Obama von Słupsk und die falsche Hexe

Wenn Kirchenfeindschaft den Verstand trübt.

Es sollte ein historischer Akt der Gerechtigkeit sein und zugleich eine saftige Ohrfeige für die katholische Kirche. Robert Biedroń, Bürgermeister von Słupsk/Stolp, hatte beschlossen „eine Frau, ein Opfer der katholischen Inquisition“, die in seiner Stadt „auf dem Scheiterhaufen endete“ zu rehabilitieren, und einen Kreisel nach ihr zu benennen.

Seit den letzten Kommunalwahlen im November 2014 regiert Robert Biedroń (Jahrgang 1976), der seine Homosexualität offen lebt und als sein politisches Markenzeichen führt, die neunzigtausend Einwohner zählende Kreisstadt Słupsk/Stolp nahe der Ostseeküste. In Polen selbst hat sein Wahlsieg für weit weniger Aufregung gesorgt als z.B. in den deutschsprachigen Medien, wo Biedrońs Einzug in die Kommunalpolitik als ein kolossaler Triumph des Fortschritts in dem stets „konservativen“, „erzkatholischen“, „intoleranten“ und „verstaubten“ Polen dargestellt wurde.

Mit seinem Auftreten und den enormen Hoffnungen, die er zu entfesseln vermochte, hat er sich in den Boulevardmedien den Beinamen „Obama von Słupsk“ eigehandelt.

Über Biedrońs politische Karriere und die Gründe für seinen Wahlsieg, lesen Sie bitte ausführlich hier.

Skandalnudel bleibt Skandalnudel

Eigentlich, so hieβ es gleich nach seiner Wahl zum Bürgermeister, Ende 2014, habe Biedroń einen Reifungsprozess durchgemacht, sich von der „Skandalnudel“ in einen fleiβigen, ernstzunehmenden Politiker verwandelt. Nach knapp zwei Jahren im Amt nehmen sich Biedrońs Erfolge bei der Sanierung der hochverschuldeten Stadt jedoch eher dürftig aus. Auch die von ihm versprochene Belebung der sündhaft teuren Investitionsruine eines Aquaparks, die ihm sein Vorgänger hinterlassen hatte, ist längst noch nicht erfolgt. Biedroń wiedźma papież 1 fot.

Biedroń wiedźma paiez  2 fot.
Das Amtszimmer des Bürgermeisters von Słupsk mit Papstbild ohne Biedroń (oben) und mit Biedroń (unten rechts) ohne Papstblid.

Der vermeintliche Sieg des Fortschritts ging in Biedrońs Fall nicht automatisch einher mit einem Triumph der Vernunft. In die Schlagzeilen gerät der Bürgermeister regelmäβig lediglich dank seines leeren Aktionismus, seiner kleinen und gröβeren Provokationen, für die er in seiner Anfangszeit als Warschauer Sejm-Politiker auch schon bekannt war. Viele Menschen stöβt das ab, viele klatschen ihm aber auch Beifall, zieht doch wenigstens auf diese Weise, die ansonsten vergessene Provinzstadt, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich.

Nachfolgend einige Schlagzeilen.

April 2015. „Biedroń gesteht im TV! Ich bin immer weniger kompetent in Sex-Fragen. Bin 39 und fange langsam an zu vergessen was Sex ist.“

Juni 2015. „Biedroń wirft Portrait Johannes Paul II. aus seinem Amtszimmer weg.“ Der heiliggesprochene Papst ist Ehrenbürger der Stadt. Das so entsorgte Bild wurde anschließend feierlich in der Słupsker Marienkirche aufgehängt.

September 2015. Biedroń verfügt „Allgemeine Erfassung aller Kruzifixe in Schulklassen und Kindergärten in Słupsk. Eltern befürchten ein Verbot.“ Ein erzwungenes Abhängen fand nicht statt.

September 2015. „Biedroń will neue Straβen ausschließlich nach Frauen benennen. Männeranteil ist bereits viel zu hoch“. Die Medien berichten darüber groß und breit, es blieb aber alles beim Alten.

Dezember 2015. „Biedroń verbietet Weihnachtsbaum und Weihnachtsschmuck vor dem Rathaus.“ Nach Protesten lieβ er sich doch noch umstimmen.

Dezember 2015. Für Biedroń ist „Weihnachten nur ein verlängertes Wochenende“.

Februar 2016. „Biedroń stellt sich hinter Wałęsa“, als der Ende 2015 endgültig seiner bezahlten Spitzeltätigkeit für die polnische Stasi Anfang der 70er Jahre überführt wurde.

Februar 2016. „Biedrońs Skandal-Interview“ im Fernsehen. „Wenn man gut im Bett ist, dann muss man ein wenig herumhuren. Wenn man aber Politiker ist, dann muss man das unbedingt tun.“

Mai 2016. „Biedroń will ausdrücklich kommunistische Straβen-Namensgeber in Słupsk beibehalten“.

Biedroń setzt auf Provokation und Polarisierung, und nicht selten sind dabei Unwissenheit und Verblendung seine Wegweiser. So wie jüngst bei der „Rehabilitierung“ von Trina Papistin, die als Hexe 1701 in Stolp verbrannt wurde.

Doch nicht „unsere“ Hexe

„Es soll die Wiederherstellung der Ehre eines Opfers der römisch-katholischen Kirche sein, es soll zeigen, wie auch die Kirche Frauen gequält hat. Wir wollen, dass „unsere“ Hexe nicht vergessen wird, und wollen laut kundtun, wie man Frauen, auch in unserem Land, behandelt hat“, hieβ es auf der offiziellen Internetseite der Stadt.

Inzwischen wurde die Eintragung gelöscht. Zu groβ war die Blamage.

Biedroń wiedźmy fot. 1 Trina war der Kosename von Katherina, eigentlich Katarzyna, denn Trina war Polin und verheiratet mit dem Kaschuben Martin (Marcin) Nipkow. Sie wurde Papistin genannt, weil sie katholisch war. Nach Nipkows Tod heiratete sie den Metzger Andreas Zimmermann.

Trina trug damals ihr Katholischsein so offen zur Schau, „wie Biedroń heute seine Homosexualität“, schrieb ein Regionalhistoriker, als der stets auftrumpfende Biedroń seiner Ignoranz überführt wurde. Das damalige Stolp war, bis auf wenige Ausnahmen, zu denen Trina gehörte, rein protestantisch. Und das Land, in dem sie ermordet wurde, war nicht „unser Land“ sondern hieβ Preuβen. Polnisch wurde Stolp erst 1945, also 244 Jahre nach Trinas Verbrennung.

Trina, als „Papistin“ verspottet, war eine ausgewiesene Heilkräuterkennerin, die oft um Hilfe gebeten wurde. Das konnte den örtlichen Quacksalbern und Apothekern gar nicht gefallen. Und es war tatsächlich der Apotheker Zienecker, der am 4. Mai 1701 beim Stolper Magistrat gegen Katherina Zimmermann, früher Nipkow, genannt Trina Papistin, Beschwerde wegen Hexerei einlegte.

Und so nahm das Unheil seinen Lauf. Stadtrat Holz wandte sich an die Juristische Fakultät der protestantischen Universität Rostock, die im Juli 1701 das Martern einer Katholikin als rechtens befand. Eine der ältesten Universitäten Deutschlands, und nicht die katholische Heilige Inquisition, brachte daher Trina, die vermeintliche Hexe, auf den Scheiterhaufen.

Biedroń wiedźmy fot. 2 Am 11. August 1701 begann das Foltern. Trinas Extremitäten wurden in einen Stock geklemmt, mittels Schraubstöcken brach man ihr die Beine und Arme. Sie gestand, widerrief, wurde daraufhin, einige Tage später, mit glühenden Eisen traktiert, blieb nunmehr jedoch standhaft bis an ihr Ende. Am 30. August 1701 starb sie auf dem Scheiterhaufen, zurück blieben ihr Ehemann und die Kinder.

Die Kirche hat zu danken

Einen Rückzieher konnte sich Biedroń nicht erlauben. Am 29. Juni 2016 fasste der 24-köpfige Stadtrat von Słupsk einen Beschluss über die Benennung von elf Kreiseln im Verlauf der neuen Umgehungsstraβe, die den Stadtkern entlasten soll. Auf diese Weise kam eine polnische, katholische Märtyrerin in Słupsk posthum zu Berühmtheit und Ehren.

Stadtpräsident Biedroń machte gute Miene zum unerwarteten Ausgang seiner Aktion. Dass sich der örtliche Bischof ausdrücklich bei ihm bedankte und erwägt, wie es heiβt, zum Todestag der Märtyrerin am Kreisel eine groβe heilige Messe zu feiern, war so nicht geplant.

Vor Ignoranz und ihren Folgen schützt auch der angeblich so rationale Atheismus offensichtlich nicht.

© RdP




Obama von Słupsk

Homosexueller wird Bürgermeister. Na und?

Unter dem Titel „Obama von Słupsk“ veröffentlichte die Tageszeitung „Rzeczpospolita“ („Die Republik“) vom 20-21.12.2014 einen Artikel von Piotr Kobalczyk über die Wahl von Robert Biedroń (Jg. 1976) zum Bürgermeister der 90.000-Einwohner-Kreisstadt Słupsk/Stolp nahe der Ostseeküste. Biedroń bekennt sich offen zu seiner Homosexualität. Sein Sieg war in den deutschsprachigen Medien die wichtigste Nachricht zu den polnischen Kommunalwahlen von Ende November 2014. Das Chaos, in dem sie mündeten, die groben Miβstände, die sie kennzeichneten und die politische Krise, die sie hervorriefen, waren für sie keiner einzigen ernsthaften Analyse wert.

In Polen selbst hat Biedrońs Wahl für weit weniger Aufregung gesorgt. Immerhin hatte das im deutschsprachigen Raum stets als „konservativ“, „erzkatholisch“, „intolerant“ oder „muffig“ (wie die SZ vom 27.11.2014 schrieb), dargestellte Polen, bereits 1992 eine Frau (Hanna Suchocka) als Regierungschefin, dreizehn Jahre früher als Deutschland. Ebenfalls 1992 wurde Hanna Gronkiewicz-Waltz polnische Nationalbankpräsidentin, was der Bundesbank bis heute nicht widerfahren ist. Vergeblich sucht man im Bundestag bis heute nach Transsexuellen oder Schwarzafrikanern. Im polnischen Sejm waren sie immerhin zwischen 2011 und 2015 durch die Personen von Anna Grodzka und John Godson, einem Nigerianer, der seit 2000 die polnische Staatangehörigkeit besitzt, vertreten.

Sejm-Abgeordnete Anna Grodzka
Sejm-Abgeordnete Anna Grodzka

Sejm-Abgeordneter John Godson
Sejm-Abgeordneter John Godson

Peinliche Bemerkungen über Abgeordneten-Hintern

Nach den Parlamentswahlen von 2011 zog auch Robert Biedroń, in den Reihen der rabiat antiklerikalen Palikot-Bewegung des berüchtigten Polit-Clowns Janusz Palikot, in den Sejm ein. Der bekannte politische Kommentator Robert Mazurek beschrieb im Internetportal „wPolityce.pl“ („inder.Politik.pl“) am 3.12.2014 die Anfänge von Biedrońs politischer Karriere so:

„Ich erinnere mich an den Herbst 2011. Zusammen mit Palikots Haufen zog auch der angehende Promi in den Sejm ein. Es war ein peinlicher Anblick: breites Lächeln und eine grenzenlose Leere im Kopf. Der angehende Dr. der Politologie wusste damals nicht einmal was der Senioren-Konvent (vergleichbar mit dem Ältestenrat des Bundestages – Anm. RdP) sei“.

Hinzu kamen „seine vor laufenden Kameras gemachten peinlichen Bemerkungen über die Abgeordneten-Hintern, die ihn am meisten beeindruckt haben, und über das Anmachen von gut aussehenden Politikern“, erinnert sich Mazurek, und fährt fort: „Nebenbei bemerkt fällt es leicht sich auszumalen, was einem konservativen Abgeordneten medial widerfahren würde, wenn er sich dermaβen anzüglich über Busen und Hinterbacken seiner Abgeordneten-Kolleginnen öffentlich ausgelassen hätte.“

Später „wurde es nicht besser. Immer mehr Interviews, immer blödere Fernsehsendungen“, in denen er sich zeigte, „immer mehr Flitter. So wurde Biedroń groß – ein Politiker, der nur deswegen bekannt ist, weil er bekannt ist, ultrafortschrittlich, lächelnd, von den Mainstreammedien verehrt.“

Dann aber, so Mazurek, begann sich etwas zu ändern. Biedroń erwies sich als lernfähig, lieβ sich vom Bazillus der ernsthaften Politik anstecken, zeigte sich zunehmend als ein „fleiβiger und durchaus kompetenter Abgeordneter, der sich in die Arbeit der parlamentarischen Ausschüsse für Justiz und Auβenpolitik einbrachte “, immer mehr darum bemüht, das Image des Homo-Vorkämpfers abzulegen.

Um seinem wachsenden Gefallen am Politikmachen weiterhin frönen zu können, musste er sich allerdings etwas Neues einfallen lassen, denn die Palikot-Bewegung, mit der er ins Parlament kam, ist heute politisch tot, hatte keine Chance bei den Parlamentswahlen 2015 noch einmal über die 5%-Hürde zu kommen und in den Sejm zu gelangen.

Auch wenn er im Sejm drei Jahre lang den Wahlkreis Słupsk vertrat, mietete sich Biedroń erst kurz vor den Kommunalwahlen vom November 2014 dort eine Wohnung, gründete die Wählerliste „Endlich ein Wechsel“ und zog mit einem Minibudget in den politischen Kampf um das Bürgermeisteramt. In die zweite Runde gelangte er mit einem minimalen Vorsprung von 498 Stimmen gegenüber dem örtlichen nationalkonservativen PiS-Kandidaten und weit abgeschlagen hinter dem Favoriten von der regierenden Bürgerplattform (PO). Doch Biedroń, so Mazurek, „ackerte wie ein Gaul und gewann“ zwei Wochen später die Stichwahl.

Robert Biedroń in Słupsk im Kommunalwahlkampf, November 2014
Robert Biedroń in Słupsk im Kommunalwahlkampf, November 2014

Bezeichnend war, dass der bis vor kurzem noch rabiat antiklerikale Biedroń, der lautstark die Abnahme des Kruzifixes von der Stirnwand im Plenarsaal des Sejm forderte, nun beteuerte, er werde auf keinen Fall das Kreuz und das Portrait des hl. Johannes-Paul II. aus seinem Słupsker Amtszimmer entfernen lassen. Auch werde er keinen Sex-Anleitunsunterricht in den Słupsker Schulen fördern und keine Gay-Pride-Paraden veranstalten.

Was von Biedrońs Versprechungen nach knapp zwei Jahren üriggeblieben ist, lesen Sie hier.

Man sieht, schreibt Mazurek, „dass er sich sehr bemüht, den Ruf einer männlichen Skandalnudel und eines Exzentrikers los zu werden. Wie weit wird diese Wandlung gehen? Eine gute Frage… Ich habe keine Ahnung, ob Biedroń ein guter Bürgermeister sein wird. Bis jetzt ist jedenfalls über seine Fähigkeiten innerhalb der Verwaltung nichts bekannt“, lautet sein Fazit.

Warum also hat Biedroń gewonnen?

Kommentatoren nennen mehrere Gründe:

1.Die Obama-Methode

Piotr Lisiewicz zitiert in der Wochenzeitung „Gazeta Polska“ („Polnische Zeitung“) vom 17.12.2014 eine Überschrift aus der Regionalpresse von vor der Komunalwahl: „Skandal an höchsten Stellen in Słupsk: Bürgermeister beteuert, mit Abfackeln von zwei Autos seiner Konkurrenten nichts zu tun zu haben“. Solche Schlagzeilen sagen viel aus über das politische Klima in der Stadt.

„Zweimal gab es in den letzten Jahren in Słupsk Volksbefragungen über die Abberufung des bisher seit 12 Jahren amtierenden Bürgermeisters, eines Altkommunisten, der durch Filz und Vetternwirtschaft die Stadt in Schach hielt. Beide Male scheiterten die Befragungen an unzureichender Beteiligung“, erinnert in der „Rzeczpospolita“ der eingangs erwähnte Piotr Kobalczyk.

„Biedroń gewann in Słupsk nicht weil er schwul ist. Er gewann trotzdem. Er gewann, weil er nicht von hier ist“, lautet die nüchterne Diagnose von Joanna Podgórska in der Wochenzeitung der postkommunistischen Linken „Polityka“ vom 9.12.2014.

Biedrońs Verheiβung „Endlich ein Wechsel“ fiel auf einen fruchtbaren Boden, wie einst das berühmte „Change“ von Barack Obama.

Seine Gegenkandidaten beeindruckten durch Kenntnis der örtlichen Probleme und warfen Biedroń vor, er habe davon keine Ahnung. Biedrońs Antwort: „Sie kennen sich gut aus, und dennoch ist es um die Stadt so schlecht bestellt“, traf ins Schwarze.

2. Rebellion der Verzweifelten

Ruin und Abwicklung der Słupsker Groβbetriebe aus kommunistischer Zeit, massenweise Abwanderung junger Menschen zur Arbeit ins Ausland, Stagnation und Perspektivlosigkeit, die vordergründig durch renovierte Fassaden und neue Ladenzeilen kaschiert wurden. Das alles mündete im Januar 1998 in tagelangen Krawallen und Barrikadenkämpfen (22 zerstörte Polizeiautos, 72 verwundete Polizisten, 240 Festnahmen).

Der Auslöser: ein Polizist hatte einen 13jährigen Basketballfan auf offener Straβe zu Tode geprügelt. Die in Słupsk seit 1945 ansässige kommunistische Milizschule, nach 1989 in Polizeischule umbenannt, der gröβte Arbeitgeber vor Ort, und ihre entfesselten Beamten, hatten noch lange nach der Wende in der Stadt, nach alter Manier, für Ruhe und Ordnung „gesorgt“. Ob ein Blechschaden am Auto, ein Streit in der Kneipe, ein Strafzettel oder eine Festnahme, die Uniformierten waren immer im Recht, und wer nicht spurte, der wurde weichgeprügelt und wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt angezeigt. Staatsanwaltschaft und Gerichte sorgten für Rückendeckung. Was Wunder, dass die Krawalle von 1998 einem Volksaufstand glichen, bei dem ältere Frauen Polizisten von Balkonen mit Blumentöpfen bewarfen.

Schwere Krawalle in Słupsk 1998
Schwere Krawalle in Słupsk 1998

Piotr Lisiewicz erinnert in der „Gazeta Polska“ an diese Ereignisse und schreibt über Biedrońs Sieg: „Słupsk hat wieder einmal rebelliert“. Die Polizeiwillkür wurde nach 1998 eingedämmt, aber alle anderen Probleme sind geblieben. „Die Einwohner von Słupsk haben es sich so vorgestellt: sie wählen einen Bürgermeister von Auβerhalb, und der bringt in einem Bus eine Crew von Fachleuten mit, die die Stadt verwalten werden. Der Unmut über den lokalen Klüngel, der Wunsch ihn um jeden Preis davonzujagen, haben alle anderen Argumente in den Schatten gestellt. Darum haben sie Biedroń gewählt.“

3. Geblendet und erpresst

„Słupsk wurde auf gewisse Weise erpresst“, schreibt Piotr Kobalczyk in der “Rzeczpospolita“. „Machen wir uns nichts vor. Von Anfang an wurde in den Mainstream-Medien unterschwellig die Botschaft verkündet, dass Słupsk eine Prüfung in Toleranz ablegt. In wie weit sind die Menschen dort europäisch und fortschrittlich.“

Und dazu der Medienrummel. „Die Übertragungswagen groβer TV-Sender kamen erst dann, als Biedroń erschien. Alles was vor Biedroń war, war plötzlich langweilig und veraltet. Alles was mit ihm kam, war modern und spannend“. Plötzlich redeten sie sogar in Amerika über Słupsk.

Biedroń belagert von den Medien nach der Wahlentscheidung im November 2014
Biedroń belagert von den Medien nach der Wahlentscheidung im November 2014

Kobalczyks Fazit: „War Biedrońs Wahl zum Bürgermeister ein Beleg für Eigensinn, Offenheit, oder ein Ausdruck gefühlter provinzieller Minderwertigkeit? Oder ist die Antwort viel banaler: viele Einwohner von Słupsk haben einem in der Welt bekannten Schwulen, einem Polit-Promi ihre Stimme gegeben, damit ihre Stadt, sei es nur für kurze Zeit, automatisch in eine andere, bessere Liga aufgenommen wird?“

Wie geht es weiter?

Die Prosa des Lebens wird auch den neuen Bürgermeister bald einholen. Biedroń kommt mit dem Fahrrad ins Amt. Die zwei Dienstwagen im Rathaus sind abgeschafft, ebenso das Mineralwasser im Konferenzsaal, harte Sparmaβnahmen sollen die Ausgaben der Stadt um 5 Mio. Zloty (ca. 1,2 Mio. Euro) senken. Auf Biedrońs Anregung soll ab Mai eine Mieterhöhung um 10% in allen sechstausend städtischen Wohnungen in Kraft treten. Schon heute sind knapp viertausend städtische Mieter in Słupsk mit ihren Zahlungen im Rückstand.Im Dezember 2014 belief sich dieser Zahlungsrückstand auf insgesamt 17 Mio. Zloty (gut 4 Mio. Euro), davon gut 2 Mio. Zloty (knapp 0,5 Mio. Euro) Zinsen. Wird das gutgehen?

Der erhoffte Bus mit Fachleuten jedenfalls, ist nicht eingetroffen. Robert Biedroń ist in Słupsk ein politischer Einzelgänger, er braucht einen Apparat zum Regieren und Verwalten. In den Internetforen wurden sie bereits bemerkt: die vielen alten Kader aus dem bisherigen Klüngel, die er notgedrungen zu seinen engsten Mitarbeitern gemacht hat.

Biedroń hat den Menschen in Słupsk einen fundamentalen Wandel versprochen. Wird er sich, wie Obama, schon bald der politischen Wirklichkeit unterwerfen müssen? Und wird er, sollte er politisch scheitern, die „Homophobie“ dafür verantwortlich machen?

Polen “mit einem starken, katholisch geprägten Konservatismus“ wird in Deutschland (wie z. B. in der Tageszeitung „Die Welt“ vom 22.12.2014) stets und gerne eine kollektive Phobie (wörtlich: krankhafte Angst, Angstneurose, Abneigung, Ekel) in Bezug auf Homosexuelle unterstellt. Zwar wurde der Schwulenparagraph, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, in Polen bereits 1932 abgeschafft (in Deutschland erst 62 Jahre später), zwar gaben 2013 nur etwa 25% der Befragten Polen an, dass sie Homosexualität für „nicht normal“ halten, aber der erhobene deutsche Zeigefinger senkt sich deswegen um keinen Millimeter. Toleranz muss man den Polen „einbimsen“, verkündet „Die Welt“.

Biedroń war vor 2011, vor seiner Abgeordneten-Zeit also, Chef der „Kampagne gegen die Homophobie“, einer Organisation, die gegen die Diskriminierung von Homosexuellen kämpft. In einer ihrer Broschüren mit dem Titel „Regenbogen-Fibel oder (fast) alles, was Ihr über Schwule und Lesben wissen wollt“ schrieb er über die Entkriminalisierung der Homosexualität in Polen 1932, wie folgt:
„Dieses für seine Zeit moderne Strafgesetzbuch (…) bewirkte, dass, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, Homosexuelle durch das polnische Strafrecht nicht mehr verfolgt wurden. Das schuf eine zweideutige und kuriose Situation. Einerseits war es gut, dass homosexuelle Handlungen nicht mehr bestraft wurden, andererseits jedoch verschwanden Homosexuelle durch die Entkriminalisierung aus dem öffentlichen Raum und damit aus dem menschlichen Bewusstsein“ (Unterstreichung RdP).

Kurz gesagt: dass Homosexuelle in Polen nicht verfolgt wurden, war eine Art der Verfolgung, denn man schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit. So gesehen hatten es die deutschen Homosexuellen besser.

Die Zeitung „Rzeczpospolita“ vom 2.12.2014 sprach, vor dem Hintergrund der Biedroń-Wahl, den Krakauer Politologen Jacek Kloczkowski darauf an. Seine Antwort: „Es gibt unter den Polen solche, die Homosexuelle einfach nicht mögen, wozu sie im Übrigen ein Recht haben“, so lange sie nicht gegen das Strafgesetzbuch verstoβen. „Es gibt die Mehrheit, der die Schwulen egal sind, so lange sie nicht von aggressiven Schwulen-Propagandakampagnen behelligt werden“, weil sie der Meinung sind, dass sexuelle Vorlieben nur in die Privatsphäre gehören. „Es gibt welche, die Mitleid mit Schwulen haben und solche, die sie mögen. Die polnische Gesellschaft unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von vielen anderen in Europa.“ Die Toleranz in dieser Hinsicht ist eindeutig vorherrschend, die Akzeptanz nicht, so die These des Wissenschaftlers.

© RdP