landschaftsschutzgebiet.
Der Kontrollbericht fordert die Regierung auf alle diese Miβstände zu beheben.

© RdP




Keiler wühlen, Biber nagen, Bauern klagen

Wildschäden nehmen zu und schüren Unmut.

Während der groβen Bauernproteste im Februar 2015 (Straβenblokaden auf dem Lande, mehrere Märsche und Massenkundgebungen in Warschau) spielten mangelnde  Entschädigungen für Wildschäden eine wichtige Rolle, was viele Unbeteiligte in Staunen versetzte.

Vom Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“) am 10. Februar 2015 danach gefragt, ob das wirklich solch ein groβes Problem sei, antwortete der Bauernpolitiker und Agrarier Artur Balazs:

„Das ist ein unvorstellbarer Skandal! Sämtliche Folgen der Wildschäden tragen praktisch die Bauern. Ich sage das aus voller Überzeugung. Die Schäden werden nämlich von den Jägern geschätzt, da kann man nicht erwarten, dass sie zu ihrem Nachteil handeln. Die Schätzung wird von demjenigen vorgenommen, der den Schaden zu verantworten hat und die Entschädigung zahlen soll. Das muss man sich erst einmal vorstellen! Die Schäden, die Wildschweine und Hirsche in ganz Polen verursachen sind immens, und Wiedergutmachungen gibt es nicht oder sie sind symbolischer Natur. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem eine neue gesetzliche Lösung erforderlich ist, damit ein Bauer nicht gegen Jagdpächter-Vereinigungen prozessieren muss, die ihre eigenen Anwälte haben, dazu vor Richtern, die nicht selten selbst Jäger sind“.

Im Jahr 2009 beliefen sich die Verluste, die geschützte Tiere (Elche, Wisente, Bieber und Wölfe) der Landwirtschaft zufügten auf 7,3 Mio. Zloty (ca. 1,8 Mio. Euro). 2013 waren es bereits 16 Mio. Zloty (ca. 3,9 Mio. Euro) und 2014 –  16,5 Mio. (gut 4 Mio. Euro). Dafür haftet der Staat, doch die geschädigten Landwirte klagen, er komme seinen Verpflichtungen nur zögerlich nach, und beschweren sich über Zahlungsrückstände.

Um ein Vielfaches höher sind Schäden, die diese Tiere in den Staatswäldern (ca. 80% der 9,1 Mio. ha Wald in Polen sind staatlich) anrichten. Vor allem Elche und Bieber haben im Jahr 2014  etwa 20.000 ha Wald zu vierzig und mehr Prozent vernichtet. Seitens der staatlichen Forstverwaltung heiβt es, es sei unmöglich die Schäden genauer zu beziffern. Jedenfalls gibt der Staatsforst allein für Schutzmaβnahmen gegen Wild pro Jahr etwa 135 Mio. Zloty (ca. 33 Mio. Euro) aus.

Immer mehr Schäden in der Landwirtschaft richtet jedoch auch das Jagdwild an. Hier sind es vor allem die Wildschweine. Während der Aussaat ernähren sie sich von Saatkartoffeln und Saatgetreide (Weizen, Mais). Enorm ist der Schaden, den Wildschweine an reifen Feldfrüchten verursachen, insbesondere an Kartoffeln, Weizen, Hafer und Mais. Hinzu kommen die von Wildschweinen verursachten Wiesenschäden. Die Tiere streben, insbesondere im Frühjahr, auf die Wiesen und Weiden und  wühlen die Flächen um, auf der Suche nach Engerlingen und Mäusen, um so ihren Eiweiβbedarf zu decken.

Für diese Schäden müssen die örtlichen Jagdpächter-Vereinigungen aufkommen. Im Jahr 2014 haben sie in ganz Polen den Landwirten 64 Mio. Zloty (ca. 16 Mio. Euro) gezahlt. Das Geld fließt aus den Mitgliedsbeiträgen und aus dem Erlös für erlegtes Wild. Die Wildpreise stagnieren jedoch und die Beiträge sind bereits hoch. Derweil steigen die Ausgaben für Entschädigungen kontinuierlich, weil die Zahl der Wildschweine wächst. Ursache dafür sind vor allem die mildem Winter und der zunehmend angebaute Mais, der die Vermehrungsfreudigkeit der Tiere erheblich steigert.

Während des ganzen Sommers 2014 protestierten vor allem Bauern aus der Gegend um Białystok, im Nordosten des Landes, um die Behörden auf die Wildschweinplage aufmerksam zu machen. Ein Beispiel von vielen ist der Vierhundert-Hektar-Betrieb Marcin Szarejkos, aus dem Ort Kolonia Zabludow, dem die Tiere im Sommer 2014 Mais im Wert von 90.000 Zloty (ca. 22.000 Euro) vernichtet haben. Die örtliche Jagdpächter-Vereinigung ist knapp bei Kasse und konnte ihm gerade mal 17.000 Zloty (ca. 4200 Euro) Entschädigung zahlen.

Kein Wunder, dass Szarejko und andere Bauern lautstark eine Dezimierung des rapide steigenden Wildschweinbestandes forderten, bis die Behörden, trotz der Appelle und Proteste von Naturschützern, alle Jagd-Einschränkungen aufgehoben haben. Immerhin hatte sich der Bestand der Tiere in Polen zwischen 2000 und 2012 von 118.000 auf 255.000 erhöht. Zum Abschuss freigegeben wurden daher auch Kleintiere und trächtige Säue. Zwischen Juli 2014 und Februar 2015 sind in ganz Polen 8000 Wildschweine erlegt worden.

Das Vorhaben dauert an,  stöβt  jedoch auf Widerstand bei den Jägern. Im Internetforum der Polnischen Jägervereinigung ist u. a. zu lesen: „Der Anblick von Föten, die aus dem Bauch einer trächtigen Sau herausgenommen werden oder der Anblick von Ferkeln, die orientierungslos herumlaufen wenn sich die Sau nicht mehr bewegt, ist nicht zu ertragen. Das mache ich nicht mit“.

Ähnlich groβe Probleme wie die starke Verbreitung der Wildschweine bereitet der Biber, dessen Bestand von 235 Stück im Jahr 1928 inzwischen auf etwa 80.000 angestiegen ist. Die arbeitswütigen Nager vernichten immer gröβere Waldflächen. Unter Kühen und Landmaschinen bricht der von Bibern untertunnelte Boden ein, das von Bibern gestaute Wasser überschwemmt Felder, Deiche werden zerwühlt. Mittlerweile erteilen Behörden Genehmigungen Biberbaue- und Dämme abzutragen. Die Tiere werden zum Abschuss freigegeben. Jedoch sind Biber sehr wachsam, intelligent, flink und deswegen schwer zu bejagen, was dazu führt, dass die Abschussquoten meistens nicht ausgeschöpft werden. Viel wirksamer sind Fallen.

© RdP

     

Mai 2014. Wildschweine auf einem polnischen Acker, auf dem Mais ausgesät wurde.