Handel am Sonntag

Kirchen und Gewerkschaften geben zu bedenken.

Am Sontag frei zu haben, davon können viele polnische Arbeitnehmer nur träumen. Am Ende der diesjährigen Woche der Gebete um die Einigkeit der Christen (18. – 25. Januar 2015), einer der wichtigsten ökumenischen Veranstaltungen im Lande, riefen die Vertreter der katholischen, mehrerer protestantischer und der orthodoxen Kirchen dazu auf, dem Sonntag seinen besonderen Charakter zurückzugeben. Die Auseinandersetzung um den arbeitsfreien Sonntag, vor allem im Handel, ist somit um eine Facette reicher geworden.

Die polnische Verfassung schweigt dazu, das Arbeitsgesetzbuch stellt fest:

Art. 151: „Arbeitsfreie Tage sind Sonntage sowie gesetzliche Feiertage, die in den Vorschriften über arbeitsfreie Tage festgelegt worden sind“.

Art. 151 §1: „Die Arbeit an gesetzlichen Feiertagen im Handel ist nicht erlaubt“

Art. 151 §2: „Die Regelung in §1 wird auch dann angewandt, wenn der gesetzliche Feiertag auf einen Sonntag fällt.“

Art. 151 §3: „Sonntagsarbeit im Handel ist erlaubt bei Ausübung von Tätigkeiten von sozialer Nützlichkeit und bei der Befriedigung tagtäglicher Bedürfnisse der Bevölkerung“.

Für den durchgearbeiteten Sonntag, ob im Handel, in der Gastronomie, im Hotelwesen, auf der Tankstelle usw., sollte innerhalb von sechs darauffolgenden Arbeitstagen ein freier Tag gewährt werden. Ist das nicht möglich, werden 100% Zuschlag bezahlt.

Wer aus dem deutschsprachigen Raum nach Polen kommt, wundert sich manchmal. Am Sonntag haben alle grossen Geschäfte geöffnet, ungezügelt blüht der Handel, bis vor gar nicht allzu langer Zeit tat er es sogar an 365 Tagen im Jahr.

Erst 2007 gelang es der Regierung Jarosław Kaczyńskis, trotz Sturmfeuer der liberalen Medien und unzähliger Herolde der freien Marktwirtschaft, den Art. 151 §1 ins Arbeitsgesetzbuch zu bringen, und so den Angestellten im Handel wenigstens an gesetzlichen Feiertagen frei zu geben. Bis dahin arbeiteten alle Discounter-Ketten, Baumärkte, Möbelhäuser usw. auch an Allerheiligen, an Weihnachten, Ostern, Neujahr. Jetzt dürfen an den 13 gesetzlichen Feiertagen in Polen nur die Geschäfte öffnen, deren Eigentümer oder ihre Familien sich hinter den Ladentisch stellen.

Die Sonntagsarbeit im Handel bleibt ein ständig wiederkehrendes Thema der politischen Auseinandersetzung. Ihrem Ziel am nächsten waren die Befürworter des arbeitsfreien Sonntags im Jahr 2001. Damals verabschiedete das Wahlbündnis Solidarność (AWS; eine inzwischen längst Geschichte gewordene Allianz der Gewerkschaft und einiger dutzend konservativer und liberalkonservativer Kleinparteien, die Polen zwischen 2001 und 2005 regierte) eine entsprechende Novelle im Arbeitsgesetzbuch. Der damalige, wie es hieβ, linke Staatspräsident, der Postkommunist Aleksander Kwaśniewski legte dagegen sein Veto ein, und das Wahlbündnis Solidarność besaß nicht die erforderliche 3/5 Mehrheit, um dieses Veto im Sejm niederzustimmen. Aldi, Lidl, Netto, die portugiesische Discounter-Kette Biedronka (Maikäfer), Praktiker, Rossmann u. a. konnten aufatmen.

Das letzte Mal, bis jetzt, stand die Sonntagsarbeit im März 2014 auf der Tagesordnung des Sejm. Mit den Stimmen der Regierungskoalition Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL), unterstützt von den „regierungsnahen“ Oppositonsparteien, den Postkommunisten und der rabiaten Palikot-Bewegung, wurden zwei Gesetzesvorschläge abgelehnt. Der eine entstand durch eine Bürgerinitiative und wurde von gut 120 000 Menschen unterschrieben, den anderen brachte Recht und Gerechtigkeit (PiS) ein.

Die Befürworter der Sonntagsarbeit in Politik und Wirtschaft behaupten, dass ihre Abschaffung zu Entlassungen im Handel und zur Drosselung des Wirtschaftswachstums führen wird. Der Polnische Verband für Handel und Distribution (POHiD), der Dachverband der groβen Handelsketten, sieht darin zudem eine Einschränkung der Gewerbefreiheit. Laut Meinungsumfragen sind 51% der Polen für die Beibehaltung des Sonntagshandels, 38% sind dagegen, 32% sagen, dass sie aus Prinzip am Sonntag nicht einkaufen. Dennoch: vor allem Ladengalerien, wo es Geschäfte, viel Gastronomie und Kinos gibt, sind an Sonntagen überlaufen.

„In einem Land, in dem mehr als 90% der Bürger sich als Katholiken betrachten, wird der Sonntag inzwischen als ein Tag angesehen, der sich genauso gut für die Erledigung tagtäglicher Angelegenheiten eignet, wie jeder andere. Sehr aussagekräftig und tragisch zugleich ist, dass ein verstärktes Kundenaufkommen in den Supermärkten unmittelbar nach jedem abgehaltenen Sonntagsgottesdienst einsetzt. Man kann verstehen, dass eine Generation die im Schatten leerer Regale aufgewachsen ist, sich an der Gewerbefreiheit und am Konsum berauscht. Fernsehen und Einkaufen mit der ganzen Familie gehören heute zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Polen. Nur, warum muss das auf Kosten des sakralen Charakters des Sonntages gehen?“, ist auf der Internetseite der „Allianz für einen freien Sonntag“ (Przymierze na rzecz wolnej niedzieli) zu lesen.

Als im März 2014 der damalige Ministerpräsident Tusk freie Sonntage für Angestellte im Handel kategorisch ablehnte, sprach er im Namen seiner Wähler, der viel bewunderten, neuen Mittelklasse. Auf den Internetforen konnte man u. a. lesen:

„Bravo! Tusk hat den Hierarchen der katholischen Kirche, den Fanatikern und den arbeitsscheuen Parasiten Einhalt geboten.“

„Niemand wird mit vorschreiben, wann ich in die Läden gehen darf. Ich arbeite an Wochentagen bis 17 Uhr und bin dann müde.”

„Einkaufen am Sonntag, das ist für mich das wichtigste. Ich arbeite meistens zehn Stunden lang, abends muss man sich um die Kinder kümmern. Am Wochenende fahren wir meistes zu den Eltern und machen am Sonntagabend auf dem Rückweg Einkäufe für die ganze Woche. Wenn jemandem das nicht gefällt, dann soll er den Job wechseln. Warum soll ausgerechnet ich meinen Wochenplan ändern?“ © RdP

Die Auseinandersetzung dauert an. Für den arbeitsfreien Sonntag setzten sich Kirche, etliche katholische Laieninitiativen und die Gewerkschaft Solidarność ein.

Alfred Bujara
Alfred Bujara

Alfred Bujara ist Solidarność-Vorsitzender der Sparte Handel, Banken und Versicherungen. Die Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“), sprach mit ihm am 5. Januar 2015, noch vor dem Aufruf der Kirchen.

Frage: „Solidarność“ kämpft seit langem um ein Verbot des Handels an Sonntagen. Gegner dieser Idee behaupten, dass ihre Umsetzung zu einem Umsatzrückgang im Handel und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen würde.

Bujara: Jetzt haben wir ein von Gesetzes wegen eingeführtes Handelsverbot an 13 Feiertagen im Jahr und man kann nicht sagen, dass das den Handel negativ beeinflusst hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Im Jahr 2012 fiel der Feiertag Hl. Drei Könige auf einen Sonntag, der aus diesem Grund handelsfrei sein musste. Wir haben damals eine Untersuchung durchgeführt und es stellte sich heraus, dass an dem vorangegangenen Freitag und Samstag die Umsätze in den Geschäften um 5 bis 6% höher waren als an dem darauffolgenden Freitag, Samstag und Sonntag. Genauso war es vor dem Pfingstsonntag. Wie man sieht, verursachen die arbeitsfreien Tage im Handel einen Anstieg der Umsätze in den Läden, weil die Kunden auf Vorrat kaufen. Unserer Meinung nach würde ein arbeitsfreier Sonntag im Handel in den ersten zwei Jahren einen Umsatzanstieg nach sich ziehen. (…)

Frage: Warum überzeugen diese Argumente die Politiker und vor allem die Eigentümer der groβen ausländischen Handelsketten nicht?

Bujara: Es gibt keinen politischen Willen dazu. Dieses Parlament wird das Verbot von Sonntagsarbeit im Handel nicht mehr einführen, aber wir hoffen darauf, dass es nach den Wahlen dazu kommen wird, wenn sich die Zusammensetzung von Sejm und Senat ändern werden. Wir haben Verständnis für die Gewohnheiten der Kunden, und deswegen fordern wir nicht den Handel gleich an allen Sonntagen einzustellen. Am Anfang könnte man z. B. zwei freie Sonntage im Monat einführen. Selbstverständlich gäbe es einige Sonntage im Jahr, so z.B. vor den Weihnachts- und Osterfeiertagen, an denen der Handel stattfinden könnte.

Frage: Die Einführung der arbeitsfreien Sonntage liegt den Angestellten im Handel am Herzen?

Bujara: Ja, sie weisen immer wieder darauf hin. Die Angestellten wollen kein zusätzliches Geld, worauf noch vor einigen Jahren immer wieder verwiesen wurde, sondern fragen uns, was denn mit den arbeitsfreien Sonntagen sei. (…) 90% der Angestellten in dieser Branche, zumeist sind es Frauen mit Kindern, belastet am meisten, dass sie ihre Familien am Sonntag allein lassen müssen. Sonntagsarbeit ist für die Angestellten das mit Abstand gröβte Problem. Das darf man nicht ignorieren.“

RdP




Obama von Słupsk

Homosexueller wird Bürgermeister. Na und?

Unter dem Titel „Obama von Słupsk“ veröffentlichte die Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) vom 20-21.12.2014 einen Artikel von Piotr Kobalczyk über die Wahl von Robert Biedroń (Jg. 1976) zum Bürgermeister der 90.000-Einwohner-Kreisstadt Słupsk/Stolp nahe der Ostseeküste. Biedroń bekennt sich offen zu seiner Homosexualität. Sein Sieg war in den deutschsprachigen Medien die wichtigste Nachricht zu den polnischen Kommunalwahlen von Ende November 2014. Das Chaos, in dem sie mündeten, die groben Miβstände, die sie kennzeichneten und die politische Krise, die sie hervorriefen, waren für sie keiner einzigen ernsthaften Analyse wert.

In Polen selbst hat Biedrońs Wahl für weit weniger Aufregung gesorgt. Immerhin hatte das im deutschsprachigen Raum stets als „konservativ“, „erzkatholisch“, „intolerant“ oder „muffig“ (wie die SZ vom 27.11.2014 schrieb), dargestellte Polen, bereits 1992 eine Frau (Hanna Suchocka) als Regierungschefin, dreizehn Jahre früher als Deutschland. Ebenfalls 1992 wurde Hanna Gronkiewicz-Waltz polnische Nationalbankpräsidentin, was der Bundesbank bis heute nicht widerfahren ist. Vergeblich sucht man im Bundestag bis heute nach Transsexuellen oder Schwarzafrikanern. Im polnischen Sejm waren sie immerhin zwischen 2011 und 2015 durch die Personen von Anna Grodzka und John Godson, einem Nigerianer, der seit 2000 die polnische Staatangehörigkeit besitzt, vertreten.

Sejm-Abgeordnete Anna Grodzka
Sejm-Abgeordnete Anna Grodzka

Sejm-Abgeordneter John Godson
Sejm-Abgeordneter John Godson

Peinliche Bemerkungen über Abgeordneten-Hintern

Nach den Parlamentswahlen von 2011 zog auch Robert Biedroń, in den Reihen der rabiat antiklerikalen Palikot-Bewegung des berüchtigten Polit-Clowns Janusz Palikot, in den Sejm ein. Der bekannte politische Kommentator Robert Mazurek beschrieb im Internetportal „wPolityce.pl“ („inder.Politik.pl“) am 3.12.2014 die Anfänge von Biedrońs politischer Karriere so:

„Ich erinnere mich an den Herbst 2011. Zusammen mit Palikots Haufen zog auch der angehende Promi in den Sejm ein. Es war ein peinlicher Anblick: breites Lächeln und eine grenzenlose Leere im Kopf. Der angehende Dr. der Politologie wusste damals nicht einmal was der Senioren-Konvent (vergleichbar mit dem Ältestenrat des Bundestages – Anm. RdP) sei“.

Hinzu kamen „seine vor laufenden Kameras gemachten peinlichen Bemerkungen über die Abgeordneten-Hintern, die ihn am meisten beeindruckt haben, und über das Anmachen von gut aussehenden Politikern“, erinnert sich Mazurek, und fährt fort: „Nebenbei bemerkt fällt es leicht sich auszumalen, was einem konservativen Abgeordneten medial widerfahren würde, wenn er sich dermaβen anzüglich über Busen und Hinterbacken seiner Abgeordneten-Kolleginnen öffentlich ausgelassen hätte.“

Später „wurde es nicht besser. Immer mehr Interviews, immer blödere Fernsehsendungen“, in denen er sich zeigte, „immer mehr Flitter. So wurde Biedroń groß – ein Politiker, der nur deswegen bekannt ist, weil er bekannt ist, ultrafortschrittlich, lächelnd, von den Mainstreammedien verehrt.“

Dann aber, so Mazurek, begann sich etwas zu ändern. Biedroń erwies sich als lernfähig, lieβ sich vom Bazillus der ernsthaften Politik anstecken, zeigte sich zunehmend als ein „fleiβiger und durchaus kompetenter Abgeordneter, der sich in die Arbeit der parlamentarischen Ausschüsse für Justiz und Auβenpolitik einbrachte “, immer mehr darum bemüht, das Image des Homo-Vorkämpfers abzulegen.

Um seinem wachsenden Gefallen am Politikmachen weiterhin frönen zu können, musste er sich allerdings etwas Neues einfallen lassen, denn die Palikot-Bewegung, mit der er ins Parlament kam, ist heute politisch tot, hatte keine Chance bei den Parlamentswahlen 2015 noch einmal über die 5%-Hürde zu kommen und in den Sejm zu gelangen.

Auch wenn er im Sejm drei Jahre lang den Wahlkreis Słupsk vertrat, mietete sich Biedroń erst kurz vor den Kommunalwahlen vom November 2014 dort eine Wohnung, gründete die Wählerliste „Endlich ein Wechsel“ und zog mit einem Minibudget in den politischen Kampf um das Bürgermeisteramt. In die zweite Runde gelangte er mit einem minimalen Vorsprung von 498 Stimmen gegenüber dem örtlichen nationalkonservativen PiS-Kandidaten und weit abgeschlagen hinter dem Favoriten von der regierenden Bürgerplattform (PO). Doch Biedroń, so Mazurek, „ackerte wie ein Gaul und gewann“ zwei Wochen später die Stichwahl.

Robert Biedroń in Słupsk im Kommunalwahlkampf, November 2014
Robert Biedroń in Słupsk im Kommunalwahlkampf, November 2014

Bezeichnend war, dass der bis vor kurzem noch rabiat antiklerikale Biedroń, der lautstark die Abnahme des Kruzifixes von der Stirnwand im Plenarsaal des Sejm forderte, nun beteuerte, er werde auf keinen Fall das Kreuz und das Portrait des hl. Johannes-Paul II. aus seinem Słupsker Amtszimmer entfernen lassen. Auch werde er keinen Sex-Anleitunsunterricht in den Słupsker Schulen fördern und keine Gay-Pride-Paraden veranstalten.

Was von Biedrońs Versprechungen nach knapp zwei Jahren üriggeblieben ist, lesen Sie hier.

Man sieht, schreibt Mazurek, „dass er sich sehr bemüht, den Ruf einer männlichen Skandalnudel und eines Exzentrikers los zu werden. Wie weit wird diese Wandlung gehen? Eine gute Frage… Ich habe keine Ahnung, ob Biedroń ein guter Bürgermeister sein wird. Bis jetzt ist jedenfalls über seine Fähigkeiten innerhalb der Verwaltung nichts bekannt“, lautet sein Fazit.

Warum also hat Biedroń gewonnen?

Kommentatoren nennen mehrere Gründe:

1.Die Obama-Methode

Piotr Lisiewicz zitiert in der Wochenzeitung „Gazeta Polska“ („Polnische Zeitung“) vom 17.12.2014 eine Überschrift aus der Regionalpresse von vor der Komunalwahl: „Skandal an höchsten Stellen in Słupsk: Bürgermeister beteuert, mit Abfackeln von zwei Autos seiner Konkurrenten nichts zu tun zu haben“. Solche Schlagzeilen sagen viel aus über das politische Klima in der Stadt.

„Zweimal gab es in den letzten Jahren in Słupsk Volksbefragungen über die Abberufung des bisher seit 12 Jahren amtierenden Bürgermeisters, eines Altkommunisten, der durch Filz und Vetternwirtschaft die Stadt in Schach hielt. Beide Male scheiterten die Befragungen an unzureichender Beteiligung“, erinnert in der „Rzeczpospolita“ der eingangs erwähnte Piotr Kobalczyk.

„Biedroń gewann in Słupsk nicht weil er schwul ist. Er gewann trotzdem. Er gewann, weil er nicht von hier ist“, lautet die nüchterne Diagnose von Joanna Podgórska in der Wochenzeitung der postkommunistischen Linken „Polityka“ vom 9.12.2014.

Biedrońs Verheiβung „Endlich ein Wechsel“ fiel auf einen fruchtbaren Boden, wie einst das berühmte „Change“ von Barack Obama.

Seine Gegenkandidaten beeindruckten durch Kenntnis der örtlichen Probleme und warfen Biedroń vor, er habe davon keine Ahnung. Biedrońs Antwort: „Sie kennen sich gut aus, und dennoch ist es um die Stadt so schlecht bestellt“, traf ins Schwarze.

2. Rebellion der Verzweifelten

Ruin und Abwicklung der Słupsker Groβbetriebe aus kommunistischer Zeit, massenweise Abwanderung junger Menschen zur Arbeit ins Ausland, Stagnation und Perspektivlosigkeit, die vordergründig durch renovierte Fassaden und neue Ladenzeilen kaschiert wurden. Das alles mündete im Januar 1998 in tagelangen Krawallen und Barrikadenkämpfen (22 zerstörte Polizeiautos, 72 verwundete Polizisten, 240 Festnahmen).

Der Auslöser: ein Polizist hatte einen 13jährigen Basketballfan auf offener Straβe zu Tode geprügelt. Die in Słupsk seit 1945 ansässige kommunistische Milizschule, nach 1989 in Polizeischule umbenannt, der gröβte Arbeitgeber vor Ort, und ihre entfesselten Beamten, hatten noch lange nach der Wende in der Stadt, nach alter Manier, für Ruhe und Ordnung „gesorgt“. Ob ein Blechschaden am Auto, ein Streit in der Kneipe, ein Strafzettel oder eine Festnahme, die Uniformierten waren immer im Recht, und wer nicht spurte, der wurde weichgeprügelt und wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt angezeigt. Staatsanwaltschaft und Gerichte sorgten für Rückendeckung. Was Wunder, dass die Krawalle von 1998 einem Volksaufstand glichen, bei dem ältere Frauen Polizisten von Balkonen mit Blumentöpfen bewarfen.

Schwere Krawalle in Słupsk 1998
Schwere Krawalle in Słupsk 1998

Piotr Lisiewicz erinnert in der „Gazeta Polska“ an diese Ereignisse und schreibt über Biedrońs Sieg: „Słupsk hat wieder einmal rebelliert“. Die Polizeiwillkür wurde nach 1998 eingedämmt, aber alle anderen Probleme sind geblieben. „Die Einwohner von Słupsk haben es sich so vorgestellt: sie wählen einen Bürgermeister von Auβerhalb, und der bringt in einem Bus eine Crew von Fachleuten mit, die die Stadt verwalten werden. Der Unmut über den lokalen Klüngel, der Wunsch ihn um jeden Preis davonzujagen, haben alle anderen Argumente in den Schatten gestellt. Darum haben sie Biedroń gewählt.“

3. Geblendet und erpresst

„Słupsk wurde auf gewisse Weise erpresst“, schreibt Piotr Kobalczyk in der “Rzeczpospolita“. „Machen wir uns nichts vor. Von Anfang an wurde in den Mainstream-Medien unterschwellig die Botschaft verkündet, dass Słupsk eine Prüfung in Toleranz ablegt. In wie weit sind die Menschen dort europäisch und fortschrittlich.“

Und dazu der Medienrummel. „Die Übertragungswagen groβer TV-Sender kamen erst dann, als Biedroń erschien. Alles was vor Biedroń war, war plötzlich langweilig und veraltet. Alles was mit ihm kam, war modern und spannend“. Plötzlich redeten sie sogar in Amerika über Słupsk.

Biedroń belagert von den Medien nach der Wahlentscheidung im November 2014
Biedroń belagert von den Medien nach der Wahlentscheidung im November 2014

Kobalczyks Fazit: „War Biedrońs Wahl zum Bürgermeister ein Beleg für Eigensinn, Offenheit, oder ein Ausdruck gefühlter provinzieller Minderwertigkeit? Oder ist die Antwort viel banaler: viele Einwohner von Słupsk haben einem in der Welt bekannten Schwulen, einem Polit-Promi ihre Stimme gegeben, damit ihre Stadt, sei es nur für kurze Zeit, automatisch in eine andere, bessere Liga aufgenommen wird?“

Wie geht es weiter?

Die Prosa des Lebens wird auch den neuen Bürgermeister bald einholen. Biedroń kommt mit dem Fahrrad ins Amt. Die zwei Dienstwagen im Rathaus sind abgeschafft, ebenso das Mineralwasser im Konferenzsaal, harte Sparmaβnahmen sollen die Ausgaben der Stadt um 5 Mio. Zloty (ca. 1,2 Mio. Euro) senken. Auf Biedrońs Anregung soll ab Mai eine Mieterhöhung um 10% in allen sechstausend städtischen Wohnungen in Kraft treten. Schon heute sind knapp viertausend städtische Mieter in Słupsk mit ihren Zahlungen im Rückstand.Im Dezember 2014 belief sich dieser Zahlungsrückstand auf insgesamt 17 Mio. Zloty (gut 4 Mio. Euro), davon gut 2 Mio. Zloty (knapp 0,5 Mio. Euro) Zinsen. Wird das gutgehen?

Der erhoffte Bus mit Fachleuten jedenfalls, ist nicht eingetroffen. Robert Biedroń ist in Słupsk ein politischer Einzelgänger, er braucht einen Apparat zum Regieren und Verwalten. In den Internetforen wurden sie bereits bemerkt: die vielen alten Kader aus dem bisherigen Klüngel, die er notgedrungen zu seinen engsten Mitarbeitern gemacht hat.

Biedroń hat den Menschen in Słupsk einen fundamentalen Wandel versprochen. Wird er sich, wie Obama, schon bald der politischen Wirklichkeit unterwerfen müssen? Und wird er, sollte er politisch scheitern, die „Homophobie“ dafür verantwortlich machen?

Polen “mit einem starken, katholisch geprägten Konservatismus“ wird in Deutschland (wie z. B. in der Tageszeitung „Die Welt“ vom 22.12.2014) stets und gerne eine kollektive Phobie (wörtlich: krankhafte Angst, Angstneurose, Abneigung, Ekel) in Bezug auf Homosexuelle unterstellt. Zwar wurde der Schwulenparagraph, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, in Polen bereits 1932 abgeschafft (in Deutschland erst 62 Jahre später), zwar gaben 2013 nur etwa 25% der Befragten Polen an, dass sie Homosexualität für „nicht normal“ halten, aber der erhobene deutsche Zeigefinger senkt sich deswegen um keinen Millimeter. Toleranz muss man den Polen „einbimsen“, verkündet „Die Welt“.

Biedroń war vor 2011, vor seiner Abgeordneten-Zeit also, Chef der „Kampagne gegen die Homophobie“, einer Organisation, die gegen die Diskriminierung von Homosexuellen kämpft. In einer ihrer Broschüren mit dem Titel „Regenbogen-Fibel oder (fast) alles, was Ihr über Schwule und Lesben wissen wollt“ schrieb er über die Entkriminalisierung der Homosexualität in Polen 1932, wie folgt:
„Dieses für seine Zeit moderne Strafgesetzbuch (…) bewirkte, dass, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, Homosexuelle durch das polnische Strafrecht nicht mehr verfolgt wurden. Das schuf eine zweideutige und kuriose Situation. Einerseits war es gut, dass homosexuelle Handlungen nicht mehr bestraft wurden, andererseits jedoch verschwanden Homosexuelle durch die Entkriminalisierung aus dem öffentlichen Raum und damit aus dem menschlichen Bewusstsein“ (Unterstreichung RdP).

Kurz gesagt: dass Homosexuelle in Polen nicht verfolgt wurden, war eine Art der Verfolgung, denn man schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit. So gesehen hatten es die deutschen Homosexuellen besser.

Die Zeitung „Rzeczpospolita“ vom 2.12.2014 sprach, vor dem Hintergrund der Biedroń-Wahl, den Krakauer Politologen Jacek Kloczkowski darauf an. Seine Antwort: „Es gibt unter den Polen solche, die Homosexuelle einfach nicht mögen, wozu sie im Übrigen ein Recht haben“, so lange sie nicht gegen das Strafgesetzbuch verstoβen. „Es gibt die Mehrheit, der die Schwulen egal sind, so lange sie nicht von aggressiven Schwulen-Propagandakampagnen behelligt werden“, weil sie der Meinung sind, dass sexuelle Vorlieben nur in die Privatsphäre gehören. „Es gibt welche, die Mitleid mit Schwulen haben und solche, die sie mögen. Die polnische Gesellschaft unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von vielen anderen in Europa.“ Die Toleranz in dieser Hinsicht ist eindeutig vorherrschend, die Akzeptanz nicht, so die These des Wissenschaftlers.

© RdP




Der Leichtsinn der Opfer

Schattenbanken und Finanzpyramiden.

Die Vermutung, die Amber-Gold-Affäre, die das Land im Sommer 2012 erschütterte, würde die Polen von riskanten Geldanlagen bei Schattenbanken und in Finanzpyramiden abhalten, hat sich als falsch erwiesen.

Zur Amber-Gold-Affäre empfehlen wir Ihnen die folgende Sendung

Die Staatsanwaltschaft wird mit Strafanzeigen gegen solche Firmen geradezu überhäuft. 2013 wurden 92 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bis Mitte 2014 sind weitere 20 hinzugekommen.

Sławomir W. von der Orcan Software Investment AG in Gdańsk versprach seinen Kunden eine monatliche Verzinsung von 1,5 bis 2,5%. Bei einer Inflationsrate, die sich in Polen zu jener Zeit auf dem Niveau von 0,3 bis 0,2% eingependelt hat, ein verlockendes Angebot. Und Willige gab es genug. Sie zahlten ein, W. wollte das Geld auf dem Devisenmarkt vermehren. Doch anstatt satte Gewinne einzustreichen, verloren 47 Personen insgesamt 7,7 Mio. Zloty (ca. 1,9 Mio. Euro). Mitte 2014 wurde gegen W. Anklage wegen schweren Betruges erhoben.

Firmen, wie Orcan gibt es Hunderte. Zehntausende von Menschen sind ihre Kunden. Genaue Zahlen kennt niemand. – Die Anreize sind immer noch dieselben. Vor allem lockt das Versprechen, garantiert und regelmäβig hohe Gewinne ausgeschüttet zu bekommen – erläutert Maciej Krzysztoszek von der Finanzaufsichtskommission (KNF), der obersten polnischen Finanzaufsichtsbehörde und somit die polnische Entsprechung der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

Die KNF hat im Augenblick 56 Firmen auf ihrer schwarzen Liste, die Bankdienstleistungen ohne entsprechende Genehmigung anbieten. Die Kunden wurden um beachtliche Summen geprellt. In den 32 Fällen, in denen 2013 Anklage erhoben wurde, haben, nach amtlichen Berechnungen, 1.400 Personen, 21 Mio. Zloty (ca. 5,2 Mio. Euro) verloren. Jeder dieser Pechvögel musste im Durchschnitt den Verlust von umgerechnet knapp 4.000 Euro verschmerzen. Die Betroffenen selbst geben in ihren Anzeigen wesentlich höhere Verluste an. Während 2007 noch Verluste in Höhe von 168 Mio. Zloty (etwa 41 Mio. Euro) angezeigt wurden, waren es 2012 bereits 2,1 Mrd. Zloty, also gut 500 Mio. Euro.

Einziger Trost: immer öfter landen die Betrüger vor Gericht. Gut dreiviertel der Anzeigen führen zu einer Anklage, noch vor drei Jahren waren es nur ein Drittel der Anzeigen. Die Untersuchungsverfahren verlaufen effizienter, vor allem, weil sie inzwischen durchweg bei den Bezirksstaatsanwaltschaften (zweite Stufe der dreistufigen polnischen staatsanwaltschaftlichen Hierarchie) angesiedelt sind, und weil Verfahren, die sich mit Vergehen einer Firma an mehreren Orten landesweit befassen, inzwischen bei einer Bezirksstaatsanwaltschaft zusammengefasst werden. Immer seltener werden Verfahren eingestellt. 2013 waren es nur 11, während es 2011 immerhin noch 30 Verfahren waren. – Jetzt handelt es sich durchweg um Anklagen wegen Betrugs, früher hingegen überwogen viel mildere Anklagen, wie z.B. wegen berufsmäβiger Finanztätigkeit ohne Lizenz – so Staatsanwalt Zdzisłąw Brodzisz von der Generalstaatsanwaltschaft in Warschau, der die neuesten Angaben in Sachen betrügerische Finanztätigkeit in Polen zu einem amtlichen Bericht zusammengefasst hat.

Auch die KNF deckt viel zielstrebiger die betrügerischen Unternehmen auf. Jede vierte Anzeige kommt inzwischen von der Behörde.

Von den 92 im Jahre 2013 eingeleiteten Untersuchungsverfahren, betrafen 76 unlautere, bankenähnliche Delikte, und 16 Finanzpyramiden. Die meisten Fälle haben die Staatsanwaltschaften in Warschau, Wrocław, Gdańsk und Katowice zu bearbeiten.

Die Betreiber von Finanzpyramiden preisen künftige hohe Gewinne an und treiben so viele Gelder wie möglich ein. Mit den Geldern nachfolgender Anleger kommen sie am Anfang oft ihren Verpflichtungen gegenüber den Einlegern der ersten Stunde nach, um so Glaubwürdigkeit vorzutäuschen, und anschließend irgendwann mit dem Geld zu verschwinden. Schattenbanken hingegen versprechen Kredite, die sie von der Zahlung hoher Abschlussgebühren abhängig machen. Nach deren Zahlung verweigern sie jedoch, unter Berufung auf fadenscheinige Gründe, anschlieβend die Kreditgewährung , die Gebühren behalten sie jedoch ein.

In Poznań stehen neun Mitarbeiter der miteinander verwobenen Firmen „Prominent CF“, „Multikredyt“ und Centrum Finansowe „Progresja“ vor Gericht, die etwa 600 Personen auf diese Art um 1,8 Mio. Zloty (ca. 450.000 Euro) geprellt haben sollen. Das gröβte Verfahren jedoch läuft im Augenblick in Gdańsk gegen die Polska Korporacja Finansowa „Skarbiec“ („Schatzkammer“), die durch Nichtgewährung von Krediten etwa 60 Tausend ihrer Kunden um 150 Mio. Zloty (ca. 37 Mio. Euro) betrogen hat. Um noch erfolgreicher zu agieren, taufte sich die Korporacja gegen Ende ihrer Tätigkeit in „Pomocna pożyczka“ – „Helfendes Darlehen“ um.

© RdP




Windparks im Sumpf

Saubere Energie, schmutzige Geschäfte.

Immer mehr Windräder ragen aus der polnischen Landschaft. Ende 2014 gab es im Land 37 Windparks mit 627 Windrädern, die 3,5% des in Polen erzeugten Stroms herstellten.

Wie sehr die saubere Energie durch Korruption, Missachtung der Anwohner, übermäβige Lärmerzeugung und mangelnde technische Überwachung belastetet ist, das zeigte der Ende Juli 2014 veröffentlichte Prüfbericht der Obersten Kontrollkammer (Najwyższa Izba Kontroli – NIK).

Sitz der Obersten Kontrollkammer in der Warschuer Filtrowastrasse
Sitz der Obersten Kontrollkammer in Warschau

NIK ist der oberste polnische Rechnungshof, das höchste Organ der staatlichen Kontrolle im Staat und untersteht dem Sejm. Sie überprüft die Tätigkeit der Organe der Regierungsverwaltung, der Nationalbank, staatliche juristischer Personen und anderer staatlicher Organisationseinheiten unter den Gesichtspunkten der Legalität, der Wirtschaftlichkeit, der Zweckmäßigkeit und der Redlichkeit (nach Art. 203 der Verfassung) Die Oberste Kontrollkammer kann auch unter Legalitäts- und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten die Tätigkeit anderer Organisationseinheiten und Wirtschaftsteilnehmer überprüfen, wenn diese Gelder und Vermögen des Staates oder der Gemeinden nutzen oder finanzielle Verpflichtungen zugunsten des Staates erfüllen.

Krzysztof Kwiatkowski, Chef der Obersten Kontrollkammer NIK
Krzysztof Kwiatkowski, Chef der Obersten Kontrollkammer NIK

Der Präsident der Obersten Kontrollkammer wird vom Sejm mit Zustimmung des Senats für sechs Jahre berufen. Er kann nur einmal erneut berufen werden. Den Posten bekleidet seit 2013 Krzysztof Kwiatkowski (geb. 1971, zwischen 2009 und 2011 Justizminister im Kabinett Tusk). Entgegen vielen Befürchtungen, auch die NIK werde, wie die Zentralbank, die Bankenaufsicht, der Landesrat für Rundfunk und Fernsehen und einige andre Institutionen, ganz und gar im politischen Kampf gegen die Opposition in den Dienst der Tusk-Regierung treten, bewahrte Kwiatkowski die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit des Obersten Rechnungshofes, der in seinen Prüfberichten immer wieder die Korruption und Unfähigkeit der Verwaltung brandmarkt.

Die Kontrolle der Windparks fand zwischen August 2013 und Februar 2014 statt in zehn Woiwodschaften. Sie umfasste 28 Gemeindeämter, 19 Landrats- und 19 Kreis-Bauaufsichtsämter.

Nachstehend, zusammengefasst die wichtigsten Feststellungen des Prüfberichtes.

1.Behörden missachten durchweg Beanstandungen der Anwohner

Keine der kontrollierten Gemeinden hat eine Volksbefragung in Sachen Unterbringung von Windparks durchgeführt, obwohl die Anwohner oft heftig dagegen protestiert haben. Entscheidungen wurden durch Abstimmungen in den Gemeinderäten gefällt. Zwar konnten die Anwohner ihre Argumente gegen einen Windpark in allen Phasen der Entscheidungsfindung vorbringen, doch ihre Beanstandungen wurden in keinem einzigen Fall berücksichtigt.

2. Bestechlichkeit

In 30% der kontrollierten Gemeinden wurden Windparks auf Parzellen errichtet, die Gemeinderatsmitgliedern, Bürgermeistern oder Angestellten der Gemeindeverwaltungen gehörten, Personen also die an der Entscheidungsfindung beteiligt gewesen waren. Interessenkonflikte und Korruptionswahrscheinlichkeit lagen in solchen Fällen auf der Hand.

3. Interessenkonflikte ohne Ahndung

Ein nicht kleiner Anteil von betroffenen Gemeinderatsmitgliedern hat sich aus Abstimmungen über die Errichtung von Windparks nicht ausgeschlossen, was sie nach Art. 25a des Gesetzes über kommunale Selbstverwaltung hätten tun müssen. Leider sieht das Gesetz in solchen Fällen keine Ahndung vor. NIK fordert eine diesbezügliche Änderung des Gesetzes.

4. Der Korruptionsmechanismus

80% der kontrollierten Gemeinden haben ihre Zustimmung zu einem Windpark davon abhängig gemacht, dass der Investor alle Planungsarbeiten für die Anlage finanziert und auβerdem Geldbeträge an die Gemeinde überweist. Das Erste verstöβt eindeutig gegen die geltenden Gesetzte, die solche Planungsarbeiten als alleinige Aufgabe der Gemeinde ansehen und private Finanzierungen ausschlieβen, damit Investoren Planungen nicht im eigenen Interesse beeinflussen können.

5. Lärm

In der polnischen Gesetzgebung ist der Mindestabstand zwischen Windrädern und Wohngebieten nicht festgelegt. In einzelnen EU-Staaten gelten unterschiedliche Regelungen. Für Polen maβgeblich ist der zugelassene Lärmpegel. Die gesetzlich festgelegte Messmethode sieht solche Messergebnisse als verbindlich an, die bei Windstärken von bis zu 5 Meter pro Sekunde festgestellt wurden. Jedoch verursachen Windräder den gröβten Lärm bei Windstärken zwischen 10 und 12 Meter pro Sekunde, doch da wurde nicht gemessen.

6. Infraschall und Stroboskopeffekt

Auch hier sieht die Gesetzgebung keine Mindestwerte vor, deswegen wurden beide Erscheinungen in der Nähe von Windparks seitens staatlicher Stellen nicht erforscht.

7. Keine technische Überwachung

Die Kreis-Bauaufsichtsämter haben nur die Konstruktion der Windräder geprüft (Fundamente, Maste). Völlig undefiniert in der geltenden Gesetzgebung bleibt jedoch, wer und nach welchen Kriterien die Generatoren, die Rotoren samt Gondeln, die Getriebe, die Transformatoren, die Propellerflügel begutachten und zulassen soll. Alle diese Bestandteile der Windräder unterliegen bis heute keiner Überprüfung.

8. Im Baurecht unbekannt

Windräder sind dem polnischen Baurecht bis heute unbekannt. In den Baugenehmigungen tauchen sie als „freistehende Schornsteine und Masten“, als „elektroenergetische Strecken“ oder als „andere Bauten“ auf. Dementsprechend wurde in manchen Landesteilen eine Betriebszulassung verlangt, während in anderen nur die Anmeldung bei Fertigstellung für die Betriebsaufnahme genügte.

9. Verschandelte Landschaft

Das juristische Chaos führte, trotz vieler Proteste, zur Aufstellung von Windrädern in Natur- und Landschaftsschutzgebieten. Sie werden für viele Jahre die Landschaft z. B. die Suwałki-Seenplatte im Nordosten des Landes verunstalten.

10. Ein Beispiel

Als exemplarisch beschreiben die Kontrolleure das Geschehen in der Dreitausendseelen-Landgemeinde Przerośl im Suwałkigebiet, in der Woiwodschaft Białystok. Der dortige Bürgermeister hat mit der spanischen Firma Gamesa Energia einen Vertrag über 691.000 Zloty (ca.170.000 Euro) abgeschlossen. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Gemeinde einen neuen Flächennutzungsplan mit Berücksichtigung der neuen Windparks auszuarbeiten. Von der Firma Eko-Energia bekam die Gemeinde 1,7 Mio. Zloty (ca. 415.000 Euro) für weitere Korrekturen im Flächennutzungsplan, dieses Mal zu Gunsten der Errichtung ihrer Windkraftanlagen. Die Folge: diese Windräder sollen in einer Entfernung von nur 200 m zu den Wohnhäusern aufgestellt werden. Die Gemeinde Przerośl liegt in einem Landschaftsschutzgebiet.
Der Kontrollbericht fordert die Regierung auf alle diese Miβstände zu beheben.

© RdP




Und sie heiraten doch

Eltern ohne Trauschein.

Beinahe jedes vierte polnische Kind kommt in einer nicht ehelichen Beziehung auf die Welt. Wie viele Kinder wachsen dauerhaft in solchen Beziehungen auf? Man staunt: es sind nur 2,7%, also jedes 55. Kind.

Das geht hervor aus der neusten Ausarbeitung des Statistischen Hauptamtes (GUS) zum Thema „Polnische Familien“, die auf den Angaben der letzten, 2011 durchgeführten, Volkszählung basiert. Beinahe 78% aller Kinder und Jugendlichen bis 24 Jahre leben in Familien, in denen die Eltern verheiratet sind. Weitere knapp 20% werden von alleinstehenden Müttern oder Vätern aufgezogen.

-Die Ehe gilt in Polen weiterhin als die sicherste und dauerhafteste Art des Zusammenseins zwecks Kindererziehung – kommentiert eine der namhaftesten polnischen Bevölkerungswissenschaftlerinnen, Prof. Krystyna Iglicka, diese Angaben. — Die Kinder kommen auβerehelich zur Welt, doch meistens treten die Eltern kurz darauf vor den Traualtar. Es sind zumeist die Frauen, die sich nach der Geburt des Kindes auf die Ehe besinnen und darauf drängen.

Michał Kot, Demografie-Experte der Fundacja Republikańska (Republikanische Stiftung), einer konservativen Warschauer Denkfabrik, weist zudem auf den Einfluss der Tradition, der lokalen Umgebung und der Familie hin.

Was die beiden Fachleute weit mehr beunruhigt, ist die ansteigende Zahl alleinerziehender Eltern. Die Volkszählung aus dem Jahr 2002 ergab, dass 16,8% der Kinder bei alleinerziehenden Müttern und 1,7% bei alleinerziehenden Vätern aufwuchsen. Nach der Volkszählung von 2011 liegen die entsprechenden Zahlen bei: 21% und 2,6%.

Die Demografen nennen drei Gründe für diesen Trend: Scheidungen, Auswanderung und die Politik des Staates.

2013 betrug die Zahl der Scheidungen 66 Tausend, 2012 waren es 64 Tausend. In den Jahren 1995-2002 schwankte ihre Zahl zwischen 40 und 45 Tausend pro Jahr.

Die beiden anderen Gründe rücken das Bild ein wenig zurecht und schwächen die beunruhigende Aussage der reinen Zahlen etwas ab. Laut Statistik nämlich gelten als alleinerziehend auch Väter und Mütter, die sich mindestens drei Monate im Jahr alleine um den Nachwuchs kümmern müssen. Oft tun sie es nur deswegen, weil der Ehepartner im Ausland arbeitet, doch die Ehe oder Partnerschaft funktioniert.

Schlieβlich, so paradox das klingen mag, ermuntert der Staat auch dazu alleinerziehend zu sein. Kinder Alleinerziehender werden bevorzugt in die kommunalen (also preiswerten) Kinderkrippen und Kindergärten aufgenommen. Alleinerziehende können bei der jährlichen Einkommenssteuererklärung ihr Einkommen durch zwei, drei usw. (abhängig von der Zahl der Kinder) teilen, und zahlen dadurch deutlich weniger oder meistens gar keine Steuern. Verheiratete Eltern mit zwei Einkommen und einem Kind haben diese Möglichkeit nicht. Sie können ihre Einkommen zur Besteuerung zwar zusammenlegen, aber einen Kinderfreibetrag gibt es erst ab dem zweiten Kind.

Diese und einige andere Vergünstigungen für alleinstehende Eltern verleiten nicht wenige Paare dazu nicht zu heiraten und den Alleinstehenden-Status vorzutäuschen. – Ich selbst kenne mindestens drei solche “alleinstehenden“ Mütter – sagt Prof. Iglicka.

@ RdP




Chopins Herzuntersuchung

165 Jahre nach dem Tod des Komponisten.

Das in der Warschauer Hl.-Kreuz-Kirche aufbewahrte Herz Fryderyk Chopins ist in einem sehr guten Zustand. Das wissen wir seit Mitte September 2014, als die Ergebnisse der im April 2014 durchgeführten Untersuchungen bekanntgegeben wurden.

Die Begutachtung wurde am 14. April 2014 vorgenommen. Auf einer Pressekonferenz in Warschau am 17. September 2014 sagte Prof. Tadeusz Dobosz vom Institut für Gerichtsmedizin der Universität Wrocław/Breslau, einige Historiker hätten in Frage gestellt, dass sich in dem in eine der Säulen der Kirche eingemauerten Behälter tatsächlich das Herz des Komponisten befindet. Die Untersuchung hat diese Zweifel zerstreut.

„Der französische Anatomiepathologe Jean Cruveilhier, der Chopins Leichnam obduzierte und das Präparat anfertigte, verwendete als Behälter kein Glas- sondern ein Kristallgefäβ. Der Deckel ist hervorragend angepasst, das Gefäβ sehr dicht. Beim Verschlieβen solcher Gefäβe wird das Gewinde mit Vaselin eingefettet. Cruvheilhier hat damit nicht gespart. Das Vaselin floss in den Behälter und bildete eine Schicht auf der Konservierungsflüssigkeit, die zusätzlich das Verdampfen verhindert“, sagte Prof Dobosz auf der Pressekonferenz.

Hinter diesem Epitaph in der Warschauer Hl.-Kreuz-Kirche verbirgt sich die Urne mit dem Herz von Chopin.
Hinter diesem Epitaph in der Warschauer Hl.-Kreuz-Kirche verbirgt sich die Urne mit dem Herz von Chopin.

Fryderyk Chopin starb am 17. Oktober 1849 in Paris und wurde auf dem Friedhof Père-Lachaise beigesetzt. Seine Schwester Ludwika brachte sein Herz in das damals zu Russland gehörende Warschau. Das seit 1795 endgültig dreigeteilte Polen sollte erst 1918 wiederauferstehen. Seinen Platz in der Hl.-Kreuz-Kirche fand die nationale Reliquie im Jahr 1880.

Die Hl. Kreuz-Kirche 1945.
Die Hl. -Kreuz-Kirche 1945.

Vor der in 2014 durchgeführten Beschau wurde der Behälter zum letzten Mal kurz nach dem Krieg, im Oktober 1945, begutachtet. Während der planmäβigen Zerstörung Warschaus durch deutsche Spreng- und Brandkommandos, zwischen Anfang Oktober 1944 (Kapitulation des Warschauer Aufstandes und die Vertreibung der restlichen Zivilbevölkerung aus der Stadt) und dem 17. Januar 1945 (Einmarsch der Russen), wurde das Gefäβ noch am 12 Januar 1945, auf Betreiben eines deutschen Offiziers, aus der Stadt herausgeholt und in Milanówek bei Warschau dem dort internierten Warschauer Weihbischof Antoni Szlagowski übergeben.

Das so gerettete Herz Chopins hat man kurz nach Kriegsende, am 17.Oktober 1945, dem 96. Todestag des Komponisten, wieder an seinem angestammten Ort untergebracht.

Die Hl.-Kreuz-Kirche heute.
Die Hl.-Kreuz-Kirche heute.

Vor einigen Jahren begann sich eine Gruppe von Wissenschaftlern um die erneute Begutachtung zu bemühen. Der Genetiker Prof. Wojciech Cichy von der Medizinischen Universität Poznań wollte Proben aus dem Herz entnehmen, um festzustellen woran genau Chopin gestorben sei. Und Prof. Tadeusz Dobosz hatte die Befürchtung, dass das Gefäβ womöglich undicht werden, die Konservierungsflüssigkeit verdampfen und das Herz vertrocknen könnte.

Prof. Tadeusz Dobosz
Prof. Tadeusz Dobosz

Nach der Beschau gewährte Prof. Dobosz der „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“) am 17. September 2014 ein Interview. Hier die wichtigsten Auszüge.

Frage: Welches Bild bot sich Ihnen nach der Öffnung der Nische und der beiden Holzkästchen, in denen sich der Behälter befindet?

Prof. Dobosz: Das Kristallgefäβ ist 16 cm hoch und hat einen Durchmesser von 12 cm. Der Stand der Konservierungsflüssigkeit ist hoch, in den 160 Jahren ist vielleicht ein halber Zentimeter verdampft. Alles ist also in bestem Zustand. Wir hatten auch kein Problem mit dem Öffnen der beiden Kästchen, sie waren nicht verschlossen.

Frage: Und wie sieht das Herz aus?

Prof. Dobosz: Auf der Oberfläche gibt es Veränderungen, die auf Tuberkulose schlieβen lassen. Sicherheit hierüber würden wir bekommen, wenn man das Gefäβ, ohne es zu öffnen, in einem Computertomographen durchleuchten könnte. Dazu haben die Kirchenbehörden jedoch ihre Zustimmung verweigert, denn dann müsste das Herz die Kirche verlassen. Abgesehen davon sieht das Herz überraschend gut aus. Lediglich am oberen Rand ist die Struktur der Oberfläche etwas verwischt, aber in der Mitte und unten ist der Zustand ideal. (…)

Frage: Welche Farbe hat es?

Prof. Dobosz: (…) Das Konservierungsmittel hat das Organ ausgebleicht, die natürliche Röte ist verschwunden. Das Herz Chopins ist etwas gröβer als üblich, er litt ja an einer Kreislaufschwäche. Das Herz wurde während der Sektion aufgeschnitten, dadurch wurde es ein wenig verformt. Es wurde aber nicht, was einige Wissenschaftler angenommen haben, in eine Blase oder in ein Säckchen eingenäht.

Frage: Handelt es sich bei der Konservierungsflüssigkeit tatsächlich um Spiritus?

Prof. Dobosz: Es gab eine Hypothese, die besagte, dass es 70prozentiger Cognac gewesen sein soll. Das kann man nicht ausschlieβen, denn die Konservierungsflüssigkeit ist gelb, aber das kann auch durch Blut verursacht worden sein. Das jedoch, werden wir nicht erfahren, denn das Gefäβ ist absolut dicht, es gab keinen Anlass zu einem Eingriff. Wir haben nur eine Schicht Bienenwachs aufgetragen, dort, wo der Deckel auf das Gefäβ aufgesetzt wurde, damit es noch dichter wird.

Frage: Sie waren einer der Wissenschaftler, die auf eine Beschau drängten. Warum?

Prof. Dobosz: Ich wollte überprüfen, wie der Zustand ist und im Bedarfsfall handeln. Ich betreue das Museum für Gerichtsmedizin in Wrocław. Wir haben dort Präparate, die in etwa genauso alt sind, und wir wissen, wie leicht sie der Vernichtung anheimfallen können. Daher mein Drängen. Die Bemühungen dauerten sieben Jahre lang an. Wäre das Gefäβ undicht gewesen und man hätte es öffnen müssen, dann hätte es eine Chance für genetische Untersuchungen gegeben.

Prof. Witt aus Poznań war einer der ersten, der darum ersucht hat feststellen zu dürfen woran Chopin gelitten hat. Wir haben auf diesem Gebiet sowieso einen Nachholbedarf, alle Krankheiten an denen andere groβe europäische Komponisten litten, wurden inzwischen bereits diagnostiziert . Mozart bildet hier eine Ausnahme, aber wir verfügen auch nicht über seine sterblichen Überreste. Alle anderen Persönlichkeiten wurden genetisch untersucht und das brachte viele neue Erkenntnisse über sie. Wir in Polen schätzen unseren gröβten Komponisten so sehr, dass wir vor lauter Hochschätzung das Wissen über ihn nicht erweitern wollen.

Frage: Wer hat sich dem entgegen gestellt?

Prof. Dobosz: Alle, angefangen bei der Familie, wie die Urenkelin einer der Schwestern Chopins. Dagegen waren auch der Warschauer Kardinal Kazimierz Nycz und der vorherige Direktor des Nationalen Fryderyk-Chopn-Instituts (2001 vom Sejm ins Leben gerufen, verwaltet es den gesamten Nachlass des Komponisten – Anm. RdP). Dafür hat uns der jetzige Direktor des Instituts, Dr. Artur Szklener sehr bei den Bemühungen um eine Beschau geholfen. Es gelang auch den Warschauer Metropoliten, Kardinal Kazimierz Nycz umzustimmen, der zu Anfang die Meinung vertrat, man müsse den Willen der Familie respektieren, dann aber seine Meinung änderte, und dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Frage: Ist es nicht schade, dass es nicht gelang die Konservierungsflüssigkeit zu untersuchen?

Prof. Dobosz: Ich bin vor allem froh darüber, dass mit dem Herzen alles in bester Ordnung ist.(…). Die nächste Begutachtung soll in fünfzig Jahren stattfinden. Das werde ich nicht mehr erleben, aber dann erfahren wir wahrscheinlich woran Chopin gestorben ist. Schon heute gibt es Methoden genetische Analysen durchzuführen ohne ein Präparat zu berühren. In fünfzig Jahren wird es hierzu noch mehr Möglichkeiten geben.

Lesenswert auch: „Chopins Flügel befllügelt“.

RdP




Ganoven-Air

Zurück nach Polen hinter Schloss und Riegel.

Gangster aller Couleur: Mörder, Diebe, Betrüger, Einbrecher, hartnäckige Zahlungsverweigerer von Alimenten landen neuerdings in Scharen auf dem Warschauer Militärflughafen, in unmittelbarer Nähe des hauptstädtischen Fryderyk-Chopin-Air-Terminals. Zumeist kommen sie von den britischen Inseln. Nicht freiwillig.

Seit dem polnischen EU-Beitritt und dem Beitritt zum Schengen-Abkommen sind knapp 3 Mio. Polen auf Arbeitssuche nach Westeuropa ausgewandert. Die oft schon seit langer Zeit bestehenden Ballungszentren polnischer Emigranten sind rapide gewachsen, neue sind hinzugekommen. Ersteres gilt vor allem für Groβbritannien, das zweite für Irland. In die enormen, hin und her flieβenden Emigrantenströme mischen sich auch polnische Kriminelle, in der Hoffnung, fern der Heimat, jedoch in einem vertrauten Umfeld, untertauchen zu können. Die einen bevorzugen die Metropolen, andere wiederum Kleinstädte. Zumeist jedoch gehen sie weiterhin ihrem „Gewerbe“ nach und werden irgendwann von der örtlichen Polizei gefasst, bzw. werden durch den Datenabgleich bei Polizeirazzien oder Verkehrskontrollen gestellt.

So erging es Wojciech B., seit siebzehn Jahren auf der Flucht, zuletzt hielt er sich in England auf. Mit polnischem und europäischem Haftbefehl gesucht, stand er im dringenden Tatverdacht bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung in Częstochowa/Tschenstochau einen Mann aus einer konkurrierenden Gang erstochen zu haben. Auβerdem gehörte er zu einer kriminellen Vereinigung und hatte neben räuberischer Erpressung noch einiges mehr auf dem Kerbholz.

Deutlich schneller, und zwar nach vier Jahren, endete in Holland die Flucht von Marcin A. Zusammen mit seiner Gang erpresste er Schutzgelder in Gdańsk/Danzig, Sopot/Zoppot und Gdynia/Gdingen, verkaufte Rauschgift, war Zuhälter und tötete 2009 einen seiner Kumpane.

Im Jahr 2013 wurden gut 2.100 Kriminelle, 2014 mehr als 1.200 wegen in Polen verübter Straftaten in die Heimat zurückgebracht. Die meisten in Sammeltransporten aus England. Um die Kosten für die Rücküberstellung niedrig zu halten, charterte die Polizei bei der polnischen Armee Transportflugzeuge des spanischen Herstellers CASA oder gar amerikanische Flugzeuge des Typs Herkules. Diese Maschine brachte im November 2014 gleich gut fünfzig Straftäter, im Laderaum kauernd, von einem Dutzend polnischer Polizisten bewacht, in ihr Heimatland zurück.

Fünfzehn solcher Flüge aus England gab es 2013, hinzu kamen noch jeweils ein Sammeltransport aus Madrid, Paris und Amsterdam. Gefängnisbusse und Streifenwagen bringen die Heimkehrer nach ihrem Flug in die vorgesehenen Untersuchungshaftanstalten.

Allein 2013 kosteten die Ganoven-Flüge knapp 6 Mio. Zloty (ca. 1,5 Mio. Euro).

© RdP




MiLo über alles

Deutschland diktiert, Polen pariert.

Die Mindestlohnregelung für LKW-Fahrer ist vorläufig nur im Transit durch Deutschland ausgesetzt worden. Von und nach Deutschland gilt sie weiterhin und hält so die Konkurrenz aus dem Osten fern.

Treffen in Warschau. Ministerpräsidentin Kopacz fragt in die Runde: „Was gibt’s neues in Berlin?“ Der Wirtschaftsminister: „Die Deutschen fordern, wir sollen den polnischen LKW-Fahrern, die durch ihr Land fahren, die Löhne erhöhen…“ „Noch etwas?“, fragt die Regierungschefin. „Aber sie weigern sich die Löhne der Angestellten ihrer Discounter-Ketten in Polen zu erhöhen“, antwortet die polnische EU-Kommissarin Bieńkowska.
Der Foto-Scherz aus der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) vom 28. Januar 2015 gibt die Befindlichkeit eines nicht kleinen Teils der polnischen Öffentlichkeit wieder, der Deutschland ohnehin nicht über den Weg traut.

Płaca minimalna fot.Die Bombe platzte am 7. Januar 2015. Während einer Pressekonferenz in Berlin verkündeten die Vertreter der deutschen Ministerien für Finanzen und Arbeit, dass der gerade in Deutschland eingeführte flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde auch für Ausländer gelte, und zwar für jede Stunde, die sie in Deutschland arbeiten, z. B. auch für polnische LKW-Chauffeure, wenn sie aus Polen durch Süddeutschland nach Italien fahren.

Am 30. Januar 2015 hat die deutsche Regierung die Anwendung des Gesetzes auf ausländische Lkw-Fahrer im reinen Transitverkehr vorerst (bis zur Klärung in Brüssel) ausgesetzt. Zu monströs war der Unsinn dieses Vorhabens, wären doch von der Maβnahme jährlich rund 1,8 Millionen Transitfahrten, allein polnischer Speditionen, durch Deutschland betroffen. Doch

die Kuh ist noch längst nicht vom Eis.

Lkw-Chauffeure, deren Anhänger in Deutschland be- und entladen werden, müssen nämlich weiterhin mindestens 8,50 Euro in der Stunde verdienen.
Um das zu gewährleisten, wurde eine beachtliche bürokratische Prozedur in Gang gesetzt. Die Spediteure müssen den Einsatzplan des Fahrers der von oder nach Deutschland fährt, vorab, mittels eines umfangreichen Formulars bei der deutschen Zollverwaltung anmelden und anschließend die Daten, welcher Fahrer wie lange durch Deutschland gefahren ist, für Kontrollzwecke aufbewahren. Zudem muss der Fahrer folgende Dokumente dabei haben: den Arbeitsvertag, sein ausgefülltes Arbeitszeitformular, seine Lohnabrechnung und den Vorab-Überweisungsbeleg der beweist, dass sein auf Deutschland entfallender Stundenlohn bereits auf sein Konto überwiesen wurde. Alles natürlich auf Deutsch. Auf Anfrage aus Warschau haben deutsche Behörden mitgeteilt, dass sie auch auf Englisch und Französisch ausgefüllte Unterlagen zu akzeptieren gedenken.

Die Vorschriften seien unpräzise, klagen polnische Spediteure. Harte Strafen, die in die Hunderttausende von Euro gehen können, drohen sowohl ihnen, wie auch ihren deutschen Auftraggebern.

Zwei Wochen lang hielt die, was Berlin angeht, stets konfliktscheue Regierung in Warschau still, bis sie von den zornerfüllten Transportunternehmer-Verbänden u. a. mit ganzseitigen Zeitungsannoncen zum Handeln gezwungen wurde. Es gab am 21. Januar 2015 ein Telefongespräch der polnischen Regierungschefin mit Frau Merkel und einige eher theatralisch wirkende Gemütsäuβerungen, die die Medien Wirtschaftsminister Piechociński („Skandalös, was die Deutschen da Europa vorschlagen“) und Auβenminister Schetyna („Kuriose Vorschriften“) entlocken konnten. Dass der „wichtige Freund Deutschland“, wie es die Ministerpräsidentin formulierte, dermaβen brachial vorgehen konnte, und man sich plötzlich gezwungen sah Widerspruch zu äuβern, war für die Regierungskreise ungewohnt und unangenehm.
Polen ist nun Mal mit einem Anteil von 25% das Land mit dem höchsten Lkw-Frachtaufkommen in der EU.

Ein lästiger Konkurrent,

dessen man sich in Berlin mit einem Schlag auf diese Weise zu entledigen hoffte? Jan Rokita, (einst führender Politiker der regierenden Bürgerplattform, von Tusk als politischer Rivale ausgebootet, heute Publizist) hegte diesbezüglich keine Zweifel, als er im Nachrichtenmagazin „W Sieci“ („Im Netztwerk“) vom 27. Januar 2015 schrieb:
„Offensichtlich ist man irgendwo in den Berliner Ministerien auf die Idee gekommen, das MiLo-Gestetz dazu zu benutzen polnische (und nicht nur polnische) Transportunternehmer von den deutschen Straβen zu verbannen, und auf dem Verwaltungswege den deutschen Straβengütertransport nur den Deutschen zu überlassen. Der deutsche Staat mache sich in diesem Fall zu einem Werkzeug der Wirtschafslobbyisten.“

Tomasz Budnikowski, Ökonomieprofessor am Westinstitut in Poznań, bemerkte in der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) vom 28. Januar 2015:

„Den Mindestlohn gibt es in den meisten europäischen Ländern. In keinem von ihnen jedoch hat man sich entschieden dermaβen brutal in die Lohnmechanismen ausländischer Transportunternehmen einzugreifen. Na ja, nicht seit heute wissen wir, dass wenn man in Deutschland etwas in Angriff nimmt, dann gründlich, und nicht selten gibt man sich dabei der Lächerlichkeit preis.“
Um einiges schwerere Geschütze fuhr der konservative Kommentator Jacek Karnowski im viel gelesenen Internet-Portal „W.Polityce.pl“ (In.derPolitik.pl“) am 25 Januar 2015 auf:

„Es zeigt sich, dass die Vorherrschaft auf dem polnischen Markt Berlin nicht mehr genügt: das diskrete Erzwingen der Stilllegung beachtlicher Teile der Industrie, einschlieβlich der Werften, die schnelle Übernahme des Einzelhandels. Jetzt zielen sie auf Branchen ab, die sie bisher als eine Art Gnadenbrot den armen „Freunden“ aus dem Osten überlassen haben: Z. B. auf die Transportdienstleistungen. (…) Das ist eindeutig eine neue Phase. Der deutsche Staat führt Regulierungen ein, die in innere Wirtschaftsbelange der Nachbarn eingreifen.“

Karnowski sieht bereits eine weitere Forderung Berlins kommen: “Wenn die neuen Vorschriften wirklich wirksam vollstreckt werden sollen, dann müssen deutsche Kontrollen direkt in den polnischen Firmen stattfinden, anders lässt es sich nicht effektiv nachvollziehen, ob der polnische Fahrer den deutschen Mindestlohn bekommen hat.“, und fährt fort: „Das wäre eine beispiellose Einmischung. Das ist schon etwas mehr als die herkömmliche »soft power«“, mit der man die Eliten und die Jugend des Landes für sich gewinnt: Stipendien, Honorare, Forschungsgelder, Auszeichnungen, üppig finanzierte Projekte, Austausche, „das Korrumpieren polnischer Minister oder gar des Ministerpräsidenten mit Posten in Brüssel. Das hier aber ist eine offensichtliche Nötigung, ausgerichtet darauf, die Einnahmen des deutschen Staates zu erhöhen.“

Prof. Budnikowski weist auf einen weiteren Aspekt hin: „Den Standpunkt der deutschen Fahrer und Spediteure kann man soweit verstehen. Sie sehen in der Maβnahme eine erhebliche Schwächung der ausländischen Konkurrenz zu ihren Gunsten. Was erstaunt, ist die Position einiger polnischen Gewerkschaftler, die verkünden, dass es keinen Grund dafür gebe, dass polnische Fahrer nicht genauso viel wie ihre deutschen Kollegen verdienen. Was aber sollen dazu die polnischen Krankenschwestern, Eisenbahner, Universitätsprofessoren sagen?“

Wie geht es weiter?

Im Transportverkehr von und nach Deutschland haben die deutschen Behörden den ausländischen Spediteuren einen Mühlstein um den Hals gehängt: Voranmeldung beim deutschen Zoll, eine monströse Dokumentationspflicht, Vorkasse für den Fahrer, wage Formulierungen, Androhung enormer Strafen für Transportunternehmen und Auftraggeber. Da nimmt man ab jetzt lieber gleich eine deutsche Firma.

Obschon vor Berlins einstweiligem Transit-Rückzieher am 30. Januar 2015 geschrieben, bleibt Jan Rokitas Einschätzung ganz und gar aktuell: „Es sieht danach aus, dass (…) die Regierung in Berlin Höflichkeit und den Willen alles zu erklären und zu besprechen an den Tag legen, aber im Kern hart bleiben wird. (…) In dieser Situation muss sich die Regierung Kopacz bewusst werden, dass in diesem Konflikt ohne Gegenmaβnahmen seitens der EU sowie Polens und seiner Verbündeten, die Bereitschaft Berlins Zugeständnisse zu machen, sehr beschränkt sein dürfte.“

Jacek Karnowski ist dahingehend jedoch sehr pessimistisch: „Beachten wir: dem polnischen Staat kommt es nicht einmal in den Sinn eine der Lage angemessene Gegenmaβnahme zu erwägen, die die deutschen Spediteure treffen würde: eine zusätzliche Versicherung oder Gebühr. Das würde gegen EU-Regeln verstoßen? Die deutschen Regulierungen verstoβen allem Anschein nach gegen das Prinzip staatlicher Souveränität, und sollen dennoch in Kraft treten.“

© RdP




Manipulistan

Kommunalwahlen 2014. Gefälscht, verzerrt, frisiert?

 

 

  • Elektronisches Auszählungssystem bricht zusammen.
  • Stimmzettel auf Halden.
  • Wer will kann sich ins Auszählungssystem einloggen. 
  • Wahlzettel: Drucken ohne Kontrolle.
  • Eine Stimme kostet 100 g Wodka.
  • Wunder an den Urnen: der „Wahlerfolg“ der Bauern.
  • Knapp 3 Mio. ungültige Stimmen.
  • Oberste Richter: „Alles in Ordnung“.
  • Regierende gewinnen und sind glücklich.
  • Deutsche Medien schauen weg und sind zufrieden.
  • OSZE-Wahlkriterien nicht erfüllt.

Am Sonntag, dem 16. November 2014 fanden in Polen die siebten Kommunalwahlen nach dem Ende des Kommunismus 1989 statt. Wahlberechtigt waren gut 30,5 Mio. Bürger. Gewählt wurden fast 40.000 Mitglieder in  2.479 Gemeinderäte, 6.276 Mitglieder in 380 Kreistage und 555 Mitglieder für die 16 Bürgervertretungen der Woiwodschaften, den Regionalparlamenten (Sejmik). Des Weiteren wurden in direkter Wahl gewählt: 1.565 Gemeindebürgermeister, 806 Bürgermeister und 106 Oberbürgermeister (Stadtpräsidenten). Hierbei kam es in 890 Ortschaften am 30. November  zu Stichwahlen, überall dort  hatte keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit auf sich vereinigen können. Die Wahlbeteiligung war, wieder einmal, nicht hoch. Sie lag bei 47,4 % im ersten Wahlgang und bei 39,97 % im zweiten Wahlgang. Ähnlich war es im Jahr 2010, als die Wahlbeteiligung 47,32 % bzw. 35,31 % betrug.

Die Wahl am 16. November mündete in einem organisatorischen Desaster und stürzte das Land in eine schwere politische Krise.

1. Ausgangspunkt war der

Zusammenbruch des Auszählungssystems für die abgegebenen Wäherstimmen,

dass das Zentrale Wahlamt (Krajowe Biuro Wyborcze) bei einer wenig bekannten Firma namens Nabino in Auftrag gegeben hatte. Trotz vieler Pannen bei den Testläufen hielt das Amt am einmal erteilten Auftrag fest, lieβ sich von den Beteuerungen der Programmierer überzeugen, alles werde sich „rechtzeitig einrenken“.

Doch die elektronische Übermittlung der Wahlergebnisse aus den Regionalen Wahlämtern nach Warschau funktionierte nicht. Anstatt sofort eine manuelle Auszählung anzuordnen, vertrösteten die Mitglieder der Staatlichen Wahlkommission, der das Zentrale Wahlbüro untersteht, die zunehmend aufgebrachte Öffentlichkeit mit immer neuen Beteuerungen, dass es bald Ergebnisse geben werde. Am Ende dauerte die Auszählung sechs Tage lang!

2. Die Staatliche Wahlkommission (SWK) besteht aus neun Obersten Richtern oder Obersten Richtern im Ruhestand. Jeweils drei von ihnen werden durch den Präsidenten des Obersten Gerichts, den Präsidenten des Verfassungsgerichts sowie den Präsidenten des Obersten Verwaltungsgerichts ernannt, und anschließend vom Staatspräsidenten berufen. Mit Vollendung des 70. Lebensjahres müssen sie aus der SWK ausscheiden. Ihr zumeist hohes Alter, ihre Betulichkeit und die unerschütterliche Zuversicht, mit der sie die Pannen nach der Europawahl vom Mai 2013 ignorierten und alle späteren Warnungen in den Wind schlugen, gepaart mit offensichtlicher Hilfslosigkeit angesichts der sich türmenden Probleme, handelten ihnen im Internet den Spitznamen „leśne dziadki“ ein –

                                            „die Waldopas“.

Betulichkeit und Hilflosigkeit – die Staatliche Wahlkommission

Fast alle von ihnen sind einst tief ins kommunistische Justizwesen verstrickt gewesen, zwei haben gar in den 80er Jahren an Verurteilungen von Solidarność-Aktivisten mitgewirkt. Anders als im vereinigten Deutschland (DDR), wurde in Polen, im Rahmen der „nationalen Aussöhnung“ am Runden Tisch von 1989, praktisch die gesamte Richterschaft aus der kommunistischen Zeit übernommen.

Aufsehen erregten zuletzt die engen Kontakte der polnischen SWK mit der Zentralen Wahlkommission Russlands. So besuchte der russische Wahlleiter Wladimir Tschurow, der sich als „Putins Zauberer“ einen Namen gemacht hatte, am 14. bis zum 16. Juni 2012 Warschau.

Putin Czurow
Der russische „Wahlzauberer“ Wladimir Tschurow mit Putin im Kreml…

In der Zeit vom 26. bis 27. Mai 2013 fand der Gegenbesuch einer 12-köpfigen polnischen SWK-Delegation „zu Schulungszwecken“ in Moskau statt. Unter Tschurows Aufsicht überstieg u. a. in manchen Gegenden Russlands die Wahlbeteiligung, immer wieder mal, die Einhundertprozent-Marke.

...und bei seiner Pressekonfenrenz in Warschau.
…und bei seiner Pressekonfenrenz in Warschau.

Angesichts des Chaos nach der Wahl, hat das komplette Gremium der Wahlkommission seinen Rücktritt eingereicht, dieser wurde nach den Kommunalen Stichwahlen am 30. November 2014 wirksam. 

3. Wie sah

                                    das Chaos konkret

aus? Die Wochenzeitung „Gazeta Polska“ („Polnische Zeitung“) vom 19.11.2014 zitierte ein Mitglied des Wahlvorstands eines Wahllokals in einem Stadtteil von Warschau so:

„Mitten in der Nacht (die Wahllokale schlossen um 21 Uhr – Anm. RdP) haben wir erfahren, dass das Auszählungssystem „nicht funktioniert“ und die ausgedruckten Wahlprotokolle einige Parteien und Kandidaten nicht enthalten würden. (…) Um 5.30 Uhr sagte man uns, dass wir auf den Transport der ausgezählten Wahlzettel von unserem Wahllokal ins zuständige Wahlamt des Stadtbezirkes noch zwei Stunden  warten müssten, alternativ könnten wir die ausgezählten Stimmzettel selbst dorthin  bringen, aber wie lange das alles insgesamt dauern würde, das wisse keiner, weil auch das Amt mit der Organisation überfordert sei. Die Wahlprotokolle konnten wir somit an der Eingangstür des Wahllokals nicht aushängen, da es keine gab.
Vor dem Wahlamt des Stadtbezirks standen hunderte entnervter Mitglieder der einzelner  Wahlvorstände und Tausende von Kartons voller Stimmzettel, die mit privaten Pkws herangeschafft worden waren, anstatt, wie vorgeschrieben, mit Polizeieskorte. Die Kartons und Säcke mit den Stimmzetteln, manche schon beschädigt, befahl man  in die Eingangshalle zu bringen, wo sie alle auf einen Haufen geworfen wurden. Dort warteten wir bis acht Uhr früh und gingen dann nach Hause.“

4. Solche Szenen spielten sich in ganz Polen ab. Die Stimmenauszählung wurde unterbrochen. Wahllokale, zumeist in Schulen untergebracht, mussten wieder zugänglich gemacht werden. Die Wahlhelfer mussten irgendwann nach Hause und zur Arbeit, die Massen von Kartons und Säcken mit den Stimmzetteln waren oft unzureichend gesichert. Das war der erste Grund für Vorwürfe, die Wahlergebnisse seien manipuliert oder gar gefälscht worden.

5. Das elektronische Auszählungssystem für die abgegebenen Wählerstimmen wurde in den folgenden Tagen wiederholt instandgesetzt, kollabierte jedoch immer wieder aufs Neue. Schnell stellte sich zu dem heraus, dass es

                            überhaupt nicht gesichert

war. Der Informatiker Marek Małachowski entdeckte zwei Tage nach der Wahl, dass man sich problemlos in das System einloggen und die eingegebenen Protokolle und Tabellen nach Gusto ändern konnte. Das war der zweite Grund für Vorwürfe.

6. Das Chaos und die Übermüdung der Wahlhelfer vergröβerte erheblich die Möglichkeiten von

                                       Fälschungen,

und damit ist der dritte Grund für Vorwürfe angesprochen. Wie das geht, schilderte in der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) vom 25.11.2014 der Anwalt Jacek Kędzierski, der oft Mitglied von Wahlvorständen gewesen ist:

„Das Übel des Systems liegt darin, dass der Wähler, nachdem er vom Wahlvorstand die Wahlzettel ausgehändigt bekommen hat, nur bei einem einzigen Namen ein “X“-Zeichen machen darf. Der Wahlhelfer, der denselben Kugelschreiber oder Filzstift wie der Wähler zur Verfügung hat, kann die Stimme ohne weiteres ungültig machen, in dem es ein weiteres „X“-Zeichen bei irgend einem anderen Namen hinzufügt. Das System schafft eine solche Möglichkeit, also führt es in Versuchung…

Liczenie głosów

Diese Versuchung wird durch die Verhältnisse, die in den Wahllokalen nach Beendigung der Wahl herrschen, verstärkt. Kugelschreiber und Filzstifte, die in den Wahlkabinen auslagen, werden nicht eingesammelt und gesichert, obwohl es eigentlich so sein sollte, und die Mitglieder des Wahlvorstands bei ihrer Arbeit ausschließlich rote oder graue Bleistifte verwenden sollten. Oft kommt es vor, dass die Wahlzettel nicht von allen Mitgliedern gemeinsam an einem Tisch, sondern, da es schneller geht, von einzelnen Wahlhelfern an mehreren separaten Tischen gesichtet und ausgewertet werden. Dort kann man dann ungehindert machen was man will.
Einmal als ich in einem Wahlvorstand Mitglied war und sah was sich abspielte, musste ich Krach schlagen. Ich war gezwungen den anderen Mitgliedern die Filzstifte, die  die Wähler zur Stimmabgabe benutzt hatten, zu entreiβen, und das Zusammenstellen der Tische anzuordnen, damit beim Auszählen jeder jedem auf die Finger schauen konnte. Mein Eindruck war, einige meiner Kollegen führten etwas im Schilde…“,

soweit Anwalt Kędzierski.

7. Ungültig sind auch „saubere“ Stimmzettel, auf denen der Wähler kein „X“-Zeichen gemacht hat. Gibt es eine Möglichkeit „saubere“ Wahlzettel gegen gültige, mit einem „X“-Zeichen versehene, im Nachhinein auszutauschen? Ja.

Wie das Nachrichtenmagazin „W Sieci“ („Im Netzwerk“) vom 1.12.2014 herausfand, wurden die Stimmzettel in jeder der 16 Woiwodschaften im Auftrag des jeweiligen Woiwodschaftsamtes (vergl. mit  einer deutschen Bezirksregierung) separat gedruckt. Dies geschah meistens, unter Berufung auf die kurzen Fristen, ohne Ausschreibung, oft von „befreundeten“ Druckereien. Die Stimmzettel wurden nicht als streng verrechenbare amtliche Drucksachen behandelt. Die gesamte Auflage sollte auf die einzelnen Bezirkswahlbüros verteilt werden. Doch niemand hatte den Überblick, wie hoch die Auflage war und ob nicht doch einige Dutzend, Hundert oder Tausend Wahlzettel „übrig geblieben“ sind. Eine solch unübersichtliche Situation gab es u. a. in den Woiwodschaften Masowien (mit Warschau), Lublin, Lodz, Kleinpolen (Kraków) u. e. a. m.

8. Ein ernsthaftes Problem scheint in Polen weiterhin der Stimmenkauf zu sein. Dabei lauert eine Person in der Nähe des Wahllokals und übergibt einem Stimmberechtigten einen entsprechend ausgefüllten Wahlzettel. Empfänger sind Alkoholiker, Rentner, sehr arme Leute u. ä. Personen. Sie werfen den erhaltenen Stimmzettel in die Wahlurne ein und übergeben ihren „sauberen“ Wahlzettel drauβen dem „Organisator“, der ihn, entsprechend ausgefüllt, an den nächsten „Kunden“ weitergibt. Der „Lohn“ sind meistens 10 Zloty (ca. 2,50 Euro) oder eine Hundertgramm-Flasche Wodka. Solche Szenen wurden an vielen Orten in der Woiwodschaft Lodz beobachtet. Bei der Kommunalwahl 2010 hat man ein solches Vorgehen in Wałbrzych/Waldenburg in groβem Umfang nachgewiesen.

9. Berichtet wurde auch von Wahlunterlagen, die nicht alle Parteilisten enthielten; von Stimmzetteln und Wahlunterlagen ohne das Siegel der Wahlkommission; Stimmzettel für nicht anwesende Familienmitglieder wurden ausgegeben; Wahlunterlagen mit bereits eingesetzten „X“-Zeichen ausgehändigt.

10. Die Kommunalwahl gilt als ein wichtiges

Barometer politischer Stimmungen

in Polen. Aussagekräftig sind vor allem zwei  Messergebnisse:

Zum einen die Oberbürgermeisterwahlen in Groβstädten, wie Gdańsk, Katowice, Kraków, Poznań, Wrocław und natürlich Warschau, den Hochburgen der seit acht Jahren regierenden Bürgerplattform (PO). Gelingt es Jarosłw Kaczyńskis Recht und Gerechtigkeit (PiS) sie zu erobern? Es gelang nicht, jedoch mussten sich die PO-Kandidaten und Amtsinhaber einer Stichwahl stellen und gewannen eher knapp, während sie noch 2010 gleich in der ersten Runde spielend die absolute Mehrheit auf sich vereinigen konnten.

Als ein noch wichtigerer Wert gelten die Wahlergebnisse zu den Regionalparlamenten (Sejmik) in den 16 Provinzen Polens, den Woiwodschaften. Zu vergeben waren dort insgesamt 555 Mandate. Auf Grund der Komplexität einer Kommunalwahl, bei der auf Gemeinde- und Kreisebene viele freie Wählerverbände teilnehmen, wurde in der Nachwahlbefragung vor den Wahllokalen (engl. exit poll) nur nach der Wahlentscheidung in Bezug auf die Regionalparlamente gefragt.

Am Wahlabend kurz nach 21.00 Uhr war die

                                         Sensation perfekt.

Gemäß den ersten Hochrechnungen ging Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit 31,5% der Stimmen zum ersten Mal seit 2005 als klarer Sieger aus einer Wahl hervor. Die Bürgerplattform (PO) unterlag mit 27,3%. An dritter Stelle, mit einem ungeahnt guten Ergebnis, die Bauernpartei (PSL), die mit der PO seit 2007 die Regierungskoalition in Warschau bildet – sie gewann 17% der Stimmen. Die Postkommunisten (SLD) landeten weit abgeschlagen bei 8,8%.

Erste Wahlergebnisse:
Erste Wahlergebnisse zu den Regionalparlamenten: Recht und Gerechtigkeit (PiS) – 31,5%, Bürgerplatform (PO) – 27,3%, Bauernpartei (PSL) – 17%, Linke – Postkommunisten (SLD) – 8,8%

Nach sechs Tagen des Hin-und Her  der Stimmenauszählung unter den bereits geschilderten Umständen, sahen die Ergebnisse schon ganz anders aus, aber nur für den Gewinner der Wahl. Kaczyńskis PiS hatte plötzlich nur noch 26,85% (minus 4,56%) der Stimmen gewonnen. Frau Kopaczs PO mit 26,36% blieb in etwa gleich (minus 0,94%). Die Postkommunisten hatten 8,78% (minus 0,2%) erreicht. Die sonst eher ein Schattendasein führende Bauernpartei (PSL) verzeichnete dagegen einen grandiosen Zuwachs – 23,68% (plus 6,68% gegenüber der Wahlprognose). Bei der letzten Europawahl in Polen im Mai 2013 hatte die PSL 6,8%, bei der letzten Parlamentswahl von 2011 – 8,4% der Stimmen bekommen. Über Nacht haben die Bauern also ihren Besitzstand verdreifacht, bzw. sogar vervierfacht!  In der Stadt Gdynia/Gdingen verbesserte  die PSL im Vergleich zu 2010 ihr Ergebnis gar um 1100%, von 800 auf 8800 Stimmen.

Wyniki ostateczne
Wahlergebnisse nach sechs Tagen

Hinzu kam noch ein weiterer Rekord. Bei der Abstimmung zu den Regionalparlamenten wurden, sage und schreibe, knapp 18% ungültige Stimmen abgegeben: das bedeutet 2,85 Millionen Stimmen!  Diese Epidemie wütete ganz besonders stark u.a. in den Landkreisen Malbork/Marienburg (23%), Wejherowo/ Weyersfrey (23%) und Koszalin/Köslin (35%).

Kaczyńskis PiS gewann in den 16 Regionalparlamenten insgesamt 30 Mandate hinzu. Die Bürgerplattform büßte 43 ein, doch die gewaltigen Zugewinne (64 Mandate) des PO-Koalitionspartners Bauernpartei (PSL) machte die PO-Einbuβen mehr als wett. Das Resultat: die in Warschau regierende Koalition aus Bürgerplattform und Bauernpartei wird ihr Machtmonopol auch auf der Provinzebene behalten. Sie regiert künftig in 15 Woiwodschaften, der Wahlgewinner, Kaczyńskis PiS – nur in einer, in der Vorkarpaten-Woiwodschaft (Rzeszów).

Der groβe Unterschied zwischen der ansonsten immer recht zutreffenden Nachwahlbefragung und den Endergebnissen ging ,ausschließlich, zu Lasten der Opposition, das seltsam anmutende “Traumergebnis“ der Bauern und die gigantische Zahl ungültiger Stimmen waren der vierte, fünfte und sechste Grund für Vorwürfe.

11. In der Nacht vom 20. auf den 21. November kam es daraufhin vor dem Sitz der Staatlichen Wahlkommission in Warschau zu einer

                                      Protestdemonstration

von Vertretern kleiner radikalnationaler Gruppierungen (Nationale Bewegung, Kongreβ der Neuen Rechten, Die Solidarischen 2010). Die Losung hieß: „Stopp den Wahlmanipulationen“. Einige Demonstranten drangen in das Gebäude ein, besetzten für kurze Zeit den Konferenzsaal. Der Raum wurde bald darauf von der Polizei geräumt.

PKW awantura
Demonstranten drängen in das Gebäude der Staatlichen Wahlkommission in Warschau in der Nacht vom 20. auf den 21. November 2014 ein

Proteste rief die Festnahme von zwei Journalisten hervor, die als Berichterstatter vor Ort waren: des Reporters des konservativen Fernsehsenders Republika und des Fotoreporters der Polnischen Presseagentur PAP. Ein bisher nie dagewesener Vorfall. Beide wurden 24 Stunden lang in Polizeigewahrsam festgehalten, wegen Hausfriedensbruchs vor Gericht gestellt und nach zwei Verhandlungsterminen freigesprochen. Proteste wurden auch aus einigen anderen Groβstädten gemeldet.

12. Am 26. November fand im Sejm eine Debatte zu dem Thema statt. Oppositionschef Jarosław Kaczyński sagte: „Von dieser wichtigsten Tribüne in Polen müssen die

                                      Worte der Wahrheit

fallen: diese Wahlen wurden gefälscht“. Er kündigte für den 13. Dezember 2014, dem Jahrestag der Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981, eine Protestdemonstration in Warschau an. An ihr nahmen etwa 80.000 Menschen teil. Kaczyński legte dort seine Sicht der Dinge dar:

„Diese Wahlen wurden gefälscht. Eine Fälschung findet statt, wenn die Staatsmacht weiβ, dass die rechtlichen Bestimmungen in Bezug auf Wahlen  unvollkommen sind, wenn sie weiß, dass es bereits verschiedene zweifelhafte Vorfälle gab, und sie lehnt dennoch im Vorfeld Änderungsvorschläge ab. So war es in diesem Fall. Es gab Änderungsvorschläge und sie wurden abgelehnt. Eine Fälschung findet statt, wenn die Staatsmacht, sowie sie erfährt, dass die Wahlen in einer Katastrophe münden, dass das Ergebnis ungewiss ist, sie sofort eine Kampagne startet, um diese Tatsachen zu vertuschen. Man kann sagen, die Staatsmacht terrorisiert die Gerichte (siehe dazu Pkt. 14 – Anm. RdP) und das unter Beteiligung des Präsidenten der Republik und der Vorsitzenden der drei höchsten Gerichte. Und sie startet eine Medienkampagne gegen alle, die sagen, dass gefälscht wurde.“

13. Bereits am 19. November trafen sich Kaczyński und der Chef der Postkommunisten, Leszek Miller. Beide, ansonsten politisch scharf verfeindet, forderten, der Sejm solle die Verkürzung der Wahlperiode der Regionalparlamente verabschieden, die Wahlen zu den Regionalparlamenten sollten wiederholt werden. Recht und Gerechtigkeit (PiS) brachte auch unverzüglich einen entsprechenden Gesetzentwurf ein.

Leszek Miller (links) und Jarosław Kaczyński am 19. November 2014
Leszek Miller (links) und Jarosław Kaczyński am 19. November 2014

Der Gesetzentwurf wurde von der Koalitionsmehrheit abgelehnt. Niedergestimmt wurde auch der PiS-Vorschlag, bei den für 2015 anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, durchsichtige Wahlurnen aus Plexiglas zu verwenden und Kameras in den Wahllokalen zu installieren.

Kaczyński und Miller sprachen von einer „Bedrohung für die Demokratie“. Das Treffen wurde vom Regierungslager und seinen Medien als ein neues politisches Bündnis an die Wand gemalt, doch nichts deutet bis jetzt darauf hin.

14. Das Regierungslager und die ihm nahestehenden Medien (vor allem die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“), das Staatsfernsehen TVP, die privaten Fernsehsender TVN, Polsat, Superstacja) schlugen die höchsten Alarmtöne an. Staatspräsident Komorowski sagte, die Forderungen nach einer Wahlwiederholung seien

                                  „Abgründe des Wahnsinns“.

Ministerpräsidentin Ewa Kopacz sagte, sie schlieβe eine Wahlwiederholung aus und behauptete anschlieβend in ihren Wahlaufruf vor der zweiten Runde der Kommunalwahlen „die polnische Demokratie sei stabil und ungefährdet“. Die Präsidenten der drei höchsten Gerichte (Oberstes, Verfassung, Verwaltung) beeilten sich sofort in einer gemeinsamen Erklärung zu beteuern, dass es keine ernstzunehmenden Unregelmäβigkeiten während der Wahl gab. Der Präsident des Verfassungsgerichts, Prof. Andrzej Rzepliński fügte in einem Fernsehinterview hinzu: „Polen befinde sich nicht in einer Krise, sondern die Politiker (der Opposition – Anm. RdP) geben den Staat der Anarchie preis, weil sie »Blut geleckt« haben“.

Die Warschauer Protestdemonstration am 13. Dezember 2014, zu der Recht und Gerechtigkeit aufgerufen hatte, wurde im Regierungslager und seinen Medien einhellig als „ein Versuch Polen in Brand zu setzten“ gewertet.

Marsch für die Verteidigung der Demokratie und der Medienfreiheit, veranstaltet von Recht und Gerechigkeit (PiS) am 13. Dezember 2014 in Warschau
Marsch für die Verteidigung der Demokratie und der Medienfreiheit, zu dem Recht und Gerechigkeit (PiS) am 13. Dezember 2014 in Warschau aufgerufen hat

15. Die für das Regierungslager in kritischen Situationen typische Abwehrhaltung („ist ja nicht weiter schlimm“), verleitete den Kommentator der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ am 20. November zu der Feststellung: „Es ist ein Fehler, diejenigen die Fragen nach dem Verlauf der Wahlen stellen als »Wahnsinnige« zu bezeichnen, während aus dem ganzen Land Berichte eintreffen, nicht nur über Fehler im Stimmauszählungssystem, sondern auch, und das wiegt schwerer, über eine groβe Zahl ungültiger Stimmen. (…) Anstatt die Zweifelnden des Wahnsinns zu bezichtigen, sollte der Staatspräsident alles unternehmen, damit ihre Zweifel schnellst möglich zerstreut werden“.

16. Über die Rechtmäβigkeit und Richtigkeit von Einsprüchen gegen ein Wahlergebnis befinden in Polen die zuständigen

                                                    Gerichte

der zweiten Instanz (Bezirksgerichte). Einsprüche können bis 14 Tage nach der Wahl vorgebracht werden. Da die amtlichen Endergebnisse aber erst sechs Tage nach der Wahl bekannt wurde, hatte sich diese Frist auf 7 Tage verkürzt. Das Gericht muss innerhalb von 30 Tagen ein Urteil fällen. Stellt es gravierende Verstöβe fest, kann die Wahl in einem Wahlkreis wiederholt werden. Etwa 2000 Beschwerden wurden im ganzen Land eingebracht.

17. Die Opposition versuchte ebenfalls

                   das Interesse des Europäischen Parlaments

für die Miβstände zu wecken. Das gelang nur bedingt. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei, in der die in Polen regierende Bürgerplattform Mitglied ist, hat zusammen mit den Sozialisten eine Debatte über die polnische Wahlkatastrophe abgelehnt. Die Mehrheit folgte dem Argument, der hinter den Kulissen aufs heftigste agierenden polnischen Regierungsvertreter, „es sei ein Versuch die innerpolnische politische Debatte auf die europäische Ebene zu verlagern“. Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (FEKR), der Recht und Gerechtigkeit angehört, hat daraufhin am 11. Dezember in Brüssel eine öffentliche Anhörung veranstaltet. Der britische Konservative und FEKR-Chef Syed Kamall, schloss die Anhörung mit den Worten: „Die Ereignisse in Polen geben Anlass zur Sorge. Ich kann mich an keine Unstimmigkeiten dieses Ausmaβes in einem anderen EU-Land erinnern“.

18. Es wird viel spekuliert über

                                            mögliche Gründe

für den „Wahlerfolg“ der Bauern und für die vielen ungültigen Stimmen. Plausibel klingt folgende Theorie:

Schuld seien zum einen, die für die Wahlen zu den Regionalparlamenten zu kleinen Broschüren zusammengehefteten Wahllisten der Parteien. In so einem „Büchlein“ im DIN A4-Format, musste der Wähler die Seite mit der gewünschten Wahlliste finden, und auf dieser Seite bei nur einem Namen ein „X“-Zeichen setzen.

Diese Broschüren hatten kein Inhaltsverzeichnis und enthielten auf der ersten Seite keine Instruktion, über den korrekten Wahlvorgang. Auf der ersten Seite befand sich (entsprechend einer Auslosung) die Liste Nr. 1 der Bauernpartei. In der Fernsehwahlwerbung der Staatlichen Wahlkommission hieβ es, dass „auf einer Liste nur ein Name angekreuzt werden darf“. Viele Wähler schlussfolgerten daraus, dass sie auf jeder Liste ein „X“-Zeichen machen sollen, und taten dies auch. Viele legten gleich vorne los und merkten zu spät, dass sie gar nicht die Bauernpartei wählen wollten, und machten dann noch ein Kreuz auf der „richtigen“ Liste, was die Stimmabgabe automatisch ungültig machte. Manche belieβen es bei dem Kreuz auf der ersten Seite und warfen die Broschüre in die Urne. Bei früheren Wahlen zu den Regionalparlamenten wurden plakatgroβe Wahlzettel ausgegeben. In diesem Fall war die Direktive: ein „X“-Zeichen auf dem Wahlzettel offensichtlich einleuchtender und einfacher zu befolgen.

Diese Verwirrung soll den Bauern zu ihrem „Traumergebnis“ verholfen haben, hieβ es. Am 20. Januar 2015 veröffentlichte Jarosław Flis,  Soziologe an der Jagiellonen-Universität in Kraków, seine Studie zu der Frage „Wahlbroschüre“. Seinen Berechnungen zufolge, hat die Bauernpartei dank der geschilderten Umstände zusätzlich 700.000 Stimmen bekommen.

Offen bleibt die Frage: wie kam es dazu, dass in einem Wahlkreis bis zu 40% der Stimmen ungültig gewesen sind, und im Nachbar-Wahlkreis nur 3%?

Das durch die Wahl- Broschüren verursachte Chaos  belastet die Staatliche Wahlkommission und das ihr unterstehende Zentrale Wahlamt genauso schwer, wie der Zusammenbruch der Rechner. Und die Frage steht im Raum : war das alles Zufall oder vielleicht doch gewollt?

19. Führende konservative polnische Kommentatoren haben mit Ironie und Sarkasmus auf die

Reaktion deutscher Medien

auf das polnische Wahlchaos hingewiesen. Nachstehend zwei Beispiele.

Unter dem Titel „Deutsche Medien drücken ein Auge bei Wahlungereimtheiten in Polen zu. Für Berlin ist es am wichtigsten, Recht und Gerechtigkeit fern von der Macht zu halten“ schrieb Sławomir Sieradzki am 23.11.2014 im Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPoiltik.pl“) u.a.:

„Sind die Medien in unsrem Nachbarland sehr beunruhigt gewesen über die Verspätungen bei Bekanntgabe der Ergebnisse der Kommunalwahlen und über Ungereimtheiten, die eher typisch sind für Dritte-Welt-Staaten? Nein, sie haben es sehr gelassen zur Kenntnis genommen. Hat sie etwas beunruhigt? Ja, der Sieg von Recht und Gerechtigkeit (PiS), wie er am Wahlabend aus der Nachwahlbefragung hervorging. Die deutschen Medien haben den Akzent nicht auf die vielen Regelwidrigkeiten gesetzt. Ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die „rechten Krawallen“ vor dem Sitz der Staatlichen Wahlkommission“

– schreibt Sieradzki.

Am weitesten ging, seiner Meinung nach, der Warschauer ZDF-Korrespondent Armin Coerper, der „ein Phantom“ zurückkehren sah.

Jarosław Kaczyńskis Foto lieβ keine Zweifel offen, so Sieradzki, „mit wem die Deutschen ihren Kindern Angst machen“. „Das Phantom“ beschreibt Coerper wie üblich: es hat (2005 bis 2007 – Anm. RdP) mit seinem Bruder eine „Zwillingsrepublik“ gebildet, es sei eine Zeit gewesen „der anti-deutschen Ressentiments, der Hatz auf Andersdenkende und der Rückbesinnung auf nationale Werte“. Seinen Bericht beschlieβt Coerper, so Sieradzki, mit der Schlussfolgerung, dass nach der Kommunalwahl für Ewa Kopacz, der Nachfolgerin Donald Tusks als Regierungschefin, die Zeit des Weckrufs angebrochen sei, wenn sie ein modernes Polen wolle, und nicht etwa den Sieg Kaczyńskis mit seinen Ängsten und Feindbildern.

„Welche Schlussfolgerung kann man aus Coerpers Bericht ziehen?“, fragt Sieradzki und antwortet: „Eine sehr gefährliche, für Polen und unsere zerbrechliche Demokratie. Die Deutschen werden der regierenden Bürgerplattform freie Hand lassen für Aktionen, die um jeden Preis eine Partei von der Macht fernhalten soll, die Berlin nicht genehm ist. Und sie werden, wie jetzt, ein Auge bei jeder Niederträchtigkeit zudrücken, die zu diesem Ziel führt“,

so sein Fazit.

Nicht anders sieht es Marek Magierowski im Wochenmagazin „Do Rzeczy“ („Zur Sache“) vom 24.11.2014. Er schreibt unter dem Titel

„Das Betonschema der deutschen Medien“:

„Als ganz Polen sich Gedanken darüber machte, ob wir schon in eine schwere Verfassungskrise geraten sind oder noch nicht, echauffierte sich der deutsche „Spiegel“ darüber, dass der Homosexuelle Robert Biedroń in die Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters von Słupsk/Stolp gehen muss. Als die Staatliche Wahlkommission sich von Stunde zu Stunde mehr blamierte, als sich herausstellte, dass sich jeder ins elektronische Stimmenauszählungssystem einloggen kann, als an den Wahlurnen Wunder geschahen, schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin vom „ernsthaften Test für die Toleranz“ an der Weichsel. Das wär’s dann auch, wenn es um die Redlichkeit bei der Beschreibung der polnischen Realität in den deutschen Medien geht“,

so Magierowski.

„Deutsche Medien beschreiben Polen seit Jahren nach dem Betonschema: die Bürgerplattform – gut, Kaczyński – sehr schlecht. Alles, was in dieses Schema nicht passt, wird von vorneherein als uninteressant und unwichtig angesehen. (…) Käme es zu einem solchen Skandal in Orbans Ungarn, würde dann „Der Spiegel“ nur über den homosexuellen Bürgermeister von Debrecen schreiben? Ich denke nein“,

beschlieβt Magierowski seinen Kommentar. © RdP 

Polnische Kommunalwahlen

37 OSZE-Kriterien (und somit gut 54%) nicht erfüllt

Vorbereitung, Verlauf und Auszählung der Wahlen vom 16. November 2014 lieβen auβerordentlich viel zu wünschen übrig. Bei einer ernsthaften Überprüfung durch EU-, bzw. OSZE-Beobachter hätten sie den Test wahrscheinlich nicht bestanden. Jedenfalls wurden, nach Ansicht der Opposition, bei den polnischen Kommunalwahlen 2014 von den 68 Kriterien der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)  37 OSZE-Kriterien (und somit gut 54%) nicht erfüllt.

Zu den wichtigsten gehören:

Confusion and disorganization at polling stations – Durcheinander und Desorganisation in den Wahllokalen;

Failure by polling officialls to follow required procedures  – die Nichteinhaltung von vorgeschriebenen Abläufen durch amtliche Wahlhelfer ;

Ballot-box stuffing – zu viele Stimmzettel in den Wahlurnen;

The presence of pre-marked ballots – Auftauchen von vorher ausgefüllten Stimmzetteln;

Excessive delays in administering the voting – erhebliche Verspätungen beim Verwalten der Wahl;

Adding marked ballots after the opening of the box – Hinzufügen von markierten Stimmzetteln nach dem Öffnen der Wahlurne;

Attempts to invalidate ballot papers – Versuche Stimmzettel ungültig zu machen;

Disorderly counting procedures – Fehlen geordneter Auszählungsprozesse;

Discrepancies in the reconciliation figures, such as a higher number of ballot papers found in the ballot box than the number of signatures on the voter list – Unstimmigkeiten beim Abgleich der Zahlen nach der Auszählung, wie z. B. mehr Stimmzettel in der Wahlurne als Unterschriften im Wählerverzeichnis;

Inadequate numbers of counting staff and supervisors – nicht ausreichende Anzahl von Stimmenzählern und Überwachungspersonal;

Dishonest counting or reporting of the ballots – unredliches Zählen oder Auswerten der Stimmzettel;

Insecure storage of unused ballots – nicht gesicherte Aufbewahrung von unbenutzten Stimmzetteln;

Polling-station results protocol not completed in the polling station das Protokolle des Wahlergebnisses eines Wahllokals wurden nicht im Wahllokal selbst angefertigt;

Failure to post official results at the polling station – das Protokoll mit den Wahlergebnissen wurde nicht im Wahllokal ausgehängt;

Insecure transport of polling materials to the tabulation centre – ungesichertes Transportieren von Wahlunterlagen zu den zentralen Auswertungsstellen;

Unreasonable delays in transfering results to the tabulation centre – unangemessene Verspätungen in der Weitergabe von Ergebnissen an die zentrale Auswertungsstellen;

Inadequate premises, leading to overcrowding and chaotic tabulation process – ungeiegnete Bedingungen, die zu einer Ballung und zu chaotischen Zuständen bei der Stimmenauswertung führten;

Falsifying or switching result protocols – Fälschen oder Austauschen von Ergebnisprotokollen;

Lack of transparency or irregular procedures at tabulation centres – Fehlen von Transparenz oder irreguläre Verfahrensweise in den zentralen Auswertungsstellen;

Unreasonable delays in the announcement of results – unangemessene Verspätungen bei der Bekanntgabe der Wahlresultate;

Unbalanced or insufficient supervision of the tabulation of final results – unausgewogene oder ungenügende Überwachung bei der Auswertung des Endergebnisses;

Failure to publish detailed results down to district and polling-station level – fehlende Veröffentlichung von detaillierten Endergebnissen bis hinunter zu den einzelnen Wahlkreisen und Wahllokalen;

Discrepancies between election-day records of results and the final results at any level of the election administration – Unterschiede zwischen den am Wahltag festgestellten Ergebnissen und den Endergebnissen, auf jeder Ebene der Wahlverwaltung ;

Complaints that are ruled inadmissible or dismissed on technical grounds – Beschwerden, die als unzulässig erklärt oder aus technischen Gründen abgewiesen wurden;

Refusals by election commissions to preform recounts – Wahlvorstände lehnen eine Wiederholung der Stimmauszählung ab;

Irregularities or confusion in selecting which persons on party lists will be awarded seats – Unregelmäßigkeiten oder Verwirrung bei der Festlegung, welche Personen auf den Parteilisten ein Mandat erlangt haben.

RdP




Kirche stellt sich der Pädophilie

Die Medien nehmen es kaum zur Kenntnis

Am 20. Juni 2014 fand in Kraków die internationale Konferenz „Wie soll man den Missbrauch von Kindern verstehen und auf ihn in der Kirche reagieren“. Veranstalter war das Kinderschutz-Zentrum (KSZ) an der Akademie Ignatianum. Das Ignatianum in Kraków, eine kirchliche Hochschule in der Trägerschaft des Jesuitenordens, gibt es seit 1999. Das KSZ entstand im März 2014. Es soll durch Forschung und praktische Schulungen den Kindesmissbrauch durch Geistliche zu unterbinden helfen. Bereits im März 2012 verabschiedete die Polnische Bischofskonferenz sehr strenge Umgangsregeln mit Priestern, die sich der Pädophilie schuldig gemacht haben.

Akademie Ignatianum in Kraków
Akademie Ignatianum in Kraków

Geleitet wurde die Tagung in Kraków durch Pater Adam Żak, den Chef des KSZ und seit Juni 2013 zugleich der Beauftragte der Polnischen Bischofskonferenz für den Kinder- und Jugendschutz.

Pater Adam Żak
Pater Adam Żak

Teilnehmer waren, neben polnischen Fachleuten, ausländische Gäste, u.a. Pfarrer Robert Oliver von der Vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre, der in seinem Referat die vom Vatikan zusammengetragenen Informationen und Erfahrungen auf diesem Gebiet vorstellte. Ein weiterer Referent war Prof. Jörg M. Fegert aus Deutschland, u. a. ärztlicher Direktor der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie der Universität Ulm und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Es wurde mitgeteilt, dass zwischen 2003 und 2013 im ganzen Land 27 Priester wegen Kindesmissbrauchs rechtskräftig verurteilt wurden. Zwar mache das nicht einmal ein Hundertstel der knapp sechstausend wegen Pädophilie im selben Zeitraum Verurteilten in Polen aus, dennoch nehme die Kirche das Problem inzwischen sehr ernst.

Einladung zum Reue-Gottesdienst
Einladung zum Reue-Gottesdienst

Wie ernst, das wurde während des sich an die Konferenz anschlieβenden Reue-Gottesdienstes sichtbar, zu dem der Primas von Polen, Erzbischof Wojciech Polak und der Apostolische Nuntius in Warschau, Erzbischof Celestino Migilore angereist waren.

Nachstehend dokumentieren wir die Predigt mit dem Titel

„Beschämt und reuevoll bitten wir um Vergebung“

 

des Bischofs von Płock, Piotr Libera, während des Reue-Gottesdienstes für die Sünden des sexuellen Miβbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche, abgehalten am 20. Juni 2014 in der Basilika des Allerheiligsten Herzen Jesu in Kraków

Wortlaut:

Ein Reue-Gottesdienst… Die Kirche im Halbdunkel versunken… Bedeutende Gesten… Die Tiefgründigkeit der katholischen Liturgie… Das alles fiel mir ein, als ich im Programm des heutigen Gottesdienstes, noch zu Hause in Płock, geblättert habe, im Schatten des mittelalterlichen Turms aus der Zeit Bolesław des Schiefmunds*, der Reue zeigen musste für die Sünde, seinen Bruder Zbigniew blind gemacht zu haben. Im Schatten eines Turms, dessen Steine sich noch an Konrad von Masowien** erinnern, der büβen musste für seine schweren Sünden gegen Staat und Kirche.

Dort, in Płock, wo ich mich seit dem Beginn meines seelsorgerischen Dienstes mit Sünden herumschlagen musste, für die wir heute den Guten Herren und die Menschen um Vergebung bitten, dort, habe ich mich gefragt, was meine Rolle sein soll, hier, in der ehrwürdigen jesuitischen Herz-Jesu-Basilika, inmitten all dieser Gesten und Symbole.

Die Antwort lautete: Schönheit und Tiefgründigkeit dürfen das Konkrete, den konkreten Schmerz, das konkrete Leiden nicht verschleiern! Deine Aufgabe ist es, deutlich und verbindlich über das Konkrete zu sprechen! Genauso wie es Papst Franziskus tut, wenn er ohne Umschweife feststellt: „Wenn ein Geistlicher ein Kind miβbraucht, dann stöβt er Gott weg, dann begeht er Verrat an Gott. Die Aufgabe des Priesters ist es das Kind zur Heiligkeit zu führen, und das Kind vertraut ihm. Das ist eine sehr ernste Angelegenheit, wenn ein Priester, statt dessen, das Kind miβbraucht. Es ist als würde er an einer Teufelsmesse teilnehmen (…) Das dem Kinde angetane Leid, so Franziskus, bleibe in ihm sein ganzes Leben lang bestehen“.

Es ist offensichtlich, dass es für viele Menschen und in vielen Milieus bequem ist nur die Priester, und am besten gleich alle Priester, auf die Anklagebank zu setzten. Wir wissen auch, dass sich viele Sozial- und Berufsgruppen in unserem Lande kaum, und wenn überhaupt, dann auf einem armselig niedrigen Niveau, dem Nachdenken über dieses Problem gewidmet haben.

Uns ist ebenso bewusst, dass es eine enge Verbindung gibt zwischen der Pädophilie und der Gegenkultur der Vernichtung des Familienlebens, der sich die Kirche entschieden widersetzt. Zu dieser Gegenkultur gehört das ideologisch bedingte In-Abrede-Stellen der Unterteilung in ein männliches und ein weibliches Geschlecht als wichtigen Umstandzur Formung der Identität und Reife des Menschen. Zu ihr gehört die Abtreibung, durch die dem Kind das Recht auf Leben entzogen wird, in dem man es nach der Zeugung mit Gewalt beseitigt. Ihr Bestandteil ist auch die Pädophilie, der Gebrauch von Gewalt gegenüber einem Kind und das Ausnutzen seines Vertrauens, als Folge eines gestörten geschlechtlichen Lebens. Alle diese Erscheinungen eint die falsche Wahrnehmung der Sexualität, eint das In-Abrede-Stellen der Bedeutung der Vaterschaft, das Gespött dem die Mutterschaft preisgegeben wird, das Bemühen die Bindungen zwischen Kindern und Eltern zu schwächen.

Das alles ist bekannt und offensichtlich. Doch das ist keine Entschuldigung! Das befreit uns nicht von der Pflicht das Problem der Pädophilie in unseren Reihen zu erkennen, um seine Bedeutung zu wissen, die Stimme der Opfer zu hören und ihnen allseits Hilfe angedeihen zu lassen.

Hören wir eines der Zeugnisse: „Ich habe ihn aufgefordert damit aufzuhören. Er hörte nicht auf. Während er mich belästigte, entgegnete er auf meinen Einwand hin, er sei Priester, also kann er mir kein Lied antun. Er fotografierte meine intimsten Körperteile und sagte ich sei dumm, wenn ich denke, es sei etwas Schlechtes (…). Mir war schrecklich zumute. Ich fühlte, dass alles was er tat schlecht ist, aber ich konnte es nicht unterbinden. Ich habe nicht geschrien, ich habe mit niemandem darüber gesprochen. Ich wusste nicht was ich tun soll. Ich habe einfach gebetet, dass er endlich damit aufhört… Doch er hörte nicht auf.

Die Tatsache, dass mich ein Priester miβbrauchte, verstärkte das Durcheinander in meinem Kopf. Dieselben Finger, die die Unantastbarkeit meines Körpers verletzt haben, reichten mir am nächsten Tag die allerheiligste Hostie. Dieselben Hände, die den Apparat hielten, um meinen entblöβten Körper zu fotografieren, hielten am Tage das Gebetbuch, als er kam, um mir die Beichte abzunehmen. Die Behauptung, als Priester könne er mir nichts Schlechtes antun, hielt ich für die Wahrheit. Man hatte mir doch beigebracht, dass ein Priester mehr ist als ein einfacher Mensch. Das steigerte nur noch meine Schuldgefühle und festigte meine Überzeugung, dass ich, und nicht er, an allem schuld sei. Als es vorbei war, war ich ein ganz anderes Mädchen, als ich es gewesen bin, bevor ich dorthin kam. Ich verlor meine Selbstsicherheit, meine Sorglosigkeit und mein Glücksgefühl. Ich war überzeugt, dass ich schlecht sei und dass ich das vor der ganzen Welt verbergen muss. Ich habe mich nicht gegen die Religion, ich habe mich gegen mich selbst gewandt“.

Kann es ein schrecklicheres Bekenntnis geben? Und ist die Anhörung der Opfer und redliches Benennen der diesbezüglichen Verbrechen, die sich innerhalb der Kirche abgespielt haben, nicht eine grundlegende, elementare Pflicht? Leider ist ein Teil unserer Kirche immer noch nicht in der Lage, weder das anzuerkennen, noch es über sich zu bringen.
Als Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern in katholischen Einrichtungen im Westen publik wurden, meinte die Mehrheit der Bischöfe und anderer Verantwortlicher zu wissen, es handle sich um vereinzelte Zwischenfälle. „In der Tat, räumten die Bischöfe ein, es sei betrüblich, dass es so weit gekommen ist, aber es sind Ausnahmen“. Später sagte man: „Das ist ein Problem Amerikas“ Danach: „Das ist ein Problem der angelsächsischen Länder“. Die Grenze wurde immer weiter und weiter verlegt, nur um sagen zu können: „Das betrifft uns nicht“.

Nein, der Missbrauch und die Vernachlässigung von Kindern betreffen uns! Und wir räumen das ein, nicht nur um die mythische Glaubwürdigkeit der Kirche wiederzuerlangen. Auch nicht deswegen, um einem weiteren Schlag auszuweichen! Wir tun es, weil sich das so gehört! Wir tun es aus Solidarität mit einem verletzten Menschen, um ihm unser tiefes Beileid auszusprechen, um in ihm zu retten, was sich noch retten lässt, um sein Leid zu erfahren, mit dem er oft nicht umzugehen weiβ, weil sein Glaube und sein Vertrauen in die Kirche hintergangen worden sind.

Bischofs von Płock, Piotr Libera hält die Predigt während des Reue-Gottesdienstes für die Sünden des sexuellen Miβbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche
Bischof von Płock, Piotr Libera hält die Predigt während des Reue-Gottesdienstes für die Sünden des sexuellen Miβbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche

In diesem Geiste schrieb Papst Benedikt XVI. in seinem Hirtenbrief an die Katholiken in Irland: „Ihr habt schrecklich gelitten und ich bedaure das sehr. Ich weiβ, dass nichts das Böse auslöschen kann, das Ihr erfahren musstet. Euer Vertrauen wurde enttäuscht, eure Würde wurde mit Füβen getreten“. Wir schlieβen uns dieser Stimme an, wir machen sie uns zu eigen, in Kraków, hier, in Polen! Beschämt und reuevoll bitten wir um Vergebung. Wir bitten Gott darum, und wir bitten darum die Menschen, denen Priester Leid angetan haben!

Wir, die Bischöfe, bekennen zudem, dass wir allzu oft, anstatt das Wohl der Kinder an die erste Stelle zu setzen, uns von Betrug, von Heuchelei und von den „Verneinungsmechanismen“ der Pädophilie-Täter haben irreleiten lassen. Zu oft haben wir dem von ihnen angewendeten Abwehrmechanismen nachgegeben: dem Einreden, es sei „nur ein Einzelfall gewesen“; das Kind habe den Täter „bedrängt“ und „zu verführen“ versucht; es sei passiert, weil er „zu viel getrunken“ habe; dass sich das „nicht mehr wiederholen“ werde; dass er „gebeichtet und mit dem Vorgehen längst gebrochen“ habe. Heute wissen wir, dass ein Priester, der Kinder sexuell belästigt, auf diese Weise versucht seinen Vorgesetzten dazu zu bewegen, die Sache als abgeschlossen zu betrachten… Dabei ist sie meistens weder abgeschlossen, noch dermaβen begrenzt wie es dargestellt wird.

Wir bekennen zudem, dass, auch wenn die Zahl von Priester- und Mönchsanwärtern sinkt, die Vorgesetzten nicht nachsichtig sein dürfen angesichts der menschlichen Unzulänglichkeiten bei Kandidaten für den Priesterstand. Wir wissen ja, dass, wenn es, wie in einigen Ländern geschehen, zu wenige Bewerber zu den Priesterseminaren gab, unreife Männer mit Problemen sexueller Natur aufgenommen wurden. George Weigel*** hat zu recht darauf hingewiesen, dass das nebeneinander Bestehen von abartiger Sexualität und permissivem Umfeld zu katastrophalen Folgen geführt hat.

Einen solchen Fehler dürfen wir nicht begehen! Mehr noch, das Grundmerkmal der geistigen Einstellung von Priesteranwärtern darf nicht der Drang zu Selbstverwirklichung als ein Ziel an sich sein. Allzu oft nämlich, führt das zu einer Selbstbezogenheit, die eine Empfänglichkeit für Liebe und das Weitergeben von Liebe verhindert. Ein solcher sich ständig „selbstverwirklichender“ junger Mensch ist nicht fähig eine Beziehung zu einem anderen Menschen aufzubauen, die nicht zum Ziel hat diesen anderen Menschen auszunutzen um sich selbst zu verwirklichen.

Wir erkennen auch an, dass es notwendig ist, in solch wichtigen Angelegenheiten wie Familie, Kinder, Erziehung, den Rat der Laien einzuholen, vor allem der Eltern, ferner der Psychologen, Therapeuten, Juristen… Es ist notwendig von ihnen zu lernen, mit ihnen zusammenzuarbeiten auf der Suche nach Lösungen des Problems des sexuellen Miβbrauchs, mit ihnen das Wissen zu teilen, was man für den Schutz der Schwächsten tun kann. Wir müssen genug Demut und Mut haben, um Arbeitsgruppen zu bilden, bestehend aus Ärzten, Psychosexuologen, Juristen, Fachleuten auf dem Gebiet des Straf- und Kirchenrechts, Psychiatern.

Und am Ende noch eins: wir sind dem Heiligen Stuhl und den Kirchenvertretern aus anderen Ländern dankbar dafür, dass sie mit uns ihre Erfahrungen auf dem Gebiet der Ausrottung des sexuellen Missbrauchs von Kindern geteilt haben, für die Ausarbeitung von Handlungsstrategien und Vorgehensweisen, die sich als wertvoll erwiesen haben, und die wir in der Kirche in Polen bereits anwenden und weiterhin anwenden werden. Vergelt‘s Gott!

Anmerkungen RdP

* Bolesław III. Schiefmund (poln. Bolesław III Krzywousty, 1085-1138) war ab 1102 Herzog von Polen, ab 1107 Alleinherrscher. Er entstammte der Piasten-Dynastie.
** Konrad von Masowien (poln. Konrad I Mazowiecki, 1187-1247) war ab 1199, als Konrad I., Herzog in Masowien, ab 1202 Herzog in Kujawien, Sieradz und Łęczyca, sowie 1229–1232 und 1241–1243 Seniorherzog von Polen. Er entstammte der Piasten-Dynastie.

*** George Weigel (1951), amerikanischer katholischer Schriftsteller und Theologe, Autor des Bestsellers „Zeuge der Hoffnung“ (dt. 2011), der bestverkauften Biographie Papst Johannes Paul II.

RdP

Wenn Kirche Busse tut, schweigen die Medien

Knapp drei Wochen nach der kirchlichen Pädophilie-Konferenz und dem Reue-Gottesdienst in Kraków am 20. Juni 2014, stellte der kirchenpolitische Kommentator der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) Tomasz Krzyżak am 7. Juli 2014 die Frage nach den Reaktionen auf die Selbstkritik der Kirche. Seine Beobachtungen in Bezug auf die Medien in Polen sind alles andere als zuversichtlich gewesen. Nachfolgend die wichtigsten Thesen seines Artikels.

Zum ersten Mal während seines Pontifikates, schreibt Krzyżak, wird sich Papst Franziskus (die Begegnung fand am 7. Juli 2014 statt – Anm. RdP) mit Menschen treffen, die als Kinder Opfer des Missbrauchs durch Geistliche geworden sind. Darunter werden Iren, Engländer, Amerikaner und Polen sein. Sie sollen heute an einer Papstmesse im Haus der heiligen Martha (das dem Papst als Wohnquartier dient – Anm. RdP) teilnehmen.

In diesen Tagen berät auch im Vatikan der von Franziskus einberufene Jugendschutzausschuss. Vatikankenner erwarten, dass aus dem Munde des Papstes Worte der Verurteilung der Pädophilie und Ankündigungen einer scharfen Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche fallen werden. (…)
Auch aus dem Munde der polnischen Bischöfe fielen letztens starke und sehr notwendige Worte. Ende Juni, während des historischen Reue-Gottesdienstes, entschuldigten sich die Hierarchen für alle Fälle sexueller Belästigung von Minderjährigen durch Geistliche. Bischof Piotr Libera, der den Gottesdienst leitete, hatte offen zugegeben, dass ein Teil der Kirchenvertreter immer noch auβer Stande sei, das Verbrechen der sexuellen Belästigung offen zu benennen, die Opfer anzuhören und entsprechende Maβnahmen zu ergreifen,

(Der Wortlaut der Predigt Bischof Liberas siehe oben – Anm. RdP)
(…) Sollen die Bischöfe um Entschuldigung bitten? Sind sie nicht zu weit gegangen? Oder haben sie etwa zu wenig getan? Sollen sie vielleicht den Beschluss fassen, die Kirche werde den Opfern Entschädigungen zahlen? Es sind offene Fragen, die ein Beitrag zu einer ruhigen und ernsthaften Debatte sein könnten. Ist solch eine Debatte möglich? Betrachte ich die Reaktion der Medien auf die Konferenz von Kraków über sexuelle Belästigungen in der Kirche und auf den Reue-Gottesdienst, wage ich das leider zu bezweifeln. (…)

Nur wenige Medien haben über die Konferenz berichtet. (…) Ähnlich war es mit anderen, kleineren vorbeugenden Schulungen, die Pater Adam Żak, der Beauftragte der Polnischen Bischofskonferenz für den Kinder- und Jugendschutz seit einigen Monaten durchführt. Genauso war es im Falle der Antimissbrauchskonferenz, die unter der Schirmherrschaft von Erzbischof Leszek Głódź und mit Beteiligung (der ehemaligen Polnischen Ministerpräsidentin und langjährigen Botschafterin beim Vatikan – Anm. RdP) Hanna Suchocka vom päpstlichen Jugendschutzausschuss vor kurzem in Gdańsk stattgefunden hat. Zu dem Reue-Gottesdienst in Bielsko-Biała unter der Leitung des dortigen Bischofs Roman Pindel haben die Medien keinen Piep von sich gegeben. (…)

Ein Reue-Gottesdienst oder eine Konferenz zur Prävention liefern keine Kontroversen und Skandale. Solche Ereignisse sind aus der Sicht der Journalisten schlicht und einfach nicht aufregend genug. Viel unterhaltsamer ist da der Entschädigungsprozess eines Missbrauchsopfers gegen die Kurie in Kołobrzeg oder die Enttarnung eines weiteren pädophilen Priesters, der sich angeblich während eines Schülerausflugs nach Zakopane hat etwas zuschulden kommen lassen.

Man kann ratlos mit den Achseln zucken und feststellen, das sei eben die Eigenart moderner Medien. Sie haben keine kulturbildende, keine erzieherische Funktion mehr. Sie gleichen einer Fabrik, nur dass von den Flieβbändern News, anstatt Autos oder Fernseher rollen.

Im Falle des sexuellen Missbrauchs in der Kirche sind das Nachrichten, wie z. B. die Absetzung Erzbischof Wesołowskis oder neue Beweise für die Schuld des Pfarrers G., der auch in der Dominikanischen Republik tätig war, oder die neusten vatikanischen Angaben über Missbrauchsfälle, an denen der dortige Anwalt der Gerechtigkeit arbeitet. In Bezug auf Polen wird die sensationelle Nachricht sein, der Heilige Stuhl habe zum zweiten Mal den Bischöfen ihre Unterlagen zur Pädophilie zur Nachbesserung zurückgeschickt. (…)

In Sachen sexueller Miβbrauch in der Kirche fällt den Medien eine wichtige Rolle zu. Das unterstreichen beinahe auf Schritt und Tritt der Primas von Polen, Bischof Wojciech Polak und der Bevollmächtigte des Episkopats Pater Adam Żak. Oft haben die beiden den Journalisten für die Aufdeckung von Missbrauchsfällen gedankt, was u.a. dazu geführt hat, dass die Kirche einen mutigen Schritt gewagt und vorbeugende sowie selbstreinigende Maβnahmen durchgeführt hat.

Ein Jahr nach der Berufung eines Missbrauchs-Beauftragten, einige Monate nachdem die Bischöfe die Pädophilie-Richtlinien verabschiedet haben, gab es inzwischen in den meisten der 44 polnischen Diözesen Schulungen für Priester. Der von einem Teil der Medien bezichtigte Erzbischof Józef Michalik, pädophile Priester zu decken, hat inzwischen fünfzehn Priesterjahrgänge, insgesamt dreihundert Geistliche, zu Präventionskursen geschickt. Weitere Kurse sind für September und November 2014 vorgesehen. (…).Auch Orden führen Vorbeugeprogramme ein, die Pallottiner, die Franziskaner, die Kapuziner. (…).

Was, auβer Pädophilie-Skandale-Aufdecken, können wir Journalisten noch tun? (…) Unsere Aufgaben dürfen sich nicht nur darauf beschränken. Die Menschen wollen von uns vor allem die Wahrheit erfahren, die Wahrheit vom Anfang bis zum Ende. Derweil bekommen sie oft nur die halbe Wahrheit serviert. So ist es auch mit der Pädophilie in der Kirche. (…).

RdP




Was wollen die Bauern

Ein Fachpolitiker beurteilt, ein Landwirt berichtet.

Tagelang war Warschau im Februar 2015 Schauplatz intensiver Proteste der Landwirte, organisiert von der Bauern-Solidarność und der Bauerngewerkschaft im postkommunistischen Gesamtpolnischen Gewerkschaftsverband OPZZ. Dass diese beiden Organisationen, ansonsten miteinander verfeindet, Hand in Hand agierten, ist bisher einmalig und ein Beweis für die feste Entschlossenheit der Landbevölkerung für ihre Interessen einzustehen.
Regierung und regierungsnahe Medien haben die Proteste als unberechtigt und überzogen eingestuft. Von Dreistheit, Unverschämtheit und Parasitentum war sogar die Rede. Die Bauern bekommen Direktzahlungen aus der EU. Der Staat finanziert zu gut 90% ihre Krankheitskosten und Renten, da Bauern nur Kleinstbeiträge in ihre Renten- und Krankenkasse (KRUS) einzahlen, die nicht vergleichbar sind mit den Beiträgen anderer Berufsgruppen. Sie entrichten keine Einkommenssteuer. Sie bekommen jährlich umgerechnet ca. 20 Euro Diesel-Geld pro Hektar aus der Staatskasse, und so weiter, und so fort…. Kurzum: Horden schlitzohriger, zahnlückenstrotzender Rüpel haben ihr Schlaraffenland in der Provinz verlassen und sich auf ihren Monster-Treckern auf den Weg nach Warschau gemacht, weil sie den Hals nicht vollkriegen können. So in etwa die offizielle Auslegung.

Krzysztof Ardanowski
Krzysztof Ardanowski

Krzysztof Ardanowski ist Sejm-Abgeordneter der nationalkonservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und war Berater für Agrarfragen des im April 2010 tödlich verunglückten Staatspräsidenten Lech Kaczyński. Mit ihm sprach am 19. Februar 2015 das Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“). Nachfolgend die wichtigsten Passagen:

Frage: Glauben Sie, dass die Bauern mit ihren Forderungen zu 100% Recht haben?

Ardanowski: Da vermischt sich sehr Wichtiges mit weniger Bedeutendem. Das schafft Raum für Manipulationen und die Darstellung der Bauern als habgieriger Krawallmacher.

Frage: Worum geht es also?
                                     

                                     Gleichberechtigung

Ardanowski: Die Bauern fordern keine neuen Privilegien, wie ständig behauptet wird. Wer so redet, der hat keine Ahnung von der EU-Agrarpolitik. Die polnischen Bauern (gut 1,3 Mio. von ihnen bekommen EU-Direktzahlungen – Anm. RdP) denken so: wenn wir auf der Ausgabenseite schon die allgemeingültigen Anforderungen und hohen Kosten der EU-Mitgliedschaft tragen müssen (teure Sanitär-, Veterinär- und Umweltschutzmaβnahmen), dann wollen wir auch auf der Einnahmenseite wie die anderen EU-Bauern behandelt werden. (…)

Frage: Die polnischen Bauern nehmen es den Verantwortlichen übel, dass sie nicht wie ihre Kollegen in Deutschland oder Frankreich behandelt werden. (500 Euro pro Hektar EU-Direktzahlungen gibt es in Griechenland und auf Malta, ca. 100 Euro in Lettland, in Polen etwa 200 Euro pro Hektar, in Frankreich ca. 250 Euro, in Deutschland ca. 300 Euro pro Hektar, der EU-Durchschnitt liegt bei ca. 250 Euro – Anm. RdP). Haben sie recht damit?

Ardanowski: Ganz und gar. Politiker der Bauernpartei PSL (sie ist der kleine Koalitionspartner der seit 2007 regierenden Bürgerplattform PO und stellt den Landwirtschaftsminister Marek Sawicki – Anm. RdP) behaupten, dass Bauern in Lettland und Bulgarien noch kleinere EU-Direktzahlungen bekommen, aber dort gibt es kaum Landwirtschaft. Zehn Jahre nach dem EU-Beitritt muss sich Polen in eine Reihe mit Frankreich, Deutschland, Dänemark oder Holland stellen – Ländern die ähnlich viel wie wir produzieren, aber viel höhere Direktzahlungen und Unterstützungen für ländliche Gebiete bekommen.
Es war ein strategischer Fehler, der während der Verhandlungen (betreffend des neuen EU-Haushaltes 2013-2020 – Anm. RdP) gemacht wurde. Vertreter der Regierung Tusk haben sich sehr passiv in Sachen Landwirtschaft verhalten. Der polnische Landwirtschaftsminister (Marek Sawicki – Anm. RdP) war sehr zurückhaltend…. Aber auch wenn er viel offensiver agiert hätte, es wäre ihm im Alleingang nicht gelungen die Gleichstellung der polnischen Bauern zu erwirken. Ohne tatkräftige Unterstützung in Brüssel durch den eigenen Ministerpräsidenten, den Finanzminister, den Wirtschaftsminister, durch das ganze Kabinett, ist das nicht machbar. Donald Tusk aber pokerte gerade um seinen neuen Posten des EU-Ratspräsidenten. Ein Tusk, der aufmuckt, der fordernd auftritt, wäre schnell aus dem Rennen. Der Preis für seinen Posten war sein Stillhalten.

Frage: Das war‘s also?
                                                     

 Hilfe in der Not

Ardanowski: So sieht es aus. (…) Die Bauern haben in den letzten Jahren viel investiert. Die Regierung und ihre Medien wurden nicht müde den „polnischen Aufschwung“ zu rühmen. Dem Landvolk wurde eingetrichtert: nehmt Kredite auf, dann habt ihr die geforderten Eigenmittel, um in den Genuss der EU-Fördermittel aus dem Topf „Unterstützung ländlicher Gebiete“ zu kommen. Es hieβ, die gute Konjunktur für Agrarprodukte werde noch lange anhalten. Sehr viele Bauern haben so in die Milchproduktion, in die Schweinezucht, den Obstanbau usw. investiert. Inzwischen aber ist der Preis für 1 l Milch von 1,70 Zloty (ca. 0,40 Euro) auf unter 1 Zloty (ca. 0,24 Euro) gefallen. (Für 1 kg Kartoffeln werden den Bauern 0,02 Zloty (0,004 Euro) gezahlt. Für 1 kg Schwein bekommen sie im Durchschnitt 3,50 Zloty (0,85 Euro), im Juli 2014 waren es noch 5,50Zloty (ca. 1,35 Euro). Viele können ihre Kredite nicht mehr bedienen – Anm. RdP).

Frage: Wirtschaftsliberale sagen, Risiko gehört zum Geschäft. Wer einen Kredit aufnimmt, muss damit rechnen, dass er scheitert.

Ardanowski: Nur, in der EU-Landwirtschaft gibt es keinen freien Markt. Alles ist reguliert, vorgegeben, reglementiert. (…) Die Bauern können ihre Kosten kaum mehr senken. Den versprochenen stabilen Agrarmarkt, bei dem die Bauern auf Hilfe in der Not bauen können, gibt es nicht (angesichts des russischen Embargos, der Afrikanischen Schweinepest, des vor kurzem verhängten Verbotes der industriellen rituellen Schächtung – die polnischen Rindfleischexporte nach Israel und in arabische Staaten hatten einen Wert von 800 Mio. Euro im Jahr – Anm. RdP).

Frage: Stichwort Milchproduktion.

Ardanowski: Erstens. Die EU-Kommission hat für Milchproduzenten, die vom russischen Embargo getroffen wurden, ein Hilfsprogramm vorbereitet, von dem Litauen, Lettland, Estland und Finnland profitieren werden. Polen nicht, weil das polnische Landwirtschaftsministerium nicht rechtzeitig die erforderlichen Angaben und Unterlagen nach Brüssel geliefert hat!!!
Zweitens. Gleichzeitig wurden polnische Milchbauern mit hohen Strafen wegen Überschreitens der Milchquoten im Quotenjahr 2013/2014 belegt: insgesamt 46 Mio. Euro. Die entsprechende Behörde hat in den letzten fünf Monaten alle Auszahlungen für gelieferte Milch beschlagnahmt, um das Geld einzutreiben.
Drittens. Am 1. April 2015 werden die EU-Milchquoten abgeschafft. Polnische Milchbauern witterten darin eine Chance für sich, und erhöhten vorauseilend den Milchviehbestand, um gut „durchzustarten“. Vieles von der gestiegenen Produktion fiel noch in das letzte Quotenjahr 2014/2015. Die Strafen für polnische Milchbauern wegen Überproduktion werden dieses Mal ca. 200 Mio. Euro betragen. Die Strafe pro Milchbauer und abgeliefertem Liter soll sich auf 0,90 Zloty (ca. 0,21 Euro) belaufen. Das heißt, die Milchbauern werden eine Zeitlang völlig leer ausgehen. Die Gerichtsvollzieher interessiert das leider nicht im geringsten.
Die Proteste haben inzwischen einen Teilerfolg gebracht. Die EU-Kommission hat versprochen die Strafzahlungen von einem auf drei Jahre zu verteilen.

Frage: Stichwort Schweinefleisch.

Ardanowski: Auch hier hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Aufgrund des russischen Embargos ist ein enormes Überangebot auf dem gesamten EU-Markt entstanden. Die Preise sind im Keller angelangt, es tobt ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Polen wird von Schweinehälften aus Dänemark und Deutschland regelrecht überflutet. Jetzt rächt sich die überstürzte, reichlich naive Privatisierung der polnischen Industriemetzgereien. Anstatt den umliegenden Bauern Anteile an den Betrieben zu gewähren, wurde z. B. 2004 die gröβte polnische Schlachterei Sokołów Podlaski (7 Fabriken) an den finnischen Fleischkonzern HK Ruokatalo und die dänische Firma Danish Crown verkauft. Die wichtigsten Teilhaber an Danish Crown sind dänische Schweinezüchter. Kein Wunder, dass die Sokołów Podlaski-Fabriken in Polen fast ausschlieβlich dänisches Fleisch verarbeiten.
                  

Ernstgenommen werden

Frage: Die Bauern legen in ihren Protesten eine groβe Solidarität an den Tag. Das war früher nicht so.

Ardanowski: Bis vor nicht allzu langer Zeit haben die Fleischproduzenten mit den Schultern gezuckt wenn der Milchpreis fiel, und wenn der Schweinefleischmarkt zusammenbrach, dann sagten die Maisbauern, dass sie das nichts angehe. Die Bauern merken endlich, dass die Landwirtschaft einem System kommunizierender Röhren gleicht. (…)
Die ganze Situation ist eine Folge von Versäumnissen und einer leichtfertigen Sorglosigkeit der Regierung Tusk und jetzt der Regierung Kopacz, nach dem Motto: die EU-Direktzahlungen werden es schon richten, und für Probleme sind wir ja eh nicht zuständig, weil über die Landwirtschaft in Brüssel entschieden wird. Inzwischen lassen sich aber die Bauern nicht mehr auf diese Art abspeisen.
Frage: Sollte Recht und Gerechtigkeit die im Herbst 2015 anstehenden Parlamentswahlen gewinnen, werden sie ein gewaltiges Problem zu bewältigen haben.

Ardanowski: Ja, und ich bin weit entfernt davon zu behaupten, es gebe da ein Paar einfache Lösungen und damit hat es sich. Die über Jahre andauernden Unterlassungen und Versäumnisse der Regierung machen einige schwierige und komplizierte Entscheidungen notwendig, aber wir werden sie ganz bestimmt nicht scheuen. Vor allem jedoch darf man sich nicht sklavenhaft an der EU-Landwirtschaftspolitik orientieren, die nicht immer für uns von Vorteil ist. Man muss in Brüssel agieren und zugleich eine eigene nationale Landwirtschaftspolitik betreiben, wie das die groβen EU-Agrarstaaten seit eh und je tun. (…).

Frage: Wie geht es weiter mit den Protesten?

Ardanowski: Die Taktik der Regierung scheint zu sein: abwarten, in der Hoffnung die Bestellung der Felder im Frühjahr werde die Bauern schon zurück nach Hause locken.

Ein polnischer Bauer und seine Sorgen

Am 14. Februar 2015 veröffentlichte die Tageszeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) das Gespräch mit Tomasz Śmietało, einem Landwirt aus der Region Podlasie (mit Białystok) im Nordosten des Landes. Nachfolgend die wichtigsten Auszüge:

Tomasz Śmietało
Tomasz Śmietało

Frage: Worauf spezialisiert sich Ihr Betrieb?

Śmietało: Ich ziehe einhundert Mastschweine im Monat auf, habe 56 Jungsauen im geschlossenen System – mäste eigene Ferkel. Ich bin Schweinezüchter in dritter Generation. Den Betrieb habe ich von meinem Vater übernommen und vergröβere ihn nach Möglichkeit. Ich habe 18 ha Land hinzugekauft und einige neue Gebäude errichtet.

Frage: Trägt sich Ihr Betrieb nicht mehr?

Śmietało: Anstatt sich weiter zu entwickeln wird es wohl Zeit einzupacken. Es gilt Kredite abzuzahlen. Ich habe sie aufgenommen, um Land hinzu zu kaufen, die Wirtschaftsgebäude zu modernisieren, einen neuen Schweinestall zu errichten, um Traktoren zu kaufen. Das alles waren Investitionen in meinen Arbeitsplatz. Übrigens: die vielen schönen, neuen Trecker, die man im Fernsehen bei der Straβenblockade der Bauern in Zabłudów bei Białystok sehen konnte, gehören alle den Banken. Noch vor fünfzehn Jahren gab es Polnische „Ursus“-Traktoren für 100.000 Zloty (ca. 25.000 Euro – Anm. RdP). Die haben uns voll und ganz genügt, aber sie werden nur noch nach Afrika verkauft, weil sie angeblich nicht ganz den Umweltbestimmungen entsprechen, und wir müssen Traktoren aus dem Westen kaufen für 300.000 Zloty (knapp 75.000 Euro – Anm. RdP).

Frage: Die Banken geben doch keinen Leuten Kredite die zahlungsunfähig sind.

Śmietało: So lange alles lief, gab es Kredite. Jetzt, da ich kein Geld habe um zu zahlen, ist mir die Genossenschaftsbank (Bank Spółdzielczy) zum Glück entgegengekommen und hat die Raten erst einmal gestundet. Die wissen, wieviel ich wert bin. Früher waren mein Groβvater und mein Vater bei denen Kunden.

Frage: Wann fingen die Probleme an?

Śmietało: Vor einem Jahr als in der Region Podlasie die Afrikanische Schweinepest (ASF) ausbrach – eine Krankheit die von Wildschweinen übertragen wird und für das Hausschwein tödlich ist, Menschen aber in keinster Weise gefährdet. Es ging los mit den Preisspekulationen, vor allem seitens westlicher Firmen, die inzwischen auf dem polnischen Fleischmarkt vorherrschen. Sie wollten keine Schweine aus dem Gebiet, in dem der ASF-Virus festgestellt wurde kaufen, obwohl das Fleisch gesund, von den Veterinär-Kontrollen freigegeben und von höchster Qualität war. Das gesamte Fleisch für die Verarbeitung holten sie aus dem Westen.

Frage: Wieviel wird jetzt für ein Kilogramm Schwein gezahlt?

Śmietało: Etwa 3,50 Zloty (0,85 Euro – Anm. RdP), d. h. man muss pro Mastschwein etwa 100 Zloty (knapp 25 Euro – Anm. RdP) draufzahlen. Der Preis ist um 60% gefallen. Meine Frage: zahlen die Verbraucher auch 60% weniger für ihr Kotelett? Die Verbraucherpreise für Schweinefleisch sind um höchstens 5% zurückgegangen.

Frage: Wem verkaufen Sie ihre Schweine?

Śmietało: Einem örtlichen Kleinbetrieb. Nur so können wir noch existieren. Wären da nicht die kleinen polnischen Schlachtereien, dann gäbe es uns nicht mehr. Heute macht das polnische Schweinefleisch 10 bis 15% des Gesamtangebotes in unserem Land aus, der Rest kommt aus Deutschland und Dänemark: Ferkel, die man vor Ort mästet, Schweinehälften oder gleich fertige Wursterzeugnisse. Polnische Bauern werden ihre Schweine nicht los, obwohl der polnische Bestand in den letzten Jahren bereits von 19 auf 9 Mio. Stück zurückgegangen ist. Ich frage mich: wo ist unser Staat? Jeder Staat hat seine eigene Landwirtschaftspolitik, nur in Polen lässt man alles geschehen. (…)

Frage: Was hat die Landwirtschaft dem Land heute noch anzubieten?

Śmietało: Landwirtschaft das ist der Boden. Ohne Boden gibt es keinen Staat. Wir sind keine Unternehmer, wir bunkern unser Geld nicht in der Schweiz sondern investieren es in unsere Betriebe. Ich möchte, dass meine Kinder eines Tages auch Schweinezüchter werden.

Frage: Auf wen kann heute der Landwirt zählen?

Śmietało: Nur auf sich selbst.

Frage: Was erwarten die Landwirte in der Region Podlasie, die in ihrer Verzweiflung jetzt die Straβen blockieren?

Śmietało: Vor allem den Abschuss von Wildschweinen, die hektarweise den Mais vernichten. Es gibt Betriebe, in denen sie 80 bis 90% der Anbaufläche, manchmal zwischen 50 und 100 ha, zerwühlt haben. Die Wildschweine übertragen zu dem den ASF-Virus. Der Zuwachs des Bestandes ist enorm, dennoch erfüllen die Jagdpächter-Vereinigungen nicht einmal die Abschussvorgaben. Der Mais begünstigt diesen Zuwachs, macht die Tiere vermehrungsfreudiger, und erschwert den Abschuss, weil sie schwerer zu orten sind. Die Maismonokultur ist in den letzten Jahren entstanden, als aufgrund der EU-Zucker-Politik der Zuckerrübenanbau eingestellt werden musste und unsere Perle, die Zuckerfabrik in Łapy, geschlossen wurde. Bei mir in der Gegend wütet inzwischen eine Wildschweinrotte mit ca. 30 Tieren. Seit einem Jahr bitten und betteln wir darum sie zu dezimieren. Nichts passiert.

Frage: Die Regierung hat vorgeschlagen 850 Zloty (ca. 205 Euro – Anm. RdP) Entschädigung für einen vernichteten Hektar Mais zu zahlen.

Śmietało: Nicht alle kamen in den Genuss dieser Entschädigungen. Eine andere Sache ist, dass diese Summe nicht einmal zur Hälfte die Verluste abdeckt. Allein das Saatgut kostet pro Hektar 600 Zloty (ca. 145 Euro – Anm. RdP), die Aussaat von Mais auf einem Hektar kostet insgesamt 3000 Zloty (ca. 730 Euro – Anm. RdP). Ich habe Nachbarn, die letztes Jahr wegen der Wildschweine den Mais dreimal aussäen mussten.
Wenn ein mit ASF infiziertes Wildschwein entdeckt wird, werden im Umkreis von 10 km alle Schweine notgeschlachtet, auch wenn kein ASF-Virus bei ihnen festgestellt wurde. Meine Nachbarn kaufen meine gesunden Jungsauen nicht mehr, weil sie ihnen später von den dänischen und deutschen Schlachtfabriken bei uns nicht abgenommen werden. Die verarbeiten bei uns nur Importe aus ihren Ländern.
Wir haben Modernisierungskredite aufgenommen, die sehr verlockend erschienen, mit EU-Anteil. Aber wir müssen sie abzahlen. Wovon frage ich? (…)

Frage: Was könnte die Situation verbessern?

Śmietało: Angemessene Entschädigungen für ASF-geschädigte Schweinezüchter. In unserer Region Podlasie gibt es vorwiegend Familienbetriebe, in denen Schweine im geschlossenen System gezüchtete werden. Sie haben eigene Ferkel, die mit eigenem Futter gemästet und überwiegend an kleine, polnische Schlachtereien verkauft werden, die wiederum ihre Produkte selbst vertreiben. Das ist unsere Lebensgrundlage. In Masuren dagegen herrscht schon der amerikanische Konzern Smithfield. Der gibt den Bauern eigene Futtermittel, eigene Ferkel und verkauft die Fleischerzeugnisse an deutsche Discounter-Ketten in Polen. (…)
Die westlichen Konzerne wollen uns zugrunde richten und uns die Vertragsmast aufzwingen, bei der sie am besten verdienen, uns ein dänisches Ferkel geben, dänisches Futter und 30 Zloty (ca. 7,50 Euro – Anm. RdP) für die Aufzucht. So macht man freie Bauern zu Sklaven. (…)
RdP




Keiler wühlen, Biber nagen, Bauern klagen

Wildschäden nehmen zu und schüren Unmut.

Während der groβen Bauernproteste im Februar 2015 (Straβenblokaden auf dem Lande, mehrere Märsche und Massenkundgebungen in Warschau) spielten mangelnde  Entschädigungen für Wildschäden eine wichtige Rolle, was viele Unbeteiligte in Staunen versetzte.

Vom Internetportal „wPolityce.pl“ („inderPolitik.pl“) am 10. Februar 2015 danach gefragt, ob das wirklich solch ein groβes Problem sei, antwortete der Bauernpolitiker und Agrarier Artur Balazs:

„Das ist ein unvorstellbarer Skandal! Sämtliche Folgen der Wildschäden tragen praktisch die Bauern. Ich sage das aus voller Überzeugung. Die Schäden werden nämlich von den Jägern geschätzt, da kann man nicht erwarten, dass sie zu ihrem Nachteil handeln. Die Schätzung wird von demjenigen vorgenommen, der den Schaden zu verantworten hat und die Entschädigung zahlen soll. Das muss man sich erst einmal vorstellen! Die Schäden, die Wildschweine und Hirsche in ganz Polen verursachen sind immens, und Wiedergutmachungen gibt es nicht oder sie sind symbolischer Natur. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem eine neue gesetzliche Lösung erforderlich ist, damit ein Bauer nicht gegen Jagdpächter-Vereinigungen prozessieren muss, die ihre eigenen Anwälte haben, dazu vor Richtern, die nicht selten selbst Jäger sind“.

Im Jahr 2009 beliefen sich die Verluste, die geschützte Tiere (Elche, Wisente, Bieber und Wölfe) der Landwirtschaft zufügten auf 7,3 Mio. Zloty (ca. 1,8 Mio. Euro). 2013 waren es bereits 16 Mio. Zloty (ca. 3,9 Mio. Euro) und 2014 –  16,5 Mio. (gut 4 Mio. Euro). Dafür haftet der Staat, doch die geschädigten Landwirte klagen, er komme seinen Verpflichtungen nur zögerlich nach, und beschweren sich über Zahlungsrückstände.

Um ein Vielfaches höher sind Schäden, die diese Tiere in den Staatswäldern (ca. 80% der 9,1 Mio. ha Wald in Polen sind staatlich) anrichten. Vor allem Elche und Bieber haben im Jahr 2014  etwa 20.000 ha Wald zu vierzig und mehr Prozent vernichtet. Seitens der staatlichen Forstverwaltung heiβt es, es sei unmöglich die Schäden genauer zu beziffern. Jedenfalls gibt der Staatsforst allein für Schutzmaβnahmen gegen Wild pro Jahr etwa 135 Mio. Zloty (ca. 33 Mio. Euro) aus.

Immer mehr Schäden in der Landwirtschaft richtet jedoch auch das Jagdwild an. Hier sind es vor allem die Wildschweine. Während der Aussaat ernähren sie sich von Saatkartoffeln und Saatgetreide (Weizen, Mais). Enorm ist der Schaden, den Wildschweine an reifen Feldfrüchten verursachen, insbesondere an Kartoffeln, Weizen, Hafer und Mais. Hinzu kommen die von Wildschweinen verursachten Wiesenschäden. Die Tiere streben, insbesondere im Frühjahr, auf die Wiesen und Weiden und  wühlen die Flächen um, auf der Suche nach Engerlingen und Mäusen, um so ihren Eiweiβbedarf zu decken.

Für diese Schäden müssen die örtlichen Jagdpächter-Vereinigungen aufkommen. Im Jahr 2014 haben sie in ganz Polen den Landwirten 64 Mio. Zloty (ca. 16 Mio. Euro) gezahlt. Das Geld fließt aus den Mitgliedsbeiträgen und aus dem Erlös für erlegtes Wild. Die Wildpreise stagnieren jedoch und die Beiträge sind bereits hoch. Derweil steigen die Ausgaben für Entschädigungen kontinuierlich, weil die Zahl der Wildschweine wächst. Ursache dafür sind vor allem die mildem Winter und der zunehmend angebaute Mais, der die Vermehrungsfreudigkeit der Tiere erheblich steigert.

Während des ganzen Sommers 2014 protestierten vor allem Bauern aus der Gegend um Białystok, im Nordosten des Landes, um die Behörden auf die Wildschweinplage aufmerksam zu machen. Ein Beispiel von vielen ist der Vierhundert-Hektar-Betrieb Marcin Szarejkos, aus dem Ort Kolonia Zabludow, dem die Tiere im Sommer 2014 Mais im Wert von 90.000 Zloty (ca. 22.000 Euro) vernichtet haben. Die örtliche Jagdpächter-Vereinigung ist knapp bei Kasse und konnte ihm gerade mal 17.000 Zloty (ca. 4200 Euro) Entschädigung zahlen.

Kein Wunder, dass Szarejko und andere Bauern lautstark eine Dezimierung des rapide steigenden Wildschweinbestandes forderten, bis die Behörden, trotz der Appelle und Proteste von Naturschützern, alle Jagd-Einschränkungen aufgehoben haben. Immerhin hatte sich der Bestand der Tiere in Polen zwischen 2000 und 2012 von 118.000 auf 255.000 erhöht. Zum Abschuss freigegeben wurden daher auch Kleintiere und trächtige Säue. Zwischen Juli 2014 und Februar 2015 sind in ganz Polen 8000 Wildschweine erlegt worden.

Das Vorhaben dauert an,  stöβt  jedoch auf Widerstand bei den Jägern. Im Internetforum der Polnischen Jägervereinigung ist u. a. zu lesen: „Der Anblick von Föten, die aus dem Bauch einer trächtigen Sau herausgenommen werden oder der Anblick von Ferkeln, die orientierungslos herumlaufen wenn sich die Sau nicht mehr bewegt, ist nicht zu ertragen. Das mache ich nicht mit“.

Ähnlich groβe Probleme wie die starke Verbreitung der Wildschweine bereitet der Biber, dessen Bestand von 235 Stück im Jahr 1928 inzwischen auf etwa 80.000 angestiegen ist. Die arbeitswütigen Nager vernichten immer gröβere Waldflächen. Unter Kühen und Landmaschinen bricht der von Bibern untertunnelte Boden ein, das von Bibern gestaute Wasser überschwemmt Felder, Deiche werden zerwühlt. Mittlerweile erteilen Behörden Genehmigungen Biberbaue- und Dämme abzutragen. Die Tiere werden zum Abschuss freigegeben. Jedoch sind Biber sehr wachsam, intelligent, flink und deswegen schwer zu bejagen, was dazu führt, dass die Abschussquoten meistens nicht ausgeschöpft werden. Viel wirksamer sind Fallen.

© RdP

     

Mai 2014. Wildschweine auf einem polnischen Acker, auf dem Mais ausgesät wurde.